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Full text of "Lehrbuch der Anatomie des Menschen : mit Rücksicht auf physiologische Begründung und praktische Anwendung"

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LEHRBUCH 


DKK 


ANATOMIE  DES  MENSCHEN. 


MIT  EilCKSICHT 


AUF 


PHYSIOLOGISCIIK  BEOKCNDI  N(;  UND 
P1IAKT1S( IIK  ANWENDUNG. 


VON 


JOSEPH  HYRTL 


k.  k.  Hoftrath,  IXictor  fi«r  M*;dii-Iii  und  (■liIrur;;io  ,  PrufcHHur  dur  dt!«4:riptiri*n  ,  tnpii^raplilHchen  und  ▼<.T(;lei- 
ehandon  Anacomia  »n  der  Wicuur  l'iiiveriiititt,  Cuiuiiiandviir  dv«  kiii^itrl.  (JcKturruicIiiMchvn  tirdeiii  der  iMHornen 
Ktmm  •  das  kuni(;i.  Preiu^inrhuii  Kroncn-Ordcnn .  und  Avn  knUurl.  McxicanincLun  (.iuAdülupu'Ordcn'« ,  HlUor  du« 
0«»t«rrelcliJielt«a  Lropold-  uud  Kraus  Ji><iciili-Oi'd<-tiii,  des  (irdene  ilwr  frans.  KItr«-nUi:;ion .  OfHi-iur  doH  ki'inii;!. 
Iprtoelihchan  Onlen«  de«  KrlSier^.  Khronductir  der  Lfipsi^^cr  l'nivcr-iitXt ,  Khrcnuiitf^lied  d«»  frulen  I>vuc«rh«n 
Hoebatiftos  für  WinHensi'liaft  und  Kun^t  bu  Fi-ankrurt  am  Miiin,  d^-r  köni;;!.  Akadviui«  der  Wi^atin^chafUm  und 
■Sntte  BU  Palamiu .  d«r  Sorlt-iä  dei  N.ituralisti  in  Mudcna.  der  I  nivcr'<it.'<u-n  M'iakau  und  Kiew,  der  kaU. 
BoBsivchaB  natnrremchenden  (ie-telNi'halt  su  Munkau,  der  8uc*ii-ty  nt*  Natural  Ili-ttiiry  sit  Ruhtun,  dur  med. 
tUrurg.  Akademie  in  Bt.  Putvrxbur^.  d««  Vitroinen  doutM-iu'r  Acrsti:  iiml  NAturfuriH-lier  in  Pari«,  der  OooulUrhaft 
flr  2fatur-  und  Heilkunde  in  Dresden,  der  küni^l.  un;?ariiiclien  uaturwiniuniicliaitiiehen  (ie<«elU(.*haft  in  Pciitli, 
imr  Oascllaehaft  der  Aurat«  In  Krain  ,  und  di-H  Mu^ralvcruincH  su  Lallim-Ii .  der  )i<lhniiHciifn  (te^ollNcliait  der 
Ämrmtm  ,  und  der  Akademie  di'.r  bildenilen  Küuiite  in  Vrmg ,  ordcntIi<-liciu  Mltf;lied  der  kai«erl.  Akademie  der 
WlaaensRfaaften  In  Wien,  nnd  der  künif^l.  Akademie  der  \Viit«fn<ii-Iiaflen  su  Mtiiu'licn  ,  der  Aoademia  Cacuurea 
Lwpoldu-C'arulLoa  naturau  curiunurum ,  der  ki'Ini;;!.  bniimiHrhon  <>fiivil«n|iHl't  dfr  WiMieniiflianeu  in  Prag,  und 
Sm%  k.  k.  sooIo;pliich  botaniMolien  Vereins  in  Wi«;n .  aui>.wKrti:;«>m  M.il;;lied  der  Hiifieta«  mndi<a  Ff.nnira  su 
Itelalnjffun ,  der  AiuerlfJin  Pliilu«ophical  Koiüety  xu  Pliilsdclpliia ,  und  der  Modtcal  Ititjal  S^ioirty  zu  KdinbunCt 
eoiTMpoDdirendem  Mitarlied  der  Afadi-mie  Imp«>riale  de  Mi>diM-ine  ,  der  Social ••  anat<iniiquc  nnd  der  SofieUt  du 
JIMogia  sa  Paris,  der  Soi*Ii!t/  Imp^rinle  den  m.-iemvH  naturflle*  de  Clierhour^c ,  der  könii;].  Akademie  der 
WlaaeB^chafton  au  Berlin,  der  kaiiurl  Akademie  su  St  ruloi*Hljiir;?,  der  ki'ini^l.  (;eiielNchaft  der  \Vi«flrniichanon 
■a  Göttinnen,  der  Anthropwluirical  Sut-iitty  su  I.i^mlun,  ilur  Natural  Iliilury  Svii'ivty  ku  Dublin,  der  knni^l. 
0MdIciniaeliea  (fcsulluclmft  su  Athen,  der  Acadi-my  o(  Natural  SoiiMioes  au  Philiidwlplita,  der  Klli-itt  üuriety  uf 
Satnrml  History  au  Charle^ton ,  Huutli-Carnlina ,  der  (ie^ello'.-liaft  der  WUiiensi'haftfn  Tilr  NiederlKndi«cli-lniIicn 
ma  BatATia,  der  kaiserl.  kOni;;!.  >;eiilu;;iitrli«n  K<-ip|i«itn4tu1t  in  Wien,  ile-t  Atem-ü  au  Vene<Ii»:  ,  dcA  InslikUto 
XvOOlbardo  per  Ic  scienftu ,  letteru  ed  arti  su  Mailand,  ttuwle  der  i;«tlnlirtcu  nii:di(-tniNclien  oud  uaturwrimien- 
■AalUklien  GeMilischaftcn  su  Amkterdani.  Ilonn .  Itrcslau ,  Dninn  .  ItrÜKhel ,  Kr!nn.;en,  Kreibur^r.  Halle,   I^-ipsiier, 

Ia  luber,.- ,  Pe«th  und  äloi'kliulm. 


ELFTE    AUFLAGE 

AI.S  ü.NVKllÄXDliRTKIl  ABDiaX'K  DKR  /EIINTE.V 


WIEN,  1870. 
WILHELM    BRAÜMÜLLER 


K.  K.  Hor- 


Go^^l 


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••  •••  • 


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VOßWOKT  ZUE  ZEHNTFN  AUFLAGE. 


Diese  neue  Auflage  meines  Lehrbuches  hat  an  Umfang  etwas 
abgenommen,  an  Inhalt  aber  zugenommen.  Bündigere  Fassung  des 
rein  beschreibenden  Theiles,  und  Verweisung  alles  Uebrigen  in  die 
Rubrik  d*es  Kleindruckes,  erklärt  diesen  scheinbaren  Widerspruch. 
Die  Mängel,  welche  dem  Buche  auch  in  dieser  veränderten  Form 
noch  ankleben,  will  ich  nicht  zu  beschönigen  versuchen.  Dem 
ürtheile  der  Leser  aber,  würde  ich  ein  schlechtes  Compliment 
machen,  wenn  ich  den  Beifall,  welchen  sie  meinem  Werke  schenk- 
ten, für  ganz  und  gar  unverdient  halten  möchte.  —  Mehr  hat  der 
Autor  zur  Einführung  dieser  zühnteu  Auflage  nicht  zu  sagen.  Möge 
sie  sich  die  Beliebtheit  ihrer  Vorgängerinnen  bewahren,  und  ihren 
wiasenschaftlichen  Gehalt  selbst  vertreten. 

Wien,  20.  Juli,  1867. 

HyrtL 


VOKKEDE  ZÜE  EBSTEN  AÜFUGE. 


ich  habe  mich  zur  Herausgabe  dieses  anatomischen  Lehr-' 
buches  entschlossen ,  um  meinen  Schülern  einen  Leitfaden  an  die 
Hand  zu  geben,  welcher  in  gedrängter  Kürze  den  gegenwärtigen 
Standpunkt  der  Anatomie  schildert,  sie  mit  dem  Geiste  der  Wissen- 
schaft und  ihren  Tendenzen  bekannt  macht,  und  ihnen  zugleich 
eine  kleine  Andeutung  über  die  grossen  Anwendungen  giebt,  deren 
die  Anatomie  im  Gebiete  der  Praxis  fähig  ist  Anatomische  Com- 
pendien  von  dem  bescheidenen  Umfange  des  vorliegenden,  fördern 
in  der  Regel  die  Wissenschaft  nicht,  und  haben  keinen  andern 
Zweck,  als  Jene,  welche  sich  mit  dem  Fache  näher  beft*eunden 
wollen,  für  das  Studium  umfassenderer  Werke  vorzubereiten,  an 
welchen  die  anatomische  Literatur  so  reich  ist.  Ich  fand  mich  um 
so  mehr  veranlasst,  diese  Arbeit  zu  unternehmen,  als  ich  während 
meiner  Wirksamkeit  als  Lehrer  der  Anatomie  die  Beobachtung 
machte,  dass  sich  die  Studierenden  häufig  solcher  Handbücher 
bedienen,  bei  deren  Auswahl  nicht  immer  auf  ihren  Gehalt  Rück- 
sicht genommen  wird. 

Bei  der  vorzugsweise  praktischen  Richtung,  welche  der  medi- 
cinische  Unterricht  in  den  österreichischen  Staaten  einschlägt,  habe 
ich  für  nützlich  erachtet,  die  trockenen  Details  der  anatomischen 
Beschreibungen  mit  Andeutungen  über  physiologische  Verhältnisse 
zu  verbinden,  da  nach  diesen  der  wissbegierige  Zuhörer  zunächst 
verlangt;  und   von   gewöhnlichen   Schulbüchern   wenig   Aufsehluss 


Vorrede  xnr  ersten  Auflage.  y 

darüber  erhält.  Da  ich  femer  die  Ueberzeugung  habe^  dass  Nie- 
mand jene  Anatomie^  welche  er  im  ärztlichen  Leben  braucht^  aus 
Büchern  lernt,  sondern  nur  durch  praktische  Uebung  am  Leichnam 
sich  eigen  macht,  so  habe  ich,  wo  es  anging,  die  Schilderung  der 
Theile  so  vorgenommen,  wie  sie  sich  unter  dem  Messer  entwickeln, 
und  deshalb  die  Muskellehre  mit  der  topographischen  Anatomie 
der  Regionen  verbunden.  Organe,  um  welche  das  praktische  Be- 
dürfniss  wenig  fragt,  werden  so  compendiös  als  möglich  abgehan- 
delt; dagegen  Regionen,  welche  das  Interesse  des  Praktikers  mehr 
anregen,  ausführlicher  besprochen.  Man  wird  deshalb  den  Leisten- 
und  Schenkelkanal,  den  Situs  visceinmiy  das  Mittelfleisch,  imd  andere 
Gegenden,  an  welchen  häufig  operirt  wird,  mit  grösserer  Umständ- 
lichkeit behandelt  finden,  als  die  Faserung  des  Qehirns  oder  den 
Bau  des  Qehörorgans.  Durch  diese  Behandlungsweise  dürfte  sich 
das  Werk  vielleicht  zu  seinem  Vortheile  von  anderen  Schriften 
dieser  Art  unterscheiden.  Von  Literaturquellen  werden  nur  jene 
angegeben,  welche  sich  auf  den  Text  direct  beziehen,  und  welche 
ich  aus  eigener  Erfahrung  für  die  weitere  Ausbildung  im  Fache 
als  empfehlenswerth  kennen  lernte. 

'  Es  war  meine  Absicht,  das  Buch  mit  Tafeln  auszustatten,  da 
ich  sehr  wohl  einsehe,  wie  sehr  die  bildliche  Anschauung  den  Be- 
griffen zu  Statten  kommt,  und  zugleich  weiss,  mit  welchem  Bei- 
falle die  illustrirten  Ausgaben  englischer  Handbücher  auch  in 
Deutschland  aufgenommen  wurden.  Die  dadurch  nothwendig  ge- 
wordene Vertheuerung  des  Buches  bestimmte  mich  jedoch,  diesen 
Plan  vor  der  Hand  aufzugeben.  Ich  pflege  in  meinen  Vorlesungen, 
wo  es  angeht,  den  Bau  und  die  räumlichen  Verhältnisse  der  Or- 
jgane  durch  Zeichnungen  von  Durchschnitten,  und  ihr  Nebeneinan- 
dersein durch  skizzirte  Entwürfe  zu  versinnlichen.  Werden  diese 
vom  Zuhörer  copirt,  so  kann  er  sich  dadurch  einen  anatomischen 
Atlas  bilden,  der  ihm  beim  Studium  des  Textes  wesentliche  Dienste 
leisten  wird.  —  Von  der  Entwicklungsgeschichte  habe  ich  nur  so 
viel  aufgenommen,  als  mir  erforderlich  schien,  um  die  späteren 
Zustände  des  schwangeren  Uterus  und  seines  Inhaltes  verständlich 
zu  machen,  dagegen  die  in  Form  und  Lage  der  Organe  auftreten- 
den Varietäten,  auf  deren  Vorkommen  der  Chirurg  gefasst  sein  soll, 
oder  die  sich  auf  interessante  Weise  aus  der  vergleichenden  Ana- 
tomie interpretiren  lassen,  am  betreffenden  Orte  zusammen«» 


YX  Vorrede  rar  ersten  ▲nfltge. 

Die  allgemeine  Anatomie  wurde;  nach  üblichem  Gebrauche ,  der 
Bpeciellen  vorangeschickt;  obgleich  ich  weiss,  dass  das  Studium  der 
ersteren  nur  durch  die  Kenntniss  der  letzteren  möglich  wird.  — 
Da  ich  mir  wohl  denke,  dass  für  den  angehenden  Arzt  praktische 
Bemerkungen,  sofern  sie  ohne  specielle  Kenntniss  der  Krankheiten 
verständlich  sind,  nicht  ohne  Nutzen  auch  in  einem  anatomischen 
Handbuche  Platz  finden  können,  so  habe  ich  solche,  wo  es  thun- 
lich  war,  beigefügt;  wenigstens  weiss  ich  aus  eigener  Erfahrung, 
dass  es  mir  als  Student  sehr  willkommen  gewesen  wäre,  zu  erfah- 
ren, warum  man  Anatomie  lernt.  Sollte  diese  Abweichung  von  der 
streng  anatomischen  Aufgabe  Jemandem  schädlich  vorkommen,  so 
steht  es  ihm  ja  frei,  die  betreflFenden  Paragraphe  zu  überschlagen. 
Vollständigkeit  und  Kürze  zu  vereinigen,  war  der  Zweck,  den 
ich  erreichen  wollte;  —  Deutlichkeit  ist  nicht  immer  das  Ergebniss 
vieler  Worte,  —  und  wenn  die  allzu  compendiöse  Form  dieses 
Buches  dem  kritischen  Vorwurf  unterliegt,  so  wird  sie  wahrschein- 
lich in  den  Augen  derer,  für  welche  es  geschrieben  wurde,  nicht 
die  tadelnswertheste  Eigenschaft  desselben  sein. 


*  Wien,  im  August,  1846. 


Hyrtl 


INHALT. 


§. 

1. 

§. 

2. 

§. 

3. 

§. 

4. 

§. 

5. 

§. 

6. 

§. 

7. 

§. 

8. 

§. 

9. 

§. 

10. 

§. 

11. 

§. 

12. 

§. 

13. 

§. 

14. 

§. 

15. 

§. 

16. 

Einleitung  und  nothwendige  Vorbegriffe. 

Seite 

Organisches  und  Anorganisches 3 

Organisation.     Organ.     Organismus 7 

Lebensverrichtungen 8 

Begriff  der  Anatomie 9 

Eintheilung  der  menschlichen  Anatomie 10 

Topographische  Anatomie 13 

Vergleichende  Anatomie,   und  Entwicklungsgeschichte 14 

Verhältniss  der  Anatomie  zur  Physiologie 16 

VerhAltniss  der  Anatomie  zur  Medicin 17 

Verhältniss  der  Anatomie  zur  Chirurgie 20 

Lehr-  und  Lemraethode  der  Anatomie 23 

Terminologie  der  Anatomie 28 

Besondere  Nutzanwendungen  der  Anatomie 30 

Geschichtl.  Bemerkungen  über  die  Entwicklung  der  Anat  Erste  Periode  31 

Zweite  Periode  der  Geschichte 38 

Allgemeine  Literatur  der  Anatomie 49 


Erstes    Buch. 
Gewebslehre  und  allgemeine  Anatomie, 

§.  17.     Bestandtheile  des  menschlichen  Leibes Ö9 

§.  18.     Die  thierische  Zelle 62 

§.  19.     Lebenseigenschaften  der  Zellen 63 

§.  20.     Metamorphose  der  Zellen 67 

J.  21.     Bindegewebe 68 

§.  22.     Eigenschaften  des  Bindegewebes 71 

|.  23.     Formen  des  Bindegewebes 73 

§.  24.     Elastisches  Gewebe 74 

§.  25.     Fett 76 

§.  26.     Physiologische  Bedeutung   des   Fettes 78 

§.  27.     Pigment 81 

§.  28.     Oberhaut  und  Epithelien 83 

§.  29.     Allgemeine  Eigenschaften  der  Epithelien 84 

§.  30.     Physiologische  Bemerkungen  über  die  Epithelien 88 

§.  31.     Muskelgewebe.     Hauptgruppen  desselben .  90 

§.  32.     Anatomische  Eigenschaften   der  Muskeln 93 

§.  33.     Chemische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes 95 

§.  34.    Physiologische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes.  Irritabilität 96 

§.  85.  Sensibilität,   Stoffwechsel,  Todtenstarre,  und  Tonus  der  Muskeln  ....  96 


VerhUtDisB  der  Hutkeln  eu  ihren  Sehnen 101 

Bsnennunf  und  Eintbeilung  der  MuBkelo    ....         102 

Allgemeine  iucciiiinisvli.-  VerhSltniMe  der  Huskeln '  '  '  loft 

i.  39,     Prakti«cbi>  Dc.ur'iluiHg.i]  über  du  Muskelgewebe    ..','.  '  '.  '..'.'.,'.  107 

i.  40,     iMlirüatj  Gt'ivübu '  '  109 

\.  41.    Formen  dta  fibrösen  Gewebes ]Iq 

Praktiscbe  Bemerkungen  über  dna  fibröie  Gewebe 113 

|.  43.     ßerösr  Haute .'!.'.'....  1I5 

Pmkliacbe  Uemcrliungen   über   die  ferHsen  HKiite    .  .  ',  .  '  .      .  .  .  ,  [  uh 

ÜefS»3«yslem.  Begriff  des  Kreiilaufe«  und  Einlheilung  des  OefSssayatems  130 

Arlanen.    Bau  deraelljen j.ig 

j.  47.     Allgemeine  Vorlauf»-  und  7er«»tlungBpe«otiiB  der  Arterien'  ...'..,'.  134 

;.  48,     Pby»iologiflche  Eigens chafteii   der  Arterien    "  '  '  127 

Praktische  Anwendungen jog 

CapillRrgefliMO.    Annlomiache  Eigenacliaften  derselben  jx^ 

Physiologische  Eigenacbaften  der  CupillargefSsse '. '.  IM 

Venen.  Anatomische  Eigenschaften  derselben ]S8 

Verlauf»,  und  VcrHgtlnngageaeUe  der  Venen '  139 

PhyBiologiacha  Eigenschaften  der  Venen m 

Prakliacbo  Anwendungen '  .  '      '  '  \ J42 

Lymph-  und  Ch_vluBf;efiK»e.    Anslomische  Eigenscitaften  derselben    .'  .  Ul 

Verlnufagesolie  der  Lympb-  und  Chylusgefiliise U7 

Bau  der  Lymphdrüsen '  ' 143 

l'liysioloßisehe  und  praktische  Bemerkungen.  '.'.'....'..'.'.'..'..'.  löO 

BUil.    Mikroakopischo  Analyse  degsalben Iftl 

Gerinnung  de»  Blutes Ibi 

Weitere  Angaben  Über  chcmiachefl  u.  mikroskopiecheB  Verhalten  de«  Bliiles  löö 

Physiologische  Bemerkungen  über  das  Blul 158 

',.  64.     Bildung  und  Hüekbildung  des  Blutes '.'"."'. 159 

\.  66,     Lymphe  nod  Ciiylus '..','... 160 

;.  68.     NorvenHyslem.    Eiutheünng  des  NcrvenBystemi  .'.'.'.'.','.' loa 

|,  67.     Mikroskopische  Blemente  des  NervensyBtem»  .  ,  .              163 

■    ■"'      Ursprung  der  Henna 168 

^             Poripberiachea  Ende  der  Nerven '  '      '  '  mg 

j.  70.     Paciui'sche  KOrperohen  und  Wagner^s'  (Meisiner'«)  Tutkörperohen   '  '  171 

5.  71.     Anatomiache  Kigenschaften  der  Nerven 174 

j.  78,     Physiologische  Eigenschaften  des  animaien'Nerrensyitem»'  _■■■■'■  j^^ 

g.  73.     PbyBiologiache  Eigenschaften  des  vegetativen  Nervensystema  ....'.'.  181 

j).  74.     Praktische  Anwendungen ipj 

§.  75,     Knorpel  System.    Anatomische  EigenschaRen  desaeib'en 186 

g.  76.     PhysiulogUcho  Eigenschaften  der  Knorpel  ....                           '  1«'J 

g.  77.     Knoehensystom.    Allgemeine  Eigenschaften  der  Knochen    . igi 

j.  78,     Einthcihing  der  Knochen J93 

5.  79.     Knoehensub  stau  Ben igu 

g.  80.     Beinhaut  und  Knochenmark    .      '         ■'.'■'      '  196 

§.  81.     Verbindungen  der  Knochen  unter  »ich '  .'  199 

§.  82.    NJlherea  Über  Knochenverhindun  gen     20i 

§.  83.    Structur  der  Knochen .'.'.'.....''. ao.l 

%.  84.     PhyfliQlogiBche  Eigenscbrnften  der  Knochen    ..,'.'         '.'.'.'.'.'.''.  20ti 

•    "'      Enlslehung  und  Wachsthum  der  Knochen 208 

Fraktiache  Bemerkungen !  !  .  '  '  at2 

\.  87,    3cbleimhfiute.    Anatomische  Eigenschaften  dersdben 213 

""      Physiologische  Eigenschaften  der  Schleimhäute '  '  216 

Brflsensystera.    Anatomische  Eigeuschaften  desselben 218 

Eintbeilung  der  Drüsen \  220 

Physio  legis  ehe  Eigenschaflen  der  Drüsen '.'.'.'..'..'...'.'.  222 

g.  92,    Allgemeine  Bemerkungen  Ober  die  Ahaondeningen 226 


Zweites   Buch. 
Vereinigte  Knocken-  und  Bändwlehre. 


Object  der  Knochen-  und  BSoderkbre 


Inh.lt-  IS 
A.  Kopfknocheo. 

g.     94.  Eintheilung  der  Bopfknaehen 233 

a)  ScbfidelkQochen. 

§.     96.  Allgemeiiie  Eigenachaften  der  SchSdelknochcD HS 

§.     96.  HinterliauptbeiD 236 

§.     97.  Keilbein    239 

|.     98.  Slirnbein 246 

g,     99.  Siebbein 218 

g.  100.  Seiteiinftnd-  oder  Scheitelbeine 2ÖL 

g.  101.  SehlKfebeine 268 

g.  102.  Verbindung  der  SchKdelknocIien.    Fontanellen SfiS 

g.  103.  Ueberillhlige  Schädelknochen 2G1 

g.  104.  SchSdelhöble 2«3 

b)  Geaichtsknochen. 

§.  105.  Allgemeine  Bemerkungen  Über   die  Gesichtakuoclicn 36& 

g.  106.  Oberkieferbein 2C6 

g.  107.  Jochbtin 270 

g.  108.  Na«eubein ...  271 

g.  109.  Gaumenbein    .                  .                        272 

g.  IIO.  Thriiucnbein 273 

g.  m.  L'nlere  Naienmiiachel 274 

g.  112.  PBugacharbeiu 276 

g.  113.  Unterkiefer ..«76 

g.  114.  Kinnbacken-  oder  Kiefergeleuk 277 

g.  116.  Zungenbein 279 

g.   116.  HtiblcD  und  Gruben  des  Gesielits 280 

§.  117.  VerhlUtniiB  der  Uiruscliale  zum  Getickt 2tl4 

g.  lie.  AlteraverBcliiedenheit  des  Kopfes      287 

g..  119.  Entwicklung  der  Kopfknochen 289 

B.  Knochen  des  Stammes. 
a)    Urknochen    oder    WirbeJ. 

g.  lao.  Begriff  und   Eintheilung   der  Wirbel 290 

f.  \il.  H«l»wirbel 298 

g.  122.  Brustwirbel ...  296 

g.  123.  Lendenwirbel ,  .  297 

5.  124.  Kreuibcin .  .                                          2B8 

5.   126.  SteiMbein 301 

g.  126.  Bünder  der  Wirbelaänla 302 

Ij.  127.  Betrachtung  der  WirbelsHulo   all  Ganzes 307 

g.  128.  Beweglichkeit   der  Wirbelsäule 311 

b)  Nebenknochen  des  Stammes. 

g.  129.  Brustbein 313 

g.  130.  Rippen 316 

g.  131.  Verbindungen  der  Rippen 319 

g.  132.  Allgemeine  Betrachtung  des  Bmsikorbes 320 

C.  Knochen  der  oberen  Extromititten. 

g.  133.  Eintheilung  der  oberen  ExtremitStcn 322 

g.  134.  Knochen  der  Schultor.    Sc lil »«selb ein ,....,  »22 

S.  135.  Schulterblatt 323 

g.  136.  Verbindiingeu   der  Suliulterknoohen S36 

|.  137.  Oberannbein 326 

g.  138.  SclmlierRelcnk 828 

g.  139.  Knochen  des  Vorderann» 339 

|.  140.  Ellbogengelenk .131 


§.  141.  Knochen  der  Haiwi .  332 

§.  142.  BKnder  der  Hand 338 

%.  143.  Allgemeine  Bemerknngen  Hber  die  Hftnd 343 

D.  Roochen  der  unteren  Extremitäten. 

%.  144.  KintlieiluBg  der  unteren   Extremitäten     .H44 

"    '",  Hüftbein .'i44 

,  Vc-rLIiLliiiiKCii  ilpr  Hilftbeiae 348 

.  147.  Dbb  Becii™  ith  Ganzes Sfil 

Untersrhiedci  des  mannlichen  und  ireiblicben  Ileckens 3Ö4 

.  14B.  Obersclieultelbpin 36« 

.   150.  Hilftgnlcnk 368 

161.  KiiiH^hcrii  rlo9  Untertchenkels 361 

152.  Kniegelenk 363 

IM.  Knochen  dei  Fussea 868 

164.  BKnder  des  Fussc« 373 

156.  Allgemeine  BemerkanKen  Über  den  Fub» 377 

156.  Literatur  der  Knochen-  und  BSnderlehre 3a0 


Drittes  Buch. 

Muikellehre  und  topographüche  Anatomie. 

A.  Kopfmuskeln. 

§.  167.     Eintheiliing  der  Kopfmuskeln ,387 

§.  168.     Kopfmuskeln,  die  sich  in  Weichtbeile  inseriren .386 

%.  159.     Muskeln  des  Unterkiefers 394 

%.  160.     Fascien  des  Gesichtes .  3»7 

§.  161.     Einige  topographische  Beiiehungen  des  Maaieter  und  der  Pterygoidi'i  398 

B.  Muskeln  des  Halses. 

g.  11)3.     Korm,  Eintheihing  und  Kueammenaetiung  de*  Halses 399 

g.  163.     .Specielle  Beschreibung   der  Halimnskeln,   welche  den  Kopf  und  den 

Unterkiefer  bewegen 40O 

g.  164.    Uuskeln  des  Zungenbeins  and   der  Zunge 403 

l.   166.      Tiefe  Halsmuskulu 406 

g.  166.     Topogrsphiscbe  Analcmie  des  Hatte« 409 

§.  167.     VukW  des   lUJses , 411 

C.  Muskeln  der  Brust 

§.  168.     Aeusiere  Ansicht  der  vorderen   und  Rcillichen  Brustgegend 41! 

g.   lOU,     Muskeln  an  der  liruit 413 

D.  Muskeln  des  Bauches, 

%.  170.     AllKemeinea  über  die  Baucbwand 418 

S.  171.     S[i<^cie)le  Best^hreibuiig  di^r  Bauchmuikeln 421 

%.  173.     Faicia  (Taiuverta,   Scheide  des  Bectus,  und  weisse  Bauehlinie    ....  436 

§.    173.      Leiitenkanal      427 

§.   174.     Leistengrnben 428 

§.  176.     Einiges  xnr  Anatomie  der  Leistenbruche 430 

g.  178.     Zwerchfell    433 

£.  Muskeln  des  Rückens. 

g.  177.     Allgemeine  Betrachtung  des  Rückens,  und  Eintheilung  «einer  Miukeln  486 

g.  178.     Breite  RUckenmUBkeln 437 

g.  179.     Lange  Rllckenmuakeln 440 

|.  180.    Kune  Rnckenma«k«ln **£ 


Inhalt.  XI 

F.  Muskeln  der  oberen  Extremität 

Seite 

§.  181.  Allgemeine  Betrachtung  der  oberen  Extremität 446 

§.  182.  Muskeln  an  der  Schulter     449 

§.  183.  Muskeln  am  Oberarme 461 

§-  184.  Muskeln  am  Vorderarme 4ö6 

§.  185.  Muskeln  an  der  Hand 465 

§.  186.  Fascie  der  oberen  Extremität 468 

G.  Muskeln  der  unteren  Extremität. 

§.  187.     Allgemeine  Betrachtung  der  unteren  Extremität 471 

§.  188.     Muskeln  an  der  Hüfte 473 

§.  189.  Wirkungsweise    der    Hüftmuskeln,    und    topographische    Verhältnisse 

der  Gesässmuskeln 477 

§.  190.     Muskeln  an  der  vorderen  Peripherie  des  Oberschenkels 479 

§.  191.     Muskeln  an  der  inneren  Peripherie  des  Oberschenkels 481 

§.  192.  Topographisches   Verhältniss   der   Muskeln  und  Gefässe  am  vorderen 

Umfange  des  Oberschenkels .  .  483 

§.  193.     Muskeln  an  der  hinteren  Peripherie   des  Oberschenkels 485 

§.  194.     Topographie  der  Kniekehle 486 

§.  195.  Muskeln  an  der  vorderen  und  äusseren  Seite  des  Unterschenkels    .  .  488 

§.  196.     Muskeln   an   der  hinteren    Seite  des  Unterschenkels 491 

§.  197.     Muskeln  am  Fusse 496 

§.  198.     Fascie   der  unteren  Extremität.     Eintheilung   derselben 499 

§.  199.     Schenkelbinde  und  Schenkelkanal 499 

§.  200.     Einiges  zur  Anatomie  der  Schenkelbrüche 501 

§.  201.     Fascie  des  Unterschenkels  und  des  Fusses 504 

§.  202.     Literatur  der  Muskellehre 506 


Viertes   Buch. 

Sinnenlehi'e, 
§.  203.     Begriff  der  Sinneswerkzeoge  und  Eintheilung  derselben 511 

A.  Tastorgan. 

§.  204.     Begriff  des  Tastsinnes 512 

§.  205.     Structur  der  Haut 513 

§.  206.     Tastwärzchen '  616 

§.  207.     Drüsen  der  Haut 518 

§.  208.     Oberhaut !  !  . .  520 

§.  209.  Physikalische  und  physiologische  Eigenschaften  der  Oberhaut    .  522 

§.  210.     Nägel ■  *  ' .;  628 

§.  211.     Haare.    Anatomie  derselben 626 

§.  212.     Physikalische  und  physiologische  Eigenschaften  der  Haare 528 

§.  213.     Uuterhautbiudegewcbe 530 

B.  Geruchorgan. 

§.  214.     Aeussore  Nase     531 

§.  215.     Nasenhöhle  und   Nasenschlcimhaut     533 

C.  Sehorgan. 

I.  Schutz-  und  HilfBapparate. 

§.  216.     Augenlider  und  Augenbrauen 536 

§.  217.     Conjunctiva ]      ]  538 

§.  218.     Thränenorgane 540 

§.  219.     Augenmuskeln 543 

II.   Augapfel. 

{.  220.     Allgemeines  über  den  Augapfel     545 

§.  221.     Sklerotica  und  Cornea 540 


§.  B22.    Choroidea  und  Iri» M9 

%.  !33.     OefKsie  aad  Nerven  der  ChoroideA  ODd  Iri« 663 

%.  224.     Retina 666 

g.  226.     Bau  der  Ketina 667 

§.  226.     Kern  des  Angea.    OlaakOrper 669 

g.  227.     Linse 661 

§.  228.     Humor  oqiieui.    Augen kammeni.    Besondere  Membranen  des  embryo- 
nischen Angel 663 

D.  Gehörorgan. 

|.  229.     Etntheitung  des  Gehörorgan« 66* 

I.  AeUESere  Sphäre. 

g.  2S0.     Ohrmuscbel .  .  .  6fi6 

§.  231.     Aenaaerer  Gehörgang     668 

§.  232.    Trommelfell    668 

II.  MiLLlero  SphUre. 

g.  233.     Paukenhöhle  und  Ohrtrompete ,  .      ,  .  5(19 

§.  234.     Gehörknöchelchen 671 

III.  Innere  Sphäre  oder  Labyrintta. 

236.     Vorhof 67* 

236.     BogengRnge 676 

a37.     Schnecke 576 

238.  HHutiges  Liibyrinth     678 

239.  Innerer  Gehörgang  und  Patlopischer  Kanal 680 

240.  Literatur  der  geaammten  Sinnenlebre 681 


Fttoftes   Buch. 

EingeweideUhre  und  Fragmente  aus  der  Entwicklungsgeichidite. 

A.    Eingeweidelehre. 

§.  241.     Begriff  und  Eintheiinng 687 

I.    VerdauungBorgBQ, 

§.  342.    Begriff  and  Eiutheilung  des  Verdauungsorgans 688 

§    a43.     Mundhöhle 689 

"    " '  ■ ,     Weicher  Gaumen,  Utkmm  /oucium,  und  Mandeln 690 

.     Muskeln  des  neicben   Ganmens     692 

,     zahne.    Anatomie  derselben G93 

.     Formen  der  Zähne 696 

,     Zahnfleisch 697 

,      Lebonsrifcnsuhiiftcn    der    ZXhne 698 

,      VsrietÄlen  der  ZHhne 600 

.     SpcioliddrUsen     601 

.     Ban  der  Speicheldrüsen GOS 

Zunge 604 

Geschmackflwllriphrn  der  Zunge 606 

Binnenmuibeln  der  Znnge ....  608 

,     Rachen 608 

,     ItaclienmiiBkeln 610 


li  tieroiiOil  ct^r  Lage  und  ZusammensetEUng  des  Verdauungsk^nals  in 

lipr   lUiicIiliillilo 613 

Zuinmineiisci/.iiiiE  des  Verdauungakanals 616 

,     Mairen 616 

Structur  des  Hagen« 617 

g.  S6S.     Dünndarm 631 

|.  264.     Specielle  Betrachtung  der  DflnDdamuchleimhaat 63S 

f.  266.    Ueber  die  Frage,  wie  die  LympbgefllMe  in  den  DkrmiotteD  onttpringen  616 


Terfaalten  der  LjniphgeflMe 

der  Dkmuchleimhaut e^e 

Uaber  du  CjlinderepiÜiel  des  Dttnndarma 628 

Dickdarm 630 

Speuiciles  fiber  die  einielnen  Schichten  des  Dickd»riiis 631 

,      Muskeln  ätB   Afters 633 

Ueber  den  Sphinkter  ant  lertim    63i 

Leber.    Aenisere  VerbftItniMe  derselben 636 

Praktische  Bebnndliinp  der  Leber  in  der  Iieiche 638 

Gftllenblase  MO 

..  276.     Bau  der  Leber 641 

i.  S76.     BanchspeLchcIdrösB 6M 

.  277.     Hill 6*6 

..  278.    BMohfdl 6*7 

II.  RespiratioDsorgan. 

Begriff  und  Eintheilnng  des  liespirntionsorgans 662 

.     Kehlkopf.    Knorpelgerflst  desselben 663 

Bttnder  der  Keblkupfknorpef 6ÖS 

gtimmbünder  und  SchleimhAut  des  Kehlkopfes 667 

,     Muskeln  des  Kehlkopfes     6Ö9 

Luftröhre  und  deren  Aeste 661 

Langen.    Ilir  Aeusseri's 662 

B»n  der  Lnngen 664 

Ein-  lind  Aiisjttlimeu 666 

NebendrOsen  der  Reipirationsorgaiie.     Schilddrltse 667 

Thjmnt 669 


Lage  der  Eingeweide  in  der  Brusthöhle 672 

lU.  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

§.  S92.     Eintheilnng  der  Barn-  and  Geschlechtsorgane 675 

A.  Rarnwerkzeuge. 

%.  293.     Nieren-  und  Harnleiter 676 

§.  294.     Näherei  fiber  Einzeloheiten  der  Nieren anatomie     680 

|.  296.     Hebennieren 684 

g.  296,     Hamblaae    686 

%.  297.     Praktiache  Bemerkungen  ttber  die  Hamblaae 688 

%.  298.    Harnröhre 689 

B.  Oeschlecbtswerkseuge. 

g.  299.     Eintheilnng  der  Geschlechtswerkzeuge    693 

I.  Männliche  aeechlechlsorgaae. 

g.  300.     Hode  und  Nebenhode    694 

§,  801.     VerliältHias  lies  Hoden  üum  Peritoneum     697 

%.  302.     .Samenstrang  und  dessen  Hüllen 699 

8-  303.     Hodcusack  und  Tunica  datto» 700 

g.  304.     Samenbläschen  und  Ansspritzungsk  anale 701 

g.  306.    "Vorsieherdrüse 708 

g.  306.     Cowper'sche  Drüsen 704 

g.  807.    HKnuUche«  GUed ^  704 

n.   Weiblicbe  Oeechlechtsorgane. 
g.  308,     Annlomisclier   und    physiologischer     Charakter    der    weiblichen    Ge- 

schleehtsorgone 708 

§.  309.    Eierstocke 70» 

§.  310.    Ban  der  Eieratöcke '710 

|.  311.     Schickaal  des  FoUtcWitt  Graoßi  und  des  Eies  ...'..'.'.'.'.'.'.'..'.  711 

g.  812.     Geb final] ttor.    Aeussera  Verhältnisse  derselben     718 

g.  313.     Gebärmutterhöhle 715 

|.  314.     Bau  der  Gehkrmutter ^ib 

%.  815.    Eileiter 717 

|.  816.    Uutteraeheid« 719 


8.  317.  Hymen 720 

g.  818,  AeniBere  Scham     731 

J.  819.  Brüste 724 

§.  820.  Bau  der  Brüste 72ö 

III.  MittelflelBCh. 

§.  321.  Ausdehnung  und  Grenzen  des  Mitlelfleuches     721 

g.  822.  Muskeln  ie»  Mittelfleisches 727 

|.  823.  Fascieu  des  HittelfloiicLei.    Faicia  PelvU 730 

g.  S24.  Fatcia  jMrinn  propria  et  mper/iciali» 731 

§.  326.  Topographie  des  HittelQeiiches     732 


B.  Fragmente  aus  der  EDtwicklungsge schichte. 

Veriucieningeii  de«  Eies  im  Eileiter  bis  mm  Auftreten  der  Reimhaut  736 

Veriuideruuiceii  iJi'n  Kiel  im  Uterus.     Erscheinen  des  Embryo    ....  7S» 

Weitere  Forlwhrut.   der  Entwicklung  des  Embryo 740 

WüHTsfliiT  K.ür|nT       743 

Mcnst-Iilii'lii'   Kii't   aus   der  frühesten  Schwangerschaftsperiode.    Man- 

AruiiUF  :l'.-:i'l;„r 745 

Menschliche  Eier  ans  dem  zweiten  Scliwangerschaftsmonate 747 

Zur  Geburt  reifes  Ei.    Schafbant 74S 

FriifUtna..Bt.r     748 

GtfiuahniU      749 

Miitlerhuchf.. 750 

Nal,eUlra.ig 752 

VerMnderuugeii  der  Gebärmutter  «Sbrend  der  Schwangerschaft .  .  .  ,  756 

l..sge  dt;a  Embryo  in  der  Gebärmutter    766 

Literatur  der  Eingeweidelehre 757 


SecbateB  Buch. 

Gehirn-    vnd   Nervenlekre. 

Ä.  Centraler  Theil  des  animalen  Nervensystems.    Gehirn  und 

Rückenmark. 

g.  341.     Hüllen  des  Gehirns  und  Rflchenmarks.    Dura  mater 705 

§.  342.     Arathnoidta 768 

g.  »43.      Pia  mater 771 

g.  344.     Eintbeilung  de»  Gehirn» 77-.' 

g.  346.     Grosses  Gehirn 

g.  34r>.     Grosses  Gehirn  von  unten  utii 
g.  347.     Anatomie  des   kleinen   Gehini 

tes  Mark      lan 

g.  348.     Anatomie  des  kleinen  Gehirns  tou  oben.  Vierte  Gebimkammer ....  7»SI 

g.  849.     EmbTyohim 7a2 

g.  350.     KUckenmark 794 

§.  351.     Einiges  Über  Structur  des  Gehirns  und  Kückenmarks 797 

B.  Peripherischer  Theil  des  animalen  Nervensystems.  Nerven, 

g.  362.    Erste»  Paar 800 

g.  353.     Zweites  Paar 802 

g.  364.     Drittes,  viertes  und  sechstes  Paar 803 

g.  365.     KUnfte»  Paar.     Kr-fr  A=l  .(..fs-lln-n 80B 

g.  366.     Zweiler  Ast  des  fünften  PaHre»     807 

g.  367.     Dritter  Ast  des  fUnften  Paare« 808 

g.  868.    Physiologisches  aber  da«  fünfte  Nervenpaar 611 


Inhalt.  ^^ 


Seite 


§.  869.     Ganglien  am  fünften  Paare.    Ganglion  Gasten 812 

§.  360.     Ganglion  ciliare ®J3 

§.  361.     Ganglion  tphenopalatinum ö14 

§.  862.     GangUon  wpramaxillarej  oticum,  et  »ubmaxUlare »17 

§.  363.     Siebente«  Paar Hl 

§.  364.    Achtes  Paar »^^ 

§.  366.    Neunte«  Paar °^^ 

§.  366.     Zehnte«  Paar ^^* 

§.  367.     PhysiologUches  über  den  Vagus ö^» 

§.  368.    Eilftes  Paar ifl 

§.  369.    Zwölftes  Paar ^^^ 

II.  Rückenmarksnerven. 

§.  370.     Allgemeiner  Charakter  der  Rückenmarksnerven     833 

§.  371.     Die  vier  oberen  Halsnerven     |3ö 

§.  372.    Die  vier  unteren  Halsnerven ^38 

§.  373.     Part  supradamcularit  des  Armnervengeflechts 839 

§.  374.     Part  injracl4ivieularit  des  Armnervengeflechts 839 

§.  375.     Brust-  oder  Rückennerven |^* 

§.  376.     Lendennerven ^*® 

§.  377.     Kreuznerven  und  Steissnerven 860 

C.  Vegetatives  Nervensystem. 

§.  378.     Halstheil  des  Sympathicus 855 

§.  379.     Brusttheil  des  Sympathicus 858 

§.  380.     Lenden-  und  Kreuzbeintheil  des  Sympathicus 859 

§.  381.     Geflechte  des  Sympathicus 860 

§.  382.     Kopfgeflechte   des   Sympathicus 861 

§.  383.     Halsgeflechte  des   Sympathicus     863 

§.  384.     Brnstgeflechte  des  Sympathicus     863 

§.  386.     Bauch-  und  Beckengeflechte   des   Sympathicus     864 

§.  386.    Literatur  des  gesammten  Nervensystems    866 


Siebentes   Buch. 
Gefässlehre, 

A.  Herz. 

§.  387.     Allgemeine  Beschreibung  des  Herzens     871 

§.  888.     Bau  der  Herzwand 875 

§.  389.     Specielle  Beschreibung  der  einzelnen  Abtheilungen  des  Herzens  ....  876 

§.  390.     Mechanismus  der  Herzpumpe 880 

§.  391.     Herzbeutel 883 

B.  Arterien. 

§.  392.     Aorta,  Ärteria  piämonalit  und  Ductus  BotaUi 884 

§.  393.     Primitive  Aeste  des  Aortenbogens 886 

§.  394.     Variet&ten   der   aus   dem    Aortenbogen   entspringenden    Schlagadern  888 

§.  395.     Veristlung   der    Carotis  externa     890 

§.  396.    Endäste  der  Carotis  externa 894 

§.  397.     Verästlung  der  Carotis  interna 897 

§.  398.     Verästlung  der  Schlüsselbeinarterie 900 

§.  399.     Verästlung  der  Achselarterie 905 

§.  400.     Verästlung  der  Armarterie 906 

§.  401.     Verästlung  der  Vorderarm arterien 908 

§.  402.    Die  beiden  Hohlhandbogen 910 

§.  403.    Wichtige  Abnormitäten  des  Ursprungs  der  Vorderarmarterien    ....  911 


§.  1.  Organisches  und  Anorganisches. 

Die  Körper   der  Sinnenwelt,   welche  Gegenstand  unserer  An- 

schsxvxting  und  Beobachtung  sind,  zerfallen  in  zwei  Hauptgruppen,  — 

in   dc^^  organische  und  anorganische  Naturreich.  Die  Wissen- 

ßch^^^  welche  sich  die  Aufgabe  stellt,  die  Summe  der  Eigenschaften, 

^"^^      cJurch  sie  das  Wesen  beider  Körperreihen  auszumitteln,  ist  die 

'^^  t;  xj^rlehre    im   weitesten  Sinne    des  Wortes.    Man   ist  übereinge- 

|^*^*^*>^:iien,    die  Naturlehre  der  anorganischen  Körper:    Physik,  und 

JeocÄ       der  organischen:   Physiologie    (oder   Biologie)  zu  nennen. 

'^^       Ideale,  welches  nie  zur  sinnlichen  Anschauung  kommt,  ist  das 

^J  ^ct  der  Philosophie. 

Eine  endliche  Reihe  von  Thätigkeiten,  welche  jeder  organische 

Jier  von   seiner  Entstehimg   bis   zu  seinem  Untergänge   äussert, 

^■^^^^t  den  Begriff  des  Lebens,   ohne   mit  diesem  Worte  mehr  als 


Ka 


,  *  ^^  Perm  der  Erscheinung  ausdrücken  zu  wollen,  —  die  Natur  und 

^^^  ^%e  Ursache  derselben  hegt  jenseits  der  Grenze,  über  welche  der 
^^  ^^"^ schliche  Geist  vorzudringen  nie  vermögen  wird. 

Die  organischen  Körper  imterUegen,  so  wie  die  anorganischen, 
allgemeinen  Gesetzen  der  Materie,  und  die  Grundstoffe,  aus  wel- 
n  sie  bestehen,  finden  sich  als  solche  auch  in  der  anorganischen 
^r.  Thiere  und  Pflanzen  geben  als  letzte  chemische  Zersetzungs- 
^^ducte  die  einfachen  Stoffe  (Elemente)  anorganischer  Körper.  Allein 
Verbindimg  der  Grundstoffe  ist  in  beiden  Naturreichen  eine  ver- 
Tiiedene.    Während   die  Elemente   anorganischer  Körper  ent\veder 
«chanisch  gemengt  sind,  oder  chemisch  zu  binären  Verbindungen  und 
^^^ren  Combinationcn  zusammentreten,  enthalten  die  organischen  Kör- 
V^^r,  nebst  einem  Antheile  binärer  chemischer  Verbindungen,  Vorzugs- 
preise temäre  und  quatcrnäre  Combinationcn  von  Grundstoffen,  wel- 
che als  solche  rni  anorganischen  Naturreiche  nicht  vorkommen,  und 
deshalb   vorzugsweise   organische   Substanzen  genannt  werden. 

So  ist  z.  B.  der  pkosphorsaure  Kalk,  der  sich  in  den  Knochen  der 

1» 


XVI  Inhalt. 

Sdto 

§.  404.  Aeste  der  absteigenden  Brustaorta     918 

§.  405.  Unpaare  Aeste  der  Bauchaorta 915 

§.  406.  Paarige  Aeste  der  Bauchaorta 918 

§.  407.  Verästlung  der  Beckenarterie 920 

§.  408.  Verlauf  der  Schenkelarterie 926 

§.  409.  Aeste  des  Bauchstückes  der  Schenkelarterie 926 

§.  410.  Aeste  der  eigentlichen  Schenkelarterie 927 

§.  411.  Aeste  der  Kniekehlenarterie 929 

§.  412.  Anomalieen  der  Schenkelarterie  und  ihrer  Aeste 930 

§.  413.  Verästlung  der  Arterien  des  Unterschenkels 931 

§.  414.  Arterien  des  Plattfusses 934 

§.  416.  Varietäten  der  Arterion  des  Unterschenkels 936 

C.  Venen. 

§.  416.  Allgemeine   Schilderung  der  Zusammensetzung  der  oberen  Hohlvene  986 

§.  417.  Innere  Drosselvene  und  Blutleiter  der  harten  fiümhaut 938 

§.  418.  Venen,  welche  sich  in  die  Sintis  durcte  malris  entleeren 940 

§.  419.  Qemeinschaftliche  Gesichtsvene     942 

§.  420.  Oberflächliche  und  tiefe  Halsvenen 944 

§.  421.  Venen  der  oberen  Extremität 946 

§.  422.  Venen  des  Brustkastens .  948 

§.  423.  Untere  Hohlvene 949 

§.  424.  Venen  des  Beckens     962 

§.  425.  Venen  der  unteren  Extremität 953 

§.  426.  PforUder 954 

D.  Lymphgeftsse  oder  Saugadem. 

§.  427.  Hauptstamm  des  Ljmphgefässsystems 956 

§.  428.  Saugadem  des  Kopfes  und  Halses     957 

§.  429.  Saugadem  der  oberen  Extremitäten  und  der  Brustwand 959 

§.  430.  Saugadem  der  Brusthöhle 960 

§.  431.  Saugadern  der  unteren  Extremitäten  und  des  Beckens 961 

432.  Saugadem  der  Bauchhöhle 962 

433.  Literatur  des  gesammten  Gefässsjstems 964 


/ 


EINLEITUNG  UND  VORBEGRIFFE. 


HjrtU  UkifrMli  i«r  AuUkpai«. 


§.  1.  Organisches  und  Anorganisches. 

JJie  Körper  der  Sinnenwelt,  welche  Gegenstand  unserer  An- 
schauung und  Beobachtung  sind,  zerfallen  in  zwei  Hauptgruppen,  — 
in  das  organische  und  anorganische  Naturreich.  Die  Wissen- 
schaft, welche  sich  die  Aufgabe  stellt,  die  Summe  der  Eigenschaften, 
und  durch  sie  das  Wesen  beider  Körperreihen  auszumitteln,  ist  die 
Naturlchre  im  weitesten  Sinne  des  Wortes.  Man  ist  übereinge- 
kommen, die  Naturlehre  der  anorganischen  Körper:  Physik,  und 
jene  der  organischen:  Physiologie  (oder  Biologie)  zu  nennen. 
Das  Ideale,  welches  nie  zur  sinnlichen  Anschauung  kommt,  ist  das 
Object  der  Philosophie. 

Eine  endliche  Reihe  von  Thätigkeitcn,  welche  jeder  organische 
Körper  von  seiner  Entstehung  bis  zu  seinem  Untergange  äussert, 
bildet  den  Begriff  des  Lebens,  ohne  mit  diesem  Worte  mehr  als 
die  Form  der  Erscheinung  ausdrucken  zu  wollen,  —  die  Natur  und 
letzte  Ursache  derselben  hegt  jenseits  der  Grenze,  über  welche  der 
menschliche  Geist  vorzudringen  nie  vermögen  wird. 

Die  organischen  Körper  unterhegen,  so  wie  die  anorganischen, 
den  allgemeinen  Gesetzen  der  Materie,  und  die  Grundstoffe,  aus  wel- 
chen sie  bestehen,  finden  sich  als  solche  auch  in  der  anorganischen 
Natur.  Thiere  und  Pflanzen  geben  als  letzte  chemische  Zersetzungs- 
producte  die  einfachen  Stoffe  (Elemente)  anorganischer  Körper.  Allein 
die  Verbindung  der  Grundstoffe  ist  in  beiden  Naturreichen  eine  ver- 
schiedene. Während  die  Elemente  anorganischer  Körper  entweder 
mechanisch  gemengt  sind,  oder  chemisch  zu  binären  Verbindungen  und 
deren  Combinationen  zusammentreten,  enthalten  die  organischen  Kör- 
per, nebst  einem  Antheile  binärer  chemischer  Verbindungen,  vorzugs- 
weise temäre  und  quaternäre  Combinationen  von  Grundstoffen,  wel- 
che als  solche  im  anorganischen  Naturreiche  nicht  vorkommen,  und 
deshalb  vorzugsweise  organische  Substanzen  genannt  werden« 
So  ist  z.  B.  der  pkosphorsaure  Kalk^  dar  »'  ' 


\ 


4  5*    1*   Organische  und  AnorguiiscIiM. 

Wirbelthiere  vorfindet,  dieselbe  binäre  Verbindung  von  Phosphor- 
säure  und  Calciumoxyd,  welche  als  solche  auch  im  Mineralreiche 
bekannt  ist,  während  der  Zucker,  die  Stärke,  das  Fett,  ternäre  Ver- 
bindungen von  Wasserstoff,  Sauerstoff  und  Kohlenstoff  sind,  und  das 
Fibrin,  das  Caseln,  das  Albumin,  quatemäre  Verbindungen  von  Was- 
serstoff, Sauerstoff,  Kohlenstoff  und  Stickstoff  (mit  Phosphor  imd 
Schwefel)  darstellen.  —  Die  anorganischen  Körper  lassen  sich  auf 
chemischem  Wege  in  ihre  Bestandtheile  zersetzen,  und  durch  die 
Wiedervereinigung  derselben  neu  herstellen ;  —  über  die  organischen 
Substanzen  besitzt  die  Chemie  weit  geringere  Macht,  da  sie  dieselben 
zwar  zerlegen,  aber  nur  äusserst  wenige  von  ihnen  erzeugen  kann. 

In  den  anorganischen  Körpern  hängen  die  letzten  Theilchen 
derselben  entweder  durch  Attractionskraft  (wie  in  den  Gemengen), 
oder  durch  chemische  Verwandtschaft  (wie  in  den  binären  Combi- 
nationen)  zusammen.  Letztere  ist  ein  so  kräftiges  Verbindungs- 
princip,  dass  zwei  Elemente,  zwischen  welchen  chemische  Verwandt- 
schaft stattfindet,  sich  rasch  zu  einem  zusammengesetzten  Körper 
verbinden,  wenn  sie  sich  im  freien  Zustande  begegnen.  Warum, 
thun  sie  dieses  nicht  im  organischen  Körper?  —  Es  muss  in  die- 
sem der  chemischen  Verwandtschaft  ein  stärkeres  Agens  entgegen- 
wirken, durch  welches  sie  gezwungen  werden,  ihrer  Neigung  zu  bi- 
nären Verbindungen  so  lange  zu  entsagen,  und  anderen  Verbin- 
dimgsnormen  so  lange  zu  folgen,  als  jenes  Agens  die  Oberhand 
behält.  Stellt  dieses  seine  Herrschaft  ein,  so  streben  die  einfachen 
Grundstoffe  des  organischen  Leibes  jene  binären  Verbindungen  ein- 
zugehen, für  welche  sie  so  viel  VorHebe  äussern;  es  bilden  sich, 
unter  dem  günstigen  Einflüsse  von  Wärme,  Luft  und  Feuchtigkeit, 
die  chemischen  Zersetzungsproducte  der  Fäulniss.  Dieses  Agens 
nun,  welches  die  Verbindungsverhältnisse  der  Grundstoffe  im  orga- 
nischen Körper  erzwingt,  und  filr  eine  gewisse  Zeit  aufrecht  erhält, 
ist,  seiner  Erscheinung  nach,  eine  von  den  im  anorganischen  Natur- 
reiche waltenden  Kräften  wesentlich  verschiedene  Thätigkeit,  und 
kann  qIs  organische  Kraft  den  chemischen  oder  physikalischen 
Kräften  entgegengesetzt  werdoji,  wobei  jedoch  zu  erinnern  ist,  dass 
das  Wort  Kraft  immer  nur  die  gedachte,  nicht  die  wirkHche  Ur- 
sache von  Erscheinungen  bezeichnet. 

Die  organische  Kraft  beschränkt  ihre  Thätigkeit  nicht  blos  auf 
das  Resultat  des  ruhigen  Nebeneinanderseins  der  neuen  Verbin- 
dungen. Jeder  Theil  eines  organischen  Körpers  ist,  so  lange  das 
Leben  dauert,  in  einem  ununterbrochenen  Wechsel  seiner  Stoffe 
begriffen.  Die  Intensität  dieses  Wechsels  steht  mit  der  Grösse  der 
lebendigen  Thätigkeit  in  geradem  Verhältnisse.  Die  Verluste,  welche 
das  Materiale  der  lebenden  Maschine  durch  Abnutzung  und  Ver* 
brauch  erleidet^  bedingen  das  Bedürfioiss  eines  äqxiivalenten  Ersatzes. 


§.  1.   Organisehes  nnd  Anorganisch«!.  5 

Au&ahme  neuer  Stoffe  von  aussen  her,  Verarbeitung,  Umwandlung 
und  Substitution  derselben  an  die  Stelle  der  abgenutzten  und  aus- 
geschiedenen, ist  eine  weitere  fundamentale  Aeusserung  der  orga- 
nischen Ejraft.  Sie  ist  zugleich  das  charakteristische  Merkmal  leben- 
diger Organismen,  im  Gegensatze  von  anorganischen  Körpern,  und 
wird  als  Stoffwechsel  bezeichnet.  Kein  anorganischer  Körper 
zeigt  das  Phänomen  des  Stoffwechsels.  Er  kann  sich  zwar  durch 
Anschliessen  gleichartiger  Theilchen  an  seiner  Oberfläche  vergrös- 
sem;  aber  was  in  ihm  einmal  verbunden  ist  und  zusammenhält, 
bleibt  in  diesem  Zustande;  er  giebt  nichts  aus  und  nimmt  dafür 
nichts  ein;  er  hat  keine  innere  Bewegung,  die  den  Austausch  seiner 
letzten  Moleküle  vermittelte,  und  verharrt,  wie  er  ist,  bis  er  durch 
elementare  oder  chemische  Kräfte  seine  Daseinsform  verliert.  Er 
kann,  bei  gleichbleibender  Gestalt,  an  Volumen  und  Gewicht  zuneh- 
men, selbst  innerhalb  der  Grenzen  des  Systems,  welchem  er  ange- 
hört, gewisse  Veränderungen  seiner  Dimensionen  darbieten,  allein 
der  einmal  fertige  Kry stall  bleibt  was  er  ist,  und  die  Bewegimg 
seiner  kleinsten  Theilchen,  durch  deren  Gruppirung  er  zu  Stande 
kam,  wurde  nur  einmal  gemacht.  Der  Stoffwechsel  setzt  dagegen 
den  organischen  Körper  in  eine  nothwendige  Verbindung  mit  der 
ihn  umgebenden  Welt,  da  er  nur  aus  ihr  entlehnen  kann,  was  er 
zu  seiner  Erhaltung  bedarf.  Für  ihn  werden  dieselben  chemischen 
und  physischen  Potenzen,  welche  den  Ruin  des  Anorganischen,  sein 
Verwittern  und  Zerfallen,  langsam  vorbereiten,  zu  nothwendigen 
Bedingungen  seiner  Existenz,  und  wurden  unter  der  Rubrik  der 
Lebensreize  von  der  älteren  Physiologie  zusammengefasst,  welchen 
Namen  sie  wohl  nicht  verdienen,  da  die  fortgesetzte  Einwirkung 
dieser  sogenannten  Lebensreize  den  Verfall  des  organischen  Körpers 
auf  die  Dauer  nicht  aufhalten  kann. 

In  der  organischen  Kraft  besitzt  alles  Lebendige  ein  Erbtheil, 
welches  dem  Keime  eines  organischen  Körpers  von  dem  mütterlichen 
Stammorganismus  zufilllt.  Nach  einem  ihr  eingeborenen  Plane  entwik- 
kelt  diese  Kraft  den  Organismus,  entborgt  der  Ausscnwelt  den  Stoff, 
aus  welchem  sie  ihn  aufbaut,  und  giebt  ihr  denselben  verändert  wieder 
zurück.  Sie  vervielfältigt  imd  theilt  sich  in  dem  Masse,  als  das  Mate- 
riale  zunimmt,  in  welchem  sie  wirkt,  und  mit  welchem  sie  E  i  n  s  ist. 
Von  der  ersten  Bildimg  des  organischen  Keimes  bis  zu  jenem  Momente, 
wo  das  Lebendige  den  unabwendbaren  Gesetzen  der  Auflösung  an- 
heimftQlt,  ist  sie  ohne  Unterbrechung  thätig.  Der  Vergleich,  den  man 
zwischen  einer  Maschine  und  einem  lebenden  Organismus  anstellt,  ist 
nur  insofern  zulässig,  als  in  beiden  ein  zweckmässiges  Zusammen- 
wirken imtergeordneter  Theile  zur  ReaUsirung  einer  dem  Ganzen 
zu  Grunde  liegemlen  Idee  beobachtet  wird.  Sonst  giebt  es  keine 
Aehnlichkeit  zwischen  beiden,  und  die  Rohheit  des  Vergleichea  wird 


6  §.1.    OrgMkisehM  nnd  Anorganiscb«!. 

um  80  augenfHUiger,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  bewegende  Kraft 
der  Maschine  nicht  in  ihr,  sondern  ausser  ihr,  erzeugt  wird,  und 
Stillstand  eintritt,  wenn  der  äussere  Impuls  nicht  mehr  auf  sie  wirkt, 
während  die  Thätigkeiten  des  Lebendigen  ihren  letzten  Grund  in 
ihm  selbst  haben,  in  ihm  und  durch  ihn  bestehen,  und  von  ihm 
getrennt  nicht  einmal  gedacht  werden  können.  Der  Verbrauch  an 
Stoff  und  Kraft  wird  auch  in  der  Maschine  durch  Speisung  von 
aussen  her  ausgegHchen,  und  wenn  ihr  Gang  in  Unordnung  geräth, 
lässt  man  das  Räderwerk  ablaufen,  um  nachzubessern,  wo  es  fehlt. 
Im  Triebwerke  eines  lebenden  Organismus  darf  keine  Pause  ein- 
treten; —  es  gilt  das  rollende  Rad  während  seines  Umschwimges 
auszutauschen;  jedes  Atom  des  organischen  Stoffes  reparirt  sich 
selbst;  —  die  organische  Kraft  lässt  es  nie  zu  einem  höheren  Grade 
von  Abnutzung  kommen,  und  was  in  einem  Momente  verloren  geht, 
giebt  der  nächste  wieder.  Ist  einmal  Stillstand  eingetreten,  so  hat 
der  Organismus  seine  Rolle  ausgespielt;  das  Band  ist  gelöst,  wel- 
ches die  Theile  zum  lebensfähigen  Ganzen  sinnreich  vereinte;  die 
chemische  Affinität  tritt  in  ihre  durch  das  Leben  bestrittenen  Rechte, 
und  führt  die  organischen  Stoffe  in  jenen  Zustand  zurück,  in  wel- 
chem sie  waren,  als  sie  der  todten  Natur  angehörten.  In  anorgani- 
schen Körpern  giebt  es  keinen  Gegensatz  zwischen  Leben  und  Tod. 

Die  organische  oder  Lebenskraft  macht  nns  keine  einzige  Lebenscrschci- 
nung  klar;  sie  ist,  so  lange  uns  die  Einsicht  in  das  Wesen  des  Lebens  fehlt, 
nichts  mehr  als  hypothetische  Annahme,  eine  wesenlose  Abstraction,  —  ein  viel- 
gebrauchtes Wort,  das  müssigen  Geistern  Alles,  dem  wahren  Forscher  nichts  er- 
,  klärt  Die  Physiologie  hätte  wahrlich  sehr  wenig  zu  thun,  wenn  sie  sich  begnügte, 
in  dem  Worte  „Lebenskraft**  den  letzten  Grund  aller  Lebensthätigkeiten  zu  ver- 
ehren. Der  Physiker  giebt  sich  zufrieden,  und  hält  eine  Erscheinung  für  erklärt, 
wenn  er  als  ihren  letzten  Grund  die  Schwere  oder  die  Elektricität  erkannt  hat, 
weil  die  Aeusserungen  dieser  Kräfte,  und  die  Gesetze,  nach  welchen  sie  sich  richten, 
ihm  bekannt  sind.  Dem  Physiologen  dagegen  ist  die  Lebenskraft  nur  ein  Ausdruck, 
mit  welchem  er  einen  bestimmten  Begriff  um  so  weniger  verbinden  kann,  als  es 
eine  logische  Unmöglichkeit  ist,  dass  den  verschiedenen  Lebensäusserungen  Eine 
Kraft  zu  Grunde  liegen  könne.  Die  Annahme  einer  Lebenskraft  ist  jedoch  bei 
dem  gegenwärtigen  Zustande  unserer  Kenntniss  des  Lebens,  eine  unabweislichc 
Nothwendigkeit,  denn,  weder  ans  chemischen  noch  aus  physikalischen  Kräften, 
die  sich  in  den  Besitz  der  anorganischen  Natur  thoilen,  lassen  sich  die  Lebons- 
crscheinungen  folgerichtig  deduciren  und  erklären.  Wenn  die  Asche  eines  orga- 
nischen Körpers  nur  Stoffe  führt,  welche  auch  in  der  anorganischen  Welt  vor- 
kommen, lässt  sich  daraus  gewiss  nicht  schliessen,  dass  das  Leben  dieses  orga- 
nischen Körpers  nur  das  Resultat  der  Theileffecte  dieser  anorganischen  Grundstoffe 
gewesen  sei.  Man  kann  zwar  in  hochpoetischer  Weise  sagen,  dass  ein  Eisen- 
theilchen  dasselbe  bleibt,  mag  es  im  Schoss  der  Erde  ruhen,  oder  im  Meteorstein 
den  unendlichen  Raum  durchfliegen,  oder  im  Blutstropfen  durch  ein  thierisches 
Eingeweid  rinnen.  Allein  die  Physiologie  kann  dieses  Eisentheilchen  im  lebenden 
Blute  auf  keine  Weise  wiederfinden.  Erst  in  der  Blutasche  kommt  es  wieder  zum 
Vorschein.  Was  ist  also  aus  ihm  geworden  im  lebendigen  Blut?  Es  konnte  die 
ihm  zukommenden  mineraliachen  Eigenschaften  nnmöglicli  in  ihrer  vollen  Eigen- 


§.    2.    Organisation.    Organ.    Organismns.  7 

thümlichkeit  beibehalten  haben.  Sonst  müsste  ja  der  Magnet  dieses  Eisentheilchen 
aus  dem  Blute  herausziehen.  Was  aus  ihm  im  lebendigen  Leibe  wird,  weiss  man 
nicht,  und  der  Chemismus  bewahrt  sein  Recht  nicht  über  das  Lebendige,  wohl 
aber  über  das  Todte,  und  mag  dabei  bleiben.  Er  hat  den  Schleier,  welcher  das 
Antlitz  der  Göttin  birgt,  nicht  aufgehoben,  wohl  aber  beim  versuchten  Lüften  des- 
selben ihm  neue  Falten  eingedrückt. 

§.    2.    Organisation.  Organ.  Organismus. 

Die  vollkommensten  anorganischen  Körper  —  die  Krystalle,  — 
welche  eine  neuere  mineralogische  Schule  als  Individuen  zu  be- 
zeichnen beliebte,  sind  immer  nur  Aggregate  gleichartiger  Molektüe, 
während  organische  Körper  aus  verschiedenartigen  Gebilden,  die  sich 
wechselseitig  durchdringen,  zusammengesetzt  sind.  Hierin  liegt  der 
Begriff  der  Organisation,  als  Modus  der  Vereinigung  heterogener 
GUeder  zu  einem  Ganzen,  welchem  ein  vernünftiger  Plan  zu  Grunde 
liegt.  Aggregate  sind  nicht  organisirt.  Aufrechthaltung  einer  indivi- 
duellen Lebensexistenz  durch  Zusammenwirken  heterogener  Theile 
ist  die  Idee,  die  sich  in  der  Organisation  ausspricht.  Jeder  Theil  des 
Ganzen,  der  seine  partielle  Existenz  dem  Endzwecke  imterordnet, 
welcher  durch  die  vereinte  Wirkung  aller  übrigen  Theile  erzielt  werden 
soll,  heisst  Organ,  und  die  zweckmässige  Vereinigung  aller  Organe 
zu  einem  lebensfähigen  Ganzen :  Organismus.  Ein  Organ  hat  den 
Grund  seines  Vorhandenseins  nicht  in  sich,  sondern  in  dem  Ganzen, 
welchem  es  angehört.  Der  letzte  Zweck  der  Organe  ist  somit  nicht 
ihr  eigenes  Bestehen,  sondern  ihre  Concurrenz  zum  Bestehen  des  Gan- 
zen. Sie  bilden  eine  Kette,  deren  Glieder  nicht  blos  eines  mit  dem 
anderen,  sondern  jedes  mit  allen  übrigen  zusammenliängt,  und  von 
welchen  keines  ausgehoben  werden  darf,  ohne  den  Begriff  des  Gan- 
zen zu  stören.  Die  Aggregattheile  anorganischer  Körper  dagegen 
existiren  blos  neben  einander,  sie  bedingen  sich  nicht  wechselweise, 
und  hören,  selbst  wenn  sie  aus  ihrem  Zusammenhange  gebracht  wer- 
den, nicht  auf  zu  sein,  was  sie  sind. 

Die  Begriffe  organisch  und  organisirt  dürfen  nicht  verwechselt  wer- 
den. Jede  durch  das  Leben  eines  Organismus  erzeugte  Substanz,  die  in  der 
anorganischen  Welt  nicht  vorkommt,  heisst  organisch,  und  sie  muss  nicht 
nothwendig  organisirt  sein,  d.  h.  sie  kann  dem  Auge  homogen  erscheinen, 
und  weder  durch  das  Messer,  noch  durch  andere  anatomische  Hilfsmittel  in 
ungleichartige  Theile  zerlegbar  sein.  Alles  Organisirte  aber  besteht  aus  ver- 
schiedenen organischen  Substanzen  von  bestimmter  Form,  deren  jede  besondere 
Eigenschaften  besitzt,  welche  sich  nach  einem  gewissen  Gesetze  neben  einander 
lagern  oder  durchdringen,  und  sich  durch  die  Zergliederung  oder  das  Mikroskop 
als  Differentes  unterscheiden  lassen.  Eiweiss,  Protein,  Blutsenun,  Lymphe  sind 
organisch,  abex  nicht  organisirt  (sie  heissen  deshalb  auch  formlose  organische 
Substanzen);  —  Nerv,  Muskel,  Drüse  dagegen  sind  organisirt,  und  eo  ipso  auch 
organisch. 


3  I*  8.   LebensTernohtongen. 


§.  3.  LebensTerricIitiLiigen. 

Das  organische  Naturreich  umfasst  die  Thier-  und  Pflanzen- 
welt, unermesslich  an  Zahl  und  Art.  In  beiden  finden  sich,  nebst 
wesentlichen  Unterschieden,  zahlreiche  Uebereinstimmungen.  Ja  in 
den  niedrigsten  Formen  beider  wird  es  oft  sehr  schwer,  ihre  anima- 
lische oder  vegetabihsche  Natur  mit  Sicherheit  zu  bestimmen.  Beide 
leben,  d.  h.  sie  zeigen  eine  Aufeinanderfolge  bestimmter,  und  sich 
wechselseitig  bedingender  Entwicklungen  und  Thätigkeiten.  Bei  Pflan- 
zen und  niederen  Thieren  manifestiren  sich  diese  Thätigkeiten  im 
engeren  Kreise  und  in  verschwimmender  Form;  bei  höheren  Thie- 
ren und  im  Menschen  in  reicherer  Entfaltung,  schärferer  Ausprägimg, 
und  im  weiteren  Spielräume.  Entstehung  durch  Zeugung,  Succes- 
sion  von  Bildungsstadien,  Ernährung,  Stoffwechsel,  Saftbewegung, 
Ab-  und  Aussonderungen,  finden  sich  in  Thier  und  Pflanze.  Die 
Pflanze  empfängt  ihren  Nahrungsstoff  aus  dem  Boden,  in  welchem 
sie  gedeiht.  Sie  saugt  ihn  durch  ihre  Wurzeln  an  sich,  leitet  ihn 
durch  ein  wunderbar  complicirtes  System  von  Zellen  und  Röhren  zu 
allen  ihren  Theilen,  und  scheidet  davon  dasjenige  nach  aussen  wieder 
ab,  welches  zu  ihrer  Ernährung  und  ihrem  Wachsthum  nicht  mehr 
dienen  kann.  Kohlensäure,  Wasser,  Ammoniak,  und  einige  Salze, 
genügen  vollkommen  zu  ihrer  Erhaltung.  Anders  verhält  es  sich  im 
Thiere  und  Menschen.  Ihre  vollkommenere  Bauart,  ihre  intensi- 
vere Lebensenergie,  fordern  zusammengesetztere  Nahrungsstoffe.  Sie 
nehmen  diese  Stoffe,  welche  durch  den  Lebensact  einer  Pflanze  oder 
eines  anderen  Thieres  zu  ihrem  Genüsse  vorbereitet  wurden,  durch 
eine  einzige  Oefinung  auf.  Ein  eigener  Wächter  (Instinct  in  den 
niederen,  Geschmack  in  den  höheren  Thieren)  sorgt  dafür,  dass  sie 
in  der  Wahl  ihrer  Nahrung  keine  Missgriffe  machen,  und  erlaubt 
dabei  ihrer  Willkür  einen  gewissen  Spielraum,  der  der  Pflanze  gänz- 
Uch  abgeht.  Durch  die  Verdauung  {Digestio),  welche  in  ihrem 
Darmkanale  stattfindet,  wird  der  nahrhafte  Bestandtheil  der  Nahrung 
vom  unnahrhaften  getrennt,  ersterer  durch  Gefässröhren  aufge- 
sogen (Absorptio),  in  das  Blut  gebracht,  diesem  gleichartig  gemacht 
(Assimilatto)^  und  durch  die  Schlagadern,  welche  mit  dem  Druck- 
werke des  Herzens  in  Verbindung  stehen,  zu  allen  Organen  hinge- 
fiihrt,  um  sie  zu  ernähren  (Nutritio) ;  letzterer  als  Caput  mortuum  der 
Verdauung  aus  dem  Bereiche  des  lebendigen  Leibes  fortgeschafft 
(Excretio).  Das  zugefllhrte  Blut  strömt,  nachdem  es  seine  nährenden 
Bestandtheile  den  Organen  abgegeben,  und  dafiir  die  Abfälle  ihres 
Stoffverbrauches  aufgenommen  hat,  in  den  Kanälen  der  Blutadern 
wieder  zum  Herzen  zurück,  um  von  hier  aus  in  die  Lungen  getrie- 
ben zu  werden,  wo  es  aus  der  Atmosphäre  Sauerstoff  aufnimmt,  und 


§.  4.   Begaff  der  Anatomie.  9 

dafür  weiter  Unbrauchbares  an  sie  abgiebt,  dadurch  neuerdings  nah- 
rungskräftig wird,  und  auf  anderen  Wegen,  als  es  zu  den  Lungen 
kam,  diese  verlässt,  um  zum  Herzen  zurückzukehren,  von  welchem 
es  sofort  in  die  Schlagadern  gepumpt,  und  durch  diese  zu  den  nah- 
rungsbedtirftigen  Organen  geführt  wird.  Der  in  der  Lunge  statt- 
habende Austausch  gewisser  Blutbestandtheile  gegen  andere  neue, 
bildet  den  Begriff  des  Athmens  {Respirath),  die  Blutbewegung  zum 
und  vom  Herzen  jenen  des  Kreislaufes  (Circulatio).  Das  Blut 
dient  nicht  blos  auf  die  angeführte  Weise  zur  Ernähnmg ;  es  werden 
vielmehr  aus  ihm  noch  besondere  Flüssigkeiten  durch  die  Thätigkeit 
besonderer  Organe,  welche  man  Drüsen  nennt,  abgesondert  (Secretio)^ 
und  diese  Flüssigkeiten  (ßecreta)  zu  den  verschiedensten  Zwecken 
im  thierischen  Haushalte  verwendet.  So  werden  Speichel,  Galle, 
Harn,  und  alle  flüssigen  Auswurfstoffe,  durch  Secretion  aus  dem  Blute 
bereitet. 

Ernährung,  Kreislauf,  Athmung,  Ab-  und  Aussonderungen  sorgen 
für  die  Erhaltung  des  Individuums ;  zur  Erhaltung  der  Gattung  führt 
die  Zeugung  {Oeneratio),  die  in  der  Pflanze  auf  einer  Nothwendig- 
keit,  im  Thiere  auf  einem  Instincte  beruht,  im  Menschen  ein  durch 
die  Dazwischenkunft  des  Geistigen  veredelbarer  Trieb  ist.  —  Auch 
in  der  Pflanze  finden  sich  Analogien  dieser  aufgezählten  thieri- 
schen Verrichtungen,  welche  zusammengenommen  als  Ernährungs- 
oder vegetatives  Leben  bezeichnet  werden.  —  Empfindung  und 
Bewegung  sind  nur  dem  Thiere  eigen,  haben  in  der  Pflanzenwelt 
nichts  Aehnliches  oder  Gleiches,  und  werden  somit  als  an  im  al  es 
Leben  vom  vegetativen  unterschieden. 

Diese  Unterscheidung  der  Lebensmanifestationen  im  Thiere  und  Menschen 
als  vegetatives  und  animales  Leben,  ist  jedoch  in  den  Erscheinungen  des 
Lebens  keineswegs  so  scharf  gezeichnet,  wie  sie  der  Verstand  nimmt,  da  die 
Emährungsfunctionen  ohne  Bewegung  und  Empfindung  eben  so  wenig  vor  sich 
gehen  können,  als  letzter«  ohne  erstere. 

§.  4.  Begriff  der  Anatomie. 

Anatomie  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  ist  die  Wissen- 
schaft der  Organisation.  Sie  zerlegt  die  Organismen  in  ihre 
nächsten  construirenden  Bestandtheile,  eruirt  das  Verhältniss  der- 
selben zu  einander,  untersucht  ihre  äusseren,  sinnlich  wahrnehm- 
baren Eigenschaften  und  ihre  innere  Structur,  und  lernt  aus  dem 
Todten,  was  das  Lebendige  war.  Sie  zerstört  mit  den  Händen  einen 
vollendeten  Bau,  um  ihn  im  Geiste  wieder  aufzuführen,  und  den 
Menschen  gleichsam  nachzuerschaffen.  Eine  herrlichere  Aufgabe 
kann  sich  der  menschliche  Geist  nicht  stellen.  —  Die  Anatomie  ist 
eine   der  anziehendsten,   und  zugleich  gründlichsten  und  vollkom- 


10  §•   5-    Eintheilang  der  menichlichen  Anatomie. 

mensten  Naturwissenschaften,  und  ist  dieses  in  kurzer  Zeit  gewor- 
den, da  ihre  Aera  erst  ein  Paar  Jahrhunderte  umfasst.  Wenn  man 
mit  dem  Römischen  Redner  die  Wissenschaft  überhaupt  als  eine 
cognitio  certa  ex  principiis  ceiiis  definirt,  so  steht  die  Anatomie  unter 
allen  Naturwissenschaften  am  ersten  Platz. 

Wie  jede  Wissenschaft  unter  einer  verschiedenen  Behandlungs- 
weise,  und  den  hiebei  verfolgten  Tendenzen,  einen  verschiedenen 
Charakter  annimmt,  so  auch  die  Anatomie.  Ihre  nächste  und  allge- 
meinste Aufgabe  ist,  die  Zusammensetzung  eines  Organismus  aus 
verschiedenen  Theilen  mit  verschiedenen  Thätigkeiten  kennen  zu 
lernen.  Da  der  menschliche  Geist  sich  nicht  mit  dem  gedankenlosen 
Anschauen  der  Dinge  zufineden  giebt,  sondern  Plan  und  Bestimmung 
auszumitteln  sucht,  so  kann  die  innige  Verbindung  der  Anatomie 
mit  der  Functionenlehre  (Physiologie  im  engeren  Sinne)  nicht  ver- 
kannt werden.  Die  Anatomie  ist  somit  Gnmdlage  der  Physiologie,  und 
dadurch  zugleich  Fundamentalwissenschaft  der  gesammten  Heilkunde. 

Die  organische  Welt  besteht  aus  zwei  Naturreichen,  —  Pflan- 
zen und  Thieren.  Die  Anatomie  wird  somit  Pflanzen-  und  Thier- 
anatomie  sein,  Phyto-  et  Zootomia,  Nur  einen  kleinen  Theil  der 
letzteren  bildet  die  Anatomie  des  Menschen,  welche,  wenn  man 
lange  Namen  liebt,  Anthropotomie  genannt  werden  mag.  Dem 
Wortlaute  nach  drückt  Anatomie  (von  Ä'/ot^jjlvsiv,  aufschneiden)  nur 
eines  jener  Mittel  aus,  deren  sich  diese  Wissenschaft  zur  Lösung 
ihrer  Aufgabe  bedient,  —  die  Zergliederung.  Zergliederungs- 
kunde ist  somit  ein  beschränkterer  Begriff  als  jener  der  Anatomie, 
obwohl  beide  häufig  im  selben  Sinne  gebraucht  werden. 

Die  Zergliederung  macht  nns  nnr  mit  den  leicht  zugänglichen  Kusserlicheu 
Verhältnissen  der  Organe  bekannt.  Um  ihren  inneren  Bau  aufzuklären,  genügt 
sie  allein  nicht  Der  Wissenschaft  müssen  noch  eine  Menge  technischer  Mittel 
zu  Gebote  stehen,  durch  welche  auch  das  Verborgene,  das  dem  freien  Auge 
nicht  mehr  Wahrnehmbare,  in  das  Bereich  der  Untersuchung  gezogen  werden 
kann,  und  clie  Anatomie  wird  somit,  nebst  den  rohen  HandgriflFen  der  Zerglie- 
derung, noch  über  eine  reiche  und  subtile  Technik  zu  verfügen  haben,  die  bei 
jeder  Detailuntersuchung  unentbehrlich  wird.  Die  Anatomie  ist  somit  theils  Wis- 
senschaft, theils  Kunst,  und  wird  ersteres  nur  durch  letzteres.  Wenn  man  sich 
blos  damit  begnügt,  die  Resultate  der  anatomischen  Forschungen  kennen  zu 
lernen,  ohne  sich  darum  zu  kümmern,  wie  sie  gewonnen  wurden,  mag  man  immer- 
hin eine  theoretische  und  praktische  Anatomie  unterscheiden. 

§.  5.  Eintheilimg  der  menschlicheii  Anatomie. 

Hat  sich  die  Anatomie  die  Aufgabe  gestellt,  die  Organe  des 
menschlichen  Leibes  im  gesunden  Zustande  allseitig  kennen  zu  ler- 
nen, so  führt  sie  den  Namen  der  normalen  oder  physiologischen 
Anatomie.  Mit  ihr  beginnt  auf  den  Universitäten  das  Studium  der 


$.  5.  Eintheilnng  der  menschlichon  Anatomie.  IX 

Medicin  und  Chirurgie.  —  Die  Veränderungen,  welche  durch  Krank- 
heit bedingt  werden,  sind  Object  der  pathologischen  Anatomie, 
Die  pathologische  Anatomie  verhält  sich  zur  Krankheitslehre,  wie 
die  normale  zur  Physiologie.  Ihre  Beziehungen  sind  nothwendige 
und  bedingende;  —  eine  kann  ohne  die  andere  nicht  existiren. 

Die  physiologische  Anatomie  befasst  sich  a)  theils  mit  der 
Kenntnissnahme  der  äusserlich  wahrnehmbaren  Eigenschaften,  Ge- 
stalt, Lage,  Verbindung  der  Organe,  und  behandelt  sie  in  der  Ord- 
nung, wie  sie  zu  gleichartigen  Gruppen  (Systemen),  oder  zu  un- 
gleichartigen Apparaten  (welche  aber  auf  die  Hervorbringung  eines 
gemeinschaftlichen  Endzweckes  berechnet  sind)  zusammengehören. 
Sie  heisst  in  dieser  Richtung  beschreibende,  specielle  oder 
systematische  Anatomie,  und  zerftlllt  in  so  viele  Lehren,  als  es 
Systeme  und  Apparate  giebt:  Knochen-,  Bänder-,  Muskel-,  Gefess-, 
Nervenlehre  für  die  Systeme;  Eingeweide-  und  Sinnenlehre  filr  die 
Apparate.  Oder  b)  sie  geht  generalisirend  zu  Werke,  abstrahirt  aus 
der  beschreibenden  Anatomie  allgemeine  Normen,  ordnet  ihre  ver- 
einzelten Darstellungen  zu  einem  Systeme,  dessen  Eintheilungsgrund 
der  innere  Bau  der  Organe  (das  Gewebe,  Textivra)  ist,  und  wird  als 
allgemeine  Anatomie  oder  Geweblehre  (Histologie,  von  lorbc, 
auch  Ijt{ov,  Gewebe)  von  der  speciellen  unterschieden.  Da  die  Gc- 
websarten  nur  mit  Hilfe  des  Mikroskops  untersucht  werden  können, 
heisst  die  Gewebslehre  auch  mikroskopische  Anatomie.  Sie  wird 
in  der  Gegenwart  bei  Weitem  schwunghafter  betrieben,  als  die  be- 
schreibende Anatomie.  Die  Aiissicht  auf  Entdeckungen,  welche 
in  einer  so  jungen  Wissenschaft,  wie  es  die  mikroskopische  Anato- 
mie ist,  weit  lockender  erscheint,  als  in  dem  vielfach  und  gründlich 
durchforschten  Gebiete  der  Messeranatomie,  und  der  Umstand,  dass 
man  in  der  mikroskopischen  Anatomie  mit  viel  weniger  Geschick- 
lichkeit ausreicht,  als  in  der  präparirenden,  wirbt  ihr  ein  Heer  von 
Verehrern  mit  mehr  weniger  Beruf,  Befilhigung,  und  Ehrlichkeit. 
Man  hat  es  zugleich  viel  bequemer  mit  ihr,  als  mit  der  zergliedern- 
den Anatomie,  indem  die  Mikroskopie  überall  ihre  kleine  Werkstatt 
aufschlagen  kann,  und  unser  Geruchsinn  durch  sie  auf  keine  so  harte 
Probe  gestellt  wird,  wie  an  halbfaulen  Leichen.  Ein  alter,  etwas 
derber  Anatom  sagt:  Zur  Anatomie  gehört  die  Hand  eines  Künst- 
lers, die  Geduld  eines  Engels,  und  der  Magen  eines  Schw — .  Diese 
heterogenen  Anforderungen  werden  nun  an  die  mikroskopirende 
Anatomie  mit  Manschetten  und  Glacdehandschuhen  nicht  gestellt.  Sie 
fiihrt  uns,  wenngleich  auf  mancherlei  Umwegen,  und  nicht  ohne 
harte  Enttäuschungen,  zur  Erkenntniss  des  kleinsten  Geformten  im 
thierischen  Organismus.  Wie  das  Teleskop  dem  Astronomen  zeigt, 
was  hinter  den  mit  freiem  Auge  sichtbaren  Sternensphären  liegt,  so 
zeigt  das  Mikrosk(xp  dem  Anatomen  die  Unendlichkeit  in  absteigen- 


12  5*  ^>  Eintheilnng  der  menschlichMi  Anatomie, 

der  Linie,  bis  in  das  Gebiet  des  Structurlosen.  Die  Gewebslehre  ist 
das  Schoosskind  der  neuesten  Zeit,  und  so  mancher  hochverdiente 
Mann,  der  bei  Einftihrung  dieses  Kindes  in  die  wissenschaftliche  Welt 
zu  Pathen  gestanden,  wirkt  auch  jetzt  noch  für  seine  Erziehung  und 
Ausbildung. 

Was  in  dem  kleinsten  Bestandtheile  des  menschlichen  Leibes 
während  des  Lebens  vorgeht,  ist  kein  Gegenstand  der  Anschauung. 
Die  meisten  Verrichtungen  derselben  sind  uns,  trotz  der  Fortschritte 
der  Mikroskopie,  unbekannt  geblieben,  wenn  sie  uns  nicht  auf  an- 
deren Wegen  erschlossen  wurden.  Nicht  durch  das  Mikroskop  haben 
wir  erfahren,  dass  die  Muskelfaser  sich  zusammenzieht,  und  die 
Bindegewebsfaser  nicht,  dass  gewisse  Nervenfibrillen  Bewegungsim- 
pulse fortleiten,  andere  dagegen  nur  Empfindungen.  Wie  bei  allem 
Forschen  in  den  Geheimnissen  des  Organischen,  ist  ein  fortwähren- 
des Annähern  an  ein  letztes  Ziel  in  den  mikroskopischen  Arbeiten 
gegeben,  aber  dieses  letzte  Ziel  steht  in  unendlicher  Feme.  Man 
kann  es  selbst  geradezu  behaupten,  dass  die  Mikroskopie  der  neue- 
sten Zeit  mehr  Fragen  als  Antworten  brachte,  mehr  Räthsel  aufgab 
als  löste;  denn  mit  dem  Wissen  wächst  der  Zweifel.  Die  Geschichte 
der  Mikroskopie  liefert  uns  eine  ununterbrochene  Widerlegung  von 
Irrthümem,  sehr  oft  durch  Aufstellung  von  neuen.  Da  dieses  mehr 
weniger  auch  von  anderen  Wissenschaften  gilt,  welche  in  einem  fort- 
dauernden organischen  Umbau  begriff'en  sind,  wird  man  in  dem  Ge- 
sagten für  die  Mikroskopie  nichts  Detractorisches  finden.  Ihre  enorme 
Fruchtbarkeit  hat  uns  mit  einer  massenhaften  Literatur  beschenkt, 
die  sich  kaum  mehr  von  dem  Einzelnen  bewältigen'  lässt,  —  eine 
Alexandrinische  Bibliothek,  in  wenig  Jahren  zum  grossen  Theil  eines 
gleichen  Looses  werth. 

Genau  genommen,  tragen  nicht  alle  Untersuchungen  der  allge- 
meinen Anatomie  den  histologischen  oder  mikroskopischen  Charakter 
an  sich.  Die  Eintheilungen  der  Einzelheiten  eines  organischen  Systems, 
z.  B.  der  Muskeln,  der  Knochen,  die  Aufstellung  allgemeiner  Nor- 
men für  Verlauf  und  Verbreitungsweisen  anderer,  die  Abstraction  der 
Gesetze,  denen  die  anatomischen  Verhältnisse  der  Organe  sich  unter- 
ordnen, sind  Argumente  der  allgemeinen  Anatomie,  nicht  der  Histo- 
logie, und  wurden  schon  zu  jenen  Zeiten  richtig  aufgcfasst  und  beur- 
theilt,  wo  man  weder  an  Gewebe,  noch  an  den  anatomischen  Ge- 
brauch des  Mikroskopes  dachte. 

In  den  hiesigen  Lectionskatalogen  figurirt  auch  eine  höhere 
Anatomie.  Es  muss  demnach  auch  eine  niedere  geben.  Gesagt 
wird  aber  nicht,  wo  die  eine  aufhört  und  die  andere  anfängt. 

£s  ergiebt  sich  von  selbst,  dass  die  allgemeine  Anatomie,  als  etwas  Ab- 
stractes,  eine  Tochter  der  speciollen  ist,  und  dass  sie  in  anatomischen  Vorlesungen 
nicht  als  Einleitung  in  die  anatomische  Wissenschaft  vorangeschickt  werden  kann, 


$.  6.  Topographische  Anatomie.  ^3 

da  üire  ans  der  specieUcn  Anatomie  entnommenen,  und  durch  sie  belegten  und 
begründeten  Angaben ,  die  Eenntniss  der  Detail- Ai\atomie  voraussetzen.  Sie  kann 
jedoch  immer  den  ersten  Platz  in  einem  anatomischen  Handbuche  einnehmen, 
obwohl  der  Vortrag,  soll  er  dem  Anfänger  nützlich  sein,  nicht  mit  ihr  zu  beginnen 
hat  Die  Grenze  zwischen  allgemeiner  und  specieller  Anatomie  ist  überhaupt 
schwer  zu  bestimmen.  Beide  spielen  so  häufig  in  einander  hinüber,  bedingen 
«ich  wechselseitig  so  nothwendig,  und  müssen  im  Vortrage  so  oft  mit  einander 
Terwebt  werden,  dass  eine  strenge  Sonderung  derselben  kaum  möglich  wird. 

Die  Anatomie  der  Menschenracen,  der  Altersstufen,  der  Varie- 
täten der  Organe  bilden  keine  selbständigen  Doctrinen,  sondern  werden 
▼ielmehr  der  beschreibenden  Anatomie  an  passender  Stelle  eingewebt. 

§.  6.  Topographische  Anatomie. 

Behandelt  die  Anatomie  die  Theile  des  menschlichen  Körpers 
nicht  nach  den  einzelnen  Systemen,  sondern  untersucht  sie  ihr  Neben- 
einandersein in  einem  gegebenen  Räume,  von  den  oberflächlichen  zu 
den  tiefliegenden  tibergehend,  so  wird  sie  topographische  Ana- 
tomie genannt.  Sie  ist  jedenfalls  der  praktisch-ntttzUchste  Theil  der 
Anatomie,  da  es  der  Arzt  nie  mit  isolirten  Systemen  des  mensch- 
lichen Körpers,  sondern  mit  der  Verbindung  derselben  zum  lebendi- 
gen Oanzen  zu  thun  hat.  Das  örtliche  Verhältniss  der  Organe  in 
einem  gegebenen  Räume  ist  bei  Krankheiten  von  hohem  Interesse, 
und  die  Störungen  desselben  werden  eine  Gruppe  von  localen  Krank- 
heitserscheinungen hervorrufen,  welche  nur,  wenn  jenes  Verhältniss 
bekannt  ist,  richtig  beurtheilt  werden  können.  Die  topographische 
Anatomie  abstrahirt  in  der  Regel  von  den  functionellen  Bestimmun- 
gen, selbst  von  dem  Baue  der  einzelnen  Organe,  und  stellt  sich 
überhaupt  keine  andere  Aufgabe  als  jene,  die  Verwendung  des  ana- 
tomischen Raumes  und  die  Verpackung  seines  differenten  Inhaltes 
kennen  zu  lernen. 

Nimmt  die  topographische  Anatomie  vorzugsweise  auf  das  Be- 
dürihiss  des  Arztes  Rücksicht,  erörtert  sie  den  Einfluss  der  räum- 
lichen Lagerung  auf  Krankheitserscheinung,  untersucht  sie,  wie  sich 
die  palpable  Krankheit  eines  Organs  in  den  nebenliegenden  reflectirt, 
in  sie  tibergreift,  ihre  mechanischen  Beziehungen  stört  und  ihre  Ver- 
richtungen beeinträchtigt,  leitet  sie  hieraus  die  Regeln  ab,  nach 
welchen  dem  localen  Üebel  local  begegnet  werden  soll,  beurtheilt 
sie,  vom  anatomischen  Standpunkte  aus,  den  Werth  der  blutigen 
EingriflFe  (Operationen),  und  stellt  Normen  für  sie  auf:  so  wird  sie 
insbesondere  chirurgische  Anatomie  genannt;  ein  Name,  der 
Aiglich  in  den  der  angewandten  Anatomie  umzuwandeln  wäre, 
da  die  Ergiebigkeit  dieses  Faches  für  die  Medicin  keine  geringere 
als  für  die  Wundarzneikunde  ist,  und  es  überhaupt  nur  Eine  Heil- 
kunde giebt.  Die  angewandte  Anatomie  enthält  sich  aller  beschrei- 
benden Details^  aus  denen  keine  unmittelbaren  praktischen  Folge- 


14  5«  7*  YergleicIitfBde  Anatomie  nnd  EatwicVlangHgescIiicltte. 

rangen  gezogen  werden  können ;  —  sie  ist  die  Blumenlese  der  zahl- 
reichen Nutzanwendungen  der  Wissenschaft,  —  somit  die  eigentliche 
Anatomie  des  prakticirenden  Arztes. 

Da  die  Oberfläche  des  Orgranismus  das  Resultat  der  Gnippirnng  seiner 
inneren  Theile  ist,  so  braucht  nicht  erst  bewiesen  zu  werden,  dass  die  Kenntniss 
der  äusseren  Form  des  menschlichen  Leibes  (Morphologie,  unpassend  Anatomia 
exiema)  einen  sehr  wichtigen  Theil  der  topographischen  Anatomie  bildet,  und 
wenn  man  bedenkt,  wie  mit  gewissen  inneren  krankliaften  Zuständen,  entspre- 
chende Verändenmgen  der  Oberfläche  Hand  in  Hand  gehen,  so  wHrd  die  prak- 
tische Wichtigkeit  dieser  Lehre  für  Jenen,  welcher  Arzt  werden  will,  keiner 
besonderen  Empfehlung  bedürfen.  Die  Beinbrüche  und  Verrenkungen,  die  Wun- 
den und  das  Heer  von  Geschwülsten,  also  gerade  die  häufigsten  cliinirgischen 
Krankheiten,  bestätigen  täglich  ihre  nutzvolle  Anwendung.  Die  ästhetische  Seite 
dieses  Zweiges  unserer  Wissenschaft  begründet  nebenbei  seine  Geltung  in  der 
bildenden  Kunst,  und  die  plastische  Anatomie,  welche  die  äusseren  Um- 
risse des  menschlichen  Leibes  auf  innere  Bedingungen  reducirt ,  giebt  den  Werken  . 
der  Kunst  die  Wahrheit  des  Lebens. 

§.   7.   Yergleichende  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte. 

Die  Würde  einer  philosophischen  Wissenschaft  wird  von  der 
vergleichenden  Anatomie  angesprochen.  Sie  hält  die  Heerschau 
über  die  bunten  Schaaren  lebensfilhiger  Wesen,  von  der  Monade, 
deren  Welt  ein  Wassertropfen  ist,  bis  zum  Ebenbilde  Gottes.  Wie 
das  Leben  in  seinen  tausendftlltigen  Dascinsformen  sich  selbst  und 
sein  Substrat  veredelt;  wie  es  von  den  ersten  und  einfachsten  Re- 
gungen sich  durch  eine  endlose  Reihe  von  Organismen  fort  und  fort 
weiterbildet ;  wie  Plan  und  Gesetzmässigkeit  in  Bau  und  Verrichtim- 
gen  jedem  Individuum  den  Stempel  relativer  Vollkommenheit,  d.  h. 
höchster  Zweckmässigkeit  für  seine  Existenz,  aufdrückt,  dieses  zu 
kennen,  ist  das  preiswürdige  Object  der  vergleichenden  Anatomie. 
Sie  hilft  nicht  zunächst  einem  praktischen  Bedürfhisse  ab,  wie  die 
angewandte  Anatomie ;  —  ihr  Adel  beruht  nicht  auf  den  materiellen 
Rücksichten  des  Nutzens,  sondern  auf  Veredlung  des  Geistes  durch 
Wahrheit. 

Vergleichende  Anatomie  und  Zootomie  sind  nicht  identische 
Wissenschaften.  Während  die  Zootomie  nur  das  Einzelne  mono- 
graphisch behandelt,  imd  die  Summe  anatomischer  Kenntnisse  ver- 
grössert,  giebt  diesen  die  vergleichende  Anatomie  erst  Bedeutung 
und  Zusammenhang,  und  begeistigt  das  todte  Material  durch  die 
Ideen,  die  es  aus  ihnen  schöpfte.  Diese  Ideen  sind  in  unserer  Zeit 
so  kühn  und  grossartig  hervorgetreten,  dass  sie  selbst  die  Macht 
geltend  machen,  die  Kluft  zu  ebnen,  die  den  Menschen  von  der 
Thierwelt  trennt,  und  seinen  Ursprung,  seine  höhere  Organisation 
und  geistige  Begabung,  nur  als  gesetzmässige  und  unabweisUche 
Folge   von  Entwicklungen  angesehen  wissen  woUcn,   welche  in  die 


S.  7*  Yergldiclieade  Anatomie  und  EntiricklangsgeBehlclite.  15 

endegenste  Ferne  der  Geschichte  der  Erde  und  ihres  organischen 
Lebens  zurückreichen.  Diese  Entwicklimgsfolge  soll  es  verstehen 
lehren,  dass  der  Mensch  nicht  geschaffen  wurde,  sondern  durch 
zwingende  Macht  von  Naturgesetzen  entstand,  d.  h.  sich  aus  niedri- 
geren Wesen,  als  er  selbst  ist,  entwickelt  hat.  Geologie,  Palaeonto- 
logie  und  organische  Entwicklungskunde  haben  die  Naturwissen- 
schaft in  diesen  Bestrebungen  unterstützt.  Schon  im  Anfange  dieses 
Jahrhundertes  sagte  Oken:  „Der  Mensch  ist  das  grimmigste  Raub- 
thier,  der  unterwürfigste  Wiederkäuer,  die  artigste  Meerkatze  (damit 
ist  das  schöne  Geschlecht  gemeint)  und  der  scheusslichste  Pavian, 
das  stolzeste  Ross,  und  das  geduldigste  Faulthier,  der  treueste  Hund 
und  die  falscheste  Katze,  der  grossmüthigste  Elephant,  und  die 
hungrigste  Hyäne,  das  frommste  Reh  und  die  ausgelassenste  Ratte. 
Theilweise  ist  der  Mensch  allen  Thieren  gleich;  ganz  aber  nur  sich, 
der  Natur,  und  Gott!"  —  Das  verdaue,  wer  kann.  —  Wird  es 
nun  dieser  Schule  gelingen,  Ideen  solcher  Art,  in  wissenschaftlich 
bewiesene,  also  verständliche  geschlossene  Sätze  zu  fassen?  Wer- 
den diese  Sätze  auch  die  Wunden  heilen,  die  sie  in  dem  Gefühle 
der  Menschenwürde,  in  dem  Bewusstsein  einer  höheren  als  thieri- 
schen  Bestimmung  unfehlbar  aufreissen  müssen?  Wird  die  Wissen- 
schaft auf  ihrem  Wege  stille  stehen,  oder  sich  zur  Umkehr  bere- 
den lassen?  Nur  auf  diese  letzte  Frage  lässt  sich  bestimmte  Antwort 
geben.  Sie  lautet:  Nein,  denn  der  Kampf  des  Wissens  mit  dem 
Glauben  wird  dauern,  so  lange  es  Menschen  giebt 

Die  Entwicklungsgeschichte  oder  Evolutionslehre  be- 
schäftigt sich  nicht  mit  dem,  was  die  Organe  des  thierischen  Leibes 
sind,  sondern  wie  sie  es  wurden.  Sie  studirt  die  Gesetze,  nach 
welchen  aus  dem  einfachen  Keim  die  Vielheit  der  Organe  sich 
bildete,  welche  Metamorphosen  sie  durchliefen,  bevor  sie  den  Culmi- 
nationspunkt  ihrer  Entwicklung  erreichten.  Sie  gehört  ganz  der 
Neuzeit  an,  und  wohl  hat  keine  Wissenschaft  in  so  kurzer  Zeit  so 
Vieles  und  Ueberraschendes  geleistet,  wie  sie.  Die  durch  Störung 
der  Entwicklungsgesetze  bedingten  Abweichungen  in  Form  und  Bau 
—  Hemmungsbildungen,  Monstrositäten  —  finden  durch  sie  ihre 
wissenschaftliche  Erledigung. 


Da  die  Entwicklungsgeschichte  das  Werden  der  Organe,  nicht  einen  fertigen 
und  bleibenden  Zustand  derselben  untersucht,  es  somit  nicht  mit  Beschreibungen 
vollendeter  Formen,  sondern  mit  Uebergängen  vom  Einfachen  zum  Zusammen- 
gesetzten zu  thun  hat,  so  wird  sie  gewöhnlich  in  die  physiologischen,  nicht  in  die 
anatomischen  Vorträge  aufgenommen.  In  der  dcscriptiven  Anatomie  kommt  der 
Lehrer  oft  in  die  Lage,  auf  die  Ergebnisse  der  Entwicklungsgeschichte  Rück- 
sicht zu  nehmen,  da  der  anatomische  Sachverhalt  im  vollkommen  entwickelten 
Organismus  besser  verstanden  wird,-  wenn  man  weiss,  auf  welche  Weise  er  su 
Stande  kam. 


16  §•  S*    Verh&ltniM  der  Anatomie  rar  Physiologie. 


§.  8.    Yerhältniss  der  Anatomie  zur  Physiologie. 

Hall  er 's  Worte:  ^neque  mtUta  in  phyaiohgieis  acimus,  niai  quae 
per  anatomen  didicimus^y  bezeichnen  richtig  das  Verhältniss  der  älte- 
ren Anatomie  zur  älteren  Physiologie.  Aus  ihnen  spricht  nur  etwas 
zu  viel  Hochachtung  des  grossen  Anatomen  für  sein  Fach.  Die 
neuere  Physiologie  ist  bemüht,  sich  als  „organische  Physik"  mit 
der  Glorie  einer  exacten  Wissenschaft  zu  umgeben.  Alles  Irren 
ist  ihr  auch  sofort  unmöglich  geworden.  Wo  Physik  und  Mechanik 
in  das  Triebrad  lebendiger  Bewegungen  eingreifen,  lässt  sich  Exact- 
heit  der  „Methode"  allerdings  anstreben,  und  Niemand  wird  es 
bezweifeln,  dass  die  Arbeiten  über  Athmung,  Verdauung,  Hambe- 
reitung,  und  Nervenphysik,  ihren  Werth  behaupten,  wenn  auch  die 
Structur  der  betreffenden  Organe  eine  ganz  andere  wäre,  als  sie 
wirklich  ist.  Der  Charakter  jener  Arbeiten  ist  eben  ein  rein  che- 
mischer oder  physikalischer.  Wie  es  sich  aber  mit  der  Exactheit 
der  „Resultate"  verhält,  zeigen  die  Wörtchen:  „es  scheint"  und 
„es  dürfte",  und  die  noch  exacter  klingende  Verbindung  beider 
„es  dürfte  scheinen",  welche  die  Paginas  gewisser  physiologi- 
scher Schriften  in  unliebsamer  Anzahl  schmücken. 

Es  kann  der  Anatomie  nicht  zugemuthet  werden,  sich  allein 
mit  der  Aeusserlichkeit  der  Organe  abzugeben.  Ihre  Tendenz  ist 
der  Enträthselung  der  Functionen  zugewendet,  ihr  Princip  ist  Phy- 
siologie. Ein  geistloses  Handwerk,  —  und  ein  solches  wäre  die 
Anatomie  ohne  Verband  mit  Physiologie,  —  hat  keinen  Anspruch 
auf  den  Namen  einer  Wissenschaft.  Kann  man  die  Einrichtung 
einer  Maschine  studiren,  ohne  Vorstellung  ihres  Zweckes,  oder,  so 
lange  man  bei  Vernunft  ist,  den  Klang  der  Worte  hören,  ohne  den 
Sinn  der  Rede  aufzufassen?  Ist  es  möglich,  harmonisch  geordnete 
Theile  eines  Ganzen  zu  sehen,  sie  blos  anzustarren,  ohne  zu  den- 
ken? Die  Physiologie  setzt  die  Anatomie  nicht  voraus,  sie  existirt 
vielmehr  in  und  mit  ihr.  Der  Anatom  kann  keine  Untersuchung 
vornehmen,  ohne  von  der  physiologischen  Frage  auszugehen,  oder 
am  Ende  auf  sie  zu  stossen.  Die  Bahnen  beider  Wissenschaften 
begegnen  imd  kreuzen  sich  an  so  vielen  Punkten,  dass  nur  wenig 
divergirende  Zwischenstellen  eintreten.  Die  Physiologie  eine  ange- 
wandte Anatomie  zu  nennen,  ist  unlogisch,  da  eine  reine  Anatomie 
nicht  existirt.  Beruht  die  Eintheilung  der  anatomischen  Systeme  und 
Apparate  nicht  auf  physiologischer  Basis?  werden  die  Arten  der 
Gelenke  nicht  nach  ihrer  möglichen  Bewegung  unterschieden?  führt 
nicht  eine  ganze  Schaar  von  Muskeln  physiologische  Namen?  — 
Wer  kann  den  Mechanismus  der  Herzklappen,  die  sinnreiche  Con- 
struction  des  Auges  und  seiner  dioptrischen  Theile,  die  anatomischen 


'    |.  9.    VerliSlinifls  der  Anatomie  zur  Modicin.  17 

Verhältnisse  der  Bewegungsorgane  und  so  vieles  Andere  beschauen, 
ohne  einem  physiologischen  Gedanken  Raum  zu  geben?  Ist  nicht 
die  Hälfte  eines  anatomischen  Lehrbuches  in  physiologischen  Worten 
abgefasst,  und  hat  irgend  Jemand  deshalb  über  Unverständlichkeit 
Klage  geflihrt? 

Allerdings  unterrichtet  uns  das  anatomische  Factum  nicht  über 
jede  physiologische  Frage.  Das  leider  so  oft  missbrauchte  Experi- 
ment am  lebenden  Thiere,  die  chemischen  und  physikalischen  Ver- 
suche, Vergleich,  Induction,  Analogie,  tragen  nicht  weniger  dazu 
bei,  das  physiologische  Lehrgebäude  aufzuführen,  und  seine  dunklen 
Kanmiem  dem  Tageslicht  der  Wissenschaft  zu  öffnen.  Die  Grund- 
festen dieses  Gebäudes  sind  und  bleiben  jedoch  die  anatomischen 
Thatsachen.  Es  ist  deshalb  mit  der  Trennung  der  Physiologie  und 
Anatomie  von  jeher  eine  missliche  Sache  gewesen.  Sie  existirt  de 
facto,  aber  nicht  de  jure^  und  wurde  überhaupt  nur  durch  die  Noth- 
wendigkeit  veranlasst,  die  täglich  sich  vermehrende  Menge  physiolo- 
gischer Ansichten  und  Meinimgen  zum  Gegenstande  eigener  Schriften 
und  Vorträge  zu  machen.  Man  nehme  aber  der  Physiologie  die  Ana- 
tomie und  die  organische  Chemie,  und  sehe,  was  dann  übrig  bleibt. 

Für  die  Bildang  praktischer  Aerzte,  und  diese  ist  doch  der  Hauptzweck 
medicinischer  Studien ,  könnte  es  nur  erspriesslich  sein ,  wenn  die  Physiologie  der 
Schule  sich  mehr  mit  dem  Menschen ,  als  mit  Fröschen  und  Hunden  beschäftigte, 
und  statt  der  Stubenweisheit,  für  welche  nur  ein  Fachmann  schwärmen  kann, 
mehr  das  Bedürfhiss  des  Arztes  in^s  Auge  fasste.  So  lange  dieses  nicht  geschieht, 
wird  die  Physiologie  von  den  Studirenden  nur  als  eine  Rigorosumplage  gefürchtet, 
nicht  als  eine  treue  und  nützliche  Gefährtin  auf  den  Wegen  der  praktischen 
Medicin  geliebt  und  gesucht  Mögen  deshalb  die  Lehrer  der  Physiologie  die 
Worte  Baco*8  sich  in^s  Gedächtniss  rufen:  vana  omnü  eruditionis  ostentatio^  nisi 
utilem  operam  secum  ducat,  und  die  Freunde  der  empörendsten  Thicrquälerei  (nur 
von  dieser  rede  ich)  es  beherzigen,  dass  die  Worte  der  Schrift:  „Der  Gerechte 
erbarmet  sich  auch  des  Thieres**  nicht  blos  für  die  Wiener  Fuhrknechte  geschrie- 
ben wurden. 

§.  9.   Verhältniss  der  Anatomie  zur  Medicin. 

Wir  wollen  die  Klage  der  Studirenden  nicht  ungerechtfertigt 
nennen,  dass  die  Medicin  eine  Unzahl  von  sogenannten  Hilfswissen- 
schaften mit  sich  schleppt.  Alle  werden  von  den  betreffenden  Pro- 
fessoren derselben,  weniger  von  den  Studirenden,  für  den  ärztlichen 
Unterricht  als  sehr  wichtig,  selbst  als  unentbehrHch  anerkannt,  und 
wenn  es  einer  medicinischen  Facultät  einfiele,  höhere  Mathematik 
und  Astronomie  in  ihre  Vorlesungen  aufzunehmen,  würde  der  Lehrer 
derselben  gewiss  in  der  ersten  Stunde  es  allen  seinen  Zuhörern  an's 
Herz  legen,  dass  man  ohne  Integral-  und  Differenzialrechnung,  imd 
ohne  Einsicht  in  den  motus  coeliy  aiderumque  meatus,  kein  guter  Arzt 
werden  könne. 

Hyrtl,  Lehrbveh  der  Anfttonüa.  2 


18  9'  9.    VerliUtiÜM  der  Anatomie  zur  Medida. 

Im  Erkennen  und  Heilen  der  Krankheiten  liegt  die  Aufgabe 
der  Medicin.  Ersteres  allein  ist  Wissenschaft;  letzteres  war  bisher 
Empirie ;  und  wird  es  noch  lange  bleiben.  Um  Krankheiten  zu 
erkennen,  macht  der  Arzt  seine  lange  Schule  durch ;  heilen  dagegen 
kann  Jeder^  der  weiss,  was  hilft.  Und  dieses  Wissen  ist  so  wenig 
umfangreich,  dass  es  Max.  Stell,  einer  der  gefeiertsten  Aerzte 
seiner  Zeit,  auf  seinen  Fingernagel  schreiben  wollte.  Bevor  man 
aber  daran  denken  darf,  zu  heilen,  hat  der  Arzt  zuerst  darauf  zu 
sehen:  nicht  zu  schaden  (rpwrov  Tb  jjlyj  ßXoKrreiv.  Hipp.).  Auch 
hiezu  gehört  eine  Art  von  Wissenschaft;  und  Mancher  kommt  sein 
Lebelang  nicht  weiter.  —  Im  Erkennen  der  Krankheiten,  nicht  im 
Heilen,  liegt  die  Würde  der  Medicin,  und  an  dieser  hat  die  Anatomie, 
nach  dem  einstimmigen  Urtheile  aller  wissenschaftlichen  Aerzte,  den 
ersten  Antheil.     Cognitio  corporis  humam\  principmni  sermonis  in  arte. 

Es  hiesse  den  Standpunkt  der  Anatomie  sehr  verkennen,  wenn 
man  in  ihr  blos  ein  Vorbereitungsstudium  der  Heilkunde  erblicken, 
und  ihre  vielfältigen  Anwendungen  in  praxi  als  die  einzige  Empfeh- 
lung derselben  dem  Studirenden  hinstellen  wollte.  Der  Nutzen  ist 
leider  das  Idol  der  Zeit,  dem  alle  Kräfte  huldigen,  alle  Talente 
fröhnen,  und  ein  gutes  Kochbuch  wird  von  Millionen  Familien  für 
nützUcher  gehalten,  als  die  Alecanique  Celeste  von  Laplace.  Im 
Grunde  haben  sie  für  ihren  Gesichtskreis  nicht  Unrecht.  Am  aller- 
wenigsten ist  es  dem  Schüler  zu  verargen,  wenn  er  bei  einem  Fache, 
dessen  Betrieb  so  viel  Zeit  und  Mühe  in  Anspruch  nimmt,  wie  die 
Anatomie,  vorerst  fragt,  wozu  er  es  brauchen  kann,  und  erwartet, 
dass  man  es  ihm  sagt.  Die  cadaverum  sordes  und  die  mephitis  der 
Secirsäle  entschuldigen  diese  Neugierde.  Allein  die  Anatomie  als 
Wissenschaft  ist  keine  Magd  der  Heilkunde.  Jede  Naturforschung 
hat  einen  absoluten,  nicht  in  ihren  Nebenbeziehungen  gegründeten 
Werth.  So  auch  die  Anatomie.  Das  Geheimniss  des  Lebens  auf- 
zuhellen, ist  an  imd  ftlr  sich  ein  erhabener  Zweck,  der  jede  Rück- 
sicht des  Nutzens  und  der  Brauchbarkeit  auf  dem  Markte  des  Lebens 
ausschliesst.  Hieher  gehören  Döllinger's  Worte:  „Ehe  man  fragt, 
wozu  ein  Wissen  nütze,  sollte  man  billig  erst  untersuchen,  welchen 
inneren  eigenthümlichen  Gehalt  und  Werth  es  habe,  inwiefern  es 
den  menschlichen  Geist  zu  erfüllen  und  zu  erheben  föhig  sei,  ob 
es  an  sich  gross  und  kräftig,  Anstrengung  fordernd,  uns  die  Macht 
und  den  Gebrauch  imserer  Kräfte  kennen  lehre." 

Die  ganze  Welt  gesteht  es  zu,  dass  die  Anatomie  die  Grund- 
lage der  Medicin  abgiebt.  Dieses  ist  richtig.  Die  Medicin  kann 
der  Anatomie  nicht  entbehren,  obgleich  die  Anatomie  sehr  wohl  ohne 
Medicin  bestehen  kann.  Und  sie  bestand  auch  lange  schon,  bevor 
die  Medicin  noch  Anspruch  auf  Wissenschafilichkeit  machen  konnte. 
Es  ist  eine  merkwürdige  Thatsache,  dass  die  grossen  Entdeckungen 


*        %.  9.    YerUltoiss  der  Anatomie  zur  Medicin.  19 

in  der  Anatomie  lange  Zeit  den  Entwicklungsgang  der  Heilkunde 
nicht  förderten,  und  grossartige  physiologische  Irrthümer,  welche 
sich  durch  Jahrhunderte  zu  behaupten  wussten,  denselben  nicht 
hemmten^  ihm  auch  keine  andere  Richtung  gaben.  Die  Philosophie 
hat  sich  in  dieser  Beziehung  viel  einflussreicher  bewiesen  als  Ana- 
tomie und  Physiologie.  Es  hat  eine  Zeit  gegeben,  wo  Philosoph 
und  Arzt  synonym  waren,  und  die  Aerzte  über  die  Krankheiten 
nicht  klüger  urtheilten,  als  die  Philosophen  über  das  Unbegreifliche. 
Die  Anatomie  wurde  damals  gar  nicht  befragt.  Das  Humidum  und 
Calidum  wurde  für  viel  wichtiger  gehalten.  Jahrtausende  hindurch 
hat  die  Medicin  wohl  allerlei  Zeichen  gesehen,  und  Heilmittel  ge- 
funden, aber  keine  einzige  Wahrheit,  kein  einziges  Lebensgesetz. 
Unbewiesener  Glaube  drückte  ihrem  Walten  den  Stempel  der  Un- 
fruchtbarkeit auf,  der  Instinct  des  Denkens  fiihrte  nur  zu  grund- 
und  gehaltlosen  Theorien,  und  selbst  jetzt  noch  hat  sie  nicht  ganz 
aufgehört  zu  sein,  was  sie  seit  ihrem  Beginne  war,  ein  nicht  ohne 
Sorgfalt  zusammengestückeltes,  und  treuherzig  nachgebetetes  System 
conventioneller  Täuschungen. 

Als  die  Anatomie  ihre  Wie4ergeburt  feierte,  und  Sitz  und 
Stimme  erhielt  im  Rathe  der  Aerzte,  pries  man  zwar  ihre  Wich- 
tigkeit, aber  ohne  sie  zu  verstehen.  Man  weidete  sich  blos  an 
grossen  Hoflnungen  für  die  Zukunft,  imd  bUeb  um  so  eifrigerer 
Parteigänger  der  herrschenden  medicinischen  Systeme.  Die  Zeit 
ist  nicht  so  lange  um,  wo  die  akademischen  Gesetze  gewisser  Uni- 
versitäten den  Betrieb  der  Anatomie  entweder  gar  nicht,  oder  nur 
den  Wundärzten  gestatteten.  Auch  diese  Periode  des  Jammers 
ging  vorüber;  es  fiel  ein  Lichtstrahl  auch  in  diese  Nacht,  und  Uess 
das  Bewusstsein  entstehen,  dass  das  Heil  der  Heilkunde  aus  finicht- 
barerem  Boden,  als  aus  dem  Flugsande  der  Hypothesen,  welchen 
die  Scholasten  zusammenwirbelten,  erblühen  müsse.  Sie  hat  ihn 
endlich  nach  langem  vergeblichen  Suchen  'gefunden,  und  die  Ana- 
tomie hat  ihr  hiebei  die  Leuchte  vorgetragen.  Dass  hier  vorzugs- 
weise die  pathologisghe  Anatomie  gemeint  ist,  versteht  sich  wohl 
von  selbst.  Man  sollte  es  kaum  glauben,  dass  der  Versuch,  die 
Heilkunde  auf  anatomischem  Wege  vorwärts  zu  bringen,  so  lange 
hinausgeschoben  werden  konnte.  Die  Bahn  ist  gebrochen,  und  was 
bereits  geschah,  berechtigt  zu  den  schönsten  Erwartungen.  Ein 
Rückschritt  ist  nicht  mehr  mögUch.  Man  kann  nicht  mehr  zurück- 
fallen in  den  alten  Fehler,  sich  Begriffe  von  Krankheiten  aus  ihren 
äusseren  Symptomen  zu  construiren;  von  Kräften,  Factoren,  Pola- 
ritäten zu  träumen,  die  nicht  existiren;  für  jedes  Leiden  eine  Formel 
aufzustellen,  was  man,  um  sich  selber  zu  betrügen,  rationelles  Ver- 
fahren nannte,  imd  die  Hauptsache  zu  übersehen,  dass  die  Krank- 
heit, wie  jede  andere  Naturerscheinung,  analysirt  und   auf  ihre  in 

2* 


20  S*  10«   YerliUtiiiBt  der  Aoatomie  nur  Chirurgie. 

der  Organisation  begründeten  ursächlichen  Momente  zorttckgefuhrt 
werden  müsse.  Mehr  kann  der  Arzt  nicht  thun,  —  weniger  darf 
er  aber  auch  nicht  thun.  —  Da  die  Lebensdauer  der  Menschen,  seit 
die  Arznei  den  oben  gepriesenen  neuen  Weg  einschlug,  nicht  zunahm, 
und  die  SterbUchkeitstabellen  ihre  Ziffern  nicht  verringerten,  wird 
man  wohl  einsehen,  dass  das,  was  man  zum  Lobe  der  Medicin  hört 
oder  Uest,^  nur  den  diagnostischen,  nicht  den  curativen  Theil  der- 
selben angeht,  obwohl  auch  dieser  nicht  mehr  daran  glaubt,  dass 
eine  Arznei  um  so  besser  wirkt,  je  schlechter  sie  schmeckt,  und 
dass  man  der  Mittel  nicht  genug  auf  einmal  verschreiben  könne, 
damit  doch  gewiss  das  rechte  darunter  sei. 

Ich  weiss,  daas  das  Gesagte  dem  Anfänger,  an  welchen  diese  Worte  ge- 
richtet sind,  nicht  ganz  verständlich  ist,  ihm  vielleicht  selbst  frivol  vorkommt. 
Sollte  er  sich  in  der  Reife  seiner  Jahre  ein  Urtheü  über  die  Wissenschaft  gebildet 
haben ,  der  er  jetzt  sein  Leben  und  seine  Kräfte  zu  widmen  im  Begriffe  steht, 
so  wird  er  die  hier  vorgetragene  Ansicht  Über  den  praktisch-medicinischen  Werth 
der  Anatomie  nicht  zu  hoch  gehalten  finden. 

„Hfc  locus  est,  ubi  mora  gaudet  succurrere  vi^oe."  So  las  ich  über  der  Thüre 
eines  Pariser  anatomischen  Hörsaales  geschrieben ,  und  wahrlich ,  es  bedarf  nicht 
mehr  bezeichnender  Worte ,  um  die  Seele  des  Eintretenden  an  der  Schwelle  schon 
mit  heiliger  Ehrfurcht  zu  füllen.  Diese  soll  die  vorwaltende  Stinunung  jedes  Ein- 
zelnen sein,  der  an  den  der  Auflösung  verfallenen  Resten  unseres  eigenen  Geschlech- 
tes lernen  will,  Gesundheit  und  Leben  seiner  Mitmenschen  zu  wahren. 

§.   10.  Yerhältniss  der  Anatomie  zur  Chirurgie. 

Anatomie  und  Chirurgie  arbeiten  mit  dem  Messer.  Der  Ein- 
fluss  der  Anatomie  auf  Chirurgie  ist  nie  verkannt  worden,  imd 
bedarf  selbst  für  den  Laien  keiner  weitläufigen  Erörterung.  Schon 
im  Mittelalter  erliess  Kaiser  Friedrich  11.  den  Befehl,  dass  Niemand 
zur  Ausübung  der  Wundarzneikunde  berechtigt  werden  durfte,  der 
sich  nicht  ausweisen  konnte,  die  Zergliederungskunst  erlernt  zu 
haben.  So  heisst  es  in  Lindenbrogii  codex  legum  antiquarum:  Jvbe- 
mu8,  ut  nullus  chirurgus  ad  praxim  admittatur,  nisi  testimoniales  literas 
offeraty  quod  per  annum  sattem  in  ea  medicinae  paHe  studuerit,  qttae 
chvnirgiae  instruit  facultatem^  et  praesertim  anatomiam  in  schola  didi- 
cet'ity  et  Sit  in  ea  parte  medicinae  perfectus^  sine  qua  nee  incisiones 
saluWiter  fieri  possunt,  nee  facta£  curari.  Die  Geschichte  der  neueren 
Chirurgie  kann  es  beweisen,  welchen  Vortheil  sie  aus  dem  Bunde 
mit  der  Anatomie  gezogen.  So  lange  die  letztere  mit  sich  selbst 
ausschliesslich  zu  thun  hatte,  imd  sich  keine  Einsprache  in  chirur- 
gische Fragen  erlauben  durfte,  war  auch  die  erstere  zum  meisten 
nichts  Anderes,  als  eine  Summe  roher  und  gedankenloser  Techni- 
cismen.  Wir  wenden  uns  mit  Abscheu  von  den  Gräuelscenen, 
welche  die  alte  Chirurgie  ungeschickt  und  grausam,  in  der  Meinung 
das  Beste  zu  thun,  über  ihre  Ejranken  verhing.     y^Quas  medidna  ncn 


§.  10.  YerbUtniBt  der  Anatomie  cor  Chimrgie.  21 

saruxty  ferrum  sanat,  quos  ferrum  non  aanat,  ignia  sanat,  quos  ignia 
non  sanat,  ii  tarn  nvllo  modo  aanandi  sunt,^  So  hat  der  Ahnherr  der 
Wundärzte  gesprochen,  und  seine  blinden  Verehrer  im  Mittelalter 
wussten  denn  auch  nichts  Besseres  zu  thun,  als  auszuschneiden,  aus- 
zureissen,  auszubrennen,  —  und  dieses  nannte  man  Chirurgie. 
Kein  Wunder  ftlrwahr,  wenn  diese  Chirurgen  in  Deutschland  bis  in 
das  15.  Jahrhundert  für  unehrlich  gehalten  wurden,  und  kein 
Handwerksmann  einen  Lehrburschen  in  Dienste  nahm,  wenn  er 
nicht  bescheinigen  konnte,  dass  er  ehrlicher  Aeltern  Kind,  und  keinem 
Abdecker,  Henker,  oder  Bader  verwandt  sei  (Sprengel).  Erst 
Kaiser  Wenzel  erklärte  die  Bader  im  Jahre  1406  für  ehrlich,*) 
erlaubte  ihnen  eine  Zunft  zu  bilden,  und  ein  Wappen  zu  führen. 
Wie  verschieden  ist  auch  heut  zu  Tage  noch  selbst  unter  gebildeten 
Menschen  die  Ansicht  über  Chirurgie  und  Medicin.  Man  liebt  den 
Arzt,  man  sehnt  sich  nach  seinem  Kommen,  nach  seinem  tröstenden 
Wort,  denn  mit  ihm  kehrt  auch  die  Hoffnimg  ein  und  das  Ver- 
trauen, dass  er  mit  harmlosen  Papierstreifen  die  finsteren  Mächte 
alles  Uebels  bewältigen  kann.  Dem  Nahen  des  Wundarztes  dagegen 
sieht  man  mit  .bangem  Herzen,  selbst  mit  Schrecken  entgegen,  denn 
seine  Hand  ist  bewaffnet  mit  dem  furchtbaren  Eisen,  imd  was  er 
bringt,  sind  vor  der  Hand  Schmerzen.  Man  denke  sich  diesen  Mann 
noch  unwissend  und  herzlos,  und  seine  UnbeUebtheit  ist  erklärt. 

Als  sich  die  Anatomen  Palfin  und  Dionys  vor  anderthalb 
Jahrhunderten  zuerst  herausnahmen,  ein  Wort  über  Chirurgie  mit- 
zureden, datirt  sich,  von  diesem  Zeitpunkte  an,  der  rasche  Auf- 
schwung der  französischen  Chirurgie,  und  es  dürfte  nicht  schwer 
sein,  zu  beweisen,  dass  der  Vorzug,  welchen  man  in  Deutschland 
den  Chirurgen  jenseits  des  Rheins  einräumt,  mitunter  darin  seinen 
objectiven  Grund  hat,  dass  die  chirurgische  Anatomie  in  keinem 
Lande  trefflichere  imd  productivere  Vertreter  gefunden  hat,  als 
dort,  wo  der  Weg  zu  jenen  Lehrstühlen,  welche  es  irgendwie  mit 
Anatomie  zu  thun  haben,  durch  den  Secirsaal  führt,  —  nicht  über 
die  Hintertreppen  der  Ministerhötels. 

Die  Erkenntniss  chirurgischer  Krankheiten  beruht  auf  der 
Beobachtung  ihrer  äusseren  Erscheinung,  und  auf  der  geistigen 
Auffassung  ihrer  Bedeutung.  Die  äusseren  Erscheinungen  geben 
sich   in   der   bei   weitem   grösseren  Mehrzahl   der  Fälle  durch   Stö- 


*)  Möglicher  Weise  waren  die  Kenntnisse  nnd  ganz  besonders  die  more$  der 
Bader  jener  Zeit  einer  zeitlicheren  Ehrenerklärung  nicht  besonders  hold.  Dieser 
(bedanke  beschleicht  mich,  wenn  ich  es  lese,  dass  anno  1190  ein  Bader  dem  Grafen 
Dedo  n.  von  Groiz  den  Bauch  aufschnitt,  um  ihn  von  übergrosser  Fettleibigkeit 
zu  heilen,  weshalb  denn  gesetzlich  bestimmt  wurde,  dass  der  Arzt,  unter  dessen 
Händen  ein  Edelmann  stirbt,  den  Verwandten  desselben  zur  beliebigen  Verfügung 
aasgeliefert  werden  solle,  ja  selbst,  um  der  Frauen  Ruf  zu  wahren,  der  Wundarzt 
einen  schweren  Eid  zu  schwören  hatte,  dass  er  einer  Dame  nur  in  Gegenwart  ihrer 
nichsten  Verwandten  znr  Ader  lasse. 


22  I*  1^*   VeiUUtniss  der  Anatomie  rar  Chirurgie. 

rüngen  mechanischer  Verhältnisse,  durch  Aenderung  der  Form,  des 
Umfangs,  oder  durch  förmliche  Trennungen  des  Zusammenhanges 
kund.  Können  es  andere  als  anatomische  Gedanken  sein,  welche 
bei  der  Untersuchung  solcher  Zustände  die  Hand  des  Wundarztes 
leiten?  Den  Sitz,  die  Richtung  eines  Beinbruches  zu  erkennen, 
die  GefährUchkeit  einer  Verwundung  zu  beurtheilen,  ist  fiir  den 
Anatomen,  der  nicht  Chirurg  ist,  wahrlich  nicht  schwerer,  als  für 
den  Wundarzt,  der  kein  Anatom  ist.  Ich  halte  es  für  ttberflttssig, 
die  Wichtigkeit  der  Anatomie  für  den  Wundarzt  noch  weiter  zu 
motiviren.  Nur  eine  ganz  besonders  vortheilhafte  Seite  chirurgisch- 
anatomischer  Studien  erlaube  ich  mir  hervorzuheben.  Wie  selten 
trifft  es  sich,  alle  jene  interessanten  chirurgischen  Erankheitsftllle 
auf  den  Kliniken  zu  beobachten,  welche  unsere  Aufmerksamkeit 
in  so  hohem  Grade  fesseln.  Nicht  jedes  Jahr  bringt  alle  Formen 
von  Leiden  zur  Anschauung.  Der  Schüler  muss  sich  deshalb  an 
die  Handbücher  wenden,  und  was  diese  sagen,  ist  nicht  immer 
vollwichtiger  Ersatz  für  mangelnde  Autopsie.  Die  Anatomie  kann 
hier  auf  die  trefflichste  Weise  aushelfen.  Ihr  steht  in  der  Leiche 
ein  reiches  Promptuarium  von  Krankheitsformen  zur  Verfügung, 
welche  sich  nach  Belieben  hervorrufen,  absichtlich  erzeugen  lassen. 
Ich  sage  nicht,  dass  solche  Behelfe  die  klinische  Beobachtung  er- 
setzen, oder  sie  entbehrlich  machen  können.  Aber  nutzlos  wird 
gewiss  Niemand  eine  solche  Uebung  nennen,  die  gerade  die  wich- 
tigsten (pathognomonischen)  Erscheinungen  zur  gründlichen  An- 
schauung bringt.  Alle  Beinbrüche,  alle  Verrenkungen,  alle  Hermen, 
alle  Höhlcnwassersuchten ,  lassen  sich  auf  diese  Weise  mit  dem 
besten  Erfolge  an  der  Leiche  studiren. 

Ich  kann  nicht  umhin,  noch  eines  besonderen  Vortheiles  zu 
erwähnen,  den  die  Chirurgie  aus  einem  bei  uns  vielleicht  zu  wenig 
gewürdigten  Zweige  der  Anatomie  schöpfen  kann,  —  ich  meine 
das  Studium  der  äusseren  Form  des  menschhchen  Leibes.  Da  die 
äussere  Form  nur  das  Ergebniss  der  inneren  Zusammensetzung  ist, 
und  wir  von  gewissen  äusseren  Anhaltspunkten  auf  den  Zustand 
innerer  Organe  schliessen,  so  wird  die  praktische  Bedeutung  dieses 
Zweiges  der  Anatomie  keiner  besonderen  Empfehlung  bedürfen. 
Richtig  imd  schön  bemerkt  Ross  in  seinem  Versuche  einer  chirur- 
gischen Anatomie:  „Das  Studium  der  äusseren  Körperform  bietet 
dem  Chirurgen  eine  reiche,  noch  lange  nicht  erschöpfte  Fundgrube 
dar;  —  die  allgemeinen  Bedeckungen  werden  für  ihn  zu  einem 
Schleier,  der  weit  mehr  durchsehen  lässt,  als  Mancher  vielleicht 
glaubt.**  Und  in  der  That,  wie  leicht  erkennt  der  richtige,  soge- 
nannte praktische  Blick,  an  einer  bestimmten  Alteration  der  äusse- 
ren Form  einer  Leibesgegend,  aus  dem  Vorkommen  einer  einzigen 
Vertiefung   oder    Erhabenheit  an   einem   Orte,   wo   keine   sein   soll, 


§.  11.  ItBht'  und  Lenunethode.  23 

die  Natur  des  sich  so  einfach  äussernden  Uebels,  ohne  erst  durch 
die  Tortur  der  sogenannten  manuellen  Untersuchung,  hinter  welcher 
der  ungeschickte  Wundarzt  seine  Verlegenheit  zu  bergen,  und  Fas- 
sung zu  gewinnen  sucht,  dem  Kranken  unnöthiges  Leid  zu  verur- 
sachen. Der  Chirurg  soll  ein  Auge  haben  ftir  die  Form,  wie  der 
Künstler,  imd  da  er  in  den  Secirsälen  so  äusserst  wenig  Gelegenheit 
findet,  die  Gestalt  gesunder  menschlicher  Leiber  zu  bewundern, 
und  die  nackten  Kampfspiele  und  Tänze  der  Griechen,  welche  die 
herrlichsten  Formen,  durch  lebendige  Bewegung  verschönert,  vor 
empfänglichen  Augen  enthüllten,  unserem  behosten  Zeitalter  nicht 
anstehen,  so  muss  er  am  höchsteigenen  Leibe,  oder,  wie  der  Künst- 
ler, am  lebenden  Modell,  sich  im  Studium  normaler  Formen  üben, 
um  die  abnormen  verstehen  zu  lernen.  Die  Kleider  der  Frauen, 
über  welche  sich  schon  Seneca  erzürnte:  vestes  nihil  celaturae, 
nvllum  corpori  auxilivm,  sed  et  nullum  pudori,  erlauben  gelegentUch 
auch  heutzutage  noch  einen  guten  Theil  des  Körpers,  welchen  die 
nur  hie  und  da  angebrachten  Kleidungsstücke  unbedeckt  lassen,  mit 
anatomischen  Sinnen  zu  prüfen.  —  Die  Anatomie  giebt  dem  Wund- 
arzte seinen  praktischen  Blick,  seine  lebendige  Anschauungsweise, 
Selbständigkeit  und  Schärfe  der  Beobachtung  und  des  Urtheiles, 
und  setzt  ihn  in  den  Stand,  bei  jedem  vorkommenden  Falle  sich 
nicht  nach  den  vagen  Worten  der  Compendien,  sondern  nach  wohl- 
verstandenen anatomischen  Gesetzen  zu  orientiren.  Die  Anatomie 
erhebt  den  Wundarzt  erst  zum  Operateur.  Sie  leitet  seine  Hand, 
sie  adelt  selbst  seine  Kflhnheit,  welche  alles  versuchte,  —  sogar  die 
Unterbindung  der  Aorta! 

Ein  geachteter  deutscher  Chirurg  hat  das  Paradoxon  ausgesprochen,  dass 
die  Anatomie  den  Wundarzt  furchtsam  mache,  und  ihm  den  Muth  lähme,  im 
menschlichen  Leibe,  dessen  Wunder  er  als  Anatom  mit  einer  Art  von  heiliger 
Scheu  betrachtet,  und  die  er  nur  durch  die  sorgsamste  und  minutiöseste  Technik 
zu  entschleiern  gewohnt  ist,  mit  gewafifneter  Hand  zu  schalten  und  zu  walten.  Es 
ist  fürwahr  etwas  Richtiges  an  der  Sache.  Wer  nur  für  alle  die  Kleinlichkeiten 
und  Umständlichkeiten  subtiler  anatomischer  Arbeiten  Sinn  hat,  wer  sich  in  den 
die  Geduld  eines  Sisyphus  erschöpfenden  Präparationen  der  feinsten  Gefässe  und 
Nerven  gefäUt,  und  mit  der  Aengstlichkeit  eines  allerdings  höchst  nützlichen  und 
lobenswerthen  Handwerkfleisscs  am  Sccirtische  niedliche  und  gefällige  Arbeit  zu 
liefern  für  den  eigentlichen  Zweck  des  anatomischen  Berufes  hält,  der  ist  nicht 
zum  Chirurgen  geboren,  und  mancher  höchst  achtbare  Anatom  würde  sicherlich 
als  operirender  Wundarzt  eine  sehr  klägliche  Rolle  spielen.  Allein  es  ist  zu  weit 
gegangen,  und  obiger  Satz  zu  allgemein,  wenn  er  gemeint  wäre,  auch  die  chirur- 
gische Anatomie,  die  gewissermassen  nur  die  Blumenlese  praktischer  Anwen- 
dungen der  Anatomie  enthalten  soll,  zu  verdächtigen. 

§.    11.   Lehr-  und  Lemmethode. 

Wenn  ich  zurückdenke  an  jene  Zeit,  welche  ich   als   Schüler 
in   anatomischen  Hörsälen  zubrachte,  möchte   mich  fast  bedünken^ 


24  §•   ll*  Lobr-  und  Lernmethod«. 

dasß  sie  verloren  war.  Mit  welchen  Erwartungen  betritt  der  junge 
Mensch  diese  Räume;  und  wie  wenig  nimmt  er  daraus  flir  das  Leben 
mit!  Die  Schuld  liegt  nicht  an  der  Wissenschaft,  sondern  an  der 
Art  des  Lehrens.  Jeder  Lehrer  der  medicinischen  Hilfswissen- 
Schäften  behandelt  dieselben  gewöhnlich  so,  als  ob  es  seine  Pflicht 
wäre,  lauter  Gelehrte  für  sein  specielles  Fach  zu  bilden,  und  es 
fehlt  selbst  nicht  an  Solchen,  welche  die  Würde  ihrer  Wissenschaf- 
ten um  so  höher  zu  stellen  vermeinen,  je  weniger  sie  sich  zur 
Fassungsgabe  ihrer  Zuliörerschaft  herablassen  zu  müssen  glauben. 
Man  docirt  so  viel,  als  man  eben  weiss.  Darunter  giebt  es  aber 
auch  Ueberflüssiges  für  den  ärztlichen  Beruf,  und  dieser  soll  doch, 
so  dünkt  mich,  dort,  wo  es  sich  um  Erziehung  zum  praktischen 
Leben  handelt,  in  den  Vordergrund  treten.  Warum  lässt  sich  unter 
jungen  Aerzten  so  oft  die  Klage  vernehmen,  dass  man  erstens  zu 
vergessen  und  zweitens  zu  lernen  anfangen  müsse,  wenn  man  aus 
der  Schule  tritt? 

Selbst  die  Methode  des  Vortrages  ist  nicht  immer  geeignet, 
die  Aufmerksamkeit  der  Schüler  zu  fesseln,  und  Theilnahme  flir 
den  vorliegenden  Gegenstand  zu  erregen.  Hätte  die  Anatomie  keine 
geistreiche  Seite,  wäre  sie  als  rein  beschreibende  Wissenschaft  blos 
auf  das  trockene  Aufzählen  der  Eigenschaften  der  Organe  beschränkt, 
und  geschieht  dieses  überdies  noch  mit  einer  gewissen,  in's  Breite 
gedehnten  Umständlichkeit,  welche  man  Genauigkeit  nennt,  so  würde 
es  allerdings  unvermeidlich  sein,  dass  der  Eindruck  einer  solchen 
Behandlung  der  Anatomie  ex  cathedra,  in  einer  abspannenden,  ge- 
dankenlosen Leere  bestände,  bei  welcher  man  allerdings  so  dick 
als  lang  werden  kann.  Dieses  Häufen  von  nichtssagenden  Worten, 
dieser  Aufwand  an  Ucberflüssigem,  diese  einschläfernde  Monotonie 
der  Beschreibungen,  diese  häufigen  Wiederholungen,  verbunden  mit 
der  Abgeschmacktheit  veralteter  Ausdrücke,  an  denen  die  Sprache 
der  Anatomie  so  viel  Ueberfluss  hat,  haben  es  nie  verfehlt,  in  dem 
enttäuschten  Hörer  solcher  Vorlesungen  eine  klägliche  Verödung 
des  Geistes  und  der  Gedanken  zu  erzielen,  und  leise  schleicht  sich 
bei  ihm  vor  dem  Entschlummern  die  Erinnerung  an  die  Worte  des 
Schülers  im  Faust  ein :  Hier  in  diesen  Hallen,  will  es  mir  keines- 
wegs gefallen;  denn  in  den  Sälen,  auf  den  Bänken,  vergeht  mir 
Hören,  Seh'n  und  Denken.  —  Insbesondere  wird  dieses  dann 
der  Fall  sein,  wenn  der  Lehrer  unter  der  drückenden  Bürde  leidet, 
die  ihm  die  stete  Wiederholung  bekannter  Dinge  auferlegt,  und 
die  gerade  der  Gelehrte  am  meisten  fühlt,  der  deshalb  seine  Vor- 
lesestunde nur  zu  oft  als  tediöse  Geschäftssache,  als  nothwendiges 
Uebcl  seines  Standes,  abfertigt.  {Ort  n'amuse  pas  les  autrea^  quand  on 
a'ennuie  sot-meme).  Grosse  Gelehrte  sind  aus  diesem  Grunde  häufig 
schlechte  Lehrer.     Gilt  aber  nicht  umgekehrt. 


§.  11.  L«hT-  and  Lenunethode.  25 

Wie  ganz  anders  erscheint  dagegen  die  Anatomie,  welche  Be- 
friedigung und  geistige  Anregung  fliesst  aus  ihr,  wenn  sie  das  todte 
Wort  mit  dem  lebendigen  Gedanken  beseelt,  Reflexion  und  Urtheil 
ihren  Wahrnehmungen  einflicht,  und  den  Verstand  nicht  weniger 
als  das  Auge  in  ihr  Interesse  zieht.  Ich  habe  es  immer  als  ein 
wesentliches  Merkmal  eines  guten  Vortrages  erkannt,  dass  der  Zu- 
hörer an  dem  Stoffe,  der  ihm  geboten  wird,  ein  freies  geistiges  In- 
teresse finde,  ihn  in  sich  aufnehme  und  weiterbilde  aus  intellec- 
tuellem  Vergnügen,  so  dass  er  seiner  nicht  blos  habhafl,  sondern  auch 
sicher  werde,  nicht  blos  empfange,  sondern  mitwirke,  nicht  blos 
geniesse,  sondern  auch  verdaue. 

Es  scheint  kaum  möglich ,  Gegenstände ,  welche ,  wie  der 
menschliche  Leib,  der  Ausdruck  der  höchsten  Weisheit  sind,  geist- 
los zu  behandeln.  Wir  haben  es  zwar  in  der  Wiener  Zeitung  lesen 
können,  dass  zur  Anatomie  eben  nicht  viel  Verstand  gehört,  und 
pflichten  dem  Schöpfer  dieser  Idee  in  so  fem  bei,  als  sie  aus  der 
reumüthigen  Anschauung  seiner  eigenen  Leistungen  hervorging. 

Es  soll  femer  dem  Schüler  durch  den  Vortrag  klar  werden^ 
warum  und  wozu  er  Anatomie  studirt.  Nichts  belebt  dem  Neuling 
in  der  Wissenschaft  ihren  Vorti'ag  anmuthiger,  als  das  farbenreiche 
Colorit  ihrer  AnwendungsfUhigkeit.  Nicht  abstracte  Gelehrsamkeit, 
sondern  praktische  Bildung  soll  die  Schule  bringen. 

Der  physiologische  Charakter  der  Anatomie,  ihre  innige  Bezie- 
hung zur  praktischen  Heilwissenschaft,  der  Geist  der  Ordnung  und 
Planmässigkeit,  der  das  Object  ihrer  Wissenschaft  durchdringt,  giebt 
Anhaltspunkte  genug  an  die  Hand,  sie  anziehend  imd  lehrreich  zu 
machen.  Um  nur  Ein  Beispiel  anzufahren:  wie  ermüdend  erscheint  die 
descriptive  Anatomie  der  Rückenmuskeln,  wenn  sie,  wie  sie  auf  ein- 
ander folgen,  mit  ihren  verwickelten  Ursprüngen  und  Insertionen 
umständlich  beschrieben  werden,  —  ein  reizloses,  ödes  Gedächtniss- 
werk! —  imd  wie  gewinnt  diese  Masse  Fleisch  an  Licht  und  Sinn, 
wenn  sie  auf  die  typische  Uebereinstimmung  der  einzelnen  Wirbel- 
säulenstücke, und  die  Analogien  des  Hinterhauptknochens  mit  den 
Wirbelelementen  bezogen  wird!  —  Auf  so  viele  Fragen:  „warum 
es  so  sei",  hat  die  Anatomie  eine  Antwort  bereit,  wenn  man  sie  ihr 
nur  zu  entlocken  versteht.  Wer  flir  den  geistigen  Reiz  der  Wissen- 
schaft nicht  empfänglich  ist,  der  wird  vielleicht  durch  ihren  mate- 
riellen Nutzen  bestochen,  imd  darum  muss  die  Anatomie  in  beiden 
Richtungen  verfolgt  und  gewürdigt,  und  auf  die  zahlreichen  An- 
wendungen der  Wissenschaft  im  Gebiete  der  Medicin  und  Chirurgie, 
wo  es  sich  auf  verständUche  und  ungezwungene  Weise  thun  lässt, 
hingewiesen  werden. 

In  einer  demonstrativen  Wissenschaft  geht  alles  Weitere  vom 
Sehen  aus.    Die  Objecte  der  Anatomie  müssen  also  dem  Vortrage 


26  §•  11*   I'obr-  und  Lernmethode. 

zur  Seite  stehen,  und  jedes  Hilfsmittel  versucht  werden^  richtige  und 
allseitige  Anschauungen  zu  ermöglichen.  Die  ktlnstlichen  Darstellun- 
gen von  schwierigen  und  eomplicirten  GegenstÄnden  in  vergrössertem 
Massstabe,  naturgetreue  Abbildungeif,  Durchschnitte  und  Aufrissei 
an  der  Tafel  entworfen,  sollen  den  Demonstrationen  an  der  Leiche 
vorangehen  und  ein  reiches,  geordnetes,  den  Zustand  der  Wissen- 
schaft repräsentirendes  anatomisches  Museum  auf  die  liberalste  Weise 
jedem  Studirenden  offen  stehen.  Was  gezeigt  wird,  soll  sich  unter 
den  Händen  des  Lehrers  entwickeln,  nicht  schon  fertig  in  die 
Vorlesung  gebracht  werden,  damit  der  Zuhörer  auch  mit  der  Methode 
des  Zergliedems  vertraut  werde,  und  die  anatomische  Technik  nicht 
blos  vom  Hörensagen  kennen  lerne.  Das  Vorzeigen  fertiger  Prä- 
parate nfltzt  viel  weniger,  als  das  Vorpräpariren.  Das  erstere  geschieht 
für  die  Gaffer,  das  letztere  filr  die  Denker. 

Die  praktischen  Zergliederungen  sollen  ferner  unter  steter  Auf- 
sicht und  Anleitung  eines  sachkundigen  und  für  seinen  Beruf  begei- 
sterten Demonstrators,  oder  mehrerer,  vorgenommen  imd  eine  Sections- 
anstalt  mit  dem  nöthigen  Leichenbedarf,  mit  zweckmässigen,  lichten 
imd  gesunden  Räumlichkeiten  ftlr  Vorlesungen  und  Secirübungen,  und 
mit  allem  Uebrigen  reich  dotirt  werden,  was  die  in  der  Natur  der 
Sache  liegenden  Unannehmlichkeiten  anatomischer  Beschäftigung  am 
wenigsten  fühlbar  macht.  Leider  wird  in  den  Hauptstädten  die  Ana- 
tomie gewölmlich  nur  in  imgesunde  Winkel  verwiesen,  welche  Gottes 
Sonne  nicht  bescheint,  während  Deutschlands  kleinste  Universitäts- 
städte, welche  nicht  mehr  Einwohner  haben,  als  das  Wiener  Kranken- 
haus Betten  zählt,  ihr  Palläste  bauen!  Man  fühlt  am  lebhaftesten,  was 
man  braucht,  wenn  man  es  nicht  besitzt.  Doch  das  Haus  macht 
nicht  den  Geist  der  Schule;  —  es  wurde  selbst  in  der  Wüste 
gelehrt. 

Die  Uebungen  an  der  Leiche  leisten  für  die  Bildung  des  Ana- 
tomen wichtigere  Dienste,  als  die  Tlieilnahme  am  Schidunterrichte. 
Der  Lehrer  kann  nur  anregen,  Gedanken  erwecken,  den  Geist  der 
Wissenschaft  und  seine  Richtungen  andeuten;  —  die  feststehende 
Ueberzeugung,  das  bleibende  Bild  der  anatomischen  Verhältnisse, 
verdankt  seinen  Urspnmg  nur  der  eigenen  Untersuchung.  Und 
diese  eigene  Untersuchung  soll  so  gepflogen  werden,  als  ob  der 
Schüler  an  der  Leiche  erst  zu  verificircn  hätte,  was  in  den  Büchern 
gesagt  wird.  Nur  die  Skepsis  leitet  die  Hand  des  Entdeckers;  — 
der  Zufall  bewährt  sich  ungleich  weniger  gefällig. 

Nachschreiben  anatomischer  Vorlesungen  möchte  ich,  bei  der 
Menge  guter  Bücher,  nur  Jenen  empfehlen,  welche  den  Trost  gemessen 
wollen,  was  schwarz  auf  weiss  geschrieben  steht,  bequem  nach  Hause 
tragen  zu  können.  Und  Viele  sind  recht  wohl  damit  zufirieden.  — 
Je   zahlreicher   übrigens   ein   anatomisches  Collegium    besucht  wird, 


§.  11.    Lehr-  tind  Ltnunethod«.  27 

desto  grösser  sind  die  Schwierigkeiten  filr  den  Lehrer.  Dieses  liegt 
in  der  Natur  demonstrativer  Vorlesungen,  welche  um  so  nutzbrin- 
gender werden,  je  kleiner  die  Zuhörerschaft.  Den  kleinen  Uni- 
versitäten Deutschlands  verdankt  auch  unsere  Wissenschaft  mehr 
Fortschritte,  als  den  mit  ihren  1000  Studenten  prunkenden  Resi- 
denzen! Man  vergleiche  nur  den  Gehalt  der  Inauguralschriften  der 
ersteren,  mit  jenem  der  letzteren.  Bei  ims  hat  man  sie,  ihrer  Er- 
bärmlichkeit wegen,  gänzlich  abschaffen  müssen  ^  während  die  Bres- 
lauer und  Dorpater  Dissertationen  zur  classischen  Literatur  der 
feineren  Anatomie  gehören. 

Da  es  bei  den  praktiBchen  Uebungen  an  der  Leiche  dem  Anfänger  zum 
grOssten  Nutzen  dient,  bereits  eine  Vorstellung  von  dem  zu  haben,  was  er  auf- 
suchen soU,  so  kann  es  nicht  genug  empfohlen  werden,  dass  er  durch  vorläufige 
Ansicht  schon  fertiger  Präparate,  durch  Benutzung  naturgetreuer  Abbildungen, 
und  durch  die  Lectttre  einer  praktischen  Anleitung  zum  Seciren,  sich  zu  den 
Präparirübungen  vorbereite.  Eine  solche  Anleitung  zu  geben,  hielt  ich  für  meine 
besondere  Pflicht,  und  schrieb  deshalb  mein  „Handbuch  der  praktischen  Zerglie- 
derungskunst, Wien,  1860**.  —  Die  Schule  für  Militärärzte  in  Wien  befindet  sich 
in  der  besonders  glücklichen  Lage,  als  Lehrmittel  über  jene  weltberühmte  Samm- 
lung von  Wachspräparaten  verfügen  zu  können,  welche  die  Munificenz  des  grossen 
kaiserlichen  Menschenfreundes,  Joseph^s  H.,  dem  feldärztlichen  Unterrichte  wid- 
mete. Es  ist  in  dieser  ausgezeichneten  Sammlung  dem  Studirenden  die  trefOichste 
Grelegenheit  geboten,  sich  durch  die  Betrachtung  plastischer  Darstellungen  ein 
Bild  dessen  vorläufig  einzuprägen,  was  er  durch  seine  eigenen  Präparationsver- 
suche darstellen  will.  Nur  Florenz  besitzt  eine  ähnliche  Sammlung.  Beide  wur- 
den, unter  Fontana's  Leitung,  durch  die  Künstler  Gaetano  Zumbo  und  den 
Spanier  Novesio  ausgeführt  Ersterer  hatte  übrigens  noch  die  originelle  Idee, 
dem  Florentiner  Mnseimi  eine  Wachsbüste  seines  eigenen  Schädels,  und  zwar 
im  dritten  Qrade  der  Fäulniss,  zu  hinterlassen. 

Nicht  minder  nützlich  bewährt  es  sich,  dass  der  Schüler,  um  von  den  Vor- 
lesungen Nutzen  zu  ziehen,  durch  seine  Privatstudien  dem  Lehrer  voraneile,  damit 
er  den  Vortrag  als  Commentar  zu  seinem  bereits  erworbenen  Wissen  benutzen 
könne.  Es  spricht  sich  leichter  zu  einem  Auditorium,  welches  in  den  zu  behan- 
delnden Materien  nicht  gänzlich  unbewandert  ist,  und  der  Besuch  anatomischer 
Collegien  bringt  mehr  Vortheil,  wenn  das,  was  hier  verhandelt  wird,  durch  eigene 
Verwendung  dem  Zuhörer  schon  früher  wenigstens  theilweise  bekannt  wurde. 
Fleissige  Schüler  überholen  den  Lehrer;  mittelmässige  bequemen  sich  ihm  auf 
dem  Schritt  zu  folgen;  indifferente  schleppen  ihm  nach,  oder  lassen  ihn  allein 
seines  Weges  ziehen. 

Unsere  Studieneinrichtung  hielt  bis  zimi  Jahre  1848  an  dem  Grundsatze, 
dass  der  Lehrer  nicht  blos  vorzutragen,  sondern  auch  am  Ende  des  Jahres  durch 
Prüfungen  das  Mass  der  erworbenen  Kenntnisse  seiner  Zuhörer  festzustellen  habe. 
War  dieser  Grundsatz  gut,  so  muss  man  bedauern,  dass  er  aufgegeben  wurde. 
War  er  schlecht,  so  begreift  man  nicht,  warum  er  für  einen  Theil  der  Studenten- 
schaft wieder  zur  Geltung  kam.  Er  war  aber  beides  zugleich ;  —  gut  im  Princip, 
schlecht  in  der  Anwendung.  Gilt  nun  die  Lemfreiheit  nur  für  Einige,  dann  liegt 
auch  hierin  ein  sprechendes  Zeugniss  des  Misstrauens  in  ihre  allgemeine  Nütz- 
lichkeit, welche  nur  dort  sich  bewähren  kann,  wo  Lehrer  und  Schüler  die  rechte 
Ansicht  von  ihr  und  von  ihren  unerlässlichen  Vorbedingungen  haben. 
Hätten  sie  diese  Ansicht  nicht,  dann  müsste  man  ein  Universitätsleben  bedauern, 
welches  hineinfällt  in  solche  Zeit,  wie  wir  sie  jetzt  durchzumachen  haben. 


28  I*  1'-  TotwboU^  der  AastoBi«. 


§.  12.  Temünologie  der  Anatomie. 

Die  Sprache  der  Anatomie  nennt  Henle  mit  Recht  principlos. 
Sie  ist  in  der  That  ein  buntes  Gemisch  von  einigen  bezeichnenden, 
oder  wenigstens  sinnigen,  und  vielen  absurden,  schlecht  gewählten 
Ausdrucken,  oft  allzuläppisch  ftir  das  ernste  Handwerk  des  Ana- 
tomen. Die  Schwärmerei  ftir  nomina  obsoleta  tritt  besonders  in 
der  Synonymik  auf  ergötzliche  Weise  hervor.  Die  beschreibende 
Thier-  und  Pflanzenkunde  haben  eine  viel  treffendere  und  bessere 
Nomenclatur.  Da  die  Theile  des  menschlichen  Körpers  grössten- 
theils  zu  einer  Zeit  bekannt  wurden,  wo  man  sich  nicht  viel  Mühe 
gab,  über  ihre  Verrichtungen  nachzudenken,  auch  das  Bedürfiiiss 
einer  wissenschaftUchen  Sprache  noch  nicht  fühlte,  so  darf  es  nicht 
wundem,  in  jenem  Theile  der  Anatomie,  der  aus  dem  entlegensten 
Alterthume  stammt,  die  sonderbarsten,  bizarrsten,  mit  unseren  gegen- 
wärtigen physiologischen  Ansichten  im  grellsten  Widerspruche  stehen- 
den Namen  zu  finden.  Die  gegenwärtig  noch  geläufigsten  Worte: 
Musculus  (wörtlich  übersetzt  Mäuslein),  Arteiia  ('Luftgang ),  Bronchus 
(Weg  ftir  das  Getränk),  Parenchyma  lEi^uss),  Nervus  (worunter 
man  alle  strangartigen  Gebilde  von  weisser  Farbe  zusammenfasste, 
also  nebst  den  Nerven  auch  Sehnen  und  Bänder,  wie  das  Wort 
Aponeurosis  beweist),  drücken  vi  nammis  etwas  ganz  Anderes  aus, 
als  wir  heut  zu  Tage  darunter  verstehen.  Das  Mittelalter  war  in 
der  Wahl  seiner  anatomischen  Benennungen  noch  unglücklicher. 
Die  Einfalt  imserer  Vorfahren,  und  die  geistige  Beschränktheit  der 
damaligen  Zeiten,  gefiel  sich  in  den  unpassendsten  Ausdrücken, 
deren  mystische  oder  religiöse  Interpretationen  vielleicht  dazu  die- 
nen sollten,  die  missgünstigen  Blicke,  welche  ein  finsterer  Zeitgeist 
auf  die  Anatomie  zu  werfen  nicht  unterUess,  in  fireundlichere  zu 
verwandeln.  Hieher  gehören  der  Morsus  diaboli,  das  Pomum  Adamiy 
die  Lyra  Davidis,  das  Psalterium,  das  Memento  mori,  der  Musculus 
religiosuSy  das  Collare  Helvetü,  etc.  Wie  sehr  es  den  Anatomen  zu 
thun  war,  ihr  fbr  unheilig  gehaltenes  Treiben  in  einem  besseren 
Lichte  erscheinen  zu  lassen,  mag  ihren  Geschmack  an  derlei  Be- 
nennungen entschuldigen.  Hat  doch  der  sonst  tüchtige  Adrianus 
Spigelius  sich  nicht  entblödet,  in  den  Muskeln  des  Gesässes  ein 
dem  Menschen  verliehenes  Polster  zu  bewundem,  ^cui  insedendo^ 
remm  divmarum  cogiiationibus  rectius  et  intensius  animum  applicare 
possU/'  und  in  dem  Kapuzenmuskel  ein  allen  Sterblichen  umge- 
hingtes  pro  memoria  zu  sehen,  ^ut  vitam  religiosam  ducendam  esse 
mmminaint  *^  —  Die  obscönen  Bezeichnungen  gewisser  Gehimtheile, 
ab:  Anus,  Vuka,  Penis ^  Xatesy  Testes ^  Mammae ^  welche  man  im 
HhteUler  erfimd:  gtc^  turpis  scientia  juvenibus  magis  graia  reddatur*^ 


%.  IS.  Tenninologie  der  Anatomie.  29 

(Vesling),  haben  anständigeren  weichen  müssen;  allein  die  auf 
rohen  Vergleichen  beruhenden  Benennungen  (Schleienmaul,  See- 
pferdefuss,  Fledermausflügel,  Schnepfenkopf,  Hahnenkamm,  Herz- 
ohren, Hammer  und  Ambos,  etc.)  werden  blos  getadelt,  aber  den- 
noch beibehalten.  Die  Mythologie  hat  die  Namen  ihrer  Götter  und 
Göttinnen  der  Anatomie  geliehen  (Os  Priapi,  Mona  Veneria,  Comu 
Ammonia,  Tendo  Achillia,  Nymphae,  Iria,  Hymen ,  Hebe  filr  die  weib- 
liche behaarte  Scham,  Linea  Martia  et  Satumi,  etc.).  Die  Botanik 
ist  durch  die  Amygdala,  den  Arbor  vitae,  das  Vertieillum  (im  Chor- 
densysteme des  Gehirns),  die  Olive,  den  Nucleua  lentia,  die  Siliqua, 
das  Oa  piatforme,  die  Caruncvlae  myrtifomteaj  —  die  Zoologie  durch 
den  Tragua,  Hircua,  Hippocampuaj  Helix,  den  Vermia  bombyciniba,  den 
Rabenschnabel,  die  Comua  limacum,  den  Pea  anaerinua,  etc.  reprä- 
sentirt,  und  eben  so  gross  ist  das  Heer  von  Namen,  die  einer  weit 
hergeholten  Aehnlichkeit  mit  den  verschiedensten  Gegenständen  des 
täglichen  Gebrauches  ihre  Entstehung  verdanken.  Die  Hundszähne, 
der  Rachen,  der  Schmeerbauch,  das  Scrotum  (vielleicht  ursprünglich 
Scortum),  das  Ohrenschmalz  und  die  Augenbutter,  sind  eben  keine 
Erfindungen  der  Delicatesse,  aber  noch  immer  besser  als  jene 
Namen,  deren  Ursprung  und  Sinn  gar  nicht  auszumittebi  ist. 

In  der  Benennung  der  Organe  nach  ihren  vermeintlichen  Ent- 
deckern war  die  Anatomie  sehr  ungerecht.  Es  lässt  sich  mit  aller 
historischen  Schärfe  nachweisen,  dass  viele  Gebilde  des  menschlichen 
Körpers,  welche  den  Namen  von  älteren  Anatomen  führen,  nicht 
von  ihnen  entdeckt  wurden.  Die  Aufzählung  derselben  wäre  für 
diesen  Ort  zu  umständlich.  Den  grössten  Männern  des  Faches 
wurde  die  Ehre  nicht  zu  Theil,  ihren  Namen  in  den  Schulbüchern 
zu  immortalisiren,  imd  Viele  sind  derselben  theilhaftig  geworden, 
von  denen  die  Geschichte  sonst  nichts  Rühmliches  zu  berichten  hat. 

Die  Versuche  I  welche  gemacht  wurden ,  die  anatomische  Nomenclatur  zu 
modemisiren,  blieben  ohne  Dank  und  Nachahmung.  Selbst  das  Unrichtige  wird 
ungern  aufgegeben,  wenn  es  durch  langen  Bestand  eine  gewisse  Ehrwürdigkeit 
errang.  Man  kann  der  Anatomie,  so  wie  der  Medicin  und  Astronomie,  ihre  alten 
Namen  belassen,  da  es  sich  gar  nicht  um  den  Laut,  sondern  um  Begriffe  handelt. 
Ich  habe  es  auch  nicht  für  unpassend  gehalten,  die  häufiger  gebrauchten  Syno- 
nymen eines  Organs  im  Texte  des  Buches  aufzuführen,  besonders  wenn  sie  ver- 
schiedene Eigenschaften  des  fraglichen  Organs  ausdrücken,  und  sich  dadurch 
eine  Art  kurzer  Beschreibung  aus  ihnen  zusanunenstellen  lässt 

Eine  selbst  den  richtigen  Vorstellungen  gefährlich  werdende  Willkür  in 
der  Bezeichnung  der  Flächen  und  Ränder  verschiedener  Organe  wird  dadurch 
begünstigt,  dass,  was  bei  liegender  Stellung  oben  und  unten,  bei  stehender 
vorn  und  hinten  wird,  so  wie,  je  nachdem  man  sich  eine  Gliedmasse  aus-  oder 
einwärts  gedreht  denkt,  das  Innen  zum  Aussen  werden  muss,  und  umgekehrt 
Henle  hat,  um  diesen  Begriffsstörungen  auszuweichen,  Termini  eingeführt,  welche 
für  jede  Körperstellung  feste  Geltung  haben.  So  harren:  dorsal  und  ventral, 
sagittal  und  lateral,  und  die  von  Owen  gebrauchten  Ausdrücke :  distal  und 
proximal  (entfernter  oder  näher  dem  Herzen)  des  anatomischen  Bürgerrechtes. 


30  !•  ^''  B«sond«r«  Niitsuiw«ndang«ii  d«r  Aiuttomi«. 


§.  13.  Besondere  ITutzanwenduiigeii  der  Anatomie. 

Darf  die  grauenumgebene  Wissenschaft  des  Todes,  la  sbar- 
ruta  anatomia,  wie  sie  der  Dichterkönig  Italiens  genannt,  es  wagen, 
auch  auf  das  Interesse  der  Nichtärzte  Anspruch  zu  erheben?  f^s 
scheint  unmöglich.  Ich  denke  jedoch,  kein  Gebildeter  soll  Fremd- 
ling sein  im  Gebiete  der  Anatomie.  Des  Menschen  höchste  Aufgabe 
ist  die  zur  Wissenschaft  erhobene  Kenntniss  seines  Selbst.  Nicht 
dem  Philosophen  allein  gelten  die  Worte:  y^öO».  aeaurov!  Wenn  der 
Alltagsmensch  auch  in  die  Tiefen  der  Anatomie  sich  nicht  einlassen 
kann,  so  werden  doch,  wenn  er  überhaupt  ein  Freund  des  Denkens 
ist,  die  Umrisse  derselben  für  ihn  Anziehendes  haben.  Was  kann 
ihn  mehr  interessiren,  als  eine  Kenntniss,  die  seine  Person  so  nahe 
angeht?  Ludwig  XIV.  Hess  den  Dauphin  in  der  Anatomie  unter- 
richten, für  welche  dessen  Erzieher,  der  berühmte  Kanzelredner 
Bossuet,  sich  mit  Eifer  interessirte.  Napoleon,  welcher  bekanntlich 
nur  die  mathematischen  Wissenschaften  begünstigte  (weil  Ziffern 
nicht  denken),  äusserte  dennoch  einmal  den  Wunsch,  die  Anatomie 
des  Menschen  besser  kennen  zu  lernen,  als  durch  die  Schwerthiebe 
seiner  Cuirassiere.  Der  gegenwärtige  Czar  aller  Reussen  studirte 
unter  Prof.  Einbrodt  zu  Moskau  Anatomie  (nach  mir  gemachter 
mündlicher  Mittheilung  Prof.  Sokoloff 's),  und  ich  habe  selbst  in  firü- 
heren  Jahren  hochgestellten  Männern  von  Geist  und  Wissensdrang 
Unterricht  in  meinem  Fache  gegeben. 

Soll  jedoch  die  Anatomie  nur  das  Interesse  Einzelner  anregen? 
Wie  viel  Irrwahn,  dem  selbst  die  gebildete  Menschenclasse  huldigt, 
wäre  umgangen;  wie  viel  Gefahr  für  Gesundheit  und  Leben  der 
Einzelnen  wäre  vermieden;  wie  viel  absurde  Vorstellungen  über 
Nützliches  und  Nachtheiliges  im  Leben  wären  unmöglich,  wenn  der 
Anatomie  auch  der  Eingang  in  das  tägliche  Leben  offen  stünde. 
Elann  nicht  ein  Fingerdruck  auf  ein  verwundetes  Gefäss  das  Leben 
eines  Menschen  retten ;  kann  nicht  eine  allgemeine  Vorstellung  über 
den  Bau  des  menschlichen  Körpers  das  nur  allzuoft  widersinnige 
Verfahren  zur  Rettung  Scheintodter  und  Ertrunkener  auch  in  den 
Händen  von  Nichtärzten  mit  glücklichem  Erfolge  krönen,  und  ist 
nicht  in  so  vielen  Gefahren  die  Selbsthilfe  eine  Eingebung  anato- 
mischer Vorstellungen?  Es  wäre  von  grossem  Vortheil,  wenn  die 
Bildung  von  Lehrern,  Seelsorgern,  und  öffentlichen  Amtspersonen, 
von  welchen  man  nur  Kenntnisse  über  die  Erkrankungen  der  Haus- 
thiere  fordert,  auch  einen  kurzen  Inbegriff  unserer  Wissenschaft 
umfasste,  und  der  elementare  Unterricht  in  den  niederen  Schulen 
würde  deshalb  nicht  schlechter  bestellt  sein,  wenn  die  Schüler,  statt 
mit  den  Zeichen  des  Thierkreises,  oder  den  Wtlsten  Afrika's,  auch 


$.  14.  Knte  Periode  der  Geschiclite  der  Anatomie.  31 

ein  wenig  mit  sich  selbst  bekannt  würden.  Warum  wurde  der  Orbis 
jncttis  beim  Schulunterricht  ausser  Gebrauch  gesetzt,  in  welchem 
auch  einige  anatomische  Bilder,  ich  weiss  es  aus  meiner  Jugend, 
die  Aufmerksamkeit  der  Kinder  in  hohem  Grade  fesselten?  Er 
könnte  recht  gut  neben  der  Rechentafel  und  dem  Katechismus  im 
Bücherriemen  der  Schulknaben  stecken,  und  was  das  Eand  aus 
ihm  lernt,  ist  gewiss  nicht  bedenkhcher,  als  die  AflFaire  Josephs 
mit  der  Dame  Potiphar. 

Die  Nutzanwendungen  der  Anatomie  in  der  plastischen  Kunst 
sind  so  wesentlich,  dass  die  grossen  Meister  des  Mittelalters  ana- 
tomische Studien  eifrig  betrieben,  und  ihren  Schülern  nachdrücklich 
empfahlen;  so  Leonardo  da  Vinci,  und  dessen  Lehrer  Della 
Torre,  von  denen  noch  gegenwärtig  anatomische  Handzeichnungen 
existiren.  (Menge,  über  die  Schönheit  und  den  Geschmack  in  der 
Malerei,  pag.  77.) 

Geognosie  und  Geologie  können  der  Behelfe  nicht  entbehren,  welche  die 
anatomische  Kenntniss  der  im  Schoosse  der  Erde  begrabenen  antediluvianischen 
Thiergeschlechter  ihren  Forschungen  darbietet,  und  die  Geschichte  der  Verbreitung 
des  Menschengeschlechts,  des  Wechsels  der  Bevölkerungen  in  jenen  Zeiten,  über 
welche  die  historischen  Urkunden  schweigen  und  blos  die  Vermuthungen  sprechen, 
schöpft  ilire  verlässlichsten  Data  aus  —  Gräbern.  (Bei  weitem  weniger  ergiebig 
zeigt  sich  das  in  neuester  Zeit  so  schwunghaft  betriebene  vergleichende  Sprachen- 
studium. Die  französisch  redenden  Neger  auf  Hayti  sind  doch  sicher  nicht  mit 
dem  vanum  et  muUüoquum  hominum  genus,  wie  ein  alter  Classiker  die  Gallier 
nennt,  verwandt) 

§.  14.  GrescMchtliclie  Bemerkungen  über  die  Entwicklung  der 

Anatomie.   Erste  Periode. 

Neue  Zeiten  schaffen  neue  Menschen,  neue  Ansichten,  mitunter 
auch  neue  Wahrheiten.  Aber  auch  was  das  Alterthum  gesehen  und 
gedacht,  hat  seinen  unbezweifelten  Werth,  und  in  der  Kunst,  wie 
in  der  Wissenschaft,  schöpft  aus  der  classischen  Vergangenheit  die 
Gegenwart  ihre  Inspirationen,  wenn  sie  auch  nicht  immer  so  ehr- 
lich ist,  ihre  QueUen  zu  nennen. 

Die  Geschichte  der  Wissenschaften  ist  die  Geschichte  des 
Menschengeistes.  Der  Kampf  zwischen  Wahrheit  und  Irrthum  bil- 
det ihren  Stoff.  Er  war  reich  an  Niederlagen,  reicher  an  Fort- 
schritten und  Siegen.  Die  Geschichte  führt  uns  von  den  unscheinbaren 
Anfängen  geistiger  Entwicklung  zu  ihren  herrlichsten  Triumphen; 
sie  zeigt  uns  die  Irrwege,  auf  welche  missleitete  Forschung  gerieth, 
und  lehrt  uns  dieselben  vermeiden.  Die  Geschichte  setzt  uns  in 
die  denkwürdigen  Epochen  zurück,  von  welchen  jede  neuere  und 
bessere  Bichtung  der  Wissenschaften  datirt.  Sie  macht  uns  gleich- 
sam zu  Zuschauem  und  Zeugen  der  grossen  Entdeckungen,  welche 


32  §•  ^^'  Ente  Periode  der  Geacliichte  der  Anatomie. 

den  Geist  des  Forschens  auf  neue  Bahnen  lenkten.  Sie  macht  uns 
bekannt  mit  den  grossen  Männern,  die  der  Wissenschaft  das  Ge- 
präge ihres  fruchtbaren  Geistes  aufdrückten,  lehrt  uns  ihr  Genie 
bewundem,  und  ihren  Fussstapfen  folgen ,  und  führt  uns  die  grossen 
Beispiele  vor,  zur  Nachahmung,  oder  —  zur  Warnung. 

Kein  Anatom  soll  in  der  Geschichte  seiner  Wissenschaft  ein 
Fremdling  sein.  Wie  viel  als  neu  Gepriesenes  altert  lange  in  den 
vergessenen  Pergamenten  der  Bibliotheken.  Fast  auf  jeder  Seite  der 
Haller'schen  Elementa  physiologiae  finden  sich  Dinge,  die,  mit  einiger 
Gewandtheit  im  Zuschneiden,  moderne  Autoritäten  und  Autoritätchen 
berühmt  machen  können,  und  auch  gemacht  haben.  Möge  darum  die 
folgende,  nur  in  allgemeinen  Umrissen  entworfene  Skizze,  als  eine 
Einleitung  zur  Geschichte  der  Anatomie  dienen,  welche  wem'gstens 
jener  Nützlichkeit  nicht  entbehrt,  die  jungen  Freunde  der  Wissen- 
schaft mit  ehrwürdigen  Namen,  welche  in  der  beschreibenden  Ana- 
tomie oft  genannt  werden,  und  mit  dem  Zeitalter  ihrer  Thätigkeit 
und  ihres  Flores  bekannt  zu  machen. 

Die  Geschichte  der  Anatomie  zerfällt  in  zwei  Perioden.  Die 
erste  gehört  der  Vorzeit  an,  und  erstreckt  sich  bis  in  die  Mitte 
des  sechzehnten  Jahrhunderts. 

Man  kann  die  vereinzelten  anatomischen  Wahrnehmungen, 
die  das  Schlachten  der  Thiere,  die  Opfer*),  das  Balsamiren  der 
Leichen,  und  die  zufälligen  Verwundungen  lebender  Menschen  ver- 
anlassten, keine  Wissenschaft  nennen.  Die  Menschen,  welche  bei 
den  Aegyptem  das  Balsamiren  der  Leichen  verrichteten  (Paraschistae)^ 
waren,  nach  Diodorus,  in  der  Anatomie  durchaus  imerfahren.  Ich 
habe  in  meinen  Antiquitatibu^  anatomicis  rariorifma  das  Messer  ab- 
bilden lassen,  welches  ich  in  einer  Mumie  aus  Siut  fand,  und 
welches  ohne  Zweifel  jenem  Paraschisten  gehörte,  der  die  Zuberei- 
tung dieser  Mumie  besorgte.  Die  17  Bücher,  welche  der  ägyptische 
König  Athotis  geschrieben  haben  soll,  wollen  wir  gerne  vermissen. 
Erst  als  die  Heilwissenschaft  sich  mit  der  Anatomie  verbündete, 
und  das  ärztliche  Bedürfniss  ihre  nähere  Bekanntschaft  nachsuchen 
machte,  nahm  sie  den  Charakter  einer  Wissenschaft  an.  Ihr  Ent- 
wicklungsgang war,  wie  jener  der  Naturwissenschaft  überhaupt,  ein 
langsamer  und  öfters  unterbrochener.  Die  Schwierigkeiten,  die  sich 
ihrem  Gedeihen  entgegenstellten,  schienen  unüberwindhch  zu  sein, 
und  wurzelten  weniger  im  natürlichen  Abscheu  vor  dem  Objecte 
der  Wissenschaft  —  der  Leiche,  als  in  der  Gewalt  des  Aberglaubens 


*)  Aus  der  Opferanatomie  jedoch  lässt  sich  kaum  etwas  für  die  Geschichte 
der  Zergliederungskunst  entnehmen,  da  die  von  den  Haruspicea  den  Göttern  zurecht 
geschnittenen  Eingeweide  {exta  prosecta),  über  welche  Arnobius  spricht  (lib.  VII, 
cap.  24),  uns  keinen  Aufischluss  geben  über  das  bei  dieser  ÄncUomia  tacra  befolgte 
Verfahren. 


§.  14.  Erste  Periode  der  Oeschiclite  der  Anatomie.  33 

und  des  Vorurtheils.  Sehr  richtig  bemerkt  Vicq  d*Azyr:  Varm- 
tomie  est  peut-etrey  parmi  toutes  les  adences,  celle,  dont  on  a  le  plus 
celebre  les  avantageSy  et  dont  on  a  le  moins  favorise  les  pf'ogres.  Selbst 
die  religiösen  Vorstellungen  des  Alterthums  sprachen  das  Verdam- 
mungsurtheil  über  sie.  Der  Glaube,  dass  die  Seelen  der  Verstor- 
benen so  lange  an  den  Ufern  des  Styx  herumirren  müssten,  bis  ihre 
Leiber  beerdigt  waren,  machte  die  Anatomie  bei  den  Griechen  un- 
möglich. Es  war  bei  ihnen  religiöse  Pflicht,  jeden  zufällig  gefun- 
denen Menschenknochen  mit  einer  Handvoll  Erde  zu  bestreuen,  um 
ihm  dadurch  wenigstens  symbolisch  die  Ehre  des  Begräbnisses  an- 
gedeihen  zu  lassen*),  imd  die  Athener  gingen  in  der  Sorge  fiir  die 
Seelen  der  Todten  sogar  so  weit,  dass  sie  einen  ihrer  siegreichen 
Feldherren  zum  Tode  verurtheilten,  weil  er  nach  gewonnener  Schlacht, 
über  der  Verfolgung  der  Feinde,  auf  die  Beerdigung  der  Gefallenen 
vergass.  Die  Römer,  welche  die  Ausübung  der  Heilkunde  lange 
Zeit  nur  Sklavenhänden  tiberliessen,  hatten  denselben  Abscheu  vor 
unserer  Wissenschaft,  welche  sie  als  eine,  die  Menschenwürde  ent- 
heiligende Anmassung  verwarfen.  Gegen  Thierzergliederung  waren 
beide  Völker  nachsichtiger,  und  die  wenigen  Männer,  welche  die 
Geschichte  als  Anatomen  dieser  Zeit  anführt,  haben  für  die  mensch- 
liche Anatomie  nichts  gethan.  Die  Wiedergeburt  der  Wissenschaften 
im  Abendlande  äusserte  auf  das  Schicksal  der  Anatomie  sehr  wenig 
Einfluss,  und  obgleich  sie  damals  begann,  sich  äusserlich  freier  zu 
bewegen,  so  wagte  sie  es  dennoch  nicht,  an  der  Autorität  der  alten, 
auf  Thierzergliederungen  basirten  Ueberlieferungen  zu  zweifeln. 

Die  Schriften,  welche  über  diese  lange  ErstHngsperiode  der 
Wissenschaft  Zeugniss  geben  könnten,  sind  durch  die  Unbild  der 
Zeit  grösstentheils  verloren  gegangen,  und  was  sich  bis  auf  unsere 
Tage  erhielt,  hat  mehr  Werth  für  den  anatomischen  Historiker,  als 
für  den  Forscher,  der  Wahrheit  sucht.  Alcmaeon  von  Croton,  ein 
Schüler  des  Pythagoras  (500  Jahre  vor  Christus),  hat  nach  dem 
Zeugnisse  Galen's  das  erste  anatomische  Werk  geschrieben.  Ana- 
xagoras  von  Clazomene,  Lehrer  des  Socrates,  Empcdocles  von 
Agrigcnt,   und  Democritus   der  Abderite,  sollen   sich,  nach  dem 


*)  Auch  bei  den  Römern  fand  sich  diese  fromme  Sitte,  wie  eine  Stelle  bei 
Qulnctilian  (Declam.  6,  6)  beweist:  hinc  et  Ule  loenit  affecius,  quod  ignoti»  cadave- 
ribus  humum  congerimuSy  et  inaepultum  quocUibet  corpus  nuUa  festinaiio  tarn 
rapida  transatrrUj  ut  non  quantulocumque  veneretur  aggestu.  Nur  Hingorichtete 
(Üig.  XLVin.  24.  de  cadaveribus  punitorum)  und  Selbstmörder  (Worte  des  Gesetzes: 
homicida  inaepultus  ahjicicUur)  durften  nicht  begraben  werden.  In  späteren  Zeiten 
wurde  das  Gesetz  auf  Selbstmörder  aus  Lebensübcrdruss  nicht  mehr  angewendet: 
abjieiantury  qui  manus  sifji  intulerunt,  non  taedio  vitaej  sedmeUa  eonscientia.  Galen 
selbst  gesteht,  dass  er  seine  ersten  ostcologischcn  Studien  an  den  von  der  Sonne 
gebleichten,  oder  von  der  Tiber  ausgespülten  unbeerdigten  Knochen  solcher  Unglück- 
lichen machte. 

Hyrtl,  L«lirbach  der  Anatomie.  3 


34  S'  ^^'  Krste  Periode  der  Uegehichi(>  der  Auatonie. 

Texte  Plutarch's  und  Chalcidius*,  mit  Zergliederungen,  letzterer  be- 
sonders mit  vergleichender  Anatomie  beschäftigt  haben,  wofür  ihn 
seine  Mitbtlrger,  die  solchem  Streben  keine  Anerkennung  zollten, 
für  irrsinnig  hielten,  und  ihm  nicht  erlaubten,  in  ihrer  Mitte  zu 
wohnen.  Ob  Hippocrates,  den  die  Geschichte  den  divus  pater 
medicinae  nennt,  sich  mit  der  Anatomie  befreundet  habe,  ist  aus 
seinen  als  echt  anerkannten  Schriften  nicht  zu  entnehmen.  Die 
ihm  zugeschriebenen  Bücher:  de  ossium  natura^  de  glandulis,  de 
camihua^  de  natura  ptierij  etc.  stammen  unzweifelhaft  von  späteren 
Autoren  ab.  Ein  gltlcklicher  und  verständiger  Beobachter  von 
Krankheitserscheinungen,  verfiel  er,  so  oft  er  auf  das  anatomische 
Gebiet  abstreifte,  in  grobe  Fehler.  Nur  mit  den  Knochen  scheint 
er  näher  bekannt.  Nerven  imd  Sehnen  wusste  er  nicht  zu  unter- 
scheiden. Beide  führen  bei  ihm  den  Namen:  veupoc,  und  Arterien 
und  Venen  verwechselte  er  unter  der  gemeinschaftlichen  Benennung: 
(pXdße;.  In  der  Priesterschule  der  Asclepiaden,  deren  Grtlnder  Aescu- 
lap  mit  göttlichen  Ehren  gefeiert  wurde,  und  aus  welcher  auch 
Hippocrates  hervorging,  sollen  sich  Traditionen  anatomischer  Kennt- 
nisse vererbt  haben  (Galen). 

Aristoteles,  ein  Schüler  Plato's,  Lehrer  und  Freund  Alexan- 
der's  des  Grossen,  hat  in  seiner  Historia  ammalium,  dem  ehrwür- 
digen Fundamentalwerke  der  Naturgeschichte,  so  zahlreiche  und 
mit  so  musterhafter  Genauigkeit  ausgearbeitete  Daten  über  die 
Anatomie  der  Thiere  niedergelegt,  dass  mehrere  derselben  selbst 
die  Bewunderung  der  Neuzeit  noch  verdienen.  (Cuvier  erklärte 
die  Anatomie  des  Elephanten  bei  Aristoteles  für  besser,  als  jene, 
welche  der  Akademiker  d'Aaubenton  schrieb.)  Menschliche  Ana- 
tomie ist  ihm,  aller  Wahrscheinhchkeit  nach,  fremd  geblieben  (Le 
Clerc).  In  einem  Zeitalter  lebend,  wo  siegreiche  Kriege  dem  grie- 
chischen Heldenvolke  in  Asien  einen  unbekannten  Welttheil  eröflP- 
neten,  und  wo  die  Liberalität  seines  königlichen  Beschützers  ihn 
in  den  Besitz  der  grössten  Schätze  des  Thier-  und  Pflanzenreiches 
einer  neuen  Schöpfung  versetzte,  wurde  er,  dem  keine  Vorarbeiten 
zu  Gebote  standen,  der  Gründer  der  zoologischen  Systematik.  Die 
Anatomie  verdankt  ihm  die  scharfe  Trennung  der  Nerven  (zfpoi) 
von  den  Sehnen  (veupa),  und  die  Entfaltung  des  Gefasssystems  aus 
ehiem  Hauptstamme,  welchen  er  zuerst  aop-nj  nannte. 

Nach  Alexanders  Tode  zerfiel  sein  Riesenreich  in  kleinere 
Throne,  welche  dem  blutigen  Handwerk  der  Waffen  entsagten,  und 
friedliche,  menschenbeglückende  Kunst  und  Wissenschaft  in  ihren 
mächtigen  Schutz  nahmen.  So  entstand  zu  Alexandria  (320  Jahre 
vor  Christus),  die  von  Ptolomäus  I.  gestiftete  medicinische  Schule, 
welche  durch  Jahrhunderte  blühte. 


§.  14.  Erste  Periode  der  Geschichte  di*r  Anatomie.'^  35 

In  ihr  scheint  die  menschliche  Anatomie  ihr  erstes  Asyl  gefunden 
zu  haben;  wenigstens  bildeten  sich  in  dieser  Schule  Männer,  welche, 
wie  Herophilus,  Eudemus  und  Erasistratus,  ihr  Leben  dieser 
Wissenschaft  widmeten.  Leider  sind  ihre  Schriften  nicht  auf  uns 
gekommen^  und  nur  Einiges  über  ihre  Leistungen  in  Celsus,  Galen, 
imd  Bufus  Ephesius  erwähnt.  Ein  griechischer  Arzt,  Herophilus, 
(der  bei  dem  König  von  Syrien  Seleucus  hoch  in  Ehren  stand,  da 
er  aus  dem  Pulse  des  kranken  Königssohnes  erkannte,  dass  der- 
selbe in  seine  Stiefinutter  verliebt  sei),  und  sein  College,  Erasi- 
stratus, sollen  selbst  lebende  Verbrecher  mit  allerhöchster  Ge- 
nehmigung geöfinet  haben:  nocentes  homines  a  reffibus  ex  carcere 
accqptos  vivo 8  inciderunt,  considei^aruntque  etiam  sptritu  remanente  eo, 
quae  antea  clausa  fuere  (Celsus,  de  medicina  in  prooemio).  Wenig- 
stens ist  es  ausgemacht,  dass  sie  die  Chylusgefässe  des  mensch- 
lichen Darmkanals,  welche  nur  kurz  nach  aufgenommener  Nahrung 
von  Milchsaft  strotzen,  und  dadurch  sichtbar  werden,  gekannt  haben, 
was  selbst  der  spätere  Entdecker  derselben,  Caspar  Aselli,  zu- 
giebt.  Im  Galenus,  de  usu  partium,  Id).  IV.,  findet  sich  hierüber 
folgende  merkwürdige  Stelle :  Toti  meseiiterio  natura  vertan  effecit 
proprias  y  intestinis  nutriendis  dicatas ,  haudquaquam  ad  hepar  traji- 
ciente^.  Verum,  ui  et  Herophilus  dicebat,  in  glandulosa  quaedam  Cor- 
pora desinunt  hae  venaej  cum  ceterae  omnes  sursum  ad  portas  ferantur. 
—  Herophilus  machte  zahlreiche  Entdeckungen  in  der  Detail- 
anatomie,  welche  heut  zu  Tage  noch  seinen  Namen  führen.  Die 
Plexus  choroidei  des  Gehirns,  das  Torcular  Herophilij  der  Calamus 
scriptoriuSf  da«  Duodenum  wurden  von  ihm  zuerst  erwähnt.  Erasi- 
stratus genoss  durch  seine  vielseitigen  Beobachtungen  eines  gleich- 
berechtigten Buhmes.  Er  schied  die  Bewegungs-  von  den  Empfin- 
dungsnerven, entdeckte  die  Valvulae  tricuspidales  und  semilunares 
des  Herzens,  rügte  zuerst  das  Unrichtige  der  Ansicht,  dass  die 
Getränke  durch  die  Luftröhre  passiren,  und  gebrauchte  für  die 
Organensubstanz  das  noch  heute  übliche  Wort:  Parenchyma. 

Claudius  Galenus  (geb.  131  nach  Christus),  Arzt  an  der 
Fechterschule  zu  Pergamus,  studirte  zu  Alexandria,  wohin  er,  wie 
er  selbst  angibt,  reiste,  um  ein  vollkommenes  menschliches  Skelet 
zu  sehen.  Er  übte  die  Heilkunde  zu  Rom,  unter  den  Imperatoren 
Marcus  Aurelius  und  Commodus,  wo  er  auch  als  Lehrer  eine  grosse 
Zahl  von  Schülern  um  sich  versammelte,  und  dieselben  an  einem, 
von  dem  welterobemden  Volke  wenig  besuchten,  und  deshalb  ruhi- 
gen Orte  —  im  Tempel  der  Friedensgöttin  —  in  der  Anatomie 
imterrichtet  haben  soll.  Seine  Schriften  sind  die  Hauptquelle,  aus 
welcher  wir  den  Zustand  der  Anatomie  vor  Galen  kennen  lernen. 
Ob  er  je  menschliche  Leichname  zergliederte,  wird  mit  Recht  ver- 

3* 


36  8*  1^  Ertte  P«iiode  d«r  Geseliidite  An  Anatooil«. 

neint.  Seine  Beschreibungen  passen  nur  selten  auf  die  menschlichen 
Organe,  obwohl  er  sie  selbst  als  denselben  entlehnt  angibt  Er 
scheint  sich  aber  ausschliesslich  der  Affen  und  Hunde  bei  seinen 
Zergliederungen  bedient  zu  haben.  So  ist  z.  B.  seine  Angabe  über 
das  Herabreichen  des  hinteren  Musculus  scalenus  bis  zur  6.  Rippe 
dem  Hunde,  und  jene  über  den  Ursprung  des  Rectus  ahdominis  vom 
oberen  Ende  des  Brustblattes  den  Affen  entnommen.  Die  wenig- 
sten seiner  Beschreibungen  lassen  sich  auf  den  Menschen  beziehen, 
denn  sein  Zeitalter,  welches  Tausende  von  Unglücklichen  den  bru- 
talen Launen  des  römischen  Pöbels  imd  seiner  verderbten  Impera- 
toren opferte,  sie  selbst  den  wilden  Thieren  vorwarf,  wollte  der 
Anatomie  nicht  Eine  Leiche  gönnen.  Ein  Mann  von  staunens- 
wertlier  Gelehrsamkeit,  voll  Talent  und  Geist,  errang  er  sich  durch 
seine  Schriften,  welche  durch  vierzehn  Jahrhunderte  als  Codex  der 
anatomischen  und  heilkundigen  Wissenschaft  galten,  den  lange  Zeit 
imangetasteten  Ruhm  der  ersten  und  höchsten  medicinischen  Au- 
torität, und  es  hat  vieler  Kämpfe  bedurft,  um  am  Beginne  der 
zweiten  Periode  unserer  Geschichte  sein  Ansehen  fallen  zu  machen. 
Man  ging  in  der  blinden  und  zur  Servilität  herabgesunkenen  Ver- 
ehrung dieses  Mannes  selbst  so  weit,  dass,  als  der  grosse  Refor- 
mator der  Anatomie,  Vesal,  durch  seine  Zergliederungen  die  Lr- 
thümer  Galen's  darlegte,  man  geneigter  schien,  eine  Aenderung 
im  Baue  des  Menschen  anzunehmen,  als  den  grossen  Altmeister 
eines  Fehlers  zu  zeihen.  Was  seine  anatomischen  Schriften  auch 
in  unseren  Tagen  lesenswerth  macht,  sind  die  schönen  Reflexionen, 
die  den  anatomischen  Beschreibungen  hin  und  wieder  eingefloch- 
ten sind.  Er  war  zugleich  einer  der  schreibseligsten  Aerzte.  Man 
schätzt  die  Zahl  seiner  Werke  auf  400!  Sie  behandelten  ausser 
Medicin,  auch  philosophische,  grammatische,  mathematische,  selbst 
juridische  Argumente.  In  den  stürmischen  Zeiten,  die  auf  den  Ver- 
fall des  römischen  Reiches  folgten,  und  in  welchen  die  Anatomie, 
wie  alle  Kunst  und  Wissenschaft,  kein  Lebenszeichen  von  sich  gab, 
waren  die  medicinischen  Werke  Galen's  das  einzige  Testament  der 
Arzneikunde,  welchem  alle  Völker  des  Abendlandes  Glauben  zu- 
schwuren, und  sich,  wie  die  Araber  (Rhazes,  Averroös,  Avi- 
cenna)  und  die  Barbaro-Latini ,  in  Commentaren  und  Uebersetzun- 
gen  desselben  erschöpften.  Leichen  konnten  und  durften  in  jener 
Zeit  nicht  zergliedert  werden.  Nach  einer  Stelle  im  Cassiodorus, 
Benedictinermönch  imd  Arzt  im  7.  Jahrhunderte,  wurden,  um  die 
Entweihung  der  Gräber,  und  die  wahrscheinUch  bisher  öfters  heim- 
lich vorgenommene  Exhumation  der  Leichen  (ob  gerade  zu  anato- 
mischen Zwecken?)  zu  verhindern,  auf  den  christlichen  Kirchhöfen 
Grabhüter   aufgestellt,    und   das   Salische   Gesetz   untersagte  jeden 


§.  14.   Ente  Periode  der  Geschichte  der  Anatomie.  37 

Umgang  mit  einem  Menschen  ^  welcher  sich  des  Verbrechens  des 
Leichenraubes  schuldig  gemacht  hätte. 

Durch  Luigi  Mondini  (Mundinus),  Professor  zu  Bologna 
(Ort  und  Jahr  seiner  Geburt  unbekannt,  gestorben  1326),  feierte  die 
Anatomie  ihre  Wiedergeburt  zu  Anfang  des  vierzehnten  Jahrhun- 
derts. Er  wagte  es,  nach  so  langem  Verfalle  der  Anatomie,  wieder 
Hand  an  die  menschliche  Leiche  zu  legen,  und  zergliederte  zwei 
weibliche  Körper.  Von  welcher  Art  diese  neu  erstandene  Anatomie 
gewesen  sein  mag,  ersehe  ich  aus  folgendem  Cerevis-Latein  des 
Guido  Cauliacus  (Guy  de  Chauliac,  Capellan  und  Leibarzt  Papst 
Urban's  V.):  Magistet'  meus,  BertucciuSy  fecit  anatomiam  per  kunc 
modum.  Sitivato  corpore  in  bancOj  faciehat  de  ipso  quatuor  lectiones. 
In  prima  tractabantur  niemhra  nutritiva^  quia  citius  putrehilia^  —  in 
secunda  membra  spiritalia,  —  in  tertia  memh^a  animataj  —  in  qnart-a  ex- 
tremitates  tractabantur,  —  Mundinus  schrieb  ein  anatomisches  Werk, 
welches  bald  imter  dem  Titel  Anatomia  Mundini,  bald  Anatome  om- 
nium  humani  corp.  inteiHorum  membrorum,  viele  Auflagen  erlebte,  und, 
obwohl  es  gar  nichts  Neues  enthielt,  durch  zwei  Jahrhunderte  in 
grossem  Ansehen  stand.  Wir  erfahren  aus  Jac.  Douglas  (Biblio- 
graphia  anat.  pag.  36),  dass  zu  Padua,  der  berühmtesten  aller  da- 
maligen Universitäten  (gloria  in  praeteintis) ,  die  Statuta  academica 
ausdrücklich  befahlen:  ut  anatomici  Patavini  explicationem  textunlem 
ipsius  Mundini  sequantur.  Er  copirte  häufig  den  Galen,  und  mit- 
unter die  Araber,  wie  die  beibehaltenen  arabischen  Worte  Myrach 
(Unterleib),  Syphac  (Bauchfell)  etc.  beweisen.  —  Leider  wurde  die 
durch  ihn  in  ein  neues  Dasein  gerufene  Anatomie  des  Menschen, 
sehr  bald  durch  die  berühmte  Bulle  Bonifaz  VIII.  (anno  1300)  ge- 
fährdet, welche  den  Kirchenbann  über  alle  Jene  aussprach,  die  es 
wagten,  einen  Menschen  zu  zergliedern,  oder  seine  Gebeine  auszu- 
kochen. Die  Beschäftigung  der  damaligen  Mönche,  besonders  der 
Benedictiner ,  mit  der  Heilkunde,  und  die  nicht  ungegründete  Be- 
fürchtung, dass  sie  dadurch,  wie  die  weltlichen  Doctoren,  dem  Beten 
und  Fasten  abgeneigt  werden  dtlrften,  scheint  diese  Strenge  der 
Kirche  gegen  unsere  Wissenschaft  veranlasst  zu  haben.  Mundin 
selbst  gesteht:  j^Ossa  autem  alia,  quae  sunt  infra  basilare,  non  bene 
ad  sensum  apparent,  nisi  ossa  illa  decoquantur,  sed  propter  2^^<^<^<^' 
tum  dimittere  consuevi.^  Und  doch  konnten  Andere  die  schöne 
Sünde  nicht  lassen,  durch  die  Zergliederung  von  Gottes  Ebenbild, 
mehr  von  des  Schöpfers  Herrlichkeit  inne  zu  werden,  als  die  Himmel 
uns  davon  erzählen.  Ich  glaube  und  bekenne,  dass,  was  der  Mensch 
wissen  kann,  er  auch  wissen  darf. 

Alexander  Benedetti,  (welcher  als  Prof.  der  Anatomie  zu 
Padua  1490  das  erste  anatomische  Amphitheater  baate)^  Matthaeus 


38  S'  l^>  Zweite  Periode  der  Oeschichte  der  Anatomie. 

de  Gradibus,  ein  Abkömmling  der  Grafen  von  Ferrara  (gest. 
1480),  der  Venetianer  Marcantonio  della  Torre,  Magnus 
Hundt,  Guintherus  Andernacensis  (Leibarzt  König  Franz  L 
von  Frankreich),  Gabriel  de  Zerbis  (seines  tragischen  Endes 
wegen  bekannt,  indem  er  von  den  Türken  zwischen  zwei  Brettern 
eingeklemmt  und  in  der  Mitte  auseinander  gesägt  worden  sein  soll, 
1505),  Alexander  Achillinus  (Professor  zu  Bologna,  f  1512), 
Berengarius  Carpensis  (Professor  zu  Pavia,  f  1525),  waren 
mehr  weniger  treue  Anhänger  des  Altherkömmlichen.  Jac.  Sylvius 
(geb.  1417),  Professor  der  Anatomie  zu  Paris,  trat  bei  alF  seiner 
unbedingten  Verehrung  für  Galen,  dennoch  in  Einzelheiten  etwas 
selbstständiger  als  seine  Vorgänger  auf,  änderte  und  berichtigte  theil- 
weise  die  anatomische  Nomenclatur,  vervollständigte  die  Anatomie 
der  Muskeln  und  Gefässe,  und  hat  noch  überdies  das  Verdienst, 
seine  Schüler  (damals  studirten  Graubärte)  auch  zur  praktischen 
Zergliederung  der  Leichen  angehalten  zu  haben,  während  an  den 
übrigen  Universitäten  man  sich  blos  mit  dem  Zusehen  begnügen 
musste.  Der  erste  unter  christlichen  Anatomen,  verewigte  er  seinen 
Kamen  in  der  Fossa  SylviL  Seine  Isagoge  anatomica  nennt  Douglas: 
aolertis  ingenii  j^oetura  incomparabüis.  Die  Idee,  die  Blutgefässe  mit 
eingespritzten  Flüssigkeiten  zu  füllen,  ging  von  ihm  aus.  Auf  seinem 
Grabsteine  zu  Paris  steht  Folgendes  zum  ewigen  Gedächtniss  seines 
—  Geizes: 

Sylvius  hie  Situs  est,  gratis  qui  nil  dedit  unqaam, 
Et,  quod  Tu  gratis  haec  legis,  ipse  dolet 

In  Wien  wurde  die  erste  anatomische  Zergliedemng  im  Jahre  1404  von 
Mag.  Galeatus  de  St  Sophia  aus  Padna  vorgenommen.  Sie  dauerte  8  Tage ; 
und  im  Jahre  1433  wurde  ein  sicherer  Magister  Aygl  allda  zum  Lehrer  der  Ana- 
tomie erwählt  Weibliche  Leichname  wurden  erst  1462  zugelassen.  Als  Curio- 
sum  mag  erwähnt  werden,  dass  anno  1440  ein  mit  dem  Strang  gerichteter  Dieb 
bei  den  Vorbereitungen  zur  Section  wieder  lebendig  wurde,  ein  Fall,  der  sich 
1492  wiederholte,  weshalb  die  hochnothpeinliche  Justiz  die  Verabfolgung  der 
Leicl^n  von  Missethätem  an  die  Schule,  bis  auf  Weiteres  einzustellen  ftlr  g^t 
befand.  — 


§.  15.  Zweite  Periode  der  GrescMclite  der  Anatomie. 

Die  zweite  Periode  unserer  Wissenschaft  beginnt  im  16.  Jahr- 
hundert mit  dem  berühmten  anatomischen  Triumvirat  des  Vesalius, 
Eustachius,  und  Fallopia. 

In  jener  folgenreichen  Zeit,  in  welcher  der  menschliche  Geist 
die  Fesseln  einer  geistlosen  Scholastik  zerbrach,  erwachte  auch  mit 


§.  15.  Zweite  Periode  der  Geschichte  der  Anatomie.  39 

Macht  das  Bewusstsein  der  Nothwendigkeit  anatomischer  Studien, 
und  hielt  gegen  Bann  und  Verfolgung  siegreichen  Stand.  Die 
Wissbegierde  warf  sich  mit  dem  Feuereifer  des  Enthusiasmus  auf 
das  noch  brachliegende  Feld  der  Anatomie.  Lehrkanzeln  erhoben 
sich  in  den  bedeutendsten  Städten  Italiens,  Frankreichs  und  Deutsch- 
lands, imd  ein  edler  Wetteifer  spornte  die  Bekenner  der  Wissen- 
schaft zu  nimmer  rastender  Thätigkeit  an.  In  den  speculativen 
Wissenschaften,  in  Kirnst  und  Poesie,  kann  das  Gem'e  seine  Zeit 
überflügeln,  —  in  der  Erfahrungs^vis8enschaft  bringt  der  ruhige  Fleiss 
der  Zeit,  was  der  Gedankenflug  nicht  in  Eile  erreichen  kann.  Diese 
Zeit  war  nun  ftir  die  Anatomie  gekommen,  und  der  grosse  Mann, 
der  sie  brachte,  war  Andreas  Vesalius,  der  Reformator  der 
Anatomie.  Seine  Feinde,  kathoUschen  Glaubens,  nannten  ihn  den 
Luther  der  Anatomie.  Er  war  1514  zu  Brüssel  geboren.  Seine 
Familie  stammte  aus  deutschem  Gau,  aus  Wesel  im  Hcrzogthume 
Cleve,  —  daher  der  Name  Vesalius.  Eine  durchgreifende  Um- 
staltung  unserer  Wissenschaft  ging  von  dem  Riesengeiste  dieses 
Mannes  aus.  Er  studirte  zu  Löwen,  imd  musste,  vieler  Verfol- 
gungen wegen,  die  ihm  sein  Eifer  für  die  Anatomie  zuzog  (indem 
er,  nach  seinem  eigenen  Geständnisse,  die  Kirchhöfe  plünderte,  und 
die  Leichname  der  Verbrecher  von  Galgen  und  Rad  entwendete), 
sein  Vaterland  verlassen.  In  Paris,  unter  dem  damals  gefeierten 
Lehrer  der  Anatomie,  Jac.  Sylvius,  widmete  er  sich  seinem  Berufe 
mit  ganzer  Seele.  Seine  grosse  Gewandtheit  im  Bestimmen  der 
Knochen  mit  verbimdenen  Augen,  besonders  der  Hand-  und  Fuss- 
wurzelknochen,  ob  sie  rechte  oder  linke  seien,  was  selbst  seinem 
Lehrer  oft  misslang,  und  seine  Belesenheit  in  den  alten  anatomischen 
Schriften,  verschaffte  ihm  schon  als  sehr  jungem  Manne  einen  ent- 
sprechenden Grad  von  Berühmtheit,  zugleich  aber  auch  die  grimmige 
Feindschaft  seines  Lehrers,  dessen  Hörsaal  sich  nimmer  füllen  wollte, 
seit  Vesal  auch  zu  lehren  begann.  Er  bereiste  hierauf  Italien,  und 
erregte  durch  seine  in  Pisa,  Bologna,  und  anderen  Universitäten 
gehaltenen  anatomischen  Demonstrationen  die  Aufmerksamkeit  seiner 
Zeitgenossen  in  so  hohem  Grade,  dass  die  Republik  Venedig  ihn  in 
seinem  dreiundzwanzigsten  Lebensjahre  als  Professor  anatomiae  nach 
Padua  berief.  Barbam  alere,  non  facit  philosophum !  —  In  seinem 
neunundzwanzigsten  Lebensjahre  gab  er  sein  grosses  Werk:  De 
corporis  humani  fabrica  libri  Septem,  Basil.  1543,  heraus.  Es  war  ein 
opus  cedro  dignum^  zu  welchem  nicht,  wie  Blumenbach  meinte,  Titian, 
sondern  dessen  Schiller,  Johann  Stephanus  von  Kaikar,  die 
Zeichnungen  lieferte.  Vesal  wurde  später  Leibarzt  Kaiser  CarFs  V- 
und  seines  Nachfolgers  Philipp's  IL,  und  starb,  seines  Glückes 
und  Rahmes  wegen  von  seinen  Zeitgenossen  auf  das  Unwürdigste 


40  §•  l^>    Zweite  Perlode  der  Oeechiehie  der  Anfttomie. 

verkannt  und  gekränkt,  nachdem  er  seine  HandBchriften  verbrannt 
und  sein  Amt  niedergelegt,  in  seinem  Ainfzigsten  Jahre,  auf  der 
Rückkehr  von  einer  Pilgerfahrt  nach  Jerusalem,  die  er  zur  Sühne 
des  Verbrechens,  Anatom  gewesen  zu  sein,  unternehmen  musste, 
schiflTbrüchig  an  den  Küsten  der  Insel  Zante,  wo  sein  Leichnam  von 
einem  Goldschmied  erkannt,  und  in  der  Capelle  der  heiligen  Jung- 
frau, mit  der  einfachen  Grabschrift  beigesetzt  wurde: 

Andrecie  Vesalii  Bruxellensü  tiimubis. 

Dieser  Grabstein  lügt  wenigstens  nicht, 

£s  ist  gänzlich  unrichtig,  wenn  es  in  anatomischen  Geschichts- 
werken heisst,  dass  Vesal  deshalb  in  Ungnade  fiel,  und  zu  einer  Pilger- 
fahrt nach  dem  heiligen  Lande  verurtheilt  wurde,  weil  er  in  Madrid 
den  Leichnam  einer  hohen  Dame  secirte,  deren  Herz  noch  geschlagen 
haben  soll.  Nur  die  Cabale  seiner  Feinde  konnte  solche  Lügen  er- 
sinnen, und  nur  die  Scheu  vor  anatomischen  Studien  an  einem  Hofe 
und  bei  einem  Volke,  wie  des  damaligen  Spaniens,  in  welchem  zwar 
die  Sonne  nicht  unterging,  aber  das  Himmelslicht  der  Wissenschaft 
und  der  Aufklärung  auch  nicht  aufgehen  wollte,  konnte  sie  glaub- 
würdig finden.  Wahr  aber  ist  es,  dass  Vesal's  grosses  anatomisches 
Werk  auf  Befehl  Kaiser  CarFs  V.  der  Inquisitionscensur  vorgelegt, 
und  die  theologische  Facultät  zu  Salamanca  befragt  wurde,  ob  es 
katholischen  Christen  zu  gestatten  sei,  Leichen  zu  zergliedern.  Die 
Antwort  fiel  glücklicher  Weise  bejahend  aus  (1556).  —  Vesal  war 
der  erste  anatomische  Denker.  Er  wusste  den  Zauber  zu  lösen, 
welchen  das  blind  verehrte  Ansehen  Galen's  auf  die  Medicin  und 
ihre  Schwesterwissenschaften  ausübte.  Er  widerlegte  die  Irrthümer 
des  grossen  römischen  Anatonjen,  und  bewies,  wie  die  Galen'schen 
Lehren  die  Anatomie  der  Affen  und  Hunde,  aber  nicht  jene  des 
Menschen  behandelten.  Denken  war  damals  gefährlich,  und  jene  Art 
illegitimen  Verstandes,  welche  Aufklärung  heisst,  wurde  selbst  in  der 
Wissenschaft  gehasst,  und  möglichst  unschädlich  gemacht.  Mancher 
musste  es  mit  dem  Leben  bezahlen,  mehr  Verstand  gehabt  zu  haben 
als  Andere.  Kein  Wunder  also,  wenn  das  Genie  dieses  Mannes  sich 
den  wüthenden  Hass  seiner  Zeitgenossen  zuzog,  der  sich  zuweilen 
auch  auf  lächerliche  Weise  kund  gab,  wie  z.  B.  der  erwähnte  Syl- 
vius  unseren  Vesal  in  einer  Streitschrift  absichtlich  Vesanus,  statt 
Ve salin s  nannte.  Die  Wissenschaft  verdankt  dem  deutschen  Restau- 
rator der  Anatomie  den  ersten  Antrieb  zur  Bewegung  des  Fort- 
schrittes, welche,  einmal  begonnen,  unaufhaltsam  dem  besseren  Ziele 
zueilte.  Im  Palazzo  Pitti  zu -Florenz  sah  ich  das  Porträt  dieses  merk- 
würdigen Mannes,  über  dessen  Leben  Prof.  Burggraeve  historische 
Notizen  herausgab  {Etudes  sur  Andri  Vesal,  Gand,  1841). 


S.  15.    Zireite  Periode  der  Geschichte  der  Anfttomie.  41 

Gabriel  Fallopia,  ein  modenesischer  Edelmann  (geb.  1523, 
gest.  1562),  Schüler  des  Vesal,  wirkte  im  Geiste  seines  Lehrers, 
den  er  an  Correetheit  noch  übertraf,  und  erwarb  sich  durch  seine 
an  den  wichtigsten  Entdeckungen  reichen  Observationes  anatümicaej 
Venet.  1561,  den  Ruf  eines  grossen  und  genauen  Zergliederers,  den 
er  leider  dadurch  befleckte,  dass  er  zu  Pisa  zum  Tode  verurtheilte 
Verbrecher  zur  Vornahme  seiner  Versuche  über  die  Wirkungsart 
der  Gifte  auswählte,  wie  er  selbst  gesteht :  dux  enim  corpora  justi- 
tiae  tradenda  anatomicis  exkibebaty  ut  mai'te,  qua  ipsis  videbcUur,  inter- 
ficerentur  {de  compos.  medicam.  cap.  8),  und  wenn  heute  die  peinliche 
Justiz  die  Missethäter  als  Schlachtopfer  an  die  experimentirenden 
Physiologen  ausböte,  würden  sich  ohne  Zweifel  moderne  Fallopia's 
finden.  Auch  die  Wissenschaft  hat  ihre  Fanatiker. 

Bartholomäus  Eustachius  (sein  Geburtsjahr  ist  nicht  be- 
kannt, sein  Tod  fällt  auf  1574),  ein  eifriger  und  gelehrter  Gegner 
des  Vesal,  wie  seine  Opuscula  anatomica,  Venet  1564,  beweisen. 
Seine  Tabulae  anatomicaey  über  deren  Verfertigung  er  starb,  wurden 
durch  150  Jahre  für  verloren  gehalten,  bis  die  Kupferplatten  zu 
Rom  aufgefunden,  und  durch  Papst  Clemens  XI.  seinem  Leibarzte 
J.  Mar.  Lancisius  geschenkt  wurden,  welcher,  selbst  Anatom,  sie 
im  Jahre  1714  herausgab,  und  den  Text  dazu  schrieb.  Sie  sind  so 
vollständig,  dass  der  grosse  Alb  in  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts noch  nach  ihnen  lehrte. 

Es  ist  nun  ganz  natürlich,  dass  in  jener  Zeit,  wo  die  zu  einem 
neuen  Leben  erwachte  Wissenschaft  einer  genaueren  und  sorgsameren 
Pflege  gewürdigt  wurde,  die  grossen  Entdeckungen  an  der  Tages- 
ordnung waren,  und  wer  immer  sich  etwas  mehr  mit  der  Anatomie 
einliess,  sicher  sein  konnte,  seinen  Namen  durch  irgend  einen  Fund 
zu  verewigen.  Die  italienische  Schule  rühmt  sich  mit  Recht  einer 
grossen  Anzahl  von  Männern,  deren  jeder  sein  Schärflein  zum 
schnellen  Aufblühen  unserer  Wissenschaft  beitrug.  Dass  sie  nur 
das  rohe  Material  sichteten,  und  von  subtileren  Untersuchungen  noch 
nichts  wissen  konnten,  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  und  in  der  Art 
des  Fortschrittes  jedes  menschlichen  Wissens.  Eustachius  war 
übrigens  der  Erste,  welcher  sich  nicht  blos  mit  der  anatomischen 
Formenlehre  begnügte,  sondern  auch  den  inneren  Bau  der  Organe 
aufzudecken  anstrebte.  Die  Geschichte  erwähnt  noch  folgende  be- 
deutende Namen  aus  dieser  Zeit:  Fabricius  ab  Aquapendente, 
Prof.  zu  Padua,  wo  das  gegenwärtig  noch  existirende,  höchst  origi- 
nelle anatomische  Theater,  von  ihm  gegründet  wurde  (1537  bis 
1619),  —  Const.  Varoli,  Prof.  zu  Bologna  (1543—1575),  und 
dessen  Nachfolger  J.  Caes.  Aranti  (starb  1589),  —  Volcherus 
Coyter,    Stadtphysicus   zu   Nürnberg   (1534 — 1600),   —   Caspar 


42  §•  15.   Zweite  Periode  der  Geschichte  der  Aafttomie. 

Bauhin,  Prof.  der  Anatomie  und  Botanik  zu  Basel  (1560—1624), 
Sohn  eines  aus  Frankreich  vertriebenen  protestantischen  Arztes, 
welcher  schon  in  seinem  17.  Lebensjahre  das  seltene  Glück  genoss, 
Leibarzt  einer  Königin  zu  sein,  — und  Julius  Casserius,  Prof. 
zu  Padua  (wahrscheinlich  1545 — 1605).  Letzterer  hinterliess  eine 
Sammlung  von  78  anat.  Tafeln,  welche  ein  deutscher  Arzt,  Daniel 
Rindfleisch,  gelehrter  Weise  Bucretius  genannt,  an  sich  kaufte, 
und  zugleich  mit  Adriani  Spigelii,  de  corp,  hum.  fahrica  libins 
decem,  zu  Venedig  1627  auflegen  liess.  Es  darf  nicht  unberührt 
bleiben,  dass  die  grossen  Anatomen  dieser  Zeit  zugleich  die  aus- 
gezeichnetsten Aerzte  und  Wundärzte,  und  die  gefeiertsten  Lehrer 
der  Medicin  waren.  Der  Glanz  ihres  Namens  rief  sie  an  fürstliche 
Höfe,  und  strahlte  auf  die  Wissenschaft  zurück,  welcher  sie  ihn 
verdankten.  Nicht  lange  lächelte  den  Anatomen  die  Gunst  der 
Herrscher.  Sterndeuter  und  Goldmacher  nahmen  bald  ihre  Stelle  ein, 
und  behaupteten  sie  bis  zu  Anfang  der  neueren  Zeit.  Und  würde 
Jemand  in  unseren  Tagen  von  dem  grossen  Arcanum  wieder  reden 
machen,  er  wäre  ihnen  allen  ein  wichtigerer  Mann,  als  der  Entdecker 
der  menschlichen  Stcissdrüse. 

Das  magnum  inventum  des  Kreislaufs  bedingt  einen  neuen  Ab- 
schnitt dieser  Periode.  Nach  mehreren  Vorarbeiten  zur  Begründung 
einer  richtigen  Ansicht  von  der  Circulation  des  Blutes,  welche  von 
Realdus  Columbus  (Prosector  und  Nachfolger  des  Vesal),  Fabri- 
cius  ab  Aquapendente,  (welcher  zuerst  bemerkte,  dass  die  Klap- 
pen der  Venen  der  centrifugalen  Bewegung  des  Blutes  im  Wege 
stehen),  Andreas  Caesalpinus  (ein  sehr  gelehrter  Mann,  von 
seinen  Zeitgenossen  ,jpapa  philosopJiorum^^  genannt),  und  Michael 
Servetus  (Mönch  des  Servitenordcns,  1553  auf  Calvin's  Anstiften 
zu  Genf  als  Ketzer  verbrannt)  vorgenommen  wurden,  gelang  es  dem 
Engländer  William  Harvey  (1578  zu  Folkston  geboren,  starb 
1657),  der  während  seines  Aufenthaltes  in  Italien,  wo  er  zu  Padua 
promovirte,  von  diesen  Vorarbeiten  Kenntniss  erhielt,  die  neue  Lehre 
der  Circulation,  welche  anfangs  den  Aerzten  sehr  ungelegen  kam, 
mit  wissenschaftlicher  Schärfe  zu  begründen.  Jeder  Entdecker  neuer 
Wahrheiten  gilt  anfangs  für  einen  Ruhestörer,  da  er  die  Welt  aus 
der  Behaglichkeit  gewohnter  Ideen  aufrüttelt.  Harvey  erftdir  dies 
nur  zu  bald.  Er  wurde  von  seinen  Zeitgenossen,  welche  ihm  selbst 
zum  Spotte  den  Beinamen  Circulator  (Marktschreier)  gaben,  so  sehr 
angefeindet  (malo  cum  Galeno  errare,  quam  Harveji  veritatem  amplecti), 
dass  sein  Ruf  als  Arzt,  wie  er  sich  selbst  in  einem  Briefe  an  einen 
seiner  Freunde  beschwert,  zu  sinken  begann.  Wenn  ein  voller  Wagen 
kommt,  sagt  Lichtenberg,  bekommen  viele  Karrenschieber  zu  thun! 
Harvey  hatte  es  nun  zwar  mit  sehr  vielen  Karrenschiebem  zu  thun, 


§.  15.   Zireite  Periode  der  Oeschichte  der  Anatomie.  43 

allein  zuletzt  genoss  er  dennoch  die  wohlverdiente  Genugthuung, 
seine  Entdeckung  triumphiren,  und  seine  Widersacher  verstummen 
zu  sehen*). 

Fast  gleichzeitig  mit  Harvey  entdeckte  1622  Caspar  Aselli, 
Prof.  zu  Pavia,  an  einem  Hunde  die  Chylusgefässe  des  Gekröses. 
Nach  den  damals  herrschenden  Ansichten  tlber  die  blutbereitende 
Thätigkeit  der  Leber,  Hess  Aselli  seine  Vdsa  lactea  zur  Leber  gehen. 
Erst  sechs  Jahre  später  wurden  die  Chylusgefässe  auch  im  mensch- 
lichen Gekröse  von  La  Peiresc,  Senator  in  Aix,  welcher  durch 
Gassendi  von  AseUi's  Entdeckung  Kunde  erhielt,  gesehen.  Jean 
Pecquet  entdeckte  1647  den  Ductus  thoracicus  in  einigen  Haus- 
thieren,  und  van  Home  im  Menschen,  1652.  Olaus  Rudbeck, 
Prof.  zu  Upsala,  und  Thomas  Bartholin,  der  grösste  Polyhistor 
seines  Zeitalters,  und  Verfasser  einer  Anatomia  reformata,  beschäf- 
tigten sich  mit  der  Untersuchung  der  Lymphgefässe  tlherhaupt,  deren 
Ursprung  die  Anatomen  jener  Zeit  in  nicht  geringere  Streitigkeiten 
verwickelte,  als  es  derselben  Frage  wegen  heut*  zu  Tage  der  Fall 
ist.  Lancisi,  Glisson,  Willis,  der  Däne  Nil  Stenson 
(gewöhnlich  als  Nicolaus  Steno  bekannt,  welcher  der  Erste  ahnte, 
dass  die  Petrefacten  keine  miracula  naturae,  sondern  Ueberreste  und 
Zeugen  längst  entschwundener  Schöpfungsalter  seien;  starb,  nach- 
dem er  den  protestantischen  Glauben  abgeschworen,  1686  als  Bischof 
von  Titiopolis  in  partiius  infideliumjj  Valsalva,  Santorini, 
Regnier  de  Graaf,  Winslow,  und  der  ehrwürdige  Veteran  der 
deutschen  Chirurgie,  Laurentius  Heister  (1683 — 1758)  sind 
würdige  Repräsentanten  dieser  Periode.  Leider  seufzte  auch  sie 
noch  aller  Orten  unter  dem  Drucke  des  Leichenmangels,  und  des 
gehässigen  Vorurtheiles  der  Menge,  indem  nur  justificirte  Verbrecher 
dem  Messer  der  Zergliederer  überlassen  wurden.  Petrus  Paaw 
rühmte  sich  laut:  aese  bina  aut  terna  cadavera  quotannis  secuüse 
{Primüiae  anat  Lugd.  1615).  Der  Schrecken,  in  welchem  der  Name 
des  Jenenser  Anatomen  Rolfinck  bei  dem  Volke  stand,  ver- 
anlasste manchen  armen  Sünder  zur  Bitte,  nach  dem  Richten 
nicht  gerolfinckt  zu  werden;  und  dem  Professor  Albrecht, 
der  in   Göttingen,   in   einem  finsteren  Keller    des   Festungsthurmes 


*)  Ich  finde  in  dem  Werkchen  von  R.  Knox,  GrecU  ArtisU,  and  grecU  An<UomitUy 
London^  1852,  eine  geschichtlich  interessante  Notiz,  pag.  160,  161,  über  einen  Fas- 
cikel  von  Handzeichnungen  Leonardo  da  Vinci's,  welcher  in  der  Privatbibliothek 
der  Königin  Victoria  von  England  aufbewahrt  wird.  Unter  Anderem  enthält  diese 
Sammlung  eine  Zeichnung  über  die  verschiedenen  Stellungen  der  ValmUae  semilu- 
naretj  (deren  Nodtili  Ärantü  ganz  genau  dargestellt  sind),  welche  nur  unter  einer 
richtigen  Vorstellung  vom  Kreislaufe  entworfen  werden  konnte.  Da  der  grosse  Maler 
lange  vor  Fabricius  und  Harvey  lebte,  glaubt  Knox,  dass  diese  Angabe,  der  Prio- 
rittofrage  wegen,  nicht  unwichtig  sei. 


44  §•  15*    Zweite  Periode  der  Geschichte  der  Anfttomie. 

neben  dem  Groner  Thore,  seine  Zergliederungen  hielt,  wurde  von  den 
Einwohnern  der  Stadt  Wasser  und  Holz  verweigert !  Es  scheint  fast 
nach  «solchen  Daten,  dass  die  Anatomie  damals  zu  den  „ehrlosen 
Gewerben"  zählte.  Nur  in  Frankreich  wusste  man  die  Wissenschaft 
dieser  imwürdigen  Fesseln  zu  entledigen.  Duverney  (Jean-Ghiichard) 
erwarb  sich  durch  seine  Gelehrsamkeit,  seine  geistreiche  Behandlungs- 
weise  eines  für  die  Menge  so  abstosscnden  Gegenstandes,  eine  so 
hervorragende  Stellung,  dass  es  in  den  höchsten  Ständen  der  Gesell- 
schaft (notts  autres  gentilshommes)  Mode  wurde,  seine  Vorlesungen 
zu  besuchen,  und  dass  Bossuet,  der  Erzieher  des  Dauphin,  ihn  zum 
Lehrer  des  königlichen  Kronprinzen  in  der  Anatomie  designirte.  In 
solcher  Stellung  war  es  ein  Leichtes,  Alles  auszuftlhren,  was  der  Ent- 
wicklung der  Anatomie  in  Frankreich  gedeihlich  werden  konnte.  Die  von 
Duverney  eingenommene  Stelle  eines  Hof-Anatomen  existirte  in  der 
Revolutionszeit  noch.  Ihr  letzter  Besitzer  war  der  würdige  und 
gelehrte  anatomische  Historiograph  Portal. 

Noch  hatte  man  nicht  mit  dem  Vergrösserungsglase  in  die 
Tiefen  der  Wissenschaft  geschaut.  Wie  so  oft,  war  es  ein  glücklich 
Ohngefehr,  dem  die  Wissenschaft  die  Erfindung  ihres  wichtigsten 
Geräthes verdankt.  Ein  Glasschleifer  zuMiddelburg,  Zacharias 
Jansen,  verfiel,  als  er  seine  spielenden  Kinder  mehrere  Glaslinsen 
in  ein  Messingrohr  gleiten  lassen  sah,  auf  die  Idee  des  zusammen- 
gesetzten Mikroskops.  Mit  diesem  Werkzeug  war  die  Sehkraft 
des  anatomischen  Auges  vertausendfacht.  Marcello  Malpighi 
(1628 — 1694)  glänzte  zuerst  durch  die  Grossartigkeit  seiner  mikro- 
skopischen Entdeckungen  im  Thier-  und  Pflanzenleibe.  Er  lehrte  zu 
Bologna,  Pisa,  Messina,  war  ein  Freund  des  grossen  Alphons  Borelli, 
und  starb  als  Leibarzt  Papst  Innocenz'  XII.  Es  ist  sogar  in  unserer 
Zeit  vorgekommen,  dass  ein  Abschreiber  des  Malpighi  einen  aka- 
demischen Preis  davontrug.  —  Lauren^io  Bellini  zu  Florenz, 
Heinrich  Meibom  zu  Lübeck,  J.  C.  Peyer,  und  sein  Lands- 
mann Brunner  zu  Schaffhausen,  Anton  Nuck  zu  Leyden,  Jean 
Mery  zu  Paris,  Clopton  Havers  zu  London,  so  wie  die  Italiener 
A.  Pacchioni  und  J.  Fantoni,  sind  die  durch  ihre  Leistimgen  be- 
rühmten Zeitgenossen  Malpighi's.  Die  beiden  Niederländer  Ant. 
Leeuwenhoeck  (1632 — 1723),  und  Joh.  Swammerdam  (1627 
bis  1680),  machten  in  dem  Gebiete  der  mikroskopischen  Anatomie 
(besonders  ersterer,  obwohl  er  nicht  Latein  kannte)  folgenreiche  Ent- 
deckungen. Ob  wir  an  den  Manuscripten  des  letzteren  viel  verloren 
haben,  welche  er,  auf  der  Neige  seines  Lebens  verbrannte,  aus  Furcht, 
dass  es  Frevel  sei,  die  Geheimnisse  der  Natur  dem  sterblichen  Auge 
aufzuschliessen,  möchte  wohl  zu  bezweifeln  sein.  —  Fricdr.  Ruysch 
(1638 — 1731),    Prof.   der    Anatomie    und   Botanik    zu   Amsterdam, 


§.  15.   Zireite  Periode  der  Gesclüeliie  der  Anatomie.  45 

brachte  die  von  Swammerdam  erfundene,  durch  van  Hörne    ver- 
voDkommnete    Methode,    die    feinen   Blutgefässe    mit   erstarrenden 
Massen   auszufüllen,   so    weit,   dass    seine   Injectionen  weltberühmt 
wurden,   und  Peter   der  Grosse  (der,  als  er   sich   zu  Shardam  auf- 
hielt,   um    Schiffsbaukunde    zu  studiren,   ihn  öfters  besuchte)    seine 
Präparatensammlung,  und  das  Recept  zu  seiner  Injectionsmasse,  um 
36,000    Goldgulden   kaufte.     Ein  Theil    der   Sammlung    ging  aber 
schon  während  der   Seereise  nach   St.   Petersburg   zu  Grunde,   da 
die  Matrosen  den   Spiritus   von  den  Präparaten  wegtranken.     Auch 
gegenwärtig  —  so  erzählte   mir  ein  ehemaliger  Professor  anatomiae 
in  Russland  —  würde  die  Erhaltung  von  Weingeistpräparaten  daselbst 
sehr  zweifelhaft  sein,  wenn  nicht  die  als  Anatomiediener  verwendeten 
Soldaten  zusehen  müssten,  wie  das  alljährlich   benöthigte    Quantimi 
Spiritus  mit  einer  Dosis  Sublimat  versetzt  wird,  welche  selbst  einem 
Scythenmagen  Respect  zu  gebieten   vermag.     Der   Geschmack   und 
die  Zierhehkeit,  mit  welchem  Ruysch's  anatomische  Arbeiten  ver- 
fertigt und   aufgestellt   waren,   machte   sein    anatomisches   Museum 
auch    bei    der   gaffenden    Menge    behebt.      Vor  RuyscVs    Zeiten 
kannte   man  (ausser  in  Dänemark  von   Ole  Worm  und   Thomas 
Bartholin)  anatomische  Museen  nicht.    Man  kann  mit  Recht  sagen, 
Ruysch  popularisirte  die  Anatomie,  welche  ihm  übrigens  keine  gros- 
sen Entdeckungen  zu  verdanken  hat.  Die  von  ihm  gebrauchte,  und  als 
Liquor  balsamicus  oft  erwähnte  Conserviningsflüssigkeit  seiner  feuch- 
ten Präparate,  veränderte  Leichen  und  Leichentheile  so  wenig,  dass 
sie  die  Frische  des  Lebens  beizubehalten  schienen,  und  sogar  die 
Sage  geht,  Peter  der  Grosse  habe  ein  von  Ruysch  injicirtes  Kind 
fiir  ein  schlafendes  gehalten  und  geküsst.    In  Leyden  habe  ich  noch 
zwei  angebhch  von  Ruysch  herstammende,  ganz  unbrauchbare  Prä- 
parate angetroffen.     Ebenso  in  Greifswalde  (einen  injicirten  Schenkel 
und  eine  Planta  pedia  eines  Kindes).     Sonst  ist  von  allen  Schätzen, 
welche    Ruysch    mit  Beihilfe    seiner  Tochter   Rachel,  in   seinem 
langen  Leben  (er  wurde  93  Jahre  alt)   verfertigte,  und  in  seinem 
Thesaurus  anatomicus   abbilden  Hess,    nichts  mehr   vorhanden!     Er 
verkaufte  noch  eine  zweite  anatomische  Sammlung  an  König  Stanis- 
laus  von  Polen,  welcher  sie   der  Universität  Wittenberg  schenkte. 
Auch  sie  ist  verschollen.     Ein   ähnliches  Schicksal   erlebte    die  von 
A.  Vater  errichtete,  und  von  ihm  beschriebene  S&mmlmig  (Museum 
anat.  pi^oprium.  Heimst   1750).     Sie    wurde  von   einem  Apotheker, 
der  Gläser  wegen,  um  einen  Spottpreis  gekauft.    Meine  Privat- 
sammlung    von   5000   Injectionspräparaten,    Skeleten    und    Gehör- 
organen, vernichtete  das  Jahr  1848.     Ich   sah  sie  in  den  October- 
tagen  vom  Thurme  der  Elisabethinerkirche  mit  meiner  übrigen  Habe 
in  Rauch  aufgehen.     Sic  transit  gl(yria  mundi! 


46  S-  15'   Zweite  Periode  der  Qeschicbta  der  Anatomie. 

Die  Anatomie  war  nun  als  Wissenschaft  vollberechtigt.  Man 
gab  die  nutzlose  Polemik  auf,  die  häufig  den  Hauptinhalt  der  ana- 
tomischen Schriften  (pleiris  de  vide)  bildete,  und  wendete  sich  dem 
Reellen  zu.  Physiologie  und  Medicin  erfuhren  eine  einflussreiche 
Rückwirkung;  erstere  wurde  durch  Albert  Haller,  den  grössten 
Gelehrten  seines  Zeitalters  (1708 — 1777),  zu  einer  mit  der  Anatomie 
identificirten  Wissenschaft  erhoben,  und  für  letztere  durch  Joh. 
Bapt  Morgagni  (1682 — 1771),  und  den  grossen  Anatomen  der 
Leydener  Hochschule,  Bernhard  Siegfried  Albin,  (welcher  nur 
an  dem  kleinen  Fehler  litt,  die  verdienstlichen  Arbeiten  seiner  Schüler 
für  die  seinen  auszugeben),  der  erste  Versuch  zu  Gleichem  gemacht. 
Morgagni' s  Adversaria  anatomica  können  noch  immer  als  Muster 
von  Genauigkeit  dienen,  imd  sein  unsterbliches  Werk,  de  sedtbus  et 
causis  morborum,  war  die  erste  Vorarbeit  für  die  pathologisch-ana- 
tomische Richtung  der  Medicin.  Unter  dem  bescheidenen  Titel: 
Elementa  physiologias  speicherte  Hall  er,  Albinos  Schüler,  nicht  nur 
die  grossen  Vorräthe  alles  dessen,  was  man  vor  ihm  wusste,  auf, 
sondern  vermehrte  sie  durch  die  Früchte  seines  unermüdlichen  Eifers 
am  Secirtische.  Mit  Recht  ruft  Cruveilhier  über  diesem  Buche 
ohne  Gleichen  aus:  combien  de  decouvertes  modernes  contenues  dans 
ce  bei  ouvrage!  Haller's  Name  wird  jetzt  noch  —  100  Jahre  nach 
seinem  Tode  —  mit  Ehrfurcht  genannt.  Die  Dankbarkeit  der 
Wissenschaft  schmückt  den  Lorbeer  seines  Grabes  mit  immer 
frischem  Laub.  Und  so  wird  es  sein  in  spätester  Zukimft,  wenn 
von  den  Grössen  der  Gegenwart  und  dem  frivolen  Lärm,  den  sie 
erregten,  kein  Nachhall  mehr  klingen  wird.  Die  sonderbarste  Aus- 
zeichnung, welche  Haller  zu  Theil  wurde,  war  seine  Ernennung 
zum  Generalmajor  des  Polnischen  Heeres,  durch  Fürst  Radziwil. 
Der  grosse  Mann  starb  mit  dem  Finger  an  der  Radialarterie  und 
mit  den  Worten:  „Sie  schlägt  nicht  mehr".  Sein  letzter  Gedanke 
war  noch  Physiologie.  Die  Entwicklungsgeschichte  wurde  von 
Haller  zuerst  bearbeitet,  und  den  classischen  Untersuchungen  von 
Casp.  Friedr.  Wolff  (1733—1794)  der  Weg  gebahnt. 

Die  vergleichende  Anatomie  beschäftigte  die  geistvollsten 
Männer.  Jean  Marie  d'Aubenton  (1716—1799),  Felix  Vicq 
d'Azyr,  die  Gebrüder  John  und  William  Hunt  er,  der  Nieder- 
länder Peter  Camper  (1722 — 1789)  glänzen  als  Sterne  erster 
Grösse  im  Buche  der  Geschichte.  Die  beschreibende  Anatomie 
wurde  durch  den  Fleiss  und  die  Genauigkeit  der  Deutschen  Ana- 
tomen am  meisten  gefördert  Ihnen  verdankt  diese  Wissenschaft 
ihre  schönsten  und  wichtigsten  Entdeckungen.  Die  Gelehrtenfamilie 
der  Meckel,  so  wie  die  Professoren:  Weitbrecht,  Zinn, 
Wrisberg,     Walther,    Reil,      Rosenmüller,     Sömmerring, 


|.  15.   Zweite  Periode  der  Gescbioliie  der  Anatomie.  47 

Arnold^  Henlc,  E.  H.  Weber,  J.  Müller  u.  v.  a.  stellt  die 
Wissenschaft  auf  die  höchste  Höhe  der  Anerkennung.  Was  diese 
grossen  Männer  gedacht  und  geschaffen  haben,  ist  ein  bleiben- 
der Ruhm  der  Wissenschaft  geworden.  Dass  in  der  beschreiben- 
den Anatomie  kein  Verdienst  mehr  zu  ernten,  kein  Dank  mehr  zu 
holen,  haben  so  viele  treffliche  Zergliederer  der  Gegenwart  ^vieder- 
Ipgt,  welche,  jeder  in  seiner  Sphäre,  und  Viele  mit  freudig  über- 
raschender Fruchtbarkeit,  die  Schätze  unserer  Wissenschaft  fortwäh- 
rend vermehren.  Und  es  giebt  noch  Winkel  in  diesem  engen  Haus 
—  sechs  Bretter  und  zwei  Brettchen  —  wo  Manches  verborgen  liegt 
für  spätere  Finder,  mögen  sie  Genies  sein,  oder  nur  Fleiss  zur  Ar- 
beit bringen.  Von  letzteren  gilt,  was  Leibnitz  sagte:  est  profecto 
casus  quidam  in  inveniendo,  qui  non  semper  maximis  ingeniis  maxima, 
sed  mediocribus  quoque  nonnulla  offert 

Die  praktische  Richtung  der  Anatomie,  ihre  Anwendung  auf 
Natur-  und  Heilwissenschaft,  wurde  durch  die  Engländer  Baillie, 
Everard  Home,  Abernethy,  John  und  Charles  Bell, 
A.  Cooper,  und  den  Niederländer  San dif ort,  vorzüglich  verfolgt. 
Die  chirurgische  Anatomie  war  in  Frankreich  schon  weit  gediehen, 
bevor  man  ihren  Namen  in  Deutschland  kannte.  Palfin,  Portal, 
Lieutaud,  Desault,  Boyer,  J.  Cloquet,  Velpeau,  Blandin, 
Malgaigne,  P^trequin  und  Riebet,  sind  ihre  geistreichen  Reprä- 
sentanten. In  England  wurde  die  Anatomie  von  ihrer  praktischen 
Anwendung  gar  nie  getrennt.  Daher  der  Lehrbücher  viele,  der 
selbstständigen  Forschungen  wenige.  In  Deutschland  war  esHessel- 
bach,  in  Italien  Scarpa,  welche  sich  der  chirurgischen  Anatomie 
mit  Erfolg  annahmen.  Bichat  (geb.  1771,  gest.  1802)  schuf  die 
allgemeine  Anatomie.  Ich  möchte  ihn  den  Philosophen  der  Anatomie 
nennen.  Durch  keine  Detailentdeckung  berühmt,  zerlegte  er  den 
menschlichen  Leib  nicht  in  Organe,  sondern  in  Gewebe,  welche  er 
in  dreifacher  Richtung,  anatomisch,  physiologisch  und  pathologisch, 
mit  der  dem  französischen  Geiste  eigenen  Uchtvollen,  praktischen 
und  einnehmenden  Gewandtheit  würdigte.  Ein  allzufrüher  Tod  ent- 
riss  ihn  der  Wissenschaft.  Sein  Leben  war,  wie  die  Revolutionszeit, 
in  welche  es  fiel,  zu  stürmisch  bewegt,  um  lange  dauern  zu  können. 
Arm  an  Jahren,  reich  an  Verdienst,  erlosch  die  gegönnte  Frist,  zu 
kurz  für  so  riesige  Gedankenarbeit.  Was  hätte  ein  Mann  noch 
leisten  können,  von  welchem  Corvisart  an  Bonaparte,  damals  ersten 
Consul  der  französischen  Republik,  schrieb :  Bichat  vient  de  mourir 
sur  un  champ  de  hatailUy  qui  compte  plus  d'itne  victime;  personne  eii 
si  peu  de  temps  n*a  faxt  tant  de  choses  et  si  bien.  Warum  hat  man 
diese  edlen  Worte  nicht   unter   seine  Bildsäule   geschrieben,  welche 


4^^  |.  tS.   Zveilis  Ptiiode  der  Cl«flehichte  der  Anatomie. 

d*^  dankbarv^  Prankreicli  auf  dem  Schauplatz  seiner  allbewunderten 
Tteiijrkeit  ^im  Hötel  Dien)  aufrichtete? 

Di\^  Gewebßlehre   erhielt  durch  Schwann' s  Entdeckung,  dass 
dw»  Zelle  das  organische  Element  fiir  Thier  und  Pflanze  sei  (1830), 
t!^  oberstes  Princip,  welches   ein  neues  Licht   in   die  Entstehungs- 
wv»»e  und  die    genetische  Verwandtschaft  thierischer  Gebilde    warf. 
Sehr  einfach  klingt  die  Zauberformel,  mittelst  welcher   der  schlum- 
mernde Geist    der   Histologie   beschworen,   und   der  reiche  Schatz, 
den  er  hütete,  gehoben  wurde:  „Thier  und  Pflanzen  sind  aus  Zellen, 
,>oder  deren  Metamorphosen  zusammengesetzt,  —  an  die  Form  dieser 
«/eilen  ist  das  Leben   gebunden,  —  ohne    diese  Zellen    kommt   es 
i^nieht  zur  Erscheinung."     Hiemit   war  denn    auch  das   Ei  des  Co- 
lumbus  nicht  blos  auf  die  Spitze  gestellt,  sondern  auch  ausgebrütet, 
IMo  Physiologie  hat  es  mit  schuldiger  Dankbarkeit  anerkannt,  dass 
der  Schlüssel  zur  Lösung  des  grossen  Lebensräthsels  nunmehr  feier- 
lichst in  ihre  Hand  gegeben  ist.    Es  bleiben  mit  ihm  nur  noch  sieben 
Thore  aufzuschliessen.  —  Die    Gewebslehre    zählt   auf  dem  Boden 
unseres  gemeinsamen  Vaterlandes  ihre  grössten  Männer.    Eine  lange 
Reihe  von   Namen  Deutscher  Histologen   ist  durch   ihre  Leistungen 
geadelt,  selbst  verewigt,  und  die   histologischen  Forschungen   haben 
in  der  so  rührigen  Jetztzeit  eine  solche  Ausdehnimg  gewonnen,  dass 
ihre  Ergebnisse  nicht  mehr  als  ein   Ergänzungsbestandtheil   der  be- 
schreibenden Anatomie  betrachtet  werden  können,  sondern  den  Ge- 
genstand besonderer  Vorlesimgen  und  eines  besonderen  praktischen 
Unterrichts  bilden. 

Die  vergleichende  Anatomie  erhob  sich  zum  Lieblingsstudium 
aller  Anatomen  von  Verstand,  und  zählte  bei  allen  gebildeten  Na- 
tionen zahlreiche  Freunde  und  Vertreter.  Durch  Cuvier*s  Riesen- 
geist entstand  die  Paläontologie,  welche,  mit  Geologie  und  Alterthums- 
kunde,  eine  gewaltige  Revolution  unserer  Gedankenwelt  über  den 
Entwicklimgsgang  des  organischen  Lebens  bis  zum  Menschen  hinauf 
vorzubereiten  sich  anschickt  Unser  Leben  fällt  nur  in  die  Periode 
der  ersten  Zucktmgen  dieser  Revolution.  —  Der  Gang  der  verglei- 
chenden Anatomie  war  seit  ihrem  Entstehen  vorwiegend  der  Be- 
schreibung der  thierischen  Organisation  zugewendet  Wie  lichtvoll 
die  Reflexion  über  den  Fortschritt  vom  Einfachen  zum  Zusammen- 
gesetzten auch  für  die  menschliche  Anatomie  werden  kann,  haben 
die  vergleichenden  Arbeiten  Vicq  d'Azyr's  (Memoiren  der  Pariser 
Akademie,  1774),  R.  Owcn*s  {On  the  Archetyp  and  Ilomologies  of 
the  Vertebrate  SceUton,  1848),  ganz  vorzüglich  aber  Joh.  Müller's 
(Anatomie  der  Myxinoiden,  1835)  bewiesen,  und  es  wäre  zu  wün- 
schen, dass  die  hier  eingeschlagene  Tendenz,  den  Forschungen  in  der 
menschlichen  Anatomie  allgemein  zu  Gnmde  gelegt  würde.   Allein  die 


§.  16.    Allgemeine  Lit^ralnr  der  Anatomie.  49 

vergleichende  Detailanatomie,  d.  h.  die  beschreibende  (nicht  die  raison- 
nirende),  insbesondere  jene  der  Wirbelthiere,  ist  in  unseren  Tagen 
schlafen  gegangen.  Selbst  die  Jahresberichte  ihrer  Leistungen  haben 
aufgehört  zu  erscheinen.  Es  fehlt  wahriich  nicht  an  Stoflf  zur  Arbeit, 
aber  an  Männern,  die  sie  unternehmen  könnten.  Mit  tiefem  Bedau- 
ern sieht  die  Gegenwart  dieses  ruhmlose  Feiern  und  Verkümmern. 
Ich  glaube,  die  vergleichende  Anatomie  hat  nur  darum  an  Popu- 
larität verloren,  weil  sie  nicht  nach  Brod  geht,  und  jene  Lehrer 
immer  seltener  werden,  welche  der  Bedeutsamkeit  der  thierischen 
Formenlehre  ihr  Recht  widerfahren  lassen  wollen  oder  können.  Die 
Physiologie  hat  sich  in  unsem  Tagen  gänzlich  von  der  vergleichenden 
anatomischen  Richtung  abgewendet,  ja  in  den  Sitzungsberichten  der 
Wiener  Akademie  haben  sich  die  physiologischen  Abhandlungen  zu 
den  astronomischen,  nicht  zu  den  anatomischen  geschlagen. 

In  der  Entwicklungsgeschichte  glänzt  der  verdienteste  Ruhm 
Deutscher  Naturforschung.  P a n  d  e r  und  D  öl  1  i n  ge  r  haben  die  von 
Haller  und  Wolff  betretene  Bahn  geebnet,  Baer,  Bischoff 
und  Reichert,  sind  bis  an  die  entferntesten  und  unbekanntesten 
Punkte  derselben  vorgedrungen,  und  der  Deutsche  darf  mit  Stolz 
sagen,  dass  Alles,  was  in  diesem  Fache  Grosses  geschah,  von  seinem 
Vaterlande  ausging,  welches,  arm  an  nationalen  Thaten,  an  denen 
das  Selbstgefühl  eines  grossen  Volkes  erstarken  könnte,  keinen 
Ruhm  sein  eigen  nennen  darf,  als  jenen,  dessen  Ehrenpreis  auf  dem 
Felde  der  Wissenschaft  errungen  wird.  Dasselbe  gilt  von  der  Histo- 
logie und  mikroskopischen  Anatomie.  Deutschlands  kleinste  Uni- 
versitäten haben  in  diesen  beiden  Gebieten  sehr  Verdienstliches,  ein- 
zelne Grosses  geleistet,  und  die  durch  Purkinje  in's  Loben  geru- 
fenen physiologischen  Institute,  arbeiten  gegenwärtig  noch  bei  Weitem 
mehr  für  die  Anatomie,  als  für  die  Physiologie. 

§.  16.  Allgemeine  Literatur  der  Anatomie. 

Es  wird  in  der  Anatomie  mehr  geschrieben  als  studirt  und 
gelesen.  Man  hat  deshalb  nicht  ganz  mit  Unrecht  der  deutschen 
Anatomie  ihr  Prunken  mit  Literatur  vorgeworfen.  Namentlich  ist 
sie  in  einem  Lehrbuche  nicht  recht  an  ihrem  Platz,  und  mag  für 
gelehrten  Au^utz  desselben  gehalten  werden.  Um  diesem  Tadel 
nicht  zu  unterliegen,  und  zugleich  dem  allerdings  nicht  sehr  dring- 
lichen Bedürfiiisse  des  Anfängers  zu  entsprechen,  dessen  Literatur- 
Kenntniss  sich  in  der  Regel  nur  auf  das  Handbuch  erstreckt,  welches 
er  sich  anschaffte,  soll  hier  nur  ein  Verzeichniss  von  Büchern  an- 
gefahrt werden,  welches  Jeden,  der  nähere  Bekanntschaft  mit  den 
einzefaien  Zweigen  imserer  Wissenschaft  machen  wollte,  mit  den 
besten  und  wichtigsten  Quellen  derselben  bekannt  macht. 

Hjrll,  Ltbitaeh  der  Anatomie.  4 


•     •  ••  i  \i  z*      •     •••••••••••••• 

•  •••     ••••••••  «•    ««  «  « 


50 


§.  16.   Allgemeine  Literatur  der  Anetomie. 


1.   Geschichte  der  Anatomie. 

Andr,  OUomar  GoeUcke,  hlstoria  anat.  nova  etc.  Halae,  1713.  8.  —  GottlUh 
StoUetiy  Einleitung  zur  Historie  der  medicinischen  Gelahrtheit.  Jena,  1731.  4.  Die 
Geschichte  der  Anatomie  und  Physiologie,  von  pag.  385 — 513,  enthält  interessante 
Notizen  über  das  Leben  und  Wirken  der  berühmtesten  Anatomen  bis  auf  Herrm. 
Friedr.  Teichmeyer.  —  Anton  Portal,  histoire  de  Tanatomie  et  de  la  Chirurgie.  6  Vol. 
Paris,  1770 — 1773.  8.  Durchaus  biographisch  bearbeitet  —  AUb.  Hauer,  bibliotheca 
anat.  2  Vol.  Tigur.,  1774—1777.  4.  Reicht  bis  1776,  und  enthält  die  genauesten 
Angaben  über  die  gesammte  anatomische  Bibliographie.  —  Thom.  LatUh,  histoire 
de  Tanatomie.  Tom.  I.  et  II.  Strassbourg,  1815  und  1816.  4.  Bei  der  umfassenden 
Anlage  des  Ganzen  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  der  zweite  Theil  den  Entwicklungs- 
gang der  neueren  Anatomie  nur  in  Kürze  behandelt.  —  Kurt  Sprengel y  Versuch 
einer  pragmatischen  Geschichte  der  Arzneikunde.  5  Bde.  Halle,  1821 — 1828.  8.  — 
Jos.  Hyrtlj  antiquitates  anatomicae  rariores  etc.  Vindob.,  1835.  4.  cum  tabb.  Ent- 
hält blos  Nachrichten  Über  den  Ursprung  der  Anatomie.  —  HyrÜ,  Geschichte  der 
Anatomie  an  der  Prager  Universität,  in  den  Oesterr.  med.  Jahrbüchern,  1841.  — 
A,  Burggraeve,  Pr^cis  de  Thistoire  de  Tanatomie.  Gand,  1840.  8. 

2.  Handbücher  über  descriptive  Anatomie. 

Mit  Uebergehung  aller  älteren,  welche  in  der  alphabetisch  geordneten,  und 
mit  einem  zum  leichten  Aufsuchen  dienenden,  vollständigen  Materienregister  ver- 
sehenen Bibliotheca  medico-chirurgica  und  awUomico^hytiologica  von  W,  Engelmann, 
Leipzig,  1848.  8.,  nachgesehen  werden  können,  führe  ich  von  neueren  nur  jene  an, 
welche  durch  Originalität  und  Genauigkeit  über  dem  Wüste  der  Compilationen  und 
Buchhändlerspeculationen  stehen. 

J,  F.  Meckel,  Handbuch  der  menschlichen  Anatomie.  Halle  und  Berlin,  1815 
bis  1820.  4  Bände.  Durch  seine  vergleichend  anatomischen  Angaben  über  Varie- 
täten, und  genaue  Daten  über  die  Entwicklung  der  Knochen  ausgezeichnet  — 
F.  Hildebrandt,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen,  umgearbeitet  und  vermehrt 
von  E.  H  Weber.  Braunschweig,  1830—1832.  4  Bände.  Zum  Nachsehen  älterer 
Literatur  noch  immer  zu  brauchen.  —  E.  A.  Lauth,  Handbuch  der  praktischen 
Anatomie.  Stuttgart,  1835 — 1836.  2  Bde.  Durch  die  Angabo  von  Zergliederungs- 
methoden und  technischen  Regeln  jedem  Anatomen  werthvoll.  —  J,  Oruveilhier, 
trait^  d^anatomie  descriptive.  Paris.  4.  Aufl.  Durch  Correctheit  vor  den  übrigen 
französischen  Manuels  ausgezeichnet.  —  S,  Th.  Sömmerring,  vom  Baue  des  mensch- 
lichen Körpers.  Neue  Originalausgabe  in  9  Bänden,  durch  einen  Verein  der  geach- 
tetsten  Anatomen  Deutschlands  besorgt  Die  einzelnen  Theile  werden  bei  der 
Special-Literatur  erwähnt.  —  M,  J,  Weber,  vollständiges  Handbuch  der  Anatomie. 
Leipzig,  1845.  3  Bände.  Sehr  umständliche  Beschreibungen  mit  Präparationsmethode, 
ohne  Literatur,  mit  vielen  eigenen  Beobachtungen.  —  F.  Arnold,  Handbuch  der 
Anatomie  des  Menschen.  Freiburg,  Begonnen  1843 — 1851,  mit  synoptischen  und 
mikroskopischen  Abbildungen;  letztere  zum  Theil  ans  subjectiven  Anschauungsweisen 
hervorgegangen.  —  Nach  einer  eigenen  Methode  behandelt,  und  deshalb  fdr  Anfänger 
weniger  empfehlenswerth,  als  für  Jene,  welche  bereits  anatomische  Studien  durch- 
machten, ist:  H.Meyer's  Lehrbuch  der  physiologischen  Anatomie.  2.  Aufl.  Leipzig,  1861, 
mit  Holzschnitten.  —  Quain*»  Anatomy.  7.  edit  London,  1866.  —  Schnell  beliebt 
wurde,  H  Gray,  Descriptive  and  Surgical  Anatomy,  4.  edit  Lond.  1866;  als  „the 
most  excellent  work  of  Anatomy  extant**  angekündigt.  —  C,  Sappey,  trait^  d*anat 


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§.  16.   Allgemeine  Litentur  der  Anatomie.  51 

descriptive.  3  VoL  Paris,  1853 — 1856.  (Neue  Auflage  im  Erscheinen.)  —  H,  Lutchkaj 
AxiAtomie  des  Menschen,  Tüb.  3  Bde.,  1862—1866.  —  C.  Eckhard^  Lehrbuch  der 
Anatomie  des  Menschen.  Giessen,  1862.  —  Bündig  in  Fonn,  erschöpfend  in  Inhalt 
ist  C  Latiger^9,  Lehrbuch  der  Anat  Wien,  1865.  —  HenU^t  Handbuch  der  syste- 
matischen Anatomie  des  Menschen  (1.  und  2.  Band  bereits  erschienen)  wird,  wenn 
▼ollendet,  alle  Yorhergehenden  entbehrlich  machen.  So  denkt  und  schreibt  in  der 
Anatomie  nur  die  höchste  Meisterschaft. 

3.  Praktische  Anatomie  oder  Zergliederungskunst. 

J,  Shaw,  Manuel  for  the  Student  of  Anatomj,  etc.  London,  1821.  8.  Deutsch, 
Weimar,  1823.  8.  Beschreibend  mit  Präparationsmethode  und  chirurgischen  An- 
wendungen. —  Af.  J,  Weber,  Elemente  der  allgemeinen  und  speciellen  Anatomie 
mit  der  Zergliederungskunst  Bonn,  1826 — 1832.  8.  —  A.  C.  Bock,  der  Prosector. 
Leipzig,  1829.  8.  —  JE,  A,  Lauth,  nouveau  manuel  de  Tanatomiste.  Paris  et  Strass- 
bourg,  1836.  8.  Deutsch,  Stuttgart,  1836.  2  Bände.  8.  —  L.  W.  Bischoff  giebt  in 
seiner  kurzen  Anleitung  zum  Seciren,  München,  1856,  sehr  beachtenswerthe  all- 
gemeine Verhaltungsregeln,  und  G,  Valentin  hat  es  nicht  unter  seiner  Würde  gehal- 
ten, über  die  „kunstgerechteste  Entfernung  der  Eingeweide  des  m.  K.  Frankf., 
1857**  praktische  Anweisungen  aufzustellen.  —  Eine  deutsche  Uebersetzung  der 
6.  Auflage  von  Vinet'  EUia,  Demonstrations  of  Anatom j,  London,  wäre  wünschens- 
werth.  —  H,  Meyer' $  u.  «7.  Budgets  Anleitungen  zu  den  Präparirübungen,  (erstere  Leip- 
zig, 1864,  letztere  Bonn,  1866)  beschäftigen  sich  mit  der  Secirsaalspraxis.  —  Eine 
vollständige  Darstellung  aller  Zweige  der  anatomischen  Technik  fehlt  noch,  denn 
das  von  StrauM-Dürkheim  herausgegebene,  französische  Handbuch  der  praktischen 
Zergliederung  aller  Thierclassen  (Trait^  pratique  et  thdorique  d'anatomie  compara- 
tive.  Paris,  1842.  2  vol.)  ist  für  den  grossen  Plan  des  Autors  viel  zu  compendiös.  •— 
Mein  Handbuch  der  prakt.  Zergliederungskunst,  Wien,  1860,  wo  auch 
die  Literatur  aller  Zweige  der  anatomischen  Technik  zusammengetragen  wurde, 
hat  es  versucht,  den  Bedürfnissen  der  Studirenden  und  der  Fachmänner  gerecht 
zu  sein. 


4.  Anatomische  Wörterbücher j  Synonymik  und  Nomenclatur. 

H,  Th,  Schregei'y  Synonymik  der  anat.  Literatur.  Fürth,  1803.  8.  —  J.  Barc- 
lay, New  Anatomical  Nomenclatur,  etc.  Edinburgh,  1803.  8.  —  J.  F,  Pierer  und 
L.  Chotdanl,  medicinisches  Realwörterbuch.  Leipzig,  1816 — 1829.  8  Bände.  Nebst 
Beschreibungen,  auch  Geschichte  und  Synonymik.  —  Encyclopädisches  Wörterbuch 
der  med.  Wissenschaften.  Berlin,  1828.  ff.  —  Cyclopaedia  of  Anatomy  and  Physio- 
logy.  Ed.  by  22.  Todd,  London.  Die  vorgleichend  anatomischen  Artikel  von 
jß.  Owen  besonders  ausgezeichnet  Im  Physiologischen  wird  sie  weit  übertroffen 
durch:  jR.  Wagner"»  Handwörterbuch  der  Physiologie.  Braunschweig.  4  Bände. 
1842-1853. 


5.  Kufferwerke  über  die  gesammte  Anatomie  des  Menschen. 

Es  war  eine  Zeit,  wo  man  sich  durch  Herausgabe  anatomischer  Tafeln  be- 
rühmt machen  konnte,  obwohl  der  eigentliche  Ruhm  dem  Künstler  gebührt  Die 
Zeit  ist  hin.  Eigenes  Arbeiten  an  der  Leiche  macht  alle  Tafeln  und  Holzschnitte 
überflüssig.     Sie  sind  immer  mehr  von  artistischem  als  wissenschaftlichem   Werth, 

4* 


f)^  $.  16.  Allgemeine  Literatnr  der  Anntnini«. 

und  erhalten  sich  nnr  dadurch ,  dass  praktische  Aerzte ,  die  Unterlassungssünden 
ihrer  Studentenjahre  durch  nachträgliche  Bilderschau  gut  zu  machen  haben.  Nebst 
den  filteren  Tafeln  von  Oaldani  und  Loder^  dem  Prachtwerke  von  Matcagni  (Ana- 
tomia  univorsa  XLFV^  tabulis  repraesentata.  Pisa,  1823.  fol.)  und  den  neueren  aus- 
ländischen von  Listart  (London)  «7.  Quain  und  Er,  WiUon  (London),  Bourgery  und 
Jacob  (Paris),  Bonamy  und  Beau  (Paris) ,  erwähne  ich  noch :  J.  3/.  Langenheckj 
icones  anatomicae.  Göttingen,  1836 — 1838.  Desselben  Verfassers  Handbuch  der 
Anatomie  bezieht  sich  auf  dieses  Kupferwerk.  —  M.  J,  Webery  anat.  Atlas.  Düssel- 
dorf. 2.  Auflage.  —  F.  Arnold,  tabulae  anatomicae.  Turici,  1838—1843.  Jedem 
Anatomen  unentbehrlich.  —  B,  Froriep,  atlas  anatomicus  partium  corporis  hum. 
p*^r  strata  dispositarum.  Weimar.  4.  Aufl.  —  Durch  Billigkeit  und  Corrcctheit 
empfiehlt  sich  für  Studirende  E.  Boek?B  Handatlas  der  Anatomie  des  Menschen, 
5.  Aufl.,  und  die  durch  F.  W,  Asnaann  besorgte  deutsche  Ausgabe  von  N.  Masst^t 
Handatlas.  2  Aufl.  Leipzig,  1854.  —  A,  Eeker'a  prachtvolle  Icones  phyaiologicaef 
Leipzig,  enthalten  bildliche  Darstellungen  der  wichtigsten  und  neuesten  Forschungen 
über  Organenstructur  und  Entwicklungsgeschichte  in  artistisch  vollendetster  Weise. 
—  Hieran  reiht  sich  für  descriptive  Anatomie :  Barkow*»  comparative  Morphologie. 
Breslau,  1862,  mit  höchst  werth vollen  Abbildungen. 

6.  Allgemeine  Anatomie  und  Gewebshhre. 

Eine  Fluth  von  Erzeugnissen  verschiedenen  Gehaltes  hat  die  Literatur  dieses 
Faches,  besonders  in  Specialabhandlungen,  zu  einem  Umfang  aufschwellen  gemacht, 
der  kaum  mehr  zu  übersehen  ist.  Zum  Glück  geht  Vieles  eben  so  schnell  unter, 
als  es  auftauchte.  Aber  man  kann  sich  eines  gewissen  Unbehagens  nicht  erwehren, 
wenn  man  es  ansehen  muss,  wie  das  leidige:  quot  capita,  tot  sentcntiae,  die  Soli- 
dität der  anatomischen  Wissenschaft  untergräbt.  Ein  Conseils-Präsident ,  der  bei 
der  Abstimmung  Über  wichtige  Fragen,  nur  Separatvota  zu  registriren  hat,  kann 
nicht  übler  daran  sein,  als  ein  histologischer  Referent  der  Gegenwart. 

Th.  Schwann^  mikroskopische  Untersuchungen  über  die  Ucbereinstimmung 
in  der  Structur  der  Pflanzen  und  Thicrc.  Berlin,  1839.  8.  Mit  diesem  Fundamental- 
werke beginnt  die  neue  Gestaltung  der  Histologie.  —  J.  HenUf  allgemeine  Ana- 
tomie. Leipzig,  1841.  Trotz  seines  Alters  noch  immer  eines  der  wichtigsten  und 
umfassendsten  Handbücher  der  allgemeinen  Anatomie ,  mit  meisterhaften  Ab- 
bildungen. —  A.  KöUika'y  Handbuch  der  Gcwebslehre  des  Menschen,  4.  Aufl.  — 
In  ^V.  Leidig*«  Lehrbuch  der  Histologie  des  Menschen  und  der  Thiere,  mit  Holz- 
schnitten, Frankfurt  a/M.  1867,  begrüssten  wir  den  ersten  dankenswerthen  Versuch 
einer  vergleichenden  Histologie.  —  /7.  Frey,  Histologie  und  Histochemie  des  Men- 
schen, mit  Holzschnitten.  Leipzig,  1859.  —  G,  Valentin,  Untersuchung  der  Pflanzen- 
und  Thicrgewebe  im  polarisirten  Lichte.  Leipzig,  1861.  —  L.  S,  BeaUj  die  Structur 
der  einfachen  Gewebe,  etc.  A.  d.  Engl,  von  V.  Carus,  Leipzig,  1862.  —  Dem  sehr 
schönen  photographischen  Atlas  der  allg.  Gcwc))slehre  von  Hessling  und  KoUmann, 
Leipzig,  1860,  kann  man  wenigstens  nicht  nachsagen,  dass  er  Ideale  liefert,  da  die 
Natur  selbst  die  Zeichnerin  gewesen.  —  A.  Bidard,  Elements  d*anat.  gen.  4,  6dit. 
Paris,  1865.  —  Cl.  Beniard,  le<;ons  sur  les  propriut<5s  des  tissus  vivants.  Paris, 
1865.  —  A.  Köllikers  Icones  histiologicae,  Leipzig  (1.  und  2.  Abtheilung  bereits 
erschienen)  glänzen  als  die  vorzüglichste  Leistung  auf  dem  unermesslichen  Gebiete 
der  vergl.  Gewebslehre.  Nur  ein  Mann,  wie  Kölliker,  konnte  diesen  Riesengedanken 
denken  und  ausführen.  —  Da  die  histologischen  Schriften  schnell  altem,  geht  die 
Nachfrage  meist  nach  dem  Neuesten.  Dieses  ist:  Th.  v.  HestUng,  Grundzüge  der 
Gewebslehre  des  Menschen.  Leipzig,  1866. 


§.  16.   Allgemein«  Litentur  der  Anatomie.  53 


7.   lieber  den  Gebrauch  des  Mikroskops. 

Wenn  auch  Uebung  f(ir  den  besten  Lehrer  gilt,  so  ist  doch  der  Nutzen 
guter  Anleitungen  nicht  zu  verkennen.  Solche  findet  man  vorzüglich  in:  J,  Vogefy 
Anleitung  zum  Gebrauche  des  Mikroskops,  etc.  Leipzig,  1841.  8.  Purkinje^«  Artikel 
„Mikroskop **  in  Wag7ier^9  Handwörterbuch  der  Physiologie ,  mit  Anhangsbemer- 
knngen  des  Herausgebers.  Hartin^a  classisches  Werk:  Het  Microscop,  deszelfs 
gebruik,  geschiedenis  en  teegenwoordige  toestand.    Utrecht,   1848 — 1850,  3  Theile,  ^     , 

verdiente  eine  deutsche  Uebersetzung.  —  H,  Welker,  über  Aufbewahrung  mikro-*^*^' ^^  * 
skop.  Objecte  nebst  Mittheilungen  über  die  Mikroskope.  Giessen,  1866.  —  L,  S,  t^^/^^ 
Bedle,  how  to  work  with  the  Microscope,  with  32  plates.  Lond.,  1861.  —  H.  Frey,  /V^ 

das  Mikroskop    und  die  mikrosk.    Technik.  Leipzig,   2.   Aufl.  1865.  —  H.    Hager, 
das  Mikroskop  und  seine  Anwendung.  Berlin,  1866. 

8.  Fathohgisclie  Anatomie. 

Die  Specialwerke  und  Compendien  von  Andral,  Oruveilhier ,  Hasse ,  Oluge 
(mit  Atlas),  Vogel,  Bock  (3.  Aufl.),  Engel,  WUlocki,  Förster  (4.  Aufl.),  und  das 
Handbuch  der  pathol.  Anatomie  von  Prof.  Rokitansky  in  Wien,  3.  Aufl., 
reprSsentiren  diese  Wissenschaft  in  ihrer  praktischen  Richtung.  —  Für  pathol. 
Histologie  hat  Ol  Wedl  die  Bahn  eröflnet,  in  seinen  Grundzügen  der  path.  Histo- 
logie. Wien,  1854,  mit  Holzschnitten.  Die  älteren  Handbücher  von  Voigtel, 
•  F.  Meckel,  W,  Otto,  und  Lobstein ,  beschäftigen  sich  nur  mit  dem  pathologischen 
Befunde,  ohne  dessen  Beziehungen  zu  seiner  graduellen  Entwicklung,  und  sind 
deshalb  dem  ärztlichen  Bedürfhisse  weniger  zusagend,  obwohl  ihre  Angaben  über 
Missbildungen  und  Varietäten  (besonders  F.  Meckel)  dem  Anatomen  immer  werth- 
voll  bleiben. 

9.  JEntvncklungsgeschichte. 

Das  Studium  dieses  so  interessanten  Faches  der  Anatomie  hat  leider  in 
neuester  Zeit  durch  den  Verfall  der  morphologischen  Richtung  der  Physiologie 
bedeutend  abgenommen.  Die  wichtigsten  allgemeinen  Arbeiten,  durch  welche  man 
mit  der  übrigen,  so  ungemein  reichen  Literatur  dieses  Faches  bekannt  wird,  sind: 
F.  O,  Danz,  Grundriss  der  Zergliedorungskunde  des  neugebomen  Kindes,  etc.  Mit 
Anmerkungen  von  Sömmerring,  2  Bände,  Frankfurt,  1792 — 1793.  8.  (veraltet)  — 
A.  Rathke,  Abhandlungen  zur  Bildungs-  und  Entwicklungsgeschichte  des  Menschen 
und  der  Thiere.  Mit  14  Kupfert.  Leipzig,  1832  u.  1833.  4.  —  G,  Valentin,  Hand- 
buch der  Entwicklungsgeschichte  des  Menschen  mit  vergleichender  Rücksicht  der 
Entwicklung  der  Säugethlere  und  Vögel.  Berlin,  1835.  —  K,  B.  Reichert,  das  Ent- 
wickhingsleben  im  Wirbelthierreiche.  Berlin,  1840.  —  Th,  L,  W.  Bischoff,  Entwick- 
lungsgeschichte der  Säugethiere  und  des  Menschen.  Leipzig,  1843.  —  Sehr  concis 
und  dennoch  erschöpfend,  sind  A,  Köläker^s  akad.  Vorträge  über  Entwicklungs- 
geschichte, etc.  Leipzig,  1861,  mit  vortrefflichen  Holzschnitten.  —  Die  in  den  citir- 
ten  Werken  zu  findenden  Daten  betreffen  vorzugsweise  die  Entwicklungsgeschichte 
der  Thiere,  welche  ungleich  genauer  bekannt  ist,  als  jene  des  Menschen.  Die 
Leichtigkeit,  sich  thierische  Embryonen  in  allen  Entwicklungsphasen  zur  Unter- 
onchung  zu  verschaffen^  was  bei  menschlichen  Eiern  nur  durch  seltenen  Zufall 
möglich  wird,  erklärt  es,  warum  die   menschliche   Evolutionslehre   über  die   ersten 


54  S*  ^^-   Allgemeine  Utentiir  der  Anetomie. 

Bildungsvorgänge  noch  sehr  unvollkommen  ist.  —  Eine  vollständige  Angabe  der 
Literatur  über  Entwicklungsgeschichte  findet  sich  in  Biaehoff's  „Entwicklungs- 
geschichte mit  besonderer  Berficksichtigung  der  Missbildungen ^  im  Handwörter- 
buche der  Physiologie. 

10.  Büdungshemmungen. 

F,  L,  FlHschmofm^  Büdungshemmungen  des  Menschen  und  der  Thiere.  Nürn- 
berg, 1823.  —  J,  Oeoffroy,  St.  HUairej  histoire  des  anomalies  de  T  Organisation. 
Tom.  I. — in.  Paris,  1832 — 1836.  —  Serrea.,  recherches  d^anatomie  transcendente,  etc. 
4.  Avec  atlas  de  20  planches  in  foL  Paris,  1832.  —  L.  Barkow^  monstra  anima- 
lium  duplicia.  Lipsiae,  1829 — 1836.  2  Vol.  4.  —  A,  W,  Otto,  monstrorum  sexcen- 
tomm  descriptio  anat.  Cum  XXX.  tabb.  Vratislaviae,  1841,  fol.  maj.  —  W.  Vrolik, 
tabulae  ad  illustrandam  embrjogenesin  hominis,  etc.  Amsterdam  und  Leipzig.  Er- 
scheinen heftweise.  Fase.  XIX.  u.  XX.  bereits  1849  erschienen;  —  seitdem  ist 
Stillstand  eingetreten.  —  A,  Förster,  die  Missbildungen  des  Menschen.  Jena,  1861, 
mit  Atlas. 

11.  Topographische  Anatomie. 

Nebst  den  älteren  Schriften  von  Paffiti,  Portal ,  Allan  Burru,  und  den  ab- 
sichtlich übergangenen  grossen  und  kostspieligen  englischen  Kupferwerken,  gehören 
hierher:  Milne  EdvoarcU,  manuel  d^anatomie  chirurgicale.  Paris,  1826.  12.  Ein 
kleines,  aber  sehr  gutes  Compendium.  —  E,  Wilson  y  Practical  and  Surgical  Ana- 
tomj.  London,  2.  edit.  —  Af.  Velpeau,  Manuel  d'anat.  chirurgicale,  g^n^rale  et  to-  ^ 
pographique.  Paris,  1837.  Für  Anfänger  empfehlenswerth.  —  Ph,  Er,  Blandin^ 
trait^  d'anat.  topogpraphique.  2.  ^dit.  Bnixelles,  1837.  Avec  uu  atlas  de  planches 
in  fol.  —  J,  F.  Malffaigne,  traite  d'anat.  chirurgicale  et  de  Chirurgie  expi^rimentale. 
2  Vol.  Paris,  1837.  Eine  höchst  interessante  Leetüre,  wenn  auch  der  Verfasser 
zuweilen  sich  in  allzu  subtile  Discussionen  eiiilässt  Eine  deutsche  Uebersetzung 
erschien  in  Prag  1842.  Die  zweite  Auflage  des  französischen  Originals  ist  bedeu- 
tend vermehrt.  —  J.  E,  Pitreqmn^  trait^  d'anat.  medico-chirurgicale.  2.  6dit.  Paris, 
1857.  Enthält  wenig  Anatomie,  mehr  Operatives.  --  F.  Jarjavay,  trait6  d'anat. 
chirurgicale.  Paris.  2  Vol.  1862—1854,  steht  dem  Malgaigne'schen  Werke  in  man- 
cher Hinsicht,  nur  nicht  an  Umfang,  nach.  —  Meiner  Ansicht  nach  das  beste  Werk, 
welches  die  französische  Literatur  in  diesem  Fache  aufzuweisen  hat,  ist:  Richety 
Trait^  pratique  d'anatomie  m^d.  chir.  Paris,  3.  6dit  —  Die  „Anatomie  chirurgicale 
homalogi'aphique**  von  Le  Oendre,  Paris,  1858,  fol.,  giebt  Ansichten  von  Durch- 
schnitten verschiedener  Gegenden  an  gefromen  Leichen.  Derlei  Durchschnitts- 
ansichten sind  ein  guter  Probirstein  anatomischer  Ortskenntniss,  und  zugleich  in  der 
That  nicht  selten  eine  Art  Räthsel,  dessen  Lösung  selbst  den  kundigen  Fachmann 
in  momentane  Verlegenheit  bringt.  —  Ausser  den  Schriften  von  Seeger  und  Nuhn, 
wurde  in  neuerer  Zeit  die  deutsche  Literatur  dieses  Faches  durch  folgende  Werke 
bereichert:  W,  Roser,  Chirurgisch-anatomisches  Vade  mecum.  2.  Aufl.  Stuttgart, 
1851.  8.  Mit  Holzschnitten.  Sehr  kurz  und  sehr  gut.  —  Q,  Ro»»,  Handbuch  der 
chirurgischen  Anatomie.  Leipzig ,  1848.  8.  Ich  habe  diese  kurze  und  originelle 
Schrift  mit  wahrem  Vergnügen  gelesen.  —  J.  Hyrtl,  Handbuch  der  topographischen 
Anatomie  und  ihrer  praktischen,  medicinisch-chirurgischen  Anwendungen.  5.  Aufl., 
2  Bände.  Wien,  1865.  Das  „Archiv  fOr  wissenschaftliche  Heilkunde''  1848,  p.  106, 
äusserte  sich  über  die  erste  Auflage  dieses  Werkes:  „Die  vorliegende  Schrift  hat 
„in  uns  den  freudigen  Gedanken  angeregt,  dass  jetzt  die  deutsche  Schule,  wie  in  allen 
„anderen  Theilen  der  Medicin,  so  auch  in  der  angewandten  Anatomie^  die  anderen 


§.  16.    Allgemeine  Litentor  der  Anatomie.  55 

«Hberflflgelt.  Wir  sehen  einen  Anatomen  ersten  Ranges  von  den  bisher  in  Deutsch- 
«laad  herrschenden  Systemen  der  abstracten  Anatomie  eine  Ausnahme  machen,  und 
sSieh  jener  lebendigen  Betrachtung  der  anatomischen  Verhältnisse  zuwenden,  welche 
«Ton  der  physiologischen  Heilkunde  gefordert  wird."  —  F,  Führer,  Handbuch  der 
ehimrg.  Anal  mit  Atlas.  Berlin,  1867.  Sehr  tüchtig,  aber  mehr  praktisch  als  ana- 
tomisch durchgeführt.  —  J,  Engel*»,  Compendium  der  topograph.  Anat.  Wien,  1860, 
ist  Eonftchst  fClr  seine  Schüler  geschrieben,  welche  ihm  für  die  nützliche  Einschal- 
tmig  der  Zergliederungsmethoden  Dank  wissen  werden.  —  Chirurgisch-anatomische 
Tafeln  yon  Nuhn,  Bierkowsky,  R.  Froriep  (5.  Auflage),  Pirogoff,  J,  MadUe  (London, 
2.  Auflage),  und  Henke  (Leipzig  1864). 

12.  Morphologie  und  Bacenstudium. 

J.  S,  EUhoUx,  anthropometria.  Francof.  ad  Viadr.,  1663.  8.  Ein  höchst  unter- 
haltendes Schriftchen.  —  G.  Carus,  Symbolik  der  menschlichen  Gestalt.  2.  Aufl.  Leipzig, 
1858.  —  Desselben  Proportionslehre  der  menschlichen  Gestalt.  Leipzig,  1854.  —  Fr, 
Bkanevhaeh,  de  generis  hiimani  varietate  nativa.  Gottingae,  1795.  8.  Fundamentalwerk 
der  Racenkunde.  —  P.  N,  Qerdy,  anatomie  des  formes  ext^rieures  du  corps  hnmain. 
Pari«,  1829.  8.  Für  Künstler  und  Wundärzte  gleich  nützlich.  Deutsch,  Weimar,  1831.  — 
<?.  Schadouj,  Polyclet,  oder  yon  den  Massen  der  Menschen  nach  dem  Geschlechte,  Alter, 
etc.  Mit  vielen  Abbildungen  in  Fol.  maj.,  Text  in  4.  Berlin,  1834.  Nur  für  Künstler 
geeignet.  —  J.  C  Prichard,  Naturgeschichte  des  Menschengeschlechts.  Nach  der 
dritten  Auflage  des  englischen  Originals  mit  Anmerkungen  und  Zusätzen  heraus- 
gegeben von  R,  Wagner.  4  Bände.  Leipzig,  1840 — 1848.  8.  Höchst  umfassende, 
naturhistorische ,  ethnographische  und  linguistische  Angaben.  Leider  fehlen  die 
Abbildungen  des  Originals.  —  W.  Lawrence,  Lectures  on  Comparative  Anatomy, 
Physiology,  Zoology  and  the  Natural  History  of  Man.  London,  1848.  9.  Auflage. 
Eine  lehrreiche  und  unterhaltende  compilatorische  Arbeit.  —  Ch.  Hamilton  Smith, 
the  Natural  History  of  the  Human  Species.  Edinburgh,  1848.  —  C,  Nott  und 
R.  Oliddon,  Types  of  Mankind.  London,  1854.  —  H.  Huxley,  Zeugnisse  für  die 
Stellung  des  Menschen  in  der  Natur.  A.  d.  Engl.  Braunschweig,  1863.  —  C.  Vogt, 
Vorlesungen  über  den  Menschen.  Giessen,  1863.  In  neuester  Zeit  ist  die  Literatur 
dieses  Faches,  besonders  durch  die  Druckschriften  der  anthropologischen  Gesell- 
schaften in  England  und  Frankreich,  in  rascher  Zunahme  begriffen.  In  Deutschland 
erscheint  seit  1866  ein  Archiv  fiir  Anthropologie,  unter  der  Redaction  von  A,  Ecker 
nnd  L.  lAndenachmit, 

13.  Anatomie  für  Künstler. 

Die  Verfertiger  hieher  gehöriger  Schriften  sind  oft  genug  weder  Anatomen 
noch  Künstler.  Demgemäss  gestaltet  sich  der  Werth  ihrer  Leistungen.  Sie  sind 
leider  sehr  zahlreich.  Eine  löbliche  Ausnahme  in  dieser  Classe  bildet:  E,  Harlesa, 
Lehrbuch  der  plastischen  Anatomie.  Stuttgart,  1856—1858.  Ich  sage  nicht  zu  viel, 
wenn  ich  die  eigenthümliche  Behandlungsweise  des  Gegenstandes  als  genial  be- 
zeichne. —  J,  Ä  LiveiUi,  Methode  nouvelle  d^anat.  artistique.  Paris,  1863. 

14.  Vergleichende  Anatomie. 

Diese  Wissenschaft  ist  eine  der  wenigen,  in  welchen  es  keine  schlechte  Lite- 
ratur giebt. 

A.  Hauptwerke.  G.  Cuvier,  le9ons  d*anatomie  compar^o,  publikes  par 
Dwnerü  et  Duvemoy.  Paris,  1836 — 1846.  Unterliegt  übrigens  dem  allgemeinen  Tadel 


56  t-  1^*    Allgemein«  Literatur  der  Anatomie. 

franzOsiBcher  Sammelwerke,  das«  es  auf  fremde,  und  namentlich  deutsche  Leistungen 
zu  wenig  Rücksicht  nimmt.  —  J*.  F,  Meekei,  System  der  vergleichenden  Anatomie. 
6  Bände  in  7  Abtheilungen.  Halle,  1821 — 1833.  Leider  unvollendet.  (Geschlechts- 
organe, Sinneswerkzeuge  und  Nervensystem  fehlen.)  —  Die  herrlichen,  von  G.  Oarus 
und  d* Alton  herausgegebenen  Erläutemngstafeln  zur  vergl.  Anatomie  sind  jedem 
Fachmann  unentbehrlich.  Ebenso  die  Icones  zootomicae  von  V,  Oaruty  1867,  welche 
j  ene  von  R,  Wagner  (Leipzig,  1841)  entbehrlich  gemacht  haben.  —  R,  Owen,  Com- 
parative  Anatomy  of  Vortebrates.  London,  1866.  (Die  Denkschriften  der  kais.  Akad. 
sind  leider  unbenutzt  geblieben.) 

B.  Compendien.  Die  Handbücher  von  G,  Carua  (1836)  und  R.  Wagner 
(1844)  sind  wenig  mehr  im  Gebrauch.  —  Rymer- Jones ,  General  Outline  of  the 
Animal  Kingdom,  etc.,  illustrated  bj  336  cngravings.  London,  1844.  —  R,  E.  Grant, 
Outlines  of  Comparative  Anatomy.  Deutsch  von  C.  Ch,  Schmidt,  Leipzig,  1842.  Mit 
105  Holzschn.  Ist  durch  die  schlechte  Ucbersetzung  etwas  ungeniessbar.  —  v,  Siebold 
und  Stannitu,  Lehrbuch  der  vergl.  Anatomie.  2  Bände.  Berlin,  1845 — 1848.  Von 
der  zweiten  Auflage  sind  nur  2  Lieferungen  (Fische  und  Amphibien)  erschienen.  — 
0.  Schmidt,  Handbuch  der  vergL  Anatomie.  6.  Aufl.  Jena,  1865.  Ein  sehr  brauch- 
barer, kurzer  Leitfaden  für  Vorlesungen  und  Privatstudien,  mit  Atlas.  —  Ol  Bergmann 
und  R.  Leuckart,  anatomisch-physiologische  Uebersicht  des  Thierreichs.  Mit  Holzschn. 
(etwas  roh).  Nach  einer  trefflichen,  übersichtlichen  Weise  behandelt.  Stuttgart,  1851 
bis  1853.  8.  —  Am  meisten  verdienen  empfohlen  zu  werden:  C,  Gegenbauer,  Grund- 
züge der  vergl.  Anatomie.  Leipzig,  1859,  und  dessen  Untersuchungen  zur  vergl. 
Anat.  der  Wirbelthiere.  Leipzig,  1866,  (in  Lieferungen).  —  F,  Legdig,  Handbuch  der 
vergl.  Anat.  Tübingen.  Erscheint  lieferungsweise,  so  wie  dessen  Tafeln  zur  vergl. 
Anat.,  welche  vergl.  Anatomie  mit  vergl.  Histologie  verbinden. 

16.  Zeitschriften. 

Lehrreich  für  alle  Fächer  der  Anatomie  bleiben:  ReiVa  Archiv,  12  Bände; 
Mecketa  deutsches  Archiv  för  Physiologie,  8  Bände;  MeckePa  Archiv  föf  Anatomie 
und  Physiologie,  welches  durch  J,  Müller  bis  1858  fortgesetzt  wurde,  und  von  diesem 
Jahre  an  von  Reichert  und  Du  Boia-Ragmond  redigirt  wird.  Dieses  Archiv  so  wie 
Sidfold*a  und  Kölliker''a  Zeitschrift  för  wissenschaftliche  Zoologie,  Virchow'a  Archiv 
fQr  path.  Anatomie  und  Physiologie,  HenU^a  und  Pfeuffer^a  Zeitschrift  f[ir  rationelle 
Medicin,  M.  Schulze^a  Archiv  für  mikrosk.  Anat.,  und  die  so  beliebten  Notizen  Froriep*a, 
liefern  Originalaufsätze  über  alle  Zweige  anatomisch  -  physiologischer  und  patholo- 
gischer Forschungen.  —  Die  Jahresberichte  über  die  Fortschritte  aller  Zweige 
anatomischer  Wissenschaft  im  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie  in  Henle*9  und 
Pfeuffer^a  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin,  in  der  Zeitschrift  der  ärztl.  Gesellschaft 
in  Wien,  so  wie  CanataWa  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  gesammten  Medicin 
in  allen  Ländern  (welcher  jedoch  die  Anatomie  sehr  stiefmütterlich  behandelt)  werden 
Jene,  welche  an  der  Entwicklung  der  Wissenschaft  Antheil  nehmen,  von  deren  Be- 
reicherungen unterrichten.  Sehr  wünschenswerth  erscheint  es  mir,  dass  diese  Jahres- 
berichte, wie  es  bei  Herde  im  histologischen  Theile  der  Fall  ist,  ihren  bisherigen 
referirenden  Charakter,  in  einen  mehr  kritisirenden  umwandeln  mögen.  Die  Neuig- 
kcitserzähler  würden  sich  dann  einer  grösseren  Zuriickhaltung  zu  befleissen  haben. 


ERSTES  BUCH. 


Gtowebslehre  und  allgemeine  Anatomie. 


§.17.  Bestandtheile  des  mensclüiGlieii  Leibes  *). 

Uie  Zergliederung  und  das  Mikroskop  lehren  die  Form  be- 
standtheile^ die  chemische  Analyse  die  Mischungsbestand- 
theile  des  menschlichen  Leibes  kennen.  Beide  zerfallen  in  nähere 
tmd  entferntere,  je  nachdem  sie  durch  die  erste  anatomische  oder 
chemische  Zerlegung,  oder  durch  wiederholte  Trennungen  beiderlei 
Art  erhalten  werden.  Mischungsbestandtheile,  welche  durch  keine 
Methode  in  einfachere  Grundstoffe  zerlegt  werden  können,  heissen 
chemische  Elemente;  Formbestandtheile,  welche  durch  keine  ana- 
tomische Behandlung  in  verschiedenartige  feinere  Theilchen  getrennt 
werden  können,  heissen  mikroskopische  Elemente,  oder  kleinste 
Gewebtheil chen.  Zur  Erklärung  folgendes  Beispiel:  —  Ein  Muskel 
ist  ein  Formbestandtheil  des  menschlichen  Leibes.  Seine  näheren, 
durch  die  Zergliederung  darstellbaren  Bestandtheile  sind:  sein  Fleisch, 
seine  Sehnen,  seine  HttUen.  Seine  entfernteren  Bestandtheile  sind: 
Nerven,  Blutgefässe,  Bindegewebe  und  Muskelfasern.  Letztere  bestehen 
wieder  aus  einer  Menge  nicht  weiter  zu  zerlegender  Fäserchen,  welche 
somit  die  entferntesten  Bestandtheile  oder  mikroskopischen  Ele- 
mente desselben  darstellen.  —  Kochsalz  ist  ein  näherer  Mischung s- 
bestandtheil  vieler  thierischen  Flüssigkeiten.  Salzsäure  und  Natron 
wären  die  entfernteren;  Chlor,  Wasserstoff,  Natrium  und  Oxygen 
die  entferntesten,  nicht  mehr  zu  zerlegenden  chemischen  Elemente 
desselben. 

Die  chemischen  Elemente  sind  einfache  Stoffe,  welche  sich  als 
solche  nicht  blos  im  thierischen  Leibe,  sondern  auch  in  der  uns 
umgebenden  anorganischen  Welt  vorfinden.  Sie  sind  feuerflüchtig 
oder  fix,  gasförmig  oder  fest.  Zu  ihnen  gehören  der  Sauerstoff, 
Stickstoff,  Kohlenstoff  und  Wasserstoff,  Phosphor,  Chlor,  Schwefel, 
Fluor,  Kalium,  Natrium,  Calcium,   Magnium,   Silicium,  Mangan  und 


*)  Dem  Anfänger  empfehle  ich,  das  Studium  der  Anatomie  mit  dem  zweiten 
Buche  (Knochenlehre)  zu  be^nnen,  und  von  der  allgemeinen  Anatomie  fUr  jetzt 
nur  daijenige  durchzugehen,  was  auf  Knochen  Bezug  hat  (§.  77 — 86). 


30  §•  ^7*  Bestandtheile  des  menschlichen  Leibes. 

Eisen.  Aluminium,  Titan,  Arsen,  Kupfer,  Jod,  Brom,  u.  m.  a.  schei- 
nen, wenn  sie  im  thierischen  Leibe  gefunden  werden,  nur  zufällig 
vorhanden,  imd  durch  Nahrungsstoffe  oder  Arzneien  dem  Organis- 
mus ftlr  eine  gewisse  Zeitdauer  einverleibt  worden  zu  sein. 

Die  Verbindungen  dieser  chemischen  Grundstoffe,  oder  die 
näheren  Mischungsbestandtheile  unseres  Leibes  sind  doppelter  Art: 
organisch  und  anorganisch. 

Die  organischen  Verbindungen  können  nur  unter  dem  Ein- 
flüsse des  Lebens  stattfinden,  und  kommen  im  todten  Mineralreiche 
nicht  vor.  Die  wichtigsten  von  ihnen  sind:  Leim  (Glutin),  Chon- 
drin,  Keratin,  Fettarten,  Blutroth,  und  die  sogenannten  eiweissarti- 
gen  Stoffe :  Albumin,  Fibrin,  Casein,  und  Globulin  (Crystallin).  Man 
nannte  die  letzteren  auch  Prote'inverbindungen,  da  Mulder  aus 
ihnen,  durch  Behandlung  mit  KaUlauge,  ein  zusammengesetztes  Ra- 
dical,  das  Protein,  darstellte,  welches  jedoch,  neueren  Untersuchun- 
gen zufolge,  im  schwefelfreien  Zustande  kaum  vorkommen  dürfte.  — 
Alle  eiweissartigen  Stoffe  enthalten  Kohlenstoff,  Wasserstoff,  Stick- 
stoff, und  Sauerstoff  (am  meisten  Kohlenstoff,  am  wenigsten  Was- 
serstoff), nebst  Schwefel;  —  einige  noch  Phosphor,  und  gewisse 
anorganische  Salze,  z.  B.  das  Case'i'n  phosphorsauren  Kalk. 

Folgendes  Verhalten  der  eiweissartigen  Stoflfo  gegen  chemische  Rcagentien 
wird  bei  histologischen  Arbeiten  von  Wichtigkeit  sein.  1)  Von  concentririer 
Salpetersäure  werden  sie  beim  Erhitzen  gelb  gefärbt  (Xanthoproteüisäure).  2)  In 
concentrirter  Salzsäure  werden  sie  mit  violetter  Färbung  gelöst.  3)  Salpeter- 
saures Quecksilberoxyd  bewirkt  beim  Erwärmen  eine  rothe  Färbung  derselben. 

Die  anorganischen  Verbindungen  chemischer  Elemente  finden 
sich  in-  und  ausserhalb  des  thierischen  Leibes,  können  auch  durch 
Kunst  erzeugt  und  wieder  in  ihre  Elemente  zurückgefUhrt  werden, 
während  die  organischen  wohl  in  die  einfachen  Grundstoffe  zerlegt, 
aber  nie  durch  Verbindungsversuche  wieder  neu  hergestellt  werden 
können.  So  kann  das  Fett  in  Sauerstoff,  Kohlenstoff  und  Wasser- 
stoff zerlegt,  aber  unter  keiner  Bedingung  durch  Vereinigung  dieser 
drei  Elemente  neu  erzeugt  werden,  dagegen  der  phosphorsaure  Kalk 
der  Knochen  auf  chemischem  Wege  in  seine  Elemente  aufgelöst, 
und  jederzeit  wieder  neu  daraus  zusammengesetzt  werden  kann. 

Die  mikroskopischen  Elemente,  d.  h.  die  letzten  Bestandtheile 
der  Form,  welche  dvirch  das  Messer  nicht  mehr  in  einfachere  Theil- 
chen  zerlegt  werden  können,  sind: 

a.  Elementarkörnchen  (Gh^anuld)^  d.  i.  soUde  mikroskopische 
Ktigelchen,  von  fast  unmessbarer  Kleinheit,  frei  in  Flüssigkeiten 
oder  in  Blastemen  suspendirt,  oder  zu  grösseren  Klumpen  zusam- 
mengeballt, oder  zwischen  andere  mikroskopische  Elemente  einge- 
streut. Als  Beispiele  dienen :  die  Pigraentkörnchen,  die  Eiweisskörn- 
chen  in  gewissen  Säften,  etc. 


§.  17.  Bottiandiheile  des  meuäuhlichen  Leibes.  f)l 

ß.  Zellen  (CeUulae),  mikroskopische  Bläschen,  bestehend  aus 
einer  Hülle,  welche  einen  sehr  verschiedenartigen  Inhalt  und  in 
diesem  einen  Kern  führt,  —  welcher  selbst  wieder  ein  einfaches, 
oder  mehrere  punktförmige  Kernkörperchen  einscliHesst. 

Y-  Röhrchen  {Tubuli\  hohle  Cylinder  mit  oder  ohne  Ver- 
ästlung. 

^.  Fasern  {Fibrae),  fadenförmige  solide  Cylinder,  welche  zu 
Bilndeln  {Fascicidi),  oder  zu  breiten  flachen  Blättern  (Lamellae)  zu- 
sammentreten. Y  und  3  sind  keine  primitiven  Formelemente,  son- 
dern secundäre,  d.  h.  sie  sind  aus  ß  hervorgegangen. 

Die  Bestandtheile  der  Mischung  sind  kein  Object  der  Anato- 
mie; sie  gehören  in  das  Bereich  der  organischen  Chemie.  Die 
mikroskopischen  Elemente  der  Organe  aber,  und  die  Art  ihrer  Ver- 
bindung kennen  zu  lernen,  ist  Vorwurf  der  Gewebslehre. 

Alle  Organe  mit  gleichem  Gewebe  gehören  Einem  Systeme 
an.  Ein  System  ist  entweder  ein  zusammenhängendes  Ganzes,  wel- 
ches den  Körper  in  jeder  Richtung  durchdringt,  und  an  der  Bildimg 
seiner  einzelnen  Organe  Theil  nimmt,  oder  es  begreift  viele,  unter 
einander  nicht  zusammenhängende,  aber  gleichartig  gebaute  und 
gleich  functionirende  Organe  in  sich.  Man  könnte  die  ersteren  all- 
gemeine Systeme  nennen.  Sie  haben  entweder  keinen  Centralpunkt, 
von  welchem  sie  ausgehen,  z.  B.  das  Bindegewebssystem,  oder 
besitzen  einen  solchen,  wie  das  Nerven-  und  Geftlsssystem  in  Gehirn 
und  Herz.  Die  letzteren  wären  besondere  Systeme  zu  nennen, 
imd  zu  diesen  werden  gezählt:  das  Epithelialsystem,  das  elastische 
System,  das  Muskelsystem,  das  fibröse  System,  das  seröse  System, 
das  Knorpebystem,  das  Knochensystem,  das  Haut-  und  Schleim- 
hautsystem, und  das  Drüsensystem. 

Das  Wort  System  wird  noch  in  einem  anderen  Sinne  gebraucht, 
insofern  man  darunter  nicht  den  Inbegriff  gleichartig  gebauter  Or- 
gane, sondern  eine  Summe  verschiedener  Apparate  versteht,  welche 
zur  Hervorbringung  eines  gemeinsamen  Endzweckes  zusammen- 
wirken. So  spricht  man  von  einem  Verdauungs-,  Zeugungs-,  Ath- 
mungssystem,  als  Gruppen  von  Organen  und  Apparaten,  deren 
Endzweck  die  Verdauung,  die  Zeugung,  das  Athmen  ist.  Man 
könnte  sie  physiologische  Systeme  nennen,  da  ihr  Begriff  nur 
fimctionell,  nicht  anatomisch  aufgefasst  ist. 

Die  Formbcstandthcile  sind  fest  oder  flüssig;  die  flüssigen  tropfbar  oder 
gasförmig.  Die  gasfönnigen  kommen  entweder  frei  in  Höhlen  und  Schläuchen 
dea  Leibes  vor,  wie  im  Athmuiigs-  und  Verdauungssystem,  wohin  sie  entweder 
von  aussen  her  eingeführt,  oder  in  diesen  Räumen  selbst  gebildet  wurden;  oder 
sie  sind  an  tropfbar-flüssige  Bestandtheile  gebunden,  ungefähr  wie  die  Gase  der 
lüneralwässer,  und  kOnnen  durch  die  Luftpumpe  daraus  erhalten  werden. 

Die  tropfbar-flüssigen  Formbestandtheile  finden  sich  in  so  grosser  Menge, 
dass  sie  mehr  als  ^6   ^^  Gewichtes  des  menschlichen  Leibes  betragen.    Eine 


62  §•  18-  I>i«  thieruclie  Zelle. 

vollkommen  ausgetrocknete  Guanchenmumie   mittlerer  Grösse  (ohne  Eingeweide) 
wiegt  nur  13  Pfd. 

Die  Flüssigkeiten  bieten  in  ihren  Verhältnissen  zu  den  festen  Theilen  ein 
dreifaches  VerhKltniss  dar.  a)  Sie  durchdringen  sKmmtliche  Gewebe  und  Organe, 
und  bedingen  ihre  Weichheit,  theilweise  auch  ihr  Volumen,  z.  B.  Wasser  und 
Blutplasma,  b)  Sie  sind  in  den  vollkommen  geschlossenen  und  verzweigten  Röhren 
des  Gefässsystcms  eingeschlossen,  wie  das  Blut,  die  Lymphe,  der  Chjlus,  und 
in  forti^v'ährender  Strömung  begriffen,  c)  Sie  füllen  die  absondernden  Kan&le  der 
Drüsen  aus,  durch  welche  sie  an  die  Oberfläche  des  Körpers,  oder  in  die  inneren 
Räume  desselben  befördert  werden,  —  Absonderungen,  Seereta, 


§.  18.  Die  tMerisclie  Zelle. 

Die  Gewebslehre  (Histologie)  beschäftigt  sich  mit  d^m  Stu- 
dium der  letzten  anatomischen  Bestandtheile  der  Gewebe.  Alle 
Gewebe  gehen  aus  kleinen  Körperchen  (Zellen)  hervor.  Zellen,  und 
ihre  verschiedenen  Abkömmlinge,  sind  die  Elemente,  aus  welchen 
sich  alle  Gewebe,  alle  Organe,  und  somit  der  ganze  Organismus 
aufbaut.  Man  nennt  sie  deshalb  Formelemente,  Elementartheile, 
auch  Elementarorganismen.  Ihre  Grösse  variirt  vielfach  zwi- 
schen 0,1'"  (menschliches  Ei),  bis  herab  zu  0,003'"  (menschliche 
Blutkörperchen). 

Die  Zelle  besteht  aus  einer  structurlosen  Begrenzungshaut 
(Zellenmembran),  einem  Kern,  und  einem  weichen  Inhalt  zwischen 
beiden.  Der  Zelleninhalt  bildet  den  eigentlichen  Zellenleib,  und  ist  in 
so  fem  das  wichtigste  an  der  Zelle,  als  in  ihm  die  eigentlichen  Vor- 
gänge ihres  Lebens  ablaufen.  Er  erscheint  als  eine  weiche,  homo- 
gene, eiweissartige  Grundsubstanz  mit  eingestreuten  Molektüen,  von 
punktförmigem  bis  grobkörnigem  Ansehen.  Man  bezeichnet  ihn 
gewöhnlich  als  Protoplasma  (Remak)  oder  Sarco de  (Duj ardin). 
Die  Zellenmembran  lässt  sich  nicht  an  allen  Zellen  mit  Sicher- 
heit nachweisen.  Viele  Zellen  entbehren  ihrer  gänzUch,  und  sind 
somit  eigentlich  Protoplasmakttgclchen  mit  Kern,  wie  z.  B.  die  farb- 
losen Blutkörperchen,  die  Eiterzellen,  die  Furch ungskugeln  des  Dot- 
ters im  bebrtiteten  Ei,  u.  v.  a.  Bei  anderen  kann  eine  Zellen- 
membran, ohne  eine  anatomisch  ablösbare  Begrenzungsmembran  der 
Zelle  zu  sein,  nur  als  die  äusserste  verdichtete  Schichte  des  Zellen- 
inhaltes angesehen  werden.  Eine  wahre,  selbstständige  Zellenmem- 
bran muss  sich  begreiflicher  Weise  unter  dem  Mikroskop  mit  dop- 
peltem Contour  zeigen.  Dieser  bildet  das  sicherste  Criterium  ihrer 
Existenz.  Nur  wahre  Zellenmembranen  können  bersten,  und  dadurch 
den  Zelleninhalt  frei  werden  lassen. 

Der  Zellenkern  (Niicletis  s.  Cytohlastos)  tritt  in  zwei  Formen 
auf:  als  festes,  oder  als  hohles  bläschenförmiges  Körperchen,  von 
0,002'"— 0,005'"  Durchmesser  im  Mittel,  welches  entweder  die  Mitte 


§.  19.  Lebenseigenschaften  der  Zellen.  63 

des  Zelleninhaltes  einnimmt,  oder  excentrisch  an  der  inneren  Fläche 
der  Zellemnembran  anliegt.  Feste  Kerne  enthalten  gewöhnlich  Ein, 
zuweilen  auch  zwei  bis  drei  kleinere,  das  Licht  stark  brechende 
Kömer,  als  Kern  körperchen  (Nucleoli).  Ihre  Unbeständigkeit 
macht  es  zweifelhaft,  ob  sie  als  wesentliche  Bestandtheile  der  Zellen 
anzusehen  sind.  Es  giebt  ein-  und  mehrkemige  Zellen.  Letztere  kom- 
men viel  seltener  vor,  als  erstere.  —  Das  Fehlen  der  Kerne  ist  ein 
scheinbares  oder  wirkliches.  Ersteres  beruht  entweder  auf  einem 
gleichen  Lichtbrechungsvermögen  des  Kernes  und  des  Zelleninhaltes, 
wodurch  beide  nicht  von  einander  unterschieden  werden  können, 
oder  auf  einem  Maskirtsein  des  Kernes  durch  einen  undurchsich- 
tigen Zelleninhalt,  wie  z.  B.  in  den  Pigmentzellen.  Fehlt  der  Kern 
wirklich,  wie  in  den  menschlichen  Blutsphären,  so  ist  er  doch  in 
der  Jugend  der  Zelle  vorhanden  gewesen,  und  in  der  fortschreiten- 
den Entwicklung  derselben  untergegangen. 

Besteht  ein  Gewebe  nicht  ganz  imd  gar  aus  Zellen,  so  heisst 
die  zwischen  den  Zellen  eingeschaltete  Substanz  Intercellularsub- 
stanz.  Man  hat  seit  lange  die  Intercellularsubstanz  als  das  Residuum 
des  Mutterbodens  genommen,  in  welchem  sich  die  Zellen  entwickel- 
ten, und  sie  deshalb  Blastem  (von  ßXaorovd),  keimen)  genannt.  Neueren 
Ansichten  zufolge  bilden  sich  die  Zellen  ihre  Intercellularsubstanz. 
Die  Zellen  sind  das  Primäre,  die  Intercellularsubstanz  das  Secun- 
däre.  Nach  Ver8chie4enheit  der  physikalischen,  chemischen,  und 
baulichen  Zustände  der  Intercellularsubstanz,  wird  ihr  Ansehen  bei 
verschiedenen  Geweben  sich  sehr  verschieden  gestalten  müssen.  Das 
Verhältniss  der  Zellen  zur  Intercellularsubstanz  bietet  alle  denkbaren 
Grade  des  Ueberwiegens  der  einen  über  die  andern  dar.  Allenthalben 
und  unmittelbar  sich  berührende  Zellen  eines  Gewebes,  schliessen 
die  Intercellularsubstanz  gänzlich  aus,  wie  in  gewissen  Epithelien, 
so  wie  umgekehrt  die  Intercellularsubstanz  derart  die  Oberhand 
über  die  Zellen  gewinnen  kann,  dass  letztere  gänzlich  weichen 
müssen,  wie  im  Glaskörper  des  Auges. 


§.  19.  Lebenseigenschaften  der  Zellen. 

Das  Leben  des  Gesammtorganismus  beruht  auf  dem  Thcil- 
leben  der  Zellen.  Das  Leben  der  Zellen  äussert  sich  durch  Ernährung, 
Wachsthum,  Veränderung  des  Zelleninhaltes,  Rückwirkung  auf  die 
Umgebung  der  Zelle,  so  wie  durch  Fortpflanzung  (Vermehrung  der 
Zellen)  und  selbstthätige  Bewcgungscrscheinungcn.  Diese  Thätigkei- 
ten,  zu  welchen  bei  gewissen  Zellen  (Nervenzellen)  selbst  Empfin- 
dung sich  gesellt,  bilden  den  Inbegriff  des  Zellenlebens.  Wer  uns 
eine  Zelle   künstlich  erzeugen,  imd   das  Leben  derselben  gründlich. 


64  §•  19.  Lebeiueigettschaften  der  Zellen. 

d.  h.  nicht  blos  formell  (der  Erscheinung  nach)  verstehen  lehren 
wird,  der  hat  auch  das  uralte  Welträthsel  gelöst,  welches  eine  viel- 
tausendjährige Sphinx  so  sorgfältig  hütet.  Wird  er  je  geboren 
werden?  — 

Wenn  die  Zellen  leben,  müssen  sie,  wie  alles  Lebendige  dem 
Stoffwechsel  unterliegen,  d.  h.  sie  müssen  zum  Ersatz  ihrer  eigenen, 
durch  den  Lebensact  verbrauchten  Bestandtheile,  neues  Material  in 
genügender  Menge  aus  ihrer  Umgebung  aufnehmen,  dasselbe  sich 
assimiliren  (durch  metabolische  Kraft,  avec  du  gi'ec  on  a  toujours 
raison),  imd  was  sie  nicht  in  ihren  eigenen  Leib  verwandeln  können, 
wieder  nach  aussen  abgeben.  Die  durch  das  Blut  in  alle  Theile  des 
lebendigen  Körpers  ausgesendete  Emährungsflüssigkeit,  liefert  das 
Material,  aus  welchem  der  Leib  der  Zelle  sich  durch  Tränkung  (Imbi- 
bition) ernährt.  Die  Zelle  verbraucht  die  aufgenommenen  Stoffe  theils 
zu  ihrem  eigenen  Wachsthum,  theils  verwandelt  sie  dieselben,  um 
sie  in  anderer  Form  als  sie  gekommen  sind,  wieder  nach  aussen 
zurückzustellen.  Eine  fortwährende  Aufnahme  ohne  Abgabe  ist  ja 
schon  aus  räumlichen  Verhältnissen  nicht  denkbar.  Was  die  Zelle 
aus  sich  abgiebt,  ist  für  die  Bedürfnisse  des  Organismus  1.  entweder 
nutzlos,  selbst  schädlich,  und  muss  als  Auswurfsstoff  aus  dem  Kör- 
per ausgeschieden  werden,  wie  die  Hambestandtheile,  oder  2.  was 
die  Zelle  in  sich  gebildet  hat,  dient  zur  Erfüllung  fernerer  bestimmter 
Zwecke  im  organischen  Haushalte,  wie  die  Absonderungen  der  Drü- 
senzellen, oder  endlich  3.  die  Ausscheidungen  der  Zelle  nehmen 
bestimmte  Formen  an,  lagern  sich  um  die  Zellen  herum  in  bestimmten 
Qruppinmgen,  und  vermehren  das  Material  der  InterceUularsubstanz 
um  jede  einzelne  Zelle,  oder  um  Gruppen  von  Zellen  herum.  Bei 
der  ersten  und  zweiten  Verwendungsart  kann  die  Zelle  selbst  durch 
Berstung  (Dehiscenz)  zu  Grunde  gehen  und  mit  dem  ausgeschie- 
denen Inhalt  zugleich  entfernt  werden  (gewisse  Drüsenzellen). 

Die  Fortpflanzung  oder  Vermehrung  der  Zellen  kann  nur  auf 
zweierlei  Weise  gedacht  werden:  entweder  durch  Bildung  neuer 
Zellen,  zwischen  und  unabhängig  von  den  alten,  oder  durch  Bildung 
neuer  Zellen  aus  den  alten.  Ich  will  die  erste  Entstehungsform  die 
intercellulare  oder  freie,  die  zweite  aber  mit  Hessling  die  elter- 
liche nennen.  Exogene  und  endogene  Zcllenbildung  würde  dasselbe 
ausdrücken. 

Die  freie  oder  exogene  Zellenbildung  wurde  lange  Zeit  fiir  die 
einzige  Vermehrungsart  der  Zellen  gehalten.  Der  Gründer  der  Zel- 
lenlehre, Schwann,  hielt  sie  dafllr.  Nach  seinen  Ansichten  soll  sich 
in  der  formlosen  organisirbaren  Materie  (Blastem),  welche  aus  dem 
Blute  stammt,  durch  Niederschlag  eine  Summe  immessbar  kleiner 
Elementarkörnchen  bilden,  welche  sich  durch  ein  zähes  Bin- 
dimgsmittel  zu  Klümpchen   aggregiren.    Diese   Klümpchen  sind  die 


§.  19.  LebenBeigenschafien  der  Zellen.  65 

Kerne  der  entstehenden   ZelleA.    Um   die   Kerne  lagert  sich  durch 
wiederholte  Niederschläge  aus   dem  Blastem,  eine  Substanzschichte 
ab,   welche    sich  zur    Zellenmembran  verdichtet.    Durch   Imbibition 
aus  dem  Blastem,  fllllt   sich  der   Raum  zwischen  Kern  und  Zellen- 
membran mit  dem  Zelleninhalte,  durch  dessen  Zunahme  die  Zellen- 
membran immer  mehr  und  mehr  vom  Kerne  abgehoben  wird,  und 
zwar  entweder   rings  um  den  Kern   herum,   wodurch   der  Kern  im 
Centrum  der  Zelle  zu  liegen  kommt;  oder  die  Zellenmembran  hebt 
sich  nur   von  der  Einen  Fläche  des  Kernes  ab,  wodurch  dieser  an 
oder  in  der  Wand  der  Zelle,   also   excentrisch   lagern  muss.    Was 
vom  Blastem,  nach  vollendeter  Zellenbildung,  noch  erübrigt,  ist  und 
bleibt  Intercellularsubstanz.  —   Die  Beobachtungen   über  Zellenent- 
wicklung im   bebrüteten   Ei,    und   in  pathologischen  Neubildungen, 
haben  die  freie  Zellenzeugung  fast  um  alle  ihre  Anhänger  gebracht, 
obgleich  nicht  zu  läugnen,  dass  freie  Kerne  in  verschiedenen  Bla- 
stemen unbezweifelbar  vorkommen  (in  der  Thymusdrüse,  im  Tuberkel ), 
und  dass    die  Wiedererzeugung   zerstörter  Gewebe,  so  wie  die  Ent- 
stehung  der  nur  aus  Zellen  sich  aufbauenden  Homgebilde  (Haare, 
Nägel,  etc.)  ohne  freie,  exogene  Zellenbildung  nicht  verständlich  ist. 
So    ist    denn   nun    die   zweite,    die    elterliche    oder   endogene 
Vermehrungsart   der  Zellen   gegenwärtig    fast   zur   ausschliesslichen 
Geltung  gelangt.    Es  muss   den  Fortschritten  der  Zellenkunde  vor- 
behalten bleiben,   ob  mit  Recht  oder  Unrecht.    Der  Analogie  nach, 
sollte,  da  kein  organisches  Wesen  elternlos,  d.  h.  durch  Urzeugung, 
entsteht,   und  das  omne  vivum  ex  vivo  für  alles  Lebendige  gilt,  jede 
Zelle    nur    aus    einer    anderen,    aus    einer    Mutterzelle    entstehen 
können,   wie   denn  auch  wirklich  im  befruchteten  Ei,  welches  mor- 
phologisch eine  Zelle,   und  zwar  die  grösste  von  allen  ist,  alle  wei- 
tere Zellenbildung,   von  dieser    einzigen  Zelle,  als  Urzelle    ausgeht. 
Der  Vorgang  der   endogenen    Zellenbildung   resumirt   sich  in 
Folgendem.    In    der   Mutterzelle   verlängert   sich  der  Kern,  er  wird 
oval,  seine  Kemkörperchen  rücken  auseinander;  er  schnürt  sich  zu 
zwei  Kernen  ab.    Gleichzeitig  beginnt  auch  die  Zellenmembran  von 
einer,    oder   von    zwei    entgegengesetzten    Seiten    her,    sich    einzu- 
schnüren. Dadurch  entsteht  oberflächlich  an  der  Zelle  eine  Furche. 
Diese  wird  immer  tiefer,   und  schneidet  zuletzt  ganz  durch,  so  dass 
nun  zwei  Zellen  statt  Einer  vorliegen.  —  Eine  zweite  Art  der  endo- 
genen  Zellenbildung    besteht    darin,    dass    die    in    der   MuttcrzcUe 
durch    Theilung    des    ursprünglichen    Kernes    entstandenen    neuen 
Kerne  (es  können  deren  30 — 40  in  einer  einzigen   Mutterzelle  vor- 
kommen),  vom    Zelleninhalt  eine   umgebende   Hülle   erhalten,   und 
dadurch  zu  Protoplasmaballen  werden.  Die  trächtige  Zelle  (»it  venia 
verbo)   wird  hiebei  grösser   und   ihre   Hülle    dünner,  bis  sie  endlich 
berstet,  und  die  Brut  der  jungen  Zellen,  deren  Mutter  sie  war,  Freiheit 

Hjrtl,  Lehrbuch  d«r  Anatomie.'  5 


66  S*  19*  Lebemeigenichaftan  cler  Zellen. 

und  Selbstständigkeit  erlangt^  oder  die  Zelle  schnürt  sich  erst  später 
um  die  einzelnen  Protoplasmaballen  herum  ab.  Unter  den  patholo- 
gischen Neubildungen  kennt  man  die  endogene  Zellenbildung  nur 
bei  den  Perl-  und  Markgeschwülsten,  der  Epuhs,  u.  s.  w.  —  Jede 
durch  endogene  Bildung  enstandene  Zelle  kann,  wenn  sie  frei  ge- 
worden, selbst  wieder  Mutterzelle  werden,  und  dieser  Process  sich 
sofort  oft  wiederholen. 

Eine  Vervielfältigung  der  Zellen  durch  Sprossen,  welche  sich  von  der 
Mntterzelle  trennen,  oder  durch  Abschnüren  einer  einfachen  Zelle  in  zwei  klei- 
nere, ist  im  thierischen  Organismus  nur  selten,  häufig  dagegen  in  den  Pflanzen 
beobachtet  worden. 

Eine  höchst  merkwürdige,  und  erst  in  der  neuesten  Zeit  gewür- 
digte Lebenserscheinung  der  Zellen  ist  ihre  Bewegung  (zuerst  von  Sie- 
bold 1841  an  den  Embryonalzellcn  der  Planarien  beobachtet).  Sie 
lässt  sich  an  jungen,  hüllenlosen  Zellen  (Protoplasmakörpcr),  und 
zwar  als  Veränderung  der  Form  und  als  Ortsveränderung  (Wandern) 
genau  beobachten,  besonders  scharf  an  farblosen  und  farbigen 
Blutkörperchen,  an  den  Furchungskugcln  des  befruchteten  Eies,  an 
Lymph-,  Speichel-  und  Eiterkörperchen.  Niedere  Thiere,  welche  ganz 
und  gar  aus  Protoplasmasubstanz  ohne  alle  DifFerenzirung  in  ein- 
zelne Gewebe  oder  Organe  bestehen,  wie  die  Amoeben  unserer  Pftitzen 
und  Teiche,  fesseln  das  Auge  durch  die  bizarre  Mannigfaltigkeit 
ihrer  Formveränderung.  Man  sieht  von  der  Oberfläche  der  genannten 
Körperchen  Fortsätze  sich  erheben,  theils  einfach,  theils  in  Büscheln, 
sich  verästeln,  unter  einander  verfliessen,  sich  in  den  Leib  der  Zel- 
len wieder  einziehen,  und  neuerdings  hervorsprossen.  Die  Zelle 
selbst  wird  während  dieser  Vorgänge  länglich,  höckerig,  ästig,  stern- 
förmig, um  bald  wieder  in  ihre  ursprüngliche  runde  Form  zurück- 
zukehren. 

Mit  diesen  Bewegungsersclicinungen  an  den  Zellen,  hängt  auch 
eine  innere  Bewegung  der  punktförmigen  Moleküle  des  Zclleninhaltes 
zusammen  (Brown 'sehe  Molekularbewcgung).  Es  scheint,  dass  diese 
letztere  Bewegung  blos  passiv  ist,  d.  h.  durch  die  Zusammenziehun- 
gen des  übrigen  Zellenprotoplasma  hervorgerufen  wird.  Denn  alle 
Einflüsse,  welche  die  Contraction  des  Protoplasma  aufheben  (Er- 
wärmung, Elektricität,  verdünnte  Säuren)  bringen  auch  die  Molekular- 
bewegung im  Innern  der  Zelle  zum  Stillstand. 

Das  Leben  der  Zellen  endet  auf  verschiedene  Weise.  Sie 
gehen  entweder  durch  Ablösung  von  ihrem  Mutterboden  zu  Gnmde, 
wie  die  oberflächlich  gelegenen  Zellen  der  Epidermis  und  der  Epi- 
thelien,  oder  durch  Auflösung  ihrer  Zellenmembran,  Freiwerden  ihres 
Inhaltes,  und  Zerfall  ihres  Kernes,  am  gewöhnlichsten  jedoch  durch 
chemische   Umwandlung   ihres  Inhaltes  und  Verödung  ihres  Baues. 


§.  20.  Metamorphose  der  Zellen.  67 


§.  20.  Metamorpliose  der  Zellen. 

Die  Ungleichartigkeit  der  verschiedenen  Gewebe  postulirt  es, 
dass  die  Zellen,  aus  welchen  sie  ursprünglich  alle  entstanden,  sehr 
verschiedenartige  Metamorphosen  erleiden  müssen.  Die  wichtigsten 
Veränderungen,  welche  die  Zellen  eingehen,  sind  nun  folgende: 

a)  Die  Zellen  bleiben  isolirt,  und  ihre  Metamorphose  be- 
schränkt sich  blos  auf  Veränderung  ihrer  Form,  Zunahme  ihrer 
Grösse,  und  Umwandlung  ihres  Inhalts.  Hieher  gehören  die  in  einem 
flüssigen  Blastem  frei  schwimmenden  Blut-,  Lymph-  und  Schleim- 
körperchen,  die  Fett-  und  Pigmentzellen,  imd  die  durch  ein  zähes 
Bindungsmittel  zu  einer  ebenen  Fläche  aneinandergereihten  Zellen 
der  Epithehen.  Die  isolirten  Zellen  können  die  verschiedensten  For- 
men annehmen,  sich  abplatten,  sich  verlängern,  rundUch  bleiben, 
oder  eckig,  spindelförmig  werden,  oder  durch  ramificirtc  Auswüchse 
ein  ästiges  Ansehen  gewinnen.  Ihr  Kern  kann  bleiben  oder  schwin- 
den, der  Raum  zwischen  Kern  imd  Zcllenmembran  durch  Verdickung 
der  Zellenwand  abnehmen,  durch  Ablagerung  verschiedenartigen 
Zelleninhaltes  sich  vergrössern,  oder  durch  Vertrocknung  der  Zelle 
zu  einem  Plättchen  oder  Schüppchen  (wie  in  der  Oberhaut)  gänz- 
lich verloren  gehen. 

6)  Die  Zelle  kann  durch  Ablagerung  auf  die  Zellenwand  von 
aussen  oder  innen  her,  sehr  verschicdentUch  verändert  werden.  So 
entstehen  z.  B.  durch  kömige  Ablagerung  von  aussen,  Henle's 
complicirte  Zellen,  d.  i.  kugelige  Körper,  deren  Mittelpunkt  eine 
Zelle  bildet  (gewisse  GangHenzellcn). 

c)  Die  Zellen  werden  sternförmig,  und  schicken  hohle  Fort- 
sätze oder  Aeste  aus,  welche  mit  ähnlichen  Fortsätzen  benachbarter 
Zellen  oder  mit  Fasern  anderer  Art  sich  verbinden.  Knochenkör- 
perchen,  sternförmige  Pigmentzellen,  Ganglienzellen. 

d)  Die  Zellen  geben  ihre  Isolirtheit  auf,  indem  sie  mit  der 
Intercellularsubstanz  verschmelzen,  so  dass  nur  ihre  Höhlen,  als 
Lücken  der  Intercellularsubstanz,  übrig  bleiben,  z.  B.  Knorpelzellen. 
Hiebei  kann  es  geschehen,  dass  eine  Zelle  mit  einer  oder  mehreren 
nachbarlichen  Zellen  verwächst,  und  die  Zwischenwände  schwinden, 
wodurch  die  Lücken  grösser  als  der  Hohlraum  einer  einzelnen 
Zelle  werden. 

e)  Die  Zellen  lagern  sich  der  Reihe  nach  an  einander,  ver- 
wachsen, und  werden  durch  Schwinden  der  Zwischenwände  zu  einer 
continuirhchen  Röhre.  Einfache  Drüsen  schlauche  und  Nervenröhren. 

f)  Die  nach  zwei  Richtimgen  verlängerten  Zellen  reihen  sich 
der  Länge  nach  an  einander,  und  zerfasern  sich  in  derselben  Rich- 
tung  zu   Bündeln    longitudinaler    Fäden    (Bindegewebsfasern   nach 

6» 


68  $•  Sl*  Bind«g«w«l>«. 

Schwann),  oder  sie  reihen  sich  nicht  aneinander,  sondern  verlän- 
gern sich,  jede  einzeln  sehr  bedeutend,  mit  faseriger  Umwandlung 
ihres  Inhaltes  (Muskelfasern). 

g)  He  nie  stellte  die  Ansicht  auf,  dass  nicht  alle  Kerne  eines 
Blastems  sich  mit  einer  Zellenwand  umhüllen.  Einige  sollen  auch 
frei  bleiben,  und  durch  Verlängerung  und  Verwachsung  mehrerer 
in  linearer  Richtung,  in  sehr  feine  Fasern,  welche  er  Kernfasern 
nannte,  tibergehen.  Die  Kemfaser  ist  wohl  nur  eine  elastische 
Faser  (§.  24).  Durch  Essigsäure  tritt  sie  schärfer  hervor.  Vir- 
chow's  und  Don  der' s  Untersuchungen  bestreiten  die  Entstehung 
der  Kemfasem  aus  Kernen,  und  nehmen  auch  ftlr  sie  die  Ent- 
stehung aus  spindelförmig  verlängerten  Zellen,  welche  den  früh  ver- 
schwindenden Kern  »ehr  enge  umschliessen,  in  Anspruch. 

Die  Entstehung  der  Gewebe  aas  Zellen  fällt,  wie  alle  Entwicklung^pro- 
cesse,  der  Physiologie  anheim,  und  es  konnten  deshalb  nar  die  äossersten  Um- 
risse derselben  hier  gegeben  werden,  was,  insofern  es  die  yerschiedenen  Gewebe 
auf  gleichartige  Ursprangsverhältnisse  zurückführt,  und  das  einfache  Gesetz  ken- 
nen lehrt,  welches  der  Entwicklung  des  Mannigfachen  zu  Grunde  liegt,  seines 
Nutzens  nicht  entbehrt.  Ausführlich  behandelt  wird  der  Gegenstand  in :  Th. 
Schwann,  mikroskopische  Untersuchungen  über  die  Uebereinstimmung  in  der 
Structur  und  dem  Wachsthume  der  Pflanzen  und  Thiere.  Berlin,  1839.  —  Henle, 
allgemeine  Anatomie,  pag.  122  folg.,  wo  auch  das  Geschichtliche  ausführlich  zur 
Sprache  kommt,  und  KöUiker't  Handbuch  der  Gewebslehre.  Schwann  hat  das 
grosse  Verdienst,  die  Z  eilen  theo  rie,  als  einen  der  ergiebigsten  Fortschritte 
der  neueren  Physiologie,  welcher  auf  die  ganze  Gestaltung  derselben  den  wich- 
tigsten Einfluss  übte,  geschaffen,  und  ihre  Gültigkeit  in  der  Entwicklung  der 
meisten  Gewebe  selbst  festgestellt  zu  haben,  nachdem  durch  die  Vorarbeiten  von 
Raspail  und  Dutrochet  die  Zelle  als  organisches  Element  anerkannt,  durch 
Schieiden  die  Beziehung  des  ZeUenkems  zur  Zelle  im  Pflanzenreiche  richtig 
aufgefasst,  und  durch  Purkinje  und  Valentin,  auf  die  Verwandtschaft  ver- 
schiedener thierischer  Zellen  mit  den  Pflanzenzellen  hingewiesen  wurde.  Jedes 
physiologische  Handbuch  enthält  hierüber  mehr  weniger  ausführliche  Angaben. 
Neuere  ausführliche  Erörterungen  dieses  Gegenstandes  finden  sich  in  M.  SchuUxe, 
was  man  eine  Zelle  nennt,  im  Archiv  für  Anat  1860 ;  —  Brücke,  die  Elementar- 
organismen, in  dem  akad.  Sitzungsberichte,  1861;  —  Reichert,  über  die  Reformen 
in  der  Zellenlehre.  Berl.,  1863 ;  —  W,  Kühne,  über  Protoplasma  und  dessen  Con- 
tractilität  Leip.,  1864. 

Da  es  ganz  gleichgültig  ist,  in  welcher  Ordnung  die  einzelnen  Gewebe 
abgehandelt  werden,  indem  jedes  derselben  für  sich  ein  Ganzes  bildet,  so  erlaubte 
ich  mir  jene  zu  wählen,  in  welcher  Gewebe,  deren  Darstellung  einfacher  ist,  den 
complicirteren  vorangescbickt  werden. 

§.  21.  Bindegewebe. 

Der  Betrachtung  der  einzelnen  Gewebsarten  möge  die  Er- 
klärung vorangehen,  dass  es  bei  der  massenhaften  Zunahme  der 
histologischen  Literatur,  bei  der  mit  jedem  Tage  sich  mehrenden 
Anzahl  -differenter  Meinungen,   Ansichten   und  Deutungen,    und  bei 


|.  81.  Bindegewebe.  69 

der  Schwierigkeit,  jetzt  schon  die  Spreu  vom  Korn  zu  sichten,  fast 
unmöglich  ist,  das  Bleibende  und  Wahre  in  bündiger  Form,  wie 
sie  einem  Lehrbuch  ansteht,  hinzustellen.  Vieles  Neue  erregt  Auf- 
sehen, findet  Theilnahme,  wird  geglaubt,  stösst  hierauf  auf  Anfein - 
dimgen,  wird  widerlegt,  und  zuletzt  vergessen,  unter  solchen  Um- 
ständen müssen  Darstellungen,  wie  die  hier  versuchten,  an  unver- 
meidlichen Gebrechen  leiden. 

Das  Bindegewebe  (Zellgewebe  oder  Zellstoff  der  älteren 
Autoren,  Teoctus  cellulosus)  bildet  eines  der  allgemeinsten  und  am 
meisten  verbreiteten  organischen  Gewebe,  indem  es  theils  die  Or- 
gane umhüllt  und  unter  einander  verbindet,  theils  die  Lücken  und 
Räume  ausfüllt,  welche  durch  die  Nebeneinanderlagerung  und  theil- 
weise  Berührung  derselben  gebildet  werden,  theils  in  den  Bau  der 
Organe  selbst  eingeht,  und  das  Bindimgsmittel  ihrer  differenten 
Beständtheile  abgiebt.  Es  wird  daher  ein  peripherisches  oder 
umhüllendes,  und  ein  organisches  oder  parenchymatöses 
Bindegewebe  untefschieden. 

Die  letzten  mikroskopischen  Elemente  dieses  Gewebes  sind 
keine  Zellen  im  histologischen  Sinne,  wie  es  der  Name  Zellge- 
webe vermuthen  liesse,  sondern  solide,  glattrandige,  weiche,  glas- 
helle, nur  bei  grösserer  Anhäufung  weisslich  erscheinende,  sanft 
wellenförmig  gebogene  Fäden  (Bindegewebsfasern)  von  0,0005'" 
Durchmesser  im  Mittel,  welche  wie  die  Haare  einer  Locke  zu  platten 
Bündeln  zusammentreten,  an  welchen  ein  eigenthümliches,  der  Länge 
nach  gestreiftes  Ansehen  unter  dem  Mikroskope,  die  elementare  Zu- 
sammensetzung aus  Fäden  verräth.  Wie  sehr  auch  die  Mikrologen 
mit  diesen  Fäden  bekannt  thun,  so  hat  doch  Anfang  und  Ende  der- 
selben noch  kein  sterbliches  Auge  gesehen. 

Die  durch  diese  Fäden  gebildeten  Btlndel,  verflechten  sich 
vielfältig,  und  tauschen  häufig  kleinere  Fadenfascikel  wechselseitig 
aus,  wodurch  ihr  Zusammenhang  inniger,  aber  zugleich  auch  ver- 
worren wird,  und  es  zur  Entstehung  von  interstitiellen  Lücken, 
Spalten,  imd  kanalförmigen  Räumen  kommt,  in  welchen  die  aus 
dem  Blute  stammende  Emährungsflüssigkeit,  mit  welcher  das  Binde- 
gewebe durchtränkt  ist,  ergossen  wird.  —  Die  Bündel  haben 
keine  besondere  Hüllungsmembran,  und  ihre  Fäden  lassen  sich  durch 
Nadeln  auseinander  ziehen,  indem  sie  durch  ein  gallertartiges,  homo- 
genes, oder  fein  granulirtes  Bindungsmittel  nur  lose  zusammenhalten. 
Das  Bindungsmittel  hat  aber  eine  andere  chemische  Zusammen- 
setzung als  die  Bindegewebsfasern,  löst  sich  durch  Einwirkung  von 
Reagentien  (Ejük-  oder  Barytwasser,  chromsaures  Kali)  auf,  und 
gestattet  den  Fasern  sich  von  einander  zu  geben.  Zwischen  den 
Bündeln  finden  sichi  theils  reihenweise  auf  einander  folgend,  theils 
unregelmässig  verdieib;   wirkliche   kernhaltige    Zellen    (im  bistolo- 


70  S*  Si-  Bindegewebe. 

« 

gischcn  Sinne)  in  sehr  veränderlicher  Menge^  und  in  den  verschie- 
densten Uebergangsformen,  von  der  rundlichen  und  spindelförmigen 
bis  zur  strahlig  verästelten  Gestalt^  eingestreut.  Diese  Zellen  fuhren 
den  Namen  der  Bindegewebskörperchen.  Sie  hängen  weder 
mit  den  Bindegewebsfasern,  noch  mit  den  zwischen  sie  eingestreu- 
ten elastischen  Elementen,  zusammen.  Ihre  Verwechslung  mit  häufig 
vorkommenden,  spalt-  oder  sternförmigen,  interstitiellen  Hohlräumen 
zwischen  den  Bindegewebsfasern,  hat  zu  imerquicklichen  Streitig- 
keiten Anlass  gegeben.  —  Ausser  diesen  Zellen  hat  Recklings- 
hausen noch  andere  in  den  interstitiellen  Lücken  des  Bindegewebes 
entdeckt,  welche  kleiner  als  die  Bindegewebskörperchen  sind,  als  con- 
tractile  Protoplasmagebilde  Bewegungserscheinungen  zeigen ,  und 
wirkliche   Ortsveränderungen,   selbst  in   weiten   Strecken  ausfuhren. 

Das  Bindegewebe  ist  sehr  reich  an  Blutgefilssen.  Ob  sich  Ner- 
ven in  ihm  verlieren,  oder  es  blos  durchsetzen,  um  zu  anderen 
Organen  zu  gelangen,  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  nicht  sagen. 

Eine  erst  in  der  neuesten  Zeit  bekannt  gewordene  Form  des 
Bindegewebes,  ist  das  reticuläre.  Es  besteht  aus  einem  Netze 
feinster  Fasern,  mit  Kernen  an  den  Knotenpunkten,  und  mit  ver- 
schiedentlich gestalteten  Lücken  und  Maschen,  in  welchen  andere 
Gewebstheile  eingetragen  hegen.  Das  reticuläre  Bindegewebe  giebt 
also  für  diese  Gewebstheile  gleichsam  die  Stütze  oder  das  Gerüste 
ab.  Die  Stützfasem  der  Netzhaut,  das  Reticidum  der  Lymphdrüsen 
und  anderer  adenoider  Organe,  gehört  hieher. 

Den  Bindegewebsfasern  sind  häufig  elastische  Fasern  (§.  22 
und  24)  beigemischt.  Grössere  Bindegewebsfaserbündel  sieht  man 
öfters,  besonders  bei  Anwendung  von  Essigsäure,  von  elastischen 
Fasern  in  Spiraltouren  umwunden,  selbst  von  membranartigen  homo- 
genen Streifen  im  Inneren  durchsetzt  (Henle). 

Beichert*8  Ansicht  zufolge,  welcher  p^ewichtigc  Autoritfiten  beipflichten, 
wären  die  Streifen  des  Bindegewebes  nicht  der  mikroskopische  Ausdruck  seiner 
faserigen  Zusammensetzung,  sondern  die  Folge  von  Faltungen,  welche  die  sonst 
homogene,  structurlose,  nur  mit  Kernrudimenten  versehene  Substanz  des  Binde- 
gewebes eingeht,  wenn  sie  aus  ihren  Verbindungen  gelöst  wird.  Diese  Faltungen 
verschwinden,  wenn  man  das  untersuchte  Stück  Bindegewebe  mit  einem  Olas- 
plättchen  breitdrückt,  und  die  vergleichend  anatomische  Untersuchung  des  Binde- 
gewebes bei  Thieren  hat  die  faserigen  Elemente  desselben  häutig  nicht  nach- 
weisen können.  Die  leichte  Spaltbarkeit  des  Bindegewebes  in  einer  gewissen 
Richtung  soll  nach  Reichert  in  der  Gegenwart  von  Spaltöffnungen,  durch 
welche  die  homogene  Masse  gewissermassen  aufgeschlitzt  würde,  begründet  sein. 
—  Allerdings  ist  die  nicht  g^faserte  Beschaffenheit  mancher  Bindegewebsarten 
eine  unläugbare  Thatsache.  Kölliker  hat  für  die  nicht  gefaserte  Form  des 
Bindegewebes  den  Namen  homogenes  Bindegewebe  eingeführt  (Schleimge- 
gewebe nach  Virchow).  Allein  andererseits  ist  der  faserige  Bau  vieler  Binde- 
gewebsarten durch  das,  an  den  Rissstellen  von  selbst  eintretende  Zerfallen  der 
stärkeren  Bündel  in  feinere  Fasern,  nicht  zu  verkennen,  und  zeigten  W.  Mül- 
ler*«  9chöne   Untersachnngen,  dass    das    Bindegewebe   im   polarisirten  Lieht 


§.  22.  Aigenflchaften  des  Bindegewebes.  71 

doppelbrechend  ist,  und  die  optiBche  Axe  der  Längsrichtung  der  Fasern  entspricht. 
Uebergänge  von  gefasertem  in  nicht  gefasertes  Bindegewebe  lassen  sich  an  vielen 
Orten  nachweisen.  Es  scheint  demnach  das  homogene,  nicht  gefaserte  Binde- 
gewebe, wie  im  nächsten  Paragraphe  erwähnt  wird,  eine  unvollkommene  Ent- 
wicklungsstufe des  gefaserten  zu  sein. 

RekJiertf  Bemerkungen  zur  vergleichenden  Naturforschung.  Dorpat,  1846. 
—  Leydig,  Lehrbuch  der  Histologie  des  Menschen  und  der  Thiere.  Frankfurt  a.M., 
1857,  1.  Thl.  2.  Abschn.  —  EoüeU,  Untersuchungen  über  die  Structur  des  Binde- 
gewebes, in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akademie.  XXX.  Bd.,  No.  13.  — 
A.  KöüUcer^  neue  Untersuchungen  Über  die  Entwicklung  des  Bindegewebes. 
Würzburg,  1861. 


§.  22.  Eigenscliafteii  des  Bindegewebes. 

Die  physikalischen  Eigenschaften  des  Bindegewebes  ent- 
sprechen seiner  physiologischen  Bestimmung.  Seine  Weichheit  und 
Dehnbarkeit  erlaubt  den  Organen,  welche  es  verbindet,  einen  gewis- 
sen Spielraum  von  Bewegung  und  Verschiebung,  seine  Elasticität 
hebt  die  schädlichen  Wirkungen  der  Zerrung  auf,  seine  Zusammen- 
setzung aus  geschlängelten,  gekreuzten  und  vielfach  verwebten  Bün- 
deln sichert  seine  Ausdehnbarkeit  in  jeder  Richtung. 

Das  chemische  Verhalten  ist  selbst  filr  Anatomen  ken- 
nenswerth.  Eine  besondere,  für  die  mikroskopische  Behandlung 
des  Bindegewebes  wichtige  Veränderung  erleidet  nämlich  das  Binde- 
gewebe durch  schwache  Essigsäure.  Es  verliert  sein  gestreiftes 
Ansehen,  die  Contouren  der  einzelnen  Fasern  verschwimmen,  seine 
Bündel  quellen  auf  und  werden  durchsichtig,  wodurch  die  beige- 
mengten elastischen  Fasern  und  Streifen,  welche  unverändert  bleiben, 
scharf  hervortreten.  Essigsäure  ist  deshalb  bei  mikroskopischen 
Untersuchungen  das  beliebteste  Reagens  auf  Bindegewebe  geworden. 
—  In  kaltem  Wasser,  Alkohol  und  Aether,  bleibt  das  Bindegewebe 
lange  unverändert,  und  fault  überhaupt  schwer.  In  siedendem  Wasser 
schrumpft  es  anfangs  stark  ein,  und  löst  sich  nach  längerem  Kochen 
zu  einer  gelatinösen  Masse  auf,  welche  beim  Erkalten  stockt  (Leim). 

Die  vitalen  Eigenschaften  des  Bindegewebes  sind  von 
grosser  Bedeutimg.  Da  es  das  Lager  bildet,  in  welchem  die  grossen 
Blutgefässe  imd  Nerven  ihre  Bahnen  verfolgen,  bevor  sie  an  die 
Organe  treten,  fllr  welche  sie  bestimmt  sind,  so  erhellt  daraus  seine 
wichtige  nutritive  Beziehung  zu  letzteren.  Die  vegetativen  Thätig- 
keiten  treten  in  ihm  selbst  mit  einer  gewissen  Energie  auf,  welche 
durch  seine  leichte  Wiedererzeugung,  wenn  es  durch  Krankheit 
oder  Verwundung  zerstört  wurde,  durch  seine  Theilnahme  an  dem 
Wiederersatze  von  Substanzverlusten,  an  der  Narbenbildung,  an  der 
Zusanunenheilung  getrennter  Organe,   und   durch   die  Beobachtung 


• 


72  |.   tS.  Eigenacliafken  dM  Bindegewebes. 

bestätigt  wird;  dass  das  Bindegewebe  das  einzige  und  schnell  geschaf- 
fene Ersatzmittel  jener  Organe  wird^  deren  krankhafte  Zustände 
eine  Entfernung  derselben  aus  dem  lebenden  Organismus  durch 
chirurgischen  Eingriff  nothwendig  machten.  Die  Schnelligkeit,  mit 
welcher  unter  besonderen  Umständen  krankhafte  Ergüsse  im  Binde- 
gewebe auftauchen  und  verschwinden,  so  wie  seine  absolute  Ver- 
mehrung und  Wucherung  in  Folge  gewisser  Krankheitsprocesse, 
belehren  hinlänglich  über  die  Energie  der  in  ihm  waltenden  vege- 
tativen Processe.  —  Bindegewebe,  welches  nicht  von  Nerven  durch- 
setzt wird,  scheint  für  Reizeffecte  nicht  empfänglich  zu  sein. 

Mikroskopische  Behandlung.  Eine  Partie  fettlosen  Bindegewebes, 
welche  zwischen  den  Muskeln  oder  Sehnen  des  Vorderarms  hervorgeholt,  oder 
unter  der  Conjunctiva  des  Augapfels  aufgelesen  wurde,  wird  mit  Nadeln  auf 
einer  angehauchten  Glasplatte  auseinander  gezogen,  mit  einem  Tröpfchen  luft- 
leeren, nicht  schaumigen  Speichels  befeuchtet,  und  mit  einem  feinen  Glasplättchen 
bedeckt  unter  das  Mikroskop  gebracht,  um  mit  einer  Linear- Vergrösserung  von 
300 — 400  bei  durchgehendem  Lichte  untersucht  zu  werden.  Dieses  genügt,  um 
die  anatomischen  Eigenschaften  der  letzten  fadigen  Bindegewebselemente  kennen 
zu  lernen. 

Hat  man  ein  Bindegewebsbündel  mit  Essigs&ure  behandelt,  so  bemerkt 
man  sehr  oft,  in  dem  Maasse,  als  das  Object  durch  die  Einwirkung  der  Säure 
durchsichtig  wird  und  aufquillt,  eine  schnürende  Faser  in  Spiraltouren  um  das- 
selbe laufen.  Diese  Faser  ist  feiner  als  die  Bindegewebsfasern,  und  hat  dunklere 
.  Contouren.  Ist  ihre  Continuität  irgendwo  unterbrochen,  so  scheint  sie  sich  vom 
Bündel  loszudrehen;  ist  sie  unverletzt,  so  bedingt  sie,  wegen  des  Aufschwellens 
des  Bündels,  Einschnürungen  desselben.  Dass  solche  Fasern  an  allen  Bündeln 
existiren,  muss  verneint  werden,  da  man  häufig  vergebens  nach  ihnen  sucht.  In 
dem  fadenförmigen  Bindegewebe,  welches  man  an  der  Basis  des  Gehirns  zwischen 
Arctchnaidea  und  Pia  maier  erhalten  kann,  finden  sie  sich  auf  leicht  zu  erkennende 
Weise.  Sie  sind  ihrem  anatomischen  und  chemischen  Verhalten  nach  mit  den 
Bindegewebsfasern  nicht  identisch,  können  Umwicklungs fasern  genannt  wer- 
den, und  gehören  dem  elastischen  Gewebe  an,  von  welchem  später.  Nach  An- 
deren entstehen  dagegen  die  Einschnürungen  nicht  durch  Umwicklungsfasem, 
sondern  sollen  dadurch  zu  Stande  kommen,  dass  eine  das  Bindegewebsbündel 
umhüllende  elastische  Scheide,  durch  das  Aufquellen  des  Bündels  stellenweise 
einreisst,  das  Bündel  sich  durch  die  Spalten  der  Scheide  vordrängt,  dadurch  eine 
knotige  oder  wulstige  Form  bekommt,  während  das  zwischen  je  zwei  Wülsten 
befindliche  nicht  geborstene  Stück  der  Scheide,  die  Einschnürungen  des  Bündels 
bedingt  (Reichert,  Leydig). 

An  vielen  Bündein  ohne  Umwicklungsfasem  bemerkt  man  dunkelrandige, 
spindelförmige,  in  die  Länge  gezogene  Kerne,  welche  zuweilen  ganz  deutlich  an 
beiden  Enden  in  Fäden  auslaufen,  die  mit  ähnlichen  Fäden  eines  nächst  vor- 
deren und  hinteren  Kernes  zusammenhängen,  und  eine  absatzweise  stärker  und 
schwächer  werdende,  aber  continuirliche  dunkle  Faser  bilden,  die  von  He  nie 
als  Kernfaser  bezeichnet  wurde. 

Bruchf  über  Bindegewebe,  in  der  Zeitschrift  für  wiss.  Zool.  6.  Bd.  — 
Reicherty  Jahresbericht  in  MiUler^a  Archiv,  1851.  —  Klopachj  über  die  umspin- 
nenden Spiralfasem,  in  Müller^s  Archiv,  1857.  —  KoUiktr^  in  der  Zeitschrift  für 
wiss.  Medicin,  9.  Bd.  —  Hieher  gehört  auch  A,  WeUmanny  über  den  feineren  Bau 
des  menschl.  Nabelstrang^s,  in  der  Zeitschrift  für  rat  Med.  neue  Folge,  Bd.  XI.  — 


|.  SS.   Formen  dM  Bindegewebes.  73 

Virehmo,  die  Bindegewebsfrage ,  Archiv  für  path.  Anat  16.  Bd.  —  FörtUr^ 
ebenda,  18.  Bd.  —  KöUiker^  neue  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  des 
Bindegewebes.  Würzb.,  1861. 

§.  23.  Formen  des  Bindegewebes. 

Das  Bindegewebe  erscheint  im  menschlichen  Körper  unter 
mehreren  Formen,  bei  gleicher  elementarer  Structur.  Das  früher 
genannte  amhtlllende  und  parenchymatöse  oder  Organen- 
Bindegewebe,  ist  nur  der  Lage  und  dem  Vorkommen  nach  ver- 
schieden. In  beiden  Fällen  bindet  es,  in  dem  ersten  Organ  an 
Organ,  in  dem  zweiten  Organtheile  unter  einander.  Hat  das  Binde- 
gewebe eine  grosse  Flächenausdehnung  gewonnen,  so  spricht  man 
von  Bindegew ebshäuten  (Membranae  cellulares).  Nimmt  es  die 
Form  einer  cylindrischen  Hülle  um  ein  langgezogenes  Organ  an, 
so  wird  es  Bindegewebsscheide  (Vagina  ceUtdarU)  genannt.  Ist 
es  in  grösseren  Massen  angehäuft,  in  welche  andere  Gebilde  ein- 
geschaltet werden,  so  heisst  es  Bindegewebslager  (Strama  cd- 
bdare).  Liegt  es  unter  der  äusseren  Haut,  unter  einer  Schleimbaut 
oder  serösen  Haut,  und  verbindet  es  diese  mit  einer  tieferen  Schichte, 
so  wird  es  Textus  ceUuUxrU  subcutanetiSy  avbmvcosus,  mhset'osvs  ge- 
nsumt,  und  in  diesem  Zustande  wohl  auch  als  besondere  Membran 
beschrieben. 

Der  Begriff  einer  Bindegewebshaut  wird  in  sehr  verschiede- 
nem sinne  genonmien.  Versteht  man  darunter  jedes  in  der  Fläche 
ausgebreitete  und  condensirte  Bindegewebe,  so  giebt  es  sehr  viele 
Bindegewebshäute.  Wird  der  Zusammenhang  solcher  Häute  fester, 
ihr  Gewebe  dichter,  und  stehen  sie  überdies  in  einer  umhüllenden 
Beziehung  zu  den  Muskeln,  so  werden  sie  auch  als  Binden,  Fasciae, 
asfgeführt,  in  welchen  die  Faserung  schon  mit  freiem  Auge  zu  erken- 
nen ist,  und  welche  daher  vorzugsweise  fibrös  genannt  werden. 
Da  ihre  Festigkeit  und  Stärke  mit  der  Entwicklung  der  von  ihnen 
umschlossenen  Muskeln  übereinstinmit,  also  bei  schwachen  Muskeln 
geringer,  als  bei  kräftig  ausgebildeten  ist,  so  kann  es  wohl  ge- 
schehen, dass  eine  Fascie  an  einem  Individuum  blos  ak  Binde- 
gewebe erscheint,  währe^d  sie  an  einem  anderen  als  fibröses  Ge- 
bilde gesehen  wurde.  So  ist  es  der  Fall  mit  der  Fa9cia  $uperficiaJi$ 
permdj  transverBOy  Coopert,  etc.  Die  chirurgische  Anatomie  verdankt 
einen  guten  Theil  ihrer  Unklaiiieit  im  Capitel  der  Fascien,  diesem 
wenig  gewürdigten  Umstände.  —  Wollte  man  nur  jenes  Bindege- 
webe als  Membrana  ceUularüf  gelten  lassen,  welches  als  deutlich 
begrenzte  Schichte  an  gewissen  Organen  vorkommt  (äussere  Hsot 
der  Blutgef^se,  eigendiche  Haut  der  AusfOÜbrungsgiJige  der  Drü- 
sen, IL  s.  w.),  so  Heise  sich  die  Zahl  der  Bindegewebihiwte 


74  fi*  M  KlutiachM  Gewebe. 

verringern.  Im  histologischen  Sinne  muss  jede  Membran  als  Binde- 
gewebshaut  genommen  werden,  welche  sich  unter  dem  Mikroskop 
aus  Bindegewebsföden  zusammengesetzt  zeigt.  Alle  fibrösen  und 
serösen  Membranen,  alle  Scheiden  von  Muskeln,  Sehnen,  Gefässen, 
und  Nerven,  so  wie  die  Synovialhäute,  müssen  in  dieser  Hinsicht  als 
Unterarten  Eines  Gewebsgeschlechts  —  des  Bindegewebes  —  be- 
trachtet werden. 

Ich  glaube  besBcr  zu  thuiii  wenn  ich  die  fibrösen  und  serösen  Membranen, 
die  flieh  durch  ihre  äusseren  anatomischen  Merkmale  so  auffallend  unter  sich 
und  vom  Bindegewebe  unterscheiden,  als  besondere  Gewebsformen  im  Verlaufe 
abhandle. 

§.   24.  Elastisclies  &ewebe. 

Da  das  Bindegewebe  an  sehr  vielen  Orten  mit  elastischem 
Gewebe,  mit  Fett,  und  mit  Pigmenten  gemischt  vorkommt,  so  reiht 
sich  hier  die  Untersuchung  dieser  drei  Materien  an. 

Das  elastische  Gewebe,  Tela  elastica^  konmit  im  mensch- 
lichen Körper  kaum  ganz  rein,  sondern  mit  anderen  Geweben, 
namentlich  dem  Bindegewebe,  gemengt  vor.  Seine  mikroskopischen 
Elemente  sind  rundliche  oder  bandartig  platte,  sehr  scharf  contou- 
rirte,  bei  grösserer  Anhäufung  gelb  erscheinende  Fasern,  mit  massig 
wellenförmig  geschwungenem  Vorlauf.  Im  isolirten  Zustande  rollen 
sie  sich  gerne  rankenfömiig  ein.  Vereinzelte,  gerade  oder  geschlän- 
gelte elastische  Fasern,  begleiten  gewöhnlich  die  Bindegewebsbündel. 
Vermehrt  sich  ihre  Zahl  an  gegebenem  Orte,  so  hängen  sie  meist 
durch  seitliche  Aeste  netzförmig  untereinander  zusanmien,  und  bilden 
Stränge,  Platten,  oder  selbst  Häute,  welche  nach  der  Richtung  der 
Fäden  sehr  dehnbar  sind,  und  bei  nachlassender  Ausdehnung  ihre 
fiiüierc  Gestalt  wieder  annehmen.  In  letzterer  Eigenschaft  berulit 
eben  das  Wesen  der  Elasticität.  In  den  elastischen  Platten  und  Häuten 
kann  ihre  Zusammensetzung  aus  Fasern  so  undeutlich  werden,  dass 
sie  fast  homogen  erscheinen. 

Durch  Essigsäure,  Wasser,  Weingeist,  so  wie  durch  Austrocknen 
an  der  Luft,  werden  die  elastischen  Fasern  nicht  verändert.  Sie 
geben  beim  Sieden  keinen  Leim,  und  unterscheiden  sich  dadurch 
auch  chemisch  von  den  Bindegewebsfasern.  Verdünnte  Salzsäure 
greift  sie  nicht  an,  und  sie  widerstehen  deshalb  auch  der  auflösen- 
den Kraft  des  Magensaftes.  Die  Dicke  der  elastischen  Fasern  ist 
sehr  verschieden;  sie  schwankt  von  0,0008'" — 0,005'". 

Das  elastische  Gewebe  erscheint  am  vollkommensten  entwickelt, 
und  nur  mit  wenig  Beimischung  von  Bindegewebsfasern,  a.  in  den 
gelben  Bändern  der  Wirbelsäule  und  im  Nackenband,  ß.  in  den 
Bändern,   welche   die  Kehlkopf-  und  Luftröhrenknorpel  verbinden, 


§.  S4.   Elastisches  Gewebe.  76 

in  den  unteren  Stimmritzenbändem ,  in  dem  Äufliängebando  doH 
männlichen  Gliedes,  y*  ^i*  ^^^  mittleren  Haut  der  Artorion.  In  vielen 
Fascien  mischt  es  sich  reichlich  mit  den  Bindegewebsfasern  dor- 
selben^  und  unter  den  Epithelien  gewisser  seröser  Membranen^  vor- 
zugsweise des  Endocardium  und  des  Bauchfells  an  der  vordoron 
Banchwandy  in  der  äusseren  Haut,  in  der  Vorhaut,  und  im  Textm 
edlularis  stibmucosus  des  Darmschlauches  sind  elastische  Fasern  in 
bedeutender  Menge  zwischen  den  Bindegewobsbündeln  oingCHtrout. 
Unverständlich  ist  mir  das  Vorkommen  von  elastischen  Fasoni  in 
Membranen,  welche  der  Elasticität  nicht  bedürfen,  da  sie  gar  nie 
in  die  Lage  kommen,  gespannt  zu  werden,  wie  die  harte  Hirn- 
haut und  das  Periost.  Ich  kann  nicht  unterlassen  zu  bemerken,  dass 
wenn  elastische  Fasern  mit  Fasern  eines  anderen  Gewebes  genurngt 
erscheinen,  oder  elastische  Häute  auf  Häuten  anderer  Natur  lagern, 
diese  letzteren  ebenso  elastisch  sein  müssen,  wie  die  ersteren.  Würde 
2.  B,  die  innere  und  äussere  Haut  eines  Arterienrohrcs  weniger 
elastisch  sein,  als  die  eigentliche  elastische  Haut  desselben,  so  müssten 
die  ersteren  bei  der  durch  die  Pulswelle  gegebenen  Ausdehnung  d(?r 
Arterie  gezerrt,  und  bei  der  darauffolgenden  Zusammenziehung  der 
Arterie  gefaltet  werden,  was  nicht  geschieht.  Der  Name  elastisch, 
eignet  sich  also  schlecht  zur  Bezeichnung  einer  einzigen  Gewebsfonn, 
da  ein  gleicher  Grad  von  Elasticität  auch  allen  anderen  Geweben 
zukommen  muss,  welche  mit  dem  elastischen  Gewebe  anaUi misch 
verbunden  sind« 

Das  elastische  Gewebe  dient  dem  Organismus  vorzugsweise 
durch  seine  physikalischen  Eigenschaften.  Durch  seine  mit  Ffrstig- 
keit  gepaarte  Dehnbarkeit  widersteht  es  der  Gefahr  des  Keiss^;ns, 
eignet  sich  deshalb  vorzugsweise  zum  Bandmittel,  und  vereinfacht, 
indem  es  lebendige  Kräfte  ersetzt,  das  Geschäft  rles  Mnskelsyst#;ms. 
Es  hat  nur  wenig  Blutgefässe,  keine  Nerven,  und  einen  trägen  Htoff- 
weehseL  Wunden  und  Substanzverluste  df:sselben  heilen  nicht  durch 
Wiederersatz  des  Verlorenen,  sondern  durch  fibröse  Narbensufistanz, 

3Csa  irähk  rar  mikroakopui^hen  VnUnnfhntkfi:  Piinf.n  dfinnen  Schnitt,  od«T 
tauen,  ihTuyi^täin  Streifen  des  NarkenhAndes  eine«  Wi^derkio^rs.  I>i«  Klem^^tkte 
«in»  eLucÜKii'^iL  Crewebe^  erscheinen  dann  §i:hAri  nnd  dnnkel  ^erandet,  die  ^^*>- 
nafi«int*n.  JL^sice  mit  zairki^n  Bniehrändem.  hinter  ^fürtfrVig^  g^etipalt^n^  mit  nnken- 
rormfJc  iTL^rtr^Hten.  Zweiiren.  Vii^.  net2P;rmi(ren  Vertiindnniren  der  Fiden  dnreh 
XtufCti  ftmi  zixweilf^n  so  entwickelt,  dajw  dAü  ^>hjef^  d^ü  AruweKeti  ein^r  tinrf^ 
Iiß«*&er*:i»n  Htmbrvt  aanimmt.  Man  kann  einäretro4*.kneti^  ?Hfl«^ke  de^  Li^,  mmtjkme^ 
azL  w^Uhj^n.  nth  i^ine  äcimftzetn,  dif:  dann  hefenchtet  werden  müMienr  leir.hter 
aiif  UL  frafeEien  ahnehmen  Landen ,  zam  Gehraar.h«'  asfh«*^wahren.  fltmifi^^karfi^ 
JLJk:jäi:[  Tiiii  Afttbir,  ÜJÄ  tue  ebutL»f*hen  Fa^em  an^erändert 

ü^  ia«  elastiscib»  Gewehe  afjf  :^n-vertreter  van  Sfiwfcefai  aanrftaritt,  fm4 
hew«nr%iii6»   Criifte  sptirt,  OUsC  sich    diumk  eim»  Füll«  woftL  BefofK»  mm  Atit  ^Wf' 

tKL  T.)frti<-  vai  neiiemuuiiidii4?ela.  di**  aaii^redttft  äHseOnaf  (fet 


76  I-  ^'  '«^ 

bei  hom-  oder  ^weihtragenden  Thieren,  die  während  des  Gehens  verborgene 
Lage  der  scharfen  Krallen  beim  Katzengeschleohte,  u.  s.  w.  werden  nicht  durch 
Muskelwirküng,  sondern  durch  elastische  Bänder  bewerkstelligt  Muskelwirkung 
erschöpft  sich  und  erfordert  Erholung,  —  elastische  Kraft  ist  ohne  Ermüdung 
und  Unterlass  thätig. 

A.  Etdenberg'Sy  DisserUtio  de  tela  elastica.  Berol.,  1836.  4^  —  F,  Räuschel, 
diss.  de  art.  et  ven.  structura.  Vratisl.,  1836.  4^  (lieber  die  elastische  Haut  der 
Arterien.)  —  L.  Ber^amin^  MiUler^s  Arch.  1847.  (Zootomisch  Interessantes  über 
das  elastische  Gewebe.)  —  Donders,  in  der  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoolo- 
gie, Bd.  III,  348.  —  KölUkery  Über  die  Entwicklung  der  sogenannten  Kemfasern, 
in  den  Verhandlungen  der  Würzburger  phys.  med.  Gesellschaft.  Bd.  III.  HefL  1. 

§.  25.  Fett. 

Fett,  Adeps  s,  Pingtiedo,  kommt  im  freien  Zustande  im  Blute 
und  im  Chylus  vor;  —  in  Zellen  eingeschlossen  ist  es  ein  gewöhn- 
licher Genosse  des  Bindegewebes,  in  welchem  es  bei  jedem  gesun- 
den Individuum  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  zu  finden  ist. 
In  den  auszehrenden  Krankheiten,  ja  selbst  durch  den  Hungertod, 
schwindet  es  an  gewissen  Stellen  (in  der  Augenhöhle,  um  die  Nieren, 
in  der  Vola  manu^  und  Planta  pedis)  nie  vollkommen.  In  den  Kno- 
chen abgelagertes  Fett  bildet  das  Mark  derselben.  Im  Inneren  der 
Organe  wird  es,  abgesehen  von  den  chemisch  an  diese  gebundenen, 
oder  in  gewissen  Secreten  enthaltenen  Fettarten,  nicht  angetroffen, 
ebensowenig,  als  es  selbst  bei  den  wohlgenährtesten  Individuen  in 
den  Augenliedem,  Ohrmuscheln,  in  der  Vorhaut  des  männlichen 
Ghedes,  und  in  der  Schädelhöhle  je  gefunden  wird. 

Das  Fett  wird  in  Zellen  erzeugt  —  Fettzellen.  Jede  Fettzelle 
besteht  aus  einer  äusserst  feinen,  structurlosen,  durchsichtigen  Mem- 
bran, und  einem  Fetttröpfchen  als  Inhalt.  Verliert  die  Zelle  ihren 
fetten  Inhalt,  so  wird  ein  Kern  in  ihr  sichtbar.  Der  Durchmesser 
der  Zellen  schwankt  von  0,01'"  bis  0,06'".  Ihre  Oberfläche  ist,  so 
lange  das  darin  enthaltene  Fetttröpfchen  flüssig  oder  halbflüssig 
bleibt,  gleichmässig  gerundet,  ihr  Rand  unter  dem  Mikroskope  scharf, 
und  wegen  starker  Lichtbrechimg  dunkel.  Es  liegen  immer  mehrere, 
zu  einem  Klttmpchen  aggregirte  Fettzellen  in  einer  Masche  des 
Bindegewebes,  von  deren  Wand  Blutgefässe  abgehen,  welche  zwi- 
schen den  Fettzellen  durchlaufen,  sie  mit  capillaren  Reisern  umwehen, 
und  sich  zu  ihnen  beiläufig  wie  der  verästelte  Stengel  einer  Wein- 
traube zu  den  Beeren  verhalten.  Mehrere  Fettkltlmpchen  bilden 
einen  grösseren  oder  kleineren  Fettlappen,  welcher  von  einer  Binde- 
gewebsmembran  umwickelt  wird.  Nerven  können  einen  Fettklumpen 
oder  Fettlappen  wohl  durchsetzen,  aber  die  Fettbläschen  erhalten 
durchaus  keine  Fäden  von  ihnen.  Das  Fetttröpfchen  ist  nur  im 
lebenden  Thiere  flüssig,  und  stockt  nach  dem  Tode,  wodurch  die 
Fettzelle  ihre  Rundung  einbüsst 


8.  «5.  Feit.  77 

Das  Fett  ist  eine  vollkommen  stickstofffreie  Substanz,  welche  aus  einer 
Verbindung  verschiedener  Fettsäuren  (Oelsäure,  TalgsKure,  Margarinsäure)  mit 
Gljceryloxyd  besteht,  in  letzter  Analyse  79  pCt  Kohlenstoff,  11,5  Wasserstoff 
und  9,5  Sauerstoff  liefert  (Chevreul),  und  sich  somit  von  den  fetten  Oelen  der 
Pflanzen  nicht  wesentlich  unterscheidet  Menschenfett  und  Oliventfi  haben  nach 
Lieb  ig  dieselbe  Zusammensetzung. 

Es  häuft  Sich  das  Fett  bei  reichlicher  Nahrung,  Mangel  an 
Bewegung,  und  jener  Gemtithsruhe,  welche  glücklichen  Menschen 
eigen  ist,  allenthalben  gerne  an,  und  schwindet  unter  entgegenge- 
setzten Umständen  eben  so  leicht  wieder.  Vor  der  Vollendung  des 
Wachsthums  in  die  Länge,  lagert  sich  nur  wenig  Fett  um  die  inne- 
ren Organe  des  menschlichen  Leibes  ab,  welche  wie  die  Netze,  das 
Gekröse,  der  Herzbeutel,  etc.,  im  mittleren  Lebensalter  ein  bedeu- 
tendes Quantum  davon  aufnehmen.  Bei  Embryonen  und  Neugebore- 
nen erscheinen,  selbst  bei  exorbitirender  Fettbildung  unter  der  Haut, 
das  Netz  und  die  Gekröse  fettlos.  In  jedem  interstitiellen  und  um- 
hüllenden Bindegewebe  kann  die  Fettentwicklung  Platz  greifen,  und 
erreicht  ihre  höchste  Ausbildung  im  Unterhautbindegewebe  als  soge- 
nannter Panniculus  adiposus,  vorzüglich  um  die  Brüste,  am  Gesässe, 
und  am  Unterleibe,  so  wie  auch  in  den  Netzen  und  Gekrösen,  beson- 
ders des  Dünndarms,  und  in  den  Interstitien  der  Muskeln,  wo  die 
grossen  Gefilsse  der  Gliedmassen  verlaufen. 

Die  Vitalität  des  Fettes  steht  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe. 
Seine  Empfindlichkeit  ist  gleich  Null,  seine  Zellen  besitzen  durch- 
aus keine  Contractilität,  Stoffwechsel  scheint  in  ihm  gänzlich  zu 
mangeln,  da  das  einmal  abgelagerte  Fett  erst  bei  beginnender  Ab- 
magerung wieder  in  den  Kreislauf  gebracht  wird.  Wunden  eines 
fettreichen  Pannicultis  adiposus  haben  wenig  Neigung  zu  schneller 
Vereinigung,  und  die  chirurgische  Praxis  weiss,  wie  hoch  dieser 
Umstand  bei  der  Heilung  der  Amputations-  und  Stein  Schnittwunden 
fetter  Personen  anzuschlagen  ist.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  ist 
die  Fettbildung  ein  Zeichen  von  Gesundheit  und  Lebensfülle,  dar- 
über hinaus  wird  sie  beschwerlich,  und  in  höherem  Grade  eine  kaum 
zu  heilende  Krankheit.  Welch'  monströsen  Umfang  die  Fettbildung 
erreichen  kann,  beweisen  die  Erfolge  des  Mästens  der  Thiere,  und 
die  zuweilen  enorme  Grösse  der  Fettgeschwülste  (Lipomata).  Man 
hat  weibliche  Brüste  und  männliche  Hodensäcke  durch  Fettwucherung 
ein  Gewicht  von  30  Pfunden  erreichen  gesehen  (Larrey),  und  sich 
zur  Abtragung  derselben  mit  dem  Messer  entschlossen. 

Der  Temperaturgrad,  bei  welchem  thierische  Fette  gerinnen,  ist  sehr  ver- 
schieden. Hierauf  beruht  zum  Theil  die  verschiedene  technische  Verwendung  der 
Fette.  Die  Fettachichte,  welche  unter  der  Haut  der  in  den  Polarmeeren  hausen- 
den ßftugethiere  abgelagert  ist,  und  ihnen  als  schlechter  Wärmeleiter  die  treff- 
lichsten Dienste  leistet,  bleibt  als  Thran  bei  den  tiefsten  Temperaturgraden  flilsaig. 
Man   benutzt  deshalb   den   Thran   vorzugsweise  um   StiefeUeder  und  Biemseng 


78  §•  2ß.  Physiologiische  Bedeutung  des  Fettes. 

geschmeidig  and  biegsam  zu  erhalten,  während  das  selbst  bei  höheren  Wärme- 
graden nicht  schmelzende  Bärenfett,  zn  Pomaden  und  Bartwichsen  gesacht  wird. 
Bei  mittleren  Temperatargraden  flüssig  werdende  Fette,  wie  das  Knochenmark, 
eignen  sich  am  besten  za  Salben,  —  starrbleibende  za  Pflastern. 

Bringt  man  Oel-  oder  Fetttröpfcheu  in  Eiweiss,  so  bildet  sich  nm  sie  ein 
Iläntchen,  die  sogenannte  Haptogenmembran  (Aschcrson),  deren  Entstehung 
sich  wahrscheinlich  ans  einer  oberflächlichen  Verseifiing  des  Fettes  darch  das 
Natron  des  Eiweisses  ergicbt.  Die  vor  der  Zellenbildang  in  den  Blastemen  auf- 
tretenden Elementarkömchen  (§.  18)  scheinen  auf  diese  Weise  zu  entstehen. 


§.  26.  Physiologisclie  Bedeutimg  des  Fettes. 

Die  physiologische  Bedeutung  der  Fettablagerung  ergiebt  sich 
aus  den  Emährungsvorgängen.  Ein  Uoberschuss  kohlenstoff-  und 
wasserstoffreicher  Nahrungsmittel  (Oele,  Fette,  und  die  stickstoff- 
freien vegetabilischen  Substanzen  des  Zuckers,  Amylon,  Gummi^ 
Poetin)  ist  das  Antecedens  derselben.  Um  den  Kohlen-  und  Wasser- 
stoff dieser  Substanzen  aus  dem  Körj)cr  wieder  ausscheiden  zu 
können,  werden  grosse  Mengen  Sauerstoff  erfordert.  Diese  wer- 
den durch  den  Kespirationsact  herbeigeschafft.  Ist  die  genossene 
Kohlen-  und  Wasserstoffmenge  zu  gross,  um  durch  die  eingeath- 
meten  Sauerstoffmengen  als  Kohlensäure  und  Wasser  ausgcathmet 
zu  werden,  so  lagert  sich  der  Ueberschuss  in  jener  Form,  die  wir 
Fett  nennen,  im  Bindegewebe  ab.  Wird  ein  fetter  Mensch  auf 
knappe  Kost  reducirt,  imd  die  reichliche  Nahrungszufuhr  abgeschnit- 
ten, so  muss  durch  die  ununterbrochen  fortdauernde  Ingestion  von 
Sauerstoff,  und  Egestion  von  Kohlensäure  und  Wasser,  wozu  das 
Fett  seinen  Kohlen-  und  Wasserstoff  hergiebt,  die  Fettmenge  noth- 
wendig  abnehmen.  Man  könnte  sagen,  das  Fett  wird  in  diesem 
Fall  ausgcathmet.  Da  gesteigerte  Muskelthötigkeit,  also  körperliche 
Arbeit,  den  Athmungsprocess  beschleunigt,  erklärt  es  sich,  warum 
Fettwerden  ein  Vorrecht  der  Faulen  und  Reichen  ist,  und  ange- 
strengte Arbeit,  nicht  blos  Bewegung  in  freier  Luft,  das  Fett  des 
Mtissiggängers  vertreibt. 

Dass  das  Fett  die  Geschmeidigkeit,  Fülle  und  Rundung  der 
Formen  bedingt,  die  inneren  Organe  als  schlechter  Wärmeleiter 
vor  Abktihlimg  schützt,  kann  allerdings  sein;  dass  es  aber  als  eine 
Vorrathskammer  zu  betrachten  sei,  wo  der  Organismus  seinen 
Ueberfluss  an  Nahrungsstoff  aufspeichert,  um  in  der  Zeit  des  Man- 
gels sich  dessen  zu  bedienen,  ist  eine  aus  obgenannten  chemischen 
Gründen  durchaus  irrige,  obwohl  im  gewöhnlichen  Leben  sehr  ver- 
breitete Vorstellung.  Die  reichste  Fettnahrung  fiihrt ,  wegen  Mangel 
an  Stickstoff,  welchen  alle  thierischen  Gewebe  zu  ihrer  Ernährung 
benöthigen,  zum  sicheren  Hungertode. 


(.  M.    Pli78iolog:iscIie  Bedeutung  des  Fettes.  79 

Ein  wichtiger  und  wenig  gewürdigter  Nutzen  des  Fettes  fliegst 
auB  den  physikalischen  Eigenschaften  der  Fettzellen.  Wenn  jede 
Fettzelle  ein  geschlossenes  Bläschen  ist^  dessen  wassergetränkte 
Haut  einen  ziemlichen  Grad  von  Stärke  besitzt,  so  ist  leicht  ein- 
zusehen,  dass  selbst  ein  starker  Druck  kaum  vermögen  wird,  den 
öligen  Inhalt  der  Zelle  durch  die  feuchte  Wand  durchzupressen. 
Das  Wasser  in  der  Zellenwand  wird  durch  Capillarität  in  den 
Poren  derselben  so  fixirt,  dass  es  durch  das  nachdrückende  Fett 
nicht  zum  Ausweichen  gebracht  wird.  Die  Fettzelle  verhält  sich 
somit  beiläufig  wie  ein  Luftkissen,  durch  welches  Stoss  und  Druck 
auf  gewisse  Organe  gemindert  werden.  Diese  mechanische  Ver- 
wendung der  Fettzellen  erklärt  ims  ihr  häufiges  und  regelmässiges 
Vorkommen  im  Plattfusse,  in  der  Hohlhand,  und  auf  dem  Gesässe, 
wo  der  äussere  Druck  am  öftesten  und  anhaltendsten  wirkt.  Bei 
allgemeiner  Abmagerung,  und  bei  Fettarmuth  der  Reconvalescenten 
aus  fieberhaften  Krankheiten,  ist,  abgesehen  von  der  Schwä<;he  der 
Muskelkraft,  das  Schwinden  der  Fettzellen  wohl  eine  Hauptursache, 
warum  längeres  Gehen,  Stehen,  selbst  Sitzen,  nicht  vertragen  >vird. 
Dieses  Schwinden  des  Fettes  ist  jedoch  nicht  als  ein  Vergehen  der 
Fettzellen  zu  nehmen.  Es  schwindet  nur  der  Inhalt  der  Fettzellen. 
Die  Zelle  selbst  bleibt  zurück,  schrumpft  ein,  und  enthält  blos 
etwas  wässeriges  Serum.  —  Da  die  durchfeuchtete  Zellenwand  ein 
Hindemiss  ftlr  die  Aufsaugung  des  Fettes  beim  Abmagern  abgiebt, 
so  kann  diese  Aufsaugung  nur  so  gedacht  werden,  dass  das  Fett 
vor  seiner  Aufsaugung  verseift  wird,  in  welchem  Zustande  die 
wassergetränkten  Häute,  welche  es  zu  passiren  hat,  seinen  Durch- 
gang gestatten. 

Uebermässige  Fettabsonderung  kann  den  Muskeln,  zwischen 
welchen  sie  sich  eindrängt,  ihren  Raum  streitig  machen,  und  sie 
durch  Druck  so  sehr  zum  Schwinden  bringen,  dass  sie,  wie  bei 
gemästeten  Hausthieren,  kaum  als  rothe,  den  Speck  durchziehende 
Striemen  noch  zu  erkennen  sind.  Von  diesem  Verdrängtwerden 
der  Muskeln  durch  umlagerndes  Fett,  ist  die  sogenannte  fettige  Um- 
wandlung derselben  zu  unterscheiden,  welche  als  Krankheit,  ohne 
allgemeine  Fettwuchenmg,  vorkommt. 

Das  Knochenmark,  Medulla  ossium,  stimmt  in  jeder  Hinsicht 
mit  der  gegebenen  Beschreibung  des  Fettgewebes  tiberein,  imd  ist 
somit  Fett,  und  nicht  Mark.  Der  Begriff  des  Markes  gehört  einer 
ganz  anderen  Gewebsform,  dem  Nervensystem,  an,  indem  man  nur 
von  einem  Gehimmark,  Rückenmark,  und  Nervenmark  spricht.  Es 
kann  daher  das  Knochenmark  auch  unmöglich  empfindlich  sein,  wie 
man  im  gewöhnlichen  Leben  meint.  Das  Trocknen  der  Knochen  auf 
der  Bleiche,  wodurch  der  Wassergehalt  der  Knochensubstanz  ver- 
loren  geht,   und  letztere  mit   dem   von   der  Markhöhle  aus  in  sie 


80  8*  M'   Pli7>iologi8clie  Bedeutung  des  Fettes. 

eindringenden  Fette  imprägnirt  wird,  lässt  sie  deshalb  oft  erst  während 
des  Bleichens  fett  werden,  während  sie  es  im  frischen  Zustande 
nicht  zu  sein  schienen.  Der  Bindegewebsantheil  ist  im  Fette  des 
Knochenmarkes  ein  viel  geringerer,  als  im  gewöhnlichen  Fett. 

Mikroskopische  Behandlung.  Ein  kleines  Fettklflmpchen  wird,  wie 
früher  beim  Bindegewebe  erwähnt,  auf  einer  Glasplatte  ausgebreitet,  und  bei 
300  bis  400  Linear-Vergrösserung  mit  durchgehendem  Lichte  untersucht.  Die 
Fettzellen  erscheinen  gleichförmig  gerundet,  sphärisch  oder  oval,  mit  dunklen 
Rändern,  und  hinlänglich  durchsichtig,  um  durch  eine  Zelle  hindurch  jenen  Theil 
der  darunterliegenden  deutlich  zu  unterscheiden,  welcher  von  ihr  bedeckt  wird. 
Die  dunkleki  Umrandungen  vieler  Zellen  werden  somit  als  Bogenlinien  gesehen 
werden,  die  sich  schneiden.  Bei  Beleuchtung  von  oben  erscheinen  die  Fcttzellen 
weiss.  Man  bemerkt  keinen  Unterschied  von  Zcllenwand  und  Inhalt,  so  fein 
ist  die  erstere.  Durch  Behandlung  mit  Aether  lässt  sich  das  Fettcontentum  der 
Zellen  ausziehen,  und  die  Zellenmembran  bleibt  unversehrt  zurück.  —  Beginnt 
die  Fettzelle  zu  trocknen,  so  wirkt  die  Zellenmembran,  deren  Feuchtigkeit  ver- 
dunstet, nicht  mehr  isolirend  auf  den  Inhalt,  —  letzterer  schwitzt,  als  fetter 
Beschlag,  an  der  Oberfläche  der  Zelle  heraus,  und  fliesst  mit  ähnlichen  Fett- 
perlen der  nahen  Zellen  zusammen.  Dieses  aus  seiner  Zelle  gewichene  Fett  hat 
nie  die  Form  der  Zelle,  sondern  erscheint  linsenförmig,  als  schillerndes  soge^ 
nanntes  Fettauge,  wie  man  deren  viele  auf  den  Fleischbrühen  schwimmen 
sieht,  und  in  der  Milch,  im  Chylus,  im  Eiter,  und  unter  besonderen  Umständen 
auch  in  einigen  Secreten  antrifft.  Essigsäure  und  Mineralsäuren,  welche  der  Zel- 
lenwand ihre  Feuchtigkeit  entreissen,  wirken  auf  ähnliche  Weise.  Mittels  des 
Compressorium  (einer  Vorrichtung  zum  Abplatten  mikroskopischer  Objecte  durch 
methodischen  Druck)  bemerkt  man,  dass  die  Zellen  einen  ziemlichen  Druck  aus- 
halten, ohne  zu  platzen,  und,  wenn  der  Druck  nachlässt,  ihre  frühere  Gestalt 
wieder  annehmen,  vorausgesetzt,  dass  das  Fett  nicht  gestockt  ist.  Der  Kern  der 
Fettzellen  kommt  nur  bei  fettleeren  Zellen  zur  Ansicht.  —  Die  sternförmigen 
Figuren  an  der  Oberfläche  gewisser  Fettzellen,  welche  He  nie  zuerst  beobach- 
tete, wurden  von  ihrem  Entdecker  für  Stearinkrystalle  gehalten.  Ihre  Unauflös- 
lichkeit in  Aether  steht  dieser  Annahme  entgegen.  Ich  habe  sie  beim  Dachs  und 
Siebenschläfer  sehr  ausgezeichnet  angetroffen,  und  beim  neuholländischen  Strauss 
an  beiden  Polen  derselben  Fettzellen  als  Krystallrosen  von  16 — 20  Strahlen 
gesehen.  Ohne  Zweifel  entstehen  diese  Krystallformen  erst  während  des  mit  dem 
Tode  eintretenden  Erstarrens  des  Fettes,  durch  Ausscheiden  krystallisirender  Mar- 
garinsäure. 

Bei  Thieren  kommen  auch  farbige  Fettarten  (bei  den  Vögeln  unter  der 
Haut  des  Schnabels  und  der  Füsse,  in  der  Iris)  vor,  und  die  Fettabsonderung 
nimmt  einen  periodischen  Charakter  an,  wie  im  Larvenzustande  der  Insecten,  bei 
den  Raubvögeln,  dem  Wilde,  und  bei  den  Winterschläfem. 

Ausführliches  enthalten:  Henlt,  allgem.  Anat.  pag.  390  seqq.  —  Schwann, 
mikroskopische  Untersuchungen.  1839  (pag.  140,  Darstellung  der  Fettzellen  als 
Primitivzellen).  —  Aacherton,  über  den  physiologischen  Nutzen  der  Fettstoffe,  in 
Müller*»  Archiv.  1840.  p.  44.  —  Kölliker,  histol.  Bemerkungen  Über  Fettzellen, 
in  der  Zeitschrift  für  wiss.  ZooL  2.  Bd.  p.  118.  —  WUlich,  Bindegewebs-,  Fett- 
und  Pigmentzellen,  im  Archiv  für  pathol.  Anat.  1856.  —  R,  Hein,  de  ossium 
meduUa.  Berol.,  1856.  « 


S.    27.    Pigment.  gl 


§.   27.   Pigment. 

Die  Färbung  der  Organe  hängt  theils  von  ihrem  Gewebe,  von 
der  Gestalt  und  der  ZusammenfUgung  ihrer  kleinsten  Theilchen, 
von  ihrem  Blutreich thum,  bei  durchscheinenden  Gebilden  auch  von 
der  Färbung  der  Unterlage,  oder  von  einem  besonderen,  in  Zellen 
eingeschlossenen  Färbestoff  ab.  Letzterer  heisst  Pigment.  Zellen 
mit  schwarzem  Pigment  gefiillt  finden  sich  unter  der  Oberhaut  des 
Negers,  und  im  Auge  aller  Menschenracen.  Die  Brustwarze  und 
ihr  Hof,  die  Haut  der  äusseren  Genitalien  und  der  Aftergegend, 
besitzen  gleichfalls  Pigmentzellen,  und  in  den  Schenkeln  des  grossen 
Gehirns,  in  den  Bronchialdrüsen,  in  der  Lungensubstanz  und  in 
den  Ampullen  der  Bogengänge  des  Labyrinthes  wird  dunkles  Pig- 
ment abgelagert.  Die  Sonmiersprossen  (Ephelides)  und  Leberflecke 
(Chloaamata)  verdanken  ihr  Entstehen  derselben  Ursache,  und  nur 
von  dem  durch  die  Sonne  gebräunten  Teint  der  Südländer  ist  es 
noch  unentschieden,  ob  er  durch  chemische  Veränderung  der  Ober- 
haut, oder  durch  Pigmentbildung  bedingt  wird. 

Anatomische  Eigenschaften.  Man  imterscheidet  an  den 
Pigmentzellen,  wie  an  allen  Zellen,  Hülle  und  Inhalt.  Die  Hülle 
besteht  aus  einem  durchsichtigen,  structurlosen  Häutchen,  welches 
entweder  polygonal,  oder  rundlich  ist,  oder  mit  ästigen  Fortsätzen 
besetzt  erscheint.  Liegen  mehrere  Pigmentzellen  dicht  gedrängt  in 
einer  Fläche  neben  einander,  so  platten  sie  sich  gegenseitig  ab, 
und  nehmen  die  polygonale  Form  an,  wie  in  der  Pigmentschichte 
der  Aderhaut  des  Auges.  Rücken  sie  etwas  weiter  aus  einander, 
so  fällt  die  Ursache  des  Eckig^verdens  weg,  und  sie  erscheinen 
rundlich,  wie  auf  der  hinteren  Fläche  der  Iris,  auf  den  Ciliarfort- 
sätzen,  unter  der  Oberhaut  des  Negers,  und  in  den  dunkcl-pigmen- 
tirten  Ilautstellen  weisser  Racen.  Treiben  sie  Aeste  aus,  wolche 
entweder  blind  endigen,  oder  mit  den  Aesten  benachbarter  Zellen 
zusammenfliessen ,  so  entsteht  jene  verzweigte  Zellenform,  welche 
im  menschlichen  Leibe  in  der  Lamina  fusca  des  Auges,  bei  Thieren 
dagegen  häufiger  vorkommt.  Ilieher  gehören  die  Pigmentflecke  in 
der  Haut  der  Frösche,  die  gestrichelten  oder  gesprenkelten  schwar- 
zen Flecke  im  Peritoneum  vieler  Amphibien  und  Fische,  in  der 
Haut  der  Kalkschale  der  Krebse,  und  in  der  allgemeinen  Decke 
der  Cephalopoden  (Chromatophoren).  Die  eckigen  Pigmentzellen 
erscheinen,  wo  sie  sich  nicht  schichtweise  decken,  durch  helle  Streifen 
von  einander  getrennt,  welche  theils  der  durchsichtigen  Zell(*nwand, 
theils  dem  formlosen  Blastem,  in  welchem  die  Zellen  eingrrb(»ttet 
sind,  entsprechen.  Die  Grösse  der  Zellen  variirt  zwischen  0/H)5'" 
uml   fi(»08'".    Der  Inhalt  der  Pigmentzellen  ist  eine  körnige  Masse, 


82  §.  S7.   Pigment. 

deren  Moleküle  entweder  frei  und  zusammenhangslos,  oder  in  lüum- 
pen  gehäuft  herumschwimmen,  wenn  eine  Zelle  platzt  oder  zerdrtlckt 
wird.  Diese  Pigmentkömehen  zeigen  im  freien  Zustande  (selbst 
auch  im  Inneren  ihrer  Wohnzelle)  lebhafte  Bewegungen  (B  r  o  w  n'sche 
Molekularbewegung),  imd  scheinen  ihre  Form  während  der  Dauer 
der  Beobachtimg  zu  ändern.  Die  Formänderung  ist  jedoch  nur 
scheinbar,  da  ein  Molekül  bei  seiner  lebhaften  Bewegung  sich  von 
verschiedenen  Seiten  zeigt.  Fast  in  allen  Pigmentzellen  findet 
sich  ein  von  den  Körnern  theilweise  verdeckter,  heller  und  durch- 
sichtiger Kern. 

Chemisches  Verhalten.  Die  Pigmentzellen  sind  in  Essig- 
säure löslich,  im  Wasser  platzen  sie  gerne,  und  entziehen  sich  durch 
Entleerung  ihres  Inhaltes  der  Beobachtung.  Die  Pigmentkömer  sind 
weder  durch  Wasser,  noch  durch  concentrirte  Essigsäure,  Aether 
oder  verdünnte  Mineralsäuren  zerstörbar.  Durch  kaustische  Alkalien 
werden  sie  bald  aufgelöst.  Nach  Scheerer's  Analyse  besteht  das 
schwarze  Pigment  im  Rindsauge  aus:  58,284  Procent  Kohlenstoff, 
22,030  Sauerstoff,  13,768  Stickstoff,  5,918  Wasserstoff. 

Ueber  die  physiologische  Bestimmung  des  Pigments  sind 
wir  nur  im  Auge  unterrichtet,  wo  es  aus  demselben  optischen  Grunde 
geschaffen  wurde,  aus  welchem  man  alle  optischen  Instrumente  an 
der  Innenfläche  schwärzt.  Die  Bedeutung  der  Hautpigmente,  welche 
bei  vielen  Thieren  ein  äusserst  lebhaftes  Colorit  besitzen,  liegt  ganz 
im  Dunkel.  In  gewissen  Krankheiten  wird  das  schwarze  Pigment  in 
bedeutenden  Massen  angehäuft  (Melanosis). 

Mikroskopische  Behandlung.  Man  wähle  das  Pigment  der  Choroidea 
eines  frisch  geschlachteten  Thieres,  welches  sich  mit  Vorsicht  in  grösseren  Läpp- 
chen auf  den  Objectträger  bringen  lässt.  Jeder  Druck  und  jede  Zerrung  müssen 
sorgfältig  vermieden  werden,  da  die  Zellen  leicht  platzen,  und  die  hellen  Zwischen- 
linien der  Zellenmosaik  nur  im  unversehrten  Zustande  des  Objects  zu  beobachten 
sind.  Man  vermeide  auch,  wenn  man  nicht  gerade  die  Molekularbewegung  der 
Pigmentkömer  sehen  will,  jeden  Wasserzusatz,  und  bediene  sich  zur  Befeuch- 
tung lieber  des  frischen  Eiweisses  oder  des  Blutserums.  Um  die  Pigmentmoleküle 
genauer  zu  sehen,  muss  die   Linearvergrösserung  auf  760  vermehrt  werden. 

Die  Frage,  ob  das  Pigment  sich  mit  einer  Zelle  umgebe,  oder  die  Zelle 
ihr  Pigment  erzeuge,  muss  dahin  beantwortet  werden,  dass  in  der  Regel  sich 
zuerst  eine  kernhaltige,  aber  farblose  Zelle  bildet,  um  deren  Kern  sich  das  Pig- 
ment ablagert  (Gerlach),  dass  aber  bei  pathologischen  Pigmenten  sich  zuerst 
ein  Kern  mit  Pigmentmolekülen  umgiobt,  und  dann  erst  das  Ganze  von  einer 
Zelle  umschlossen  wird  (Bruch).  Es  ist  sehr  interessant,  dass,  wenn  die  Pig- 
mentabsonderung unterbleibt,  die  Zellen  dennoch  regelmässig  gebildet  erscheinen, 
wie  man  an  der  Pigmentschichte  im  Auge  der  rothäugigen  Kaninchen  leicht 
beobachten  kann. 

Das  merkwürdige  Farbenspiel  in  der  Haut  des  Chamäleon  und  der  cepha- 
lopodischen  Mollusken,  hängt  von  einer  nnter  dem  Einflüsse  des  Nervensystems 
stehenden  Contractilität  der  PigmentzeUen  ab,  welche  Grösse  und  Form  der 
Zellen,  so  wie  ihren  Farbeneffect  ändert 


|.  SS.   Oberhaat  ona  EpitheUen.  83 

C.   Bruch,  über  dai  körnige   Pigment   der  Wirbelthiere.    Zürich,  1844.  — 
Virchow^  die  pathol.  Pigmente,  im  Archiv  für  path.  Anat  1.  Bd. 


§.  28.  Oberhaut  und  Epithelien. 

Zu  jenen  Geweben,  in  welchen  die  ZeUen,  aus  denen  sie 
ursprünglich  sich  aufbauen,  der  Form  nach  am  wenigsten  verändert 
werden,  gehören  jene  Begrenzungsgebilde,  welche  sowohl  an  der 
äusseren  Oberfläche  des  thierischen  Leibes,  als  auch  an  den  inneren 
freien  Flächen  von  Höhlen  und  Kanälen,  vorkommen.  Sie  schhessen 
sich  demnach  naturgemäss  an  das  Fett-  und  Pigmentgewebe  an.  Die 
Begrenzimgs-  oder  Deckgebilde  der  äusseren  Leibesoberfläche  heissen 
Oberhaut,  EpideiTnis,  jene  der  inneren  Höhlen  und  Kanäle  Epi- 
thelium  *). 

Die  Zellen  der  Epithelien  bleiben,  so  lange  sie  überhaupt  dauern, 
in  ihrem  ursprünglichen,  weichen  Zustande,  welcher  ihnen  als  kern- 
haltigen Protoplasmaklümpchen,  oder  als  wahren  Zellen  zukommt. 
Die  ZeUen  der  Oberhaut  dagegen,  fiillen  sich  von  der  Hülle  gegen 
den  Kern,  mit  einem  der  HtÜle  gleichartigen,  eiweissartigen,  festen 
Stofl^e  (Keratin,  Homstoff)  nach  und  nach  so  an,  dass  die  Zellen- 
höhle verschwindet.  Dabei  wird  die  Zellenwand  trübe  und  endlich 
undurchsichtig,  erhärtet  oder  verhornt,  und  wird  in  diesem  Zu- 
stande durch  Essigsäure  nicht  mehr  verändert.  Was  aus  dem  Kern 
der  Zellen  wird,  ist  unbekannt,  da  die  mit  der  Verhomung  gege- 
bene Trübung  der  Zelle,  in's  Innere  derselben  keine  Einsicht  erlaubt. 
Die  Zelle  verliert  während  des  Verhornungsprocesses  ihre  Fülle  und 
Rundung,  und  wird  zidetzt  zu  einem  trockenen  spröden  Schüpp- 
chen oder  Blättchen,  welches  mit  seinen  Nachbarn  zu  einer  mehr 
oder  weniger  beträchthchen  Hörn  schichte  verschmilzt,  an  welcher 
keine  fernere  lebendige  Umbildung,  höchstens  mechanische  Abnützung 
durch  Reibung,  oder  Abfallen  durch  Verwittern,  beobachtet  wird. 
Das  halbflüssige  Blastem,  welches  die  jungen  Hornzellen  umgab, 
erleidet  dieselbe  Erhärtung,  wie  die  Zellen,  und  dient,  wenn  es 
ebenfalls  vollkommen  vertrocknet  und  verhornt  ist,  den  Scheibchen 
und  Blättchen  zum  festen  Bindungsmittel.  Dieses  Bindungsmittel 
wird  durch  verdünnte  Schwefelsäure  aufgelöst,  wodurch  die  Scheib- 
chen (welche  ihr  widerstehen)  sich  lockern  und  endlich  trennen.  — 
Geht  von  den  älteren,  bereits  abgelebten  Zellcnschichten,  eine  durch 


*)  Ich  glaubte,  dass  der  Name  von  hzX  to  t^Xo?,  auf  der  Endfläche,  abzu- 
leiten, und  somit  richtiger  Epitdium  zu  schreiben  sei.  Virchow  hat  jedoch  den 
Nachweis  geliefert,  das«  der  berühmte  Anatom,  Fried.  Ruysch,  das  Wort  Epi- 
tkelium  zuerst  für  jene  feine  Epidermis  gebrauchte,  welche  die  Tastwärzchen  des 
Lippensanmes  bedeckt  (Ov)X^,  papilla),  und  somit  die  ältere  Schreibart  auch  die 
richtige  ist. 

6» 


84  $•  ^*  Allgemeine  Bigenechaften  der  Spithelien. 

Abblättern  verloren,  (was  an  der  menschlichen  Oberhaut,  durch  eine 
Art  von  ununterbrochener  Häutung  fortwährend  stattfindet,  so  wird 
durch  neuen  Nachschub  frischer  Zellen  von  unten,  der  Defect  wie- 
der ausgeglichen.  Jede  tiefe  Schichte  muss  somit  einmal  die  oberste 
werden,  um  ebenso  abzufallen,  wie  ihre  Vorgänger.  —  Epidermis 
und  Epithelien  empfinden  nicht,  haben  keine  eigene  Bewegung, 
besitzen  weder  Blutgefässe  noch  Nerven,  können  sich  somit  weder 
entzünden,  noch  schmerzen,  noch  irgendwie  durch  sich  selbst  erkran- 
ken, und  zeichnen  sich  durch  ihre  prompte  Regeneration  vor  allen 
übrigen  Geweben  aus.  Als  schlechte  Wärme-  oder  Elektricitäts- 
leiter  (letztere  nur  im  trockenen  Zustande)  können  sie  als  eine  Art 
Isolatoren  des  Organismus  angesehen  werden. 

Der  früher  erw&hnte  HoniBtoff  ist  in  kaltem  Wasser  anlöslich,  schwillt  bei 
längerem  Befeuchten  etwas  auf,  erweicht  sich  durch  Einwirkung  von  Alkalien 
(daher  der  allgemeine  Gebrauch  der  Seife  beim  Waschen),  löst  sich  aber  selbst 
nach  langem  Kochen  nicht  auf.  Alkohol  und  Aether  lassen  ihn  unverändert; 
kaustische  fixe  Alkalien  lösen  ihn  unter  Entwicklung  von  Ammoniakgeruch  auf. 
Bei  100^  R.  erweicht  er  sich,  liefert  bei  trockener  Destillation  sehr  viel  kohlen- 
saures Ammoniak  mit  empyreumatischem  Oele,  verbrennt  unter  Luftzutritt,  und 
hinterlässt  eine  Asche,  welche  kohlensauren  und  phosphorsauren  Kalk,  nebst 
einem  Antheile  phosphorsauren  Natrons  giebt. 

Die  Oberhaut,  ihr  Zngehör  als  Haare  und  Nägel,  so  wie  das  äussere  Haut- 
Organ,  welchem  diese  Gebilde  angehören,  habe  ich  gegen  den  gewöhnlichen 
Gebrauch,  in  die  specielle  Anatomie  aufgenommen.  Die  Beziehungen  des  Haut- 
organs zu  den  Sinnen  und  den  Eingeweiden  bestimmten  mich  zu  dieser  Abweichung. 
Es  erübriget  hier  somit  nur  die  Schilderung  der  Epithelien. 


§.   29.   Allgemeine  Eigenschaften  der  Epithelien. 

Jede  freie  Fläche  einer  Membran,  einer  Höhlenwand,  eines 
Kanals  und  seiner  Verzweigungen,  besitzt  einen  aus  Zellen  zusam- 
mengesetzten Ueberzug.  Dieser  ist  das  Epithelium, 

Das  Epithelium  erscheint  theils  als  einfaches  Zellenstratum, 
theils  als  mehrfach  geschichtetes  Zellenlager.  Die  Form  der  Zellen 
variirt  nach  Verschiedenheit  des  Ortes,  wo  sie  vorkommen.  Der 
Kern  der  Zellen  zeigt  sich  bei  starken  Vergrösserungen  mit  einem 
oder  zwei  dunkleren  Kernkörperchen  versehen,  und  liegt  selten  in 
der  Mitte  der  Zelle,  meistens  an  oder  selbst  in  der  Wand  derselben. 
Gelingt  es,  eine  Zelle  zu  zersprengen,  so  tritt  der  freie  Kern  her- 
aus (Vogel).  An  abgeplatteten  Zellen  bildet  der  Kern  an  beiden 
Flächen  derselben  einen  Vorsprung. 

Man  unterscheidet  folgende  zwei  Arten  von  Epithelien: 

a)  Das  Pflasterepithelium.  Es  wird,  seines  mosaikartigen 
Ansehens  wegen,  so  genannt.  Seine  Zellen  sind  anfangs  rundlich, 
flachen  sich  später  durch  gegenseitigen  Druck  ab,  und  werden  eckig. 


f.  S9.   Allgemeine  Eigensliaften  der  EpitheUen.  35 

Die  runden  oder  ovalen  Zellenkerne  sind  bei  jungen  Zellen  von 
der  Hülle  dicht  umschlossen,  entfernen  sich  aber  durch  das  Wachs* 
thum  der  letzteren  von  ihr,  und  der  Raum  zwischen  Zelle  und  Kern 
wird  entweder  von  einem  flüssigen,  gleichartigen  und  durchsichtigen, 
oder  kömigen  Inhalt  (Eiweiss-  und  Fettmoleküle)  eingenommen.  — 
Das  Pflasterepithelium  ist  weiter  verbreitet,  als  die  übrigen  Epithe- 
lialformen. Es  findet  sich  an  den  freien,  glatten  Flächen  aller  serösen 
Membranen,  femer  an  der  inneren  Oberfläche  der  Blut-  und  Lymph- 
geßUsse,  in  den  feineren  Verzweigungen  der  Drüsenausfiihrungsgänge 
und  der  Luftwege  der  Lungen,  imd  an  gewissen,  zarten  Schleim- 
häuten, z.  B.  der  Trommelhöhle,  als  einfache,  zierliche  Zellen- 
schichte. Mehrfach  geschichtet  dagegen  erscheint  es  an  einigen 
Synovialhäuten;  und  an  bestimmten  Strecken  des  Verdauungs-  und 
Zeugungssystems  wird  es  so  mächtig,  dass  es  durch  Maceration  in 
grösseren  oder  kleineren  Stücken  abgezogen  werden  kann,  wie  auf 
der  Schleimhaut  der  Mundhöhle,  des  Rachens,  der  Speiseröhre,  der 
weiblichen  Scheide.  In  der  Harnblase,  den  Harnleitern,  den  Nieren- 
becken und  Nierenkelchen,  kommt  es  ebenfalls  mehrfach  geschichtet, 
aber  mit  geringerer  Mächtigkeit  vor.  Nehmen  die  Zellen  des  Pflaster- 
epithels eine  flache  und  breite  Form  an,  so  entsteht  das  sogenannte 
Plattenepithelium  (Mundhöhle). 

M.  Schnitze  beschrieb  (Med.  Centralblatt,  1864.  Nr.  12)  eine  neue,  höchst 
interessante  Art  von  Zellen,  welche  in  den  tieferen  Schichten  der  geschichteten 
Pflasterepithelien  vorkommen,  als  Stachel-  oder  Riffz eilen.  Sie  sind  mit 
Stacheln  oder  mit  Leisten  (Riffen)  besetzt,  durch  deren  Vermittlung  die  Zellen 
ineinander  greifen  und  zusammenhalten.  Dass  diese  Stacheln  auch  in  jene  Haut- 
schichte eingreifen,  auf  welcher  das  betreffende  Epithel  lagert,  hat  Henle  an 
der  äusseren  Haut  als  Verzahnung  derselben  mit  der  Oberhaut,  schon  vor 
Schnitze  erwähnt. 

b)  Das  Cylinderepithelium  entsteht  durch  Entwicklung 
und  Wachsthum  der  ursprünglich  runden  Zellen  nach  einer  Rich- 
tung, welche  senkrecht  auf  der  betreffenden  Schleimhautfläche  steht. 
Die  Zellen  dieses  Epithels  sind  keine  Cylinder  im  mathematischen 
Sinne,  da  jenes  Ende,  welches  die  darunter  liegende  Haut  berührt, 
schmal,  das  gegen  die  Höhle  gerichtete,  von  der  Unterlage  abge- 
wendete Ende  breiter  ist.  Die  Cylinder  sind  also  eigentlich  abge- 
stutzte Kegel.  Da  auf  einer  Ebene  aufgepflanzte  Kegel  sich  nicht 
allseitig  berühren,  so  bleiben  zwischen  den  schmäleren  Theilen  der 
Kegel  Räume  übrig,  in  welchen  sich  junge  Zellen  entwickeln  kön- 
nen. Der  Kern  der  Zelle  liegt  in  der  Mitte,  zwischen  dem  schma- 
len und  breiten  Zellenende,  und  ist  zuweilen  so  ansehnlich,  dass  er 
die  Zellenwand  ein  wenig  herauswölbt,  wodurch  die  Cylinderform 
noch  mehr  beeinträchtigt  wird,  und  bauchig  erscheint.  —  Faden- 
förmige Fortsätze,  welche  von  dem  aufsitzenden  Ende  der  Zelle 
in  die  Unterlage  der  EpitheUen  eindringen,  wurden  an  verschiedenen 


86  §.  S9.  Allgemein«  Eigenichaften  der  Epithelien. 

Orten  (Riechschleimhaut,  Himhöhlenwandungen)  erkannt.  —  Das 
Cylinderepithel  findet  sich  im  Darmkanale,  vom  Mageneingange  bis 
zum  After,  in  den  Ausfuhrungsgängen  fast  aller  Drüsen,  in  den 
Samenbläschen,  in  der  Gallenblase,  dem  Vcis  deferens,  und  in  der 
Harnröhre  bis  in  die  Nähe  der  äusseren  Oeffhung  derselben,  wo 
Pflasterepithel  vorkommt. 

Der  Uebergang  von  Pflaster-  in  Cylinderepithelium  erscheint  nur  an  den 
Mündungen  der  Speicheldrüsen  plötzlich,  sonst  wird  er  durch  Zwischenformen, 
welche  Henle  Uebergangsepithelium  nannte,  vorbereitet  Unter  den  Cylin- 
dem  finden  sich  öfters  jüngere  Zcllenformationen  als  rundliche  Bl&schen;  auch 
erscheinen  zuweilen  cylindrische  Zellen  mit  Pflasterzellen  gemengt,  wie  an  der 
Conjunctiva  des  Auges.  Der  Umstand,  dass  man  mitunter  auf  cjlindrische  Zellen 
mit  zwei  Kernen  stösst,  kann,  seiner  Seltenheit  wegen,  nicht  als  Beleg  der  An- 
sicht dienen,  dass  sich  die  Cjlinderzcllen  durch  Uebereinanderstellen  von  Pflaster- 
zellen, und  Resorption  der  Zwischenwände  entwickeln. 

Als  besondere  Art  des  Cylinderepithels  erscheint  das  Flim- 
merepithel. Denkt  man  sich  auf  dem  breiten,  freien  £nde  einer 
bauchigen  Cylinderzelle  6 — 20  kurze,  helle,  platte  und  spitzige, 
äusserst  feine  Fädchen  aufsitzen,  welche  Cilien  (Flimmerhaare) 
heissen,  und  während  des  Lebens,  ja  selbst  eine  geraume  Zeit 
nach  dem  Tode,  in  wirbelnder  Bewegung  sind  (flimmern),  so  er- 
hält man  die  Form  einer  Flimmerzelle.  Bei  niederen  Thieren 
kommen  an  verschiedenen  Stellen,  statt  der  Flimmerzcllen ,  blos 
vibrirende  Fäden  vor.  In  jenen  wesentlichen  Bestandtheilen  des 
männlichen  Samens,  welche  als  Spermatozoon  bezeichnet  werden,  hat 
man  Kerne  mit  einem  einzigen  langen  Flimmerhaare  erkannt.  — 
Die  flimmernde  Bewegung  ist  sehr  rasch  und  lebhaft,  und  gleicht, 
wenn  man  eine  grössere  vibrirende  Fläche  unter  dem  IVIikroskope 
betrachtet,  jenen  Wogen  und  Wirbeln,  die  man  auf  oinem  hochge- 
wachsenen Komfelde  sieht,  wenn  der  Wind  darüber  wegstreicht. 
Flimmercpithelium  findet  sich: 

1.  auf  der  Schleimhaut,  welche  die  respiratorischen  Wege  aus- 
kleidet, und  zwar:  o.  in  der  knöchernen  NasenhölJe,  von  wo  es  in 
die  Thränenwege  eintritt,  in  den  Thränenröhrchen  durch  Pflaster- 
epithelium  ersetzt  wird,  und  an  der  hinteren  Fläche  der  Augenlider 
wieder  als  flimmernd  auftritt  (?);  ß.  in  dem  oberen  Theile  des 
Pharynx,  von  wo  es  in  die  Tubae  Enstachü  eindringt;  y.  im  Kehl- 
kopfe, wo  es  unter  der  Stimmritze  beginnt,  und  durch  die  Luft- 
röhre und  deren  Verzweigungen  sich  fortsetzt; 

2.  auf  der  Schleimhaut  des  Uterus  und  der  Tuben; 

3.  in  gewissen  Bezirken  des  Samengeftlsses  des  Nebenhodens; 

4.  auf  dem  häutigen  Ueberzuge  der  Gehirnkammern  bei  Em- 
bryonen (nach  Purkinje  und  Valentin).  Bei  Erwachsenen  ist 
dieses  Vorkommen  ungewiss,  indem  Henle  es  an  einem  15  Minu- 
ten nach  dem  Tode  untersuchten  Verbrecher  nicht  finden  konnte; 


g.  29.   Allgemeine  Eigenschaften  der  Epithelien.  87 

5.  in  den  Anfängen  der  Harnkanälchen  (im  Menschen  noch 
nicht  sichergestellt;  sehr  deutlich  dagegen  bei  den  nackten  Am- 
phibien). 

Die  Richtung  der  Bewegung  der  Cilien  strebt  wohl  allgemein 
gegen  die  Endmündung  des  betreffenden  Kanals  ^  also  in  den  Ath- 
mungsorganen  nach  oben,  in  den  Geschlechtswegen  nach  unten. 
He  nie  sah  ein  auf  die  Luftröhrenschleimhaut  der  noch  warmen 
Leiche  eines  gerichteten  Verbrechers  gelegtes  Minimum  von  Kohlen- 
pulver, binnen  15  Secunden  um  die  Breite  eines  Knorpelringes  durch 
Flimmerbewegung  gegen  den  Kehlkopf  fortgeschafft  werden.  Wenn 
man  in  den  Lungensack  eines  eben  getödteten  Frosches,  durch  eine 
kleine  Wunde  desselben  Kohlenpulver  einbringt,  findet  man  nach 
einigen  Stunden  dasselbe  schon  in  der  Mundhöhle. 

Was  die  Form  der  Bewegung  der  einzelnen  Flimmerhaare 
anbelangt,  so  ist  diese  bei  den  Säugethieren  ein  einfaches  Hin- 
und  Herschwingen,  etwa  wie  ein  Pendel.  Haken-  und  peitschen- 
förmige  Bewegungen  der  Flimmerhaare  kommen  bei  Mollusken, 
Bewegungen  in  einer  Kegelfläche  bei  den  Räderthierchen  vor.  — 

Mikroskopische  Behandlung.  Um  das  einfache  Pflasterepithe- 
liam  kennen  zu  lernen,  reicht  es  hin,  mit  dem  Scalpelle  über  die  freie  Fläche 
einer  serösen  Membran,  gleichviel  welcher,  leicht  hinzustreifen,  und  die  abge- 
schabte schleimige  Masse  auf  den  Objectträger  zu  bringen,  sie  mit  Speichel 
oder  Blutserum  zu  befeuchten,  auszubreiten,  und  mit  einem  dünnen  Glas-  oder 
Glimmerblättchen  zu  bedecken.  Man  wird  einzelne  rundliche  Zellen  und  mosaik- 
artige Aggregate  derselben  zur  Ansicht  bekommen.  Die  Aggregate  zerfallen, 
wenn  sie  jüngerer  Formation  sind,  durch  Zugabe  von  Essigsäure  (welche  das 
Bindungsmittel  der  Zellen  löst)  in  einzelne  Zellen.  Um  mehrfach  geschich- 
tetes Pflasterepithelium  und  die  Metamorphosen  der  Zellen  in  den  alten 
und  jungen  Schichten  zu  studiren,  wählt  man  eine  dünne  Schleimhaut,  am 
besten  die  Bindehaut  des  Augapfels,  präparirt  sie  ohne  viel  Zerrung  los,  und 
legt  sie  einmal  so  zusammen,  dass  die  äussere  (freie)  Fläche  auch  nach  der 
Faltung  die  äussere  bleibt.  Mit  derselben  Behandlung  durch  Anfeuchtung  und 
Bedeckung,  wird  das  Object  so  in  das  Sehfeld  des  Mikroskopcs  gebracht,  dass 
man  den  Faltungsrand  sieht,  an  welchem  die  verschiedenen  Entwicklungsgrade 
der  einzelnen  Schichten,  bei  Veränderung  des  Focus,  ganz  befriedigend  unter- 
sucht werden  können.  Das  Compressorium  leistet  hiebei  vortrcfifliche  Dienste. 
Hat  das  zu  untersuchende  Epithelium  eine  festere  Unterlage,  wie  auf  der  Horn- 
haut des  Auges,  und  in  den  DrUsenschläuchen,  so  können  dünne  Schnitte  des- 
selben, mit  Valentin's  Doppelmesser  (welches  vor  dem  Schnitte  in  Wasser 
getaucht  wird)  bereitet,  eine  sehr  belehrende  Profilansicht  gewähren.  Das  Cylin- 
derepithelium  erscheint,  von  der  Fläche  gesehen,  als  Pflasterepithelium.  Nur 
die  Seitenansicht  lässt  die  wie  Basaltsäulen  neben  einander  gelagerten  cylindri- 
schen  Zellen  erkennen.  Am  besten  eignen  sich  hiezu  die  Darmzotten  eines  aus- 
gehungerten Säugethieres.  An  menschlichen  Leichen  sind  die  Epithelialcylinder 
der  Dannzotten  theilweise  abgefallen,  und  man  thut  besser,  feine  Querschnitte 
der  einfachen  Drüsen  des  Dickdarms  auszuwählen,  an  welchen  die  cylindrischen 
Zellen,  von  der  Drüsenwand  gegen  das  Lumen  derselben  gerichet,  wie  Radien 
eines  Kreises,  dessen  Mittelpunkt  die  Höhle  der  Drüse  ist,  gesehen  werden.  Essig- 
säure macht  die  getrübten  Zellenwände  durchsichtiger,  und  die  Kerne  deutlicher. 


38  §•  ^-  Physiologische  Bemerkungen  Aber  die  Epithelien. 

Die  Zellen  des  Flimmerepithelium  sind  leicht  zu  beobachten,  wenn 
man  irgend  eine  flimmernde  Schleimhaut  abschabt,  und  den  Brei,  nachdem  er 
verdünnt,  bei  600  Lincar-Yergrösserang  betrachtet.  Um  das  überraschende  Schau- 
spiel des  Flimmems  zu  beobachten,  eignet  sich  ganz  vorzugsweise  die  Rachen- 
schleimhaut der  Frösche,  welche  (wie  oben  die  Conjunctiva  des  Auges)  gefaltet, 
und  der  Rand  der  Falte  im  Sehfeld  fixirt  wird.  Ich  bediene  mich  jedoch  zu  den 
Schuldemonstrationen  lieber  der  Zungenspitzen  kleiner  Frösche,  welche  leicht 
abzutragen  sind,  und  da  sie  nicht  gefaltet  zu  werden  brauchen,  um  einen  freien 
Schleimhautrand  zu  erhalten,  das  Phänomen  in  seiner  ganzen  Pracht  selbst  für 
den  ungewandten  Zuschauer  genussbar  machen.  Die  durch  die  Wimperbewegung, 
wie  durch  Ruderschläge,  erregte  Strömung  des  Wassers,  welches  das  Object 
umgiebt,  und  in  welchem  abgefallene  Epithelialzellen  oder  Blutsphären  fortge- 
rissen werden,  leitet  den  Neuling  zuerst  auf  die  Fixirung  des  Flimmeractes.  Im 
Nasenschleime,  den  man  mit  einer  Feder  aus  dem  tiefen  Inneren  seiner  eigenen 
Nase  herausholt  (E.  H.  Weber),  zeigen  die  Flimmerzellen  ihre  Cilien,  und 
zuweilen  ihr  mehr  weniger  lebhaftes  Wimperspiel  ganz  deutlich.  Im  Gehörorgane 
der  Pricke  wurden  Flimmerbewegungen  von  Ecker  entdeckt.  Auch  wimpert  die 
äussere  Haut  sehr  vieler  niederer  Thiere,  —  selbst  die  Sporulae  gewisser  Algen. 


§.  30.  Physiologische  Bemerkungen  über  die  Epithelien. 

Gegenwärtig  noch  vereinzelt  dastehende,  mehrseitig  wieder 
angegriffene  Beobachtungen  über  die  Epithelien  gewisser  Schleim- 
häute und  der  Gehimhöhlen,  selbst  auch  über  die  Epidermiszellen 
niederer  Thiere,  Hessen  es  vermuthen,  dass  unseren  Ansichten  über 
die  functionelle  Bedeutung  der  Epithelien  wichtige  Reformen  bevor- 
stehen. An  gewissen  Epithelialzellen  der  Nasenschleimhaut  und  der 
Zunge  (Froschzange),  will  man  gesehen  haben,  dass  sie  mit  den 
Enden  der  bezüglichen  Sinnesnerven,  mit  Bindegewebs-  und  Muskel- 
fasern in  unmittelbarem  Zusammenhang  stehen,  und  die  neuesten 
Untersuchungen  über  den  Bau  der  Epithelialzellen  des  Darmkanals, 
der  Luftwege,  imd  des  Ependyina  ventriculo^m  cei^ebi^ij  haben  com- 
plicirtere  Organisationsverhältnisse  aufgeschlossen,  als  es  mit  dem 
bisherigen  Begriffe  einer  einfachen  Zelle  vereinbar  erscheinen  konnte. 

Die  Entstehung  der  EpithcHalzellen,  die  Metamorphosen,  welche 
sie  durchmachen,  sprechen  zu  deutlich  für  einen  besonderen  Lebensact 
in  diesen  Gebilden,  als  dass  man  sie  noch  länger  für  einen  todten 
Auswurfsstoff  der  Membranen,  welche  sie  bedecken,  und  für  ein 
blosses  Schutzmittel  derselben  ansehen  könnte.  Ihre  Existenz  ist 
insofern  an  diese  Membranen  gebunden,  als  letztere  mittelst  ihrer 
Blutgefässe  den  Stoff  hergeben,  in  welchem  sich  die  Kerne  und 
sofort  die  Zellen  der  Epithelien  bilden.  Das  ZeUenleben  selbst  da- 
gegen kann,  wenn  es  einmal  erwacht  ist,  von  jenen  Membranen  aus 
nicht  absolut  behen'scht  werden. 

Das  Abfallen  der  Epithelien,  und  die  entsprechende  Neubil- 
dung derselben,  ist  ein  sehr  weit  verbreitetes;  aber  dennoch;  wie  es 


§.   so.    Phjtfiolo^sche  Bemerkungen  Aber  die  Epiihelien.  39 

scheint,  kein  allgemeines  Phänomen.  Die  FUmmerepithelien  unterlie- 
gen, ßo  viel  wir  aus  den  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen  entnehmen 
können,  dem  Abfallen  weit  weniger  regelmässig  wie  das  CyHnder- 
epithelium  des  Magens,  welches  sich  während  der  Verdauung  ablöst, 
oder  jenes  der  Gebärmutter,  welches  während  der  Reinigung  gewech- 
selt wird.  Allerdings  enthält  der  während  des  Schnupfens  reichlich 
abgesonderte  Nasenschleim,  und  der  Auswurf  aus  Kehlkopf  und 
Luftröhre,  einzelne  Flimmerzellen;  diese  scheinen  jedoch,  abgesehen 
von  den  krankhaften  Bedingungen,  unter  welchen  sie  ausgeleert 
werden,  mehr  auf  mechanische  Weise  von  dem  Boden  losgerissen 
zu  werden,  auf  welchem  sie  wurzelten,  als  durch  physiologische 
Processe  abgelöst  worden  zu  sein.  —  Viel  häufiger  finden  sich  rund- 
liche EpitheUalzellen  in  den  Absonderungsstoffen  der  Drüsen,  und 
werden  im  Schleime,  in  den  Thränen,  im  Speichel,  der  Galle,  dem 
Samen,  dem  Harne,  etc.,  in  nicht  unbedeutender  Menge  gefunden. 
Bei  den  Epithelien  der  geschlossenen  Höhlen  kann  der  Wechsel 
nicht  mit  Abfallen  oder  Abstossen  im  Ganzen,  sondern  wahrschein- 
lich nur  mit  Auflösung  und  Aufsaugung  der  älteren  Formationen 
im  Zusammenhange  stehen,  und  muss  überhaupt  sehr  langsam  von 
Statten  gehen. 

Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die  Zellen,  welche  die 
innere  Oberfläche  der  Drttsenkanäle  einnehmen,  an  dem  Absonde- 
rungsprocesse  wichtigen  Antheil  haben.  Kommen  die  Absonderuugs- 
Säfte  aus  dem  Blute,  so  müssen  sie,  bevor  sie  in  die  Höhle  des 
ausführenden  Drüsenkanals  gelangen  können,  sich  durch  eine  Zel- 
lenschichte durchsaugen,  und  erleiden  durch  die  Einwirkung  der 
Zellen  jene  eigenthümliche,  freiHch  noch  ganz  unbekannte  Verän- 
derung, durch  welche  sie  die  Qualität  eines  bestimmten  Secrctes 
annehmen. 

In  der  FHmmerbewegung,  welche  auch  nach  Trennung  der 
Zelle  vom  Organismus  fortdauert  (bei  Schildkröten  selbst  8  Tage 
nach  dem  Tode  noch  nicht  erlischt),  Hegt  der  sprechendste  Beleg 
fiir  das  eigene  Leben  der  EpitheUalzellen.  Die  Natur  dieser  Bewe- 
gung der  Wimperhaare,  und  ihre  physiologische  Bestimmung  sind 
gänzlich  unbekannt.  Man  ergeht  sich  nur  in  Vermuthungen.  Dass 
die  Richtung  der  Flimmerbewegung  gegen  die  Ausgangsöftnung  des 
betreffenden  Schleimhautrohres  gerichtet  ist,  gilt  wolil  für  viele,  aber 
nicht  für  alle  Schleimhäute,  und  dass  durch  die  Flimmerbewegung  der 
Schleim  an  den  Wänden  der  Schleimhäute  gegen  die  Ausmündungs- 
stelle derselben  fortgeführt  werde,  ist  eine  für  so  zarte  Kräfte  sehr  rohe 
Arbeit.  Auch  müssten  dann  alle  Sclileimliäute  Flimmerzellcn  besitzen. 
Die  Nervenkraft  bleibt  bei  den  Flimmerbewegungen  ganz  aus  dem 
Spiele,  da  diese  Bewegung  nach  Zerstörung  des  Nervensystems,  oder, 
was  dasselbe  sagen  will,  nach  Herausnahme  der  Zelle  aus  ihren  Verbin- 


90  §•  91  •    Haskelgewebe.  Hanpigrappen  desselben. 

düngen,  fortdauert.  Sehwache  Säuren,  Alkohol,  Aether,  Galle,  starke 
elektrische  Schläge  und  niedere  Temperatursgrade,  hemmen  und  ver- 
nichten die  Flimmerbewegungen.  Opium,  Blausäure,  narkotische 
Gifte,  haben  ihnen  nichts  an. 


§.  31.  Muskelgewebe.  Hauptgruppen  desselben. 

Die  Muskeln  {Musculi,  Mäuslein)  sind  die  activen,  die  Knochen 
die  passiven  Bewegungsorgane  des  thierischen  Leibes.  Die  Muskeln 
kommen  in  ihm  in  sehr  grosser  Menge  vor,  und  bilden  das  Fleisch 
desselben.  Kein  anderes  organisches  System  nimmt  so  viel  Raum 
für  sich  in  Anspruch,  wie  sie.  Sie  ziehen  sich  auf  das  Geheiss  des 
Willens,  oder  durch  die  Einwirkung  anderer  Reize  (Galvanismus) 
zusammen,  werden  kürzer,  und  verkleinem  dadurch  die  Distanz 
zweier  beweglicher  Punkte,  zwischen  welchen  sie  ausgespannt  sind. 
Das  Vermögen,  sich  auf  Reize  zusammenzuziehen,  heisst  Irrita- 
bilität, oder  besser  Contractilität. 

Jeder  Muskel  besteht  aus  gröberen  Bündeln,  Fasciculi  mus- 
ciliares,  welche  gewöhnlich  parallel  neben  einander  liegen,  seltener 
sich  in  verschiedenen,  meistens  sehr  spitzigen  Winkeln  zusammen- 
gesellen. Die  kleineren  und  grösseren  Bündel  dieser  Art  besitzen 
Bindegewebshüllen,  die  von  der,  den  ganzen  Muskel  umhüllenden 
Vagina  cellulaiis  abgeleitet  werden.  In  der  kunstmässigen  Ablösung 
dieser  Vagina  von  der  Oberfläche  der  Muskeln,  besteht  das  Prä- 
pariren derselben.  Jedes  Muskclbündel  ist  eine  Summe  mit  freiem 
Auge  erkennbarer  kleinerer  Bündelchen,  und  diese  sind  wieder 
Stränge  von  Muskelfasern,  Fibrae  musculares.  An  dem  Quer- 
schnitte eines  gehärteten  Muskels,  z.  B.  geräucherten  Fleisches,  lässt 
sich  das  Verhältniss  der  Fasern  zu  den  kleineren  und  grösseren 
Bündeln,  und  dieser  zum  Ganzen,  leicht  erkennen.  —  Bei  mikros- 
kopischer Untersuchung  erscheinen  die  Muskelfasern  in  zweifacher 
Form,  und  zwar  als : 

a)  Quergestreifte  Fasern.  Sie  zeigen,  nebst  feinen  paral- 
lelen Längslinien,  welche  theils  continuirlich,  theils  in  Absätzen  der 
Richtung  der  Faser  folgen,  eine  sehr  markirte  Querstreifung, 
welche  nicht  blos  die  Oberfläche  der  Faser  in  querer  Richtung 
zeichnet,  sondern  auch  in  die  Tiefe  derselben  eingreift,  und  dadurch 
die  Faser,  in  abwechselnd  helle  und  dunkle  Platten  oder  Scheiben 
(ähnUch  den  Platten  einer  Volta' sehen  Säule)  schneidet.  Sie  finden 
sich  in  allen  der  Willkür  gehorchenden,  lebhaft  fleischrothen  Muskeln 
(animalische  Muskeln),  und  imter  den  unwillkürlichen  im  Her- 
zen, im  Pharynx,  und  im  oberen  Drittel  der  Speiseröhre. 


$.  SL.  MaMfewtW.  Hanptfriipptm  dtsselWs.  91 

Die  Dicke  der  quergestreiften  Fasern  wechselt  sehr,  nach  der 
Verschiedenheit  der  Muskehi,  welchen  sie  angehören.  So  beträgt 
sie  bei  den  Geächtsmnskehi  0;005"'  —  0,008'";  bei  den  Stamm- 
moskehi  0,01'^  —  0^"'.  Ihre  Länge  ist  geringer,  als  jene  des 
betreffenden  Muskels.  £s  müssen  sich  deshalb  mehrere  Fasern  der 
Lfänge  nach  aneinanderreihen,  um  der  Länge  des  Muskels  zu  ent- 
sprecJien.  Die  Aneinanderreihung  erfolgt  mittelst  zugespitzten,  selbst 
au<Ji  mittelst  gespaltenen  Enden.  Uebrigens  ist  das  Capitel  über  die 
Länge  dieser  Muskelfasern  noch  lange  nicht  abgeschlossen. 

Jede  quergestreifte  Faser  besitzt  eine  structurlose,  sehr  dünne 
Hülle  (Sarxxlemma),  Nur  in  den  Muskelfasern  des  Herzens  scheint 
sie  zu  fehlen.  Diese  Hülle  umschliesst  den  Inhalt  der  Muskelfasern, 
als  eigentUche  contractile  Substanz  des  Muskels.  Die  erwähnte  Streif  ung 
gehört  nicht  dem  Scwcolemma  an,  welches  glatt  und  homogen  erscheint, 
sondern  dem  Inhalte.  Ueber  den  Bau  des  contractilen  Inlialtes  der 
Muskelfasern  haben  sich  die  Mikrologen  noch  nicht  geeiniget.  Sie 
stehen  sich  vielmehr  in  zwei  Lagern  feindlich  gegenüber.  Die  Einen 
lassen  den  Inhalt  des  Sarcolemma  aus  feinsten,  rosenkranz-  oder 
perlschnurähnUch  geghederten  Fäserchen  —  den  Primitiv  fasern 
bestehen,  und  erklären  daraus  das  längsgestreifte  Ansehen  der  Muskel- 
faser. Die  erwähnte  perlschnurähnUche  Gliederung  der  Primitivfasem 
aber  soll,  indem  die  dickeren  und  dünneren  Abschnitte  aller  Primitiv- 
fasem in  gleichen  Querebenen  nebeneinander  liegen,  die  Querstreifimg 
der  Muskelfaser  erzeugen.  Dieses  ist  der  Glaubens -Artikel  der 
Fibrillentheorie.  Jener  der  Scheibentheorie  lautet:  Der 
Inhalt  des  Sarcolemma  besteht  aus  übereinander  gelagerten  Scheiben 
{Bowmans  dtscs),  wie  die  Münzen  einer  Geldi'olle.  Diese  Scheiben 
sind  so  aneinander  gereiht,  dass  zweierlei  Arten  derselben  von  ver- 
schiedener Lichtbrechmig  und  verschiedener  chemischer  Beschaffen- 
heit, der  Länge  der  Muskelfaser  nach  altemirend  auf  einander  folgen. 
Den  zweierlei  Scheiben  entsprechen  lichtere  und  dunklere  Zonen  an 
der  Oberfläche  der  Faser,  daher  die  Querstreifung.  Die  Kchteren 
Zonen  sind  breiter  als  die  dunkleren.  Die  Scheiben,  welche  den 
lichteren  Zonen  entsprechen,  lassen  sich  durch  Behandlung  der 
Muskelfaser  mit  verdünnter  Salzsäure  isoliren,  indem  diese  Säure 
die  den  dunkleren  Zonen  entsprechenden  Scheiben  auflöst.  Auch 
an  den  Primitivfasern,  in  welche  sich  eine  Muskelfaser  durch  Mace- 
ration  in  Weingeist  spaltet,  wiederholt  sich  im  Kleinen  dieselbe 
regelmässige  Aufeinanderfolge  heller  und  dunkler  Zonen,  welche 
wie  Gheder  einer  Kette  aneinander  stossen.  Die  längeren,  das  Licht 
stärker  brechenden  Glieder  dieser  Kette,  heben  sich  durch  ihre 
schärferen  Contouren  besser  von  der  Umgebung  ab,  als  die  kürzeren 
und  schwächer  brechenden  GUeder,  wodurch  eben  die  scheinbar 
perlschnurartige  Gestalt  der  Primitiyfaser  erklärlich  ¥rird.  Kann  nun 


92  §•  '!•   Hnskelgeweb«.  Haaptgrappeii  deMelben. 

eine  Muskelfaser  durch  verdünnte  Salzsäure  in  transversale  Scheiben^ 
und  durch  Maceration  in  Weingeist  in  longitudinale  Primitivfasem 
zerlegt  werden,  so  muss  jede  transversale  Scheibe  aus  kurzen  Säulen- 
stilcken  bestehend  gedacht  werden,  welche  so  lange  innig  aneinander 
haften,  bis  die  beginnende  Isolirung  der  Primitivfasem  sie  aus  ihrem 
Zusammenhange  löst.  Diese  Säulenstücke  sind  Bowman's  Sarcous 
Elements^  —  von  Brücke  Disdiaclasten  genannt,  weil  sie  das 
Licht  doppelt  brechen.  Ein  Grieche  würde  auch  mit  Diclasten 
genug  haben. 

Beide  nur  in  den  Hauptzfigen  angegebenen  Theorien  haben  ihre  hochacht- 
baren Vertreter.  Der  Streit  wird  mit  gleichen  Waffen  von  Sachkenntniss  und 
Gewandtheit  geführt.  Wann  aber  die  aufgeregten  Gemüther  der  Parteien  zur  Ruhe 
kommen  werden,  l'ässt  sich  nicht  absehen.  Der  die  einschlägige  Literatur  durch« 
zuarbeiten  Lust  hat,  dem  gebe  Gott  Geduld  dazu. 

Da  die  animalen  Muskeln  in  der  Kegel  mit  Sehnen  entspringen 
oder  endigen,  so  fragt  es  sich,  wie  gehen  die  Muskelfasern  in  Sehnen- 
fasern (§.  40)  über.  Auch  hierüber  streiten  Achiver  und  Trojaner. 
Der  Uebergang  beider  Fasergattimgen  geschieht  in  der  Art,  dass 
das  abgerundete  oder  gezackte  Ende  der  Muskelfaser  trichterförmig 
von  Sehnenfasem  eingehülst  und  durch  einen  leimartigen  Kitt 
(welchen  Kalilauge  löst)  mit  ihnen  fest  verbunden  wird.  Auch  hat 
die  Ansicht  einige  Vertreter,  dass  die  Sehnenfasem  aus  dem  Sarco- 
lemma  der  Muskelfasern,  durch  SpUtterung  desselben  hervorgehen 
(Gerlach).  Ausführliches  enthält  Fick,  über  die  Anheftung  der 
Muskelfasern  an  ihre  Sehnen,  in  Müller's  Archiv,  1856. 

Die  Längenstreifen  der  animalen  Muskelfasern  entsprechen  aber  nicht  allein 
der  Längsfaserung  derselben,  sondern  sind  zugleich  der  optische  Ausdruck  Ion- 
gitudinaler  Spalträumc,  welche  den  Inhalt  eines  Primitivbündels  durchsetzen,  und 
beim  Querschnitt  desselben  als  Lücken  erscheinen,  von  welchen  häufig  verästelte 
Spältchen  auslaufen.  Ihre  Bestimmung  scheint  es  zu  sein,  das  durch  die  Capillar- 
gefasse  herbeigeführte  ernährende  Blutplasma,  in  möglichst  innige  Berührung  mit 
den  Primitivfasem  zu  bringen.  Zwischen  den  Primitivfasem  eingestreute,  rundliche 
und  blasse  Körperchen,  häufig  in  Gesellschaft  von  Pigment-  und  Fettmolekülen 
(besonders  im  Herzfleische)  vorkommend,  werden  von  Kölliker  als  inter- 
stitielle Körnchen  bezeichnet.  Theils  an  der  Innenfläche  des  Sarcolemmay 
theils  zwischen  den  Primitivfasem,  trifft  man  noch  zerstreut  oder  reihenweise 
gelagert,  die  sogenannten  Muskelkörperchen  an,  deren  flüssiger,  das  Licht 
schwach  brechender  Inhalt  durch  Säuren  gerinnt.  Sie  enthalten  1 — 2  Kemkörperchen. 
Sie  scheinen  keine  Zellen,  sondern  nur  Kerne  von  Zellen  zu  sein.  Ihre  Wucherung 
im  Typhus   und  bei   der  Trichinenkrankheit   macht  sie  pathologisch  bedeutsam. 

b)  Die  zweite  Form^  unter  welcher  sich  die  Muskelfasern  zeigen, 
umfasst  die  Gruppe  der  glatten  Fasern.  Sie  finden  sich  in  den 
sogenannten  organischen  Muskeln,  d.  i.  jenen,  deren  Bewe- 
gungen vom  Willen  unabhängig  sind,  und  welche  nicht  selbstständig, 
sondern   als   integrirende   Bestandtheile    anderer   Organe   auftreten. 


§.  St.     Anatomiseho  Eigenschaften  der  Muskeln.  93 

Man  hat  sie  mit  Sicherheit  nachgewiesen:  im  Verdauungskanalc;  in 
den  Harnleitern  und  in  der  Harnblase ^  den  Samenbläschen,  der 
Gebärmutter;  der  Iris,  der  Choroidea,  den  Ausfühnmgsgängen  vieler 
Drüsen^  den  Bronchien  der  Lunge  bis  in  die  Endverzweigungen 
derselben,  in  der  Milz,  in  den  Wänden  der  Blutgefässe,  in  der  Brust- 
warze, in  der  Dartos,  im  Gewebe  der  Cutis,  jedoch  nur  an  behaarten 
Stellen  derselben,  und  nach  Pflüg  er  und  Aeby,  auch  im  Eier- 
stocke aller  Wirbelthiere. 

Die  glatten  Muskelfasern  bestehen  aus  kemführenden,  spindel- 
förmigen, leicht  abgeplatteten,  bedeutend  verlängerten,  zuweilen  auch 
kurzen,  fast  rhombischen  Zellen,  deren  Hülle  und  Inhalt  mit  einander 
verschmolzen  ist,  und  die  Natur  einer  contractionsftlhigen  Substanz 
angenonmien  hat.  Kölliker  nannte  sie  deshalb  zuerst  muskulöse 
oder  contractile  Faserzellen.  Ihre  Kerne  sind  stäbchenförmig 
in  die  Länge  gestreckt  Die  langgestreckten  Faserzellen  finden  sich 
vorzugsweise  in  der  Tunica  muscularis  des  Darmkanals;  die  kurzen, 
fast  rhombischen,  vorzüglich  in  den  Wänden  der  Arterien,  in  den 
Drüsenausflihrungsgängen  und  im  Balkensystem  der  Milz.  —  Sie 
konmien  in  den  Organen,  deren  Ingrediens  sie  bilden,  entweder 
zerstreut  und  vereinzelt,  oder  zu  platten  Strängen  vereiniget  vor, 
welche  in  der  Fläche  nebeneinander  geordnet,  die  sogenannten 
Muskelhäute  erzeugen,  welche  wir  besonders  im  Verdauungskanal 
im  entwickeltsten  Zustande  antreffen. 

Man  ist  auch  darüber  noch  nicht  einig  geworden,  ob  sich  die  Fasern  der 
animalischen  wie  der  organischen  Muskelfasern  durch  lineare  Aggregation  mehrerer 
Bildungszellen,  oder  durch  Verlängerung  je  einer  solchen  Zelle  entwickeln.  Die 
Mehrzahl  der  Forscher  hält  zur  letzten  Ansicht,  lässt  die  Zellenmcmbran  sich  zum 
Sarcolemma  umwandeln,  den  Kern  durch  Theilung  in  zahlreiche  Abkömmlinge 
zerfallen  (Muskelkörperchen?)  und  den  feinkörnigen  Protoplasmaiuhalt  der  Zelle, 
von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  hin,  sich  in  Primitivfasem  bis  zur  gänz- 
lichen Füllung  des  Zellenraumes  umwandeln. 

§.  32.  Anatomische  Eigenschaften  der  Muskeln. 

Die  Muskeln  sind  sehr  gefässreich.  Die  Arterien  derselben 
treten  gewöhnlich  an  mehreren  Stellen  in  sie  ein,  dringen  zwischen 
den  Bündeln  schräg  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  vor,  senden  auf- 
und  absteigende  Aeste  ab,  welche  der  Längenrichtung  der  Bündel 
folgen,  und  sich  in  capillare  Zweige  auflösen,  welche  die  Muskel- 
fasern (nicht  die  Primitivfasem)  mit  lang-  und  schmalgegitterten 
Netzen  lunstricken,  ohne  in  das  Innere  der  Fasern  selbst  einzu- 
gehen. —  Die  Nerven  stehen  oft  in  einem  grossen  Missverhältniss 
zur  Masse  der  Muskeln.  Sehr  kleine  Muskeln  haben  oft  starke,  sehr 
grosse  Muskeln  dagegen  schwache  Nervem.   AIb  T  uite 

Beispiele  dienen  die  Augenmuskeln  mit  i^» 


94  §•  ^'    Anatomische  Eigenschaften  der  Mnskeln. 

haften  Gesässmuskeln  mit  ihren  dünnen  motorischen  Nerven.  Wie 
aber  die  Nerven  in  den  Muskeln  endigen  ^  ist  nichts  weniger  als 
bekannt  Von  den  vielen  hierüber  schwebenden  Ansichten  wird  in 
§.61  gehandelt. 

Es  wurde  viel  gestritten,  ob  die  rothe  Farbe  der  Muskeln  von 
dem  Blute  ihrer  zahlreichen  Capillargefässe  herrühre,  oder  der 
Muskelfaser  eigenthümlich  sei.  Die  mikroskopische  Beobachtung 
einzelner  Muskelfasern  lässt  eine  gelbröthliche  Färbung  derselben 
erkennen,  welche  ganz  genügt,  bei  solcher  Anhäufung  von  Fasern, 
wie  sie  in  der  Fleischmasse  eines  Muskels  stattfindet,  die  intensive 
Färbung  des  letzteren  zu  erklären,  obwohl  nicht  zu  läugnen  ist, 
dass  die  Gegenwart  des  Blutes  den  Purpur  des  Fleisches  erhöhen 
muss.  Ein  durch  Wasserin jection  der  Blutgefilsse  ausgewaschener 
Muskel  wird  wohl  blässer,  aber  nicht  weiss.  Es  kann  aber  nur 
das  Blut  in  den  Capillargefässen  einen  Einfluss  auf  die  Böthung 
des  Muskels  ausüben;  denn  jener  Bestandtheil  des  Blutes,  weicher 
aus  den  Capillargefässen  austritt,  und  die  Primitivfasem  tränkt,  ist 
wasserklar,  und  enthält  kein  Atom  Blutroth. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  animalen  Muskelfasern  wird 
unter  denselben  Modalitäten  wie  bei  den  bereits  erwähnten  Geweben  vorgenommen. 
Die  mikroskopischen  Charaktere  der  quergestreiften  Muskelfasern  sind  leicht  zu 
erkennen.  Schwieriger  ist  die  Beobachtung  ihrer  Primitivfasern,  welche  nur  nach 
vorausgegangener  Maceration,  oder  an  Muskeln,  welche  längere  Zeit  in  Wein- 
geist aufbewahrt  wurden,  an  den  Rissstellen  der  Fasern  gelingt.  Um  die  Scheiben 
einer  quergestreiften  Muskelfaser  von  einander  weichen  zu  machen  und  eine 
klare  Ansicht  derselben  im  isolirteu  Zustande  zu  gewinnen,  macerirt  man  die 
Fasern  durch  24  Stunden  in  verdünnter  Salzsäure.  Dasselbe  Zerfallen  in  Scheiben 
erleiden  die  Muskelfasern  nach  Frerichs  durch  die  Einwirkung  des  Magen- 
saftes, und  nach  meinen  Beobachtungen  auch  durch  Mundspeichel,  wie  man  an 
jenen  Fleischresten  zuweilen  sehen  kann,  welche  beim  Keinigen  des  Mundes  in 
der  Früh  mit  dem  Zahnstocher  zwischen  den  Zähnen  hervorgeholt  werden.  — 
Schwieriger  ist  die  Behandlung  der  organischen  Muskelfaser.  Sie  erfordert  den 
Gebrauch  der  Keageutien,  unter  welchen  Salpetersäure,  welche  sie  gelb  färbt,  und 
Kalilauge,  welche  sie  leichter  isolirbar  macht,  am  meisten  angewendet  werden. 
Um  die  lc})endige  Contraction  von  Muskelfasern  zu  beobachten,  bedient  man  sich 
eines  sehr  dünnen,  durchscheinenden  Muskels,  z.  B.  eines  Bauchmuskels  eines 
Frosches.  Derselbe  muss  auf  der  belegten  Seite  eines  Stückchens  Spiegelglas, 
an  welcher  man,  zur  Beobachtung  des  Muskels  bei  durchgehendem  Licht,  in  der 
Mitte  die  Folie  etwas  abkratzte,  ausgebreitet,  und  mit  dem  Rotationsapparate 
unter  dem  Mikroskope  gereizt  werden. 

Die  Literatur  über  das  Muskelgewebe  ist  ungeheuer  zahlreich,  aber  die 
ältere  auch  gänzlich  wcrthlos,  was  mitunter  auch  von  einem  guten  Theil  der 
neueren  gilt.  —  Todd  and  Bowman,  Physiol.  Anatomie,  p.  160  seqq.  —  Ueber 
die  Verbreitung  der  glatten  Muskelfasern  handelt  A.  KöUiker,  in  der  Zeitschrift 
für  wissenschaftliche  Zoologie,  1.  Bd.  pag.  48.  Neuere  Arbeiten  von  Leydig  in 
MüUer*a  Archiv.  1856.  —  A,  Rolletty  Untersuchungen  zur  näheren  Kenntniss  der 
quergestreiften  Muskelfaser,  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  1867.  — 
H.    Wdcker,   in   der  Zeitschrift  för   rat.  Med.,   VUI.  Bd.  —  Jahn  und   Welcher^ 


(.  SS.  Chemische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes.  9o 

•bald.  X.  Bd.  (Kemgebilde  and  plasmatisches  GefXsssystem).  —  H,  Munky  zur 
AbsL  mid  PhjB.  der  quergestreiften  Muskelfaser,  in  den  Nachrichten  der  königl. 
Gcselbeh.  der  Wissensch.  zu  Götting,  1858.  —  Brücke,  Untersuchungen  ttber  den 
Ban  der  Ifuskellasem,  Denkschriften  der  kais.  Akad.  Bd.  XV.  —  Kühne,  myo- 
logisehe  UnterBUchungen.  Leipzig  1860,  und  dessen  peripherische  Endorgane  der 
Botor.  Nerven.  Leipzig,  1862.  —  M,  Schütze  und  O.  Deüer»,  Archiv  für  Anat. 
1861.  —  A,  WeUmann,  über  die  zwei  Typen  des  contractilen  Gewebes,  in  der 
ZeHsehr.  für  rat  Med.  XV.  Bd.  —  Coknheim  in  VirehotD'a  Archiv,  34.  Bd.  — 
J,  Eberth,  ebenda,  37.  Bd.  —   KöUiker,  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  16.  Bd. 


§.  33.   Chemische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes. 

Durch  Maceriren  lassen  sich,  wie  schon  gesagt,  die  animalen 
Muskelfasern  leicht  in  ihre  Primitivfasern  zerlegen,  und  verlieren 
zugleich  ihre  rothe  Farbe,  da  der  ihnen  anhängende  Farbstoff, 
welcher  mit  dem  Blutroth  identisch  zu  sein  scheint,  im  Wasser  lös- 
lich ißt.  Längeres  Verweilen  an  der  Luft  röthet  sie  durch  Oxydirung 
dieses  Farbstoffes,  imd  durch  Verdunstung  des  Wassers;  vollkom- 
men eingetrocknet,  werden  sie  schwarzbraun.  Durch  Kochen  werden 
sie  anfangs  fester,  schrumpfen  zusammen,  und  werden  zuletzt  wieder 
weich  und  mürbe,  ohne  sich  jedoch  selbst  bei  lange  fortgesetztem 
Kochen  zu  Leim  aufzulösen.  Der  Leimgehalt  der  Fleischbrühen 
stammt  nicht  vom  Muskelfleisch,  sondern  von  den  Bindegewebs- 
Bcheiden  der  Muskeln,  und  von  den  Sehnen. 

Als  Hauptbestandtheilc  der  Muskeln  sind  zwei  stickstoffreiche, 
dem  Faserstoff  des  Blutes  verwandte  Substanzen,  das  Muskelfibrin 
oder  Syntonin,  und  das  Myosin,  bekannt  geworden.  Letzteres  unter- 
scheidet sich  vom  ersteren  hauptsächlich  durch  seine  Unlöslichkeit 
in  concentrirten  Salzlösungen.  Aus  frischem  Muskelfleisch  lässt  sich 
eine  sauer  reagirende  Flüssigkeit  (Muskclserum)  auspressen,  aus 
welcher  Liebig  und  Scheerer  eine  Summe  stickstoffhaltiger  und 
stickstofiloser  Körper  darstellten,  wie:  Kreatin,  Kreatinin,  Sarcosin, 
Butter-,  Milch-,  Ameisensäure,  und  Muskelzucker  (Inosit).  Für  den 
Anatomen  sind  diese  Stoffe  blos  Namen.  Ihre  Natur  und  Wesenheit 
gehört  vor  das  Forum  der  organischen  Chemie. 

Der  grosse  Wassergehalt  der  Muskclu  beträgt  nach  Berzelius  77,  nach 
Bi\>ra  74  Procent.  Er  ist,  nebst  der  Blntmonge,  welche  die  Muskeln  enthalten, 
die  Ursache  des  leichten  Fanlens  derselben  an  der  Luft,  wobei  sich  das  Fleisch, 
wie  in  den  Secirsälen  täglich  gesehen  wird,  mit  einer  schmierigen  Schimmel- 
Wucherung  (Bytma  aeptica)  bedeckt,  unter  welcher  der  Zersetzungsprocess  raach 
fortschreitet  Trocknen,  Räuchern,  Einsalzen,  sind  deshalb  die  besten  Mittel, 
Fleisch  durch  lange  Zeit  vor  Verderbniss  zu  schützen,  nnd  in  den  anatomitoheil 
Laboratorien  muss  man  sich,  wenn  Leichenmangel  eintritt,  durch  IigeettoB  d*^ 
Cadaver  mit  salzsanrem  Zinn,  mit  dem  Liquor  von  Gannal  oder  Qaa' 
helfen.    In  hermetisch  verschlossenen  Blechbüchsen  ÜMt  iieh  Flair 


96  S*  M.   rhjsiologische  Ei^nschaften  des  Mnakelgeweb'ei.  IrritabiliUt. 

unversehrt  für  den  Gennss  aufbewahren.  Hierauf  beruht  das  Aperfsche  Ver- 
fahren der  Fleischconservirong  für  den  Bedarf  von  Armeen  und  Flotten.  Nur  das 
conservirte  Geflügel,  welches  der  französischen  Armee  in  der  Krim  zugesendet 
wurde,  war  verdorben;  wahrscheinlich  der  Luft  wegen,  welche  alle  Vogelknochen 
enthalten.  Wie  sehr  die  Kälte  die  Fäulniss  des  Fleisches  verhindert,  beweist  das 
von  Pallas  im  sibirischen  Eise,  mit  Haut  und  Fleisch,  selbst  mit  dem  Futter 
im  Magen,  wohlerhalten  aufgefundene  vorweltliche  Mammuth.  Die  Leiche  des 
von  Peter  dem  Grossen  nach  Sibirien  verbannten  Fürsten  Menzikofl*,  wurde  nach 
92  Jahren  daselbst  noch  völlig  erhalten  angetroffen,  in  Uniform  und  Ordenschmuck 
—  eine  bittere  Ironie  auf  menschliche  Grösse. 


§.  34.    Physiologische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes. 

Irritabilität. 

Die  vorragendste  physiologische  Eigenschaft  des  lebendigen 
Muskels  ist  seine  Zusammenziehungsfähigkeit  (Irritabilität  oder 
Contractilität).  Sie  äussert  sich  auf  die  Einwirkung  von  Reizen.  Man 
spricht  von  inneren  und  äusseren  Reizen.  Das  durch  die  Nerven 
einem  Muskel  übertragene  Geheiss  des  Willens  ist  ein  innerer,  — 
mechanische,  chemische,  oder  galvanische  Einwirkung,  wie  sie  bei 
physiologischen  Experimenten  angewandt  wird,  ein  äusserer  Reiz. 
Der  continuirliche  Strom  einer  galvanischen  Säule  versetzt  einen 
Muskel  nicht  in  continuirliche  Zusammen ziehung,  sondern  erzeugt 
nur  bei  seinem  Anfange  und  bei  seinem  Ende,  welche  dem  Schliessen 
und  OeflFnen  der  Kette  entsprechen,  eine  momentane  Contraction. 
Ed.  Weber  hat  in  dem  discontinuirlichen  Strome  des  elektroma- 
gnetischen Rotationsapparates  ein  Mittel  gefunden,  die  Muskeln  in 
continuirliche  Zusammenziehung  zu  versetzen. 

Der  durch  Malier  veranlasste  Streit,  ob  die  Irritabilität  eine 
reine  Eigenschaft  der  Muskelfaser,  oder  durch  den  Einfluss  der  Ner- 
ven bedingt  sei,  ist  wohl  errathen,  nur  ein  Streit  um  des  Kaisers 
Bart.  Die  Möglichkeit  einer  Zusammenziehung  muss  in  den  Kräften 
des  Muskels  liegen,  welche  von  seinem  Baue  abhängig  sind,  und 
der  Impuls  des  WiUens,  diese  Möglichkeit  in  die  Erscheinimg  treten 
zu  lassen,  muss  durch  den  Nerven  auf  den  Muskel  wirken.  Die 
Gegenwart  der  Nerven  ist  also  eine  nothwendige  Bedingung  der 
Abhängigkeit  des  Muskels  von  der  Seele,  nicht  aber  der  Zusammen- 
ziehungsfähigkeit überhaupt.  Das  Herz  des  Hühnerembryo  pulsirt 
ja  schon  zu  einer  Zeit,  wo  keine  Spur  von  Nerven  in  ihm  zu  ent- 
decken ist.  Auch  haben  wir  ja  im  Vorausgegangenen  die  Zusam- 
menziehungsfilhigkeit  als  eine  Lebenseigenschaft  der  verschieden- 
artigsten Zellen  kennen  gelernt. 

Ueber  das  Verhalten  der  Muskelfasern  während  der  Contraction 
hat  Ed.  Weber  die  gründlichsten  Untersuchungen  angestellt,  welche 
in  R.  Waf^ner's  Handwörterbuch  der  Physiologie  niedergelegt  wurden. 


g.  34.   Physiologische  Eigenschaften  des  Muskelgewebes.  IrriUbilität.  97 

Durch  sinnreiche,  mit  mathematischer  Präcision  angestellte  Versuche, 
wurde  bewiesen,  dass  die  von  Prevost  und  Dumas  dem  Con- 
tractionszustande  eines  Muskels  zugeschriebene  Zickzackbiegung 
seiner  Fasern,  nur  während  ihrer  ErschlaflFung  eintritt.  Die  Muskel- 
faser ist  während  ihrer  Zusammenziehung  geradlinig,  und  wird 
während  ihrer  Erschlaffung  im  Zickzack  gebogen,  weil  die  mit  ihrer 
Ausdehnung  nothwendig  verbundene  Reibung  auf  ihrer  Unterlage, 
keine  lineare  Verlängerung  erlaubt. 

Ein  contrahirter  Muskel  wird  zugleich  dicker.  Ist  die  Zunahme 
an  Dicke  gleich  der  Abnahme  an  Länge?  Wäre  dieses  der  Fall, 
so  bliebe  das  Volumen  des  Muskels  und  seine  Dichtigkeit  dieselbe. 
Allein  schon  das  während  der  Contraction  eines  Muskels  zu  ftihlende 
Hartwerden  desselben  beweist  eine  Verdichtung,  und  somit  ein 
Ueberwiegen  der  Längenverkürzung  über  die  Zunahme  an  Dichfe. 
Der  Unterschied  ist  jedoch  so  unbedeutend,  dass  man  von  ihm 
gänzlich  zu  abstrahiren  gewohnt  ist. 

Die  animalischen  und  die  organischen  Muskeln  verhalten  sich 
bei  Reizungsversuchen  verschieden.  Die  animalischen  Muskeln  ziehen 
sich,  wenn  sie  gereizt  werden,  blitzschnell  zusammen,  und  erschlaffen 
ebenso  schnell,  während  die  organischen  sich  langsam  zusammen- 
ziehen, und  ebenso  langsam  erschlaffen.  Nur  die  organischen  Mus- 
keln der  Iris  des  Auges  verkürzen  sich  und  erschlaffen  so  schnell 
wie  die  animalischen.  Diese  blitzschnelle  Contraction  der  animali- 
schen Muskeln  ist  jedoch  nicht  so  buchstäblich  zu  nehmen,  indem 
Helmholtz  fand,  dass  zwischen  Reizung  und  Contraction  eine, 
wenn  auch  sehr  kurze,  dennoch  messbare  Zeit  vergeht.  — 

Auf  die  Zusammenziehung  eines  Muskels  folgt  dessen  Erschlaf- 
fung, als  ein  Zustand  der  Ruhe  und  Erholung.  Ein  Muskel,  der  mit 
wechselnder  Contraction  und  Expansion  arbeitet,  kann  viel  längere 
Zeit  thätig  sein,  ohne  zu  ermüden,  als  ein  anderer,  der  in  einer 
permanenten  Zusammenziehimg  verharrt.  Gehen  ermüdet  deshalb 
weniger  als  Stehen,  und  ein  Mann,  der  mit  seinen  Armen  einen 
Tag  lang  die  schwerste  Arbeit  zu  verrichten  vermag,  wird  nicht  im 
Stande  sein,  das  leichteste  Werkzeug  mit  ausgestreckter  Hand 
10  Minuten  lang  ruhig  zu  halten.  Soldaten  werden  durch  eine  zwei- 
stündige Parade  mehr  ermüdet,  als  durch  einen  viersttindigen  Marsch. 

Wird  der  Nerv  eines  Muskels  durchgeschnitten,  so  hat  der  Muskel  seine 
Zusammenziehungsfähigkeit  nicht  schon  im  Momente  eingebüsst  Sie  nimmt  aber 
fortan  ab,  und  nach  den  Versuchen  von  Günther  und  Schön  war  bei  Kanin- 
chen erst  am  achten  Tage  nach  Durchschneidung  der  Muskelnerven  die  Irritabi- 
lität vollkommen  erloschen.  —  Die  Zufuhr  des  arteriellen  Blutes  übt,  nach 
Segalas  und  Fowler,  einen  wichtigen  Einfluss  auf  die  Erhaltung  der  Irrita- 
bilität. Die  Irritabilität  vermindert  sich  sogar  nach  Unterbindung  der  Arterien 
schneller,  als  nach  Abschneidung  der  Nerven.  Unterbindung  der  Aorta  <ibdam%- 
nalis  erzeugte  Lähmung  schon  nach  10  Minuten,  und  die  Ligator  der  groMen 
Hjrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  7 


98  $•  ^-  SensibiliUt,  Stoffwechsel,  Todtenstarre,  nnd  Tonus  der  Muskeln. 

Stämme  der  Gliedmassen,  welche  den  Kreislauf  nicht  einmal  vollkommen  auf- 
hebt|  äussert  eine  merkwürdige  Einwirkung  auf  die  Bewegungsfähigkeit,  welche 
unmittelbar  nach  der  Operation  auf  ein  Minimum  reducirt  ist,  und  sich  erst  mit 
der  Entwicklung  des  Collateralkreislaufes  wieder  einstellt  Da  ein  Muskel,  wenn 
er  vom  Leibe  getrennt  wird,  eine  Zeitlang  seine  Organisation  und  die  davon  aus- 
gehenden Kräfte  behält,  bevor  er  durch  die  Fäulniss  zerstört  wird,  so  wird  die 
Irritabilität  auch  an  ausgeschnittenen  Muskeln,  oder  in  der  Leiche,  kürzere  oder 
längere  Zeit  sich  erhalten. 

Die  Knochen,  an  welchen  sich  Muskeln  inseriren,  können  als  Hebel  be- 
trachtet werden,  deren  bewegende  Kraft  im  Muskel,  und  deren  zu  bewegende 
Last  im  Knochen,  und  was  mit  ihm  zusammenhängt,  liegt.  Das  nächste  Gelenk, 
in  welchem  der  Knochen  sich  bewegt,  stellt  den  Dreh-  oder  Stützpunkt  des 
Hebels  dar.  Es  wird  im  Verlaufe  der  Muskellehre,  und  durch  die  praktische 
Behandlung  der  Einzelnheiten  klar  werden,  dass  ein  und  derselbe  Knochen  bald 
als  einarmiger,  bald  als  zweiarmiger  Hebel  wirkt.  Da  die  Muskeln  sich  gerne 
in  der  Nähe  der  Gelenke,  und  nur  selten  in  grösserer  Entfernung  davon  an  der 
Hebelstange  des  Knochens  inseriren,  so  müssen  sie  mit  grossem  Kraftverlust 
wirken,  welcher  noch  gesteigert  wird  durch  die  schiefe  Richtung  der  Sehne  zum 
Knochen.  Wenn  auch  dem  letzteren  Uebelstande  durch  die  für  Muskelinsertionen 
bestimmten  Knochenfortsätze  (Tuberculay  Condyli^  Spinae)^  und  durch  die  grössere 
Dicke  der  Gelenkenden  abgeholfen  wird,  über  welche  sich  die  Sehnen  krümmen, 
und  somit  unter  grösseren  Winkeln  sich  befestigen  können,  so  bleibt  doch  in 
ersterer  Beziehung  das  mechanische  Verhältniss  so  ungünstig,  dass,  um  eine 
Last  von  wenig  Pfunden  zu  bewegen,  der  Muskel  eine  Contraction  ausführen 
muss,  welche  unter  vortheilhafteren  Gleichgewichtsbedingungen  eine  vielmal 
grössere  Last  bewegen  könnte.  Wie  hätte  es  aber  mit  der  Gestalt  der  oberen 
Extremität,  und  mit  ihrer  Brauchbarkeit  ausgesehen,  wenn  die  Vorderarmbeuger 
sich  in  oder  unter  der  Mitte  der  oaaa  anlibrachü  befestigt  hätten  ?  welche  unförm- 
liche Masse  hätte  z.  B.  der  Ellbogen  im  Beugungszustande  dargestellt?  und  wie 
langsam  wären  die  Bewegungen  der  Hand  gewesen,  während,  bei  naher  Muskel- 
anheftung  am  Drehpunkte  des  Hebels,  das  andere,  freie  Ende  des  Hebels,  schon 
bei  einem  geringen  Ruck  des  Biceps  einen  grossen  Kreisbogen  beschreibt,  und 
somit  die  Schnelligkeit  der  Bewegung  reichlich  ersetzt,  was  an  Muskelkraft  schein- 
bar vergeudet  wurde.  Nichtsdestoweniger  bleibt  es  wahr,  was  schon  Galen  mit 
den  Worten  ausdrückte :  mtuculi  cum  inaiffni  virium  detrimento  agunt.  Um  ein 
erklärendes  Beispiel  zu  geben,  führe  ich  an,  dass  die  Wadenmuskeln  eines  Men- 
schen, der,  auf  einem  Fusse  stehend,  sich  auf  die  Zehenspitzen  erhebt,  80mal 
mehr  Kraft  entwickeln  müssen,  als  ihre  Wirkung  eigentlich  beträgt,  dass  sie 
also  statt  140  Pfand,  die  wir  als  mittleres  Gewicht  eines  erwachsenen  Mannes 
annehmen,  in  Wahrheit  ein  Gewicht  von  11200  Pfunden  tragen.  —  Alle  Gesetze 
des  Hebels  finden  auch  in  der  Mechanik  der  Muskeln  ungeschmälerte   Geltung. 


§.  35.   Sensibilität,  Stoffwechsel,  Todtenstarre,  und  Tonus 

der  Muskeln. 

Die  Sensibilität  eines  Muskels  muss,  der  geringen  Menge  seiner 
sensitiven  Nerven  wegen,  eine  geringe  genannt  werden.  Das  Durch- 
schneiden der  Muskehl  bei  Amputationen  schmerzt  bei  weitem  weni- 
ger, als  der  erste  Hautschnitt.  Auch  das  bei  Operationen  am  Leben- 
den  so   oft  nöthige   Auseinanderziehen   nachbarlicher   Muskeln,    um 


§.  35.  Sensibilit&i,  StoiTwechseU  TodtonsUrre,  und  Tonus  der  Moslteln.  99 

auf  tiefere  Gebilde  einzudringen^  setzt  keine  Steigerung  der  Schmer- 
zen, welche  mit  dem  operativen  Eingriffe  überhaupt  gegeben  sind. 
Die  äusseren,  mechanischen  Verhältnisse,  in  welchen  ein  Muskel 
sich  befindet,  die  Reibung,  Zerrung,  und  der  Druck,  denen  er  durch 
seine  Bestimmung  fortwährend  ausgesetzt  ist,  wären  mit  grosser 
Empfänglichkeit  desselben  filr  äussere  Einwirkungen  nicht  wohl 
verträglich  gewesen.  Nichtsdestoweniger  besitzt  der  Muskel  ein  sehr 
scharfes  und  richtiges  Gefühl  für  seine  eigenen  inneren  Zustände, 
und  den  Mangel  oder  Ueberfluss  an  Bewegungskraft.  Es  äussert 
sich  dieses  Gefühl  in  seinen  beiden  Extremen  als  Ermüdung  oder 
Erschöpfung,  und  als  Kraftgefühl.  Wir  werden  uns  der  Grösse  der 
Contraction  in  jedem  Muskel  mit  einem  solchen,  durch  Uebung  noch 
zu  schärfenden  Grade  von  Sicherheit  bewusst,  dass  wir  daraus  ein 
Urtheil  über  die  Grösse  des  überwundenen  Widerstandes,  über  Ge- 
wicht, Härte  und  Weichheit  eines  Gegenstandes  abgeben  können, 
und  die  Muskelbewegung  ein  wichtiges  und  nothwendiges  Glied  des 
Tastsinnes  wird.  Unter  krankhaften  Bedingungen  steigert  sich  die 
Empfindliclikeit  der  Muskeln  bis  zum  heftigsten  Schmerz,  wie  bei 
den  tonischen  Krämpfen. 

Die  Ernährungsthätigkeiten,  der  Stoffwechsel,  gehen  im 
thätigen  Muskelfleische  sehr  lebhaft  von  Statten.  Der  absolute  Reich- 
thum  der  Muskeln  an  Blutgefässen  spricht  dafür,  und  wird  dadurch 
noch  bedeutimgsvoller,  dass  er  blos  dem  Emähnmgsgeschäfte,  und 
keiner  anderen  Nebenbestimmung  (z.  B.  der  Absonderung,  wie  bei 
den  Drüsen)  gewidmet  ist.  Häufige  Uebung  und  Gebrauch  der 
Muskeln  fördert  ihre  Entwicklung,  imd  lässt  sie  an  Masse  und  Ge- 
wicht zunehmen.  Muskelstärkc  lässt  sich  deshalb  bis  zu  öinem 
unglaublichen  Grad  durch  planmässige  Uebung  erzielen.  Diese  Kunst 
verstehen  die  Japanesen  am  gründlichsten,  wie  die  unglaublich 
scheinenden  Kraftäusserungen  ihrer  Preisringer  beweisen  (Com- 
modore  Perry,  Bericht  über  die  letzte  Expedition  nach  Japan). 
Die  Faserzahl  so  geübter  Muskeln  wird  durch  Neubildung  vermehrt, 
während  die  absolute  Dicke  der  einzelnen  Fasern  nicht  augenfällig 
zunimmt.  Ein  athletischer  Turner  und  ein  schwächliches  Mädchen 
lassen  in  den  Dimensionen  ihrer  Muskelfasern  keinen  frappanten 
Unterschied  erkennen,  wenn  die  Volumsdifferenz  der  ganzen  Muskeln 
auch  das  Fünffache  beträgt.  So  habe  ich  es  gefunden,  —  Andere 
natürlich  anders.  —  Von  der  absoluten  Vermehrung  der  Muskel- 
substanz (Hypertrophie)  unterscheide  man  die  scheinbare,  welche 
durch  Verdickung  der  Bindegewebsschciden  der  einzelnen  Muskel- 
bündel gegeben  wird.  Andauernde  Unthätigkeit  und  Ruhe  eines 
Muskels  bedingen  dessen  Schwund  (Atrophie),  wie  bei  Lähmungen 
und  allgemeiner  Fettsucht. 

7» 


100  §•  S6.  Sensibilit&t,  Sioffwechs«!,  Todtenstarr«,  und  Tonn«  der  Muskeln. 

Die  Muskelsubstanz  erzeugt  sich,  wenn  sie  durch  Krankheit  oder  Ver- 
wundung verloren  ging,  nie  wieder,  und  ein  entzwei  g^chuittener  Muskel  heilt 
nicht  durch  Muskelfasern,  sondern  durch  ein  neugebildetes,  fibröses  Gewebe 
zusammen. 

Ein  Phänomen  am  todten  Muskelfleisch  interessirt  den  Ana- 
tomen als  Todtenstarre,  Rigor  moi-tis.  Bei  allen  Wirbelthieren 
wird  sie  beobachtet,  imd  stellt  sich  im  Menschen  nach  Sommer's 
Beobachtungen  nie  vor  10  Minuten,  und  nie  nach  7  Stunden  post 
mortem  ein.  Sie  äussert  sich  als  eine  allmälig  zunehmende  Verkür- 
zung der  Muskeln,  mit  Hartwerden  derselben.  Der  Unterkiefer,  der 
im  Erlöschen  des  Todeskampfes  herabsank,  wird  durch  die  Todten- 
starre seiner  Hebemuskeln  gegen  den  Oberkiefer  so  fest  hinauf- 
gezogen, dass  der  Mund  nur  durch  grosse  Kraftanstrengung  geöffnet 
werden  kann;  der  Nacken  wird  steif,  der  Stamm  gestreckt,  die 
Gliedmassen,  welche  kurz  nach  dem  Tode  weich  und  beweglich 
waren,  imd  in  jede  Stellimg  gebracht  werden  konnten,  werden  starr 
imd  unbeugsam;  der  Daumen  wird,  wie  beim  Embryo,  unter  die 
zur  Faust  gebeugten  Finger  eingezogen,  etc.  Die  Todtenstarre  ist 
es,  welche  die  bei  ärmeren  Leuten  übliche  Sitte  entstehen  liess,  dem 
Verschiedenen  sogleich  die  Wäsche  auszuziehen,  da  sie  einige  Stun- 
den nach  dem  Tode,  der  Starrheit  des  Leichnams  wegen,  nur  los- 
geschnitten werden  kann.  Selbst  Muskeln,  welche  gelähmt  waren, 
bleiben  von  der  Todtenstarre  nicht  verschont.  Hirc  Dauer  ist  sehr 
ungleich.  Sie  richtet  sich,  wie  es  scheint,  nach  dem  früheren  oder 
späteren  Eintreten  der  Starre,  in  der  Art,  dass  sie  desto  länger 
dauert,  je  später  sie  sich  einstellte.  Je  schneller  Fäulniss  eintritt, 
desto  früher  schwindet  die  Todtenstarre. 

Die  Todtenstarre  für  vital,  gewissermassen  für  die  letzte  Aeusserung  der 
Irritabilität  zu  halten  (Nysten),  geht  des  Umstandes  wegen  nicht  wohl  an,  dass 
von  der  Todtenstarre  befallene  Muskeln  gewöhnlich  auf  Beize  nicht  reagiren, 
und  die  Irritabilität  bei  kaltblütigen  Thieren  lange  (bei  geköpften  Schildkröten 
8  Tage)  dauern  kann,  ohne  dass  Todtenstarre  beobachtet  wird.  Von  der  Gerin- 
nung des  Blutes  kann  sie  noch  weniger  abhängen,  da  sie  nach  Verblutungen 
sehr  intensiv  zu  sein  pflegt  und  bei  Ertrunkenen,  wo  das  Blut  nicht  gerinnt, 
ebenfalls  eintritt.  Man  huldigt  gegenwärtig  der  Ansicht,  dass  der  im  Muskel- 
fleische enthaltene  Faserstofi*  durch  seine  Coagulätion  die  Todtenstarre  bedingt. 
Beginnt  die  Erweichung  des  Faserstoff'es  durch  das  organische  Wasser  des 
Muskels   bei  Beginn  der  Fäulniss,  so  schwindet  die  Starre. 

Ein  in  sehr  verschiedenem  Sinne  gebrauchter  Ausdruck  ist 
der  Tonus  der  Muskeln.  Wir  verstehen  darunter  einen  auch  im 
Zustande  der  Ruhe  dem  Muskel  zukommenden  Spannungsgrad,  wel- 
cher ihm  nicht  erlaubt,  bei  rein  passiver  Verkürzung,  wie  sie  z.  B. 
bei  Knochenbrüchen  mit  Uebereinanderschiebcn  der  Bruchenden  vor- 
kommt, zu  schlottern  oder  sich  zu  falten.  Dieses  Vermögen,  bei 
jeder  Verkürzung  geradlinig  zu  bleiben,  muss  auf  einer  beständig 
thätigen  Contractionstendenz  beruhen,  welche,  um  ein  Wort  zu  haben, 


§.  36.   Yerhältniss  der  Maskeln  zu  ihren  Sehnen.  X01 

Tonus  genannt  werden  mag.    Auch  hierüber  sind  bittere  Worte  ge- 
fallen, und  blutige  Bürgerkriege  geführt  worden. 

Ist  ein  Körpertheil  mit  mehreren  Muskeln  augj^estattet,  welche  in  entgegen- 
gesetzter Richtung,  aber  symmetrisch  an  ihn  treten,  und  würden  die  Muskeln 
der  Einen  Seite  plötzlich  gelähmt,  so  wird  der  Theil,  ohne  dass  wir  es  wissen 
und  wollen,  durch  den  Tonus  der  entgegengesetzten,  nach  ihrer  Richtung  gezogen, 
und  bleibt  in  einer  durch  den  Tonus  der  nicht  gelähmten  Muskeln  bewirkten 
permanenten  Abweichung.  So  wird  z.  B.  bei  halbseitigen  Gesichtslähmungen  der 
Mond  gegen  die  gesunde  Seite  verschoben.  —  Wird  ein  Muskel  entzweigeschnit- 
ten, so  ziehen  sich  seine  Enden  zurück,  nnd  der  Schnitt  wird  eine  weite  Kluft. 
Alles  dieses  erfolgt  ohne  Willenscinfluss,  als  nothwendige  Folge  des  Tonus. 

Die  Zurückziehung  durchschnittener  Muskeln  hat  für  den  Wundarzt  hohe 
Wichtigheit  Würde  eine  Gliedmasse,  wie  es  vor  Zeiten  geschah,  und  bei  den 
Beduinen  jetzt  noch  üblich  ist,  durch  einen  Beilhieb  amputirt,  oder  abgedrellt, 
so  wird  die  Schnittfläche  des  Stumpfes  eine  Kegelfläche  sein,  an  deren  Spitze 
der  Knochen  vorsteht,  und  welche  diuch  die  gleichfalls  sich  zurückziehende  Haut 
nicht  bedeckt  werden  kann.  Die  Amputation  kann  deshalb  nicht  in  Einem 
Trennungsacte  bestehen,  und  muss  in  mehreren  Tempo's  verrichtet  werden,  indem 
die  Muskeln  tiefer  als  der  Knochen  entzweit  werden  sollen. 


§.  36.   Yerhältniss  der  Muskeln  zu  ihren  Sehnen. 

Die  willkürlichen  Muskeln  (einzelne  Kreismuskeln  ausgenom- 
men) stehen  an  ihrem  Anfange  und  Ende  mit  harten,  fibrösen, 
metallisch-glänzenden  Strängen,  oder,  wenn  sie  platte  Gestalt  haben, 
mit  solchen  Häuten  in  Verbindimg,  welche  Sehnen,  Tendines,  und 
Sehnenhäute,  Aponeiirosesy  heissen. 

Der  Querschnitt  einer  Sehne  ist  immer  bedeutend  kleiner,  als 
jener  des  zugehörigen  Muskels.  Damit  mehrere  Muskeln  zugleich 
von  Einem  Punkte  des  Skeletes  entspringen,  oder  an  einem  sol- 
chen enden  können,  musstcn  sie  an  ihrem  Anfange  und  Ende  mit 
Sehnen  versehen  werden,  deren  Umfang  bedeutend  kleiner,  als  jener 
der  Muskeln  selbst  ist,  und  welche  die  Zugseile  vorstellen,  durch 
welche  die  lebendige  Kraft  des  Muskels  auf  den  trägen  Knochen 
übertragen  wird.  Raumerspamiss  ist  somit  der  letzte  Grund  der 
Sehnenbildimg.  Man  unterscheidet  die  Sehnen  als  Ursprungs- imd 
Endsehnen.  Diese  wurden  vor  Zeiten  Caput  et  Catida  musaili  ge- 
nannt, während  das  eigentliche  Fleisch:  Muskelbauch,  Venter 
musadi,  hiess. 

Durch  lanf^es  Kochen  kann  die  Verbindung  von  Muskeln  und  Sehnen  so 
gelockert  werden,  dass  man  beide  ohne  Gewalt  trennen  kann.  Um  den  Ueber- 
gang  von  Muskelflcisch  in  Sehnen  nicht  durch  einen  plötzlichen  Abschnitt,  son- 
dern mit  allmäligcr  Abnahme  des  Umfanges  eines  Muskels  möglich  zu  machen, 
reichen  die  Sehnen  entweder  im  Fleische,  oder  an  einem  Rande  desselben  weiter 
hinauf,  wodurch  sich  viele  Muskelfasern  früher  endigen  können,  und  eine  gefU- 
ligere  Form  des  sich  gegen  Ursprung  nnd  Ende  snspitsenden  M 
resultirt. 


102  §•  37.  Benennnng  und  Eintheilung  der  Muskeln. 

Wird  der  Bauch  eines  Muskels  durch  eine  eingeschobene 
Sehne  in  zwei  Theile  getheilt,  so  heisst  ein  solcher  Muskel  ein 
zweibäuchiger,  Bwetiter.  Ist  die  eingeschobene  Sehne  kein  run- 
der Strang,  sondern  ein  fibröses  Septum  mit  vielen  kurzen  und 
zackigen  Ausläufern  in  das  Fleisch,  so  heisst  sie  sehnige  In- 
schrift, Iiiscriptio  teiidinea,  weil  eine  solche  Stelle  das  Ansehen 
hat,  als  sei  mit  Sehnenfarbe  auf  dem  rothen  Muskel  in  querer 
Richtung  gekritzelt  worden.  Es  darf  nicht  als  Ursache  dieses  Unter- 
brechens eines  Muskels  mit  Zwischensehnen  angesehen  werden,  dem 
Muskel  grössere  Festigkeit  zu  geben,  weil  von  mehreren  Muskeln, 
welche  durch  Länge,  Dicke  und  Wirkungsart  übereinstimmen,  nur 
Einer  diese  Einrichtung  besitzt,  während  sie  den  übrigen  fehlt.  So 
hätte  z.  B.  der  Musculus  stemohyoideus  ihrer  nicht  weniger  bedurft, 
als  der  damit  versehene,  kürzere  Stemothyreoideus,  und  der  Gracilis 
hätte  ihrer  ebenso  benöthigt,  wie  der  gleichlange  Semitendinosus,  Eine 
Jnscriptio  tendinea  giebt  zugleich  ein  gutes  Bild  einer  Muskelnarbe. 

Verläuft  die  Sehne  eines  Muskels  in  seinem  Fleische  eine 
Strecke  aufwärts,  und  befestigen  sich  die  Muskclbündcl  von  zwei 
Seiten  her  imter  spitzigen  Winkeln  an  sie,  so  heisst  der  Muskel 
ein  gefiederter,  M.  pennatus,  —  Liegt  die  Sehne  an  einem  Rande 
des  Fleisches,  und  ist  die  Richtung  der  Muskelbündel  zu  ihr  die- 
selbe schiefe,  wie  beim  gefiederten  Muskel,  so  wird  er  halb  ge- 
fiedert, AI.  semipennatus,  genannt.  —  Hat  ein  Muskel  mehrere 
Ursprungssehnen,  welche  fleischig  werden,  und  im  weiteren  Zuge 
in  einen  gemeinschaftlichen  Muskelbauch  übergehen,  so  ist  er  ein 
2-,  3-,  4köpfiger,  hicepsy  tricepsy  quadnceps. 

Die  Stelle,  wo  die  Ursprungs-  und  Endsehne  eines  Muskels 
sich  festsetzt,  heisst  Punctum  originis  et  insei'tionis.  Man  hat  sie  auch 
Punctum  fiocum  et  mobile  genannt,  wobei  jedoch  übersehen  wurde, 
dass  die  meisten  Muskeln  unter  gewissen  Umständen  das  Punctum 
fixum  zum  mobile  machen  können.  Es  wird  dieses  von  der  Stärke 
des  Muskels,  und  von  der  grösseren  oder  geringeren  Beweglichkeit 
seines  Ursprungs-  oder  Endpunktes  abhängen.  So  wird  der  Joch- 
muskel immer  den  Mimdwinkel  gegen  die  Jochbrücke,  und  nicht 
umgekehrt  bewegen,  während  der  Biceps  h*achii  den  Vorderarm 
gegen  die  Schulter,  oder,  wenn  die  Hand  sich  an  etwas  festhält,  die 
Schulter,  und  mit  ihr  den  Stamm,  der  Hand  nähern  wird. 

Hat  ein  Muflkcl  keine  Endsehne  wie  viele  Muskeln  des  Mundes,  so  vor- 
liereu  sich  die  Faseni  desselben  in  den  Weichtheilcn,  ohne  dass  man  sagen 
kann,  wie  ? 

§.  37.   Benennimg  und  Eintheilung  der  Muskeln. 

In  der  Nomenclatur  der  Muskeln  herrscht  keine  Gleichförmig- 
keit, und  kann  auch  keine  herrschen.  —  Da  viele  Muskeln  einander 


§.  87.  Benennung  und  Eintheilnng  der  Uuskeln.  103 

sehr  ähnlich  sind,  so  reicht  man  mit  der  Benennung  nach  der  Ge- 
stalt nicht  aus.  Da  mehrere  derselben  gleiche  Wirkung  haben,  und 
auch  ihre  Ursprungs-  und  Endpunkte  tibereinstimmen,  so  lassen  sich 
weder  Benennungen  nach  der  Wirkung,  noch  zusammengesetzte  Aus-^ 
drtlcke,  welche  Anfang  und  Ende  bezeichnen,  allgemein  gebrauchen. 
Wo  es  angeht,  ist  ein  aus  Ursprung  und  Ende  des  Muskels  zusam- 
mengesetzter Name  jeder  anderen  Benennung  vorzuziehen,  weil  er 
gewissermassen  eine  Beschreibung  des  Muskels  enthält  und  das  Er- 
lernen vieler  Muskeln  am  wenigsten  erschwert.  Chaussier  hat  es 
versucht,  die  Terminologie  der  Muskeln  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  umzuarbeiten,  ohne  dass  sein  Bemühen  Nachahmung  gefun- 
den hätte. 

Die  Eintheilung  der  Muskeln  beruht  auf  ihrer  Form.  Ich  unter- 
scheide zwei  Hauptgruppen:   A)  solide,  und  B)  hohle  Muskeln. 

A)  Solide  Muskeln.    Sie  zerfallen  nach  den  drei  cubischen 
Dimensionen  des  Raumes  in: 

a)  Lange  Muskeln,  mit  vorwaltender  linearer  Ausdehnung.  Ihre 
Fasern  laufen  in  der  Regel  parallel.  Sie  sind  wieder  einfach 
oder  zusammengesetzt,  imd  werden  letzteres  dadurch,  dass 
sich  mehrere  Köpfe  in  einen  Muskelbauch  vereinigen,  oder 
ein  Muskelbauch  mehrere  Endsehnen  entwickelt,  wie  an  den 
Beugern  und  Streckern  der  Finger  und  Zehen.  Sie  kommen 
vorzugsweise  an  den  Gliedmassen,  weniger  am  Stamme  vor, 
und  besitzen  in  der  Regel  rundliche,  lange  oder  kurze  Sehnen. 

b)  Breite  Muskeln,  mit  Flächenausdehnung  in  die  Länge  und 
Breite.  Sie  entspringen  entweder  ohne  Unterbrechung  von 
langen  Knochenrändern,  oder  mit  einzelnen  Bündeln  von 
mehreren  neben  einander  liegenden  Knochen,  z.  B.  den  Rip- 
pen, wo  dann  diese  Bündel  Zacken,  Dentationes,  heissen. 
Sie  bilden  nie  rundliche,  strangfbrmige  Sehnen,  sondern  flache, 
sehnige  Ausbreitungen  (Fasciae,  Aponeuroses),  Sie  finden  sich 
nur  am  Stamme,  und  eignen  sich  ganz  vorzüglich  zur  Begren- 
zung der  grossen  Leibeshöhlen. 

c)  Dicke  Muskeln.  Alle  breiten  Muskelkörper  von  namhafter 
Mächtigkeit  heissen  so.  Sie  sind  durch  ihre  Stärke  ausge- 
zeichnet, und  haben  entweder  parallele  Fleischbündel,  wie  der 
Glutaeus  magnus^  oder  verfilzte,  wie  der  Deltoides,  Ist  ein 
dicker  Muskel  zugleich  von  einer  seiner  Dicke  ziemlich  glei- 
chen Länge  und  Breite,  so  heisst  er  kurz. 

Diesen  drei  Arten   von  Muskelformen  muss   man   noth- 
gedrungen  noch  eine  vierte  beigesellen: 

d)  Ringmuskeln.  Sie  umgeben  gewisse  Leibesöffiiuiiffeii,  und 
haben  entweder  gar  keinen  ZuBammenhi 


104  §•  87.  Benennnng  und  Eintheiliing  der  Moskeln. 

z.  B.  der  Sphincter  orüy  oder  nur  einen  einzigen  Ausgangs- 
punkt am  Skelet,  zu  welchem  sie  auch  zurückkehren,  wie  der 
Orbiciilaris  palpebrarum. 

B)  Hohle  Muskeln.  Sie  gehören  gänzlich  der  Classe  der 
unwillkürlichen  Muskeln  an.  Sie  kommen  in  viel  geringerer  Menge 
vor  als  die  soliden,  und  bilden  entweder  für  sich  hohle  Organe,  wie 
das  Herz  und  die  Gebärmutter,  oder  sie  umgeben  als  mehr  weniger 
deutliche  Muskelhaut,  Tunica  musctdarisj  die  Höhlen  von  röhren- 
oder  schlauchförmigen  Organen.  So  sind  sie  am  Darmkanal  und  an 
der  Harnblase  ein  Gegenstand  anatomischer  Zergliederung,  in  den 
Drüsenausfilhrungsgängen  und  Blutgefässen  dagegen  nur  mit  dem 
Mikroskope  nachweisbar.  Sie  bestehen,  mit  Ausnahme  des  Herzens, 
durchaus  aus  glatten,  nicht  quergestreiften  Muskelfasern.  Da  sie  alle 
solchen  Organen  angehören,  auf  welche  die  Willkür  keinen,  oder 
nur  beschränkten  Einfluss  übt,  so  werden  sie  als  unwillkürliche 
oder  organische  Muskeln  benannt,  während  die  soliden  Muskeln, 
welche  als  Organe  der  Ortsbewegung,  der  Sprache,  der  Respiration, 
und  der  Sinne,  unter  dem  Einflüsse  des  freien  Willens  stehen,  als 
willkürliche  oder  an i male  Muskeln  zusammengefasst  werden. 
Die  Sonderung  lässt  sich  jedoch  weder  histologisch  noch  functionell 
scharf  durchführen.  Das  quergestreifte  Ansehen  der  animalen  Muskel- 
fasern findet  sich,  wie  früher  erwähnt,  auch  am  Herzen  und  am 
oberen  Drittel  der  Speiseröhre,  und  die  Athmimgsmuskeln,  welche 
willkürlich  bestimmbare  Bewegungen  ausführen,  setzen  im  Schlafe, 
in  der  Ohnmacht,  und  im  Schlagflusse  ihre  Action  unwillktlrlich 
fort.  Die  rothe  Färbung  der  animalen,  und  die  blasse  der  orga- 
nischen Muskeln  ist  nichts  Wesentliches,  und  mag  weniger  von 
einem  wirklichen  Farbenunterschiede  der  Primitivfasern,  als  vielmehr 
von  ihrer  grösseren  oder  geringeren  Anhäufung  abhängen.  Die  dünne 
Muskelschichte  des  Darmrohrs  erscheint  deshalb  blass,  während  die 
dicke  Fleischsubstanz  des  Herzens  viel  röther  ist,  als  mancher  dünne 
animale  Muskel,  z.  B.  das  Platysma  myoides.  Verdickt  sieh  die 
organische  Muskelschichte  eines  Darmstückes  oder  der  Harnblase 
durch  Krankheit,  so  wird  sie  eben  so  fleischroth,  wie  ein  stark 
arbeitender  animaler  Muskel.  Der  rothe  Muskelmagen  der  körner- 
fressenden Vögel,  und  die  krankhaften  Hypertrophien  der  Darm- 
und Blasenmuskelhaut,  bestätigen  dieses  zur  Genüge.*  —  Die  orga- 
nischen Muskeln  haben  keine  Sehnen,  bedingen  niemals  Ortsver- 
änderungen, sondern  nur  Verengerungen,  oder  Verkürzungen  der 
fraglichen  Organe,  in  oder  an  welchen  sie  vorkommen,  laufen  in 
gekreuzten  Doppelschichten  über  einander  hin,  hängen  mit  dem 
Skelet  nicht  zusammen,  und  haben  keine  Antagonisten. 

Andere  mehr  weniger   geläufige  Eintheilnngen  beruhen  auf  mehr  weniger 
allgemeinen  £intheUung8gründen.  Muskeln,  welche  gleiche  Wirkung  haben,  oder 


g.  38.   Allgemeine  mechanische  Verhältnisse  der  Mnskeln.  105 

sich  wenigstenB  in  der  Erzielung  eines  gewissen  Effectes  synergisch  unterstützen, 
heissen  Cöadjutores;  jene  Muskeln,  deren  Wirkungen  sich  gegenseitig  neutralisiren, 
ÄfUoffonistae,  Beuger  und  Strecker,  Auswärts-  und  Einwärtswender,  Aufheber  und 
Niederzieher  sind  Antagonisten,  mehrere  Beuger  dagegen  Coadjutoren.  Unter 
Umständen  können  Antagonisten  Coadjutoren  werden.  So  werden  alle  Muskeln 
des  Armes,  wenn  es  sich  darum  handelt,  ihm  jenen  Grad  von  Starrheit  und 
Unbeugsamkeit  zu  geben,  welcher  z.  B.  beim  Stemmen  oder  Stützen  nothwendig 
wird,  für  diese  Gesammtwirkung  Coadjutoren  sein. 


§.  38.  Allgemeine  mechanisclie  Yerhältnisse  der  Muskeln. 

Da  jede  Muskelfaser  die  Richtung  einer  Kraft  bezeichnet,  so 
finden  die  statischen  und  dynamischen  Gesetze  der  Kräfte  über- 
haupt auch  auf  die  Muskeln  ihre  Anwendung.  Folgende  mechanische 
Verhältnisse  ergeben  sich  zunächst  aus  dieser  Anwendung: 

1.  Muskeln,  deren  Fasern  mit  der  Länge  des  Muskels  parallel 
laufen,  erleiden,  wenn  sie  wirken,  den  geringsten  Verlust  an  be- 
wegender Kraft,  und  ihre  Wirkung  ist  gleich  der  Summe  der  Partial- 
wirkungen  ihrer  einzelnen  Bündel  imd  Fasern.  —  Muskeln  mit  con- 
vergenten  Bündeln  wirken  nur  in  der  Richtung  der  Diagonale  des 
Kräfteparallelogramms,  dessen  Seiten  durch  die  convergirende 
Richtung  der  Muskelfasern  gegeben  sind,  und  haben  somit  einen 
Totaleflfect,  welcher  kleiner  ist,  als  die  Summe  der  partiellen  Lei- 
stungen aller  Bündel.  Je  spitziger  der  Vereinigungswinkel  zweier 
Bündel,  desto  geringer  ist  ihr  Kraftverlust;  je  grösser  der  Winkel, 
desto  grösser. 

2.  Bei  Muskeln  mit  längsparalleler  Faserung  steht  die  Grösse 
ihres  Querschnittes  mit  der  Grösse  ihrer  möglichen  Wirkung  in 
geradem  Verhältniss,  d.  h.  ein  Muskel  dieser  Art,  der  zweimal  so 
dick  ist,  als  ein  anderer,  wird  zweimal  mehr  leisten  können.  Für 
Muskeln  mit  convergenten  Fasern  gilt  dieses  nicht,  weil  ihre  Faser- 
richtung auf  dem  anatomischen  Querschnitt  nicht  senkrecht  steht. 
Die  Länge  eines  Muskels  mit  parallelen  Fasern  hat  sonach  auf 
seine  Kraftäusserung  keinen  Einfluss,  wohl  aber  seine  Dicke.  Ein 
langer  Muskel  wird  nicht  kräftiger  sein,  als  ein  kurzer  von  gleicher 
Breite  und  Dicke.  Nur  absolute  Vermehrung  der  Muskelfasern 
steigert  die  Kraft  eines  Muskels.  Lange  Muskeln,  in  welchen  die 
einzelnen  Bündel  sehr  kurz  sind,  weil  sie  mehr  der  Quer-  als  der 
Längenrichtung  des  Muskels  entsprechen  (z.  B.  die  Pennati,  Semi- 
pennati),  werden  somit  mehr  Kraft  aufbringen,  als  gleich  lange 
Muskeln  mit  zur  Sehne  parallelen  Fasern.  Dagegen  wird  die  Grösse 
der  Verkürzung  bei  letzteren  eine  bedeutendere  sein. 

Man  unterscheidet  den  anatomischen  Querschnitt  eines  Miukeb  vom  pbr* 
siologischen,  Ersterer  steht  senkrecht  auf  der  Lftngenaxe  des  Mvakfl 


106  §.  38.    Alidpemeine  mMhAniaelie  YerbUtnisse  d«r  Muskeln. 

Steht  senkrecht  zur  Faserungsrichtang  des  Muskels.  Ersterer  ist  immer  plan, 
und  letzterer  kann  auch  eine  krumme  Ebene  sein,  wie  er  es  bei  allen  Muskeln 
mit  radienartig  convergirenden  Fasern  sein  muss. 

3.  Ein  Muskel  mit  längsparalleler  Faserung  kann  sich  im 
Maximum  um  ^/^  seiner  Länge  zusammenziehen.  Dieses  wurde 
wenigstens  beim  Hyoglossus  des  Frosches  beobachtet.  Für  die 
einzelnen  menschlichen  Muskeln  wiirde  bis  jetzt  noch  keine  Norm 
aufgestellt. 

4.  Je  weiter  vom  Gelenk,  und  unter  je  grösserem  Winkel  sich 
ein  Muskel  an  einem  Knochen  befestigt,  desto  günstiger  ist  für 
seine  Action  gesorgt.  Je  länger  er  wird,  und  mit  je  mehr  Theilen 
er  sich  kreuzt,  desto  grösser  ist  sein  Kraftverlust  durch  Reibung. 
In.  ersterer  Hinsicht  wirken  die  aufgetriebenen  Gelenkenden  der 
Knochen,  die  Knochenfortsätze,  die  Rollen,  und  die  knöchernen 
Unterlagen  der  Sehnen  (Sesambeine)  als  Compensationsmittel ;  in 
letzterer  die  schlüpfrigen  Sehnenscheiden  und  Schleimbeutel,  welche 
als  natürliche  Verminderungsmittel  der  Reibung  hoch  anzuschlagen 
sind,  und  dasselbe  leisten,  wie  das  Schmieren  einer  Maschine. 

5.  Besteht  ein  Muskel  aus  2,  3,  4  Portionen,  welche  einen 
gemeinschaftlichen  Ansatzpunkt  haben,  so  wird  die  Wirkung  eine 
sehr  verschiedene  sein,  wenn  alle  eder  nur  eine  Portion  in  Thätig- 
keit  gerathen.  Alle  Muskeln  mit  breiten  Ursprüngen  und  conver- 
genten  Bündeln  (DeltoideSy  CucullarU,  Pectoralis  major,  etc.),  können 
aus  diesem  Gesichtspunkte  zu  vielen  und  interessanten  mechani- 
schen Betrachtungen  Anlass  geben,  die  bei  der  speciellen  Abhand- 
lung dieser  Muskeln  im  Schulvortrage  mit  Nutzen  eingeflochten 
werden. 

6.  Da  von  der  Stellung  des  Urspnmgs  zum  Endpunkte  eines 
Muskels  die  Art  seiner  Wirkung  abhängt,  so  wird  eine  Aenderung 
dieses  Verhältnisses  auch  auf  die  Muskelwirkung  Einfluss  haben. 
Ist  der  gestreckte  Vorderarm  einwärts  gedreht,  so  wirkt  der  Flexor 
biceps  als  Auswärtswender;  bei  auswärtsgedrehter  Hand  der  Flexor 
carpi  radialis  als  Einwärtswender.  Auch  in  dieser  Beziehung  kann 
jeder  Muskel  Gegenstand  einer  reichhaltigen  Erörterung  werden. 

7.  Die  angestrengte  Thätigkeit  eines  Muskels  zur  Ueberwin- 
dung  eines  grossen  Widerstandes,  ruft  häufig  eine  ganze  Reihe  von 
Contractionen  anderer  Muskeln  hervor,  welche  darauf  abz wecken, 
dem  erstbewegten  einen  hinlänglich  sicheren  Ursprungspunkt  zu 
gewähren.  Man  nennt  diese  Bewegungen  coordinirt.  Es  ist  z.  B. 
am  nackten  Menschen  leicht  zu  beobachten,  wie  alle  Muskeln, 
welche  am  Schulterblatte  sich  inseriren,  eine  kraftvolle  Contraction 
ausführen,  um  das  Schulterblatt  festzustellen,  wenn  der  Deltamuskel 
sich  anschickt,  ein  Gewicht  mit  dem  Arme  aufzuheben.  Würden 
die  Schulterblattmuskeln  in  diesem  Falle  unthätig  bleiben,  so  würde 


§.  39.  Praktisch«  Bemerkungen  ttber  das  Mnskelgewebe.  107 

der  Deltamuflkel,  oder  der  Bieeps,  das  nicht  fixirte  Schulterblatt 
(an  welchem  sie  beide  entspringen),  viel  lieber  herab  bewegen,  als 
das  schwer  zu  hebende  Gewicht  hinauf. 

8.  Da  die  Configuration  der  Gelenkenden  der  Knochen,  und 
die  sie  zusammenhaltenden  Bänder,  die  Bewegungsmögliehkeit  eines 
Gelenkes  allein  bestimmen,  so  muss  sich  die  Gnippirung  der  Mus- 
keln um  ein  Gelenk  herum,  ganz  nach  der  Beweglichkeit  desselben 
richten.  Es  kann  deshalb  aus  der  bekannten  Einrichtung  eines  Ge- 
lenks, die  Lagerung  und  Wirkungsart  seiner  Muskeln  in  vorhinein 
angegeben  werden.  So  werden  z.  B.  an  einem  Winkelgelenke, 
welches  nur  Beugung  und  Streckimg  zulässt,  wie  die  Fingergelenke, 
die  Muskeln,  oder  deren  Sehnen,  nur  an  der  Beuge-  und  Streck- 
seite des  Gelenks  vorkommen  können,  während  freie  Gelenke  all- 
seitig von  Muskellagem  umgeben  werden. 

§.  39.   Praktische  Bemerkungen  über  das  Muskelgewebe. 

Ungeachtet  des  grossen  Blutgefkssaufwandes  im  Muskel,  ist 
er  doch  zur  Entzündung  sehr  wenig  geneigt,  und  wenn  sie  ihn  er- 
gfreift,  bleibt  sie  auf  die  Scheiden  des  Muskels  und  seiner  Bttndel 
beschränkt.  In  der  eigentlichen  Muskelsubstanz  lässt  sich  bei  ent- 
zündeten Muskeln  keine  mikroskopisch  scharf  bezeichnete  Verän- 
derung beobachten.  —  Muskelentzündungen  nach  Amputationen 
sind  immer  mit  bedeutenden  Retractionen  derselben  verbunden, 
und  es  kann  somit  geschehen,  dass  auch  nach  kunstgemäss  vor- 
genommenen Absetzungen  der  Gliedmassen,  wenn  Entzündung  den 
Stumpf  befällt,  der  Knochen  über  die  Schnittfläche  hinausragt.  — 
Jeder  Muskel  verträgt  einen  hohen  Grad  passiver  Ausdehnung, 
wenn  dieser  allmälig  eintritt,  z.  B.  durch  tiefliegende  Geschwülste, 
oder,  wie  bei  den  Bauchmuskeln,  durch  Bauchwassersucht,  und 
zieht  sich  wieder  auf  sein  früheres  Volumen  zusammen,  wenn  die 
ausdehnende  Potenz  beseitigt  wird.  Dieses  ist  eine  Wirkung  des 
Tonus. 

Ein  relaxirter  Muskel  reisst  leichter  als  eine  Sehne,  wenn 
z.  B.  eine  Gliedmasse  durch  ein  Maschinenrad  ausgerissen  oder 
abgedreht  wird;  befindet  sich  dagegen  ein  Muskel  in  einer  energi- 
schen Contraction,  so  reisst  seine  Sehne,  oder  geht  selbst  der 
Knochen  entzwei,  an  welchem  sie  sich  befestigte.  Die  Risse  der 
AchiUessehne,  die  Querbrüche  der  Kniescheibe  und  des  Olekranon, 
entstehen  auf  solche  Art. 

Die  Verrückung  der  Bruchenden  eines  quergebrochenen  Kno- 
chens, dessen  Fragmente  sich  nicht  aneinander  stemmen^  beruht 
grösstentheils  auf  dem  Muskelzuge.    Sie  Ittsst  uch  a 


108  §•  ^'  Praktische  Bemerkungen  Aber  das  Moskelgewebe. 

jede  Bruchstelle  in  voraus  bestimmen ^  wenn  man  das  Verhältniss 
der  Muskeln  in  Anschlag  nimmt,  und  sie  erfolgt  im  vorkommen- 
den Falle  immer  nach  derselben  Richtung.  An  gebrochenen  Glied- 
massen, welche  gelähmt  waren,  oder  es  durch  die  den  Bruch 
bewirkende  Ursache  wurden,  ist  wem'g  oder  keine  Dislocation  zu- 
gegen. —  Derselbe  Muskelzug  giebt  ein  schwer  zu  überwindendes 
Hinderniss  ftlr  die  Einrichtung  der  Verrenkimgen  ab,  und  die 
praktische  Chirurgie  kann  oft  weder  durch  Flaschenzttge  und 
Streckapparate,  noch  durch  betäubende  und  schwächende  Mittel 
zum  Ziele  kommen.  Wäre  es  nicht  gerathen,  durch  Herabstimmung 
jener  Momente,  welche  die  Irritabilität  mit  bedingen  (Blutzufluss 
und  Innervation),  den  übermächtigen  Muskelzug  zu  schwächen,  und 
die  Einrichtungsversuche  mit  gleichzeitiger  Compression  der  Haupt- 
schlagader und  der  Nerven  zu  verbinden? 

Unwillkürliche  und  schmerzhafte,  andauernde,  oder  mit  Ex- 
pansion abwechselnde  Muskelcontraction  heisst  Krampf,  Spasmus; 
andauernder  gleichzeitiger  Krampf  aUer  Muskeln,  Starrkrampf, 
Tetamts,  Man  kann  sich  von  der  Gewalt  der  Muskelcontraction 
einen  Begriflf  machen,  wenn  man  erfährt,  dass  Krämpfe  Knochen- 
brtlche  hervorbringen  (Kinnbackenbrüche  beim  rasenden  Koller  der 
Pferde),  und  bei  jener  flirchterlichsten  Form  des  Starrkrampfes, 
welcher  Opisthotonus  heisst,  der  Stamm  sich  mit  solcher  Kraft  im 
Bogen  rückwärts  bäumt,  dass  alle  Versuche,  ihn  gerade  zu  machen, 
fruchtlos  bleiben. 

Permanent  gewordene  Contractionen  einzelner  Muskeln  wer- 
den bleibende  Richtungs-  und  Lagerungsänderungen,  Verkrümmun- 
gen oder  Missstaltun  gen  der  Theile  setzen,  an  welchen  sie  sich 
befestigen.  Die  Klumpfüsse,  der  schiefe  Hals,  gewisse  Krümmungen 
der  Wirbelsäule,  und  die  sogenannten  falschen  Ankylosen,  d.  i. 
Unbeweglichkeit  der  Gelenke  nicht  durch  Verwachsung  der  Knochen- 
enden, sondern  durch  andauernde  Muskelcontractiu'cn,  entstehen 
auf  diese  Weise.  Dauern  solche  permanente  Contractionen  lange 
Zeit,  so  wandelt  sich  der  Muskel  häufig  in  fibröses  Gewebe  um, 
imd  wirkt  wie  ein  unnachgiebiges  Band,  welches  durchschnitten 
werden  muss,  um  dem  missstalteten  Gliede  seine  natürliche  Form 
wieder  zu  geben  (Myotomie,  Tenotomie). 

Erlöschen  des  Bewegungsvermögens  eines  Muskels  heisst  Läh- 
mung, Paralysis,  und  bewirkt,  wenn  sie  unheilbar  ist,  Schwund 
des  gelähmten  Muskels,  Umwandlung  in  Fett,  oder  in  einen  Binde- 
gewebsstrang,  welcher  blos  aus  den  Scheiden  der  Muskelbündel 
besteht,  deren  fleischiger  Inhalt  eben  durch  die  Atrophie  mehr 
weniger  verloren  ging. 

Einfache  quere  Muskel  wunden  heilen  um  so  leichter,  je  ge- 
ringer  die   Entfernung    der   retrahirten   Hälften    des    zerschnittenen 


§.  40.  Fibröses  Gewebe.  ]09 

Mufikels  ist.  Es  muss  deshalb  dem  verwundeten  Gliede  eine  Lage 
gegeben  werden,  in  welcher  die  Annäherung  der  beiden  Enden 
möglichst  vollkommen  ist:  die  gebogene  bei  Trennungen  der  Beu- 
ger, die  gestreckte  bei  Streckern.  Es  kann  auch  geschehen,  dass 
die  Enden  eines  zerschnittenen  Muskels  sich  gar  nicht  zurück- 
ziehen, —  ein  Umstand,  der  bei  Amputationen  von  grosser  Bedeu- 
tung ist.  Wird  nämlich  unter  der  Stelle  amputirt,  wo  ein  Nerv 
in  das  Moskelfleisch  eintritt,  so  wird  die  Retraction  am  stärksten 
sein,  weil  das  obere  Ende  des  Muskels  durch  seinen  Nerven  noch 
mit  den  Centralorganen  des  Nervensystems  zusammenhängt.  Am- 
putirt man  über  dieser  Stelle,  so  wird  der  Muskel,  dessen  Nerv 
zugleich  durchschnitten  wird,  gelähmt,  und  zieht  sich  wenig  oder 
gar  nicht  zurück.  —  Chassaignac  unterwarf  alle  Muskeln  der 
Extremitäten  einer  genauen  Untersuchung  der  Eintrittsstellen  ihrer 
Nerven,  und  fand,  dass  die  Nerven  nie  im  oberen  Viertel,  und  nie 
unter  der  Mitte  eines  Muskels  eintreten.  Bei  Amputationen  dicht 
unter  dem  Gelenke  wäre  somit  für  gewisse  Muskeln  die  Retrac- 
tion am  kleinsten,  dicht  über  dem  Gelenke  am  grössten.  Da  von 
der  Grösse  der  Retraction  der  Muskeln  die  verschiedenen  Acte  der 
Amputation,  und  bei  einfachen  Wunden  das  Klaffen  der  Wundrän- 
der bestimmt  werden,  so  wäre  diese  Erörterung  für  den  Wundarzt 
von  einiger  Wichtigkeit. 

In  den  Zwischenräumen  der  Muskeln  verlaufen  die  grösseren 
Blutgefässe.  Die  Muskeln  können  deshalb  als  Wegweiser  bei  der 
Au£Bndimg  derselben  dienen,  und  da  es  öfters  noth wendig  wird, 
bei  der  Ausfühnmg  chirurgischer  Operationen  Muskeln  zu  spalten, 
um  zu  tief  hegenden  Krankheits  -  Herden  oder  Producten  zu  gelan- 
gen, so  ist  selbst  die  Kenntniss  der  Faserung  eines  Muskels  von 
praktischem  Werthe,  indem  die  Spaltung  eines  Muskels,  aus  leicht 
begreifhchen  Gründen,  der  Faserung  desselben  parallel  laufen  soll. 

Bei  jeder  Muskelpräparation  im  Vortrage  lässt  sich  eine  Fülle  praktisch- 
nützlicher  Bemerkungen  an  die  rein  -  anatomischen  Facta  knüpfen,  welche  ohne 
alle  speciellcn  Kenntnisse  von  Krankheiten  verständlich  sind,  und  den  Schülern 
den  Werth  der  Anatomie  bei  Zeiten  schätzen  lehren. 


§.  40.   Fibröses  Gewebe. 

Das  anatomische  Element  des  fibrösen  Gewebes,  Textur  ßbi^osus, 
ist  die  Bindegewebsfaser.  Sie  verbindet  sich  mit  vielen  ihres  Gleichen 
zu  Bündeln.  Auf  den  Bündeln  erscheinen  zuweilen  auch  umspinnende 
Fasern.  Man  könnte,  der  Identität  des  mikroskopischen  Elementes 
wegen,  mit  allem  Rechte  das  fibröse  Gewebe  ak  eine  .8» 
Bindegewebes,  wie   Henle,   nehmen*    Hier  uoT 


110  §.41.    Fonnen  des  fibrösen  Gewebes. 

Gewebsgattung  aufgeführt  werden,  weil  die  Fonnen,  in  welchen  es 
im  Körper  auftritt,  mit  dem  gewöhnlichen  Vorkommen  des  Binde- 
gewebes keine  oder  nur  sehr  wenig  Aehnlichkeit  haben. 

Die  Bindegewebsfasern  des  fibrösen  Gewebes  schliessen  so 
dicht  aneinander,  und  halten  so  fest  zusammen,  dass  sie  nur  schwer 
zu  isoUren  sind.  Alle  Organe  dieser  Gewebsform  werden  deshalb 
einen  gewissen  Grad  von  Härte  und  Festigkeit  besitzen,  den  mecha- 
nischen Trennungen,  der  Fäulniss  und  Siedhitze  länger  und  besser 
widerstehen  als  gewöhnhches  Bindegewebe,  und  sich  durch  diese 
mechanischen  Eigenschaften  vorzüglich  zu  Bindungsmitteln  fester 
Theile  (Knochen,  Knorpel),  imd  zu  verlässlichen  Leitern  eignen, 
durch  welche  eine  Kraft,  z.  B.  vom  Muskel  aus,  auf  einen  Knochen 
tibertragen  wird  (Sehnen).  Ihr  Atlas-  oder  Metallglanz,  und  ihr 
schillerndes  Ansehen,  welches  eine  Folge  einer  leichten  Kräuselung 
ihrer  Primitivfasem  ist,  zeichnen  sie  vor  allen  tlbrigen  Geweben  auf 
sehr  auffallende  Weise  aus. 

Ihre  chemischen  Eigenschaften  stimmen  mit  jenen  des  Binde- 
gewebes tiberein,  ihre  Vitalität  ist  sehr  gering,  ihre  Blutgefilsse 
verhältnissmäfisig  ärmlich,  jedoch,  wie  sich  an  der  Achillessehne 
beweisen  lässt,  nicht  blos  ihrer  Bindegewebshülle  angehörend.  Ihre 
Nerven  sind  zwar  spärlich,  aber  mit  Bestimmtheit  nachgewiesen. 
Ihre  Empfindlichkeit  im  gesunden  Zustande  ist  kaum  des  Namens 
werth,  obwohl  bei  Entzündungen  derselben  die  furchtbarsten  Schmer- 
zen wüthen  können.    Sie  besitzen  keine  Contractilität. 

Ich  habe  zuerst  gezeigt  (Über  das  Verhalten  der  Blutgefässe  in  den  fibrösen 
Geweben,  Oest.  Zeitschr.  für  prakt.  Heilkunde,  1859,  Nr.  8),  dass  in  allen  fibrösen 
Geweben  schon  die  kleinsten  arteriellen  Ramificationen  von  doppelten  Venen  be- 
gleitet werden.  Da  sich  die  Lumina  zweier  Blutbahnen  wie  die  Quadrate  ihrer 
Durchmesser  verhalten,  wird  es  klar  sein,  dass  die  Geschwindigkeit  der  venösen 
Blutbewegung  in  den  fibrösen  Geweben  eine  bedeutend  geringere  sein  muss,  als 
der  arteriellen.  Daher  die  Neigung  zu  Congestion,  Stase,  Exsudat,  welche  das 
Wesen  des  nur  in  den  fibrösen  Gebilden  hausenden  Rheumatismus  bilden. 


§.  41.   Fonnen  des  fibrösen  Gewebes. 

Es  lassen  sich  drei  Hauptformen  des  fibrösen  Gewebes  auf- 
stellen: A)  das  strangfbrmige,  B)  die  fibrösen  Häute,  und  C)  das 
cavemöse  Gewebe. 

A)  Das  strangförmige  fibröse  Gewebe  besteht  aus  paral- 
lelen, wellenförmig  gebogenen  Bindegewebsfasern,  welche  sich  zu 
primären  Bündeln,  diese  zu  secundären,  und  sofort  auch  zu  tertiären 
Bündeln  vereinigen.  Die  primären  Bündel  scheinen  eine  structur- 
lose,  feinste,  elastische  Scheide  zu  besitzen;  die  secundären  und 
tertiären  dagegen  haben  Bindegewebsscheiden.  Den  primären  Bündeln 


•«»    T{'.»a*4i     i«  •««kSi*> 


sind  «ach  eliutisciiie  F^k^tü  TfizjCfw^oc.  ^vU'Iw  w^  ,*.v»*Nis-"  A^i-^-v 
Aeste  inaeiideiL.  Kenurü*^«  *üuivuL:vrtytr^'  >.\ls'5  x^XxV.v  v*\s»^ \ts  'n>x^  - 
in  wechselnder  Mec^  xwisch^u  vieii  l^uuvwlu-  Mau  ui^^v^j'^N^^N-Nis  >< 
folgende  Arten  dieser  GeweWtomi: 

«)  Sehne,  Tenda,  am  Urepruugs-   vuul  Auhvrtvuv^iivuvU^   %U^^    My\* 

kehl,  als  Tendo  ori^nis  und    lVfi\io  insK^^k^f^t^ 
b)  Band,  Ligamentum.   Verlniuiuug^triU)^    «wvu'V  Kuwhx^u.  \st%-« 
Befestigangsmittel  bewo^liohor  TIumIo  nu  2«li(luloi^\    \\\\y^  \k\a\ 
tigste  Entwicklung  em'ichon  sio  als  i)oloiikitftiul\M.  \\\\\\  \w^\\'\\ 
als    solche   immer   au  jouoii   iio^tMuion    \\\^v    i\\A\^\\k\\    k\^'h\\'\\ 
welche  zu  die  Bewegung  nioht  grHtnttot  int,   Imm  «l«tii  NVinK«^! 
gelenken   z.   B.   an   doivn    Soiton.     Sio   NoIlltMi    iIphIhiIIi    I|i>Imm 
Seiten-  oder  HemmungHblindt*!',  aU  llilfNlianit(«r  linmnMn 

B)  Die  fibrösen  llilulcy  Tinilvttv  Jlhrnmii\  l'\invnh\  .l^iüMii» 
ro§es,  sind  Ausbreitungen  des  Fasorg^^wrlirM  in  ilnr  Mllrlih.  vyi<Ii  lii> 
anderen  weicheren  Geweben  zur  llhllr  inifl  nM^,fMi/,iMi^  flli-nnfi, 
und  entweder  aus  dicht  verfilzton  Kilfloti|  olum  ciim^  lirNfiinMifis  vm 
waltende  Faserungsriehtung,  oder  aiiH  drrlM'n'n,  fltin-li  lliiM|M|iMvi.|rf. 
verbundenen  FaserbUndeln  bestehen,  rl^rnüi  iiuiullrl«^  mlir  y^iUiituli- 
Richtung  schon  mit  freiem  Auge  aliznK«;)i<;n  i^f.  f>i^.  itiiihmii  tUiuh^ 
bieten  dreierlei  Formen  dar: 

a)   Ebene  oder  flache  FÄfterli;iijtf-.    r^i^r    ^rfutnu  tft\*  t   Sit^nm 
zen   Höhlen^   oder   ^ind   zwi>./:h':ri   it/.wiAfn.n  Mit^kfl^rujtjtttt  t*\r 
nattirüche   .Seh^:i'dewarid<e    'l';rv:lb'r*    <it\'/*.<r\,H[U  ^      \\t*Si*r    j// 
hören:     2     da.«»    C*^drufn.    tfrt*/lüu:»ffa   d»nphfftfff/»ftlin ^    ^^    ^t  ttt^f 
Fas<::i»rn.    ai* :     F^u^:*/i    tfnftjflr.*ff4fi^    h»iit^äfytjtff»^/$ ,    ffff/ft/i^    ilHUH, 
foiaiyvnji .  ^tm^Jw^A ,   '  -.  v. .      •     <  .*  -.  Z  v .  <  ^  h  *  •. ;,  rr.  -  *  -» ir  <'•  i  v4  i^At  <•  ^    ///  /^/ 
numtti   •  ^i/Vrj nuL4t*M.  nr'*n^   '     ^'.ajl    [  :  ,  sr.  .•■.»■  i  lV-,i »  '■I , <^     /  ^  ^  *♦  / » >  f » •  // 

n  '.-.-vi'-'.iS-     t."T»-ri      -     *f  ; .   <  ■        1:./^    '■•  j -j  •  I  *  •  •  -    «■  .       /',. 
ti".  -:  * .  .■•—.-.. : ;^* .--,       -^     '^t  ä'    ^I>^  > .-^./•z'    y  «»^^t .  *•*■  ^*.      . ^.#. 

i.i^':  ■-  T -      r  r      «bdffr'      .I..4X«-:;.       .«.-r*«.-^.         /./•      *.  j"«  :,      ^»■■i.A-./'*, 

••    ■•■'  y«-'. ..4'      J.  ••«'-■  rjl       ■-: -_^rr...-r*>r        <-.-.*     /;<.4«i*Vie'      *r  r,-^ 


112  S*  ^1*    Formen  des  fibrösen  Oewebes. 

cruiis,  etc.  beschrieben.  Die  Scheidewände  kehren,  nachdem 
sie  einen  Muskel  umgriffen,  entweder  wieder  zur  allgemeinen 
fibrösen  Hülle  zurück,  von  welcher  sie  ausliefen,  oder  dringen 
bis  auf  den  Knochen  ein,  mit  dessen  Beinhaut  sie  verschmel- 
zen. In  letzterem  Falle  heissen  sie  Ligamenta  inteiinusctUaria. 
Die  Vaginae  tendinnm,  Sehnenscheiden,  sind  Fortsetzungen 
der  Muskelscheiden,  weil  die  Sehnen  in  der  Verlängerung  des 
Muskels  hegen,  ß)  Die  fibrösen  Kapselbänder  der  Ge- 
lenke, Ligamenta  capsulana,  Sie  stellen  hohle  Säcke  dar, 
welche  die  Gelcnkcnden  zweier  oder  mehrerer  Knochen  mit 
einander  verbinden,  den  Höhlenraum  der  Gelenke  bestimmen, 
und  an  ihrer  inneren  freien  Fläche  mit  Synovialhaut  (§.  43,  B) 
überzogen  sind,  y)  Die  Beinhaut,  Pei^iosteum,  und  die  Knor- 
pelhaut, Perichondi-ium.  Erstere  ist  sehr  reich  an  Blutge- 
fässen, welche  zahllose  Fortsetzungen  in  die  Poren  der  Kno- 
chen absenden.  Die  Knorpelhaut  ist  viel  gefässärmer.  Die 
wichtige  Beziehimg  beider  zur  Ernährung  ihres  Einschlusses 
lässt  sich  nicht  verkennen,  und  wird  durch  die  tägliche  chirur- 
gische Erfahrung  hinlängUch  constatirt.  8)  Die  Nerven  schei- 
den, Neurilemviata,  als  Umhüllungsmembranen  der  Nerven- 
stämme und  ihrer  Verästlungen, 
c)  Geschlossene  fibröse  Hohlkugeln,  welche  die  Grösse 
imd  Gestalt  weicher  Organe  bestimmen,  und  zum  Schutze 
des  von  ihnen  umschlossenen  Inhaltes  dienen.  Hieher  gehören 
die  Faserhaut  des  Auges  (Sclerotica),  vieler  Eingeweide  (des 
Hoden,  der  Eierstöcke,  der  Milz,  etc.),  die  harte  Hirnhaut,  und 
der  fibröse  Herzbeutel.  Die  innere  Oberfläche  dieser  Hohl- 
kugeln ist  entweder  glatt  (Herzbeutel,  Sclerotica) ,  oder  mit 
Scheidewänden  (Processus,  Septula)  besetzt,  welche  gegen  das 
weiche  Parenchym  des  eingeschlossenen  Gewebes  vorspringen, 
und  es  sttltzen  (Faserhaut  des  Hoden,  des  Eierstockes). 

C)  Das  cavernöse  Gewebe,  Texttis  cavomosus.  Man 
denke  sich  von  einer  fibrösen  Hüllungsmembran  eine  grosse  An- 
zahl Fortsätze,  Bälkchen  und  Fasern,  nach  einwärts  ziehen,  sich 
in  jeder  Richtung  kreuzen,  und  sich  zu  einem  schwammigen  Ge- 
webe mit  grösseren  oder  kleineren  Interstitien  verbinden,  so  hat 
man  die  Grundlage  oder  das  Gerüste  eines  cavemösen  Gewebes, 
welches  durch  eine  besondere,  später  zu  erwähnende  anatomische 
Einrichtung  die  Fähigkeit  erhält  zu  strotzen,  und  wenn  es  mit  einem 
Ende  an  eine  festere  Grundlage  geheftet  ist,  und  überdies  cylin- 
drische  Form  besitzt,  sich  steifen  und  aufrichten  kann,  imd  des- 
halb auch  Schwellgewebe,  Teictus  erectilis,  genannt  wird,  wie  es 
im  männlichen  Gliede,  in  der  Clitoris,  und  bei  Thieren  in  der  Milz 
vorkommt. 


§.  49.  Praktuche  BemerltQng<>n  Aber  da«  fibrftte  Gewebe.  113 


§.  42.  Praktische  Bemerkimgen  über  das  fibröse  G-ewebe. 

Die  geringe  Vitalität  des  fibrösen  Gewebes  ist  der  Grund, 
warum  es,  mit  Ausnahme  der  Entzündungen,  nicht  leicht  primärer 
Sitz  von  Krankheiten  wird.  Seine  Verwendung  im  Organismus  zu 
rein  mechanischen  Zwecken,  unterw'irft  es  vorzugsweise  mechani- 
schen Störungen  durch  Zerrung  und  Riss,  und  die  oberflächliche 
Lagerung  der  Fascien  macht  ihre  Verwundungen  häufig.  Da  die 
Fascien  der  GHedmassen  eine  pennanente  Constriction  auf  die  von 
ihnen  umschlossenen  Muskeln  ausüben,  so  kommt  es  nicht  selten 
vor,  dass  bei  Wunden  oder  Rissen  der  Fascien,  das  Muskelfleisch 
sich  vordrängt,  und  eine  sogenannte  Hei'nia  musciilaris  bildet  Bei 
jeder  chirurgischen  Operation,  die  in  eine  gewisse  Tiefe  eindringt, 
kommt  gewiss  irgend  eine  Fascie  dem  Messer  entgegen,  und  muss 
getrennt  werden,  —  Grund  genug,  warum  die  Kenntniss  der  Fascien 
dem  Chirurgen  von  hohem  Wertlie  sein  muss. 

Die  geringe  Ausdehnbarkeit  der  Fascien  wird  das  Wachs- 
thimi,  die  Form  und  die  Richtung  von  Geschwülsten  bestimmen, 
und  es  ist  die  erste  Frage,  welche  sich  der  Wundarzt  bei  dem 
Gedanken  an  die  Exstirpation  derselben  stellt,  diese,  ob  sie  inner- 
halb oder  ausserhalb  der  Fascie  wurzeln.  Jede  Ausschälung  von 
Geschwülsten  extra  fasciam  ist  ein  einfacher,  jede  Entfernung  krank- 
hafter Gebilde  intra  fasciam  ein  bedeutender  Eingriff. 

Unter  den  Fascien  ergossene  Flüssigkeiten  (Eiter,  Geschwürs- 
jauche, Blut)  werden,  je  nachdem  die  Fascie  stark  oder  schwach, 
solid  oder  durchlöchert  ist,  sich  schwer  oder  gar  nicht  einen  Weg 
nach  aussen  bahnen,  sie  werden  vielmehr  die  Fascie  in  bestimmten 
Richtungen  unterminiren,  und  weit  greifende  Verheerungen  in  der 
Tiefe  anrichten  können,  bevor  die  Oberfläche  merklich  leidet.  Sind 
blutige  Ergüsse  in  der  Tiefe  an  eine  Stelle  gekommen,  wo  die 
Fascie  dünner  wird,  oder  plcitzlich  abbricht,  so  können  sie  nun 
erst  durch  blaue  Färbung  der  Haut  sich  äusserlich  kundgeben.  Die 
Verfärbimg  der  Haut  deutet  somit  nicht  immer  die  Stelle  an,  wo 
die  Gewalt,  welche  ein  Extravasat  erzeugte,  ursprüngUch  einwirkte. 
—  Die  geringe  Nachgiebigkeit  der  Fascien  wird  bei  Anschwellungen 
tieferer  Organe,  welche  jedesmal  mit  deren  Entzündungen  auftreten, 
Einschnürungen,  und,  in  Folge  dieser,  Steigerung  des  inflammato- 
rischen Schmerzes  bedingen,  imd  kann  die  Spaltung  der  Fascie 
als  Palliativmittel  nothwendig  machen. 

Risse  der  Fascien  und  Sehnen  werden  wenig  Heiltrieb  äussern, 
und  entblösste  Stellen  derselben  eine  grosse  Neigung  zum  Abster- 
ben zeigen.  Letzteres  ist  beso^iders  der  Fall,  wenn  das  Bindege- 
webe,  welches  an   beiden    Flächen    einer   Fascie   aufliegt.,   und   die 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  3 


1X4  i-    42-    Pnktisclie  Bemerkangen  über  das  übrAse  Oeweb«. 

Ernährungsgeftlsse  zuführt,  vereitert  oder  verbrandet,  worauf  ganze 
Sttlcke  der  Faseien,  so  weit  das  Bindegewebe  zerstört  wurde,  ab- 
sterben, und  losgestossen,  oder  mit  der  Pincette  hervorgezogen 
werden.  Bei  unvollkommener  Heilung  solcher  Risse  oder  einfacher 
Trennungen  durch  Verwimdung,  werden  die  tieferen  Organe  ein 
Bestreben  äussern,  aus  ihrer  Lage  zu  weichen,  welchem  nur  durch 
entsprechende  Bandagen  entgegengewirkt  werden  kann. 

Blossgelegte  und  ihrer  Emährungsgefässe  beraubte  Sehnen 
sterben  oft  ab,  und  ihre  Trennung  vom  Lebendigen  (ExfoHation) 
geht  nur  allmälig  vor  sich,  wodurch  der  Heilungsprocess  von  grossen 
und  tiefen  Wunden  sehr  in  die  Länge  gezogen  werden  kann.  Hie- 
bei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  abgestorbene  Sehne  selten  in 
ihrem  Verlaufe,  sondern  an  der  Einpflanzungsstelle  in  das  Muskel- 
fleisch sich  von  letzterem  ablöst.  Ich  sah  nach  einem  Panaritium 
(Wurm  am  Finger)  die  ganze  Sehne  des  flexor  poUicis  longus  aus  der 
Abscesshöhle  als  weissen  halbmacerirten  Faden  herausziehen. 

Einfache  Sehnenschnitte  so  ausgeführt,  dass  die  Luft  keinen 
Zutritt  zur  Schnittfläche  erhält,  wie  bei  der  subcutanen  Tenotomie, 
heilen  gern  und  schnell,  besonders  wenn  die  Sehnenscheide  nicht 
gänzlich  durchgeschnitten  wird.  Die  glücklichen  Resultate,  welche 
dte  neuere  Cliirurgie  in  diesem  Gebiete  aufzuweisen  hat,  bestätigen 
diese  lange  bezweifelte  Wahrheit.  Die  Resultate  waren  auch  in 
der  That  so  glücklich,  dass  man  mit  den  Sehnenschnitton  eine  Zeit- 
lang sehr  freigebig  verfuhr. 

Die  Muskel-  und  Sehnenscheiden,  und  die  fibrösen  Zwischen- 
wände der  Muskeln,  werden  auf  die  Localisirung  gewisser  Krank- 
heitsproccsse  einen  mächtigen  Einfluss  üben;  Vereiterungen  und 
pathologische  Umwandlungen  der  Gewebe  werden  sich  nicht  nach 
allen  Richtungen  ausbreiten;  erst  wenn  der  Damm  durchbrochen, 
welchen  eine  Aponeurose  dem  Wachsthum  eines  bösartigen  Para- 
siten, z.  B.  einer  Krebsgeschwulst,  nach  aussen  entgegenstellte, 
wuchert  sie  mit  tödtlicher  Hast. 

Die  weite  Verbreitung  des  fibrösen  Gewebes,  die  zahlreichen 
Brücken,  die  es  zwischen  hoch-  und  tiefliegenden  Organen  bildet, 
erklären  viele  Sympathien  entfernter  Theile ,  welche  sonst  nicht 
zu  verstehen  sind,  wie  das  Wandern  und  Springen  rheumatischer 
AfFectionen  von  einer  Gegend  zur  anderen. 

Die  Handbücher  der  chirurgischen  Anatomie  geben  die  Darstellungen  der 
bei  den  Leisten-  und  Schenkelbrüchen  intercssirten  Faseien  gewöhnlich  in  jenem 
verdickten  Zustande,  wie  sie  im  speciellen  Falle  des  Bruches  gefunden  werden. 
Am  gesunden  Menschen  wird  öfters  als  dünne  Bindegewebsschicht  gesehen,  was 
bei  veralteten  Hernien  eine  Fascie  von  der  Dicke  einer  halben  Linie  und  dar- 
über darstellt.  Die  äusserst  subtilen  Untersuchungen  von  Thomson  über  die 
Faseien  in  den:  Anuales  de  la  m^dicine  physiol.  haben  su  einer  Vervielfältigung 
derselben,  besonders  in  der  Leisten-  und  Schauigegend,  geführt,  deren  praktischer 


§.    43.    Seröse  Hänie.  115 

Werth  sehr  problematisch  ist  Die  mögliche  Umwandlung  von  Bindegewebs- 
schichten  in  Fascien,  und  umgekehrt,  wird  die  Lehre  von  den  Fascien  an  schich- 
tenreichen Gegenden  des  menschlichen  Körpers,  z.  B.  am  Mittelfleische,  fttr  den 
Neuling  immer  etwas  verworren  erscheinen  lassen,  besonders  wenn  er  mehrere 
Autoren  zugleich  consultirt. 


§.  43.    Seröse  Häute. 

Wie  das  fibröse  Gewebe,  so  erscheinen  auch  die  serösen 
Häute,  Membranae  seroaae,  nur  als  eine  besondere  Modification  des 
Bindegewebes  in  Flächenfonn,  mit  vielfach  gekreuzten,  dicht  zusam- 
menschliessenden,  breiten  Faserbündeln.  Sie  führen  ihren  Namen 
von  ihrem  Geschäfte.  Dieses  besteht  in  der  Absonderung  eines 
serösen  Fluidums.  Dünn,  durchscheinend,  und  nie  von  jener 
Stärke,  wie  sie  so  oft  den  Fascien  zukommt,  überziehen  sie  die 
inneren  Oberflächen  solcher  Höhlen,  welche  mit  der  Aussenwelt 
keine  Verbindung  haben,  und  sind  somit  geschlossene  Säcke  (mit 
Ausnahme  der  Synovialhäute,  wie  im  Verlauf  dieses  Paragraphes 
gezeigt  wird).  Sie  besitzen  nur  spärliche  Blutgefässe  und  Nerven, 
aber  reichliche  Saugadem.  Die  Bindegewebsbündel,  aus  welchen  sie 
bestehen,  sind  mit  sehr  zahlreichen  elastischen  Fasern  gemischt 
Die  Ausdehnbarkeit  der  serösen  Membranen  ist  daher  sehr  bedeu- 
tend, ihre  Empfindlichkeit  dagegen  im  gesunden  Zustande  kaum 
bemerkbar. 

Jede  seröse  Haut  hat  eine  freie,  und  eine  durch  subseröses 
Bindegewebe  an  die  Wand  der  betreffenden  Höhle  befestigte  Fläche. 
Das  Bubseröse  Bindegewebe  ist  entweder  dicht,  straff,  und  kurz, 
und  in  diesem  Falle  fettlos;  oder  lose,  und  weitmaschig,  mit  mehr 
weniger  Fett.  Die  freie  Fläche  wird  bei  den  meisten  von  einer  ein- 
fachen Schichte  PlattenepitheHum  bedeckt.  Sie  erscheint  deshalb 
eben  und  glatt,  und  erhält  durch  ihre  Befeuchtung  mit  Serum,  Glanz 
und  Sclilüpfrigkeit.  Es  kommt  auch  vor,  dass  sich  nur  das  Epi- 
thelium  ohne  eigentliche  seröse  Membran  vorfindet  (wie  auf  der 
inneren  Fläche  der  harten  Hirnhaut,  und  auf  der  freien  Fläche  der 
Knorpel  und  Zwischenknorpel  der  Gelenke),  oder  eine  seröse  Mem- 
bran ohne  Epithelium  auftritt,  wie  in  gewissen  Schleimbeuteln.  An 
einigen  serösen  Membranen  findet  sich,  wie  Todd  und  Bowman 
zuerst  gezeigt  haben,  unter  dem  Plattenepithel  eine  homogene 
structurlose  Schichte. 

Als  innere  Auskleidung  geschlossener  Höhlen  wird  jede  seröse 
Membran  die  Gestalt  eines  Sackes  haben  müssen,  welcher  sich  der 
Gestalt  der  Höhle  genau  anpasst.  Enthält  die  Höhle  Organe,  so 
bekonmien  diese  durch  Einstülpung  'des  Sackes  besondere  Ueber- 
züge.  Man  bezeichnet  den  serösen  üeb  ^      anwand  mit 


116  §43.    Seröse  H&nte. 

dem  Namen  Lamina  parietalis  (äusserer  Ballen),  und  jenen  der  in 
der  Höhle  enthaltenen  Organe  mit  dem  Namen  Lamina  visceralis 
(innerer  Ballen)  der  betreffenden  serösen  Membran.  Je  grösser  die 
Anzahl  solcher  Organe  wird,  desto  complicirter  wird  die  Gestalt 
des  inneren  Ballens  des  serösen  Sackes.  Die  Lamina  parietalis  und 
visceralis  einer  serösen  Doppclblase  kehren  sich  ihre  freien  glatten 
Flächen  zu,  und  da  diese  schlüpfrig  sind,  können  sie  leicht  imd 
ohne  Reibung  an  einander  hin-  und  hergleiten. 

Nach  .Verschiedenheit  des  Vorkommens  und  des  Secretes  der 
serösen  Häute  werden  folgende  Arten  unterschieden: 

A)  Eigentliche  seröse  Häute  oder  Wasserhäute.  Sie 
kleiden  a)  die  grossen  Körperhöhlen  aus,  und  erzeugen  Einstülpun- 
gen für  die  Organe  derselben,  oder  bilden  b)  um  einzelne  Organe 
besondere  Doppelsäcke.  Zu  a)  gehören  die  beiden  Brustfelle,  das 
Bauchfell;  zu  b)  die  eigene  Scheidenhaut  des  Hoden,  der  seröse 
Herzbeutel.  Die  allgemeine  Regel,  geschlossene  Säcke  zu  bilden, 
erleidet  nur  bei  Einer  serösen  Membran  —  dem  Bauchfelle  des 
Weibes  —  eine  Ausnahme,  da  dieses  durch  die  Orißcia  ahdominalia 
der  Muttertrompeten  mit  der  Geschlechtshöhle,  und  sonach  mittel- 
bar mit  der  Aussenwelt  communicirt.  Die  EigenthümUchkeiten  der 
serösen  Haut  des  Gehirnes  imd  Rückenmarkes  (Arachnoidea)  werden 
seiner  Zeit  ausführlich  geschildert. 

B)  Synovialhäute.  Man  hat  bis  auf  die  neuere  Zeit  die 
Synovialhäutc  für  vollkommen  geschlossene  Säcke  gehalten.  Sie 
kleiden  jedoch  die  Höhlen  der  Gelenke  nicht  vollständig  aus.  Die 
Synovialhaut  eines  Gelenkes  überzieht  blos  die  innere  Fläche  der 
fibrösen  Gelenkkapsel,  und  hört  am  Rande  der  die  Gelenkflächen 
der  Knochen  überziehenden  Knorpel  auf.  Sind  Zwischenknorpel  im 
Gelenke  vorhanden,  so  setzt  sich  nur  das  Epithelium  der  Synovial- 
membran  auf  sie  fort.  —  An  der  BefestigungsstcUe  der  fibrösen 
Kapsel  an  die  Knochen  bildet  die  Synovialhaut  häufig  kleinere  Fält- 
chen,  welche  körnige»  Fett  und  sehr  oft  kleine  wassorhaltende  Cysten 
einschliesRcn.  Diese  Fettkömer  und  (^vsten  wurden  einst  für  Drüsen 
gehalten  (Glandulae  ITaversimme),  nach  ihrem  Entdecker  dem  Eng- 
länder Clapton  Havers.  Man  glaubte  in  ihnen  die  Absonderungs- 
organe des  schlüpfrigen,  eiweissreichen,  dickflüssigen  Saftes  gefun- 
den zu  haben,  der  den  Binnenraum  eines  Gelenks  beölt,  und  Ge- 
lenkschmiere, S^fnovia,  genannt  wird.  Die  SjTiovia  ist  jedoch  ein 
Sccret  der  gesammton  Synr)vialhant,  wie  das  Serum  einer  eigent- 
lichen serösen  Haut.  Die  erwähnten  Fältchen  der  Svnovialhaut  un- 
terscheiden  sieh  durch  ihr  Gewebe  von  der  eigentlichen  Synovijil- 
haut,  indem  sie  nach  Gerlach  aus  lockerem,  maschigem  Bindegewebe 
bestehen,  und  sehr  reich  an  Blutgefässen  sind.  I  )ie  Fiiserbflndel  dieses 
Bindegewebes  setzen  sich  in  Gestalt  von  Fransen  oder  keulenfi)rmigen 


§.  43.    Seröae  Hänte.  117 

Zotten,  über  den  freien  Iland  der  Falte  hinaus  fort,  "und  sehicken 
zuweilen  selbst  kürzere  oder  längere  Verlängerungen  ab,  welche,  so 
wie  die  Falte  selbst,  mit  einer  Epithelialschichte  überzogen  sind,  und 
deren  jede  eine  capillare  Gefiissschlinge  enthält,  welche,  besonders  in 
rheumatischen  Gelenken,  das  Eigenthümliche  besitzt,  dass  ihr  Kaliber 
an  den  Umbeugungsstellen  ihres  aufsteigenden  Schenkels  in  den 
absteigenden  zuweilen  auf  das  Zwei-  bis  Dreifache  zuwächst.  Als 
besondere  Unterarten  der  Synovialhäutc  erscheinen: 

a)  Die  Synovialscheiden  der  Sehnen,  Vagincie  temliuvm  syno- 
viales, Sie  kleiden  die  fibrösen  Sehnenscheiden  aus,  sind  somit 
Kanäle,  und  erleichtern  durch  ihr  öliges,  schlüpfriges  Secret 
das  Gleiten  der  Sehnen  in  ihren  Scheiden.  Dass  sie  sich 
auch  auf  die  äussere  Oberfläche  der  Sehnen  umschlagen,  also 
Doppelscheiden  bilden,  ist  bei  den  meisten  derselben  mit  Be- 
stimmtheit ermittelt.  An  jenen  Synovialscheiden,  wo  eine  Falte 
von  der  Wand  der  Scheide  zur  Sehne  geht,  und  ein  soge- 
nanntes Schleimband  der  Sehne,  Ligamentum  mucosuniy  hildet, 
zeigt  sich  die  faktische  Einstülpung  der  Scheide  sehr  evident. 

b)  Die  Schleimbeutel  oder  Schleimbälge,  Bursae  mucosae. 
Sie  stellen  verchieden  grosse,  abgeschlossene  Säcke  dar, 
welche  entweder  zwischen  einer  Sehne  und  einem  Knochen, 
oder  zwischen  der  äusseren  Haut  und  einem  von  ihr  bedeckten 
Knochenvorsprunge  eingeschaltet  sind,  und  deshalb  in  Bursae 
mucosae  subtendinosae  und  subcutaneae  eingetheilt  werden.  Ver- 
minderung der  Reibung  bedingt  ihr  Vorkommen.  Die  Bursas 
subtendinosae  communiciren  häufig  mit  den  Höhlen  naheliegen- 
der Gelenke.  —  Viele  Schleimbeutel  sind  nach  den  Unter- 
suchimgen  von  Kölliker,  Luschka  und  Virchow,  keine 
selbstständigen  Säcke,  sondern  vielmehr  nur  Hohlräume  zwi- 
schen sich  reibenden  Bindegewebspartieen ,  welche  eines  be- 
sonderen Epitheliums  entbehren,  und  keine  Synovia,  sondern 
Serum  oder  eine  coUoide  Substanz  absondern.  Ich  bin  der 
Meinung,  dass  man  den  grossen  und  constanten  Schleimbeu- 
teln die  Bedeutung  selbstständiger  membranöser  Säcke  nicht 
absprechen  kann,  gebe  dieses  jedoch  für  die  kleineren,  unter- 
geordneten, und  nur  zufällig  vorkommenden  Schleimbeutel  zu. 

Jede  dünne  seröse  Membran  eignet  sich  zur  mikroskopischen  Untersuchung. 
Man  bedient  sich  am  besten  der  durch  natürliche  Einstülpung  gebildeten  Falten 
derselben,  an  deren  freien  Rändern  der  Epithelialbeleg  leicht  zu  erkennen  ist. 
Die  Falten  der  Arachnoidea,  welche  die  Nervenwurzeln  zu  ihren  Austrittsstellcn 
aus  der  Schädel-  und  Rückgratshöhle  geleiten,  das  Omentum  minu»^  etc.  lassen 
eine  bestimmte  Faserungsrichtung  deutlich  wahrnehmen,  und  an  einzelnen  Stellen 
der  Lamina  parietalis  des  Bauchfells  bilden  die  mikroskopischen  Fadenelemente 
desselben  ein  so  deutliches  Netxwerk,  dass  man  elagtisoliM  Ckwebe  vor  lieh  sa 
haben  glaubt 


118  §.44.    Praktiüche  Bemerkungen  über  die  serdten  Hänie. 

Obwohl  die  serösen  Häute  ans  Bindegewebsfasern  gewebt  sind,  so  kommt 
es  doch  in  ihren  feinen  Maschen  nie  zur  Fettablagerung,  selbst  wenn  diese  im 
ganzen  Bindegewebssysteme  wuchert,  und  der  Textui  cellularU  sitb*eronu  damit 
überfüllt  ist. 

Das  Serum  der  echten  Wasserhäute  und  die  Synovia  unterscheiden  sich 
nur  durch  ihren  Eiweissgehalt,  welcher  im  Serum  1  pCt,  in  der  Synovia  6  pCt. 
in  100  Theilen  Wasser  beträgt.  Salzsaures  und  phosphorsaures  Natron,  nebst 
phosphorsaurem  Kalk,  findet  sich  in  beiden  in  sehr  geringen  Quantitäten.  Der 
Eiweissgehalt  bedingt  die  Gerinnbarkeit  beider  Flüssigkeiten,  welche  bei  kräf- 
tigen Individuen  and  g^t  genährten  Thieren  bedeutender  ist,  als  bei  schwäch- 
lichen. Bei  mikroskopischer  Untersuchung  der  Synovia  findet  man  auch  abgestos- 
sene,  fettig  degenerirte,  in  Auflösung  begriffene  Epithelialzellen  und  deren  freie 
Kerne  vor. 


§.  44.   Fraktisclie  Bemerkimgen  über  die  serösen  Häute. 

Da  das  Blutserum  dieselben  Bestandtheile  wie  das  seröse 
Secret  einer  Wasserhaut  enthält,  so  ist  die  Absonderung  der  serösen 
Häute  mehr  ein  Durchschwitzen  oder  Sintern  des  Blutserum,  dessen 
Strömung  nach  der  freien  Fläche  der  Haut  gerichtet  ist.  Diese 
Strömung  geht  mit  grosser  Schnelligkeit  vor  sich,  wie  man  an  der 
schnellen  Ansammlung  von  Serum  in  eben  entleerten  wassersüchtigen 
Höhlen  (Bauch-,  Hodensackwassersucht),  und  an  der  eben  so  schnel- 
len Reproduction  des  beim  Staarstich  abgeflossenen  Humor  aqueus 
beobachten  kann.  Die  Wiederansammlung  des  Wassers  in  der  Bauch- 
höhlenwassersucht nach  geschehener  Entleerung  durch  den  Stich, 
lässt  sich  selbst  durch  Einschnürung  des  Bauches  mittelst  Bandagen 
nicht  verhüten.  Bei  normalem  Sachverhalte  wird  nicht  mehr  Serum 
abgesondert,  als  eben  zur  Befeuchtung  der  freien  Fläche  einer 
serösen  Membran  nöthig  ist.  Krankhafte  Vermehrung  dieses  serösen 
Secretes  bildet  die  Höhlenwassersuchten  (Hydropa  asciteSj  Hydro- 
thoraXy  Hydrocephalus,  etc.). 

Man  war  früher  der  Ansicht,  dass  feine  Blutgef^se  an  der 
freien  Oberfläche  der  Wasserhäute  mit  offenen  Mtlndungen  endigten. 
Man  nannte  diese  supponirten  Ausläufer  der  Blutgefässe  Vasa  ex- 
halantia^  und  legte  ihnen  eine  solche  Feinheit  bei,  dass  nur  das 
Blutwasser,  nicht  aber  der  feste  Bestandtheil  des  Blutes,  die  Blut- 
körperchen, in  sie  eindringen  könne.  Ebenso  Hess  man  aufsaugende 
Gef&sse,  Vasa  inhalantiay  mit  offenen  Stigmen  an  ihnen  entstehen. 
Weder  die  Va^sa  exhalantia  noch  inhalantia  konnten  je  anatomisch 
nachgewiesen  werden,  und  waren  überhaupt  nur  eine  willkürliche 
Annahme,  um  sich  die  Absonderung  und  Aufsaugung  der  serösen 
Flüssigkeiten  damals  leichter  erklärlich  zu  machen.  Die  Physiologie 
hat  ja  zu  allen  Zeiten  Alles  zu  erklären  gesucht,  und  zwar  nach  eben 
herrschenden  Ansichten.  Was  man  in  100  Jahren  von  den  „exacten" 


§.  44.    Praktische  BenierXuni^en  über  die  serösen  H&nie.  119 

Erklärungen  der  Gegenwart  sagen  wird,  wäre  interessant  in  der 
Ewigkeit  erfahren  zu  können.  Eben  so  wenig  existirt  ein  seröser 
Vapor  oder  Dunst  in  der  Höhle  .einer  serösen  Membran.  Die  Or- 
gane, welche  in  einer  Leibeshöhle  eingeschlossen  sind,  füllen  diese 
so  genau  aus,  dass  für  serösen  Dunst  kein  Platz  übrig  bleibt.  Die 
Bauchwand  und  die  Bimstwand  sind  mit  der  Oberfläche  der  Bauch- 
und  Brusteingeweide  in  genauem  Contact.  Würde  irgendwo  zwischen 
Wand  und  Inhalt  einer  Höhle,  ein  leerer  Kaum  sich  bilden,  so  würde 
der  äussere  Luftdruck  die  Wand  so  viel  eindrücken,  als  zur  Ver- 
nichtung des  leeren  Raumes  erforderlich  ist.  Wasserdunst  von  solcher 
Spannung,  wie  ihn  die  Leibeswärme  geben  könnte,  würde  dem  Luft- 
drucke nicht  das  Gleichgewicht  halten  können.  Hat  sich  dagegen 
das  wässerige  Secret  einer  serösen  Membran  als  tropfbare  Fltlssigkeit 
angesammelt,  dann  hält  das  Fluidum  durch  seine  Unzusammendrttck- 
barkeit  dem  äusseren  Luftdrucke  das  Gleichgewicht,  und  die  Höhle 
schwillt  auf  in  dem  Maasse,  als  die  flüssige  Absondenmg  zunimmt. 
Wird  eine  solche  hydropische  Höhle  angestochen,  so  springt  die 
Flüssigkeit  im  Strahle  wie  aus  einer  Fontaine  hervor,  selbst  wenn 
die  Wand  der  Höhle  nicht  mit  musculösen  Schichten  umgeben  ist. 
Diese  Beobachtung  bekräftigt  die  Elasticität  der  serösen  Membranen, 
welche  selbst  nach  wiederholten  Ausdehnungen  durch  Wassersucht 
nicht  ganz  und  gar  vernichtet  wird. 

Da  die  in  einander  liincint^estiilpteii  Ballen  einer  serösen  Membran  (B  i- 
chat*s  Vergleich  mit  einer  doppelten  Nachthaube)  sich  allenthalben  berühren, 
80  darf  es  nicht  wundem,  wenn  durch  Entzündungen,  welche  mit  der  Ausschei- 
dung plastischer  Stoffe  an  der  freien  Oberfläche  der  serösen  Membranen  einher- 
gehen, häufig  Verlöthungen  und  Verwachsungen  derselben  stattfinden,  und  da  die 
im  eingestülpten  Ballen  enthaltenen  Eingeweide  eine  gewisse  Beweglichkeit  haben, 
welche  auf  diese  Verwachsungen  ziehend  oder  zerrend  einwirkt,  so  wird  die  Ver- 
wachsungsstelle nach  und  nach  in  die  Länge  gezogen,  und  zu  einem  sogenannten 
falschen  Bande,  Lig,  spurium,  motamorphosirt  worden,  wie  an  den  Bauch- 
und  Brusteingeweiden  so  häufig  beobachtet  wird.  Solche  falsche  Bänder  haben 
dann  ganz  das  Ansehen  seröser  Häute,  und  besitzen  auch  ihre  Structur  aus 
Bindegewebsfäden.  Sie  sind  ebenso  gefässarm  und  unempfindlich,  wie  die  serösen 
Häute,  und  der  Wundarzt  greift  ohne  Bedenken  zur  Schere,  um  sie  zu  trennen, 
wenn  sie  an  Eingeweiden  vorkommen,  welche  z.  B.  in  einer  Bruchgeschwulst 
liegen,  und  der  Verwachsungen  wegen  nicht  znrfickgebracht  werden  können.  — 
Die  Entzündungen  der  serösen  Membranen  gehen  nicht  leicht  auf  die  Organe 
über,  welche  sie  umhüllen.  Der  Texlus  cellularis  mbserosus  wird  dagegen  durch 
Ablagerung  gerinnbarer  Stoffe  häufig  verdickt,  und  kann  in  diesem  Zustande  auf 
die  Ernährung  des  von  ihm  bedeckten  Organs  nachtheiligen  Einfluss  äussern. 
Da  der  wässerige  Thau,  der  eine  seröse  Haut  befeuchtet,  oder  die  dünne  Schichte 
Synovia  einer  Synovialmembran,  gewissermaasen  als  Zwischenkörper  wirkt,  wel- 
cher zwei  seröse  Hautfiächen  nur  in  mittelbare  Berührung  kommen  lässt,  so  kann 
von  Verwachsungen  derselben  nur  dann  die  Rede  sein,  wenn  dieser  Zwisohea- 
körper  fehlt,  oder  durch  gerinnbare  und  organisirbare  BzsndH» 
Eine   gesunde    Synovialhaut  wird    selbst    nach   jahreli" 


120  §•  ^«    OenwiisysUm.    Begriff  des  KreUlaufeä  und  Bintheilung  de«  Gefässäystemii. 

• 

Gelenks  nicht  verwachsen  können.  Cruveilhier^s  Fall  verdient,  seiner  Seltenheit 
wegen,  hier  erwähnt  zu  werden.  Eine  wahre  Ankylose  des  rechten  Kinnbacken- 
gelenks hatte  auch  das  linke  zu  einer  83jähngen  UnthHtigkcit  verdammt.  Die 
anatomische  Untersuchung  zeigte  weder  in  den  Knorpeln  noch  in  der  Synovial- 
haut  dieses  Gelenks  eine  erhebliche  Aenderung. 

Dass  sich  accidentelles  seröses  Gewebe  durch  Verdichtung  und  Glättung 
von  ßindegewobswändon  an  jedem  Orte  bilden  könne,  wo  die  nöthigen  äusseren 
und  inneren  Umstände  zusammentreffen,  beweist  die  Einkapseluug  fremder  Körper, 
welche  durch  Verwundung  in  das  Bindegewebe  und  nicht  mehr  heraus  gelangten 
(Schussmaterial,  Schrot,  Kugeln),  die  seröse  Auskleidung  gewisser  veralteter  Ge- 
Bchwürsgänge  (Fisteln),  das  Wandern  lange  getragener  Fontanellen,  und  vor- 
zugsweise der  synoviale  Ueberzug  neugebildeter  Gelenkhöhlen,  wenn  ein 
Knochen  seinen  alten  Aufenthalt  durch  Verrenkung  verliess,  und  sich  nebenan 
eine  neue  Gelenkhöhlc  grub. 

§.  46.   öefässsystem.  Begriff  des  Kreislaufes  und  Eintheilung 

des  Gfefässsystems. 

Im  weiteren  Sinne  heissen  alle  häutigen  und  verzweigten  Röh- 
ren, welche  Flüssigkeiten  führen:  Ge fasse,  Vasa.  Nach  Verschie- 
denheit dieser  Flüssigkeiten  giebt  es  Luft-,  Gallen-,  Samen-,  Blut-, 
Lymphgefksse,  u.  s.  w.  Unter  Gefässsystem,  Systema  vasorumj 
im  engeren  Sinne,  verstehen  wir  jedoch  blos  die  Blut-  und  Lymph- 
ge fasse,  von  welchen  hier  gesprochen  wird,  und  betrachten  die 
übrigen  GefUsse  bei  den  Drüsen,  deren  wesentUchen  Bestandtheil 
sie  bilden. 

Das  Blut  ist  jene  im  thieriöchen  Leibe  kreisende  Flüssigkeit, 
aus  welcher  die  zum  Leben  und  Wachsthum  der  Organe  nothwen- 
digen  Stoffe  bezogen  werden.  Das  Blut  wird  aus  den  Nahrungs- 
mitteln bereitet,  und  auf  wunderbar  verzweigten  Wegen,  in  Röhren, 
deren  Kahber  bis  zur  mikroskopischen  Feinheit  abnimmt,  in  allen 
Organen,  mit  Ausnahme  der  Horngebilde  und  der  durchsichtigen 
Medien  des  Auges,  vertheilt.  Die  Bewegung  des  Bhites  in  seinen 
Gefässen  hängt  von  der  Propulsionskraft  eines  eigenen  Ti'iebwerkes 
ab.  Dieses  Triebwerk  ist  das  vom  ersten  Auftreten  eines  Kreis- 
laufs im  Embryo  bis  zum  letzten  Athemzug  des  Sterbenden  thätige 
Herz,  welches  ohne  Unterlass  Blut  empfangt  und  ausstösst.  Die 
Gefässe,  welche  das  Blut  vom  Herzen  zu  den  nahrungsbedürftigen 
Organen  leiten,  heissen,  weil  sie  das  Phänomen  des  Pulses  zeigen, 
Schlagadern  oder  Pulsadern,  Arteiiac;  die  Geftlsse,  welche 
das  zur  Ernährung  nicht  mehr  taughche  Blut  zum  Herzen  zurück- 
führen, Blutadern,  Venae.  Dem  Wortlaute  nach  sind  aucli  die 
Arterien  Blutadern,  —  sie  enthalten  ja  Blut.  Da  man  jedoch  in 
jenen  Zeiten,  aus  welchen  diese  Benennungen  stammen,  nur  die 
Venen  für  Blutwege  hielt,  die  Arterien  dagegen,  weil  sie  nach  dem 
Tode  blutleer  getroffen  werden,  fiir  Luftwege  ansah,  wie  der  Name 


§.   45.    GefäAdgysteni.    BegrifT  den  Kreittlanfes  und  Eintheilnng  des  Gefässbystems.  121 

• 

Arterie  (dbib  toO  aspa  "HQpstv,  vom  Luftenthalten)  ausdrückt,  so  musste 
die  Beibehaltung  des  alten  Namens  und  des  alten  Begriffes  noth- 
wendig  zu  einer  Unrichtigkeit  führen. 

Die  Arterien  verästeln  sich,  nach  Art  eines  Baumes,  durch 
fortschreitend  wiederholte  Theilungen  in  immer  feinere  Zw(nge,  welche 
zuletzt  in  die  Anfänge  der  Venen  übergehen.  Die  kleinsten  und  bisher 
mit  Unrecht  für  structurlos  gehaltenen  Verbindungswege  zwischen  den 
Arterien  und  Venen  heissen  Capillarge fasse,  Vasa  capiUaria,  Da 
das  Blut  aus  dem  Herzen  in  die  Arterien,  von  diesen  durch  die 
Capillargefässe  in  die  Venen  strömt,  und  von  den  Venen  wieder 
zum  Herzen  zurückgeführt  wird,  so  beschreibt  es  durch  seine  Be- 
wegung einen  Kreis,  und  man  spricht  insofern  von  einem  Kreis- 
laufe, Circulatio  sanguinis.  Die  Capillargefässe  lassen  gewisse  flüssige 
Bestandtheile  des  Blutes  durch  ihre  Wandungen  durch,  damit  sie 
mit  den  zu  ernährenden  Organtheilchen  in  nähere  Beziehung  treten 
können.  Die  Organtheilchen  suchen  sich  aus  diesen  flüssigen  Be- 
standtheilen  des  Blutes,  mit  welchen  sie  bespült  werden,  dasjenige 
fvus,  was  sie  an  sich  binden  und  für  ihre  verbrauchten  Stoffe  ein- 
tauschen wollen;  der  Rest  —  Lymphe  —  wird  von  besonderen 
Gefässen,  welche  ihres  farblosen,  wasserähnlichen  Inhaltes  wegen 
Lymphge fasse,  Vasa  lymphatica,  und  ihrer  Verrichtung  wegen 
Saugadern  genannt  werden,  wieder  aufgesaugt,  und  aus  den  Or- 
ganen wieder  in  den  allgemeinen  Kreislauf  gebracht.  Denn  die 
Lymphgefässe  alle  sammeln  sich  zu  einem  Hauptstamm,  welcher  in 
das  Venensystem  einmündet.  Die  Lymphe  wird  also  mit  dem  Blute 
der  Venen  gemischt,  und  fliesst  mit  diesem  zum  Herzen  zurück. 
Als  eine  Abart  der  Lymphgefässe  erscheinen  die  Chylusgefässe, 
welche  keinen  wasserklaren  Inhalt,  sondern  jenen  im  Darmkanale 
aus  den  Nahrungsmitteln  ausgezogenen  Saft  führen,  welcher  seiner 
milchweissen  Farbe  wegen  Milchsaft,  Chylus,  genannt  wird.  Die 
ChylusgefSsse  entleeren  sich  in  den  Hauptstamm  des  Lymphgefäös- 
systems,  und  der  Milchsaft  wird  somit  auf  demselben  Wege  wie 
das  Venenblut  zum  Herzen  zurückgeleitet  werden.  Da  aus  dem 
Milchsafte  erst  Blut  gemacht  werden  soll,  und  das  Venenblut  eben- 
falls einer  neuen  Befähigung  zum  Ernährungsgeschäfte  bedarf,  diese 
Umwandlung  aber  nur  durch  Vermittlung  des  Oxygens  der  atmo- 
sphärischen Luft  möglich  wird,  so  kann  das  mit  Älilchsaft  gemischte 
Venenblut  nicht  alsogleich  aus  dem  Herzen  wieder  in  die  Schlag- 
adern des  Körpers  getrieben  werden.  Es  muss  vielmehr  zu  einem 
Organ  geführt  werden,  in  welchem  es  mit  der  atmosphärischen 
Luft  in  Wechselwirkung  tritt,  seine  unbrauchbaren  Stoffe  absetzt, 
und  dafür  neue  (Oxygen)  aufnimmt.  Dieses  Organ  ist  die  Lunge. 
Was  vom  Herzen  zur  Lunge  strömt,  ist  Venenblut;  wa»  von  der 
Lunge  zum  Herzen  strömt^  ist  Arterienblut.  Der  Weg  vom  Herf 


122  §•  46.   Arieri«n.   Baa  derselben. 

zur  Lunge^  und  durch  die  Lunge  zum  Herzen  ist  ebenfalls 
ein  Kreis,  der  aber  kleiner  ist,  als  jener  vom  Herzen  durch 
den  ganzen  Körper  zum  Herzen.  Man  spricht  also  von  einem 
kleinen  und  grossen  Kreislaufe  (Lungen-  und  Körperkreislauf), 
welche  in  einander  übergehen,  so  dass  das  Blut  eigentlich  die  ge- 
schlungene Bahn  einer  8  durchläuft. 

Das    GefUsssystem   besteht  somit  aus  folgenden  Abthoilungen : 

1.  Herz,  2.  Arterien,   3.  Capillargefksse,  4.  Venen,  5.  Lymph- 

und  Chylusgef^se.    Das  Herz  wird  in  der  speciellen  Anatomie  des 

Gefässsystems,  der  Bau  der  übrigen  aber  hier  zur  Sprache  gebracht. 


§.  46.   Arterien.  Bau  derselben. 

An  den  Stummen,  Aesten  und  Zweigen  der  Arterien,  findet 
sich  der  Hauptsache  nach  derselbe  Bau.  Ohne  das  Mikroskop  zu 
gebrauchen,  unterscheidet  man  eine  innere,  mittlere  und  äussere 
Arterionhaut.  Die  innere  Haut  trägt  an  ihrer  freien  Oberfläche 
eine  einfache  Schichte  Plattenepithel,  mit  polygonalen  oder  spindel- 
förmigen Zellen,  unter  welchem  eine  überwiegend  aus  longitudinalen 
Fasern  bestehende  elastische  Haut  lagert.  Beide  zusammen  wurden 
vormals  als  glatte  Gefäss haut,  Tunica  glalrra  vetsoi^wn^  den  serösen 
Häuten  beigezählt.  Die  äussere  Haut  ist  eine  Bindegewebsmembran, 
mit  allen  diesem  Gewebe  zukommenden  mikroskopischen  Eigen- 
schaften, Tunica  cellularis  oder  Memh^ana  ctdventitia  (bei  Haller 
adstitia).  Die  mittlere  Arterienhaut  wurde  lange  und  allgemein  als 
Tunica  elastica  beschrieben.  Man  Hess  sie  aus  longitudinalen  und 
kreisförmigen  oder  spiralen,  bandartigen,  elastischen  Fasern  bestehen, 
welche  eine  innere  Längenschichte  und  eine  äussere  Kreisfaser- 
schiehte  bilden  sollten.  Die  Fortschritte  der  mikroskopischen  Anato- 
mie haben  aber  das  Vorkommen  von  queren  organischen  Muskelfasern 
neben  den  elastischen  in  der  mittleren  Arterienhaut  sichergestellt, 
so  dass  man  sie  als  Tunica  musculo-elastica  bezeichnen  muss.  Die 
muskulösen  und  die  elastischen  Elemente  bilden  in  der  mittleren 
Arterienhaut  mehrere  Lagen.  Je  grösser  eine  Arterie,  desto  mehr 
überwiegen  die  elastischen  Fasern  über  die  muskulösen,  und  um- 
gekehrt. Die  grössten  Arterien  (Aorta)  verdanken  ihre  gelbe  Farbe 
nur  dem  quantitativen  Vorwalten  der  elastischen  Elemente,  deren 
Massen  sich  immer  durch  gelbe  Farbe  auszeichnen.  In  gewissen 
Arterien  (innere  Kieferarterie  und  Art.  poplitea)  greifen  die  orga- 
nischen Muskelfasern  auch  in  die  innere  GefUsshaut  über. 

Die  mittlere  Haut  bedingt  vorzugsweise  die  Dicke  der  Arterien- 
wand. Sie  nimmt  mit  der  durch  fortgesetzte  Theilung  zunehmenden 
Feinheit  der  Arterien  ab,  und  verschwindet  in  den  Capillargeflässen 


§.  46.    Arterien.   Bau  derselben.  123 

gftnzlich.  Ihre  theils  elastischen,  theils  muskulösen  Elemente  erlau- 
ben den  Gefässen  sich  bei  ankommender  Blutwelle  auszudehnen, 
und  sich  nach  Vorbeigehen  der  Welle  wieder  auf  ihr  früheres  Lumen 
zu  verkleinem,  und,  wenn  sie  durchschnitten  werden,  sich  zurück- 
zuziehen, und  offen  oder  klaffend  zu  bleiben.  Die  mittlere  Arterien- 
haut erscheint  an  den  grossen  Arterien  so  mächtig,  dass  man  sie 
in  mehrere  Schichten  trennen  kann. 

Man  hat  ernährende  Geftlsse  {Vasa  vasainim)  in  den  Wandun- 
gen der  grösseren  Arterien  durch  subtile  Injection  dargestellt.  Ich 
behaupte,  dass  sie  nur  der  äusseren  Haut  der  Arterien  angehören. 
In  der  mittleren  und  inneren  Haut  habe  ich  sie  nie  gesehen,  Ner- 
ven wurden  selbst  in  den  feineren  Ramificationen  der  Arterien  auf- 
gefunden. Die  Endigungsweise  der  letzteren  ist  jedoch  nicht  mit 
wttnschenswerther  Evidenz  sichergestellt. 

Mikroskopische  Untcrsnchang.  Das  einfache  Plattenepithel  der  Ar- 
terien kann  nur  an  frisch  geschlachteten  Thieren  befriedigend  untersucht  werden. 
Durch  Abschaben  der  inneren  Oberfläche  einer  grösseren  Arterie  erhält  man 
längliche,  bandartig  schmale,  zugespitzte,  mit  deutlichem  Kerne  versehene  Zellen 
(Spindelepithelium).  Ihre  Qmppirung  zum  Pflasterepithelium  erkennt  man  am 
Faltungsrande  einer  dünnen  abgezogeneu  Lamelle,  oder  noch  deutlicher  am 
freien  Rande  jener  natürlichen  Falten,  welche  als  Klappen,  ValvidctCy  am  Ur- 
sprünge der  Aorta  und  der  Lungenschlagader  vorkommen. 

An  der  mittleren  Haut  grösserer  Arterienstämme  unterscheidet  Henle 
vier  differente  Schichten,  welche  von  innen  nach  aussen  in  folgender  Ordnung 
liegen : 

a)  Die  gefensterte  Haut.  Sie  ist  fein,  durchsichtig,  und  aus  breiten, 
elastischen  Fasern  gewebt,  welche  sich  zu  Netzen  mit  offenen  Interstitien  ver- 
binden. Ihren  Namen  erhielt  sie  der  runden  oder  eckigen  Oeffnnngen  wegen, 
welche  in  grösserer  oder  geringerer  Anzahl  zwischen  den  Fasern  auftreten,  und 
welche  an  abgezogenen  Stücken  dieser  Haut,  die  sich  gerne  der  Länge  nach 
einrollen,  dem  Rande  derselben  ein  gekerbtes  oder  ausgezacktes  Ansehen  ver- 
leihen. Es  wäre  allerdings  möglich,  dass  die  Grundlage  der  sogenannten  gefen- 
sterten  Haut  eine  structurlose  Membran  ist,  auf  welcher  Fasergitter  lagern,  so 
dass  die  Maschen  der  Gitter,  ihrer  Durchsichtigkeit  wegen,  für  Löcher  imponiren. 

b)  Die  Längsfaserhant.  Sie  besteht  aus  elastischen  Longitudinalfasem, 
welche  sich  durch  Anastomosen  zu  rhombischen  Maschen  verbinden.  Man  kann 
sie  nicht  rein  darstellen,  und  erkennt  sie  nur  entweder  an  dünnen  Arterien,  die 
mit  dem  Compressorium  flachgedrückt  werden,  oder  an  vorsichtig  abgezogenen 
Stücken  der  gefensterten  Haut,  an  deren  äusserer  Fläche  sie  in  grösseren  oder 
kleineren  Fragmenten  anhängt. 

c)  Die  Ringfaser  haut.  Sie  besteht  aus  organischen  Muskelfasern,  und 
aus  elastischen  Fasern,  von  verschiedener,  jedoch  immer  sehr  bedeutender  Breite, 
so  dass  sie  stellenweise  plattenförmig  erscheinen.  Die  zur  Gefässaxe  quere  Rich- 
tung beider  Fasergattungen  begünstigt  die  Trennung  der  Arterien  in  der  Quere, 
durch  Reissen,  Brechen,  oder  durch  Umschnüren  mit  einem  feinen  Faden. 

d)  Die  elastische  Ha^ut  Sie  grenzt  unmittelbar  an  die  Tunica  ceUulai-U 
der  Arterie,  und  beaieht  faat  ausschliesslich  aus  breiten,  dicht  genetzten,  elasti- 
schen Fibrillen.  K*  w«l**-*  *  «  bestimmte  Richtung  in  ihrer  Faserung  vor. 
Ihre  ElUimr^  7We0  edtftiZam  und  in  die  Ring- 


]  24  §•  ^7«    Allgemein«  Verlaofa-  und  VeräsUungsgesetxe  der  Arterien. 

faserhaut  über.  An  kleineren  Arterion  ist  sie  nicht  darstellbar,  an  grösseren 
dagegen  findet  mau  sie  leicht,  wenn  man  oiue  gehärtete,  und  der  Länge  nach 
aufgeschnittene  Arteric  mit  vier  Nadeln  an  den  vier  £cken  befestigt,  und,  nach 
Entfernung  der  inneren  Schicliten,  mit  dem  Ablösen  der  Ringfasern,  welche  hier 
als  quere  Streifen  erscheinen,  so  lauge  fortfährt,  bis  man  auf  eine  weisse  derbe 
Haut  kommt,  von  welcher  sich  weder  longitudinalo  noch  transversale  Bündel 
abziehen  lassen.    Diese  ist  die  elastische  Haut 


§,  47.  Allgemeine  Verlaufs-  und  Verästlungsgesetze  der  Arterien. 

1.  Alle  Arterien  sind  cylindrische  Kanäle,  welche,  so  lange 
sie  keine  Aeste  abgeben,  ihr  Kaliber  nicht  ändern.  Die  astlosen 
Stämme  der  Carotiden  bei  sehr  langhalsigen  Thieren,  Kameel,  Giraffe, 
Schwan,  haben  an  ihrem  Ursprung  und  an  ihrer  von  diesem  weit 
entfernten  Theilungsstelle  denselben  Querschnitt. 

2.  Die  grossen  Arterienstämme  verlaufen,  mit  Ausnahme  des 
Aortenbogens,  meistens  geradlinig,  die  Aeste  und  Zweige  dersel- 
ben häufig  mehr  weniger  geschlängelt.  Ich  muss  hier  bemerken, 
dass  Arterien,  welche  im  uninjicirten  Zustande  keine  Schlängelung 
zeigen,  dieselbe  im  injicirten  Präparate  im  ausgezeichneten  Grade 
besitzen.  So  z.  B.  die  Arte^-ia  maxülaris  externa.  Die  Injection 
streckt  das  elastische  Gefässrohr  in  die  Länge,  und  da  es  auf 
einen  bestimmten  Raum  angewiesen  ist,  kami  die  Streckung,  d.  h. 
Verlängerung,  nur  durch  Schlängelung  möglich  werden.  Die  Schlän- 
gelung der  Gefässe  wächst  mit  dem  Grade  der  Füllung  derselben 
durch  die  Injectionsmasse.  In  Organen,  welche  ein  veränderliches 
Volumen  haben,  sich  ausdehnen  und  zusammenziehen,  breiter  und 
schmäler  werden  können,  wie  die  Zunge,  die  Lippen,  die  Gebär- 
mutter, die  Flarnblase,  u.  s.  w.,  werden,  aus  l)egreiflichen  Grün- 
den, die  Gefässkrümmungen  zur  Norm.  An  gewissen  Schlagadern, 
namentlich  an  der  Arferia  spet^matica  intenmf  scheint  die  oft  stau- 
nenswerthe  Entwicklung  von  Ki-timmungen  auf  Verminderung  der 
Schnelligkeit  der  Blutbewegung  abzuzwecken.  Die  Krümmungen 
der  Arterien  liegen  entweder  in  einer  Ebene,  und  heissen  schlan- 
genförmig,  oder  sie  bilden  Schraubentouren,  und  werden  dann 
Spiral  genannt.  Bei  alten  Individuen  werden  mehrere  sonst  ge- 
radlinige Arterien  geschlängelt  getroffen  (Ah.  iliacay  splenica).  Die 
Schlängelungen  hängen  ent^veder  von  der  Umgebung  der  Arterien 
ab,  z.  B.  von  gekrümmten  Knochenkanälen,  Löchern  oder  Furchen, 
durch  welche  sie  gehen,  oder  werden  dadurch  bedingt,  dass  die 
Bindegewebsscheide  der  Arterie  an  einer  bestimmten  Stelle  straffer 
angezogen  ist,  als  an  der  gegenüberliegenden.  Die  Krümmungen 
der  Carotis  vor  ihrem  Eintritte  in  den  Canalts  caroticus,  die  ranken- 
förmigen  Schlängelungen   der  inneren   Samen-,  Nabel-  und  Gebär- 


g.  47.   Allgemeine  Verlanfa-  and  YerästlungBgesetze  der  Arterien.  125 

mutterarterien,  entstehen  auf  diese  Weise.  Sie  lassen  sich  durch 
Lospräpariren  der  Bindegewebsscheide  ausgleichen.  An  der  con- 
vexen  Seite  einer  Krümmung  verdichtet  sich  das  Gewebe  der  Arte- 
rienwand, weil  das  Anprallen  des  Blutstromes  die  convexe  Seite 
mehr  als  die  concave  gefährdet. 

3.  Nie  verläuft  eine  Schlagader  grösseren  Kalibers  ausserhalb 
der  Fascie  eines  Gliedes,  sondern  möghchst  tief  in  der  Nähe  der 
Knochen,  Eben  so  allgemein  gilt  es,  dass  die  grösseren  Arterien- 
stämme in  ihrem  Verlaufe  sich  an  die  Beugeseiten  der  Gelenke 
halten.  Würden  sie  an  den  Streckseiten  der  Gelenke  verlaufen, .  so 
wäre  es  imvermeidlich,  dass  sie  während  der  Beugung  eine  bis 
zur  Aufhebung  ihres  Lumens  gesteigerte  Zerrung  auszuhalten  hät- 
ten, welche  bei  dem  Verlaufe  an  der  Beugeseite  gar  nie  vorkom- 
men kann. 

4.  Wo  immer  sich  ein  grösserer  Arterienstamm  gabelförmig 
in  zwei  Zweige  theilt,  ist  die  Summe  der  Durchmesser  der  Zweige 
grösser,  als  der  Durchmesser  des  Stammes,  und  so  muss  es  sein, 
da  die  Lumina  cylindrischer  Röhren  sich  wie  die  Quadrate  der 
Durchmesser  verhalten,  und  die  beiden  Aeste  unmöglich  dieselbe 
Quantität  Blut  aufnehmen  könnten,  wejlche  ihnen  durch  den  Stamm 
zugeführt  wird,  wenn  die  Summe  ihrer  Durchmesser  nicht  grösser 
wäre,  als  jener  des  Stammes.  —  Die  Capacität  des  Arteriensystems 
nimmt  bei  allen  Thieren  gegen  die  Capillargefässe  hin  auf  eine  in 
der  That  nicht  unerhebliche  Weise  zu.  Indem  nun  die  Venen  ein 
gleiches  Verhalten  zeigen,  so  wird  die  Sprachweise  jener  Physio- 
logen verständlich,  welche  das  arterielle  und  venöse  Gefässsystem, 
in  Hinsicht  ihrer  Capacität  mit  zwei  Kegeln  vergleichen,  deren 
Spitzen  im  Herzen  liegen,  deren  Basen  im  Capillargefässsystem  zu- 
sammenstossen. 

5.  Die  Winkel,  welche  die  abgehc^nden  Aeste  mit  dem  Stamme 
machen,  sind  sehr  verschieden.  Spitzige  Ursprungswinkel  finden 
sich  gewöhnlich  bei  Arterien,  di(^  einen  langen  Verlauf  zu  machen 
haben,  um  zu  ihrem  Organe  zu  kommen  (Art.  »pennatica  inteima); 
rechte  Winkel  unter  entgegengesetzten  Umständen  [Art,  renalis). 
Ist  der  Winkel  grösser  als  ein  rechter,  so  heisst  die  Arterie  eine 
zurücklaufende,  Art,  renoTens.  Es  kann  auch  eine  imter  spitzi- 
gem Wink«!  entsprungene  Arterie  später  sieh  umbeugen  und  zu- 
rücklaufend werden,  wie  die  Artt^ria  recurrens  radialis  et  tdnaris. 
Die  grosse  des  Winkels,  welchen  d(*r  Ast  mit  dem  Stamme  macht, 
ist  nach  Weber  ohne  merklichen  Einiluss  auf  die  Blutströmung 
im  Aste.  Ocffnet  man  eine  spitzwinklige  Theilungsstelle  einer  Ar- 
terie, so  findet  man  im  Inneren  einen  vorspringenden  Sporn  (eperon), 
der  die  beiden  Blutströme  theilt,  und  an  rechtwinkhgen  Ursprungs- 
stellen fehlt.  —    Die   wichtigen  Ramificationen  der  Schlagadern  der 


1 26  §•  ^7*    Allgemein«  VerUnfe-  und  Veristlnngsgeaette  der  Arterien. 

Gliedmassen   finden  immer  in   der  Nähe  der  Gelenke  statt;  —  die 
minder  wichtigen  auf  dem  Wege  von  einem  Gelenk  zum  anderen. 

6.  Verbinden  sich  zwei  Arterien  mit  einander^  so  dass  das 
Blut  der  einen  in  die  andere  gelangen  kann^  so  entsteht  eine  Zu- 
sammenmündung, Anaatomosis.  Sie  ist  entweder  bogenförmig, 
durch  Zusammenlaufen  zweier  Arterienenden  (Gefässbogen,  Ar- 
cus), oder  zwei  Stämme  werden  in  ihrem  Laufe  durch  einen  mehr 
weniger  queren  Communicationskanal  verbunden  (z.  B.  die  Arteriae 
communicantea  an  der  Basis  des  Gehirns),  oder  aus  zwei  Arterien 
wird  durch  Verschmelzung  eine  einfache  {Art  corporis  callosi,  vor- 
dere und  hintere  Rtickenmarksarterie).  Gleichförmige  Vertheilung 
der  Blutmasse,  und  des  Druckes,  unter  welchem  sie  steht,  liegt 
den  Anastomosen  überhaupt  zu  Grunde.  Die  queren  Communi- 
cationskanäle  gewähren  noch  den  Vorthcil,  dass,  wenn  einer  der 
beiden  Stämme  ober-  oder  unterhalb  der  Anastomose  comprimirt 
wird,  der  Blutlauf  nicht  in  Stockung  zu  gerathen  braucht.  Die 
Anastomosen  werden  um  so  häufiger,  in  je  feinere  Aeste  sich  eine 
Arterie  bereits  theilte.  —  Vereinigen  sich  zwei  Aeste  einer  Arterie 
bald  darauf  wieder  zu  einem  Stamme,  so  entsteht  eine  sogenannte 
Insel,  und  theilt  sich  ein  Stamm  in  mehrere  oder  viele  Zweige, 
die  sich  entif^'-eder  wieder  zu  einem  Stamme  vereinigen,  oder  pinsel- 
förmig auseinander  fahren,  so  nennt  man  diese  Vervielfältigung 
durch  Spaltung  ein  Wundernetz.  Es  giebt  demnach  bipolare 
imd  unipolare  Wundemetze,  Erstere  kommen  im  Menschen  nur 
an  den  kleinsten  Zweigen  der  Nierenartcrie ,  letztere  nur  in  der 
Choroidea  vor.  An  den  Extremitäten  der  Edentaten  und  Halbaffen, 
so  wie  an  den  Intercostalarterien  der  Delphine  und  Walfische,  an 
den  Gekröseartcrien  der  Schweine,  und  den  Carotiden  vieler  Wieder- 
käuer, erreichen  die  Wundemetze  einen  orstaunlichen  Entwick- 
lungsgrad. 

7.  Die  Arterien  functioniren  nur  als  Leitungsröhren  des  Blutes. 
Sie  haben  keine  andere  Nebenbestimmung.  Varietäten  des  Ursprungs 
imd  Verlaufe  werden  deshalb  ohne  allen  Nachtheil  der  Verrichtungen 
vorkommen  können.  Für  viele  untergeordnete  Arterien,  z.  B.  Mus- 
kelzweige, giebt  es  gar  keine  feststehende  Ursprungsnorra ,  und 
selbst  grosse  Arterien  lebenswichtiger  Organe  unterliegen  zahlreichen, 
mitunter  höchst  sonderbaren  Spielarten.  So  besitze  ich  ein  Präparat, 
an  welchem  die  obere  Kranzarterie  des  Magens  aus  dem  Aorten- 
bogen entspringt. 

8.  Nur  die  grösseren  Schlagaderstämme  besitzen  in  ihren  Wan- 
dungen, d.  h.  aber  nur  in  der  äiisseren  Gefässhaut,  ernährende 
Arterien  (Vasa  txisorum).  Diese  entspringen  jedoch  nie  aus  dem 
Stamme,  welchen  sie  zu  ernähren  haben,  sondern  aus  Nebenästen 
desselben.     Es  verdient  Beachtimg,   dass   selbst  die  kleinsten  Ver- 


§.  4A.     Phjrsiologiache  Eigenschaften  der  Arterien.  127 

zweigangen  der  arteriellen  Vaaa  vasorum  von  doppelten  Venen  be- 
gleitet werden,  ein  Vorkommen,  welches  sonst  nur  dem  fibrösen 
Gewebe  und  der  Gallenblase  zukommt. 

9.  Neben  einander  liegende  Arterien  und  Venen  werden  von 
einer  gemeinschaftlichen  Bindegewebsscheide  umschlossen.  Eine 
Zwischenwand  der  Scheide  isolirt  die  Arterie  von  der  Vene.  Die 
ernährenden  Gefösse  der  Arterien  müssen  diese  Scheide  durch- 
bohren. In  der  Spaltung  der  Scheide  und  in  dem  Freimachen  der 
in  ihr  eingeschlossenen  Arterie,  Hegt  der  am  meisten  Aufmerksamkeit 
erfordernde  Act  der  chirurgischen  Arterienunterbindung. 

Es  Hessen  sich  diese  Gesetze  sehr  vervielfältigen,  wenn  man  Alles  auf- 
zählen wollte,  was  die  Arterien  nicht  thun.  Dass.  die  Arterien  der  oberen  Kör- 
perh&lfte  hinter,  die  der  unteren  vor  den  gleichnamigen  Venen  liegen,  gilt  nur 
für  die  Hauptstämme,  und  selbst  nicht  für  alle,  indem  eine  sehr  ansehnliche 
Vene  der  unteren  Leibeshälfte :  die  linke  Nierenvene,  in  der  Regel  vor  der  Aorta 
abdomincUia  liegt 

lieber  die  V(ua  vasornm  handelte  ich  ausführlicher  im  Quarterly  Review 
of  Nat.  Hist.  1862.  July,  und  in  einer  Specialschrift:  Ueber  die  Schlagadern  der 
unteren  Extremitäten  (Denkschriften  der  kais.  Akad.  1864). 


§.  48.   Physiologische  Eigenschaften  der  Arterien. 

Die  wichtigsten  Eigenschaften  der  Arterien  sind  ihre  Elasticität 
und  Contractihtät.  Beide  stehen  in  innigster  Beziehung  zu  der  auf- 
fallendsten Bewegungserscheinung  an  den  Arterien,  zum  Pulse.  Die 
Elasticität  kommt  allen  Schichten  der  Arterienwand  zu.  Selbst  dem 
Epithel  darf  sie  nicht  fehlen,  da  man  sich  doch  nicht  denken  kann, 
dass  die  Zellen  desselben  auseinanderweichen,  wenn  die  Arterie 
durch  den  Andrang  der  Blutv\'elle  ausgedehnt  wird.  Die  alten 
Aerzte  erklärten  den  Puls  als  die  Erscheinung  einer  selbstthätigen 
Expansion  und  Contraction  der  Arterien,  und  liielten  ihre  mittlere 
Haut  fUr  durchaus  musculös.  Später  wandte  man  sich  zum  anderen 
Extreme,  erklärte  die  Arterien  ftlr  vollkommen  passiv,  und  ihre 
Expansion  und  Contraction  für  die  Folge  der  Ausdehnmig  bei  ein- 
dringender, und  des  Collabirens  nach  vorbeigegangener  Blutw'elle. 
Auch  diese  Vorstellung  musste  aufgegeben  werden,  seit  Köllikcr 
die  Existenz  contractiler  Elemente  in  den  Wänden  der  Arterien 
nachwies,  und  durch  Keizungsversuche  an  frischen  Schlagadern 
amputirter  Extremitäten  und  des  Mutterkuchens,  eine  selbstthätige 
Contraction  der  Arterien  constatirt  wurde.  Die  mit  jedem  Pids- 
schlage  ankommende  Blutwellc  sucht  die  Arterien  auszudehnen. 
Sie  hat  die  physische  Elasticität  der  Arterie,  imd  ihre  lebendige 
Coiil»^Ä*il«*«*         "l^vwmdeD.     Die  Arterie  dehnt  sich  aus  (schwillt 

68  diese  beiden  Factoren  gestatten. 


128  $•  ^-   Phyitiologiseh«  EigensehafteD  der  Arterien. 

Ist  die  Blutwelle  vorbeigegangen,  stellt  die  Elasticität  der  Arterie, 
in  Verbindung  mit  der  lebendigen  Contractilität,  das  frühere  Volu- 
men der  Arterie  wieder  her. 

Der  Puls  ist  somit  der  Ausdruck  der  durch  den  elastischen 
und  lebendigen  Widerstand  der  Arterienwände  modificirten  Stoss- 
kraft  des  Herzens.  Die  Zahl  und  der  Rhythmus  der  Pulssehläge 
hängt  von  der  Herzthätigkeit  ab,  —  die  Härte  oder  Weichheit 
von  dem  grösseren  oder  geringeren  Widerstände  der  Arterien- 
wände, —  die  Grösse  oder  Kleinheit  von  der  Gesammtmeuge 
des  Blutes,  und  von  der  Grösse  der  durch  das  Herz  ausgetriebenen 
Blutwelle.  Es  kann  deshalb  der  Puls  scheinbar  entgegengesetzte 
Eigenschaften  darbieten.  Ein  kleiner  Puls  kann  hart,  ein  grosser 
weich  sein.  —  Nebst  dem  durch  den  Puls  gegebenen  Anschwellen 
und  Abfallen  der  Arterie  unter  dem  fühlenden  Finger,  krümmt  sie 
sich  während  des  Strotzens  auch  seitlich  oder  schlängelt  sich,  in- 
dem sie  sich  zii  verlängern  strebt.  Diese  Schlängelungen  der  Ar- 
terien während  des  Durchgangs  der  Blutwelle,  lassen  sich  auch 
durch  künstliche  Injection  von  Flüssigkeit  erzielen,  und  sind  letztere 
mit  gerinnenden  oder  erstarrenden  Stoffen  gemacht  worden,  so 
kann  man  die  Schlängelungen  fixiren.  Verlust  der  Elasticität  der 
Artc^rien  durch  krankhafte  Processe,  oder  durch  hohes  Alter,  wird 
die  Krümmungen  gleichfalls  zu  permanenten  Erscheinungen  machen, 
wie  man  an  den  rankeniormigen  Schläfearterien  hochbejahrter  Greise 
zu  sehen  Gelegenheit  hat. 

Der  Umstand,  das»  eine  lebende  Arterie,  wenn  sie  darcbsclmitton  wird, 
ihr  Lumen  verengert,  während  die  todte  am  Cadaver  sich  nur  der  Länge  nach 
retrahirt,  bestätigt  zur  GenUge  die  Existenz  der  lebendigen  Contractilität  der 
Arterieuwände.  Würde  die  variable  Weite  oder  Enge  einer  Arterie  blos  vom 
Drucke  der  Blutmasse,  und  von  der  Stosskraft  des  Herzens  allein  abhängen,  so 
könnten  nie  örtliche  Verengerungen  oder  Erweitcmngen  einer  Arterie  vorkommen, 
wie  sie  an  den  durchsichtigen  Organen  gewisser  Thiere  beobachtet  werden. 
Unter  dem  Mikroskope  kann  man  durch  Anwendung  localer  Keize  die  Con- 
tractilität der  feinen  Arterien  in  der  Schwimmhaut  der  Frösche,  zur  klaren 
Anschauung  bringen.  Durchschneidung  der  Gct*ässnerven,  oder  vorübergehende 
Herabstimmnng  ihres  Einflusses  auf  die  contractilen  Arterienwandungen,  setzt 
augenblickliche  Erweiterung  der  Arterien.  Man  sieht  am  Kaninchenohre,  nach 
Trennung  des  Sympathicus  am  Halsp,  sämmtliche  Gefässe  sich  erweitem,  und 
die  mit  gewissen  psychischon  Veranlassungen  sich  einstellende  plötzliche  llöthe 
des  (^osichts,  wahrscheinlich  auch  die  Erection  des  niännlichon  Gliedes,  kann 
nur  aus  dem  momentan  herabgesetzten  Einflnss  der  (icfässnervon,  einer  transi- 
torischen  l^ühmung  drrs('ll)en,  erklärt  werdon. 

Die  Empfindlichkeit  der  Arterien  ist  unbedeutend,  und 
die  sympathisehen  oder  Cerebro-Spinalnerven,  welehe  in  ihren  Wan- 
dungen sieh  verästeln,  sind  gewiss  nicht  vorwaltend  sensitiver 
Natur.  Sie  scheinen  mehr  den  contractilen  Fasergebilden  der  Ar- 
terienwand  anzugehören.    Wenn  man  bei  Unterbindung  der  Sehen- 


§.  49.    Praktische  Anwendungen.  129 

kelarterie  nach  Amputationen,  im  Momente,  wo  die  Ligatur  fest- 
geschnürt wird,  ein  Zusammenfahren  oder  Zucken  des  Kranken 
beobachtet  hat,  so  ist  dieses  erstens  nicht  bei  jeder  Unteren  düng 
dieses  Gefässes,  und  an  anderen  Arterien  gar  nicht  gesehen  wor- 
den, und  kann  zweitens,  bei  unvollkommener  Isolirung  der  Arterie, 
durch  Nervenfilamente  bedingt  werden,  welche  keine  Gefässnerven 
sind,  und  welche  die  Hast  des  Operateurs  zufällig  in  die  Ligatur- 
schlinge auihehmen  machte. 

Die  Ernährungsthätigkeit  in  den  Wandungen  der  Arterien 
äussert  sich  durch  das  schnelle  Verheilen  der  Wimden  unter  gilnsti- 
gen  Umständen,  und  durch  die  Verschiedenen  Formen  krankhafter 
Ablagerungen  zwischen  den  einzelnen  Hautschichten  der  Gefässwand. 

Man  kennt  ganz  genau  die  Entsteh ungs weise  der  Arterien, 
welche  im  bebrtiteten  Ei  beobachtet  werden  kann.  Die  grösseren 
Arterien  entwickeln  sich  im  Embryo  aus  kernhaltigen  Zellen,  welche 
sich  zu  Strängen  gruppiren,  worauf  die  innersten  Zellen  dieser 
Stränge  zu  Blutkügelchen  werden,  die  äussersten  sich  zur  Gefäss- 
wand metamorphosiren,  indem  sie  sich  zu  den  verschiedenen  For- 
men von  Fasern  umgestalten,  welche  die  Wand  eines  Blutgefässes 
bilden.  Die  mittleren  behalten  ihre  ursprüngliche  Zellennatur  als 
Epithelium. 


§.  49.  Praktische  Anwendungen. 

Der  gefahrdrohende  Charakter  der  Blutungen  durch  Verwun- 
dung der  Arterien,  und  das  fast  allgemeine  Vorkommen  dieser 
Blutungen  bei  chirurgischen  Operationen,  giebt  dem  arteriellen  Ge- 
fässsystem  ein  hohes  praktisches  Interesse.  Die  allgemein  gültige 
Regel,  in  jedem  vorkommenden  Falle  so  viel  als  möglich  mit  Um- 
gehung der  grösseren  Gefässstämme  zu  operiren,  wird  von  jedem 
wissenschaftlichen  Wundarzte  nach  Verdienst  gewürdigt.  Blutung, 
die  man  nicht  erwartete,  und  auf  die  man  nicht  gefasst  war,  ist  für 
jede  Operation  ein  wichtiger,  selbst  ein  sehr  gefährlicher  Zufall, 
imd  man  sucht  sich  durch  Unterbindung  oder  Compression  des 
Hauptgefösses  jener  Körperstelle,  an  welcher  operirt  werden  muss, 
vor  ihrem  Eintritte  zu  sichern. 

Die  Contractilität  der  Gefässe  bedingt  den  allgemeinen  Ge- 
brauch der  Kälte  zur  Stillung  von  Blutungen  aus  kleineren  Arterien, 
Und  wie  bedeutend  der  Einfluss  ist,  welchen  die  Nerven  auf  die 
Zusammenziehungsfilhigkeit  der  Gefksse  äussern,  zeigt  die  blut- 
stillende Wirkung  der  Gemüthsaffecte ,  Ueberraschung ,  Schreck, 
und  selbst  plötzlich  veranlassten  Schmerzes,  z.  B.  Schnüren  des 
Fingen,  mit    einem  Nasenbluten,    Reiben    einer 

Hjrtl,  Leltrtaflb  9 


130  §•  ^'   Pnü[i}«(^li«  Anwendungen. 

blutenden  Wundfläche  mit  den  Fingern,  etc.  Die  wichtigsten  Unter- 
bindungs-  und  Compressionsstellen  der  grösseren  Arterien  werden 
in  der  ^peciellen  Muskel-  und  Gefässlehre  angegeben. 

Eine  krankhafte  Ausdehnung  aller  Häute  einer  Arterie,  welche 
durch  Berstung  oder  Verbrandung  lebensgefährlich  werden  kann, 
heisst  Aneurysma  verum,  Sie  kommt  nur  an  Schlagadern  grösseren 
Kalibers  vor.  Die  kleinste  Arterie,  an  welcher  man  bisher  ein 
wahres  Aneurysma  beobachtete,  war  die  Art^a  atincfdaris  poste- 
rior (Ch.  Bell).  Da  aber  die  Arterienhäute  eine  verschiedene 
Structur  und  somit  verschiedene  Ausdehnbarkeit  besitzen,  die  in- 
neren  Hautschichten   derselben  auch   durch   Krankheit  ihrer  Elasti- 

m 

cität  verlustig  geworden  sein  können,  so  darf  es  nicht  überraschen, 
wenn  bei  den  Zerrungen,  denen  die  ArterienstÄmme  hie  und  da 
unterliegen,  die  innere  Arterienhaut  an  einer  oder  mehreren  Stellen 
Risse  bekommt,  das  Blut  zwischen  die  getrennten  und  ganz  geblie- 
benen Arterienhäute  eindringt,  und  letztere  zu  einem  ancurysmati- 
schen  Sacke  ausdehnt.  Dieser  heisst  dann  Aneurysma  spurium. 
Berstet  in  Folge  der  zunehmenden  Ausdehnung  auch  dieser  Sack, 
so  ergiesst  sich  das  Blut  frei  in  alle  Bindegewebsräume,  in  welche 
es  von  dem  geborstenen  Aneurysmensack  gelangen  kann,  und  dehnt 
diese  zu  einem  pidsirenden  Cavum  aus,  welches  dann  Anetnysma 
spurium  consecuttvum  oder  dtßmum  genannt  wird. 

Wird  eine  lebende  Arterie  grösserer  Art  quer  angeschnitten, 
80  klafft  die  Wunde  bedeutend,  und  der  Blutverlust  ist  sehr  gross, 
wenn  die  Arterienwimde  mit  der  äusseren  Hautwunde  correspon- 
dirt.  Wird  sie  vollends  quer  durchgcHchnitton,  so  zieht  sich  das 
elastische  Arterienrohr  in  seiner  Bindegewebsseheide  stärker  zurück, 
als  diese.  Die  Scheide  wird  durch  den  Zug  der  Arterie  gefaltet 
oder  eingezogen,  das  aus  der  Arterie  ausströmende  Blut  hängt  sich 
als  Coagulum  an  die  Wand  der  Scheide  an,  verengert  di(»se  noch 
mehr,  füllt  sie  endlich  aus,  und  die  Blutung  steht  früher  still,  als 
bei  incompleter  Trennung  des  Gefilsses.  Daher  der  Rath  der  älte- 
ren Chinirgie,  angeschnittene  Arterien  ganz  zu  trennen  (Theden). 
Dass  es  wirklich  die  Scheide  ist,  welche  die  (iWisse  der  Blutung 
bei  vollkommenen  queren  Trennungen  der  Arterien  l)eseliränkt,  ja 
sc^lbst  zum  Stillstand  bringt,  zeigt  der  Versuch  am  l(»l)end(*n  Thier(\ 
Wird  die  (Jruralarterie  eines  grossen  Hundes  sammt  ihrer  Scheide 
durchschnitten,  so  stillt  sich  die  Blutung  nach  kurzer  Zeit  von 
selbst,  und  das  Thier  erholt  sich.  Wird  aber  die  Scheide»  der 
Arterie  in  einer  grösseren  Strecke  losi)räparirt  und  entfernt,  und 
hierauf  die  Arterie  durchschnitten,  so  ist  der  Verblutungstod  ge- 
wiss. —  Längenwiuiden  der  Arterien  klaft'en  viel  wenigcT  als  quere. 
Die  nach  der  Länge  einer  Arterie  wirksame  Elasticität  derselben 
hält   die   Ränder   einer  arteriellen    Längenwinide   mehr  im    Contact, 


S,   49.    Praktische  Anwendungen.  131 

und  erleichtert  ihre  Verheilung,  welche  selbst  per  primam  intentio- 
nem,  wie  die  Chirurgen  sagen  (d.  i.  durch  Verwachsung  mittelst 
plastischer  Lymphe,  nicht  durch  Granulation  und  Eiterung),  statt- 
findet, was  bei  Querwunden  nicht  möglich  ist. 

Unterbindet  man  eine  Arterie  mit  einem  dünnen  Faden,  wel- 
cher fest  zugeschnürt  wird,  so  bleibt  die  äussere  und  die  elastische 
Haut  ganz;  die  Eingfaserhaut  und  die  übrigen  inneren  Häute  wer- 
den durch  den  Faden  kreisförmig  durchschnitten. 

Eine  unterbundene  Arterie  verwächst  von  der  Unterbindungsstelle  bis  zum 
nächst  oberen  und  unteren  stärkeren  Nebenast  Diese  Verwachsung  ist  anfangs 
eine  blosse  Ausfüllung  mit  geronnenem  Blute  (provisorische  Obliteration).  Später 
bildet  sich  durch  gerinnbare  Lymphe,  welche  sich  organisirt,  und  mit  dem  ge- 
ronnenen Blute  verschmilzt,  ein  solider  Pfropfen  {Thromhua),  der  mit  der  Arterien- 
wand verwächst  (definitive  Obliteration),  so  dass  sie  in  einen  festen,  nicht  hohlen 
Strang  umgewandelt  wird,  dessen  Peripherie  kleiner  als  jene  der  Arterie  ist, 
deren  Fortsetzung  er  darstellt 

Die  Unterbindung  einer  grösseren  Schlagader,  z.  B.  der  Brachialis  oder 
Cniralis,  hebt  den  Kreislauf  in  den  Theilen  unter  der  Unterbindungsstelle  nicht 
auf;  er  findet  nur  mit  verminderter  Energie  und  auf  Umwegen  statt.  Da  über 
und  unter  der  Unterbindungsstelle  Aeste  abgehen,  welche  in  ihren  weiteren  Ver- 
zweigungen mit  einander  anastomosiren,  so  wird  durch  diese  Anastomosen  das 
Blut  in  das  unter  der  Ligaturstelle  befindliehe  Stück  der  Arterie,  aber  mit  un- 
gleich schwächerer  Triebkraft,  gelangen.  Haben  sich  diese  Anastomosen  so  sehr 
erweitert,  dass  sie  das  abgebundene  Gcfässlumen  ersetzen,  so  geht  der  Kreislauf 
ohne  weitere  Unordnung  vor  sich,  und  wird  sodann  Collateralkreislauf 
genannt  Ich  besass  einen  Hund,  dem  ich  in  der  Zeit  meiner  physiologischen 
Jugendsünden  die  Arteria  imioniinata  und  beide  Arteriae  cruralea  in  der  Frist 
eines  Jahres  unterbunden  hatte,  und  der  sich,  obwohl  sein  Blut  auf  ungewöhn- 
lichen Wegen  kreiste,  ganz  wohl  befand.  Selbst  die  absteigende  Aorta  der  Brust- 
höhle kann  verwachsen,  und  durch  die  Entwicklung  der  Collateralgefässe  supplirt 
werden.  Die  von  Röiner,  Meckel,  u.  A.  beschriebenen  Fälle,  und  ein  im 
Prager  anatomischen  Museum  befindlicher  beweisen  es.  Letzterer  gehörte  einem 
vollkommen  gesunden  Individuum  an,  welches  an  Lungenentzündung  starb.  Der 
Collateralkreislauf  ging  von  den  Aesten  der  Subclavia  durch  ihre  Anastomosen 
mit  den  Intercostalartericn  zu  dem  unter  der  Vcrwachsungsstelle  gelegenen  Theil 
der  Aorta.  Die  Intercostalarterien  waren  zur  Grösse  eines  Schreibfoderkiels  er- 
weitert, rankenfJirmig  geschlängelt,  tmd  erzeugten  durch  ihr  Pulsiren  eine  con- 
tinuirliche  Erschütterung  der  Thoraxwand,  welche  als  schwirrendes  Geräusch  zu 
hören  und  zu  fühlen  war,  und  vom  Kranken  viele  Jahre  vor  seinem  Tode  gefühl^ 
wurde,  ohne  die  geringste  Störung  seiner  übrigen  Verrichtungen  nach  sich  zu 
ziehen. 

Die  Befestigung  einer  Arterie  an  ihre  Umgebung  ist  so  locker, 
dass  sie  kleine  seitliche  Ortsveränderungen  ausfuliren  kann.  Sie 
schlüpft  deshalb  unter  dem  drückenden  Finger,  imd  eben  so  oft 
und  glücklich  unter  stechenden,  oder  der  Lilnge  nach  schneiden- 
den Werkzeugen  weg.  Nur  kranke  Arterien  sind  durch  ihre  ver- 
dickten Scheiden  fester  an  den  Ort  gebunden^  welchen  sie  eimnal 
inne  haben.  —  Da  die  Arterienscheiden  nicht  in  d# 


132  §•  49-    Pnt^iisch«  Anwendang«ii. 

sind,  wie  die  Arterien  selbst^  so  wird  eine  durch  ihre  Scheide  hin- 
durch verletzte  Arterie  eine  grössere  Wunde  darbieten,  als  in  der 
Scheide  gefunden  wird.  Das  Blut  wird  nicht  in  der  Menge,  in  wel- 
cher es  aus  der  Arterienwunde  kommt,  durch  die  kleinere  Wunde 
der  Scheide  abfliessen  können.  Es  wird  sich  somit  lieber  zwischen 
Scheide  und  Arterie  einen  Weg  präpariren,  und  sogenannte  Blut- 
unterlaufungcn  bddingen,  welche  einen  grossen  Umfang  gewinnen, 
und  sich  weit  über  und  unter  die  Verwundungsstelle  der  Arterien 
ausdehnen  können  {Dissecting  Aneurysma  der  englischen  Pathologen). 
Dasselbe  kann  bei  Verschliessung  der  äusseren  Wunde  durch  Ver- 
bände oder  durch  Vorlagem  anderer  Weichtheile,  vom  Wundkanale 
aus  zwischen  umliegende  Gewebe  stattfinden.  So  entstehen  die  so- 
genannten blutigen  Infiltrationen  und  Suggillationen,  welche  nicht  zu 
verwechseln  sind  mit  den  Senkungen  des  Blutes  in  seinen  GefUssen, 
welche  nach  den  Gesetz.en  der  Schwere  gegen  die  abschüssigsten 
Stellen  des  Leichnams  stattfinden,  imd  als  Todten flecken  ein  ge- 
wöhnliches Leichenvorkomnmiss  sind. 

Die  Zurückziehung  durchschnittener  Arterien  erschwert  ihr 
Auffinden  im  lebenden  Menschen  bei  Vcrwundungsfällen,  und  er- 
heischt eine  Verlängerung  oder  Erweiterung  der  Wunde,  um  das 
blutende  Ende  finden  imd  unterbinden  zu  können.  Gefässe,  welche 
wenige  oder  k-einc?  Seitenäste  abgeben,  ziehen  sich  sehr  stark  zu- 
rück; solche,  welche  durch  ihre  Seitenästc  gleichsam  an  benach- 
barte Organe  befestigt  werden,  weniger.  Man  kann  diese  praktisch 
wichtige  Erfahrung  am  Cadaver  machen.  Wird  die  Kniekehlen- 
arteric  einfach  entzweigeschnitten,  so  beträgt  ihre  Retraction  circa 
1  Zoll.  Werden  aber  früher  ihre  Seitenäste  getrennt,  und  so  da& 
Gefäss  isolirt,  so  zieht  es  sich  um  1^^ — 2  Zoll  zurück. 

Ein  Umstand,  der  für  die  ärztliche  Behandlung  gewisser  Blu- 
tungen von  Nutzen  sein  dürfte,  ergiebt  sich  aus  der  Betrachtung 
des  Hauptstammes  einer  Gliedmassenarterie  im  stark  gebeugten  Zu- 
stande des  Gelenkes,  an  welchem  sie  verläuft.  W^ird  der  Ellbogen 
in  forcirte  Beugung  gebracht,  so  wird  der  Puls  der  Radialarterie 
sehr  schwach.  Bei  stark  gebeugtem  Unterschenkel,  durch  Anziehen 
der  Ferse  mit  der  Hand,  verschwindet  der  Puls  in  der  Ärteria 
tibialls  postevicn'  vollkommen.  Es  scheint  nicht  das  Knicken  der 
Arterie,  sondern  die  Compression  derselben  durch  die  an  einander 
gepressten  Muskelmassen  in  der  Nähe  des  Gelenkes  diese  Erschei- 
nung zu  bedingen,  von  welcher  in  Verwundungsfiillen,  bevor  chirur- 
gische Hilfe  geleistet  werden  kann,  und  beim  Transport  Blessirter 
Nutzen  zu  ziehen  ist. 

Wie  wichtig  der  Verlauf  der  Arterien  zwischen  den  Muskeln 
ist ,  und  wie  sehr  der  Muskeldruck  abnorme  Ausdehnungen  der 
selben    hintanzuhalten    vermag,    erhellt    daraus,     dass    Aneurysmen 


$.  50.    ^apiUsrgefösae.    Anatomische  Eigenschaften  derselben.  133 

am  häufigsten  an  solchen  Schlagadern  entstehen,  welche  in  ihrer 
nächsten  Umgebung  blos  Bindegewebe  und  Fett,  aber  keine  Mus- 
keln haben,  wie  die  Arteria  cruralis  in  der  Fossa  ileo-pectineaj  die 
Arteria  popläea  in  der  Kniekehle,  die  Arteria  axillaris,  etc.  Warum 
die  Aneurysmen  an  gewissen  Arterien  häufiger  vorkommen  als  an 
•anderen,  wird  sich  aus  den  Angaben  der  speciellen  Gefilsslehre 
entnehmen  lassen. 

Es  ist  eine  unrichtige  Vorstellung,  dass  die  Schwere  des  Blutes  seine 
Bewegung  fördern  oder  hemmen  könne.  Wenn  eine  Pumpe  Flüssigkeit  in  einem 
System  geschlossener  Röhren  herumtreihen  soll ,  so  ist  es  ganz  gleichgültig, 
welche  Lage  die  Röhren  haben,  ob  vertical  oder  horizontal.  Die  Schwere  hemmt 
nicht  die  Bewegung  in  den  aufsteigenden,  noch  f()rdert  sie  die  Bewegung  in  den 
absteigenden  Röhren  des  Systems.  Sic  hat  aber  einen  unläugbaren  Einfluss  auf 
die  gleichmässige  Vertheilung  der  Flüssigkeit  im  System,  wenn  dessen  Röhren 
nachgiebig  sind,  wie  die  Blutgefässe  des  Menschen  (besonders  bei  geschwächter 
oder  aufgehobener  Elasticität  derselben),  in  welchem  Falle  die  absteigenden 
Röhren  weiter  werden  müssen  als  die  aufsteigenden. 


§.  50.    CapiUargfässe.    Anatomische  Eigenschaften  derselben. 

Durch  die  Entdeckung  des  Kreislaufes  wurde  es  sichergestellt, 
dass  alles  Blut  aus  den  Arterien  in  die  Venen  übergeht.  Die  mikro- 
skopischen Gefksse,  welche  diesen  Uebergang  vermitteln,  waren 
aber  zu  Harvey's  Zeiten  gänzlich  unbekannt  Erst  der  grosse 
Malpighi  erkannte  ihr  Vorhandensein  in  der  Froschlunge  (1661), 
und  die  durch  sie  vermittelte  Verbindung  der  arteriellen  und  venö- 
sen Blutbahn.  Nach  ihm  nennt  man  gegenwärtig  noch  diese  klein- 
sten Blutgefässe,  welche  den  Zusammenhang  zwischen  Arterien  und 
Venen  vermitteln:  Capillarge fasse  (Vasa  capillaina).  Der  Ueber- 
gang der  Arterien  in  Venen  durch  die  Capillargefässc  gab  der 
Lehre  vom  Kreislaufe  erst  ihre  volle  Begründung.  Bevor  man 
diesen  Uebergang  kannte,  Hess  man  das  Blut  sich  in  die  Organe 
frei  ergiessen,  stocken,  gerinnen,  und  sich  in  ihre  Substanz  um- 
wandeln. So  entstand  schon  zu  Zeiten  der  Alexandrini  sehen  Schule 
der  noch  immer  gebräuchliche  Ausdruck:  Parenchyma  (TropSY/u'.v, 
ergiessen)  ftlr  Organensubstanz.  Noch  in  den  ersten  Decennien  un- 
seres Jahrhunderts  wurden  den  Capillargefössen  ihre  Wandungen 
abgesprochen  (Döllinger,  Wedemeyer,  u.  A.).  Man  hielt  sie 
ftir  Gänge,  die  sich  das  Blut  in  der  organischen  Substanz  selbst 
gräbt,  und  stellte  sich  vor,  dass  das  Blut  an  allen  Stellen  dieser 
Gänge  austreten,  sich  neue  Laufgräben  wühlen,  und  so  zu  jedem 
Organtheilchen  gelangen  könne.  Diese  für  die  Erklärung  der 
Nutritionsprocesse  sehr  bequem  eingerichtete  Annahme  musste  mh 
all'  ihrem  poetischen  Anhang  über  Umwandlung  und  Metamorpb' 


X34  S*  M>    CftpiUugeOase.   Anatomisdie  EigentchafteB  derselben. 

des  Blutes,  der  auf  dem  Wege  mikroskopischer  Forschung  sicher- 
gestellten Existenz  der  Wandimgen  der  Capillargefässe  weichen. 

Die  Capillargeftlsse  bilden  zahllose  Verbindungswege  zwischen 
den  letzten  Arterienästchen  und  den  ersten  Venenanftlngen.  Es  ist 
nicht  möglich  zu  sagen,  wo  die  Capillargefässe  beginnen,  imd  wo 
sie  endigen,  da  sie  allmälig  aus  den  grösseren  Arterien  durch  Ver- 
jüngung des  Durchmessers  hervorgehen,  und  ebenso  allmähg  in 
immer  grössere  und  grössere  Venen  übergehen.  Die  Grrenzen  des 
Capillargefässsystems  sind  also  mehr  ideal,  als  anatomisch  fest- 
gestellt. Bis  auf  die  neueste  Zeit  hat  man  die  Wand  der  Capillar- 
gefässe für  structurlos  gehalten,  mit  einfacher  oder  doppelter  Contour, 
je  nach  Verschiedenheit  des  Kalibers,  und  mit  ovalen,  hellen,  mit 
Kemkörperchen  versehenen  Kernen,  theils  an  der  inneren  Ober- 
fläche der  structurlosen  Haut,  theils  im  Innern  derselben.  Da  traten 
gleichzeitig  Eberth  (Sitzungsberichte  der  Würzburger  phys.  med. 
Gesellschaft,  1865),  und  Auerbach  (Breslauer  Zeitung,  1865)  mit 
der  bedeutungsvollen  Entdeckung  hervor,  dass  bei  Injection  von  Höl- 
lensteinlösung (Yi  Procent),  die  scheinbar  structurlose  Wand  der 
Capillargefässe,  aus  platten,  spindelförmigen,  meist  der  Längsrichtung 
der  Capillargefässe  parallelen  Zellen  zusammengesetzt  erscheint, 
welche  durch  wellenförmig  geschlängelte  Linien  sich  gegeneinander 
abgrenzen.  Auf  dem  Querschnitt  eines  Capillargefiisses  beträgt  ihre 
Zahl,  nach  Verschiedenheit  der  Dicke  des  Gefiisses,  2—4.  In  man- 
chen Organen  (Gehirn  und  Netzhaut)  gesellt  sich  noch  eine  äusserst 
zarte  Umhüllungshaut  hinzu,  welche  als  adventUia  capillaris  bezeichnet 
werden  kann.  Geht  der  Durchmesser  der  Capillarcn  über  0,008'" 
hinaus,  so  lagern  sich  um  das  Zellenrohr  dieselben  Elemente  von 
Muskel-  und  Bindegewebssubstanz  auf,  welche,  mit  elastischen  Ele- 
menten gemischt,  die  Vorzeichnung  der  in  den  grösseren  Arterien 
erwähnten  dreifachen  Wandschichte  enthalten. 

Die  Capillargeftlsse  besitzen  kein  Epitliel.  Erst  an  stärkeren 
Gefässen  dieser  Art  (0,005'"),  erscheint  auf  der  Innenfläche  ihrer 
Wand  eine  einfache  Lage  von  Zellenkernen  als  Beginn  einer  Epi- 
thelialformation. 

Die  Capillargefässe  setzen  die  Capillarnetze,  Jietia  capillaria, 
zusammen,  welche  in  jeder  Gewebsform  charakteristische  Eigen- 
schaften darbieten.  Diese  hängen  ab  1.  von  der  Weite  der  Capillar- 
gefässe, welche  von  0,002"' — 0,010'"  zunimmt,  und  2.  von  der 
Weite  imd  der  Gestalt  der  Maschen  des  Netzes.  Je  gefässreicher 
ein  Organ,  je  mehr  Blut  es  braucht  und  verarbeitet,  je  reichlicher 
es  absondert,  desto  kleiner  sind  die  Maschen,  imd  desto  grösser  der 
Durchmesser  der  Capillargeftlsse.  In  Organen  mit  einer  bestimmt 
vorwaltenden  Faserrichtung,  sind  die  Maschen  in  derselben.  Rich- 
tung  oblong  (Muskeln,  Nerven).     In  Häuten  und  Drüsen  kommen 


§.  50.    CspilUrgefiUse.   Anatomische  Eigenschaft«!!  derselben.  135 

kreisfbrmige,  und  alle  Arten  eckiger  Maschen  vor.  In  den  Tast- 
imd  Geschmackswärzchen^  in  den  Zotten  des  embryonischen  Cho- 
rion, und  in  den  zottenähnlichen  Vegetationen  an  der  inneren  Fläche 
vieler  Synovialhäute,  gehen  die  capillaren  Arterien  durch  schlingen- 
fbrmige  Umbeugung  in  capillare  Venen  über. 

Es  giebt  auch  Organe,  z.  B.  die  Schwellkörper  (Corpora 
cavemosa)  der  männlichen  Ruthe  und  der  Clitoris,  in  welchen  ein 
grosser  Theil  der  kleinsteh  arteriellen  Gefässe  nie  capillar  wird, 
sondern  immer  noch  relativ  weit,  in  die  gleichfalls  sehr  weiten 
Venenanfilnge  einmündet,  welche  die  Lücken  ausfüllen,  die  dtirch 
die  Kreuzung  des  faserigen  Grundgewebes  eines  Schwellkörpers 
gebildet  werden. 

Nie  endigt  ein  Capillargefäss  bHnd.  Nur  die  in  gewissen 
Schwellkörpern  vorkommenden  gewundenen  Arterienästchen,  welche 
als  Vasa  helicina  Muelleri  in  der  speciellen  Anatomie  der  Geschlechts- 
organe erwähnt  werden,  bilden  eine  Ausnahme  dieser  Regel.  Eben 
so  wenig  geht  je  ein  Capillargefäss  in  einen  absondernden  Drüsen- 
kanal über,  oder  mündet  mit  einer  Oeffnung  auf  der  Obei*fläche 
einer  Membran,  oder  besitzt  Löcher  in  seiner  Wand,  um  Bestand^ 
theile  des  Blutes  in  die  umgebenden  Gewebe  gelangen  zu  lassen. 
Es  liegt  mir  niu*  Eine  Beobachtung  Stricke r*s  von  wirklichem 
Austritt  von  Blutkörperchen  durch  die  Capillargefäss  wand  vor. 
(Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  18G5.)  Solclier  Austritt  der  Blut- 
körperchen postulirt  es  nothweudig,  dass  die  Zellenwand  der  Capillar- 
gefässe  keine  starre,  sondern  eine  in  ihren  molekularen  Elementen 
verschiebbare  ist.  Bestätigt  sich  Stricker's  Beobachtung,  so  ver- 
dient sie,  als  eine  der  weittragendsten  und  anwendungsreichsten 
im  Gebiete  der  Physiologie  und  Pathologie  begrüsst  zu  werden. 
Derselbe  Forscher  berichtet  auch  über  Bewegungsphänomene  an  der 
Capillargefässwand,  wie  sie  au  den  Protoplasmakugeln  früher  (§.  19) 
erwähnt  wurden.  Die  Capillargefässwand  treibt  nämlich  Aeste  her- 
vor, welche  sich  wieder  zurückziehen,  oder  bleibend  verlängern, 
hohl  werden,  mit  benachbarten  und  entgegengesetzten  Aesten  ähn- 
lichen Ursprungs  zu  Netzen  zusammenfliessen,  und  anfangs  so  fein 
sind,  dass  sie  nur  Blutplasma  durchlassen  (Vasa  serosa?). 

Mikroskopische  Untersuchung.  Die  feinsten  Capi  11  arge  fasse  haben 
so  dünne  und  dnrchsichtige  Wandungen,  dass  sie  im  lebenden  Thiere  nur  durch 
das  Blut,  welches  sie  enthalten,  sichtbar  werden.  £8  gehört  grosse  Vertrautheit 
mit  mikroskopischen  Arbeiten  dazu,  leere  Capillargefässe  zu  untersuchen.  Die  in 
diesem  Paragraphe  erwähnte  Gegenwart  von  Zellenkernen  auf  oder  in  den  hellen  Wan- 
dungen derselben,  erleichtert  ihr  Auffinden  und  Fixiren.  Bei  stärkeren  Capillar- 
gefässen,  deren  Wand  schon  eine  messbare  Dicke  zeigt,  erscheinen  die  Ränder 
derselben  als  Doppellinien.  Die  Entfernung  der  Doppellinicn  eines  Randes  ent- 
spricht der  Dicke  der  QefKsswand. 


136  8*  Sl-  Phyiiologische  Eigensehftft«!!  der  CapiUargefEss«. 

Das  schönste  und  überraschendste  Schauspiel  gewährt  die  Betrachtnog 
lebendiger  Capillargefasse  in  durchsichtigen  Organen  niederer  Wirbelthiere.  Man 
wählt  hiezu  am  besten  junge  Kaulquappen,  die  im  Frühjahr  in  jeder  Pfütze  zu 
haben  sind,  un4  in  deren  durchsichtigem  Schweife  das  Phänomen  des  Kreis- 
laufes stundenlang  beobachtet  werden  kann.  Um  das  Thier,  ohne  es  zu  ver- 
wunden, zu  fixiren,  und  sein  Herumschlagen  zu  verhindern,  bedeckt  man  es  auf 
einer  nassen  Glasplatte  mit  einem  einfachen  nassen  Leinwandläppchen,  welches 
nur  die  Schwanzspitze  hervorragen  lässt.  Auch  die  freien  Kiemen  der  Embryonen 
von  Salamandra  atra,  welche  jedoch,  da  sie  nur  im  Hochgebirge  zu  Hause  sind, 
nicht  immer  zu  Gebote  stehen,  können  hiezu  verwendet  werden.  Das  Phänomen 
ist  bei  diesen  Thieren  noch  herrlicher  als  bei  den  Quappen.  Um  an  der  Schwimm^ 
haut  und  dem  Mesenterium  der  Frösche,  oder  an  der  Lunge  der  Tritonen,  Be- 
obachtungen anzustellen ,  werden  complicirte  Vorrichtungen  zur  Befestigung  des 
Thieres  erforderlich,  und  die  damit  verbundene  Verwundung  des  unglücklichen 
Schlachtopfers  auf  dem  mikroskopischen  Altar  der  Wissenschaft,  lässt  die  Er- 
scheinung nie  so  rein  auftreten,  und  nie  so  lange  andauern,  wie  am  unverletzten 
Thiere. 

Um  die  Capillargefässnetze  der  verschiedenen  Organe  näher  kennen  zu 
lernen,  werden  sie  von  den  Arterien  aus  mit  gefärbten  erstarrenden  Flüssig- 
keiten durch  Einspritzung  gefüllt  Man  bedient  sich  hiezu  entweder  dos  gekoch- 
ten Leimes  (Hausenblase),  oder  harziger  Stoffe  in  ätherischen  Oelen,  gewöhnlich 
Terpentinöl,  aufgelöst,  mit  einem  Farbenzusatz.  Sehr  gute  Dienste  leistet  ge- 
wöhnliche Malerfarbe  mit  Schwofeläther  diluirt.  Hauptregel  bei  dieser  Injection 
ist  es,  statt  einer  grossen  Arterie,  lieber  mehrere  kleinere  zu  injiciren,  wodurch 
die  Arbeit  zwar  erschwert,  aber  der  Erfolg  um  so  mehr  gesichert  wird.  Hat 
man  das  Capillargefässsystem  eines  Organs  von  den  Arterien  und  Venen  aus  mit 
verschieden  gefärbten  Injectionsmassen  gefüllt,  so  erhält  man  die  prachtvollsten 
Präparate,  deren  Anfertigung  mir  eine  Lieblingsbeschäftigung  geworden,  und 
über  deren  Bereitung  ich  in  dem  VI.  Buche  meiner  praktischen  Zergliederungs- 
kunst, Wien,  1860,  ausführlich  handelt«. 


§.51.   Physiologische  Eigenschaften  der  Capillargefasse. 

Ernährung  und  StoflFwechscl  beruhen  auf  der  Permeabilität 
der  Capillargefilsswandungen ,  durch  welche  der  flüssige  Bestand- 
theil  des  Blutes  den  Geftlssraum  verlassen,  und  mit  den  umliegen- 
den Gewebstheilen  in  unmittelbare  Berührung  treten  kann.  Ist  der 
flüssige  Bestandtheil  des  Blutes  aus  dem  Capillargefasse  ausgetreten, 
so  tränkt  er  die  umgebenden  Gewebe,  und  kommt  sofort  auch  zu 
Stellen,  wo  keine  Capillargefilsse  verlaufen.  Der  Mittelpunkt  einer 
Masche  des  Capillanietzes  kann  nur  auf  diese  Weise  durch  Tränkung 
seine  ErnährungsstofFe  beziehen,  und  Theile,  welche  keine  Blutgefässe 
besitzen,  wie  die  Linse,  die  structurlosen  Membranen,  die  Nägel, 
der  Zahnschmelz,  die  Epithelien,  etc.,  sind  deshalb  nicht  vom  Er- 
nährungsprocesse  ausgeschlossen.  Die  Bewässerung  einer  Wiese 
durch  Gräben  würde  sich  zu  einem  rohen  Vergleiche  schicken. 


§.  51.    Physiologische  Eigenschaften  der  CapUIargeAsse.  137 

Ob  die  Capillargefasse  contractu  seien  oder  nicht,  ist  auf  dem 
Wege  des  Versuches  mit  Bestimmtheit  schwer  zu  eruiren,  da  die 
Reizmittel,  welche  auf  capillargcfössreiclie  Thcile  applicirt  werden, 
ihre  Wirkung  auch  auf  die  grösseren  Gefässstämme  äussera,  und 
kaum  zu  entscheiden  ist,  ob  die  Capillargefasse  primär  erregbar 
sind  oder  nicht.  Es  ist  jedoch  Thatsachc,  dass  das  Lumen  leben- 
diger Capillargefasse  sich  unter  dem  Mikroskope  zusehends  ändert, 
und  Durchschneidung  der  Nerven  einer  Gliedmasse  beim  Frosche, 
eine  bedeutende  Erweiterung  der  Capillargefasse  mit  Verlangsamung 
der  Blutbewegung  setzt.  Diese  Thatsache  erklärt  sich  auch  leicht, 
aus  der  den  Zellen  der  Capillargcfässwand  inwohnenden  Bewe- 
gungsfähigkeit. 

Werden  die  Capillargefösse  durch  irgend  einen  Einfluss,  wel- 
cher ihre  Contractilität  herabzusetzen  vermag,  erweitert,  so  muss 
die  Schnelligkeit  der  Blutbewegung  abnehmen,  was  auch  umgekehrt 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  gilt.  Man  sieht  die  Blutkügelchen 
träger  durch  die  erweiterten  Capillarröhren  gleiten,  und  an  den 
Wänden  derselben  hinrollen,  während  sie  im  normalen  Mittelzu- 
stande der  Gefässe  in  der  Axe  derselben  gleiten,  ohne  zu  rollen, 
imd  ohne  die  Gefässwand  zu  berllhren.  Bei  grösserer  Abnahme 
der  Fortbewegungsgeschwindigkeit,  tritt  Stockung  mit  dem  Maxi- 
mum der  Erweiterung  ein,  und  ein  rothes  Coagulum,  in  welchem 
die  einzelnen  Blutkügelchen  schwer  oder  gar  nicht  mehr  zu  unter- 
scheiden sind,  verstopft  die  kleinsten  Gefässe.  Dieses  findet  bei 
jeder  Entzündung  statt.  Die  fortdauernde  vis  a  teiijo  durch  die 
nachdrückende  Blutsäide,  kann  auch  Berstungen  der  Gefesse  und 
Blutextravasation  bedingen,  als  sogenannte  capillare  Hämorrhagie. 
—  Das  Blut  strömt  in  den  Capillaren  nicht  stossweise,  wie  in  den 
grösseren  Arterien,  sondern  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit. 
Nur  wenn  Unordnungen  im  Kreislaufe  entstehen,  das  Thier  ermattet, 
oder  seinem  Ende  nahe  ist,  schwankt  die  Blutsäule  unregelmässig 
hin  und  her,  oder  ruht  in  einzelnen  Gcfässen,  während  sie  in  an- 
deren noch  fortrückt. 

Jene  Capillargefasse,  deren  Durchmesser-  kleiner  ist  als  eine 
Blutsphäre,  werden  nur  das  durchsichtige  Plasma  des  Blutes  ohne 
Blutkügelchen  einlassen,  und  nur  dann  sichtbar  werden,  wenn  eine 
abnorme  Erweiterimg  derselben  auch  dem  rothen  Blutbestandtheile 
Eintritt  gestattet.  Sie  werden  Vasa  serosa  genannt,  und  der  Streit 
über  ihre  Existenz  ist  noch  nicht  definitiv  beigelegt. 

Die  Literatur  über  Capillargefasse  ist  selir  zahlreich.  Die  schönsten  Ab- 
bUdungen  der  Capillargefassnetze  gab  Berret,  in  seiner  ^Anatomie  der  mikroskop. 
Gebilde**.  —  0,  Valentin^  über  die  Gestalt,  Grösse  und  Dimensionen  der  feinsten 
Blutgefässe,  in  Hecker^a  Annalen  der  gesammten  Heilkunde.  1834.  Mars.  —  Htute 
und  KöUikeTy  über  Capillargefftsse  in  entzündeten  Theilen,  in  Hefdt  und  Ffmiff€t^9 


138  S*  dS*  Venen.  Anatomiache  Eigenschaften  derselben. 

Zeitschrift.  1.  Band.  —  A.  Flatner,  über  Bildung  der  Capillargefässe,  in  MÜUer*a 
Archiv.  1844.  —  A,  Köütker^  in  den  Mittheilungen  der  naturforschenden  Ver- 
sammlung in  Zürich.  Nr.  2.  —  «/.  Bületer,  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Ent- 
stehung der  Gefässe.  Zürich,  1860.  —  In  Proch<uka*a  disquisitio  anatomica  phys. 
corp.  hum.  Vindob.,  1812,  ist  den  CapillargefHssen  das  IX.  Capitel  gewidmet.  — 
Huj  über  ein  perivascnläres  Kanalsystem,  in  der  Zeitschrift  für  wiss.  Zool.  1866. 
—  Stricker ,  über  Bau  und  Leben  der  capillaren  Blutgefässe.  Wiener  akad. 
Sitzungsberichte,  1865.  —  Eberthj  über  Bau  und  -Entwicklung  der  Blutcapillaren. 
Würzburg,  1865. 


§.  52.  Yenen.  Anatomische  Eigenschaften  derselben. 

Nicht  alle  Venen  führen  Blut  aus  den  Organen  zum  Herzen 
zurück.  Eb  giebt  auch  Venen,  welche  Blut  gewissen  Organen  zu- 
führen. Solche  Venen  finden  sich  im  Menschen  nur  als  P  fort  ade  r 
der  Leber.  Venen,  welche  arterielles  Blut  zum  Herzen  zurückführen, 
sind  die  Lungenvenen,  und  die  Nabelvene  des  Embryo. 

Die  Venen   unterscheiden   sich    von   den   Arterien  durch  ihre 

» 

dünneren  Wände,  durch  welche  das  Blut  durchscheint,  und  ihnen 
eine  dunkelblaue  Farbe  giebt.  Sonst  finden  sich  in  ihnen  alle  histo- 
logischen Elemente  der  Arterien.  Sie  besitzen  das  Epitlielium  und 
die  sogenannte  gefensterte  Haut  der  Arterien.  Die  Längenfaserhaut 
der  Venen  ist  sogar  stärker,  nicht  so  spröde  und  brüchig,  und  des- 
halb leichter  in  grösseren  Stücken  abzulösen  als  in  den  Arterien; 
allein  die  Ringfaserhaut  ist  viel  dünner,  und  überwiegend  aus  Binde- 
gewebsfasern zusammengesetzt,  welchen  glatte  Muskelfasern  in  ver- 
hältnissmässig  geringer  Menge  beigemischt  sind.  Die  elastische  Haut 
der  Arterien  kommt  den  Venen  gleichfalls,  nur  mit  sehr  unter- 
geordneter Entwicklungsstärke,  zu.  Alle  besitzen  die  äussere  oder 
Zellhaut.  In  wiefern  einzelne  Venen  besondere  Modificationen  ihres 
Baues  darbieten,  ist  nur  bei  einigen  untersucht.  So  besitzen  die 
Stämme  der  Hohl-  und  Lungenvenen  eine  sehr  ansehnliche  Cirkel- 
schichte  animaler,  quergestreifter  Miujkelfasem,  welche  eine  Fort- 
setzimg der  Muskelschichtc  der  Vorkammern  des  Herzens  ist,  und 
an  den  Venen  des  Schwangeren  Uterus  werden  in  allen  Schichten 
derselben  (mit  Ausnahme  des  Epithels)  mehr  weniger  entwickelte 
Muskelfasern  gesehen.  In  den  Venen  des  Gehirns,  der  harten  Hirn- 
haut, in  den  Knochenvenen,  und  in  den  Venen  der  Schwellkörper, 
fehlen  die  Muskelfasern.  In  der  Pfortader  und  Milzvene  dagegen 
sind  sie  sehr  reichlich  vertreten. 

Die  geringe  Dicke  der  Venenwandungen  und  ihr  minderer  filasticitätitgrad 
bedingt  das  Zusammenfallen  durchschnittener  Venen.  Die  Dicke  einer '  Arterien- 
wand  beträgt  gewöhnlich  das  Drei-  bis  Vierfache  einer  gleich  grossen  Vene.  Die 
Schwäche  der  elastischen  Haut  erlaubt  den  Venen  nur  einen  sehr  geringen  Grad 
von  Zurückziehung,  wenn  sie  zerschnitten  werden. 


§.  53.    Yeflaaft-  nnd  Ver&stinngsgesetze  der  Venen.  139 

In  vielen  Venen  der  Gliedmassen,  und  im  Verlaufe  der  Haupt- 
stämme der  Körpervenen,  finden  sich  Klappen,  Valvulae^  welche 
man  sich  durch  Faltung  der  inneren  Venenhaut  entstanden  denkt, 
Sie  stehen  entweder  einfach  am  Einmündungswinkel  eines  Astes 
in  den  Stamm,  oder  paarig  (selten  dreifach)  im  Verlaufe  eines 
Stammes,  werden  daher. in  Astklappen  und  Stammklappen  ein- 
getheilt,  und  sind  so  gerichtet,  dass  ihr  freier  Rand  gegen  das  Herz 
sieht.  Sie  beschränken  somit  die  centripetale  Bewegung  der  Blutr 
Säule  nicht,  und  treten  erst  in  Wirksamkeit,  wenn  das  Blut  eine 
retrograde  Bewegung  machen  wollte.  Es  lassen  sich  deshalb  klap- 
penhaltige  Venen  vom  Stamm  gegen  die  Aeste  nicht  injiciren.  In 
Venen  von  7«'"  Durchmesser  kommen  sie  schon  vor,  fehlen  jedoch 
,  allen  Capillarvenen.  Ai;ich  in  gewissen  grösseren  Venenstämmen 
fehlen  sie  constant,  wie  an  der  Pfortader,  der  Nabelvene,  den  Ge- 
hirn- und  Lungenvenen,  und  allen  Venenverzweigungen,  welche  das 
Parenchym  der  Organe  bilden  helfen.  Jener  Theil  der  Venenwand, 
welcher  von  der  anliegenden  Klappe  bedeckt  wird,  ist  durchgehends 
etwas  ausgebuchtet,  wodurch  gefüllte  Venen  knotig  erscheinen,  und 
die  gleichförmige  cylindrische  Rundung,  wie  sie  den  Arterien  zu- 
kommt, an  ihnen  verloren  geht. 

Man  findet  die  Klappen  häufig  dicker  als  die  übrige  Venenwand,  und 
untersucht  man  ihren  Bau,  so  stösst  man  unter  dem  einschichtigen  Epithel  auf 
eine  aus  elastischen  und  Bindegewebsfasern  bqitehende  Schichte.  Gegen  den 
freien  Rand  der  Klappe  ku  bilden  die  Bindegewebsfasern  dickere  Bündel,  welche 
dem  Klappenrande  parallel  laufen. 


§.  53.  Verlaufs-  und  Verästiungsgesetze  der  Venen. 

Verlauf  und  Verzweigung  der  Venen  richtet  sich  nach  folgen- 
den Gesetzen: 

1.  Die  Verbreitung  der  Venen  und  ihre  Verästlung  stimmt 
mit  jener  der  Arterien  nicht  genau  überein.  Es  lassen  sich  folgende 
Unterschiede  namhaft  machen : 

OL.  An  den  Gliedmassen  treten  eigene  oberflächliche  oder 
Httutvenen,  Veiiae  subcutaneaey  auf,  welche  extra  fasciam  ver- 
laufen, und  von  keinen  Arterien  begleitet  werden;  nur  die 
tiefliegenden  Venen  folgen  ihren  gleichnamigen  Arterien,  und 
heissen  deshalb  Comites  oder  SatelUtetf  arteriarum. 

ß.  Die  Venen  des  Halses,  Kopfes  und  Gehirns,  haben  andere 
Verästlungsnormen  als  die  entsprechenden  Arterien. 

Y-  Die  grossen  Stämme  der  oberen  imd  unteren  Hohlvene,  das 
Pfortader-  und  Lungenvenensystem,  die  Herzvenen,  begleiten 
nur  streckenweise  ihre  gleichnamigen  Arterien. 


140  §•  &3*    Yerlaafb«  und  yer&sUangsgeseise  der  Venen. 

S.   Das  System    der    Vena  azygos  und  die   Vena^  diploeticae  haben 
im  arteriellen  System  keine  Analogie. 

2.  An  den  Extremitäten^  in  der  harten  Hirnhaut,  und  in  der 
Gallenblase  begleiten  immer  zwei  Venen  eine  Arterie.  An  anderen 
Stellen  bleiben  die  Venen  einfach,  werden  sogar  in  der  Rttöken- 
furche  des  männlichen  Gliedes,  und  im  Nabelstrange,  von  doppelten 
Arterien  begleitet.  Nimmt  man  nun  zugleich  darauf  Rücksicht,  dass 
das  Volumen  einer  Vene  immer  grösser  als  jenes  der  begleitenden 
Arterie  ist,  so  wird  die  Capacität  des  Venensystems  jene  des  Ar- 
teriensystems nothwendig  übertreflFen  müssen.  Nach  Haller  verhalten 
sie  sich  wie  9:4,  nach  Borelli  wie  4:1.  Die  Duplicität  der 
Venen  beginnt  an  der  oberen  Extremität  schon  unter  der  Mitte 
des  Oberarms;  —  an  der  unteren  Extremität  aber  erst  unterhalb 
der  Ejiiekehle. 

3.  Anastomosen  kommen  im  Venensystem  häufiger  und  schon 
zwischen  den  grösseren  Stämmen  vor.  Ausnahmslos  anastomosiren 
die  hoch-  und  tiefliegenden  Venen  der  Gliedmassen  mit  einander. 
Die  Anastomosen  spielen  überhaupt  im  Venensystem  eine  so  wich- 
tige Rolle,  dass  selbst  bei  vollkommener  Obliteration  einer  der  bei- 
den Hohlvenen,  das  Blut  derselben  durch  Zweigbahnen  in  die  andere 
gelangen  kann. 

4.  Treten  mehrere  und  zugleich  gewundene  Venen  durch  zahl- 
reiche Anastomosen  in  Verbindung,  so  entstehen  die  Venenge- 
flechte, Plexus  venosi.  Sie  sind  um  gewisse  Organe  (Blasenhals, 
Prostata,  Mastdarm,  etc.)  sehr  dicht  genetzt,  und  engmaschig.  Ihre 
höchste  Entwicklung  erreichen  sie  in  den  Schwellkörpern,  welche 
in  der  That  nichts  Anderes  sind,  als  von  fibrösen  und  muskulösen 
Balken  gestützte,  und  von  fibrösen  Häuten  umschlossene  Pleoims 
venosi.  An  Stellen,  wo  die  Arterien  geschlängelt  verlaufen,  bleiben 
die  Venen  mehr  gestreckt,  z.  B.  im  Gesicht. 

5.  Das  Kaliber  einer  Vene  nimmt  nicht  nach  Massgabe  der 
Aufnahme  von  Aesten  zu.  Häufig  wird  auch  eine  Vene  plötzlich 
weiter,  um  sich  gleich  wieder  zu  verengem  (constant  als  soge- 
nannter oberer  und  unterer  Bulbus  an  der  Vena  jugularis  com- 
munis)'^  auch  ist  die  Inselbildung  viel  häufiger  als  an  den  Arterien. 

6.  Die  Varietäten  der  Venen  verhalten  sich  zu  jenen  der  Ar- 
terien so,  dass  in  gewissen  Bezirken  die  Venen,  in  anderen  die 
Arterien  häufiger  anomal  verlaufen  oder  sich  verzweigen,  und  eine 
Arterienvarietät  keine  entsprechende  Abweichung  ihrer  Vene  be- 
dingt. Dieses  gilt  auch  umgekehrt.  Venen,  denen  keine  Arterien 
correspondiren,  wie  die  Subcutanvenen,  die  Azygos  und  Hemiazygos, 
variiren  häufiger  als  die  übrigen. 


§.  54.   Physiologische  Eigenschaften  der  Venen.  141 


§.   54.  Physiologische  Eigenschaften  der  Venen. 

Schon  der  Umstand^  dass  die  häutigste  und  älteste  aller  chi- 
rurgischen Operationen,  der  Aderlass,  (sie  wurde  zuerst  von  den 
trojanischen  Helden  Chiron  und  Melampus  an  einer  cretensischen 
Königstochter  gemacht,  und  mit  der  Hand  der  geheilten  hohen 
Patientin  honorirt)  an  einer  Vene  verrichtet  wird,  macht  die  Lebens- 
eigenschaften der  Venen  dem  Arzte  wichtig. 

Die  physische  Ausdehnbarkeit  der  Venen  ist  grösser,  die 
lebendige  Contractilität  derselben  kleiner  als  in  den  Arterien. 
Aus  diesem  Grunde  sind  die  Volumsänderungen  einer  Vene  durch 
Stockungen  des  venösen  Kreislaufes,  oder  durch  stärkeren  Blut- 
antrieb von  den  Arterien  her,  auffallender  als  •  an  den  Arterien, 
wie  an  den  Venen  des  Halses  bei  stürmisch  aufgeregter  Respiration, 
oder  bei  Anstrengungen,  beobachtet  wird.  Die  Contractilität  der 
Venen  reagirt  auf  äussere  Reize  nicht  so  auffallend,  wie  jene  der 
Arterien.  Mechanische  Reizung  imd  Galvanismus  bedingen  zwar 
nach  den  Beobachtungen  von  Tiedemanri  und  Bruns  Verenge- 
rungen der  Venen,  und  der  Einfluss  der  Kälte  auf  das  Abfallen 
strotzender  Hautvenen  wird  durch  die  tägliche  ärztliche  Erfahrung 
nachgewiesen.  Allein  die  auf  diese  Weise  erhaltenen  Zusammen- 
ziehungen erfolgen  träger,  und  erreichen  nie  jenen  Grad,  wie  er 
bei  Arterien  vorkommt,  wo  die  Contraction  das  GefSsslumen  ganz 
aufzuheben  (Hunter,  Hewson),  oder  doch  bis  auf  ein  Drittel  zu 
vermindern  vermag  (Schwann,  Parry,  Fowler).  Kölliker*s 
Reizungs versuche  an  der  Vena  saphena  major  et  minore  und  tibialis 
postica  frisch  amputirter  Gliedmassen,  haben  die  Zusammenziehungs- 
fUhigkcit  dieser  Venen  unbezweifelbar  festgestellt.  An  den  Hohl- 
venen imd  Lungenvenen,  in  welche  sich,  wie  fiüher  bemerkt,  die 
Muskelschichte  der  Herzvorkammem  fortsetzt,  sind  auch  selbstthätige, 
rhythmische  Contractionen  schon  seit  Ha  11  er  bekannt,  und  bei  kalt- 
blütigen Thieren  (Fröschen)  sehr  leicht  zu  beobachten. 

Man  hat  den  mechanischen  Nutzen  der  Venenklappen  früher 
darin  gesucht,  dass  sie  in  Venenj  in  welchen  das  Blut  gegen  seine 
Schwere  strömt,  wie  an  den  imteren  Extremitäten,  der  Blutsäule 
als  Stützen  dienen  sollen,  um  ihr  Rückgängigwerden  zu  verhindern. 
Da  jedoch  nicht  alle  Venen,  in  welchen  das  Blut  gegen  seine 
Schwere  aufsteigt,  Klappen  haben,  z.  B.  die  Pfortader,  und  da 
andere  Venen,  in  welchen  die  Richtung  des  Blutstromes  mit  der 
Gravitationsrichtung  übereinstimmt,  Klappen  besitzen,  z.  B.  die 
Gesichts-  und  Halsvenen,  so  kann  die  Schwerkraft^  allein  das  Vor- 
kommen der  Klappen  nicht  erklären.  Es  ist  vielmehr  der  Druck, 
welchen  die  dünne  Venenwand  von  ihrer  Umgebung^  und  nament- 


142  §•  ^'   Praktische  Anwendangen. 

lieh  von  den  Muskeln,  auszuhalten  hat,  das  einzige  haltbare  Er- 
klärungsmoment der  Klappenbildung.  Die  Blutsäule  einer  durch 
die  angrenzenden  Muskeln  comprimirten  Vene,  sucht  nach  zwei 
Richtungen  auszuweichen,  centripetal  und  centrifugal.  Dem  Aus- 
weichen in  centripetaler  Richtung  steht  nichts  entgegen,  da  das 
Venenblut  in  dieser  Richtung  überhaupt  zu  strömen  hat.  In  centri- 
fugaler  Richtung  ausweichend,  würde  das  Blut  mit  dem  in  centri- 
petaler Richtung  heranströmenden  in  Conflict  gerathen,  und  eine 
Stauung  hervorgerufen  werden.  Diese  centrifugale  Richtung  der 
venösen  Blutsäule,  und  die  durch  sie  veranlasste  Stauung  wird 
durch  die  Klappen  verhütet,  welche  sich  vor  der  centrifugalen  Blut- 
säule wie  zwei  Fallthüren  schliessen,  und  das  Venenlumen  absperren. 
Da  nun  aber  dieser  Absperrung  wegen  auch  die  Bewegung  der 
centripetal  strömenden  Blutsäule  coupirt  wäre,  so  ergiebt  sich  von 
selbst  die  Nothwendigkeit,  dass  alle  tiefliegenden,  dem  Muskel- 
drucke ausgesetzten  Venen  durch  Abzugskanäle  mit  den  oberfläch- 
lichen, ext^-a  fascutm,  und  somit  ausser  dem  drückenden  Bereiche 
der  Muskeln  gelegenen  Venen  in  Verbindung  stehen.  Gesunde 
Klappen  schliessen  auch  in  den  meisten  Venen  wirklich  so  genau, 
dass  der  Rückfluss  des  Blutes  unmöglich  wird,  und  somit  der  Mus- 
keldruck zugleich,  wegen  Bethätigung  der  centripetalen  Blutströ- 
mung, als  bewegende  Kraft  in  der  Theorie  des  Kreislaufes  in  An- 
schlag zu  bringen  ist.  Aus  dem  Gesagten  lässt  sich  das  anatomische 
Factum  erklären,  dass  nur  die  tiefliegenden,  dem  Muskeldrucke 
ausgesetzten  Venen,  vollkommen  schliessende  Klappenpaare  be- 
sitzen. —  Was  hier  Gesagte  gilt  auch  von  den  Klappen  der  Lymph- 
und  Chylusgefässe  (§.  o<)). 


§.  55.   Praktische  Anwendungen. 

Wunden  der  Venen,  welche  dem  chirurgischen  Verbände  oder 
den  Compressionsmitteln  zugänglich  sind,  heilen  schnell  und  leicht. 
Die  Heilung  der  Aderlasswunden  dient  als  Jieleg.  Durchschnittene 
Venen  bluten  nur  aus  dem  vom  Herzen  entfernteren  Schnittende. 
Wird  jedoch  eine  Vene,  in  welcher  das  Blut  gegen  seine  Schwere 
fliesst,  und  die  zugleich  abnormer  Weise  einen  insufticienten  Klap- 
])enversclilu8s  besitzt,  entzweit,  so  kann  sich  Blutung  auch  aus  dem 
oberen  Stücke  der  Vene  einstellen.  Bei  Amputationen  im  oberen 
Drittel  des  Oberschenkels,  wo  die  Vena  cruralis  den  angegebenen 
ModaUtäten  unterliegt,  und  nur  niedrige  oder  keine  Klappen  besitzt, 
kommt  sie  öfters  vor,  und  erfordert  sogar,  wo  sie  gefahrdrohend 
wird,   die   Unterbindung   der  Vene.     Jene  Venen,   deren  Wand   mit 


§.  55.    Praktische  Anwendungen.  143 

benachbarten  Gebilden  verwachsen  ist  (Knochen-,  Leber-,  Schwell- 
körpervenen, u.  a.  m.),  werden,  wenn  sie  verwundet  wurden,  weder 
zusammenfallen,  noch  sich  selbstthätig  contrahiren,  woraus  die  Ge- 
fährlichkeit der  Verwundungen  solcher  Organe,  und  die  Schwierig- 
keit der  Blutstillung  sich  ergiebt. 

Die  häufigen  Anastomosen  hoch-  und  tiefliegender  Venen  unter 
einander  werden  bei  Verengerungen,  Verwachsungen,  und  Com- 
pressionen  einzelner  Venen  durch  krankhafte  Geschwülste  oder 
physiologischen  Muskeldruck,  dem  Venenkreislaufe  eine  Menge  von 
Nebenschleussen  öffiien,  durch  welche  dem  Stocken  vorgebeugt,  und 
der  Rückfluss  zum  Herzen  auf  anderen  Wegen  eingeleitet  wird. 
Nur  werden  sich  solche  Aushilfskanäle  der  Grösse  des  übertragenen 
Geschäftes  entsprechend  ausdehnen  müssen,  und  da  in  der  Regel 
die  tiefliegenden  Venen  das  Hemmniss  erfahren,  so  werden  die 
hochliegenden  vorzugsweise  die  Ausdehnung  ,zu  erleiden  haben. 
Die  Richtigkeit  dieser  Ansicht  wird  durch  die  bisher  übersehene 
Einrichtung  der  Klappen  an  den  Communicationsvenen  bewährt, 
indem  die,  an  der  Abgangsstelle  einer  Verbindungsvene  aus  einer 
tiefliegenden  befindliche  Klappe  niemals  genau  schliesst,  und  häufig, 
wie  im  Ellbogenbug,  vollkommen  fehlt,  dagegen  an  der  Insertions- 
öffuung  in  die  hochliegcnde  Vene  ganz  genau  deckt.  Ausdehnungen 
subcutaner  Venen  sind  somit  für  den  denkenden  Arzt  ein  Fingerzeig 
auf  Verengerungen  oder  Vcrschliessungen  tiefer  gelegener  Venen- 
stämme. 

Krankhafte  Erweiterungen  (Varices)  kommen  in  solchen  Venen 
häufig  vor,  in  welchen  der  Seitendruck  der  Blutsäule  ein  grosser 
ist,  und  durch  den  Druck  der  Umgebung  nicht  aufgewogen  wird, 
also  in  hochliegenden  Venen,  in  welchen  das  Blut  gegen  die  Schwere 
strömt,  und  in  den  vom  Herzen  entfernteren  Abschnitten  längerer 
Venen  häufiger  als  in  kürzeren.  Sie  sind  entweder  einfache  sack- 
artige Ausdehnungen  einer  bestimmten  Stelle  der  Venenwand,  oder 
befallen  einen  längeren  oder  kürzeren  Abschnitt  eines  Venenrohrs 
als  Ganzes.  Die  Vergrr»aserung  des  Lumens  ist  sehr  häufig  auch 
mit  einer  Zunahme  der  Länge  der  Vene  verbunden,  welche  sich 
durch  Schlängelung,  ja  sogar  Aufknäuehmg,  besondei^s  an  den  sub- 
cutanen Venen  der  unteren  Extremität  bei  den  sogenannten  Krampf- 
adern ausspricht.  Vielleicht  erklärt  die  alternirende  Stellung  der 
Astklappen,  welche  der  Ausdehnung  weniger  Folge  leisten,  als  die 
den  Klappen  gegenüberliegenden  Wände  einer  Vene,  die  geschlän- 
gelten Krümmungen  einer  varikösen  Vene. 

Da  die  Entzündung  der  Venen  {Phlebitis)  durch  ihre  in  die 
Wand  der  Venen  abgelagerten  Producte  das  vitale  Contractions- 
vermögen  derselben  eben  so  beeinträchtigt,  wie  in  den  Arterien, 
80    darf   es    nicht  wundem,   Varices    in   Folge    von    Entzttnduttflff^ 


144  §•  ^-    Lymph-  nnd  ChylnsgefEsne.    Anatomische  Eif^nschaften  denielben. 

Processen  entstehen  zu  sehen,  ohne  jedoch  in  der  Entzündung  das 
einzige  veranlassende  Moment  derselben  zu  suchen.  Die  durch 
die  Entzündung  bedingte  Verdickung  der  Venenwand  giebt  zugleich 
die  Ursache  ab,  warum  solche  Venen  für  Arterien  imponiren  können, 
und  nicht  zusammenfallen,  wenn  sie  durchschnitten  werden.  Bluten 
überdies  solche  durchschnittene  Venen  noch,  so  ist  die  Täuschung 
noch  leichter  möglich.  Sehr  achtbare  Chirurgen  gestehen,  derlei 
MissgrifFe  gemacht,  und  bei  Amputationen  Venen  statt  Arterien 
unterbunden  zu  haben.  —  Die  Entzündung  der  Venen,  und  die 
mit  ihr  auftretende,  vielleicht  durch  sie  bedingte  eiterige  Blutent- 
mischimg {Pyaemia),  ist  die  gewöhnliche  Ursache  des  tödtlichen 
Ausganges  von  Verwundungen  und  operativen  EingriflFen.  Wie  sehr 
diese  Krankheit  von  den  Chirurgen  gefürchtet  ist,  mag  der  Ausspruch 
eines  der  grössten  englischen  Wundärzte  beweisen  (A.  Cooper), 
der  in  seinen  Vorträgen  über  die  Phlebitis  die  Worte  aussprach: 
er  wolle  sich  lieber  die  Cruralschlagader  als  die  Saphenvene  unter- 
binden lassen.  Wer  beide  GefHsse  kennt,  wird  es  fühlen,  welche 
Tragweite  diese  Auesserung  hat. 


§.  56.  Lymph-  und  Gliylusgefässe.  Anatomische  Eigenschaften 

derselben. 

Das  Lymphgefäss-  oder  Saugadersystem  ist  kein  selbst- 
ständiges Gefässsystem,  sondern  ein  Anhang  des  Venensystems, 
indem  die  Hauptstämmc  des  Lymphgefässsystems  in  Venenstämme 
einmünden.  Es  besteht  1.  aus  eigentlichen  Ly mphgcfässen, 
welche  die  unverbrauchten  Ernährungsflüssigkeiten,  mit  Zersetzungs- 
producten  der  Gewebe,  aus  den  Organen  zurückführen,  und  2.  aus 
Chylusge fassen,  welche  das  nahrhafte  Product  der  Verdauung: 
den  Milchsaft,  Chylus,  aus  dem  Darmkanale  aufnehmen,  und 
den  eigentlichen  Lymphgefässen  übermitteln. 

Die  Structur  der  grösseren  Lymphgefässe  stimmt  mit  jener 
der  Venen  in  vielen  Punkten  tiberein.  Die  Wände  der  Lymphgefässe 
sind  im  Allgemeinen  dünner,  als  jene  von  gleich  starken  Venen, 
aber  fester,  und,  wie  es  scheint,  auch  ausdehnbarer.  Sie  besitzen 
das  einfache  Plattenepithelium  und  die  Längsfaserhaut  der  Venen 
und  Arterien.  Die  spindelförmigen,  durch  geschlängelte  Linien  von 
einander  abgemarkten  Zellen  des  inneren  Epithels,  sind  aber  besser 
entwickelt,  als  in  den  Blutgefässen,  und  werden  in  den  kleineren 
Lymphgefillssen  so  voll  und  hoch,  dass  sie  das  Lumen  derselben 
erheblich  kleiner  erscheinen  lassen,  als  es  nach  dem  äusseren  Um- 
fang dieser  Gefässe    zu   vermuthen   wäre.     Die  Ringfaserhaut   der 


f.  66.  Lymph-  und  Ghylasge^se.  Anatomische  Eigenuchaflen  derselben.  145 

Lymphgefässe    führt    deutliche    Bündel    organischer    Muskelfasern^ 
welche   besonders   im  Hauptstamme    des    Lymphgefässsystems  ^   im 
Ductus  ihorcuncusy  hervortreten.     Ihre   elastische   Haut  und  äussere  * 
Bindegewebshaut  stimmt  mit  jener  der  Venen  vollkommen  überein. 

Alle  grösseren  Lymphgefässe  sind  mit  Klappen  versehen, 
welche,  wie  in  den  Venen,  in  einfache  Ast-  und  paarige  Stamm- 
klappen eingetheilt  werden.  Ueber  einem  Elappenpaare  ist  das 
Kaliber  des  Gefässes  nach  zwei  Seiten  ausgebaucht,  weshalb  in  den 
älteren  Abbildungen  die  Lymphgefässe  als  Schnüre  herzförmiger 
Erweiterungen  dargestellt  erscheinen.  Die  feinsten  Lymphgefilsse 
haben  ganz  bestimmt  keine  Klappen,  und  in  gewissen  Verzwei- 
gungen grösserer  Gefässe  dieser  Art,  wie  in  der  Leber,  werden  die 
Klappenpaare  durch  ringförmige  Faltenvorsprünge  ersetzt  (Lauth). 
Die  Klappen  (oder  ihre  stellvertretenden  Ringe)  sind  jedoch  keines- 
wegs in  dem  Grade  sufficient,  dass  sie  die  künstliche  Füllung  der 
feineren  Lymphgefilssverästlungen  vom  Stamme  gegen  die  Aeste  un- 
bedingt zu  verhindern  vermöchten.  Jeder  praktische  Anatom,  welcher 
sich  mit  der  mühevollen  Arbeit  der  Lymphgefäss-Injection  beschäftigt 
hat,  wird  mir  hierin  aus  eigener  Erfahrung  beipflichten.  Die  Ent- 
fernung der  auf  einander  folgenden  Klappen  Eines  Gefilsses  variirt 
von  1'"— 6'". 

Die  Lymphgefässe  entspringen  in  den  Membranen  und  Paren- 
chymen  aus  geschlossenen,  vom  Capillargefässsystem  vollkommen 
unabhängigen  Netzen  (Lymphcapillaren).  Diese  Capillametze  sind 
durch  mehr  weniger  zahlreiche,  von  Stelle  zu  Stelle  vorkommende, 
sternförmige  Ausweitungen  charakterisirt,  deren  Ausläufer  eben  das 
Capillametz  bilden.  Teichmann  erklärt  diese  Ausweitungen  flir 
Zellen,  und  benennt  sie  auch  als  Saugaderzellen,  da  er  an 
einigen  derselben  einen  in  ihre  Wand  eingelassenen  ovalen  Kern 
mit  Bestimmtheit  erkannte.  Die  Lymphcapillaren  selbst  verlieren 
durch  Einschnürungen  und  Erweiterungen  jene  gleichförmige  Röh- 
renform, welche  den  Blutcapillaren  zukommt.  Wo  die  Lymphcapil- 
laren zu  grösseren  Stämmen  zusammentreten,  beginnt  in  letzteren 
die  Klappenbildung.  Die  Klappen  bezeichnen  somit  die  anato- 
mische Grenze  des  capillaren  Bereiches  der  Lymphgefösse.  — 
In  den  zottenförmigen  Verlängerungen  der  Darmschleimhaut  habe 
ich  bei  Reptilien  schlingenförmige  Ursprünge  der  Chylusgefässe 
gefüllt.  Prof.  Teichmann,  dessen  Geschicklichkeit  in  der  Füllung 
feinster  Lymphgefilsse  die  höchste  Bewunderung  verdient,  hat  ge- 
leistet, was  mir  unerreichbar  schien,  indem  er  ganze  Bündel  von 
Ursprungsschhngen  in  den  Parmzotten  von  Menschen  und  Säuge- 
thieren  mit  erstarrenden  Massen  füllte.  Während  Teichmann  den 
Anfängen  der  Lymphgeftlsse  besondere,  aber  sehr  feine  und  struc- 
turlose  Wandungen   zuschreibt,  werden  diese  von  Frey,  Hiß  und 

HyrtI,  Lehrbnch  der  Anatomie.  10 


146  §•  M<   Lymph-  und  ChylnsgefEsae.  Anatomische  BiKensohaften  deraelben. 

vielen  anderen,  mit  der  Anatomie  der  Lymphge&sse  wohlvertrauten 
Männern  geläugnet,  und  die  Ansicht  vertheidigt,  dass  die  Lymph- 
gefkssanfänge  bis  zu  einem  Durchmesser  0,08'",  wandungslose,  in 
das  Bindegewebe  eingegrabene,  d.  h.  nur  von  ihm  begrenzte  Kanäle 
und  Lücken  sind  (daher-ihre  gebräuchliche  Bezeichnung  als  Lymph- 
bahnen), denen  jedoch  von  Recklinghausen  ein  besonderes 
Epithel  zugestanden  wird,  welches  denn  auch  Eberth  und  Auer- 
bach als  Wand  ihrer  Lymphcapillaren  angesehen  wissen  wollen 
und  dadurch  die  bauliche  Uebereinstimmung  der  Lymph-  und  Blut- 
capillaren  begründen.  Es  scheint  mir  unmöglich,  dass  Lymphgefäss- 
anfiüige,  von  solcher  Regelmässigkeit  ihrer  netzförmigen  oder  scldin- 
genförmigen  Verbindungen,  wie  sie  in  der  Schleimhaut  der  Trachea, 
im  Gewebe  der  Cutis,  in  den  Darmzotten,  u.  n.  a.  durch  Injection 
zur  Anschauung  kommt,  wandlos  seien,  indem  in  diesem  Falle  jeder 
Versuch,  sie  mit  Massen  zu  fUllen,  keine  anderen  Residtate,  als 
Extravasate  aller  Art,  liefern  könnte.  Ich  bin  deshalb  der  Meinung, 
dass  die  Lymphgefässursprünge  in  den  Parenchymen  drüsiger  Or- 
gane, wohl  wandlos  sein  mögen,  in  allen  Membranen  dagegen  mit 
structurloser  Wand  versehen  sind. 

Die  Ursprünge  der  Lymphgefksse  in  den  parenchymatösen 
Organen  (Drüsen,  Muskeln)  sind  viel  schwerer  durch  künstliche 
Füllung  auszumitteln,  als  in  den  Membranen,  und  deshalb  die  An- 
gaben über  sie  noch  bunter,  widersprechender.  Die  technisch-ana- 
tomische Behandlung  der  Lymphgefässe  zählt  überhaupt  zu  den 
schwierigsten  Aufgaben  der  praktischen  Anatomie.  Sie  erfordert 
mehr  Zeit,  Geduld  imd  Geschicklichkeit,  als  irgend  eine  andere 
anatomische  Hantierung.  Danmi  mögen  in  dieser  Frage  nur  Be- 
rufene mitreden. 

In  der  neuesten  Zeit  wurde  von  mehreren  Seiten  (His,  Robin, 
Mai,  Gillavry)  die  sehr  interessante  Beobachtung  gemacht,  dass, 
wie  bei  den  Reptilien  viele  grosse  Blutgefässstämme  innerhalb  der 
grossen  Lymphbehälter  liegen,  so  auch  bei  den  warmblütigen  Thieren, 
und  selbst  im  Menschen,  in  gewissen  Organen  die  capillaren  Blut- 
gefässe, innerhalb  der  Anfänge  der  Lymphgefässe  lagern,  und  somit 
ringsum  von  der  Lymphe  umspült  werden. 

Im  Gehimmarke,  in  der  Medvlla  ossiumy  im  Auge  (mit  Aus- 
nahme der  Netzhaut),  im  inneren  Gehörorgan,  in  der  Placenta,  und 
in  den  Eihäuten  des  Embryo,  konnten  bis  jetzt  selbst  gröbere 
LymphgefUsse  noch  nicht  aufgefunden  werden. 

Die  Chylasgeßlsse,  welche  sich  nar  durch  ihren  Inhalt,  nicht  durch  ihren 
Bau  von  den  Lymphgefäasen  unterscheiden,  lassen  sich  bei  Thieren,  die  man 
kurz  nach  der  Verdauung  schlachtet,  in  ihrer  natürlichen  Füllung  durch  den 
milchweisen  Speisenextract  des  Chylus,  sehr  gut  beobachten.  Der  überraschend 
schöne  Anblick  derselben,  obgleich  von  kurzer  Dauer,  entschuldigt  den  poetischen 
Erfinder  der  „Wurzeln  des  Thieres.'' 


§.   57.   YerUafiigeseUe  der  Ljmpb-  und  Chyluttgefässe.  147 


§.  57.   Verlaufsgesetze  der  Lymph-  und  Chylusgefässe. 

Folgende  allgemeine  Gesetze  gelten  fiir  den  Verlauf  der  Lymph- 
und  Chylusgefässe: 

1.  Der  Durchmesser  der  Lymphgefässe  bietet  nicht  die  grossen 
Differenzen  von  Weite  und  Enge  dar,  wie  die  Blutgefässe,  d.  h.  die 
kleinsten  Lymphgefässe  sind  bedeutend  stärker  als  die  kleinsten 
Blutgefässe,  die  Hauptstänune  der  Lymphgefösse  dagegen  {Ductus 
thoracicus)  vielmal  schwächer  als  die  Hauptstämme  des  Blutgefäss- 
Systems  (A(yi*ta,   Venae  cavae), 

2.  Die  freien,  d.  h.  nicht  mehr  an  bestimmte  Organe  gebun- 
denen Lymphgefässe,  begleiten  die  grösseren  Blutgefässe,  an  welchen 
sie  sich  wohl  auch  zu  Netzen  verketten,  oder  zu  Convoluten  ver- 
schlingen. Sie  halten  sich,  wie  Teichmann  gezeigt  hat,  mehr  an 
die  Arterien,  als  an  die  Venen,  und  an  letztere  nur  dann,  wenn 
diese,  wie  es  bei  den  subcutanen  Venen  der  Fall  ist,  nicht  von 
Arterien  begleitet  werden.  Sie^  lassen  sich,  je  nachdem  sie  inner- 
halb oder  ausserhalb  der  Fascie  einer  GUedmasse  verlaufen,  in 
hoch-  oder  tiefliegende  eintheilen.  Beide  verfolgen  mehr  weniger 
geradlinige  Bahnen.  Nur  der  Jlauptstamm  des  Systems,  der  Ductus 
ihoracicus,  bildet  vor  seiner  Einmündung  in  die  Vbtui  innominata 
sinistra  einen  stärkeren,  nach  oben  convexen  Bogen. 

3.  Sie  durchlaufen  oft  lange  Strecken,  ohne  Aeste  aufzuneh- 
men, theilen  sich  aber  öfter  in  Zweige,  um  sich  wieder  zu  Einem 
Stämmchen  zu  vereinigen.  An  einem  Präparate  unserer  Sammlung 
ist  der  Stamm  des  Ductus  ihoracicus  in  eine  Unzahl  inselbildender 
Gänge  zerfallen.  Dadurch  kommen  einfache  und  zusammenge- 
setzte Wundernetze  zu  Stande. 

4.  An  gewissen,  und  immer  an  denselben  Stellen  des  Körpers, 
welche  gewöhnlich  grössere  Bindegewebslager  enthalten  (Beuge- 
seiten der  Gelenke,  Zwischenmuskelräume,  etc.),  äussern  die  Lymph- 
gefUßse  ein  Bestreben,  sich  durch  Reduction  ihrer  Zahl  zu  ver- 
einfachen. Mehrere  derselben  treten  nämlich  in  eine  sogenannte 
Lymphdrüse,  Glandula  lymphatica,  ein,  um  in  geringerer  Anzahl 
wieder  aus  derselben  herauszukommen  {Vasa  affei^entia  und  efferen- 
tia).  Li  der  Regel  finden  sich  mehrere  Lymphdrüsen  in  demselben 
Bindegewebslager  zusammen.  Die  Gestalt  der  Drüsen  ist  meist 
oval,  ihre  Grösse  bis  1"  im  längsten  Durchmesser.  Je  weiter  vom 
Mittelpunkte  des  Leibes  entfernt,  desto  kleiner  sind  sie,  je  näher 
demselben,  desto  grösser.  Die  aus  einer  Drüse  heraustretenden 
Lymphgefässe  suchen  eine  entlegenere  zweite,  dritte,  vierte  auf, 
bevor  sie  in  den  Hauptlymphstamm  übergehen.  Ueber  den  Bau  der 

Lymphdrüsen  handelt  der  nächste  Paragraph. 

10» 


148  %'  ^'   B*^  ^^'  Ljmpbdrflsen. 

Während  den  Blutgefässen  ihr  Verlauf  so  leicht  und  kurz  als  mt^glich 
gemacht  wurde,  scheint  die  Natur,  durch  Anbringen  der  zahlreichen  Lymphdrüsen, 
mit  den  Ljmphgefässen  die  entgegengesetzte  Absicht  zu  verfolgen,  und  die  Lymphe 
auf  Umwegen  so  langsam  als  möglich  dem  Blute  zuströmen  zu  lassen. 


§.  58.  Bau  der  Lymphdrüsen. 

Ueber  kein  Organ  des  menschlichen  Körpers  wurde  in  so 
kurzer  Zeit  so  Vieles  und  so  Verschiedenartiges  zusammengeschrie- 
ben, wie  über  die  Lymphdrüsen. 

Man  huldigte  lange  Zeit  der  Ansicht  Hewson's,  dass  die  ein- 
tretenden Gefässe  einer  Lymphdrüse  sich  in  ihr  in  Netze  auflösen, 
welche  den  austretenden  ihren  Ursprung  geben.  Das  Lymphgefäss- 
netz  einer  Lymphdrüse  wurde  demnach  als  Wundemetz  aufgefasst, 
welches,  umsponnen  von  den  Capillargefässen  der  Drüse,  auf  die 
in  ihm  enthaltene  Lymphe  eine  veredelnde  Wirkung  äussern  sollte 
(Assimilation).  Von  dieser  sehr  einfachen  Vorstellung  ist  man  aber 
schon  längere  Zeit  zurückgekommen,  und  bekennt  sich  gegenwärtig 
über  den  Bau  der  Lymphdrtlsen  zu  folgendem  Credo,  welches  na- 
türlich auch  seine  Ketzer  und  Sectirer  zählt.  Man  muss  von  guten 
Eltern  sein,  um  es  mit  Keinem  zu  verderben. 

Wie  sich  an  Durchschnitten  von  Lymphdrüsen,  welche  in 
Chromsäure  gehärtet  wurden,  sehen  lässt,  besitzt  jede  Lymphdrüse 
(auch  jede  Chylusdrüse)  eine  häutige  Hülle  von  Bindegewebs- 
structur  (Kapsel  der  Drüse).  Die  Htllle  zeigt  an  einer  gewissen 
Stelle  einen  Schlitz  (Hilua)  fiir  Blutgefilsse  und  austretende  Lymph- 
gefässe;  (die  eintretenden  LymphgefUsse  haben  keinen  ihnen  be- 
sonders angewiesenen  Hilus).  Die  von  der  Hülle  umschlossene 
Drüsensubstanz  zerfällt  in  einen  corticalen  und  medullären 
Antheil.  Beide  werden  durch  Septa,  welche  von  der  Hülle  aus- 
gehen, und  durch  ihre  Verästlung  ein  viellückiges  Maschenwerk  mit 
entsprechenden  Zwischenräumen  oder  Fächern,  Abfeoli  (His),  bilden, 
durchsetzt  Die  Zwischenräume  sind  im  corticalen  Antheile  der 
Drüse  mehr  rundlich,  im  medullären  Antheile  erscheinen  sie  mehr 
länglich.  In  diesen  Zwischenräumen  lagert  die  eigentliche  Drüsen- 
substanz, und  muss  also  die  Form  derselben  annehmen,  in  der  Rinde 
rundHch,  in  dem  Marke  längUch  erscheinen.  Ihre  Grundlage  besteht 
aus  reticulärem  Bindegewebe,  mit  zahlreichen  durch  Anwendung 
von  Carmin  stark  hervortretenden  Kernen,  besonders  an  den  Kno- 
tenpunkten der  vernetzten  Bindegewebsfäden.  Nur  der  centrale 
Theil  der  rundlichen  und  länglichen  Abtheilungen  der  Drüsensubstanz 
fiihrt  Blutgeftlsse,  der  peripherische  keine.  Es  muss  also  zwischen 
den   einzelnen   Abtheilungen   der  Drüsensubstanz,  imd  der  Fachen 


§.  58.   Baa  der  Lymphdrflsen.  149 

in  welchen  sie  liegen,  ein  hellerer  Raum  crscheixien,  welcher  durch 
spärliche  Bindegewebsbälkchen  durchsetzt  wird.  Dieser  Raum 
wird  von  His  und  Kölliker  als  Ljmphsinus,  Lymphgang 
oder  Lymphbahn  bezeichnet,  da  die  eintretenden  Lymphgefässe 
der  Drüsen  sich  in  diese  Räume  ergiessen,  und  die  austretenden 
LymphgefUsse  sich  aus  ihnen  hervorbilden.  Wand  und  Gebälke  der 
Lymphsinus  besitzen  einen  Beleg  von  spindelförmigen  Epithelial- 
zellen.  —  Noch  sind  jene  Körperchen  der  Drüsensubstan?  zu  er- 
wähnen, welche  in  ihr  als  Lymphkörperchen  auftreten.  (§.  66.) 
Sie  sind  kernhaltige  Zellen  (Protoplasmakugeln)  von  0,03'" — 0,05'" 
Durchmesser,  und  lagern  in  grosser  Menge  in  den  Maschen  des 
gefilsshaltigen  Antheils  des  Drüsenparenchyms,  spärlicher  in  dem 
Lymphsinus.  Die  Annahme  ist  berechtigt,  sie  im  Parenchym  der 
Lymphdrüse  entstehen,  und  durch  den  Strom  der  austretenden 
Lymphe  abführen  zu  lassen.  Dieser  Strom  fliesst  nun  in  der  Art, 
dass  die  eintretenden  LymphgefHsse  sich  zuerst  in  der  Kapsel  der 
Drüse  in  mehrere  Zweige  theilen,  welche  die  Kapsel  durchbohren, 
und  in  die  Lymphsinus  der  Alveoli  einmünden.  Aus  diesen  strömt 
die  Lymphe  in  die  Sinus  des  Markes,  nimmt  aus  diesen  die  hier 
vorhandenen  Lymphkörperchen  mit,  und  gelangt  sofort  in  die  am 
EQlus  auBtretenden  Lymphgeftlsse,  welche  entweder  dem  Haupt- 
stamme  des  Lymphgeftlsssystems  zustreben,  oder,  bevor  sie  diesen 
erreichen,  noch  eine  oder  mehrere  Lymphdrüsen  auf  gleiche  Weise 
zu  passiren  haben. 

Literatur.  lieber  die  Structur  der  Lymphgefässe:  Henle,  allgemeine 
Anatomie,  pag.  542  seqq.,  nnd  dessen  Symbolae  ad  anat.  vill.  intest,  pag.  1.  — 
Ueber  Commnnication  der  Lymphgefässe  mit  Venen,  siehe  E,  H.  Weheres  Ausgabe 

*  

der  Hildebrandt'schen  Anat  3.  Bd.  pag.  131  seqq.  —  F.  Fohmcmn^  anatomische 
Untersuchungen  über  die  Verbindungen  der  Saugadem  mit  den  Venen.  Heidel- 
berg, 1821.  —  H,  Weyrichy  de  structura  vasorum  Ijmphaticorum.  Dorpat,  1861.  — 
Teichmanit,  Saugadersystem,  etc.  Leipzig,  1861.  —  Recklinghausen  ^  die  Lymph- 
gefässe. Berlin,  1862.  —  JJi»,  über  die  Wurzeln  der  Lymphgefässe,  in  der  Zeit- 
schrift füs  wiss.  ZooL  12.  Bd.  —  Ludwig  u.  Tomaay  über  die  Anfänge  der  Lymph- 
gefässe im  Hoden.  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  43.  Bd.  —  Tomaa^  Beiträge 
zur  Anatomie  der  Lymphgefässursprünge.  Wiener  Sitzungsberichte,  1863.  — 
Kowalewskif  ebenda,  1864.  —  0.  Heyfdder^  über  den  Bau  der  Lymphdrüsen.  Breslau, 
1861.  —  HenUy  Zeitschr.  für  rat  Med.  8.  Bd.  —  G.  Eckardy  Diss.  de  gl.  lymph. 
structura.  Berol.  1860.  —  W,  Krause^  anat.  Untersuchungen.  Hannover,  1861.  — 
Von  entscheidender  Wichtigkeit  waren  die  Arbeiten  von  His  und  Fret/y  Leipzig, 
1861.  Was  wir  Sicheres  über  den  Bau  der  Lymphdrüsen  und  verwandten  Organe 
wissen,  verdanken  wir  diesen  beiden  ausgezeichneten  Forschem.  Heidenhain  ging 
so  weit,  die  Fasern  des  Balkengerüstes  der  Lymphdrüsen  hohl,  und  mit  den 
Capillargefässen  des  Gebälkes  in  offener  Verbindung  zu  sehen  (itfu/ferV  Archiv, 
1869).  Was  kann  nun  noch  der  mikroskopischen  Anatorole  unmöglich  erscheinen? 


150  §•  59'    Physiologische  und  praktische  Bemerkungen. 


§.  59.    Physiologische  und  praktische  Bemerkimgeii. 

Die  wichtigste  Lebenseigenschaft  der  Lymph-  und  Chylusge- 
fksse  ist  ihre  Contractilität.  Diese  ist  allgemein  als  bewegendes 
Moment  ihres  Inhaltes  anerkannt.  Nach  J.  Müller  stellten  sich 
am  entblössten  Ductus  thoracicus  einer  Ziege,  auf  starken  galvani- 
schen Reiz  Zusammenziehungen  ein.  Henle  sah  Contractionen  des 
Ductus  thoracicus  eines  mit  dem  Schwert  gerichteten  Verbrechers, 
durch  Anwendung  des  Rotationsapparates  entstehen,  und  an  den 
mit  Chylus  geftülten  Saugadem  des  Gekröses  eines  lebenden  Thieres 
wurden  sie  von  vielen  Beobachtern  gesehen.  In  gewissen  Lymph- 
reservoiren der  Amphibien  und  Vögel  treten  mit  der  Entwicklung 
einer  sehr  deutiichen  Muskelschichte  selbst  rhythmische  Contractio- 
nen und  Expansionen  auf,  wie  am  Herzen,  weshalb  man  diese  pul- 
sirenden  Behälter  auch  Lymphherzen  nannte. 

Die  physiologische  Bestimmung  der  LymphgefHsse  zielt  dahin, 
die  aus  den  Capillargefässen  ausgetretenen  flüssigen  Bestandtheile 
des  Blutes,  nachdem  sie  den  Emährungszwecken  gedient,  durch 
Aufsaugung  (Ahsorptio)  wieder  in  den  Kreislauf  zu  bringen.  Aus- 
scheidung durch  die  Capillargefksse,  und  Aufsaugung  durch  Lymph- 
gefksse  müssen  bei  normalen  Zuständen  gleichen  Schritt  halten. 
Es  ist  leicht  einzusehen,  auf  wie  vielerlei  Weise  dieses  Gleichheits- 
verhältoiss  gestört  werden  könne.  Führen  die  Lymphgefitese  weniger 
ab,  als  die  Capillargefässe  ausschieden,  so  entsteht  in  dem  Aus- 
geschiedenen Stagnation  und  Anhäufung,  welche  in  der  Sprache 
der  Medicin  wässerige  Anschwellung  (Oedema),  oder  in  höheren 
Graden  Wassersucht  (Hydrops)  heisst. 

In  der  absorbirenden  Thätigkeit  der  Lymphgefässe  liegt  eine 
fruchtbare  Quelle  ihrer  häufigen  Erkrankungen.  Nehmen  sie  reizende, 
schädliche  StoflFe  auf,  gleichviel  ob  sie  im  Organismus  erzeugt,  oder 
durch  Verwundung  demselben  einverleibt  wurden  (vergiftete  Wun- 
den, wohin  auch  die  bei  Leichenzergliederung  entstandenen  Ver- 
wundungen gehören),  so  können  sie  sich  entzünden,  die  Entzün- 
dung den  blutgefässreichen  Lymphdrüsen,  welchen  sie  zuströmen, 
mittheilen,  und  Anschwellungen,  Verstopfungen  und  Verhärtungen 
derselben  bedingen,  welche  in  Lebenden  und  in  Leichen  so  oft 
gefunden  werden.  Da  sich  zu  solchen  vergifteten  Wunden  auch 
häufig  Entzündung  der  Venen  gesellt,  deren  Folgen  so  oft  lethaler 
Natur  sind,  so  ist  ihre  Gefährlichkeit  evident.  Mehrere  Anatomen, 
wie  Hunter,  Hunczovski,  und  mein  geehrter,  der  Wissenschaft 
zu  früh  entrissener  College  Eolletschka,  starben  in  Folge  von 
Sectionswunden. 


§.  60.    Blni.   Kikroskopische  Analyse  desselben.  151 

Ein  merkwürdiger  und  in  praktischer  Beziehung  wenig  ge- 
würdigter AntagoniBmus  herrscht  zwischen  der  Absorption  der 
Lymph-  und  Chylusgefässe.  Bei  Thieren,  welche  lange  hungerten, 
findet  man  die  Lymphgefässe  von  Flüssigkeit  strotzend,  die  Chylus- 
gefässe dagegen  leer,  und  bei  einem  nach  reichlicher  Fütterung 
getödteten  Thiere  zeigt  sich  das  Gegentheil.  Interstitielle  Absorp- 
tion kann  sonach  durch  Hunger  gesteigert  werden;  während  in 
jenen  Krankheiten,  wo  sie  herabgestimmt  werden  soll,  karge  Diät 
zu  vermeiden  ist.  Bei  Thieren,  welche  durch  reichliche  Blutent- 
ziehung getödtet  werden,  findet  man  die  Lymphgefässe  voll,  und 
die  Steigerung  der  Absorption  durch  Aderlässe  ist  auch  in  der 
medicinischen  Praxis  bekannt.  Es  scheint,  als  beeilten  sich  die 
Lymphgefässe  den  Verlust  zu  ersetzen,  welchen  das  GefUsssystem 
durch  Blutentziehungen  erlitt.  Dass  die  Blutentziehungen  zugleich 
das  Austreten  des  Blutplasma  aus  den  Capillargefässen  erschweren, 
ist  eine  nothwendige  Folge  der  verringerten  Capacität  der  Blut- 
gefässe, und  der  damit  verbundenen  Dichtigkeitszunahme  ihrer 
Wände. 

Der  flüssige  Inhalt  der  austretenden  Gefksse  einer  grösseren 
Lymphdrüse  in  der  Nähe  des  Ursprunges  des  Ductus  thoracicua, 
unterscheidet  sich  von  jenem  der  eintretenden  durch  seine  röthere 
Färbung  und  grössere  Neigung  zur  Coagulation.  Die  Lymphe  muss 
somit  während  ihres  Durchganges  durch  eine  Lymphdrüse  faser- 
stoffireicher  geworden  sein,  und  rothes  Pigment  aufgenommen  haben. 
Dass  beides  durch  Vermittlung  der  Blutgefässe  geschieht,  welche 
sich  sowohl  in  den  Wänden,  als  auch  in  den  Bälkchen  der  Drüsen- 
substanz (jedoch  nicht  in  den  Bälkchen  der  Lymphsinus)  •  einer 
Lymphdrüse  verästeln,  bedarf  keines  Beweises.  Man  bezeichnet 
diese  Veränderung,  durch  welche  die  Lymphe  dem  Blute  an  Farbe 
und  Mischung  ähnlicher  wird,  mit  dem  Namen  der  Assimilation. 


Inhalt  des  Gefösssystems. 


§.  60.  Blut.  Hibx)skopisclie  Analyse  desselben. 

Obwohl  über  und  über  mit  Blut  beschäftigt,  betrachtet  die 
Anatomie  dennoch  dieses  Fluidum  nicht  als  ein  ihr  zuständiges 
Object  der  Untersuchung,  welche  sie  der  Physiologie  ganz  und  gar 
anheimgestellt  hat.  Li  den  Schriften  der  letzteren  Wissenschaft  ist 
demnach  Ausführlichkeit  über  alles   dasjenige  zu  suchen,  was  die 


152  §•  ^-    Blat    Mikroskopische  Analyse  desselben. 

hier  folgenden  Paragfaphe  im  Bewusstsein  ihrer  Nichtberechtigung 
nur  in  Umrissen  andeuten. 

Das  Blut,  Sanguis,  ist  jene  rothe,  gerinnbare,  schwach  salzig 
schmeckende,  und  Spuren  einer  alkalischen  Reaction  zeigende 
Flüssigkeit,  welche  die  Höhle  der  Geftlsse  ausfüllt,  und  in  bestän- 
diger Bewegung  zu  und  von  den  Organen  strömt.  Die  heilige 
Schrift  nennt  das  Blut  den  flüssigen  Leib,  welcher  Ausdruck  nicht 
acta,  sondern  potentia  zu  nehmen  ist,  indem  das  Blut, -als  allen 
Organen  gemeinschaftlicher  Nahrungsquell,  die  Stoffe  enthält,  aus 
welchen  die  Organe  sich  erzeugen  und  ernähren. 

In  seinem  lebenden  Zustande  beobachtet,  was  nur  an  durch- 
sichtigen Theilen  kleiner  Thiere  möglich  ist,  erscheint  es  aus  festen 
und  flüssigen  Bestandtheilen  zusammengesetzt. 


a)  Fester  BestandtheiL 

Den  festen  Bestandteil  des  menschlichen  Blutes  bilden  zwei 
Arten  von  sogenannten  Blutkörperchen:  die  rothen  und  die 
farblosen.  Beide  schwimmen  im  flüssigen,  schwach  gelblichen, 
und  durchsichtigen  Blutliquor,  Plasma  sanguinis. 

Die  rothen  Blutkörperchen  werden  unpassend  OlobuU  s. 
SpJiaerulae  sanguinis  genannt,  indem  sie  keine  Kugeln,  sondern 
runde,  das  Licht  doppelt  brechende  Scheiben  darstellen,  deren 
Flächen  in  der  Regel  nicht  plan,  sondern  der  Art  gehöhlt  sind, 
dass  die  Scheibe  biconcav  erscheint.  Der  Flächendurchmesser  der- 
selben beträgt  im  Mittel  0,0033"'  (Harting),  und  der  Dicken- 
durchmesser ohngefilhr  ein  Viertel  davon.  Der  von  Einigen  in  den 
Blutkörperchen  gesehene  Kern  (Nasse)  existirt  in  der  That  an 
ganz  frischen  Blutkörperchen  der  Säugethiere  und  des  Menschen 
nicht.    Bei  den  Amphibien  ist  er  sehr  deutlich  zu  sehen. 

Im  Blute  des  erwachsenen  Menschen  kreisen  60  Billionen 
Blutkörper  (Vie^^ordt),  Wer  an  der  Richtigkeit  dieser  Ziffer  zweifelt, 
möge  nachzählen.  Im  vorgerückten  Alter,  in  der  Bleichsucht,  und 
nach  wiederholten  Aderlässen,  nimmt  die  Menge  der  Blutkörper- 
chen ab.  —  Man  betrachtete  bisher  die  Blutkörperchen  als  Zellen. 
IJeuere  Ansichten  bestreiten  die  Zellennatur  der  Blutkörperchen, 
imd  erklären  sie  geradezu  filr  Klump chen  ohne  isolirbare  Begren- 
zungshaut, deren  weiche  Masse  (Protoplasma)  mit  Blutroth  getränkt 
ist.  Die  in  §.  19  erwähnten,  höchst  bizarren  Formveränderungen 
der  Blutkörperchen,  sind  mit  dem  Vorhandensein  einer  dichteren 
peripherischen  Hülle  unvereinbar.  —  Der  Leib  der  Blutkör- 
perchen besteht  1.  aus  einem  in  Wasser  unlöslichen,  in  Säure  und 
Alkalien    aber    löslichen    Eiweisskörper ,    2.    aus    dem    farblosen 


§.  00.   Blai.   MUcroskopisohe  Analyse  desselben.  153 

Globulin,  3.  aus  dem  eisenhaltigen  Hämatin,  und  4.  aus  Kalisalzen 
(besonders  phosphorsaurem  Kali).  Das  Hämatin  ist  der  Träger  des 
im  Blute  vorhandenen  Eisens;  die  Asche  des  Hämatins  giebt  10  pCt.« 
Eisenhyperoxyd.  Wie  das  Eisen  im  Hämatin  vorkommt,  ist  zur 
Stunde  noch  nicht  mit  Sicherheit  eruirt.  Durch  chemische  Reagen- 
tien  lässt  sich  sein  Vorhandensein  im  frischen  Blute  nicht  consta- 
tiren,  wohl  aber  gelingt  es,  dasselbe  in  metallischer  Form  aus  der 
Blutasche  zu  erhalten. 

Die  farblosen  Blutkörperchen  sind  grösser  als  die  rothen 
(0,0025'" — 0,005'")?  mehr  weniger  kugelförmig,  und  mit  einem,  oder 
mehreren  rundlichen  Kernen  (mit  Kemkörperchen)  versehen.  Auch 
ausserhalb  des  Kernes  kann  die  Masse  dieser  farblosen  Blutkörper- 
chen kömig  erscheinen.  Zuweilen  bietet  ihre  Oberfläche  ein  granu- 
lirtes  Ansehen  dar.  Das  granulirte  Ansehen  tritt  an  kleineren  Kör- 
perchen dieser  Art  deutlicher  hervor  als  an  grösseren.  Sie  sind, 
ihres  Fettgehaltes  wegen,  specifisch  leichter  als  die  rothen  Blutkör- 
perchen, Ihr  quantitatives  Verhältniss  zu  den  rothen  Blutkörperchen 
scheint  ein  sehr  variables  zu  sein.  Die  Angaben  der  Autoren  stim- 
men deshalb  nicht  blos  nicht  überein,  sondern  differiren  in  wahrhaft 
ausserordentlicher  Weise.  So  ist  das  Verhältniss  nach  Sharpey  1 :50, 
nach  Henle  1:80,  nach  Donders  1:375.  Im  Allgemeinen  lässt 
sich  sagen,  dass  sie  in  der  Jugend  und  nach  genommener  Nahrung 
zahlreicher  zur  Anschauung  gelangen.  —  Eine  Zellenmembran  kommt 
an  ihnen  nicht  vor;  sie  sind  hüllenlose  Protoplasmakugeln.  Ihr  Kern 
aber  existirt  zweifellos,  imd  wird  nur  durch  die  feinkörnige  Masse 
des  Körperchens  verdeckt.  Unter  Anwendung  von  Essigsäure  tritt 
er  deutlich  hervor.  Sie  zeigen  die  grösste  Uebereinstimmung  mit 
den  Lymph-  und  Chyluskörperchen,  und  mit  den  im  frischen  Eiter 
vorkommenden  granulirten  Körnern  (Eiterkörperchen).  In  letzterer 
Beziehung  scheint  mir  deshalb  auf  den  mikroskopischen  Nachweis 
von  Eiter  im  Blute  nicht  viel  Werth  zu  legen  zu  sein.  Die  farb- 
losen Blutkörperchen  wandeln  sich  allmälig  in  gefärbte  Blutkörper- 
chen um,  deren  jüngere  Lebenszustände  sie  darstellen. 

Bei  aufmerksamer  Beobachtimg  imter  dem  Mikroskope  sieht 
man,  dass  die  farblosen  Blutkörperchen,  wie  es  von  Protoplasma- 
körpem  zu  erwarten  stand,  langsam  aber  fortwährend  ihre  Ge- 
stalt ändern,  indem  sie  eiförmig,  bimförmig,  eckig,  selbst  stern- 
förmig werden.  Dieser  Gestaltenwechsel  lässt  sich  stundenlang 
beobachten.  —  Ueber  die  chemische  Natur  dieser  Körperchen  lässt 
sich  nur  im  Allgemeinen  sagen,  dass  ihre  Bestandtheile  Proteinsub- 
stanzen sind,  mit  beigemengten  Salzen  und  Fett. 

£8  giebt  eine  trostlose  Krankheit,  bei  welcher  die  farblosen  Blutkörperchen 
über  die  farbigen  derart  numerisch  da«  Uebergewieht  eriultoii,  dass  sie  letztere 
selbst  an  Zahl  ftbertreffen.  Visrekaw  schlldaito  dtof 


154  f'   6i'    GerinniinK  des  Blntoi. 

6)  Flüasiger  Blviheatandthdl. 

Der  flüssige  Bestandtheil  des  Blutes,  Plasma  sanguinis^  ist 
eine  wässerige  Lösung  von  Fibrin  und  Albumin,  welche  Lösung 
nebstdem  geringe  Quantitäten  von  Casein  (vorzüglich  im  Blute 
Schwangerer  und  Säugender),  Fett,  ExtractivstoflFe,  Zucker;  femer 
Harnstoff,  Harnsäure,  und  verschiedene  Salze  enthält,  imter  welchen 
die  chlorsauren  prävaliren.  Spuren  von  Gallenpigment  sind  ebenfalls 
im  Blute  nachgewiesen.  Ein  flüchtiger  Bestandtheil,  der  aus  dem 
eben  gelassenen  Blute  mit  Wasser  in  Dampfform  davongeht,  be- 
stimmt den  eigenthümlichen  animalischen  Geruch  des  Blutdunstes, 
Vapor  8.  Halitv.8  sanguinis. 

Dass  das  Blatplasroa  auch  Träger  für  die  fremdartigen  Stoffe  wird,  welche 
mit  den  Nahrungsmitteln  oder  durch  Medicamente  in  den  Körper  gelangen,  und 
durch  die  verschiedenen  Absonderungsorgane  wieder  aus  dem  Körper  ausgeschie- 
den werden  müssen,  ist  aus  den  Beziehungen  des  Blutes  zur  Verdauung  und  zu 
den  Absonderungen  leicht  begreiflich.  Auch  Luftarten  sind  im  gebundenen  Zu- 
stande im  Blut«  (ungefähr  wie  die  Gase  in  den  Mineralwässern)  vorhanden,  und 
entwickeln  sich  grossentheils  schon  unter  der  Luftpumpe.  Kohlensäure,  Sauer- 
stoff und  Azot  sind  bereits  definitiv  nachgewiesen. 

§.  61.   fferinnimg  des  Blutes. 

Wird  das  Blut  aus  der  Ader  gelassen,  so  gerinnt  es  {Coagur 
latio  sanguinis).  Das  Wesentliche  dieses  Vorganges,  welcher  auch 
im  Lebenden  bei  gewissen  pathologischen  Zuständen,  z.  B.  bei 
Entzündung,  innerhalb  oder,  wie  bei  Blutextravasaten,  ausser- 
halb der  Gefässe  stattfinden  kann,  besteht  in  Folgendem: 

Die  Gerinnung  des  Blutes  ist  eigentlich  nur  eine  Gerinnung 
des  im  Plasma  enthaltenen  Faserstoffes.  Der  Faserstoff  gerinnt 
jedesmal  von  selbst,  wenn  das  Blut  aus  seinen  Gefässen  tritt,  mag 
dieses  innerhalb  des  Organismus  durch  Berstung  der  GefUsse,  oder 
nach  aussen,  durch  Verwundung  der  Gefksse,  stattfinden.  Die 
übrigen  gerinnbaren  Bcstandtheile  des  Blutes  (Albumin,  Globu- 
lin) können  nur  durch  besondere  Mittel,  z.  B.  durch  Erwärmung 
oder  chemische  Reagentien,  zum  Gerinnen  gebracht  werden. 

Frisch  gelassenes  Blut  fingt  binnen  2 — 5  Minuten  an  zu 
stocken,  bildet  anfangs  eine  weiche,  gallertige,  leicht  zitternde  Masse> 
die  sich  immer  mehr  und  mehr  zusammenzieht,  und  eine  trüb- 
gelbliche Flüssigkeit  aus  sich  auspresst,  in  welcher  der  fest  gewor- 
dene Blutklumpen  schwimmt.  Dieser  Klumpen  wird  Blutkuchen, 
Placenta  s.  Hepar  s.  Orassamentum  sanguinis,  genannt;  das  gelbliche 
Fluidum,  in  welchem  er  schwimmt,  ist  das  Seitim  sanguinis. 

Woraus  besteht  der  Blutkuchen  V  —  Der  im  Blutliquor  (Plasma) 
aufgelöst   gewesene   Faserstoff  scheidet   sich  durch  das  Gerinnen  in 


§.  61.   Oerinnnng  des  Blutes.  155 

Form  eines  immer  dichter  und  dichter  werdenden  Faserfilzes  aus, 
und  schliesst  die  rothen  Blutkörperchen  in  seinen  Maschen  ein. 
Blutplasma  minus  FaserstoflF  ist  somit  Serum  sanguinis  ^  Faserstoff 
plu>8  Blutkörperchen  ist  Placenta  sanguinis.  Gerinnt  der  Faserstoff 
langsam,  so  haben  die  rothen  Blutkörperchen  Zeit  genug,  sich 
durch  ihre  Schwere  einige  Linien  tief  zu  senken,  bevor  der  Faser- 
stoff sich  zu  einem  festeren  Coagulum  formte.  Die  sinkenden  Blut- 
körperchen legen  sich  zugleich  mit  ihren  breiten  Flächen  anein- 
ander, und  bilden  dadurch  geldrollenähnliche  Säulen.  Die  oberen 
Schichten  des  Blutkuchens  werden  sodann  gar  keine  rothen  Blut- 
körperchen enthalten  (wohl  aber  ihrer  specifischen  Leichtigkeit  wegen, 
alle  farblosen),  also  weiss  erscheinen,  und  eine  mehr  weniger  dichte 
und  zähe  Lage  bilden,  welche  Speckhaut,  Crusta  placentae,  ge- 
nannt wird.  Je  langsamer  das  Blut  gerann,  desto  dicker,  und  je 
reicher  an  Faserstoff  es  war,  desto  dichter  wird  die  Speckhaut  sein. 
Da  bei  Entztlndungskrankheiten ,  und  vorzugsweise  beim  hitzigen 
Rheumatismus,  diese  Bedingungen  vorherrschen,  so  wird  die  Speck- 
haut  auch  Crusta  infiammaUnia  s,  pleuritica,  und  ihrer  Zähigkeit 
wegen  auch  Orusta  lardacea  genannt.  Das  Blut  von  Schwangeren 
und  Wöchnerinnen  zeigt  ebenfalls  eine  starke  Speckhaut.  Setzt 
man  dem  Blute  solche  Stoffe  zu,  welche  das  Gerinnen  seines  Faser- 
stoffes verlangsamen,  so  wird  die  Speckhaut  natürlich  dicker  aus- 
fallen, als  bei  schnell  gerinnendem  Blute.  Benimmt  man  dem  Blute 
seinen  Faserstoff  durch  Peitschen  desselben  mit  Ruthen  (an  welche 
sich  der  Faserstoff  als  flockiges  Gerinnsel  anhängt),  so  coagiüirt  es 
gar  nicht. 

Wenn  in  den  letzten  Lebensmomenten  die  Blntmasse  sich  zur  Entmischung 
anschickt,  werden  die  inneren  Mnskelbündel  des  Herzens,  und  die  sehnigen 
Befestigungsfäden  der  Klappen,  deren  mechanische  Einwirkung  auf  das  Blut 
während  der  Zosammenziehung  des  Herzens  dem  Schlagen  mit  Ruthen  vergleich- 
bar ist,  eine  ähnliche  Trennung  des  Faserstoffes  und  Anhängen  desselben  an  die 
losen  Fleischbündel  und  Sehnenfäden  der  inneren  Herzoberfläche  bedingen,  wo- 
durch die  sogenannten  fibrösen  Herzpolypen  (nach  älterem  Ausdruck)  ent- 
stehen, welche  man  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  in  jeder  Leiche,  deren 
Blut  gerann,  findet,  und  welche  ihre  Entstehung  rein  mechanischen  Verhältnissen 
in  den  letzten  Lebensacten  verdanken. 

Da  manche  Aerzte  noch  immer  viel  auf  die  Dicke  der  Speckhaut  halten, 
und  sie  für  ein  Zeichen  entzündlicher  Blutmischung  nehmen,  so  mögen 
sie  bedenken,  welchen  Einfluss  die  dem  Kranken  verabreichten  Arzneien  (beson- 
ders die  Mittelsalze,  welche  man  so  häufig  den  an  Entzündung  Leidenden  ver- 
ordnet) auf  die  Verlangsamung  der  Gerinnung,  und  somit  auf  die  Dicke  der 
Speckhaut  ausüben. 

Die  Gerinnung  des  Blutes  ist  der  Ausdruck  seines  erlöschenden  Lebens, 
und  die  Veränderungen,  die  es  von  nun  an  erleidet,  sind  durch  ehemische  Zer- 
setznngsprocesse  bedingt  —  Fäulnias. 


156  !•  tt.  Weiten  Angaben  über  ehem.  nnd  mikroskop.   Verhalten  des  Blntee. 


§.  62.  Weitere  Angaben  über  chemisches  und  mikroskopisches 

Verhalten  des  Blutes. 

Die  chemische  Analyse  hat  gezeigt,  dass  Blut  und  Fleisch 
eine  fast  gleiche  elementare  Zusammensetzung  zeigen.  Play  fair 
mid  Bo  eck  mann  fanden  folgendes  Verhältniss  zwischen  getrock- 
netem Blut  und  Fleisch  des  Rindes: 


Fleisch 

Blut 

Kohlenstoff: 

51,86, 

51,96, 

Wasserstoff: 

7,58, 

7,25, 

Stickstoff: 

15,03, 

15,07, 

Sauerstoff: 

21,30, 

21,30, 

Asche : 

4,23, 

4,42. 

Das  Serum  sanguinis  ist  sehr  reich  an  Eiweiss,  welches  nicht 
von  selbst,  sondern  erst  durch  Erhitzen  gerinnt,  und  das  Blutwasser 
mit  seinen  aufgelösten  Salzen  und  ExtractivstoiFen  zurücklässt.  — 
Der  Blutkuchen  kann  durch  Auswaschen  von  dem  Färbestoffe  der 
in  ihm  eingeschlossenen  Blutkörperchen  befreit,  und  als  feste,  zähe, 
weisse,  aus  den  fadenförmigen  Elementen  des  geronnenen  Faser- 
stoffes zusammengesetzte  Masse  dargestellt  werden.  Diese  Masse 
ist  jedoch  nicht  reiner  Faserstoff,  da  sie  noch  die  Reste  der  durch 
das  Auswaschen  und  Kneten  unter  Wasser  zerstörten  Hüllen  der 
rothen  Blutkörperchen  und  fast  alle  farblosen  Blutkörperchen  in 
sich  enthält,  indem  letztere  sich,  ihrer  specifischen  Leichtigkeit 
wegen,  nicht  so  schnell  senken  konnten,  wie  die  rothen.  Eine 
merkwürdige  Eigenschaft  des  GlobuUns  wird  durch  seine  Krystalli- 
sirbarkeit  gegeben.  Die  Globulinkrystalle  sind  rhombische  Tafeln 
von  Amaranth-  bis  Zinnoberröthe.  Auch  das  Haematin  krystallisirt 
in  doppelter  Form:  als  Haematoidin  und  Haemin  (in  rhombischen 
Prismen,  Säulen  und  Nadeln).  Die  Haeminkrystalle  sind  ftlr  die 
gerichtliche  Medicin  von  grösster  Wichtigkeit,  denn  sie  dienen  nicht 
nur  zur  Constatirung  von  sehr  alten  Blutflecken,  sondern  überhaupt 
zur  Erkenntniss  kleinster  Mengen  Blut.  Um  sie  zu  erhalten,  setzt 
man  einem  eingetrockneten  Blutstropfen  in  einem  Uhrglase  etwas 
Kochsalz  zu,  befeuchtet  denselben  mit  einigen  Tropfen  Eisessig,  und 
dampft  die  Mischung  bei  Kochhitze  ab. 

Im  Serum  des  Blutes  behalten  die  Blutkörperchen  ihre  Eigen- 
schaften längere  Zeit  unversehrt  bei.  Durch  Wasserzusatz  schwellen 
aber  die  platten  Gestalten  derselben  zu  Kugeln  auf,  werden  zugleich 
blass,  indem  das  Wasser  ihren  färbenden  Inhalt  extrahirt,  und  erlei- 
den sofort  eine  Reihe  von  Veränderungen,  die  mit  ihrem  Ruine 
endigt.    Man   darf  deshalb  Blutkörperchen  nur  im  Serum,  oder  im 


§.  68.   Weitere  Angaben  Aber  ebem.  and  mikroakop.  Yerbaltes  dee  Blntei. 


157 


fiischen  Eiweiss,    oder    in   Zuckerwasser  der  mikroskopischen  Be- 
obachtung unterziehen. 

Zar  mikroskopischen  Untersuchung  des  Blutes  eignet  sich  vorzugsweise 
das  Blut  der  nackten  Amphibien  deren  Blutkörperchen  bedeutend  grösser  als 
die  der  Säugethiere  sind.  Die  ovalen  und  platten  Blutkörperchen  des  gemeinen 
Frosches  haben  0,010'"  im  längsten,  0,006'^'  im  kleinsten  Durchmesser,  die  des 
Proteus  sind  absolut  die  grössten.  Man  hört  sogar  die  Versichening,  dass  sie 
schon  mit  freiem  Auge  zu  sehen  seien.  —  Das  baldige  Gerinnen  des  frischen 
Blutes  erschwert  seine  mikroskopische  Untersuchung.  Die  Coagulatlonstendenz 
des  Blutes  kann  aber  durch  Beimischung  einer  sehr  geringen  Quantität  von  auf- 
gelöstem kohlensauren  Kall  hintangehalten,  oder  das  von  einem  grösseren  Thiere 
gesammelte  frische  Blut  durch  Schlagen  mit  Ruthen  seines  Faserstoffes  (dieser 
Ist  ja  die  Ursache  der  Gerinnung)  befreit  werden. 

Im  Froschblute  zeigt  jedes  Blutkörperchen  einen  Kern,  welcher  jedoch, 
so  lange  das  Blut  in  den  Adern  kreist,  nur  ausnahmsweise  zu  sehen  Ist  Dieser 
Kern  sitzt  an  der  inneren  Oberfläche  der  Hülle  des  Blutkörperchens,  nicht  In  der 
Mitte  der  Höhle  desselben.  Man  sieht  deshalb,  wenn  sich  ein  Blutkörperchen 
wälzt,  den  Kern  nicht  im  Centrum  der  Bewegung.  Durch  vorsichtige  Behand- 
lung lässt  sich  in  dem,  nur  sehr  langsam  coagulirenden  Froschblute,  das  Plasma 
von  den  Blutkörperchen  mittels  nicht  zu  feinen  Flltrirpaplers  abseihen.  Die 
Körperchen  bleiben  auf  dem  Flltrum  zurück,  und  sammelt  man  sie  in  einem 
Uhrglase,  welches  Wasser  enthält,  so  zieht  dieses  anfangs  den  Färbestoff  der- 
selben aus,  wodurch  sie  so  durchsichtig  werden,  dass  der  Kern  derselben  nur, 
von  einem  feinen,  blassen  Hofe  umgeben'  erscheint,  welcher  die  farblose  Hülle 
des  Blutkörperchens  ist.  Zusatz  von  Jodtlnctur  macht  die  Begrenzung  dieses 
Hofes  wieder  deutlich.  Da  sich  das  Blutkörperchen  durch  Endosmose  mit  Wasser 
vollsaugt,  so  wivd  es  endlich  zui6  Platzen  desselben  konmien.  Es  fällt  nach  dem 
Risse  zusammen.  Und  sein  Kern  tritt  durch  den  Riss  hervor.  Der  Kern  wird 
vom  Wasser  nicht  verändert 


Die  cbemiscbe  ZusammensetEiing  des  Blnt- 

sernms  ist  nach  Denis  folgende.  Es  finden 

sich  in  1000  Theilen  Sernm: 


Die  ZusammensetEnng   des   ganzen   Blutes 
nach  Le  Cann  ist  folgende.  In  1000  Thei- 
len finden  sich: 


Wasser 900,0 

Elwelss 80,0 

Cholestearin 6,0 

Chlomatrium 6,0 

Flüchtige  Fettsäure 3,0 

Gallenpigment 3,0 

Serolin 1,0 

Schwofelsaures  Kali 0,8 

Schwefelsaures  Natron    ....  0,8 

Natron 0,6 

Phosphorsaures  Natron  ....  0,4 

Phosphorsaurer  Kalk 0,3 

Kalk 0,2 

1000 

Venöses  und  arterielles  Blut  unterscheiden  sich  nicht  durch  meMbare  Ver- 
schiedenheiten der  Gestalt  und  Grösse  der  Blutkörperchen,  «ob« 
Gasgehalt    Nach  Magnus  soll  im  arteriellen  Blute  mß 
nlss  zur  Kohlensäure  vorkommen,  and  naoli  den 


Wasser 

780,16 

■786,69 

Faserstoff 

2,10 

3,66 

Elwelss      ...... 

65,09- 

69,42 

Blutkörperchen    .    .    . 

133,00- 

-119,63 

Krystallinisches  Fett  . 

2,43- 

4,30 

Flüssiges  Fett  .... 

1,31- 

.     2,27 

Alkoholextract      .    .    . 

1,79- 

■     ^,92 

Wasserextract  .    .    .    . 

1,26- 

-     2,01 

Salze   mit    alkalischer 

Basis 

8,37- 

-     7,30 

Erdsalze    und    Elsen- 

oxyd   

2,10- 

-     1,41 

Verlust 

2,40- 
1000 

►     2,69 

• 

1000 

158  §•  ^*   PhynoIogiBcli«  BemerkmigeB  flb«r  das  Blat. 

des  Faserstoffes  g^rösser,  jene  des  Eiwcisses  aber  geringer  sein,  als  im  Venen- 
blute.  —  Die  farblosen  Blutkörperchen  finden  sich  im  Venenblute  häufiger  als 
im  Arterienblnte. 


§.  63.   FhysiologisGlie  Bemerkungeii  über  das  Blut. 

Das  Blut  bedingt  durch  seine  lebendige  Beziehung  zu  den 
Organen  die  lebendige  Thätigkeit  derselben,  indem  es  die  für  ihre 
Ernährung,  und  somit  für  ihre  Existenz  und  Function  nothwendigen 
Materialien  liefert 

Man  hält  allgemein  daran,  dass  die  Blutkörperchen  beim  Er- 
nährungsgeschäfte nicht  zunächst  interessirt  sind.  Mit  Ausnahme 
Stricker's  (§.  50)  hat  noch  Niemand  Blutkörperchen  aus  den 
Gef^sen  in  die  Umgebung  derselben  eingehen  gesehen.  Nur  das 
Plasma  tritt  aus,  verbreitet  sich  zwischen  den  kleinsten  Massentheil- 
chen,  und  speist  sie  mit  den,  zu  ihrer  Ernährung  dienenden  Stoffen. 

Organe,  welche  intensive  Emährungs-  oder  Absonderungsthätig- 
keiten  äussern,  bedürfen  eines  reichlicheren  Zuflusses  von  Plasma, 
und  da  mit  der  Zahl  und  Feinheit  der  Capillargefösse ,  die  das 
Plasma  aussickernde  Fläche  wächst,  so  wird  der  Reichthum  oder 
die  Armuth  an  CapillargefUssen,  ein  anatomischer  Ausdruck  ftlr  die 
Energie  der  physiologischen  Thätigkeit  eines  Organs  sein. 

Es  kann  jedoch  auch  in  Organen  mit  sehr  wenig  energischem 
Stoffwechsel  eine  abundante  Blutzufuhr  nothwendig  werden,  wenn 
nän&lich  der  Stoff,  aus  welchem  das  Organ  besteht,  und  welchen 
es  vom  Blute  erhalten  soll,  im  Blute  nur  in  sehr  geringer  Menge 
vorhanden  ist.  Um  das  nöthige  Quantum  davon  zu  liefern,  muss 
viel  Blut  dem  Organe  zugeführt  werden.  So  erklärt  z.  B.  der 
geringe  Gehalt  des  Blutes  an  Kalksalzcn,  den  Gefässreichthum  der 
Knochensubstanz. 

Die  Beobachtung  des  Kreislaufes  in  den  Capillargefässcn  leben- 
der Thiere  lehrt  Folgendes: 

1.  Die  farbigen  Blutkörperchen  strömen  rasch  in  der  Axe  des 
Gef^sses,  die  farblosen  dagegen  gleiten  träger  längs  der  Gefässwand 
hin,  wobei  sie  öfters  Halt  zu  machen  scheinen,  als  ob  sie  an  die 
Gefässwand  anklebten. 

2.  Es  findet  keine  stossweisc,  sondern  eine  gleichförmige  Blut- 
bewegTjng  im  Capillarsysteme  statt. 

3.  Aendem  die  Capillargefässe  ohne  Einwirkung  von  Reiz- 
mitteln ihren  Durchmesser  nicht,  wohl  aber  die  Blutkörperchen, 
welche,  um  durch  engere  Gefitese  zu  passircn,  sich  in  die  Länge 
dehnen,  und,  wenn  der  engere  Pass  durchlaufen,  wieder  ihr  früheres 
Volumen  annehmen. 


§.  64.    Bildung  nnd  Rückbildung  des  Blaies.  159 

4.  An  den  Theilungswinkeln  der  Capillargefässe,  welche  einem 
gegen  den  Strom  vorspringenden  Sporn  zu  vergleichen  sind,  bleibt 
häufig  eine  Blutsphäre  querüber  hängen,  biegt  sich  gegen  beide 
Aeste  zu,  und  scheint  zu  zaudern,  welchen  sie  wählen  soll,  bis  sie 
zuletzt  in  jenen  hineingerissen  wird,  in  welchen  sie  mehr  hineinragte. 

5.  Das  Austreten  des  Plasma  durch  die  Capillargeftlsswand 
lässt  sich  nicht  durch  mikroskopische  Anschauung  wahrnehmen. 

6.  Ist  das  Thier  seinem  Ende  nahe,  so  geräth  der  Capillar- 
kreislauf  in  Unordnung,  die  Blutsäule  schwankt  ruckweise  hin  und 
zurtlck,  bevor  sie  in  Ruhe  kommt,  das  Geftlsslumen  erweitert  sich, 
die  Blutkörperchen  ballen  sich  auf  Haufen  zusammen,  imd  ver- 
schmelzen zu  einer  formlosen  Masse,  welche  ihren  Färbestoff  nach 
und  nach  dem  Serum  ablässt. 

Das  Heraustreten  des  Plasma  durch  die  Gefässwand,  und  das 
Eindringen  desselben  in  die  Gewebe,  wird  mit  dem  von  Dutrochet 
zuerst  eingeführten  Namen  der  Exosmose  und  Endosmose  be- 
zeichnet (^5-  und  ivü)ö^ü),  hinaus-  und  hineintreiben). 

Das  Plasma  ist  wasserbell,  kann  aber  unter  krankhaften  Bedingungen  ge- 
färbt erscheinen.  Wenn  nftmlich  der  Wassergehalt  des  Blutes  bei  hydropischem 
Znstande  desselben  zunimmt^  oder  sein  Salzgehalt  bei  Scorbut  und  Faulfiebem 
abnimmt,  wird  das  Blutroth  sich  im  Plasma  auflösen,  und  eine  röthlichgefärbte 
Tränkung  der  Gewebe  bedingen.  Die  blutrothen  Petechien,  die  falschen  Blut- 
unterlaufungen,  die  scorbutischen  Striemen  (Vilnces)^  die  fleischwasserähnlichen 
hydropischen  Ergüsse  in  die  Körperhöhlen,  entstehen  auf  diese  Weise.  —  Abun- 
dirt  der  gelbe  Färbestoff  im  Blute  durch  Störung  oder  Unterdrückung  der  Gallen- 
absonderuug,  so  wird  die  Tränkung  der  Gewebe  mit  gelbem  Plasma  als  Q^- 
sucht  eine  allgemeine  werden  können,  und  gefässlose  oder  gefässarme  Gflj^rae 
werden  so  gut,  wie  gefässreiche ,  ihr  unterliegen.  —  Wird  das  Blut  faserstoff- 
reicher, wie  bei  Entzündungskrankheiten,  so  kann  das  Plasma,  wenn  es  einmal 
die  Gefässe  Überschritten  hat,  in  den  Geweben  gerinnen,  und  wird  dadurch  jene 
Härte  bedingen,  welche  Entzündungsgeschwülsten  eigen  ist.  —  Da  das  Blut- 
plasma, an  der  äusseren  Oberfläche  der  Blutgefässe  zum  Vorscheine  gekommen, 
reicher  an  Nahrungsstoffen  ist,  als  jenes,  welches  sich  schon  eine  Strecke  weit 
durch  die  Gewebe  fortsaugte,  und  bereits  viel  von  seinen  plastischen  Bestand- 
theilen  verlor,  so  ist  begreiflich,  warum  gerade  in  der  Nähe  der  Blutgefässe  die 
Ernährung  lebhafter  als  an  davon  entfernteren  Punkten  sein  wird.  Die  Fett- 
ablagerung folgt  deshalb  ausschliesslich  den  Blutgefässramificationen ,  und  wo 
diese  weite  Netze  bilden,  werden  auch  die  Fettdeposita  diese  Form  darbieten. 
Man  hat  auch  nur  ans  diesem  Grunde  jene  Bauchfellsfalten,  welche  sich  entlang 
den  netzförmig  anastomosirenden  Blutgefässen  gern  mit  Fett  beladen,  Netze 
genannt. 


§.  64.   Bildung  und  Bückbildung  des  Blutes. 

Die  Vermehrung  der  Blutkörperchen  im  Embryo  geht,  ausser 
der    Umwandhmg    embryonaler    Bildungszellen   in  B^at 
auch  durch  Theilung  der  schon  vorhandenen  vw 


160  S.  65.    Lymphe  and  Chylns. 

die  Leber  des  Embryo  neue  Blutkörperchen  bilde^  wie  Weber, 
Reichert,  Kölliker,  Gerlach  und  Fahrner  annehmen,  ist  eben 
nur  eine  Annahme.  Im  Erwachsenen  sind  es  die  farblosen  Blut- 
körperchen, welche  sich  durch  Schwinden  des  Kerns,  Verkleinerung 
und  Fifllung  mit  Blutroth,  in  Blutkörperchen  umwandeln.  So  glaubt 
man  wenigstens  steif  und  fest.  Gesehen  hat  diese  Umwandlung 
Niemand.  Da  nun  dieser  Ansicht  zufolge,  die  farblosen  Blutkörper- 
chen junge  Blutkörperchen  sind,  welche  dem  Blute  fortwährend 
durch  den  Hauptstamm  des  lymphatischen  GefUsssystems  {Ductus 
ihoradcus)  zugeflihrt  werden,  so  müsste  sich  die  Zahl  der  Blutkör- 
perchen fortwährend  vermehren.  Dieses  kann  jedoch  nur  zu  einem 
gewissen  Maximum  steigen,  und  wir  sind  deshalb  nothgezwungen, 
eine  Rückbildung  oder  Verflüssigung  der  alten  Blutkörperchen  an- 
lunehmen.  Dass  die  Ausscheidung  derselben  durch  die  Leber 
geschehe,  wo  sie  zur  Gallenbereitung  verwendet  werden  sollen 
(Schultz),  ist  nicht  mit  Bestimmtheit  nachgewiesen.  Henle's  sehr 
xurüokhaltend  geäusserte  Meinung,  dass  die  Blutkörperchen  schwim- 
mende Drüsenelemente  sind,  die  aus  dem  Plasma  des  Blutes  Stoffe 
HUSBiehen,  sie  umwandeln  imd  veredeln,  und  durch  ihre  Berstimg 
und  Auflösung  dem  Blute  wiedergeben,  dass  sie  somit  der  belebende 
Bostandtlieil  des  Blutes  sind,  von  dessen  Thätigkeit  die  Mischung 
dos  Plasma  abhängt,  ist  so  einnehmend,  dass  man  ihre  factische 
Naohweisung  nur  ungern  vermisst.  Die  neuere  Zeit  will  in  der  Milz 
das  Organ  gefunden  haben,  in  welchem  die  alten  und  unbrauch- 
bBui  Blutkörperchen  ihre  Rückbildung  imd  Auflösung  erfahren. 
&lan  hat  in-  microscopicis  schon  viel  gefunden,  was  nicht  existirt,  und 
mancherlei  Wege  eingeschlagen,  die  sich  schon  nach  den  ersten 
Schritten  als  ungangbar  zeigten. 

Die  von  Malpighi  entdeckten  Blutkörperchen  wurden  von  Hewson  zu- 
erst einer  genauen  Untersuchung  gewürdigt.  Experimental  Inquiries.  London, 
1774 — 1777.  Seine  richtigen  und  naturgetreuen  Schilderungen  wurden  durch 
Home,  Bauer,  Pr^vost  und  Dumas  theilweise  entstellt,  und  die  Lehre  vom 
Blute  durch  die  abenteuerlichen  Auslegungen,  welche  ungeübte  Beobachter  früherer 
Zeit  ihren  Anschauungsweisen  gaben,  in  eine  wahre  Polemik  der  Meinungen  um- 
gestaltet. Das  Geschichtliche  hierüber  enthalten  die  betreffenden  Kapitel  von 
E.  H.  Weber  und  He  nie.  —  Die  zu  einem  enormen  Umfang  gediehene  Lite- 
ratur über  das  Blut  suche,  wer  Lust  dazu  verspürt,  in  physiologischen  und  che- 
mischen Handbüchern.  Da  jede  dieser  Schriften  in  den  Details  Anderes  bietet,  ist 
es  nicht  gleichgültig,  welche  man  zur  Hand  nimmt 

§.  65.   Lymphe  und  Chylus. 

A,   Lymphe. 

Reine  Lymphe,  wie  sie  aus  den  Saugadern  frisch  getödteter 
Thiere  zu  erhalten  ist,   stellt    eine   wässerige,   alkalisch   reagirende. 


§.  65.    Lymph«  und  Chylns.  Ißl 

zuweilen  gelblich  oder  (in  der  Nähe  des  Milchbrustganges)  röthlich 
gefärbte  Flüssigkeit  dar,  welche,  wie  das  Blut,  feste  Körperchen 
enthält,  aber  in  viel  geringerer  Menge.  Diese  Lymphkörperchen 
sind,  wie  schon  früher  angegeben,  grösser  als  Blutkörperchen,  rund, 
glatt  oder  granulirt,  und  schlicssen  einen  durch  Essigsäure,  selbst 
durch  Wasser  deutlich  zu  machenden  Kern  mit  1 — 3  Kemkörper- 
chen  ein.  Die  Lymphkörperchen  sind  es,  welche  nach  ihrem  Ueber- 
tritte  in  das  Blut,  die  farblosen  Blutkörperchen  bilden  sollen.  Nebst 
diesen  Lymphkörperchen  enthält  die  Lymphe  noch  kleinere  Köm- 
chen, welche  sich  hin  und  wieder  zu  Klümpchen  vereinigen,  und 
sich  wahrscheinlich  durch  die  Bildung  einer  Hülle  in  die  grösseren 
Lymphkörperchen  umwandeln. 

Die  Lymphe  gerinnt  spontan  wie  das  Blut,  —  nur  viel  lang- 
samer. Sie  enthält  also  FaserstoflF.  Der  Kuchen  der  Lymphe  ist 
bei  weitem  nicht  so  consistent,  und  erscheint  zuerst  als  wolkige 
Trübimg,  welche  sich  nach  und  nach  zu  einem  weichen,  fadigen 
Knollen  contrahirt.  Das  Serum  der  Lymphe  ist  eiweissreich,  und 
führt  dieselben  Stoflfe,  die  im  Blutserum  suspendirt  oder  aufgelöst 
gefunden  wurden,  nebst  Eisenoxyd,  von  welchem  es  jedoch  noch 
nicht  entschieden  ist,  ob  es  nicht  auch  an  die  Lymphkörperchen  ge- 
bunden vorkommt,  wie  das  Eisen  des  Blutes  an  die  Blutkörperchen. 

B.   Chylus, 

Der  Milchsaft,  Chylus,  besteht  wie  das  Blut  aus  euMun 
flüssigen  und  festen  Bestandtheil.  Der  erstere  ist  das  FlasmsSRes 
Chylus,  der  letztere  erscheint  in  doppelter  Form,  1.  als  kleinste  Körn- 
chen (aus  Fett  mit  Eiweisshülle  bestehend),  und  2.  als  kernhaltige 
Chyluskörperchen,  identisch  mit  den  oben  erwähnten  Lymphkörper- 
chen (?).  —  Der  Chylus  gerinnt,  wenn  er  rein  ist,  nicht.  Um  ihn  rein 
zur  mikroskopischen  Untersuchung  zu  erhalten,  muss  man  im  Mesen- 
terium eines  gefütterten,  eben  geschlachteten  Thieres,  ein  strotzendes 
Chylusgefäss,  bevor  es  noch  durch  eine  Drüse  ging,  anstechen,  und 
das  hervorquellende  Tröpfchen  auf  einer  Glasplatte  auffangen.  Um 
ihn  in  grösserer  Menge  zur  chemischen  Prüfung  zu  sammeln,  handelt 
es  sich  darum,  den  Ductus  tharacicus  eines  grossen  Thieres  nach 
reichhcher  Fütterung  zu  öffnen.  Man  erhält  jedoch  nie  dadurch 
reinen  Chylus,  da  der  Milchbrustgang  zugleich  Hauptstamm  für 
das  Lymphsystem  ist. 

Frischer  und  möglichst  reiner  Chylus  hat  eine  milchweisse 
Farbe,  welche  von  der  reichlichen  Gegenwart  der  oben  erwähnten 
fetthaltigen  kleinsten  Kömchen  abhängt.  Die  Eiweisshülle  dieser  Fett- 
kömchen  IJUwt  ßidk  iht  durch  Beobachtung  constatireu. 

Sie   mmt^  i  ^  nicht  zu  begreifen 


162  S*  ^'  Nenr«BByitoiii.  EintlieilaBf  deiselben. 

wäre,  warum  die  einzelnen  Fetttröpfchen  nicht  zu  grösseren  Tropfen 
zusammenfliessen.  Die  Farbe  des  Chylus  ist  um  so  weisser^  und  der 
Gehalt  an  fettigen  Elementen  um  so  bedeutender,  je  reicher  an  Fett 
das  genossene  Futter  der  Thiere  war  (Milch,  Butter,  fettes  Fleisch, 
Knochenmark).  Die  Fettkömehen  äussern  ein  grosses  Bestroben, 
sich  in  Häufchen,  zu  3  oder  4,  zu  gruppiren,  imd  so  mit  einander 
zu  Klümpchen  zu  verschmelzen,  dass  sie  durch  Essigsäure  nicht 
mehr  trennbar  sind. 

Verhältniss  des  Chylns  zur  Lymphe,  und  dieser  zum  Blute. 
Da  die  Chjlutgefäste  im  Darmkanale  nicht  mit  offenen  Mündungen  anfangen,  so 
kann  das  nahrhafte  Extract  der  Speisen  nur  durch  Endosmose,  in  die  Höhle  der 
Chylosgefässe  gelangen.  Die  Körperchen  im  Chylus  können  sich  erst  in  den 
Chylusgefässen  gebildet  ha^en.  —  Im  Hauptstamme  des  lymphatischen  Systems 
{Ductut  thoracicua)  zeichnet  sich  der  Inhalt  durch  prompte  Coag^Iation  und  deut- 
liche Röthe  aus.  Die  Coagulationsfähigkeit  rührt  vom  Faserstoffe,  die  Röthe  vom 
Hftmatin  her.  Faserstoff  und  HKmatin  finden  sich  im  Chylus  in  um  so  grösserer 
Menge  vor,  durch  je  mehr  Gekrösdrilsen  er  bereits  wanderte.  — 

Marchand  und  Colberg  gaben  folgende  Analyse  menschlicher  Lymphe 
(menschlicher  Chylns  wurde  noch  nicht  untersucht).  In  1000  Theilen  Lymphe 
finden  sich: 

Wasser 969,26 

Faserstoff 6,20 

Eiweiss 4,34 

Extractivstoff 3,12 

Flüssiges  und  krystallinisclics  Fett        2,64 

Salze 15,44 

Eisenoxyd Spuren. 


% 


§.  66.   Iffervensystem.  Eintheilung  desselben. 


Die  gangbarste,  wenn  auch  nicht  physiologisch  streng  durch- 
führbare Eintheihmg  des  Nervensystems  wurde  von  Bichat  auf- 
gestellt. Er  unterschied  zuerst  ein  an  i  mal  es  und  vegetatives 
Nervensystem.  Ersteres  besteht  aus  dem  Gehirn  und  Rückenmark, 
und  den  Nerven  beider;  wird  deshalb  auch  Systema  cerehro-spinak 
g(mannt.  Es  ist  das  Organ  des  psychischen  Lebens,  und  vermittelt 
die  mit  Bewusstsein  verbundenen  Erscheinungen  der  Empfindung 
und  Bewegung,  Das  vegetative  Nervensystem,  Systema  vegetafivum 
8,  sympathictim  steht  vorzugsweise  den  ohne  Einfluss  des  Bewusst- 
seins  waltenden  vegetativen  Thätigkeiten  der  Ernährung,  Abson- 
derung, und  den  damit  verbundenen  unwillkürlichen  Bewegungen 
vor,  und  wird  auch  als  sympathisches,  organisches  oder 
splanchnisches  Nervensystem  dem  cerebro-spinalen  entgegen- 
gestellt. 

Beide  Systeme  bestehen  nicht  unabhängig  neben  einander. 
Sie  greifen  vielmehr  vielfach    in  einander  ein,  verbinden  sich  häufig 


S.  67.  MikrMkopisehe  Elemente  de«  Nerrensyatems.  163 

durch  FaseraustauBch^  und  sind  'insofern  auf  einander  angewiesen, 
ab  das  vegetative  Nervensystem  einen  gössen  Theil  seiner  Ele- 
mente aus  dem  animalen  bezieht,  und  bei  niederen  Wirbelthioren 
ganz  und  gar  durch  das  animale  vertreten  werden  kann.  Die  phy- 
siologische Sonderung  ist  nicht  weniger  prekär,  als  die  anatomische, 
da  der  Einfluss  des  animalen  Nervensystems  auf  die  vegetativen 
Processe  sich  in  vielen  Einzelheiten  deutlich  herausstellt. 

Man  unterscheidet  an  beiden  Systemen  einen  centralen  imd 
peripherischen  Theil.  Der  'Centraltheii  des  animalen  Nerven- 
systems ist  das  Gehirn  und  das  Rückenmark,  der  peripherische 
die  weissen,  weichen,  verästelten  Stränge  und  Fäden,  welche  die 
verschiedenen  Organe  mit  dem  Centrum  dieses  Nervensystems  in 
Verband  bringen,  und  Nerven  genannt  werden.  —  Der  centrale 
Theil  des  vegetativen  Nervensystems  ist  nicht  so  einfach,  wie  jener 
des  animalen.  Er  erscheint  in  viele  untergeordnete  Sammel-  und 
Ausgangspunkte  von  Nerven  getheilt,  welche  als  graue,  mehr  weni- 
ger gerundete,  oder  eckige,  und  an  vielen,  aber  bestimmten  Orten 
zerstreute  Massen  vorkommen,  und  den  Namen  Nervenknoten, 
Gangliay  führen. 

§.67.  Mikroskopische  Elemente  des  l^ervensystems. 

Sie  sind  zweierlei  Art:  Fasern  und  Zellen. 

A.  Nervenfasern,  ^ 

a)  Fasern  der  Gehirn-  und  Rückenmarksnerven. 

Jeder  Gehirn-  und  Rückenmarksnerv,  an  was  immer  für  einem 
Punkt  seines  Verlaufs  er  untersucht  wird,  erscheint  als  ein  Bündel 
zahlreicher,  sehr  feiner,  bei  durchgehendem  Lichte  heller,  bei  re- 
flectirtem  Lichte  fettglänzender  Fasern,  —  Nerven-Primitiv- 
fasern.  Diese  laufen  durch  die  ganze  Länge  des  Nerven,  ohne  an 
Dicke  merklich  zu-  oder  abzunehmen,  geben  während  ihres  Ver- 
laufes keine  Aeste  ab,  durch  welche  mehrere  benachbarte  sich  ver- 
binden könnten,  und  werden  durch  ähnliche  Scheidenbildungen  aus 
Bindegewebe,  wie  sie  bei  den  Muskelbündeln  angeführt  wurden,  zn 
grösseren  Bündeln,  und  mehrere  dieser  zu  einem  Nervenstamme 
vereinigt.  Der  Durchmesser  der  Primitivfasem  ist  in  verschiedenen 
Nerven  ein  verschiedener,  und  beträgt  zwischen  0,0006'" — 0,0085'". 
In  einem  und  demselben  Nerven  kommen  schon  Fasern  verschie- 
dener Dicke  vor,  in  solcher  Mischung,  dass  die  dicken  oder  die 
dünnen  die  Oberhand  behalten.  Die  Nerven  der  Sinnesorgane  und 
die  Nerven  der  Empfindung  sollen  etwas   feiner   gefasert  sein,  als 

die  Nerven  der  Muskeln  (Emmert). 

II» 


164  §•  ^7*  Mikroskopisehe  Klemente  des  Kervengysiems. 

Jede  primitive  Nervenfaser  besteht  aus  einer  Hülle,  einem 
halbflüssigen  Inhalte,  und  dem  Axencylinder.  Diese  Bestandtheile 
sind  jedoch  an  ganz  frischen  Primitivfasern,  welche  voUkommen 
homogen  erscheinen,  nicht  zu  erkennen.  Sie  treten  erst  hervor, 
wenn  die  von  selbst  gegebene,  oder  durch  Reagentien  hervorge- 
rufene Gerinnung  der  homogenen  Substanz  einer  Primitivfaser,  die 
lichtbrechenden  Verhältnisse  derselben  ändert. 

Die  Hülle  oder  Scheide  der  Primitivfaser  ist  ein  ungemein 
feines,  vollkommen  structurloses,  nur  hie  und  da,  an  seiner  inneren 
Fläche  mit  ovalen  Kernen  versehenes  Häutchen,  welches  im  frischen 
Zustande  weder  kömig  noch  faserig  erscheint,  mit  scharfen  und 
dunklen,  geradlinigen  Rändern,  welche  durch  Einwirkung  von  Wasser 
und  durch  ungleichförmiges  Gerinnen  des  Inhaltes  der  Faser  buchtig 
werden,  imd  dadurch  die  frühere  Annahme  rosenkranzft)rmiger  Ner- 
venfasern veranlassten  {Fihrae  moniliformes). 

Der  Inhalt  der  Nervenfasern  —  das  Nervenmark  —  ist  ein 
homogener ,  zäher ,  opalartig  -  durchscheinender ,  fettig  -  albuminöser 
Stoff,  welcher  am  Querriss  einer  Nervenfaser  nicht  ausfiiesst,  son- 
dern sich  nur  als  abgerundeter  Pfropf,  oder  als  spindelförmiger 
Tropfen,  vordrängt.  Durch  Gerinnen  verliert  dieser  Inhalt  sein 
homogenes  Ansehen,  zieht  sich  von  der  Hülle  zurück,  erhält  zugleich 
wellenförmig  gebogene  Ränder,  welche  innerhalb  der  mehr  gerade- 
linigen  Contour  der  Faser  deutlich  gesehen  werden,  und  somit  die 
betreffende  Primitivfascr  zu  einer  doppelt  contourirten  wird. 
Nach  längerer  Zeit  zerklüftet  das  Mark  der  Faser  in  kleine,  unregel- 
mässige Fragmente.  —  Der  mikroskopisch  nachweisbare  Unter- 
schied von  Hülle  und  Inhalt  giebt  der  Primitivfaser  die  Bedeutung 
eines  Röhrchens,  und  man  spricht  deshalb  von  Nervenröhrchen 
in  demselben  Sinne  als  von  Nervenprimitivfasern.  Weder  Mark 
noch  HüUe  sind  die  wesentlichen  Bestandtheile  einer  Nervenfaser. 
Sie  scheinen  blos  isolirende  Hüllen  eines  dritten,  wesentlichen  Ge- 
bildes in  der  Nervenprimitivfaser  abzugeben.  Dieses  Gebilde  ist 
Remakes  Primitivband,  oder  Purkinje's  Axencylinder.  Seine 
chemische  Grundlage  bildet  eine  dem  Muskelfibrin  ähnliche,  albu- 
minöse  Substanz,  ohne  Fett  (Lehmann).  Dieser  Axencylinder  der 
Nervenprimitivfaser  erhält  sich  an  den  feinsten  Nervenfasern,  an 
welchen  die  beiden  anderen  constituirenden  Bestandtheile  derselben 
—  Hülle  und  Mark  —  nicht  mehr  nachweisbar  sind.  Es  gebührt 
ihm  somit  unzweifelbar  über  beide  der.  Vorzug  functioneller  Wich- 
tigkeit. Remak  und  Mauthner  machen  den  Axencylinder  selbst 
wieder  zu  einem  Rohre,  dessen  Wand  aus*  feinsten  Parallelfasem 
bestehen  soU.  Die  Festigkeit  und  Elasticität  des  Axencylinders  er- 
klärt  es,    dass,    wenn   Mark   und  Hülle    reissen,  der  Axencylinder 


S.  67.   lllkroskopische  Elemente  des  Nervensystems.  165 

gewöhnlich  unversehrt  bleibt,  sich  auch  an  Rissstelion  der  Hülle 
schlingenartig  hervordrängt. 

Die  Primitivfasem  jener  Nerven,  welche  Dehnungen  unter- 
liegen, verlaufen  nicht  geradelinig,  sondern  wellenförmig  neben  ein- 
ander, wodurch  eine  bedeutende  Verlängerung  des  Nerven,  ohne 
Zerrung  seiner  Fasern,  möglich  wird. 

Nervenprimitivfasem,  welche  Hülle,  Inhalt,  und  Axencylinder 
deutlich  erkennen  lassen,  heissen  mark  haltige,  oder,  ihrer  scharfen 
dunklen  Contouren  wegen,  auch  dunkelrandige.  Fehlt  das  Mark, 
und  wird  der  Axencylinder  von  der  Hülle  so  dicht  umschlossen, 
dass  er  sich  mit  ihr  identificirt,  und  die  Faser  die  Bedeutung  einer 
markAihrenden  Röhre  verliert,  so  nennt  man  diese  Fasern  mark- 
lose. Sie  kommen  als  unmittelbare  Verlängerungen  der  markhal- 
tigen  Fasern,  sowohl  gegen  deren  peripherisches  Ende,  als  auch 
am  Ursprünge  derselben  aus  den  Fortsätzen  der  Ganglienzellen  vor. 


b)  Vegetative,  graue,  oder  sympathische  Nervenfasern. 

Es  findet  sich  im  vegetativen  Nervensystem  (Sympaihicus)  noch 
eine  zweite  Art  von  Fasern,  welche  den  marklosen  sehr  nahe  ver- 
wandt, wo  nicht  mit  ihnen  identisch  sind.  Sie  besitzen  eine  leicht 
granulirte,  streifige,  seltener  homogene  Substanz,  und  tragen  von 
Stelle  zu  Stelle  entweder  in  ihrem  Inneren  eingeschlossene,  oder 
oberflächlich  aufliegende  spindelförmige  Kerne,  deren  Längenaxe 
der  longitudinalen  Richtung  der  Faser  folgt.  Ihr  massenhaftes  Vor- 
kommen im  Sympathicus  liess  ihnen  den  Namen  graue,  auch  vege- 
tative oder  sympathische  Fasern  geben  (Remak).  Henle 
nennt  sie,  ihres  Ansehens  wegen,  gelatinöse  Fasern.  In  den 
Cerebrospinalnerven  der  Embryonen  prävaliren  sie  an  Zahl,  wes- 
halb man  sie  auch  embryonale  Fasern  zu  nennen  pflegt  Sie 
sind  feiner  als  die  Fasern  der  Cerebrospinalnerven.  Nerven,  welche 
durch  gewisse  physiologische  Zustände  der  Organe,  in  welchen  sie 
vorkommen,  an  Masse  zunehmen,  z.  B.  die  Nerven  des  schwange- 
ren Uterus,  verdanken  ihre  Faservermehrung  nur  einer  numerisch 
wachsenden  Entwicklung  von  grauen  Fasern  (Lee  und  Remak). 
Valentin  und  Kölliker  bestreiten  ihre  Nervennatur,  und  erklären 
sie  für  Bindegewebsfäden.  Man  fand  sich  auch  geneigt,  in  den 
grauen  Nervenfasern,  ihres  überwiegend  zahlreichen  Vorkommens 
in  embryonischen  Nerven  wegen,  einen  niederen  Entwicklungsgrad 
gewöhnlicher  Nervenprimitivfasem  anzuerkennen.  Uebrigens  be- 
stehen die  vegetativen  Nerven  nicht  einsig  ans  ^Uesoii  Fiwem.  Es 
.treten  vielmehr  auch  zahlreiehe  Cr  und 

mischen  sich  mit  den  gnuMP* 


I 


IQß  §.  67.   Mikrotkopiioh«  ElemeaU  de«  NerrenfTsiemB. 

c)  Fasern  des  Gehirns  und  Rückenmarks. 

Mehrere  Anatomen  stellen  diese  Fasern  als  eine  von  den 
übrigen  beiden  verschiedene  Art  auf.  Sie  finden  sich  in  der  weissen 
Substanz  des  Gehirns  und  Rückenmarks,  imd  in  den  Riech-,  Seh-  und 
Hömerven,  welche,  wie  die  Entwicklungsgeschichte  lehrt,  ursprüng- 
lich Ausstülpungen  der  drei  embryonalen  Gehimblasen  sind.  Sie 
bestehen  aus  Hülle,  wenig  Mark,  und  Axencylinder.  Letzterer  ist 
sehr  schwer  darzustellen.  An  Feinheit  übertreflfen  sie  die  Primitiv- 
fasem  gewöhnlicher  Nerven.  Durch  die  Gerinnung  des  Markes 
bekommen  sie  nie  doppelte  Contouren,  sondern  werden  perlschnur- 
artig mit  einfachen  Rändern.  Diese  Gestalt  nehmen  sie  so  rasch 
an,  dass  man  lange  der  Meinung  war,  sie  komme  ihnen  normgemäss 
selbst  im  frischen  Zustande  zu. 

B,   Nervenzellen, 

Sie  sind  runde,  ovale,  oder  birnförmige,  öfters  auch  eckige, 
sternförmige,  meistens  plattgedrückte,  kernhaltige  Zellen.  Ihre  Grösse 
schwankt  zwischen  0,003'"  und  0,050'".  In  grösseren  Massen  ange- 
häuft, kommen  sie  in  den  Ganglien  (daher  auch  Ganglienzellen 
genannt)  und  in  der  grauen  Gchimsubstanz  vor,  deren  Farbe  von 
diesen  Körpern  abhängt.  Sie  wurden  aber  auch  in  den  periphe- 
rischen Ausbreitungen  gewisser  Nerven,  z.  B.  des  Sehnerven  und 
Hömerven,  gefunden.  Jede  Nervenzelle  besteht  1.  aus  einer  structur- 
losen  Umhüllungsmembran,  welche  sich  in  die  Hülle  der  aus  der 
Zelle  hervortretenden  Primitivfasem  fortsetzt,  2.  aus  einem  rund- 
lichen Kern,  welcher  in  der  Regel  nur  ein,  selten  zwei  Kemkörper- 
chen  enthält  (ja  man  spricht  selbst  von  Kernen  der  Kernkörperchen)^ 
3.  aus  einem  zwischen  Hülle  und  Kern  befindlichen  körnigen,  blassen 
oder  pigmcntirten  Inhalte.  An  vielen  Ganglienzellen  findet  sich  zu 
den  genannten  Bestandtheilen,  noch  eine  bindegewebige,  kemftlhrende 
Scheide,  welche  selbst  wieder  mehrblätterige  Kapseln  um  die  Zelle 
herum  erzeugen  kann. 

Es  finden  sich  Ganglienzellen  mit  und  ohne  Aestc.  Die  Aeste 
oder  Fortsätze  stimmen  mit  den  früher  erwähnten  marklosen  Ner- 
venröhrchen  vollkommen  überein,  und  verlängern  sich  in  dunkcl- 
randige,  markhaltige  Nervenröhrchen ,  oder  in  graue,  vegetative 
Nervenfasern.  Einzelne  Fortsätze  einer  Zelle  verbinden  sich  auch 
häufig  mit  denen  einer  zweiten.  Der  Mangel  oder  die  Zahl  der 
Fortsätze  giebt  ihnen  den  Namen  der  apolaren,  unipolaren, 
bipolaren,  multipolaren  Zellen.  Die  Fortsätze  ei*scheinen  an 
den  Zellen  der  grauen  Gehirn-  und  Rückenmarkssubstanz  oft  selbst 
wieder  verästelt.  —  Apolare  Ganglienzellen,  auch  insulare  ge- 
nannt, weil  sie  zwischen  den  Primitivfasem  wie  Inseln  eingeschlossen 


§.  67.   Mikroikopische  Elemente  des  NerrenHystems.  167 

liegeD,  finden  sich  in  grosser  Anzahl  in  allen  Ganglien.  Man  ist 
jedoch  nie  ganz  gewiss,  ob  man  es  nicht  mit  einem  Kunstprodact 
zu  thun  hat,  da  die  Fortsätze,  bei  der  vergleichimgsweise  rohen 
Behandlung  so  feiner  Objecto  mit  Nadeln,  leicht  abreissen,  oder 
die  Zelle  unter  dem  Mikroskope  so  zu  liegen  kommt,  dass  jene 
Seite  derselben,  aus  welcher  ein  Fortsatz  abgeht,  die  abgewendete 
ist.  Unipolare  Ganglienzellen  kommen  in  den  Ganglien  des  Sym- 
pathicus  vor;  bipolare  hat  man  in  den  Spinalganglien,  im  Ganglion 
Gasseri,  jugulare  vagi  und  glossopharyngei  gesehen,  und  multipolare 
vorzugsweise  in  der  grauen  Substanz  des  Gehirns  imd  Rückenmarks. 
Jeder  Nervenstamm  und  jedes  GangHon  besitzt  eine  gefäss- 
reiche  Bindegewebsscheide  —  das  Netirilemma,  Dieses  schickt  Fort- 
sätze in  die  Substanz  des  Ganglion,  und  zwischen  die  Faserbtlndel 
der  Nerven  hinein. 

Das  Zerfasern  eines  Nerven  mit  Nadelspitzen  ist  für  Gebilde  von  solcher 
Feinheit,  wie  die  Primitivfasem  der  Nerven,  eine  rohe  Vorbereitung  zur  mikro- 
skopischen Untersuchung.  Um  die  Primitivfasem  zu  sehen,  thut  man  besser, 
lieber  die  feinsten  natürlichen  Nervenramificationen ,  als  gröbere,  durch  Kunst 
zerfaserte  Bündel  unter  das  Mikroskop  zu  bringen.  Die  feinen  Nerven  durch- 
sichtiger Theile,  z.  B.  der  Bauchfellduplicaturen,  die  freien  NervenfUden,  welche 
man  beim  Abziehen  der  Haut  der  Frösche  zwischen  dieser  und  den  Muskeln  aus- 
gespannt findet,  die  durchsichtigen  Augenlider  der  Frösche,  etc.  eignen  sich  zu 
solchen  Untersuchungen  sehr  gut.  Die  Reagentien,  deren  man  sich  zur  Darstel- 
lung der  Axencylinder  bedient,  sind  concentrirte  Essigsäure,  Chromsäure,  Subli- 
mat (Czermak),  Jod  (Lehmann),  und  Aether  (KöUiker).  Viel  Beifall  und 
Gebrauch  findet  als  Reagens  carminsaures  Ammoniak.  Es  färbt  die  Scheide 
schwach,  —  das  Mark  gar  nicht,  —  den  Axencylinder  dagegen  sehr  intensiv  roth. 

Literatur.  Die  ältere  Literatur  ist  in  Henle*s  Qewebslehre  und  in 
Valentin^s  Bearbeitung  der  Sömmerring'schen  Nervenlehre  vollständig  gesam- 
melt. Die  wichtigsten  neueren  Arbeiten  deutscher  Forscher  über  Nenromikro- 
graphie  sind:  A,  W.  Volkmann,  über  Nervenfasern  und  deren  Messung,  in 
MÜUer'a  Archiv.  1844.  p.  9.  Hierauf  Valentin'»  Erwiederung,  ebendaselbst,  p.  395. 

—  Purkinje,  mikroskopisch-neurologische  Beobachtungen.  MüUer^a  Archiv.  1845. 
pag.  281.  —   Remaky    Über  ein   solbstständiges  Darmnervensystem.   Berlin,  1847. 

—  R,  W<»gner,  neue  Untersuchungen  über  Bau  und  Endigung  der  Nerven. 
Leipzig,  1847.  —  R,  Wagner ,  sympathische  Nervenganglienstructur  und  Nerven- 
endigungen, in  dessen  Handwörterbuch  der  Physiologie.  3.  Bd.,  so  wie  mehrere 
kleine  Aufsätze  in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen  vom  Jahre  1851  an.  — 
F.  H,  Bidder,  zur  Lehre  von  dem  Verhältniss  der  Ganglienkörper  zur  Nervenfaser. 
Dorpat,  1848.  —  Ä.  KöUiker,  neurologische  Bemerkungen,  im  2.  Hefte  des  1.  Bds. 
der  Zeitschr.  für  wissonschaftl.  Zoologie,  pag.  135.  —  N.  Lieberkühn,  de  structura 
gangliorum  penitiorL  Berol.,  1849.  4.  —  C,  Aasmann,  Beiträge  zur  mikroskopischen 
Anatomie  und  Physiologie  des  Gangliennervensystcms.  Berlin,  1853.  —  O.  Wagener, 
über  den  Zusammenhang  des  Kernes  und  Kemkörpers  der  Gauglienzelle  mit  dem 
Nervenfaden,  in  der  Zeitschrift  für  wiss.  Med.  8.  Bd.  4.  Heft.  —  Ueber  die  Deu- 
tung gewisser  faseriger  Elemente  und  Zellen  des  centralen  Nervensystems  als 
Bindegewebsfasern  und  Bindegewebskörperehen  sind  Biddara  und  Kupffei^a  Un- 
tersuchungen über  die  Textur  des  Büokenmarks,  Leipzig,  1857,  nachzusehen, 
Eine  Kritik  derselben  entbilt  EtM*  .  t-i^  loa?   ^^,  e7,—  B.  8tmng. 


lb$  f.  O.   UnyraBg  (eentrales  Ende)  der  Nerrea. 

iitHi«  Vnierracliaiig^ii  über  den  Bau  des  Rückenmarks,  mit  Atlas,  Cassol  1857—69, 
wo  ^nründUche  WOrdij^ing  alles  Bekannten,  und  reiche  Angabe  neuer  Beobach- 
UinpMi  lu  finden  ist  —  Fast  jedes  Heft  der  anat  Zeitschriften  bringt  Beiträge 
tu  dieser  massenhaft  angewachsenen  Literatur. 


§.  68.   Ursprung  (centrales  Ende)  der  Nerven. 

Da  es  a  priori  einleuchtet,  dass  der  Ursprung  der  Nerven 
auch  der  Ausgangspunkt  ihrer  Thätigkeiten  ist,  so  bleibt  es  eine 
der  wichtigsten  Aufgaben  der  Anatomie,  die  Stellen  nachzuweisen, 
an  welchen  die  mikroskopischen  Elemente  der  Nerven  ihre  Ent- 
stehung nehmen. 

Der  Ursprung  der  Primitivfasern  der  Nerven  ist  theils  im  Ge- 
hirn, theils  im  Rückenmark,  theils  in  den  Ganglien  zu  suchen.  Sie 
gehen  sämmtlich  aus  den  Zellen  der  grauen  Substanz  hervor.  Faser- 
ursprtlnge  ausserhalb  der  Zellen  kennt  man  nicht.  Aus  welcher 
Zelle  und  aus  welchem  Fortsatz  einer  Zelle  jede  einzelne  Faser 
entspringt,  wird  wohl  ewig  unbekannt  bleiben!  Ein  hartes,  aber 
wahres  Urtheil  über  die  Zukunft  der  mikroskopischen  Neurotomie. 
„Kurz,"  sagt  Volkmann,  „wir  kennen  die  Anftlnge  der  Nerven- 
fasern nicht,  und  werden  sie  wahrscheinlich  niemals  kennen." 

Bezüglich  des  Ursprunges  von*  Primitivfasern  aus  den  Gang- 
glienzellen,  wurde  zuerst  durch  KöUiker  gezeigt,  dass  die  Hülle 
und  der  gelatinös-körnige  Inhalt  der  Ganglienkugeln  sich  in  Hülle 
und  Mark  der  Primitivfasem  fortsetzt.  Diese  Beobachtimg  wäre 
jedoch  nicht  hinreichend,  den  Ursprung  von  Primitivfasem  aus  der 
Ganglienkugel  festzustellen,  da,  wenn  eine  bipolare  Ganglienkugel 
an  ihren  beiden  Polen  mit  zwei  Primitivfasern  zusammenhängt,  diese 
wohl  auch  eine  eintretende,  also  anderswo  entsprungene,  und  eine 
austretende  Faser  vorstellen  können,  wo  dann  das  Ganglion  blos 
eine  Unterbrechung  des  Verlaufes  einer  alten  Faser,  keinesweges 
aber  einen  erwiesenen  Ursprungsplatz  einer  neuen  abgiebt.  Dass 
die  Ganglien  wirkliche  Erzeugungsstätten  neuer  Primitivfasem  sind, 
kann  nur  dann  als  ausgemacht  angesehen  werden,  wenn  in  ihnen 
Ganglienzellen  beobachtet  werden,  welche  nur  mit  einer  peri- 
pherisch auslaufenden  Faser  zusammenhängen.  Kölliker  hat 
nun  auch  die  Existenz  dieser,  nur  an  Einer  Seite  mit  einer  Nerven- 
faser zusammenhängenden  Ganglienkugeln  nachgewiesen.  Die  Frage : 
ob  es  auch  Ganglienzellen  ohne  Faserursprünge  gebe,  wurde  von 
demselben  Forscher  dahin  beantwortet:  dass  solche  freie  oder 
selbstständige  Zellen  nicht  blos  im  Gehirn  und  Rückenmark,  son- 
dern auch  in  den  Ganglien  des  Sympathicus  imd  der  Cerebrospi- 
nalnerven  so  constant  und  häufig  vorkommen)  dass  die  Frage  eigent- 


S.  69.   Peripherischefl  Ende  der  Nerren.  169 

lieh  die  ist,  ob  überhaupt  ein  GangHon  existirt,  in  welchem  dieselben 
gänzlich  mangeln. 

Welchen  Antheil  haben  Kern  und  Kernkiirperchen  einer  Gan- 
glienzelle an  der  Bildung  neuer  Nervenfasern?  Hierauf  antwortet 
die  Histologie  mit  einem  Babel  von  Meinungen.  Wir  wollen  uns 
dazu  bekennen,  dass:  1.  Die  Primitivfaser  aus  dem  Kern  der  Gan- 
glienzelle hervorgeht;  ihre  Scheide  erhält  sie  erst  nach  ihrem  Aus- 
tritte aus  der  Ganglienzelle,  von  der  Hülle  derselben.  2.  Der  cen- 
trale Faden  einer  Primitivfaser  (Purkinje's  Axencylinder)  hängt 
mit  dem  Kemkörperchen  einer  Ganglienzelle  zusammen,  so  dass  er 
entweder  aus  ihm  einfach  hervorgeht,  wie  bei  den  unipolaren  Zellen, 
oder  durch  dasselbe  hindurchgeht,  wie  bei  den  bipolaren.  3.  Enthält 
ein  Kern  zwei  Kemkörperchen,  so  geht  durch  jedes  derselben  ein 
besonderer  Centralfaden.  4.  Es  kommen  Ganglienkugeln  vor,  bei 
welchen  an  der  einen  Seite  eine  Nervenfaser  in  den  Kern^  auf  der 
anderen  ein  Centralfaden  in  das  Kemkörperchen  übergeht. 

Durch  die  den  Gegenstand  dieses  Paragraphes  betreffenden  zahlreichen 
Arbeiten,  welche  theils  an  kaltblütigen  Wirbelthieren,  theils  an  Wirbellosen  vor- 
genommen wurden,  wurde  zwar  eine  reiche  Ernte  von  vereinzelten  That- 
sachen  über  den  fraglichen  Gegenstand  eingebracht,  die  aber  bei  weitem  noch 
nicht  hinreicht,  die  Untersuchungen  über  das  Verhftltniss  der  Ganglien  zu  den 
Nerven  als  abgeschlossen  zu  betrachten.  Wer  die  Schwierigkeit  dieser  Art  mikro- 
skopischer Forschungen  kennt,  wird  es  zugeben,  dass  noch  sehr  viel  zu  thun 
übrig  ist,  um  auch  nur  von  einem  einzigen  Ganglion  sagen  zu  können,  das 
Wechselverhältniss  seiner  ein-  und  austretenden  Nerven  sei  genügend  aufgeklärt 


§.  69.  Peripherisches  Ende  der  Ifferven. 

Ueber  das  peripherische  Verhalten  der  feinsten  Nervenenden 
verdanken  wir  der  vergleichenden  Anatomie  bei  weitem  mehr  Auf- 
schlüsse als  der  menschlichen.  Vor  Allem  ist  zu  bemerken,  dass  die 
bisherigen  Annahmen  eines  unverästelten  Verlaufes,  und  einer  an 
allen  Punkten  des  Verlaufes  sich  gleichbleibenden  Dicke  einer  Pri- 
mitivfaser, nicht  mehr  statthaft  sind.  Der  unverästelte  Verlauf  gilt 
nur  für  jene  Strecke,  welche  eine  Nervenfaser  bis  zu  ihrem  peri- 
pherischen Endigungsbezirke  zurücklegt.  Nahe  ihrem  peripherischen 
Ende  wird  die  Primitivfaser  marklos,  und  ihr  Axencylinder  pflegt 
sich  in  feinere  Fasern  zu  spalten.  Die  Spaltung  wiederholt  sich 
mehrfach;  es  kommt  wohl  auch  durch  Verbindimg  der  Spaltungs- 
äste zu  Netzen  (Geflechten),  welche  aber  nicht  als  Endgeflechte 
anzusehen  sind,  da  aus  ihnen  noch  Ausläufer  abgehen.  Wie  endigen 
nun  diese  letzten  Ausläufer  einer  Primitivfaser? 

Eine  entschiedene  und  über  alle  Zweifel  erhobene  peripherische 
Endigongsweise  Yon  Nervenfiuie"  >*  in  den  PfK^- 


170  S*  ^'   PeripherischeB  Ende  der  Nerren. 

ni'schen  Körperchen  (§.  70)  als  knopfförmige,  ringsum  abgeschlos- 
sene, in  keine  Nachbarstheile  ausstrahlende  Verdickung  des 
Axencylinders.  Ebenso  in  den  stabförmigen  Körpern  der  Netzhaut, 
und  nach  sehr  warmen  Versicherungen  auch  in  den  Terminalzellen 
des  Gehörnerven,  in  gewissen  Epithelialzellen  der  Riechschleimhaut 
und  der  Zunge  (?),  in  den  freien  Endanschwellungen  der  sym- 
pathischen Fasern  in  Luschka's  Steissdrüse  (§.  325),  u.  m.  a.  Nach 
Krause  endigen  die  sensitiven  Nervenfasern  in  der  Conjunctiva, 
im  weichen  Gaumen,  in  der  Clitoris,  im  männlichen  Gliede,  im 
rothen  Lippenrande,  mit  knopfförmigen  Auftreibungen  (Kolben). 
Krause  hofft,  dass  die  von  verschiedenen  Autoren  angeführten 
„freien"  Nervenendigungen,  als  kolb ige  werden  gesehen  werden, 
denn  die  Mikroskopie  gebietet  über  sehr  flügsame  Charaktere,  die 
sich  leicht  hineinfinden,  toties  mutatam  flere  ßdem.  Kaum  hatte  sich 
die  Wissenschaft  der  Freude  über  die  gefundenen  Kolben  über- 
lassen, rief  schon  ein  Zweiter  in  die  anatomische  Welt  hinein: 
Kolben  sind  Artefacte  (J.  Arnold,  Archiv  für  path.  Anat. 
Bd.  XXIV).  Ich  frage  nun,  ob  ich  an  einem  anderen  Orte  zu  viel 
gesagt,  wo  ich  es  auszusprechen  wagte,  dass  solches  Gebahren  nicht 
zu  den  Glanzpunkten  der  Mikroskopie  zählt. 

Die  von  Gerber,  Hannover,  Emmert  angenommenen  peri- 
pherischen Nervcnschlingen,  d.  i.  bogenförmige  Uebergänge 
zweier  Primitivfasem  an  ihrem  peripherischen  Ende,  erfreuten  sich 
nur  kurze  Zeit  ihrer  Geltung,  indem  viele  jener  Beobachtungen, 
welche  die  Existenz  der  Schlingen  nachwiesen,  durch  entgegenge- 
setzte aufgewogen  wurden,  und  vom  theoretischen  Standpunkte 
aus  die  Schlingen,  um  mit  Volkmann's  Worten  zu  reden,  „nicht 
Wos  etwas  Räthselhaftes,  sondern  etwas  Unbrauchbares,  man  möchte 
sagen,  etwas  Absurdes  sind.^  Die  SchUnge  lässt  sich  mit  unseren 
Vorstellungen  über  Nervenleitung  nicht  vereinbaren.  Volkmann 
hat  dieses  auf  wahrhaft  geniale  Weise  dargethan.  Und  dennoch 
giebt  es  deren  (§.  71.  5).  Es  lässt  sich  darauf  nur  erwidern,  dass 
wahrscheinlicher  Weise  unsere  Vorstellungen  über  Leitimg,  nicht 
aber  die  Schlingen  etwas  Irriges  seien. 

Die  peripherischen  Endigungen  der  Sinnesnerven  erwähne  ich 
bei  den  betreffenden  Paragraphen  der  Nervenlehre;  —  jene  der 
motorischen  Nerven  in  den  animalen  Muskeln  gestalten  sich  nach 
Kühne  so,  dsss  die  letzten  Kamificationen  einer  motorischen  Ner- 
venfaser ihre  doppelten  Contouren  verlieren,  ihre  Hülle  in  das 
Sarcolemma  der  Muskelfaser  übergeht,  ihr  Axencylinder  aber  in 
das  Innere  der  Faser  eindringt,  um  daselbst  in  eigenthümlichen 
Körpern  (Endknospen,  Endplatten)  zu  endigen.  Diese  End- 
knospen sind  gegen  den  Inhalt  der  Muskelfaser  sehr  scharf  abge- 
setzt,   gegen   das   Sarcolemma  zu    sind    sie    stärker  gewölbt,    und 


$.  70.  PAdni^sche  Körperehen  and  Wagner's  Tastk&rperohen.  171 

drängen  dasselbe  hügelartig  hervor.  Ihre  Peripherie  ist  so  ansehn- 
lich^ dass  sie  einem  Drittel  des  Sarcolemma  (und  darüber  hinaus) 
entsprechen.  Dir  Rand  erscheint  nicht  selten  in  kolben-  oder  lappen- 
förmige  Fortsätze  verlängert.  Kaum  aber  wurde  diese  Ansicht  aus- 
gesprochen, und  von  der  Pariser  Akademie  mit  einem  Preise  belohnt, 
hängt  ihr  schon  der  Widerspruch  an  der  Ferse,  und  veröffentlichte 
Kölliker  eine  vorläufige  Mittheilung,  kraft  welcher  Kühne's  End- 
knospen ftir  Kerne  der  Scheide  der  motorischen  Primitivfaser  erklärt 
werden  (woftlr  sie  doch  wahrlich  etwas  zu  gross  sind),  welche 
Scheide  ebensowenig  in  das  Sarcolemma  übergeht,  als  der  Axen- 
cylinder  in  das  Innere  einer  Muskelfaser  eingeht.  Die  motorische 
Primitivfaser  löst  sich  vielmehr  auf  dem  Sarcolemma  in  eine  An- 
zahl von  blassen  Endfasem  auf,  deren  jede  aber  noch  aus  Scheide 
und  Axencylinder  besteht,  und  mit  verschmächtigten  Ausläufern  frei 
endigt.  Würzburger  naturw.  Zeitschr.  III.  Bd.  1862^  und  Zeitschrift 
für  wiss.  Zool.  12.  Bd.  Ebenso  Schiff  in  der  Schweizer  Zeitschrift 
ftir  Heilkunde.  1.  Bd.  pag.  171.  Ich  denke  an  den  römischen  Ge- 
schichtsschreiber: quidquid  egerunt,  coiitrarii  fecerunt.  In  den  Speichel- 
drüsen sollen  die  Nervenfasern  in  die  Epithelien  derselben  eindringen, 
die  Zellen  derselben  mit  ihren  Zweigen  umspinnen,  ja  selbst  in  den 
Kernen  dieser  Zellen  endigen.  Hoyer,  Conheim  und  Kölliker 
sahen  die  Ausläufer  des  Nervennetzes  der  Faserschichte  der  Horn- 
haut, die  vordere  structurlose  Schichte  dieser  Membran  durchbohren, 
und  sich  zwischen  den  Zellen  des  mehrfach  geschichteten  Epithels 
bis  in  die  oberflächliche  Schichte  desselben  erheben,  um  zwischen 
denselben  frei  zu  endigen.  —  Die  Endigung  der  Nerven  in  orga- 
nischen Muskeln  liegt  noch  im  Dimkel. 

Uebcr  Nervenendigungen  handeln:  Kölliker ^  Sitzungsberichte  der  med.- 
phys.  Gesellschaft  zu  Würzburg,  1856.  Dec.  (Zitterrochen).  —  Eokery  Unter- 
suchungen zur  Ichthyologie.  Freiburg,  1857  (Mormyrus).  —  Leydig,  Zeitschrift 
für  wiss.  Zoologie,  V.  Bd.,  pag.  75,  und  Müller^s  Archiv,  1866,  pag.  153.  — 
-ff.  Wttffiier,  über  die  Endigungeu  der  Nerven  im  Allgemeinen,  Froriep'a  Notizen, 
1857,  4.  Bd.,  Nr.  16.  —  Kratue,  die  terminalen  Körperchen  der  einfach  sensitiven 
Nerven.  Hannover,  1860.  —  JcieuhowiUch,  terminaison  des  nerfs.  Comptes  rendus, 
1860,  Nr.  7.  —  Kühne,  die  peripherischen  Endorgane  motor.  Nerven.  Leipzig, 
1862.  —  Derselbe,  in  Virchow't  Arch.  34.  Bd.  —  Grc^  im  Arch.  für  mikr.  Anat 
1.  Bd.  —  W,  Pßüger,  die  Endigungen  der  Nerven  in  den  Speicheldrüsen.  Bonn, 
1866.  —  Hof/er,  Arch.  für  Anat  und  Phys.  1866.  —  Conheim,  med.  Centralblatt 
1866,  Nr.  26.  —  Kölliker,  Würzburger  phys.  med.  Gesellschaft,  1866. 


§.  70.  Facini'sche  Eörperchen  und  Wagner's  Tastkörperchen. 

Als    sehr    charaktcristieche    Fonnen   von    iier        >*»>*  Nerven- 
endigung sind  die  fi^cjini'Bchen  KttifK 


1  «*?  |>  ML    PacüTflch«  KdrperclieB  nnd  Wagner^s  TastkdrpereheB. 

ktirpftpfii«!  eines  eigenen  Paragraphes  werth.  Sie  wurden  von 
Krampe«  mit  den  von  ihm  entdeckten  Endkolben  sensitiver  Nerven 
:r  «»f  Onippe  zusammengestellt,  und  als  ^terminale  Endkörperchen 
<*M»itiTwp  Xerven**  benannt 


a)  Pacinüsche  Köfpet'chen, 

Es  finden  sich  an  den  feineren  Ramificationen  vieler  Nerven 
wx*»#s*t\  kleine,  elliptische  Körperchen,  seitlich  anliegend,  oder  durch 
Stiolo  mit  ihnen  zusammenhängend.  Ihre  Länge  variirt  von  1^3 
bi»  :^  Millimeter.  Am  häufigsten  und  grössten  kommen  sie  an  den 
Hohlhand*  und  Fingerästen  des  Nervus  ulnaris  und  medtanusy  an 
beiden  Xervi  plantares,  seltener  und  kleiner  am  Plexus  sacralis, 
ciwygeus  (^Luschka)  und  epigastricus,  Nervus  cruralis,  an  einigen 
Hautnerven  der  oberen  und  unteren  Extremität,  an  jenen  der  männ- 
lichen und  weiblichen  Brustwarze  vor.  Auch  an  den  Nerven  der 
Binder  und  der  Beinhaut  wurden  sie  in  neuester  Zeit  beobachtet 
(Raub  er).  In  einer  Handfläche  finden  sich  deren  60 — 200,  nach 
Herbst  sogar  600.  Sie  bestehen  aus  concentrischen,  häutigen  Kap- 
seln, welche  durch  serumhaltige  Zwischenräume  von  einander  getrennt 
sind.  Auch  der  Stiel  ist  ein  System  in  einander  geschobener  Röhren. 
Die  innerste  Kapsel  umschliesst  keinen  Hohlraum,  wie  man  anfangs 
meinte,  sondern  einen  Kolben  homogenes,  kernführendes  Bindege- 
webe (Innenkolben). 

Der  durch  die  Axe  des  Stieles,  in  Begleitung  eines  Capillar- 
geiUsses  eingedrungene  Axencylinder,  dessen  Scheide  und  Mark  an 
den  Eintrittsstellen  in  das  Körperchen  aufhören  (oder  in  die  concen- 
trischen Kapseln  desselben  übergehen),  endigt  mit  einer  einfachen 
knopfförmigen  Anschwellimg,  oder  theilt  sich  gabelförmig,  um  mit 
kleineren  Knöpfchen  aufzuhören. 

Ich  habe  Pacini'sche  Körperchen  wiederholt  am  Nervus  infra- 
orbitalüy  und  Kölliker  an  Knochennerven  aufgefunden.  Man 
braucht  sich  von  einem  Pacini'schen  Körperchen  nur  die  häutigen 
Kapseln  wegzudenken,  um  aus  ihnen  Krause's  kolbige  Enden 
sensitiver  Nerven  zu  erhalten.  Eine  Verwandtschaft  beider  lässt  sich 
somit  immerhin  annehmen. 

Aasführlichercfl  siehe  bei  F.  Pacini,  nuovi  organi  scopertd  nel  corpo  umano. 
Pistoja,  1840.  —  J.  Henle  und  A,  Kölliker,  über  die  Pacini*schen  Körperchen. 
Zürich,  1844,  wo  anch  das  Historische  zusammengestellt  ist.  Nach  Längeres 
geschichtlicher  Nachweitung  (Oesterr.  medicin.  Wochenschr.  1846)  waren  diese 
Körperchen  schon  A.  Vater,  als  PapUlae  nerveatj  bekannt.  Sie  wurden  von 
Heule,  Kölliker  und  Osann  in  allen  Säugethierordnungen,  yon  Herbst  auch 
an  der  inneren  Fl&che  der  Mittelhandknochen  bei  Vögeln  gefanden.  Niemals 
sind   die   Nenren,    an   welchen   sie   vorkommen,   motorischer  Natur.    Schon   an 


S.  70.   PMini'scke  Körperchen  and  Wagner's  Tasikdrperchen.  173 

Embryonen  von  28  Wochen  Mnirden  sie,  obwohl  im  nnentwickolten  Zuntande 
gefanden.  Beim  Erwachsenen  sind  sie  an  den  Hautnerven  der  Finger  und  Zehen 
am  zahbreichsten,  und  zwar  weniger  an  den  Hanptstämmen,  als  an  den  feineren 
Zweigen  derselben.  Am  schönsten  zeigen  sie  sich,  wenn  man  Haut  imd  Fleisch 
einer  Fusssohle  hart  an  den  Knochen  loslöst,  und  dann  von  innen  her  die  Ner- 
venstämme verfolgt.  So  lange  die  Nerven  noch  unter  der  Fatcia  plantaria  liegen, 
zeigen  sie  nur  wenig  Pacini*sche  Körperchen;  haben  sie  aber  die  Fascia  durch- 
bohrt, und  sind  sie  in  das  fettreiche  Unterhautzellgewebe  gelangt,  so  findet  man 
sie  zahlreicher  damit  ausgestattet,  selbst  bis  zu  ihren  feinsten  Verftstluogen  hin. 
Bei  der  Katze  kommen  sie  auch  an  den*  sympathischen  Geflechten  im  Mesen- 
terium, und  auf  dem  Pankreas  vor,  und  sind  hier  am  leichtesten,  fast  ohne  alle 
Präparation,  dem  Anfänger  zugänglich.  Pathologischen  Ursprungs  sind  sie  nicht, 
da  sie  sich  schon  bei  Embryonen  vorfinden,  und  bei  vollkommen  gesunden  Indi- 
viduen nie  vermisst  werden.  Man  hat  auch  an  eine  Verwandtschaft  der  Pacini*schen 
Körperchen  mit  den  elektrischen  Organen  gewisser 'Fische  gedacht. 

Purkinje,  über  die  Pacini^schen  Körperchen,  in  Ctuper^a  Wochenschrift. 
1B46.  Nr.  48.  —  O.  Herhat^  die  Pacinrschen  Körperchen.  Göttingen,  1848  (be- 
sonders reich  an  vergl.  anat  Angaben).  Ebenso  jPV.  Otann  in  K'öüiker^a  Bericht 
Über  die  zootom.  Anstalt  zu  Wttrzburg.  1849.  p.  90.  —  F.  Leydig  (über  die  Pa- 
cini*8chen  Körperchen  der  Taube),  in  der  Zeitschrift  für  wiss.  Zoologie,  6.  Bd. 
1.  HefL  —  A.  KölUker,  Bemerkungen  über  die  Pacini^schen  Körperchen,  in  der 
Zeitschrift  für  wiss.  Zoologie,  5.  Bd.  1.  Heft,  und  8.  Bd.  p.  312.  —  W,  Krfersteiny 
über  den  feineren  Bau  der  Pacini*schen  Körperchen,  in  den  Göttinger  Nachrichten, 
1868.  Nr.  8.  —  HyrÜ,  Oesterr.  Zeitschrift  für  prakt  Heilkunde,  1869.  Nr.  47.  — 
Krause^  anat.  Untersuchungen.  Hannover,  1861. 


b)   Wagner^s  Tcutkörperchen. 

G.  Meissner  und  R.  Wagner  machten  1852  den  merkwür- 
digen Fund;  dass  gewisse  Tastwärzchen  der  Haut^  gewöhnlich  die 
niedrigen  und  dicken,  besonders  an  der  Volarfläcbe  der  Finger  und 
Zehen,  einen  elliptischen,  selten  sphärischen,  quergestreiften  Körper 
einschliessen,  zu  welchem  das  letzte  Ende  eines  oder  zweier  feinster 
Tastnervenfäden  in  terminaler  Beziehung  steht  Wagner  nannte 
diese  Körper,  C&i^pusada  tactus.  Durchschnittlich  sind  sie  Q^02''^ 
lang,  und  0,008 — 0,01'"  breit.  Die  übrigen  längeren  und  konischen 
Tastwarzen  enthalten  blos  Capillargefässschlingen,  aber  weder  Tast- 
körperchen, noch  Nerven.  Wie  die  Tastnervenfäden  in  den  Tast- 
körperchen endigen,  ist  zur  Zeit  noch  nicht  ausgemacht.  Die  quer- 
gestreifte Oberfläche  der  Tastkörperchen  lässt,  was  im  Inneren 
vorgeht,  nicht  belauschen.  Man  ist  auch  über  die  Natur  der  Quer- 
streifen nicht  einig.  Meissner  erklärt  sie  für  die  in  Spiraltouren 
um  einen  inneren  homogenen  Bindegewebskern  herumgehenden 
Endäste  der  durch  Theilung  zerfallenden  Nervenprimitivfasom.  Die 
Tastkörperchen  wären  demnach  eine  eigene,  höchst  merkwürdige 
Form  von  spiraler  Aufknäuelung  einer  oder  zweier,  durch  Spaltung  ver- 
jüngter Nervenfasern,  um  den  ceniralcaiL.  Kcpm  ^      »inioi)en« 


174  l>  71.   Anatonisclie  Eigenschaften  der  Nerven. 

Andere  (Kölliker,  Bidder;  Huxley)  halten  sie  fttr  spindelför- 
mige Zellen;  gestreckte  Kerne,  oder  Fasern  elastischer  Natur. 
Der  Umstand,  dass  bei  Lähmung  der  GefUhlsnerven,  die  Querstrei- 
fung der  Tastkörperchen  schwindet,  vindicirt  wohl  die  ihnen  von 
Meissner  zugeschriebene  Bedeutung  von  Nervenfasern. 

Meissner,  Beiträge  zur  Anat.  und  Phys.  der  Haut  Leipzig,  1863.  —  Neuere 
Angaben  von  Oerlach  und  Nuhn,  in  der  illuBtr.  medic.  Zeitschrift,  2.  Bd.  — 
Leydig,  MfiUer's  Archiv.  1866.  —  Ecker,  Icones  physiol.  Tab.  XVII.  —  J.  0er- 
lach,  in  dessen  mikroskopischen  Studien.  Erlangen,  1858.  pag.  39,  seqq.  — 
Krause,  anat.  Untersuchungen,  pag.  8,  seqq.  — -  A.  Rauher,  Diss.  inaug.  1865 
(Tastkörperchen  der  Bänder  und  Beinhautnerven). 


§.  71.  Anatomische  Eigenschaften  der  lenren. 

1.  Die  grösseren  Nervenstämme  bilden  rundliche  oder  platte 
Stränge  mit  äusserer  derberer  BindegewebshüUe  {Neurilemnia)^  und 
faserigem;  weichem  Inhalte.  Stärke  oder  Schwäche,  Lockerheit  oder 
Straffheit  des  Neurilemma  bedingt  die  grössere  Härte  oder  Weich- 
heit des  Nerven.  Das  Neurilemma  enthält  die  ErnährungsgefUssc  des 
Nerven,  und  fuhrt  sie  seinen  Bündelabtheilungen  zu.  Der  Gef^s- 
reichthum  der  Nerven  ist,  wie  schon  ihre  weisse  Farbe  beurkundet, 
kein  bedeutender,  und  die  feinsten  Capillargefässnetze  bilden  in  ihnen 
langgestreckte  Gitter  oder  Maschen. 

2.  Das  scheinbare  Dickerwerden  der  Nerven  nach  ihrem  Aus- 
tritte aus  der  Schädel-  oder  Rückgratshöhle  beruht  nicht  auf  einer 
Vermehrung  der  Fasern,  oder  auf  einem  Dickerwerden  derselben, 
sondern  auf  dem  Auftreten  der  Scheide,  welche  jeder  Nerv,  bei 
seinem  Durchgang  durch  das  betreffende  Loch  der  Hirnschale  oder 
des  Rückgrates,  von  der  Dura  maier  erhält.  Oertliche  Verdickungen 
im  Verlaufe  der  Nerven  entstehen  auf  zweifache  Weise,  a.  Durch 
Divergenz  der  Primitivfasem,  welche  auseinander  weichen,  wie  die 
Flachsftlden  eines  aufgedrehten  Strickes,  sich  verketten,  neuerdings 
an  einander  legen,  und  in  den  dadurch  gebildeten  Zwischenräimien 
Ganglienkugeln  aufnehmen,  welche  selbst  wieder  neue  Nervenfasern 
erzeugen.  Diese  Verdickungen  oder  Anschwellungen,  welche  ge- 
wöhnlich eine  gefilssreichere  Hülle  als  der  Nerv  selbst  erhalten, 
und  durch  mehr  weniger  graue  Färbung  sicli  von  der  Farbe  des 
Nervenstammes  unterscheiden,  heissen  Nervenknoten,  Ganglia, 
ß.  Durch  Anlagerung  eines  anderen  Nervenstammes,  also  durch 
Verbindimg  zweier.  Diese  Verdickung  ist  nie  knotenartig,  sondern 
mehr  gleichförmig,  und  erstreckt  sich  auf  längere  oder  kürzere 
Stellen,  je  nachdem  der  hinzugetretene  Nerv  sich  früher  oder  später 
wieder  entfernt.  Man  könnte  sie  die  cylindrische  Verdickung  nennen, 
v.  Durch   massenhaftere   Entwickhmg  grauer  Fasern  in  Mitten  eines 


i.  71.  Anatomisch«  BigenBcballeii  der  Nerven.  175 

Cerebrospinalnerven,  wie  sie  z.  B.  von  Kollmann  im  Bauchtheile 
des  Vagus  beobachtet  wurde. 

3.  Die  Primitivfasem  der  Nerven  sind,  wie  oben  bemerkt 
wurde,  nicht  verästelt,  und  hängen  nicht  durch  Anastomosen,  ausser 
in  ihren  centralen  und  peripherischen  Endbezirken,  unter  einander 
zusammen.  Verästelt  sich  nun  ein  Nerv,  so  kann  der  Ast  des  Ner- 
ven nicht  als  eine  Summe  von  Aesten  der  Primitivfasem  genommen 
werden.  Er  entsteht  vielmehr  nur  dadurch,  dass  von  vielen,  in 
einem  Nervenstamme  parallel  neben  einander  hegenden,  nicht  ana- 
stomosirenden  Primitivfasem,  ein  Bündel  sich  ablöst,  und  seitwärts 
abtritt  Dieses  Abtreten  von  Fasern  aus  dem  Gesammtbttndel  kann 
sich  so  oft  wiederholen,  bis  die  letzten  Aestchen  nur  aus  einer  ein- 
zigen Primitivfaser  bestehen. 

4.  Verbinden  sich  zwei  Nerven  (nicht  Nervenfasern)  zu  einem 
Stamme,  oder  werden  sie  durch  Zwisclienbog^n  unter  einander  ver- 
einigt, so  heisst  diese  Verbindung  Nervenanastomose.  Alle  Nerven, 
mit  Ausnahme  der  drei  höheren  Sinnesnerven  des  Geruchs,  Gesichts 
und  Gehörs,  bilden,  theils  mit  ihren  Aesten,  theils  mit  jenen  anderer 
Nerven,  Anastomosen,  welche  gegen  die  Endigung  der  Nerven  hin 
zahlreicher  werden.  Aus  dem  im  3.  Gesagten  leuchtet  ein,  dass 
Nervenanastomose  etwas  Anderes  ist  als  Gefässanastomose.  ^efkss- 
anastomose  ist  wahre  Höhlencommunication,  —  Nervenanastomose 
nur  Austritt  eines  Faserbündels  aus  einem,  imd  Eintritt  in  einen 
zweiten  Nervenstamm.  Das  Faserbündel  kann  an  dem  Stamme,  zu 
welchem  es  trat,  vor-  oder  zurücklaufen:  AtmaUmums  progi'essiva  et 
regreasiva, 

5.  Die  Anastomosü  regreasiva,  welche  von  den  Anatomen  bisher 
übersehen  wurde,  kann  nur  durch  Nervenfasern  zu  Stande  kommen, 
welche  an  jenen  Nerven,  zu  welchen  sie  gehen,  rückläufig  werden, 
d.  h.  zu  dem  Centralorgan  zurückkehren,  von  welchem  sie  ent- 
sprungen waren.  Sie  haben  also  kein  peripherisches  Ende,  und 
wurden  von  mir  als  „Nerven  ohne  Ende*^  bezeichnet  {On  Nervs 
wühout  eruis,  im  Quarterly  Review  of  Nat.  Hist.  1862.  January,  und 
Ueber  endlose  Nerven,  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad. 
1865).  An  vielen  bogenförmigen  Nervenanastomosen,  nie  aber  an 
spitzwinkligen,  lassen  sich  zurücklaufende  Nerven  ohne  Ende,  mit 
dem  Messer  darsteUen.  Ihre  physiologische  Bestimmung  ist  ein  un- 
gelöstes Räthsel,  da  sie  unverrich teter  Sache  umkehren,  und  somit 
weder  zu  den  motorischen,  noch  sensitiven,  noch  trophischcn  Ner- 
ven zählen  können.  Vor  der  Hand  dienen  sie  dazu,  die  Werthlosig- 
keit  von  Reizimgsversuchen  durchschnittener  Nerven  verstehen  zu 
machen.  Wird  nämlich  das  peripherische  Ende  eines  Nerven,  weiches 
mit  einem  anderen  durch  rückläufige  Anastomose  in  Verbindung  iW) 
gereizt,  so  wird   der  Erfolg  der  Reizung  auch  jene 


1^76  §•  ^^*   ÄBttioDiifohe  EigensohaAen  der  Nerren. 

in  sich  schliessen,   welche  als    Reflex,    von    den   durch   die    rück- 
läufigen Fasern  erregten  Centralorganen  auftreten  müssen. 

6.  Die  Fasern  einer  Anastomosü  progressiva  können  bei  dem 
Nerven  bleiben,  welchen  sie  aufsuchten  (Anastomosis  permanens), 
oder  ihn  wieder  verlassen  (Anastomosis  temporanea),  um  zu  ihrem 
Mutterstamm  zurückzukehren,  oder  zu  einem  dritten,  vierten  Ner- 
ven zu  treten.  Veränderte  Association  der  Faserbündel  ist  also  die 
Idee  der  Nervenanastomose.  Es  ist  flir  die  physiologische  Bedeutung 
eines  Nerven  von  Wichtigkeit,  zu  wissen,  ob  die  Anastomose,  die 
er  mit  einem  anderen  eingeht,  darin  besteht,  dass  der  Nerv  A  dem 
Nerv  B  einen  Verbindungszweig  zusendet,  oder  A  von  B  einen 
solchen  erhält,  ob  also  die  Anastomose  eine  Anastomosis  emissiaius, 
oder  eine  Anastomosis  receptionis  ist. 

7.  Giebt  der  Nerv,  der  ein  Faserbündel  aufnimmt,  dafür  eines 
an  den  Abgeber  zurück,  so  'nenne  ich  diese  eine  wechselseitige 
Anastomose,  Anastomosis  mutua;  nimmt  er  nur  auf,  ohne  abzu- 
geben, eine  einfache  Anastomose  Anastomosis  simplex. 

8.  Theilen  sich  mehrere  Nerven  wechselseitig  Faserbündel 
mit,  so  dass  ein  vielseitiger  Austausch  eintritt,  so  entsteht  ein 
Nervengeflecht,  Plexus  nervosus.  Die  aus  einem  Geflechte  her- 
austretenden Nerven  können  somit  Faserbündel  aus  allen  eintreten- 
den Nerven  besitzen.  Werden  die  Maschen  eines  Geflechtes  mit 
GangUenkugeln  ausgefüllt,  was  übrigens  nur  an  kleinen  Geflechten 
geschieht,  so  entsteht  ein  Gangliengeflecht,  Plexus  ganglvosus, 

9.  Die  Nerven  verlaufen  in  der  Regel  geradelinig,  und  machen 
nur  im  Kopfe  und  in  den  GUedmassen  leichte  Biegungen  um  ge- 
wisse Knochen  herum.  Schlängelungen,  wie  sie  an  den  Blutgefässen 
vorkommen,  werden  an  den  Nerven  nicht  beobachtet.  Jede  grössere 
Arterie  hat  einen  oder  mehrere  Nerven  zu  Begleitern.  Sie  hegen 
aber  nicht  in  der  Scheide  der  Arterie,  obwohl  die  Nerv^nscheide 
mit  der  Gef^ssscheide  organisch  zusammenhängen  kann.  Die  grössten 
Nervenstränge  haben  dagegen  nicht  immer  grosse  Gefässe  in  ihrem 
Gefolge  {Nervus  ischiadicus,  medianus  am  Vorderarm,  etc.). 

10.  Die  Stärke  ui^d  Dicke  der  Nerven  steht  weder  mit  der 
Masse  des  Organs,  noch  mit  der  Intensität  seiner  Wirkung  im  Ver- 
hältniss.  Ein  häutig  gebrauchter  und  kraftvoll  entwickelter  Muskel 
hat  keine  stärkeren  Nerven,  als  derselbe  Muskel  eines  schwachen 
Individuums.  Kleine  Muskeln  haben  oft  stärkere  Nerven  als  zehn- 
mal grössere.  Der  Nervtis  trochlearis,  abducefis,  ociilomotorins,  und 
die  Nerven  der  Gesichtsmuskeln,  sind  im  Verhältniss  viel  ansehn- 
licher, als  die  Nerven  der  Rücken-  oder  Gesässmuskeln. 

11.  Die  Nerven  der  Organe  treten  an  ihrer  inneren,  d.  h.  der 
MitteUinie  des  Stammes  oder  der  Axe  der  GUedmassen  zugekehr- 
ten  Seite    ein.    Dass   dieses   Gesetz   nicht   fiXr   die    röhrenförmigen 


$.   78.   Plijsi(^ogisohe  EigenBchaften  des  anlmalen  Nenrensyntemif.  ]  77 

Organe  (GefiLsBC;  Drüsenkanäle;  Darmkanal)  gelten  könne^  versteht 
sich  von  selbst. 

12.  Die  Verlaufsrichtung  eines  Nerven  variirt  nur  selten.  Da- 
gegen ist  die  Folge  seiner  Aeste,  seine  TheilungssteUe,  und  seine 
Anastomose  mit  benachbarten  Nerven ;  häutigen  Spielarten  unter- 
worfen, welche  in  chirurgischer  Hinsicht  von  Belang  sind.  Da  die 
Primitivfasem  eines  Astes  schon  im  Stamme  präformirt  sind,  so 
wird  eine  höhere  oder  tiefere  Theilung  eines  Nerven,  in  seiner  phy- 
siologischen Wirkung  nichts  ändern. 

13.  Die  zwei  Hauptstränge  des  vegetativen  Nervensystems 
{Nervus  sympcUhicus)  laufen  mit  der  Wirbelsäide  parallel,  und  ihre 
peripherischen  Verbreitungen  halten  sich  an  die  Ramificationen  der 
Gefässe,  vorzugsweise  der  Arterien,  und  da  diese  häufig  unsym- 
metrisch sind,  so  kann  das  für  das  Cerebrospinalsystem  geltende 
Gesetz   der   Symmetrie   auf  den  Sympathicus  nicht  anwendbar  sein. 


§.  72.  Physiologische  Eigenschaften  des  animaJen  lerven- 

systems. 

Es  ist  noch  nicht  länge  her,  dass  man  die  physiologischen 
Eigenschaften  der  Nerven  auf  experimentellem  Wege  kennen  zu 
lernen  versuchte.  Bevor  Ch.  Bell  den  ersten  nachwirkenden  Im- 
pids  zur  genaueren  physiologischen  Prüfung  eines  in  seinen  Lebens- 
äusserungen so  gut  als  unbekannten  Systems  gab,  war  die  Lehre 
von  den  Gesetzen  der  Nerventhätigkeit  ein  vollkommen  brach  liegen- 
des Feld.  Die  Ehrfurcht  vor  den  Lebensgeistern,  welche  in  den 
wundersam  verschlungenen  Bahnen  des  Nervensystems  ihr  Wesen 
treiben  soUten,  schien  jeden  Versuch  hintangehalten  zu  haben,  diese 
geheimnissvollen  Potenzen  vor  das  Forum  der  Wissenschaft  zu 
citiren,  und  Alles,  was  man  nicht  zu  erklären  wusste,  erklärte  die 
stehende  Formel  des  „Nerveneinflusses".  Was  das  eigentlich 
wirksame  Agens  in  den  Nerven  sei,  wissen  wir  zwar  eben  so  wenig, 
als  wir  die  Natur  des  Lebens  verstehen.  Wir  werden  es  auch 
schwerlich  je  erfahren,  und  die  Wissenschaft  hat  das  Ihrige  gethan, 
wenn  sie  die  Gesetze  kennen  lehrt,  welchen  die  Lebensthätigkeiten 
der  Nerven  gehorchen,  und  die  Erscheinungen  analysirt,  um  sie  auf 
einfache  Principien  zu  reduciren.  Da  es  sich  hier  nur  darum  han- 
delt, einen  kurzen  Umriss  der  vitalen  Verhältnisse  dieses  Systems 
zu  geben,  so  kann  Folgendes  genügen. 

1.  Die  Nerven  sind,  wie  die  Telegraphendrähte,  niemals  Er- 
reger, sondern  nur  Leiter  von  Eindrücken  zum  oder  vom  Central- 
bureau  des  Gehirns.  Die  Eindrücke  werden  entweder  von  den 
Centralorganen    gegen    die    peripherischen    Gebilde,    oder   von    der 

HyrtI,  Lehrbuch  der  Anatomie.  12 


178  I*  72*  Pkjrsiologiielie  Rigenscliftftoii  des  uiimftleii  Nervensystems. 

Peripherie  gegen  die  Centralorgane,  mit  grosser  Schnelligkeit  fort- 
gepflanzt. Die  Leitung  erfolgt  sonach  in  zwei  Richtungen.  Jene 
Nerven,  welche  centripetal  leiten,  heissen  sensitive  oder  Em- 
pfindungsnerven, —  welche  centrifugal  leiten,  motorische 
oder  Bewegungsnerven.  Das  Gehirn  und  das  Rückenmark  sind 
die  Centra  für  das  animale,  die  Ganglien  für  das  vegetative  Nerven- 
system. Jeder  Reiz,  der  im  Verlaufe  eines  Nerven  angebracht  wird, 
sei  er  mechanischer,  chemischer  oder  dynamischer  Natur,  wird, 
wenn  der  Nerv  ein  Empfindungsnerv  ist,  Empfindungen,  wenn  er 
ein  Bewegungsnerv  ist,  Contractionen  in  den  Muskeln,  zu  welchen 
er  läuft,  aber  niemals  Empfindung  veranlassen.  Schmerz,  als  eine 
Art  von  Empfindung,  kann  niemals  durch  motorische  Nerven  ver- 
mittelt werden. 

2.  Der  Unterschied  zwischen  centrifugalcr  und  centripetaler 
Richtimg  der  Leitung  ist  jedoch  nur  scheinbar.  Jede  Primitiv- 
faser leitet,  wenn  sie  an  irgend  einem  Punkte  ihres  Verlaufes  ge- 
reizt wird,  den  Reiz  nach  beiden  Richtungen  fort.  Da  jedoch  die 
empfindenden  Fasern  nur  an  ihrem  centralen  Ende  mit  Nervenele- 
menten in  Verbindung  stehen,  welche  fähig  sind,  den  Reiz  wahrzu- 
nehmen, und  die  motorischen  Fasern  nur  an  ihrem  peripherischen 
Ende  mit  contractionsftlhigen  Muskeln  zusammenhängen,  so  wird 
die  physiologische  Wirkung  der  Erregung  einer  Nervenfaser  in  dem 
einen  FaUe  Empfindung,  in  dem  anderen  Bewegung  sein.  Nicht 
die  Leitungsverschiedenheit  der  Faser,  sondern  die  Verschiedenheit 
der  Organe,  mit  welchen  sie  an  beiden  Enden  zusammenhäilgt, 
bedingen  somit  die  Verschiedenheit  des  Reizerfolges.  Nichts  desto 
weniger  sind  die  in  1.  gebrauchten  Ausdrücke  so  gang  und  gebe, 
dass  man  sie  fUglich  beibehalten  kann. 

3.  Man  hat  die  Leitung  der  Erregung  durch  den  Nerven,  bis 
auf  die  Gegenwart,  für  unmessbar  schnell  gehalten.  Dieses  ist  sie 
nicht.  Sie  ist  im  Verhältniss  zur  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der 
Imponderabilien  eine  träge  zu  nennen,  obwohl  an  und  für  sich  eine 
schnelle.  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  elektrischen  Stro- 
mes beträgt  61,000,  jene  des  Lichtes  mehr  als  40,000  Meilen  in 
der  Secunde,  während  sie,  nach  den  sinnreichen  Versuchen  von 
Helmholz,  im  Ne)nni^  iachiadicus  des  Frosches  nicht  grösser  ist,  als 
33  Meter  in  der  Secunde.  Dieses  dürfte  den  Arzt  weniger  interes- 
siren,  da  es  keine  Nerven  von  Meilenlänge  giebt.  Die  Leitungs- 
schnelligkeit variirt  selbst  in  einem  und  demselben  Nerven  nach 
Verschiedenheit  seiner  Temperatur,  und  Kälte  verzögert  sie  augen- 
fällig, oder  hebt  sie  ganz  auf. 

4.  Das  Vermögen,  Empfindungen  oder  Bewegungsimpulse  zu 
leiten,  ist  eine  angeborene,  immanente  Eigenschaft  der  Nerven,  und 
kommt  jeder  ihrer  Primitivfasem  zu.   Da  die  Primitivfasem  nie  mit 


g.  7S.   Physiologische  Eigenschaften  des  animalen  Nerrensystems.  179 

benachbarten  durch  Aestc  Qommuniciren,  und  ohne  Unterbrechung 
von  ihrem  Anfange  bis  zum  Ende  verlaufen,  so  können  sie  als 
physiologisch  isolirt  gedacht  werden,  d.  h.  einem  gewissen  peri- 
pherischen Bezirke  wird  ein  bestimmter  Centralpunkt  entsprechen, 
imd  der  durch  Reiz  bedingte  Erregungszustand  einer  Nervenfaser 
wird  im  Verlaufe  des  Nerven  niemals  auf  eine  benachbarte  tiber- 
springen (Lex  isolationü).  Im  Central  Organe  dagegen  (und,  nach 
dem  im  §.  69  Gesagten,  auch  in  den  peripherischen  Verästlungs- 
bezirken  der  Nerven)  müssen  wir  eine  solche  Vertheilung  der  Er- 
regung auf  benachbarte  Fasern  annehmen,  welche  daselbst  mit  der 
zuerst  erregten  in  Verbindung  stehen.  Die  Erscheinung  der  so- 
genannten Mitbewegung  und  Mitempfinduhg  wird  nur  hieraus 
erklärlich.  Wenn  der  Wille  einen  Muskel  in  Bewegung  setzen  wiU, 
und  unwiUkürUch  noch  ein  Paar  andere  thätig  werden,  so  heisst  dieses 
Mitbewegung.  Die  Fehlgriffe  des  Anfängers  im  Erlernen  des 
Violin-  und  Clavierspiels  sind  durch  uncontrolirte  Mitbewegung  von 
Muskeln,  welche  ruhig  bleiben  sollen,  bedingt  Wenn  der  Schmerz, 
den  ein  cariöser  Zahn  veranlasst,  sich  n^t  Ohrenschmerz  vergesell- 
schaftet, so  ist  dieses  Mitempfindung.  Die  unwillkürlichen  Be- 
wegungen, welche  auf  Erregung  der  Empfindungsnerven  entstehen, 
und  reflectirte  Bewegungen  genannt  werden,  setzen  ebenfalls 
eine  Uebertragung  der  Reizung  von  sensitiven  auf  motorische  Ner- 
ven in  den  Centralorganen  voraus.  Wenn  auf  Kitzeln  sich  Lachen 
und  krampfliafte  Verzerrung  des  Gesichtes  einstellt,  wenn  auf  Ta- 
bakschnupfen Niessen  entsteht,  oder  auf  Kratzen  des  Zungengrundes 
Würgen  und  Erbrechen  eintritt,  wenn  man  vor  Schmerz  die  Lippe 
beisst,  wenn  die  Gliedmasse  des  Kranken  unter  dem  chirurgischen 
Messer  zuckt,  so  sind  dieses  Reflexbewegungen. 

5.  Jeder  Nerv,  der  in  centripetaler  Richtung  zum  Gehirn  leitet, 
wird  seinen  Erregungszustand  nur  dann  zur  Anschauung,  zum 
Bewusstwerden  kommen  lassen,  wenn  die  Seele  in  Mitwissenschaft 
des  Vorganges  gezogen  wird  (Aufmerksamkeit).  Der  Erregimgs- 
zustand  des  Nerven  ist  dessen  Reaction  gegen  den  Reiz,  somit  ein 
Ausdruck  seines  Lebens.  Warum  ein  Nerv  durch  Bewegimg,  ein 
anderer  durch  Empfindung  auf  Reize  reagire,  kann  durch  die  ana- 
tomische Structur  der  motorischen  und  sensitiven  Nerven  nicht 
erklärt  werden,  da  beide  Nervenarten  sich  mikroskopisch  gleich 
verhalten.  —  Die  Empfindungsnerven  bewirken  nicht  alle  die- 
selbe Geftihlswahmehmung.  Einige  derselben,  wie  die  Sinnesnerven 
bedingen  specifische  Sinneswahmehmungen,  andere,  wie  die  Tast- 
nerven, vermitteln  allgemeine  Geftihlswalimehmungen,  als  Druck, 
Schmerz,  Hitze,  Kälte,  etc.  Ein  Sinnesnerv  kann  nie  wie  ein  Tast- 
nerv empfinden^  und  umgekehrt  kann  ein  Tastnerv  nie  einen  Sinnes- 
nerv vertret«n 

12» 


180  §•  7S*   Plijsiologisehe  Eigenschaften  des  aniraalen  NerveniyBiau. 

V 

6.  Ein  mit  einer  specifischen  Empfindlichkeit  versehener  Nerv 
wird,  er  mag  durch  was  immer  filr  Reize  afficirt  werden,  nur  solche 
Gefühle  hervorrufen,  welche  er  überhaupt  zu  veranlassen  vermag, 
z.  B.  der  Sehnerv  wird,  er  mag  durch  Druck,  oder  durch  Galva- 
nismus,  oder  durch  jenes  Agens,  welches  wir  Lichtstoff  nennen, 
gereizt  werden,  nur  auf  die  Eine  Weise,  nämUch  durch  Licht- 
empfindung, reagiren. 

7.  Das  Vermögen  ,der  Nerven,  auf  Reize  Empfindungen  oder 
Bewegungen  zu  veranlassen,  heisst  Reizbarkeit  Sie  wird  durch 
die  Einwirkung  der  Reize  nicht  blos  erregt,  sondern  auch  geändert 
Massige  Reize  steigern  sie  dadurch,  dass  sie  sie  in  anhaltender 
Uebung  erhalten.  Stärkere  Reize  schwächen  sie,  und  ein  gewisses 
Maximum  der  Erregung  hebt  sie  sogar  auf.  Ist  die  Reizbarkeit 
durch  einen  Reiz  bestimmter  Art  erschöpft,  so  kann  sie  doch  ftir 
Reize  anderer  Art,  oder  fUr  einen  stärkeren  Reiz  derselben  Art, 
noch  empfänglich  sein.  Ein  Nerv  z.  B.,  der  auf  die  Wirkung  einer 
schwachen  galvanischen  Säule  zu  reagiren  aufgehört  hat,  ist  durch 
eine  kräftigere  Säule,  oder  durch  mechanische  oder  chemische 
Reizung  noch  immer  erregbar.  Wechsel  der  Reize  wird  es  somit 
nicht  zu  einem  solchen  Grade  von  Erschöpfung  kommen  lassen, 
als  andauernde  Wirkung  eines  bestimmten  kräftigen  Reizes.  Die 
durch  mittlere  Reize  geschwächte  oder  erschöpfte  Reizbarkeit  stellt 
sich  durch  Ruhe  wieder  ein.  Das  Bedürfniss  der  Erholung  und  des 
Schlafes  erklärt  sich  hieraus. 

8.  Ein  vom  Gehirn  oder  Rückenmark  getrennter  Nerv  behält 
noch  eine  Zeitlang  seine  Reizbarkeit,  verhört  sie  aber,  wenn  seine 
Continuität  durch  Verwachsung  nicht  wieder  hergestellt  wird,  nach 
und  nach  vollkommen.  —  Jene  Stoffe,  welche  das  Vermögen  be- 
sitzen, durch  ihre  Einwirkung  auf  Nerven  ihre  Reizbarkeit  zu  ver- 
mindern oder  zu  tilgen,  heissen  narkotische  Stoffe.  Sie  setzen  den 
Verlust  der  Reizbarkeit  entweder  geradezu,  wie  die  Blausäure, 
oder  nach  einer  vorhergegangenen  heftigen  Erregung,  wie  das 
Strychnin.  Durch  die  wissenschaftliche  Anwendung  der  Reizmittel 
auf  die  Ner\'en  hat  man  die  physiologischen  Eigenschaften  der 
letzteren  auf  dem  Wege  des  physikalischen  Experiments  kennen 
gelernt,  und  jener  Theil  der  Physiologie,  welcher  sich  mit  der  Fest- 
stellung der  Lebenseigenschaften  der  Nerven  und  ihrer  Wirkungs- 
gesetze befasst,  heisst  deshalb  Nervenphysik. 

9.  Die  sensitiven  und  motorischen  Eigenschaften  der  Nerven 
erscheinen  getrennt  am  reinsten  in  den  hinteren  und  vorderen  Wur- 
zeln der  Rückenmarksnerven.  Die  vorderen  Wurzeln  der  Rticken- 
marksnervcn  sind  ausschliessend  motorisch,  die  hinteren  ausschliessend 
sensitiv  (Beirschcr  Lehrsatz).   Wie  sich  die  Gehimnerven  in  dieser 


§.  78.   PhysiologUche  Eigenschaften  dea  vegetativen  Nervensyetems.  181 

Beziehung  verhalten,   wird  am   betrefFende»  Orte  in  der  speciellen 
Nervenlehre  bemerkt. 

10.  Die  Nerven  besitzen  nur  wenig  Elasticität.  Ein  nicht  ge- 
spannter Nerv  zieht  sich,  wenn  er  durchschnitten  wird,  nur  in 
geringem  Grade  zurück,  und  selbst  dieses  Minimum  von  Retraction 
scheint  mehr  seiner  aus  Bindegewebe  gebildeten  Scheide,  als  den 
Primitivfasem  selbst  zuzuschreiben  zu  sein.  An  der  Schnittfläche 
von  Amputationsstilmpfen  werden  die  Nerven  deshalb  zwischen  den 
stark  zurückgezogenen  Muskeln  hervorstehen. 

11.  Der  Stoffwechsel  scheint  im  Nerven  nicht  mit  grosser 
Energie  zu  walten.  Die  relativ  geringe  Menge  von  Capillargefässen 
im  Nervenmark  lässt  es  vermuthen.  Nichtsdestoweniger  regenerirt 
sich  ein  getrennter  Nerv  durch  Bildung  neuer  Nervenfilamente,  imd 
übernimmt  wieder  theilweise  seine  frühere  Function.  Je  geringer 
der  Abstand  der  Schnittenden  eines  getrennten  Nerven  ist,  desto 
schneller  heilt  er  wieder  zusammen.  Man  hat  selbst  zolllange  Tren- 
nungen an  den  Extremitätennerven  grosser  Thiere  durch  Regene- 
ration ausgefllllt  gesehen  (Swan).  Die  neugebildeten  Nervenelemente 
waren  den  normalen  vollkommen  isomorph,  obgleich  weniger  zahl- 
reich, und  mit  Bindegewebsfasern  gemischt.  In  den  specifischen 
Sinnesnerven  ist  die  Wiederherstellung  der  Function  nach  Durch- 
schneidung nicht  beobachtet  worden. 


§.  73.  Physiologische  Eigenschaften  des  vegetativen  Nerven- 
systems. 

Der  Sympathicus  ist  durch  die  in  seinen  Ganglien  entsprin- 
genden Nervenfasern  ein  selbstständigcs,  durch  die  zahlreichen, 
vom  Gehirn  und  Rückenmark  zu  ihm  tretenden,  und  mit  ihm  sich 
verzweigenden  Nerven,  ein  vom  Ccrebrospiiialsysteme  abhängiges 
System.  Man  hielt  ihn  bis  auf  die  neueste  Zeit  für  den  Vermittler 
der  Emährungsprocesse.  Sein  Name  vegetatives  Nervensystem 
entsprang  aus  dieser  Ansicht  Seit  jedoch  die  Ernährungsvorgänge 
in  vollkommen  nervenlosen  Gebilden,  wie  im  Horngewebe,  im 
Knorpel,  in  der  Krystalllinse ,  u.  s.  w.  genauer  bekannt  wurden, 
musstcn  die  Vorstellungen  von  der  Abhängigkeit  der  vegetativen 
Processe  vom  Nervensystem  überhaupt  bedeutende  Einschränkun- 
gen erfahren.  Mehrere  secemirende,  oder  in  lebhafter  Stoffbildung 
begriffene  Organe  (Milchdrüse,  Synovialhäute,  Zahnsäckchen)  be- 
sitzen keine  nachweisbaren  s}Tnpathi8chen  Nervenfasern,  dagegen 
aber  ansehnliche  Fäden  vom  Cerebrospinalsystem,  und  es  ist  nur 
Vermuthung,  dass  die  Wandungen  der  Gefässe  dieser  Organe  sym- 
pathische Fasern  enthalten.    Der   Sympathicus   betheiligt   sich  nur 


182  §•  73.   Physiologuche  EigeuBchaften  des  TegeUUren  Nerrenflysieims. 

insofern  bei  den  Emährungs-  und  Secretionsprocessen,  als  er  Be- 
wegungen veranlasst,  welche  auf  diese  Processo  Einfluss  nehmen. 
Diese  Bewegungen  gehen  ohne  Willensintervention  von  Statten, 
und  wir  wissen  durch  das  Gefühl  nichts  von  ihrer  Gegenwart  Da» 
Herz,  der  Magen,  die  Gedärnie  bewegen  sich,  ohne  unser  Mit- 
wissen, und  nur  stürmische  Aufregung  dieser  Bewegungen  beim 
Herzklopfen,  Erbrechen,  und  Bauchgrimmen,  macht  uns  dieselben 
fühlbar.  Die  Centra,  von  welchen  diese  Bewegungen  ausgehen, 
sind  die  Ganglien  des  Sympathicus,  welche  insofern  als  motorische 
Apparate  anzusehen  sind.  Die  in  den  Ganglien  entspringenden, 
dem  Sympathicus  eigenthümlichen  grauen  Nervenfasern,  leiten  die 
Bewegungsimpulse  zu  den  betreffenden  Organen.  Das  Gehirn  und 
das  Rückenmark  können  durch  die  Nervenfäden,  welche  sie  an 
den  Sympathicus  absenden,  nur  einen  modificirenden  Einfluss  auf 
diese  Bewegungen  äussern,  der  sich  in  Leidenschaften  und  Affec- 
ten,  welche  im  Gehirn  als  Seelenorgan  wurzeln,  kund  giebt.  Das 
Herzklopfen,  die  Brustbeklemmung,  die  wechselnde  Röthe  und 
Hitze,  welche  gewisse  Seelenzustände  begleiten,  bestätigen  den 
modificirenden  Einfluss  des  Cerebrospinalsystems  auf  die  vegeta- 
tiven Acte.  Das  Cerebrospinalsystem  kann  aber  seine  Thätigkeiten 
einstellen,  wie  im  Schlaf,  in  der  Ohnmacht,  im  Schlagfluss,  es 
kann  auch  durch  Missbildung  ganz  oder  theilweise  fehlen,  wie  bei 
hemicephalen  und  aöncephalen  Missgeburten,  die  vegetativen  Thä- 
tigkeiten werden  deshalb  nicht  unterbleiben,  und  die  Verdauimg, 
Ernährung,  Absondeining,  der  Kreislauf,  gehen  ohne  seine  Einwir- 
kung ihren  Gang  fort.  Die  genannten  Arten  von  Missgeburten  sind 
deshalb  in  der  Regel  ganz  gut  genährt.  Selbst  ein  aus  dem  Leibe 
herausgeschnittenes  Eingeweide  wird,  wenn  es  Ganglien  imd  Gan- 
gliennerven besitzt,  seine  Bewegungen  eine  Zeitlang  fortftlhren,  wie 
am  exstirpirten  Herzen  und  Darmkanale  gesehen  wird. 

Henle  machte,  bei  Gelegenheit  der  Vornahme  physiologischer  Experi- 
mente an  der  Leiche  eines  Qeköpften,  die  für  den  motorischen  Einfluss  des 
Sympathicus  auf  die  Herzbewegiing  schlagende  Beobachtung,  dass,  nach  Durch- 
leitung eines  Stromes  des  Rotationsapparates  durch  den  linken  Vagus,  das  Ilerz- 
atrium,  welches  noch  60 — 70  Contractioncn  in  einer  Minute  machte,  plötzlich 
im  Expansionszustand  still  hielt.  25  Minuten  nach  dem  Tode,  nachdem  die  Be- 
wegung des  Atrium  schon  erloschen  war,  erwachte  sie  plötzlich  wieder  mittelst 
Stromleitung  durch  den  Sympatliicus. 

Die  aus  den  Ganglien  entspringenden  Nerven  sind  ganz  ge- 
wiss, wie  jene  des  Cerebrospinalsystems,  nicht  nur  motorischer, 
sondern  ebenfalls  sensitiver  Natur,  d.  h.  einige  von  ihnen  leiten 
zu  den  Ganglien,  andere  von  den  Ganglien  weg.  Man  sieht  ja  auf 
Reizungen  blossgelegter  Theile,  welche  vom  Sympathicus  versorgt 
werden,  die  Bewegungen  derselben  sich  steigern.  Es  muss  der 
Eindruck  des  Reizes,   der  durch  den  sensitiven   Gangliennerv  zum 


§.  73.   Phjsiologische  Eigenschaften  des  regetativen  Nenrensysteme.  183 

Ganglion  gebracht  wurde,  dort  auf  die  motorischen  Nerven  des- 
selben übergesprungen  sein.  Die  Ganglien  sind  somit  nicht  blos 
einfache  Erreger  der  Bewegung,  sondern  auch,  wie  Gehirn  lind 
Rückenmark,  Reflexorgane.  Die  sensitiven  Eindrücke  auf  die 
Ganglien  werden  in  diesen  auf  die  motorischen  Nerven  der  Mus- 
keln reflectirt,  d.  h.  nicht  zum  Bewusstsein  gebracht,  und  nicht 
empfunden.  Ein  Beispiel  möge  genügen,  um  die  Sache  so  zu 
nehmen,  wie  ich  mir  sie  vorstelle.  Die  Galle  oder  die  Darmcon- 
tenta  sind  für  die  Darmschleimhaut  Reize.  Sie  erregen  die  sensi- 
tiven Nervenfasern  derselben ,  welche  sofort  ihre  Erregung  dem 
Ganglion,  aus  welchem  sie  entsprangen,  mittheilen.  Das  Ganglion 
überträgt  die  Erregung  auf  die  motorischen  Nerven,  und  es  wird 
der  dadurch  bedingte,  stärkere  ^peristaltische  Motus  des  Darmes 
die  Ursache  des  Reizes  fortschaffen.  Die  Reizung  der  Darm- 
schleimhaut kann  eine  gewisse  Höhe  erreichen,  ohne  dass  sie  em- 
pfunden wird.  Wir  schliessen  blos  auf  sie  aus  der  copiöseren  Ent- 
leerung des  Darmes  (Diarrkoea).  Wird  der  Reiz  so  intensiv,,  dass 
er  nicht  mehr  ganz  als  Bewegungsimpuls  auf  die  motorischen 
Nerven  reflectirt  werden  kann,  so  springt  er  auf  die  im  Ganglion 
vorhandenen  Cerebrospinalnerven  über.  Sind  diese  sensitiver  Natur, 
so  werden  sie  den  übernommenen  Reizungszustand  zum  Gehirne 
fortpflanzen,  und  durch  Gefühle  zum  Bewusstsein  bringen,  welche, 
wenn  der  Reiz  sehr  heftig  war,  sich  zum  Schmerz  steigern.  Nun 
wird  die  häufige  Darmentleerung  mit  Grimmen  imd  Schneiden 
(Kolik)  vergesellschaftet  sein  müssen.  Sprang  der  Reiz  auf  moto- 
rische Fasern  des  Cerebrospinalsystcms  über,  so  können  die  Ent- 
leerungen mit  Muskelkrämpfen  verbunden  werden,  wie  die  tägliche 
ärztliche  Erfahnmg  an  sensiblen  Individuen  und  Kindern  nachweist. 
Die  Ganglien  sind  somit  nicht  blos  Erreger  oder  erste  QueUe  der 
Bewegungen  der  vegetativen  Organe,  sondern  zugleich  Reflexorgane, 
wodurch  sie  als  eben  so  viele  Gehirne  in  rmce  gelten  können. 

Ich  habe  diese  Ansicht  über  die  Bedeutung  der  sympathischen  Ganglien 
schon  seit  Jahren  in  meinen  Vorlesungen  entwickelt.  In  der  Abhandlung 
Kölliker*s  (die  Selbstständigkeit  und  Abhängigkeit  des  sympathischen  Nerven- 
systems. 1845)  wird*  sie  ausführlich  erörtert.  Da  sie  physiologischer  Natur  ist, 
wird  man  es  dem  Anatomen  verzeihen,  sich  auf  ein  ihm  fremdes  Terrain  begeben 
zu  haben.  Machen  doch  auch  Physiologen  Ausflüge  auf  anatomischem  Gebiete 
im  Nebel.  Dass  die  .  im  Cerebrospinalsysteme  vorkommenden  Ganglien  auf  die- 
selbe Weise  wirken,  ist  sehr  wahrscheinlich;  von  der  grauen  Substanz  des 
Rückenmarkes  wird  es  durch  die  Reflexphänomone  bewiesen.  Schon  diese  Aehn- 
lichkeit  der  Wirkung  reicht  allein  hin,  den  Sympathicus  nicht  dem  Cerebro- 
spinalsysteme als  etwa«  wesentlich  Verschiedenes  gegenüber  zu  stellen. 


184  §•  74.  Praktische  Anwendimgeii. 


§.  74.  Praktische  Anwendungen. 

Einen  Nerven  durchschneiden,  heisst  eben  so  viel,  als  das 
Organ  vernichten,  ftlr  welches  er  bestimmt  ist.  Es  braucht  nicht 
mehr  Worte,  um  die  hohe  Bedeutung  dieses  Systems  dem  Arzte 
und  Wundarzte  im  Allgemeinen  einleuchtend  zu  machen. 

Der  Unterschied  sensitiver  und  motorischer  Nerven  ist  für  die 
praktische  Chirurgie  von  grosser  Wichtigkeit.  Die  Pathologie  der 
Neuralgien  (andauernde,  schmerzhafte  AiFectionen  gewisser  Organe, 
oder  ganzer  Bezirke),  so  wie  die  Tilgung  derselben  durch  chirur- 
gische Hilfeleistung,  erhielten  erst  durch  die  Feststellung  jenes 
Unterschiedes  ihren  wissenschaftlichen  Gehalt.  Als  man  noch  die 
Empfindlichkeit  für  eine  allgemeine  Eigenschaft  aller  Nerven  hielt, 
musste  der  Sitz  der  Neuralgien  nothwendig  verkannt  werden,  und 
es  wurden  deshalb  bei  den  Heilungsversuchen  derselben  durch 
Entzweischneiden  der  Nerven,  auch  solche  Nerven  durchschnitten, 
welche  als  rein  motorische  Nerven  niemals  Schmerz  veranlassen 
können.  Die  Geschichte  des  Gesichtsschmerzes  (Prosopalgia, 
Dolor  Fothergili),  und  die  zu  seiner  Heilung  vorgenommenen  Tren- 
nungen des  Nervus  communtcans  faciei,  welcher  als  ein  motorischer 
Nerv  nie  schmerzen  kann,  geben  ein  trauriges  Zeugniss  dieser 
Wahrheit  Die  Unterscheidung  der  Empfindungslähmungen  (An- 
(lesthestae)  und  der  Bewegungslähmungen  (Paralyses)  beruht  auf 
festgesteUten  physiologischen  Eigenschaften  der  Nerven. 

Die  bekannte  sensitive  oder  motorische  Eigenschaft  eines 
Nerven  wird  bei  der  Vornahme  chirurgischer  Operationen  an  ge- 
wissen Gegenden  Berücksichtigung  verdienen,  um  die  Summe  der 
Schmerzen  so  gering  als  möglich  ausfallen  zu  lassen.  Hätte  man 
eine  Geschwulst  oder  ein  nervenreiches  Organ  zu  exstirpiren,  so 
soll  der  erste  Schnitt  auf  jener  Seite  geführt  werden,  wo  die  Nerven 
eintreten.  Sind  diese  getrennt,  so  wird  jede  fernere  Beleidigung 
des  Organs  durch  Druck  oder  Schnitt  schmerzlos  sein,  während 
sie  im  hohen  Grade  schmerzhaft  sein  muss,  wenn  die  Trennung 
der  Nerven  zuletzt  folgt.  Die  Castration  mag  als  Beispiel  dienen. 
Es  wäre  kein  geringer  Triumph  der  wissenschaftlichen  Chirurgie, 
wenn  der  Versuch  mit  Erfolg  gekrönt  würde,  hartnäckige  und 
unerträgliche  Nervenschmerzen  in  gewissen  Organen,  nicht  durch 
die  Amputation  oder  Ausrottung  der  Organe,  sondern  durch  Re- 
section  ihrer  sensitiven  Nerven  zu  heilen.  Die  Fälle  sind  in  den 
Annalen  der  Wundarzneikunde  nicht  gar  so  selten,  wo  man  nicht 
zu  besänftigende,  chronische  Schmerzen  der  Brust  oder  der  Hoden, 
durch  die  Abtragimg  dieser  Organe  geheilt  zu  haben  sich  rühmt. 
In  den  Handbüchern  der  Operationslehre  wird  unter  den  Anzeigen 


.   §.  74.  Praktische  Anwendung«!!.  185 

zur  Vornahme  der  Abtragimg    eines  Gliedes   oder  Organs  der  in- 
curable  Nervenschmerz  noch  immer  angefUhrt. 

Die  Zähigkeit  der  Nervenscheiden  und  der  mechanische  Reiz 
der  Empfindungsnerven  erklärt  es,  warum  bei  der  Abbindung  krank- 
haft entarteter  Organe,  und  bei  der  Unterbindung  der  Arterien 
(wenn  Nervenzweige  mit  in  die  Ligatur  gefasst  werden),  Schmer- 
zen entstehen  können,  welche  mit  der  geringen  Grösse  des  chirur- 
gischen Eingriffs  im  schreienden  Missverhältnissc  stehen.  Diese 
Schmerzen  werden  so  wtithend,  und  können  durch  Reflex  so  ge- 
fährliche allgemeine  Zufälle  veranlassen,  dass  sie  das  Lüften  der 
Ligaturen  nothwendig  machen,  wie,  um  nur  einen  illustren  Fall 
anzuführen,  die  geschichtUch  bekannte  Gefässunterbindung  am  am- 
putirten  Arme  Nelson's  beweist  Handelt  es  sich  darum,  ein  ent- 
artetes Organ  abzubinden,  so  muss  die  Ligatur  so  kräftig  als  mög- 
lich zugeschnürt  werden,  um  die  Nerven  der  unterbundenen  Partien 
nicht  blos  zu  drücken,  sondern  zu  zerquetschen.  Der  Druck  unter- 
hält eine  fortwährend  wirksame  und  heftig  schmerzende  mechanische 
Irritation,  während  durch  Zerquetschung  die  Structur  des  Nerven 
und  mit  ihr  seine  Empfindlichkeit  aufgehoben  wird. 

Das  geringe  Vermögen  der  Nerven,  sich  zurückzuziehen, 
wenn  sie  durchschnitten  wurden,  kann  es  bedingen,  dass  sie  in 
dem  sich  bildenden  Narbengewebe  tieferer  Wunden,  besonders  der 
Amputationswunden,  eingeschlossen,  und  durch  die  jedem  Narben- 
gewebe eigenthümliche  Zusammenziehung  eingeschnürt,  dauernde 
Nervenschmerzen  hervorrufen,  welche  die  Excision  der  Narbe,  ja 
sogar  die  nochmalige  Vornahme  der  Amputation  erheischen.  Wäre 
es  nicht  zu  versuchen,  die  an  der  Amputationswunde  vorstehenden 
Nervenenden,  statt  sie  abzutragen,  und  dadurch  den  Schmerz  der 
Resection  zweimal  empfinden  zu  lassen,  einfach  umzubeugen,  und 
zwischen  die  Muskeln  hineinzuschieben,  und  könnte  diese  Methode 
nicht  in  jenen  FäUen  ebenfalls  angewendet  werden,  wo  ein  durch 
Exsection  eines  Nervenstückes  zu  heilender  Nervenschmerz  durch 
Wiederverwachsung  der  getrennten  Nervenenden  Recidiven  be- 
fürchten lässt? 

Die  Methode,  zu  amputirende  GUedmassen  mit  einem  Bande 
über  der  Amputationsstelle  einzuschnüren,  und  durch  Pelotten, 
welche  dem  Verlaufe  der  Hauptnervenstämme  entsprechen,  Taub- 
werden und  Einschlafen  der  GUedmasse  zu  bewirken,  und  sie  in 
diesem  Zustande  abzunehmen,  hat  unter  den  praktischen  Wund- 
ärzten selbst  zu  jener  Zeit  keinen  Eingang  finden  können,  wo  die 
jetzt  üblichen  Anaesthetica  noch  nicht  bekannt  waren.  Es  möge 
hier  die  Erfahrung  Hunter's  über  diesen  Gegenstand  angeführt 
werden«  An  einem  Manne  wurde  der  Schenkel,  dessen  Crural- 
ond  Hüffaierv  durch  Pelotten  taub  gebunden  waren,  amputirt    Er 


186  §.  75.    Knorpelsysiem.  AnfttomUche  Eigonsehailen. 

äusserte  verhältnissmässig  wenig  Schmerz,  obwohl  er  ein  sehr 
empfindliches  Individuum  war,  und  eben  deshalb  der  Versuch  mit 
dem  Druckverbande  zur  Probe  bei  ihm  gemacht  wurde.  Nach  ge- 
machter Gefössligatur  wurde  die  Druckbinde  entfernt.  Ein  kleines 
Gef^s  blutete,  und  ^  musste  unterbunden  werden.  Der  Kranke 
klagte  über  den  unbedeutenden  Unterbindungsact  der  kleinen  Arterie 
ohne  die  Druckbinde  mehr,  als  über  die  Amputation  des  Schenkels 
mit  der  Binde. 

Da  di«  Nerven  an  sehr  vielen  Orten  die  grossen  Qefässe  der  Gliedmassen 
begleiten,  und  bei  der  Aufsuebung  und  Isolimng  der  Gefässe  wohl  umgangen 
werden  müssen,  so  hat  man  versucht,  allgemeine  Regeln  aufzustellen,  denen  das 
Verhältniss  der  Nerven  zu  den  Arterien  unterliegt,  um  in  jedem  vorkommenden 
Falle,  wie  aus  einer  Formel,  die  Lage  des  Nerven  bestimmen  zu  können.  Die 
Lagerung  des  Nerven  ist  allerdings  für  eine  bestimmte  Arterie  eine  sehr  bestimmte, 
lässt  sich  aber  nie  im  allgemeinen  ausdrücken.  Velpeau  (Chirurg.  Anatomie. 
3.  Abth.  p.  144)  behauptete,  eine  allgemeine  Regel  gefunden  zu  haben,  nach 
welcher  Nerv,  Arterie  und  Vene  so  liegen,  dass,  vom  Knochen  aus  gezählt,  die 
Arterie  das  erste,  die  Vene  das  zweite,  der  Nerv  das  dritte  sei.  Von  der  Haut 
aus  gezählt,  wäre  dann  die  Ordnung  umgekehrt.  Ich  begreife  es  nicht,  wie 
ein  achtbarer  Chirurg  und  Anatom  auf  diesen  kaum  für  zwei  Körperstellen  gel- 
tenden Gedanken  kommen  konnte.  Etwas  genauer  ist  die  Angabe  von  Foul- 
hioux  (Revue  m^d.  1825.  p.  68).  lieber  dem  Zwerchfelle  soll  der  Nerv  immer 
an  jener  Seite  der  Arterie  liegen,  welche  von  der  Medianlinie  des  betreffenden 
Körpertheiles  oder  der  Axe  des  Gliedes  abgewendet  ist;  unter  dem  Zwerchfelle 
dagegen  an  der  der  Axe  zugewendeten  Seite.  Ich  will  zugeben,  dass  etwas 
Wahres  an  der  Sache  ist,  und  dass  das  Verhältniss  für  die  obere  Extremität, 
für  den  Oberschenkel  und  den  Unterschenkel  gilt,  allein  in  der  Kniekehle  findet 
sich  eine  solenne  Ausnahme,  weshalb  Foulhioux  in  seiner  Abhandlung  diese 
seinem  Systeme  gefährliche  Stelle  ganz  übergeht.  So  lange  es  Arterien  giebt, 
die  an  allen  Seiten  von  Nerven  umgeben  sind,  wie  die  Achselarterie,  oder  von 
Nerven  gekreuzt  werden,  wie  die  Schenkel-  und  vordere  Schienbeinarterie,  wird 
es  immer  gerathener  sein,  sich  lieber  auf  die  Angaben  der  specicUen  Anatomie, 
als  auf  allgemeine  Regeln  zu  vorlassen. 


§.  75.  Enorpelsystem.  Anatomische  Eigenschaften. 

Die  Knorpel,  CaHilagines,  (in  der  Viilgärsprache  der  Wiener 
Kruspel)  gehören,  mit  den  Homgebilden  und  Knochen,  zu  den 
festesten  Bestandtheilen  des  menschlichen  Körpers.  Ihre  Festigkeit 
besteht  zugleich  mit  einem  hohen  Grade  von  Elasticität.  Viele 
derselben  können  geknickt  und  gebogen  werden,  ohne  zu  brechen; 
andere  sind  spröder,  und  zeigen,  wenn  sie  gebrochen  werden,  glatte 
oder  faserige  Bruchflächen.  Sie  sind  sämmtlich  mehr  weniger  durch- 
scheinend, in  dünne  Scheiben  geschnitten  opalisirend,  und  von 
gelblich  oder  bläulich  weisser  Farbe.  Wenn  sie  trocknen,  werden 
sie  bemsteinfarbig  und  brüchig,  schrumpfen  ein,  schwellen  im 
Wasser   wieder   auf,    wiederstehen    der  Fäulniss   lange,   und   lösen 


§.  75.  Knorpelsysiem.   Anatomische  Eigenschaften.  187 

sich  in  kochendem  Wasser  entweder  ganz  zu  einer  gelatinösen 
Masse  (Chondrin)  auf,  oder  lassen  etwas  faserigen  Rückstand. 
Durch  Fäubiiss  werden  sie  gewöhnlich  roth,  wegen  Tränkung  mit 
aufgelöstem  Blutroth.  Die  meisten  Knorpel  besitzen  eine  fibröse 
UmhüUungshaut,  das  Perichondrium,  welches  an  den  die  Gelenk- 
enden der  Knochen  überziehenden  Gelenkknorpeln  fehlt,  und  an 
den  Zwischenknorpeln  der  Gelenke  durch  eine  von  der  Synovial- 
membran  entlehnte  Epithelialschichte  ersetzt  wird. 

Man  unterscheidet  an  jedem  Knorpel  1.  eine  Grundsubstanz 
(^Stroma)j  2.  Höhlen  in  dieser,  3.  Kerne  oder  wirkliche  Zellen,  so- 
genannte Knorpelkörperchen,  in  den  Höhlen.  Die  Grundsub- 
stanz ist  entweder  mehr  weniger  homogen  und  glasartig  durch- 
scheinend, oder  gefasert.  Hierauf  beruht  die  Eintheilung  der  Knorpel 
in  hyaline  oder  echte,  und  in  Faserknorpel.  Zwischen  beiden 
giebt  es  Uebergänge.  Zu  den  hyalinen  Knorpeln  gehören  die  Kehl- 
kopf- und  Luftröhrenknorpel  (mit  Ausnahme  der  Cartilaginea  Santo- 
rimanae  und  der  Epiglottis),  die  Nasenknorpel,  die  knorpeligen 
Ueberzüge  der  Gelenkflächen  der  Knochen,  und  alle  ossificirenden 
Knorpel  des  Fötus.  Zu  den  Faserknorpeln  gehören  die  Knorpel  des 
äusseren  Ohres,  der  Eustachischen  Trompete,  Theile  der  Zwischen- 
wirbelbänder, die  Knorpel  der  Synchondrosen  und  Symphysen,  die 
auf  den  Rändern  der  Gelenkgruben  aufsitzenden  Knorpelringe  (Ldbra 
cartilaginea) j  die  in  gewissen  Sehnen  eingewebten  Sesamknorpel, 
die  Cartüagines  Santorinianaey  Wrisbergü,  und  die  Epiglottis,  —  Den 
Uebergang  von  den  hyalinen  zu  den  Faserknorpeln  bilden  die  Rip- 
penknorpel, die  Cartilago  thtp'eoidea  und  xyphoideay  welche  bei  jungen 
Individuen  echte,  bei  alten  faserige  Knorpel  darstelleri.  —  Die 
netzartig  verfilzten  Fasern  gewisser  Faserknorpel  sind  von  den 
elastischen  und  Bindegewebsfasern  durch  ihre  rauhen,  imebepen 
Ränder  unterschieden.  In  den  übrigen  Faserknorpeln  stimmen  sie 
mit 'den  Bindegewebsfasern  überein,  und  entwickeln  sich  wie  diese. 
—  Alle  Faserknorpel  zeichnen  sich  durch  Elasticität  und  Biegsam- 
keit aus. 

Gehört  es  zur  Entwicklungsnorm  eines  Knorpels,  dass  er  sich 
früher  oder  später  in  Knochen  umwandelt,  so  wird  er  ein  ver- 
knöchernder Knorpel,  Cartilago  ossescensy  genannt,  wo  nicht,  ein 
bleibender,  Cartilago  pei^ennis  8,  permanens.  Die  Verknöcherung 
sollte  richtiger  Verkalkung  genannt  werden,  da  der  Knorpel  nicht 
histologisch  zu  Knochen  wird,  sondern  seine  Zellen  und  seine  Inter- 
cellularsubstanz  sich  so  mit  Kalksalzen  infiltriren,  dass  er  wohl  die 
Härte,  aber  nicht  die  Structur  des  Knochens  annimmt. 

Die  echten  Knorpel  Erwachsener  haben  ganz  bestimmt  keine 
ernährenden    Gefässe,   obwohl   diese   in   der  fibrösen  Hüllungsmem- 


188  i>  75.   Knoipelsyetom.  Anatomische  EigeBsehaften. 

bran  der  Knorpel  (PericJiondrium)  y  obwohl  auch  da  nur  spärlich 
vorkommen. 

Die  länglichen  Bjiorpelkörperchen  eines  Gelenkknorpels  sind 
an  den  tiefen,  mit  dem  Knochen  zusammenhängenden  Schichten 
des  Knorpels,  in  der  Intercellularsubstanz  in  Längsreihen  geordnet, 
während  an  der  freien  Fläche  desselben  (Reibfläche)  die  Intercellu- 
larsubstanz durch  grosse  Vermehrung  der  Knorpelkörperchen  fast 
ganz  verdrängt  wird,  letztere  überdies  eine  Querlage  annehmen, 
und  durch  ihre  Aneinanderlagerung  einer  Schichte  von  Pflaster- 
epitheUum  gleichen. 

Das  Chondrin,  die  eigentliche  chemische  Grundlage  der  Knor- 
pel, unterscheidet  sich  vom  gewöhnlichen  Leim  durch  seinen  Schwe- 
felgehalt, und  durch  seine  Fällbarkeit  durch  Alaim  und  Essigsäure. 
Die  Knorpel  enthalten  nebstdem  noch  anorganische  Salze,  unter 
welchen,  nach  den  Analysen  von  Frommherz  und  Gugert, 
kohlensaures  und  schwefelsaures  Natron  prävaliren. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Bereitet  man  einen  feinen  Schnitt 
eines  echten  Knorpels,  so  bemerkt  man  in  ihm,  bei  einer  Vcrgrösserung  von 
300,  Lücken  oder  Höhlen,  welche  von  einer  hellen,  oder  wie  angehauchtes  Glas 
matten  Gnmdsubstanz  umgeben  werden.  Diese  Substanz  heisst  Hyalinsub- 
8 tanz,  oder,  ihrer  Beziehung  zu  den  Knorpelzellen  wegen,  Intercellular- 
substanz. Sie  ist  entweder  vollkommen  homogen  und  structurlos,  oder  sie  ist 
fein  g^anulirt.  Ihr  g^anulirtes  Ansehen  ist  nicht  die  Folge  einer  Zersetzung  oder 
Gerinnung,  da  sie  auch  an  möglichst  frischen  Knorpeln  eben  geschlachteter 
Thiere,  oder  ampntirter  Gliedmassen,  beobachtet  wird.  Die  Lücken  oder  Höhlen 
sind  in  sehr  variabler  Menge  vorhanden,  öfters  auf  Haufen  zusammengedrängt, 
von  der  mannig:fachsten  Gestalt,  und  haben  0,040"' — 0,006'''  Durchmesser.  Sie 
schliessen  meistens  einen  granulirten  Kern  ein.  Nicht  selten  beherbergt  eine 
Höhle  zwei,  seltener  drei  oder  vier  solcher  Kerne.  Der  Kern  enthält  selbst  wie- 
der 2—3  Kemkörperchen,  und  ausnahmsweise  auch  Fetttröpfchen,  welche  letztere 
in  den  Faserknorpeln  und  bei  älteren  Individuen  häufiger,  als  in  echten  Knor- 
peln junger  Leichen  beobachtet  werden.  Werden  die  Kerne  von  einer  Zellen- 
membran umschlossen,  so  haben  die  dadurch  gegebenen  Knorpelzellen  meist 
eine  rundliche  Gestalt,  und  füllen  die  Höhle  des  Hyalinknorpels  nicht  ganz  aus. 
Enthält  eine  solche  Höhle  mehrere  Knorpelzellen,  so  sind  diese  so  gestaltet, 
dass  sie  in  ihrer  Nebeneinanderlagerung  zusammen  die  Form  der  Knorpelhöhle 
geben.  —  Ob  die  Höhlen  des  Knorpels  von  einer  eigenen  Membran  ausgekleidet 
sind  oder  nicht,  ist  sehr  schwer  zu  entscheiden.  Oefters  gelingt  es,  bei  Höhlen 
mittlerer  Grösse,  durch  Application  von  Essigsäure,  einer  Auskleidungsmembran 
ansichtig  zu  werden.  Sie  erscheint  als  doppelte  Contour  der  Höhle,  welche  aber 
mit  der  umgebenden  Hyalinsubstanz  allmälig  verschmilzt,  und  dann  durch  kein 
Mittel  als  selbstständige  Auskleidungsmembran  nachgewiesen  werden  kann.  Es 
verhält  sich  diese  Auskleidungsmembran  der  Knorpelhöhle  zu  den  eingeschlosse- 
nen Knorpelzellen  höchst  wahrscheinlich  als  Mutterzelle,  welche  durch  Ver- 
schmelzen mit  dem  Hyalinknorpel  schwindet,  wenn  die  in  ihr  erzeugten  (endo- 
genen) Zellen  den  gehörigen  Grad  von  Entwicklung  erreichten.  Hat  man  einen 
Gelenkknorpel  zur  Untersuchung  gewählt,  so  findet  man  an  feinen  senkrechten 
Schnitten  desselben  die  länglichen  Knorpelhöhlen,  welche  der  Oberfläche  des 
Knorpels  nahe  liegen,   transversal  gelagert,   die  tiefen  vertical  stehend.   —    Um 


§.  76.    Physiologinehe  Eigeiuchafleii  der  Knorpel.  189 

eine  Ansicht  von  Uebergangsknorpeln  zu  erhalten,  d.  h.  von  solchen,  in  welchen 
die  homogene  Hyalinsubstanz  durch  faseriges  Gewebe  verdrängt  zu  werden  be- 
ginnt, wählt  man  am  besten  die  Cartüago  thyreoideay  oder  einen  Knorpel  der 
11.  oder  12.  Rippe.  In  einigen  Faserknorpeln  nimmt  die  Entwicklung  der  fase- 
rigen Intercellularsnbstanz  so  zu,  dass  die  Knorpelhöhlen  und  Zellen  ganz  ver- 
schwinden, wie  in  den  Zwischenknorpeln  des  Knie-  und  Handwurzelgelenks. 

Bei  embryonischen  Knorpeln  prävaliren  die  Zollen  über  die  Intercellular- 
snbstanz, oder  schliessen  sie  gänzlich  aus.  Man  überzeugt  sich  leicht  von  der 
Gegenwart  einer  tropfbaren  Flüssigkeit,  im  Innern  der  Zellen.  In  jenen  patho- 
logischen Neubildungen,  welche  Enchondrome  genannt  werden,  finden  sich 
auch  stemfbrmige  Knorpelzellen  (wie  in  den  Knorpeln  der  Haie  nach  Leydig). 
Es  giebt  auch  Knorpel,  welche  durch  das  ganze  Leben  blos  ans  Zellen,  ohne 
wahrnehmbare  Zwischensubstanz,  bestehen,  wie  die  Chorda  dortaUt  der  Säuge- 
thier-  und  Vogel-Embryonen  und  mehrerer  Knorpelfische. 

Literatur.  If.  Meckauer,  de  penitiori  cartilaginum  structura.  Vratislaviae, 
1836.  4.  —  Schwann^  mikroskop.  Untersuchungen,  pag.  17  ff.  —  Henle,  allgem. 
Anatomie,  pag.  791.  —  Salzmann,  über  Gelenkknorpel.  Tübingen,  1846.  —  Rathke, 
über  die  Entstehung  des  Knochen-  und  Knorpelgewebes,  in  Froriep'g  Notizen.  — 
Herrn.  Meyer,  der  Knorpel  und  seine  Verknöcherung,  in  MüUer^a  Archiv.  1849.  — 
Bergmanm,  de  cartilaginibus.  Mitaviae,  1860.  —  Lutckka,  die  Altersveränderungen 
der  Zwischenwirbelknorpel,  im  Archiv  für  path.  Anat  1856.  —  «7.  Lachmann, 
über  Knorpelzellen,  in  Müller' s  Archiv.  1856.  —  A,  Bauer,  zur  Lehre  von  der 
Verknöcherung  des  primordialen  Knorpels,  ebendas.  1867.  —  Die  Arbeiten  von 
Aeby,  Freund,  Luschka,  und  KöUiker  finden  sich  in  den  Jahresberichten  von  1867 
bis  1861  excerpirt. 

§.  76.  Physiologische  Eigenschaften  der  Knorpel. 

Die  Knorpel  sind  unempfindlich.  Man  kennt  keine  Nerven 
in  ihnen.  Die  physiologischen  Bestimmungen,  welchen  sie  gewidmet 
sind,  erfordern  es  so.  Die  knorpeligen  Ueberzüge  der  Gelenk- 
flächen der  Knochen,  und  die  Knorpel,  welche  die  Form  gewisser 
Organe  bestimmen,  wie  der  Ohrknorpel,  der  Augenlid-  und  Nasen- 
knorpel, würden  ihrem  Endzwecke  weit  weniger  entsprechen,  wenn 
sie  fUr  die  mechanischen  Einwirkungen,  denen  sie  ausgesetzt  sind, 
und  welche  in  den  Gelenken  einen  hohen  Intensitätsgrad  erreichen, 
empfindlich  wären.  Im  kranken  Zustande  steigert  sich  ihre  Em- 
pfindlichkeit auf  eine  furchtbare  Höhe,  wie  die  Erweichung  der 
Knorpel  bei  gewissen  Gelenkkrankheiten  lehrt  Gesunde  Knorpel 
können  geschnitten  oder  abgetragen  werden,  ohne  Schmerzen  zu 
erregen.  Diese  Beobachtung  machte  schon  die  ältere  Chirurgie 
(Heister),  welche  es  als  Grundsatz  aufstellte,  nach  der  Amputation 
der  Gliedmassen  in  den  Gelenken  (Enucleation),  die  überknor- 
pelten  Knochenenden  abzuschaben,  um  den  Vemarbungsprocess  zu 
beschleunigen. 

Die  Elasticität  der  Knorpel  ist  ebenfalls  auf  ihre  mechanische 
Bedienstung,  und  bei  den  Knorpeln  der  Nase  und  des  Ohres  wohl 
auch   auf  ihre    Blosssteilnng,    und    dadurch   gegebene    Gefährdung 


190  §•  ^^^     Physiologische  Eigenschaften  der  Knorpel. 

durch  mechanische  Einwirkungen  berechnet.  Schwindet  sie  durch 
Alter  oder  Ossification,  so  können  mechanische  Einwirkungen  selbst 
Brüche  der  Knorpel  erzeugen,  wie  sie  am  Schildknorpel  beobachtet 
wurden.  Man  überzeugt  sich  am  besten  von  der  Elasticität  der 
Knorpel,  wenn  man  ein  Scalpell  oder  einen  Pfiiemen  in  eine  Sym- 
physe oder  in  ein  Zwischenwirbelbeinband  stösst,  wo  es  nicht  stecken 
bleibt,  sondern  wie  ein  Keil  wieder  herausspringt.  —  Die  Feder- 
kraft der  Rippenknorpel  erleichtert  wesentlich  die  respiratorischen 
Bewegimgen  des  Brustkorbes,  und  die  Elasticität  der  Zwischen- 
wirbelbeinbänder  und  der  Symphysen  ist  das  beste  Schutzmittel 
gegen  die  Stösse,  die  das  Becken  und  das  Rückgrat  beim  Sprung 
und  Lauf,  imd  bei  so  vielen  körperlichen  Anstrengungen  zu  ge- 
wärtigen haben.  Die  Knorpel  vertragen  deshalb  anhaltenden  Druck 
viel  besser,  als  selbst  die  Knochen,  und  man  kennt  Fälle,  wo  Aneu- 
rysmen der  Brustaorta  die  Wirbelkörper  atrophirten,  ohne  den 
Schwund  der  Zwischenwirbelbänder  erzwingen  zu  können. 

Da  die  ausgebildeten  Knorpel  keine  Blutgeftlsse  besitzen,  so 
können  ihre  Nutritionsthätigkeiten  nur  durch  Tränkung  mit  Blut- 
plasma vermittelt  werden.  Der  Umsatz  der  Ernährungsstoffe  im 
Knorpel  ist  so  träge,  und  das  plastische  Leben  so  wenig  activ, 
dass  die  Emährungskrankhciten  der  Knorpel  sich  durch  lentesci- 
renden  Verlauf  auszeichnen,  und  die  Uebcrnährung  (Hypertrophie) 
der  Knorpel  noch  nie  beobachtet  wurde.  Das  Perichondrium  wird 
als  gefUssbegabte  Membran  sich  zum  Knorpel  als  Ernährungsorgan 
verhalten.  Wird  es  entfernt,  so  stirbt  der  Knorpel  ab,  wenn  er 
nicht  von  einer  anderen  Seite  her  Blut  zugeführt  erhält.  Da  der 
Gelenkknorpel  seine  Nahrungszufuhr  vom  Knochen  aus  erhält,  so 
muss,  wenn  letzterer  durch  Krankheit  zerstört  wird,  die  knorpelige 
Kruste  der  Gelenkflächen  ganz  oder  stückweise  abfallen,  imd  man 
findet  in  den  durch  Beinfrass  angegriffenen  Gelenken  sehr  häufig 
kleine  Fragmente  der  Gelcnkknorpel  in  dem  jauchigen  Ausflusse 
der  Fisteln,  oder  lose  Knorpelschalen  in  der  Höhle  des  Gelenks. 

Die  Substanzverluste,  welche  im  Knorpel  durch  Verwundung 
oder  Geschwür  bedingt  werden,  regeneriren  sich  niemals  durch 
wahre  Neubildung  von  Knorpelmasse,  sondern  durch  Fasergewebe 
ohne  Knorpelzellen.  Ein  aus  dem  Schildknorpel  eines  Hundes  her- 
ausgeschnittenes dreieckiges  Stück  wurde  nicht  wieder  ersetzt,  son- 
dern die  Oefinung  durch  eine  fibröse  Membran,  als  Verlängerung 
des  Perichondrium,  ausgefüllt. 

Dass  Knorpelmasse  abnormer  Weise  an  ungewöhnlichen  Stollen  des  Orjya- 
nismus  gebildet  werden  könne,  beweisen,  nebst  den  Knorpelbildungen,  welche 
den  Ossificationen  seröser  Hfiute  vorausgehen,  die  sogenannten  Gelenkmäusc, 
und  das  Enckondroma  Muelieri. 


§.  77.    Knochiiuystein.  Allj^meine  Eigenschaflen  der  Knochen.  191 


§.77.  Enocliensysteni.  Allgemeine  EigenschafteiL  der  Enochen. 

Ta  |x^v  iffTsa  tw  a(i)[i.aTi  eßo^,  xat  öpö6TY)Ta,  xat  orepsoTYjra  Tcap^ouaiv, 
sagt  Galen  (assa  autem  corpori  humano  formara,  rectitudineni,  et 
firmitatem  conciltant),  und  in  der  That  sind  die  Knochen,  nebst  den 
Zähnen^  die  härtesten  und  festesten  Bestandtheile  des  menschlichen 
Körpers,  dem  sie  zur  Grundveste  dienen,  Sie  bilden  durch  ihre 
wechselseitige  Verbindung,  ein  aus  mehr  weniger  beweglichen  Balken, 
Sparren  und  Platten  aufgebautes  Gerüste,  welches  die  Grösse  (Höhe) 
des  Körpers  bestimmt,  sämmtlichen  Weichtheilen  zur  Unterlage  und 
Befestigung  dient,  ihnen  Halt  und  Stütze  giebt,  geräumige  Höhlen 
zur  Sicherung  edler  Eingeweide  erzeugt,  den  Muskeln  feste  An- 
grifispunkte  und  leicht  bewegliche  Hebelarme  darbietet,  den  Blut- 
gef^sen  und  Nerven  die  Bahnen  ihres  Verlaufes  vorschreibt,  und, 
(da  die  Knochen,  ihrer  Härte  wegen,  sich  allenthalben  an  der  Ober- 
fläche des  menschlichen  Leibes  durchfühlen  lassen),  als  verlässliche 
Richtschnur  dient,  die  Lage  und  räumUchen  Verhältnisse  der  um  die 
Knochen  herum  gruppirten,  oder  von  ihnen  umschlossenen  Organe,  zu 
beurtheilen  und  festzustellen.  Härte  und  Festigkeit,  verbunden  mit 
einem  gewissen  Grade  von  Elasticität,  so  wie  gelblich  weisse  Farbe, 
kommen  allen  Knochen  in  verschiedenem  Maasse  zu.  Sic  verUeren 
durch  Trocknen  an  Gewicht,  ^ber  nicht  an  Gestalt  und  Grösse, 
und  widerstehen  der  Fäulniss  so  beharrlich,  dass  sich  selbst  die 
Knochen  der  Thiere,  die  die  antediluvianische  Welt  bevölkerten, 
und  die  die  Revolutionen  des  Erdballs  aus  dem  Buche  der  Schöpfung 
strichen,  noch  zum  Theil  unversehrt  erhalten  haben. 

Die  genannten  Eigenschaften  der  Knochen  sind  die  natürliche 
Folge  ihrer  Zusammensetzung  aus  organischen  und  anorgani- 
schen Bcstandtheilen.  Nur  der  organische  Bestandtheil  unterliegt 
der  Zerstörung  durch  Fäulniss,  der  anorganische  nicht  Letzterer^ 
die  sogenannte  Knochenerde,  stammt,  wie  er  ist,  aus  der  uns 
umgebenden  anorganischen  Natur.  Der  Zahn  der  Zeit  zernagt  den 
kalkhaltigen  Fels  zu  Trümmern;  diese  werden  Staub;  Wind  und 
Regen  bringen  den  Staub  in  die  Ebene,  dort  düngt  er  den  Acker, 
die  Wiese,  und  giebt  der  Pflanze  ihre  Nahnmg,  welche  von  Thieren 
und  Menschen  verzehrt,  denselben  die  erdigen  Stoffe  zuführt,  aus 
denen  die  Knochen  sich  aufbauen.  Auch  das  harte  Trinkwasser, 
welches  doppelt  kohlensauren  Kalk  enthält,  sorgt  für  den  Bedarf 
unseres  Leibes  an  Knochenerde. 

Der  anorganische  B< 
von  mineralischen  SalsMii  in  £ 
Analyse  enthielt  der  Obc 


192  §•  77*   Knochensystom.   Allgemeine  Eigenschaften  der  Knochen. 

Basisch  phosphorsaure  Kalkerde  mit  Fluorcalcium  59,63 

Kohlensaure  Kalkerde 7,33 

Phosphorsaure  Talkerde 1,32 

Lösliche  Salze 0,69 

Knochenknorpel  mit  Fett  und  Wasser 31,03 

Der  organische  Bestandtheil  der  Knochen  zeigt  sich  uns 
als  eine  ziemlich  feste,  biegsame  und  elastische,  durchscheinende, 
knorpelähnUche  Substanz,  welche  Knochenknorpel  genannt  wird. 
Dem  Knochenknorpel  verdanken  die  Knochen  ihren,  wenn  auch 
geringen  Elasticitätsgrad,  ihr  Verwittern  an  der  Luft,  und  ihre  theil- 
weise  Verbrennlichkeit  Auf  den  holzarmen  Falklandsinseln,  braten 
die  Eingebomen  einen  Ochsen  mit  dessen  eigenen,  mit  etwas  Torf 
gemischten  Knochen.  Kameelknochen  werden  in  den  Wüsten  als 
Brennmaterial  benützt. 

Die  mineralischen  Bestandtheile  der  Knochen  bedingen  ihre 
weisse  Farbe,  ihre  Härte  und  Sprödigkeit,  und  ihre  Beständigkeit 
im  Feuer,  welche  nur  durch  hohe  Schmelzhitze,  und  durch  beige- 
gebene Flussmittel,  überMrunden  wird  (milchfarbiges  Knochenglas).  ^ 
Eine  richtige  Proportion  beider  Bestandtheile  verleiht  dem  Knochen 
seine  Festigkeit,  Dauerhaftigkeit,  und  seine  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  ausreichende  Widerstandskraft  gegen  alle  Einflüsse,  welche 
seine  Cohäsion  und  seine  Form  zu  ändern  streben. 

Das  Verhältniss  des  Knochenknorpels  zur  anorganischen  Sub- 
stanz variirt  in  verschiedenen  Knochen  desselben  Individuums,  und 
in  verschiedenen  Altersperioden.  Die  Knochen  der  Embryonen  und 
Kinder  enthalten  mehr  Knochenknorpel,  die  Knochen  Erwachsener 
mehr  mineralische  Bestandtheile,  und  im  hohen  Alter  können  letz- 
tere so  überhandnehmen,  dass  der  Knochen  auch  seinen  geringen 
Grad  von  Biegsamkeit  und  Elasticität  verliert,  spröde  und  brüchig 
wird,  wie  das  häufigere  Vorkommen  der  Fracturen  bei  Greisen 
beurkundet.  Im  kindlichen  Alter,  wo  mit  der  Prävalenz  des  Kno- 
chenknorpels auch  die  Biegsamkeit  der  Knochen  grösser  ist,  kom- 
men Brüche  selten,  dagegen  Knickungen  an  den  langen  Knochen, 
und  Einbüge  an  den  breiten  Klnochen  des  Schädels  öfter  vor.  — 
Die  Knochenerde  bildet  beiläufig  die  Hälfte  des  Gewichts  eines 
jungen,  "/j  des  Gewichtes  eines  ausgewachsenen,  und  ^s  eines  ge- 
sunden Greisenknochen  (Davy,  Hatchett).  Die  langen  Knochen 
der  Extremitäten  enthalten  mehr  anorganische  Substanz  als  die 
Stammknochen,  die  Schädelknochen  mehr  als  beide  (Rees).  Bei 
einem  rhachitischen  Kinde  fand  Bestock  in  einem  Wirbel  79,75 
thierische,  und  nur  20,25  erdige  Substanz.  —  Durch  Krankheit 
kann  das  Verhältniss  der  organischen  zu  den  anorganischen  Be- 
standtheilen  so  geändert  werden,  dass  das  Ueberwiegen  der  einen 
oder    der    anderen,    abnorme    Biegsamkeit    oder    Brüchigkeit    der 


§.  78.   Eintheilnng  der  Knochen.  193 

Knochen  setzt.  Die  Verkrümmungen  sonst  geradliniger  Knochen 
in  der  englischen  Krankheit  (Rhackitis),  wo  die  Knochenerde  im 
Uebermaaase  durch  den  Harn  abgefiihrt  wird,  so  wie  ein  hoher  Gh-ad 
von  Fragilität  der  Knochen  (Osteopaathyrosis)  bei  gewissen  Er- 
nährungskrankheiten, sind  das  nothwendige  Resultat  der  Mischungs- 
änderung. 

Der  organische  Bestandtheil  der  Knochen  kann  durch  Kochen 
extrahirt  werden,   und  bei   hoher  Siedhitze   im  Papiniani'schen  Di- 
gestor   bleibt   nur   die    morsche,    leicht   zerbröckelnde,  wie  wurm- 
stichige, anorganische  Grundlage   als  Rest  zurück.    Der  organische 
Bestandtheil  thierischer  Knochen  stellt,  in  kochendem  Wasser  auf- 
gelöst,  eine   gelatinöse   Masse   —  Leim,    Oluten  s.    Colla  —  dar, 
welche  in  grösseren  Massen  aus  Thierknochen,  besonders  aus  den 
schwammigen  Theilen  derselben  und  ihren  weichen  Zugaben  (Ge- 
lenksknorpel, Bänder,  Sehnen,  etc.)   gewonnen,    als  Nahrungsmittel 
verwendet    wird.      Man    denke    an    Rumford^sche    Suppen,    und 
d'Arcet's  Knochensuppentafeln.    Hunde  fressen  zwar  letztere  nicht, 
und   einem  Victualienhändler  verzehrten   die   Ratten   alles  Essbare, 
mit  Ausnahme   dieser  Tafeln.     Sie   werden   aber   in   Spitälern   und 
Feldlazarethen  gebraucht  —  wenigstens  verrechnet.    Was  die  Sied- 
hitze  leistet,   leistet   auch   die   verdauende   Thätigkcit   des  Magens. 
Sie  entzieht  den  Knochen  ihren  Knorpel,  verschont  aber  den  Kalk, 
welcher  mit  den  Excrementen  als  solcher   entleert  wird.    So  erklärt 
sich  der  weisse  Koth  (album  graecum)  der  fleischfressenden  Thiere. 
Durch   Glühen  wird    der    Knochenknorpel    unter  Entwicklung   von 
Ammoniak  verbrannt,  und  die  Erden  bleiben  mit  Beibehaltung  der 
Knochenform  zurück  (Calciniren  der  Knochen). 

Die  Knochenerde  ist  nicht  an  bestimmten  Stellen  im  Ejiochen 
abgelagert,  sondern  der  Knochenknorpel  durch  und  durch  mit  ihr 
imprägnirt. 

Der  organiiche  Bestandtheil  der  Knochen  geht  durch  dafl  Verwittern  der- 
selben nur  zum  Theil  verloren.  Ein  nicht  unansehnlicher  Rest  desselben  wird, 
wahrscheinlich  durch  die  Art  seiner  Verbindung  mit  dem  erdigen,  vor  der  Zer« 
Störung  durch  Fäulniss  geschützt.  So  fand  Davy  in  einem  Stimknochen  aus 
einem  Grabe  zu  Pompeji  noch  35  y,  Procent  organische  Substanz,  und  in  einem 
Mammutbzahne  30,5. 


§.  78.  Eintheilung  der  EnocheiL 

Nach  Verschiedenheit  der  Gestalt  unterscheidet  man  lange, 
breite,  kurze,   und   gemischte   Knochen. 

Die  langen  Knochen,  auch  Röhrenknochen,  mit  Ueberwiegen 

des  Längendurchmessers  ttber  Breite  und  Dicke,  besitzen  ein  mehr 

itisches,    mit  einer   Markhöhle   versehenes    Mittei- 
lt 


194  S-  78-   Eintheilnng  der  Knochen. 

stück,  Corpvs  8.  DiaphysiSj  und  zwei  Endstücke,  Extremitatea 
8.  Epiphy8€8  (6i:i-(p6ci),  anwachsen).  Die  Enden  sind  durchaus 
umfänglicher  als  das  Mittelstück,  und  mit  überknorpelten  Gelenk- 
flächen versehen,  mittelst  welcher  sie  an  die  Enden  benachbarter 
Knochen  anstossen,  und  mit  diesen  durch  die  sogenannten  Bänder 
beweglich  verbunden  werden.  Die  langen  Knochen  stecken  zumeist 
in  der  Axe  der  oberen  und  unteren  Gliedmassen,  und  sind  niemals 
vollkommen  geradlinig,  sondern  entweder  im  Bogen  oder  S-förmig 
massig  geschweift. 

Die  breiten  Knochen,  mit  prävaUrender  Flächenausdehnung, 
finden  sich  dort,  wo  es  sich  darum  handelt.  Höhlen  zur  Aufnahme 
wichtiger  Organe  zu  bilden,  wie  am  Kopfe,  ^n  der  Brust,  und  am 
Becken.  Sie  bestehen  fast  alle  aus  zwei  compacten  Knochentafeln, 
die  durch  eine  zellige  Zwischensubstanz  (Diploe)  von  einander 
getrennt  sind.  Sollen  auch  lange  Knochen  zu  Höhlenbildung  ver- 
wendet werden,  so  verflacht  sich  ihr  prismatisches  oder  cylindrisches 
Mittelstück,  und  sie  werden  ihrer  Länge  nach,  entsprechend  dem 
Umfange  der  Höhle,  gekrümmt  (z.  B.  die  Rippen).  Lange  und 
zugleich  breite  Knochen,  wie  das  Brustbein,  enthalten  keine  Mark- 
höhlen, sondern  eine  feinzellige  Diploö.  —  Die  Ebene  der  breiten 
Knochen  ist  entweder  plan  (Pflugscharbein),  oder  im  Winkel  ge- 
knickt (Gaumenbein),  oder  schalenförmig  gebogen  (mehrere  Schä- 
delknochen), oder  es  treten  viele  breite  Knochenlamellen  zu  einem 
einzigen  grosszelligen  Knochen  zusammen,  welcher  bei  einer  gewissen 
Grösse  eine  bedeutende  Leichtigkeit  besitzen  wird  (Siebbein). 

Die  kurzen  Knochen  sind  entweder  rundlich,  oder  unregel- 
mässig polyödrisch,  und  kommen  in  grösserer  Zahl,  über  oder  neben 
einander  gelagert,  an  solchen  Orten  vor,  wo  eine  Knochenreihe, 
nebst  bedeutender  Festigkeit,  zugleich  einen  gewissen  Grad  von 
Beweglichkeit  besitzen  musste,  wie  an  der  Wirbelsäule,  an  der 
Hand-  und  Fusswurzel,  was  nicht  zu  erreichen  gewesen  wäre,  wenn 
an  der  Stelle  mehrerer  kurzer  Knochen,  ein  einziger  ungegliederter 
Knochenschaft  angebracht  worden  wäre.  Man  hat  die  kurzen  Kno- 
chen auch  vielwinkelige  genannt,  welche  Benennung  darum  nicht 
entspricht,  weil  mehrere  kurze  Knochen  gar  keine  Winkel  haben 
(Sesambeine),  und  auch  viele  breite  und  lange  Knochen  vielwin- 
kelig sind. 

Die  gemischten  Knochen  sind  Combinationen  der  drei  ge- 
nannten Knochenformen. 

Die  spccielle  Osteographie  beschreibt  die  Flüchen,  Winkel,  Ränder,  Er- 
habenheiten und  Vertiefungen,  welche  an  jedem  Knochen  vorkommen.  Um  spätere 
Wiederholungen  zu  vermeiden,  sollen  die  Namen  und  Begriffe  dieser  Einzelheiten 
hier  festgestellt  werden.  Fläche,  Superficies^  ist  die  Begrenzungsebene  eines 
Knochens.    Sie  kann  eben,  convex,  concav,  winkelig  geknickt,  oder  wellenförmig 


$.  79.   Knochensubst Anten.  195 

gebogen  sein.  Ist  sie  mit  Knorpel  überkrnstet,  und  dadurch  glatt  und  schlüpfrig 
gemacht,  so  heisst  sie  Gelenkfläche,  Superficies  articularU  9.  glenoidea.  Winkel, 
Ängultu,  ist  die  Durchschneidungslinie  zweier  Flächen,  oder  ihre  gemeinschaft- 
liche Kante.  Die  Winkel  sind  scharf  (kleiner  als  90^),  oder  stumpf  (grösser 
als  90°),  oder  abgerundet,  geradlinig  oder  gebogen.  Rand,  Margo,  heisst  die 
Begrenzung  breiter  Knochen.  Er  ist  breit  oder  schmal,  gerade  oder  schief  abge- 
schnitten, glatt,  rauh,  oder  mit  Zacken  besetzt,  gewulstet  oder  zugeschärft,  auf- 
gekrempt,  oder  in  zwei,  auch  in  drei  Lefzen  gespalten.  Ports  atz,  Procesnu, 
heisst  im  Allgemeinen  jede  Hervorragung  eines  Knochens.  Unterarten  der  Fort- 
sätze sind:  Der  Höcker,  Thtber^  ProtuberanHa,  TuberositaSf  ein  rauher,  niedriger, 
mit  breiter  Basis  aufsitzender  Knochenhügel.  Im  kleineren  Maassstabe  wird  er 
zum  Tubereulum,  Der  Kamm,  Critta,  ist  eine  ganz  willkflrlich  angewendete 
Bezeichnung  für  gewisse  scharfe  oder  stumpfe,  gerade  oder  gekrümmte,  auf 
Knochenflächen  aufsitzende  Riffe.  Stachel,  Spina,  heisst  ein  langer  spitziger 
Fortsatz.  Gelenkkopf,  Caput  articuiarej  ist  jeder  überknorpelte,  mehr  weniger 
kugelige  Fortsatz,  welcher  gewönlich  auf  einem  engeren  Halse,  Collum,  am 
£nde  eines  Knochens  aufsitzt  Wird  die  Kugelform  mehr  in  die  Breite  gezogen, 
so  spricht  man  von  einem  Knorren,  Condylu»,  Sehr  häufig  werden  stumpfe, 
nicht  überknorpelte  Processus  ebenfalls  Condyli  genannt,  wie  denn  überhaupt  im 
Gebrauche  der  osteologischen  Terminologie  sehr  viel  Willkür  herrscht  Ursprüng- 
lich bedeutet  Condylus  nur  die  Knoten  an  einem  Schilfrohre,  und  metaphorisch 
auch  die  Knoten  der  Fingergelenke.  —  Der  von  den  Alten  aufgestellte  Unter- 
schied zwischen  Apophysis  und  Epiphysis  wird  von  den  besten  neueren  Schrift- 
stellern nicht  beachtet  Apophyris,  was  man  mit  Knochenauswuchs  über- 
setzen könnte,  ist  jeder  Fortsatz,  der  aus  einem  Knochen  herauswächst,  und  zu 
jeder  Zeit  seiner  Existenz  einen  integrirenden  Bestandtheil  desselben  ausmacht 
Epiphyait,  Knochenanwuchs,  ist  ein  Knochen  ende  oder  Fortsatz,  welcher  zu 
einer  gewissen  Zeit  mit  dem  Körper  des  Knochens  nur  durch  eine  zwischenlie- 
gende Knorpelplatte  zusammenhängt,  und  erst  nach  vollendetem  Waehsthume 
des  Knochens  mit  ihm  verschmilzt 

Die  Vertiefungen  heissen,  wenn  sie  ttberknorpelt  sind.  Gelenkgruben, 
Foveae  articulares  9,  glenoicUäes  (von  f^i^w),  glatte,  concave  Fläche),  nicht  über- 
knorpelt,  überhaupt  Gruben.  In  die  Länge  gezogene  Gruben  sind:  Rinnen, 
und  seichte  Rinnen:  Furchen,  Sulci.  Sehr  schmale  und  tiefe  Rinnen  heissen 
Spalten,  Fis9urae,  welcher  Ausdruck  auch  für  jede  longitudinale  Oeffhung  einer 
Höhle  gebraucht  wird.  Löcher,  Foraminaf  sind  die  Mündungen  von  Kanälen; 
kurze  und  weite  Kanäle  heissen  Ringe.  Kanäle,  welche  in  den  Knochen,  aber 
nicht  wieder  aus  ihm  führen,  sind:  Ernährungskanäle,  und  ihr  Anfang  an 
der  Oberfläche  der  Knochen  ein  Emährungsloch,  Foramen  nutritium.  Höhlen  in 
den  langen  Knochen  werden  Cava  meduüaria,  Markhöhlen,  genannt.  Enthalten 
sie  kein  Mark,  sondern  Luft,  wie  in  gewissen  Schädelknochen,  so  Werden  sie  als 
Sinu9  9.  Antra  unterschieden. 


§.  79.  Enoclieiisubstanzeii. 

Die  Knochensubstanz  hat  nicht  an  allen  Punkten  des  Knochens 

dieselben  Attribute  der  Dichtigkeit  und  Härte.    Wir  unterscheiden 

a)  eine   compacte^   h)  eine   schwammige,   und  c)  eine  zellige 

Eoiochensubstanz. 

13» 


196  S-  ^-    Beinhant  nnd  Knocbenmark. 

a)  Die  Oberfläche  der  Ejiochen  wird,  bis  auf  eine  gewisse 
Tiefe;  von  compacter  Enochensubstanz  gebildet.  Sie  erscheint 
dem  freien  Auge  homogen,  von  dichtem  oder  faserigem  Gefllge, 
polirbar,  ohne  grössere  Lücken,  aber  mit  feinen,  an  der  Oberfläche 
der  Knochen  imd  in  ihrer  Markhöhle  beginnenden  Eanälchen  (Ge- 
fässkanälchen^  durchzogen,  welche  nur  mit  bewaflhetem  Auge 
gut  zu  sehen  sind.  Die  Möglichkeit,  die  äusseren  Mündungen  dieser 
Kanälchen  durch  Druck  und  Reibung  verschwinden  zu  machen, 
bedingt  das  zu  technischen  Zwecken  dienende  Poliren  der  Knochen. 
Die  compacte  Substanz  zeigt  im  Mittelstücke  der  Röhrenknochen 
ihre  grösste  Mächtigkeit,  nimmt  gegen  die  Endstücke  derselben  all- 
mälig  ab,  und  gebt  zuletzt  in  ein  dünnes  Knochenblatt  über,  welches 
die  äusserste,  durch  einen  Knorpelbeleg  geglättete  Schale  der  Ge- 
lenkenden der  Knochen  bildet  An  den  breiten  Knochen  finden  wir 
zwei  Tafeln  compacter  Substanz,  eine  äussere  und  eine  innere,  und 
an  den  kurzen  Knochen  existirt  sie  nur  als  Ejruste  von  sehr  xmbe- 
deutender  Dicke,  oder  fehlt,  wie  an  den  Körpern  der  Wirbel,  gänzlich. 

b)  Die  schwammige  Eoiochensubstanz,  welche  sich  an  die 
compacte,  nach  innen  zu,  anschliesst,  besteht  aus  vielen,  sich  in 
allen  möglichen  Richtungen  kreuzenden  Knochenblättchen,  wodurch 
ein  System  von  Lücken  und  Höhlen  entsteht,  welche  unter  einander 
communiciren,  und  mit  den  Hohlräumen  des  gemeinen  Badeschwam- 
mes Aehnlichkeit  haben.  Fliessen  mehrere  im  Mittelstücke  eines  Röh- 
renknochens befindliche  Höhlen  der  schwammigen  Substanz  zu  einer 
grösseren  Höhle  zusammen,  so  heisst  diese  dann  Markhöhle.  — 
Die  zwischen  den  Tafeln  der  breiten  Knochen  befindliche  schwam- 
mige Substanz  heisst  Diploö,  (nach  Hippocrates  von  5'.7:X6o<;,  doppelt). 

c)  Werden  die  Lücken  der  schwammigen  Substanz  sehr  klein, 
so  entsteht  die  z  eil  ige  Substanz,  Substantia  ceUularis,  und  haben 
die  Blättchen  der  zelligen  Substanz  die  Feinheit  von  Knochenfasem 
angenommen,  so  wird  sie  Netzsubstanz,  Substantia  reticularis, 
genannt.  In  den  Gelenkenden  der  langen,  und  in  den  kurzen 
Knochen,  prävalirt  die  zellige  und  die  Netzsubstanz  auf  Kosten  der 
compacten. 


§.  80.  Beinliaut  und  EnoGhenniark. 

Besondere  Attribute  frischer  Knochen  sind,  nebst  den,  die  Ge- 
lenkenden der  Knochen  überziehenden  Knorpeln,  noch:  die  Bein- 
haut und  das  Mark.  Beide  müssen  durch  Fäulniss  zerstört  werden, 
um  den  Knochen  trocken  aufzubewahren. 

Die  Beinhaut,  Periosteum,  ist  eine  fibröse  Umhüllungsmembran 
der  Knochen.    An  den  knorpelig  incrustirten  Gelenkenden  imd  an 


§.  80.   Beinhaut  und  Knochenmark.  197 

den  Muskelanheftungsstellen  der  Knochen  fehlt  sie.  Sie  steht  zu 
den  von  ihr  umhüllten  Knochen  in  einer  sehr  innigen  Emährungs- 
beziehungy  und  besitzt  deshalb  Blutgefässe  in  grosser  Menge.  Diese 
Ge&sse  bilden  dichte  Netze,  und  schicken  durch  die  Gefässkanäl- 
chen  (§.  83)  Fortsetzungen  bis  in  die  centrale  Markhöhle  der  Röh- 
renknochen,  wo  sie  mit  den  Gefässnetzen  des  Knochenmarks  ana- 
stomosireU;  welche  von  den  grösseren,  durch  die  Foramina  nuiritia 
zum  Knochenmark  gelangenden  Emährungsgefässen  gebildet  wer- 
den. An  den  Epiphysen  der  Röhrenknochen,  und  an  den  wie  zernagt 
aussehenden  kurzen  Knochen,  denen  die  compacte  Substanz  gross- 
tentheils  fehlt,  hängt  sie,  der  zahlreichen  Gefässe  wegen,  die  sie 
in  den  Knochen  abschickt,  viel  fester  an,  als  an  der  glatten  äusseren 
Fläche  compacter  Substanz.  Je  jünger  ein  Knochen,  desto  ent- 
wickelter ist  der  Gefässreichthum  seiner  Beinhaut.  Hat  man  einen 
gut  injicirten  dünnen  Knochen  eines  jüngeren  Individuums,  z.  B. 
eine  Rippe  oder  eine  Armspindel,  durch  Behandlung  mit  verdünnter 
Salzsäure  durchsichtig  gemacht,  und  dann  getrocknet,  so  kann  man 
sich  leicht  von  der  Anastomose  der  äusseren  Beinhautgefässe  mit 
den  Gefkssen  des  Knochenmarkes  überzeugen.  Die  Venen  begleiten 
theils  die  Arterien,  wie  in  den  langröhrigen  Knochen,  theils  ver- 
laufen sie  isolirt,  und  in  besonderen  Röhren  oder  Kanälen  einge- 
schlossen, wie  in  den  breiten  Knochen  des  Himschädels,  wo  sie 
Venae  diploeticae  heissen.  Nerven  besitzt  die  Beinhaut,  nach  den 
Untersuchungen  von  Pappenheim  imd  Halbertsma,  unbestreitbar. 
Ihre  letzten  Endigimgen  sind  jedoch  noch  nicht  mit  wünschens- 
werther  Sicherheit  eruirt. 

Genauere  mikroskopische  Untersuchung  der  Beinhaut  läset  an  ihr  zwei 
Schichten  unterscheiden.  Die  äussere  besteht  vorwaltend  aus  Bindegewebe,  und 
enthält  die  Blutgefässe  und  Nerven.  Die  darunter  liegende  Schichte  erscheint 
als  ein  dichtes  Netzwerk  elastischer  Fasern,  durch  dessen  Maschen  die  von  der 
äusseren  Schichte  kommenden  Blutgefässe  in  die  Substanz  des  Knochens  eingehen. 

C  Beckj  anat  phys.  Abhandlung  über  einige  in  Knochen  verlaufende,  und 
an  der  Markhant  verzweigte  Nerven.  Freiburg,  1846.  (Im  Oberarm  und  Ober- 
schenkel, in  der  Ulna  und  im  Radius  durch  Präparation  dargestellt).  —  KölUker, 
über  die  Nerven  der  Knochen,  in  den  Verhandlungen  der  Würzburg.  Gesell- 
schaft, I.  —  Luschka,  die  Nerven  der  harten  Hirnhaut,  des  Wirbelkanals  und 
der  Wirbel.    Tübingen,  1850. 

Das  gefUssreiche  Knochenmark,  dessen  bereits  bei  Gelegen- 
heit des  Fettes  §.  25  erwähnt  wurde,  nimmt'  die  Markhöhle  der 
Kjiochen  ein.  Es  sendet  keine  Fortsetzungen  in  die  Gefilsskanäl- 
chen  der  Rindensubstanz,  durch  welche  die  Markhöhle  mit  der 
Oberfläche  der  Knochen  in  Verbindung  steht  Nur  wenn  man  einen 
seiner  Beinhaut  beraubteui  friffchen  und  fetten  Knochen  in  warmer 
Luft  trocknet;  sickert  d^  Oberfläche 


198  §•  M«   Beinhaat  und  Knochenmarlc. 

aus,  und  der  Knochen  erscheint  fortwährend  wie  beölt.  Dieses  ge- 
schieht jedoch  nur  deshalb,  weil,  durch  das  allmälige  Eintrocknen 
der  in  den  Gefksskanälchen  enthaltenen  Blutgefässe,  dem  von  den 
Markhöhlen  herausschwitzenden  Fette  eine  Abzugsbahn  geöffiiet  wird. 

Das  Knochenmark  wird  in  mehreren  Richtungen  nicht  eben 
reichlich  mit  Bindegewebe  durchzogen.  An  der  Oberfläche  des  Mark- 
klumpens erscheint  das  Bindegewebe  nicht  als  continuirliche  Schichte, 
oder  in  der  Membranform  eines  sogenannten  inneren  Periosts  (En- 
doosteum  s.  Periosteum  intemum),  welches  nur  in  der  Einbildung 
älterer  Anatomen  existirte,  obwohl  der  Name  selbst  in  neueren 
Schriften  noch  sporadisch  vorkommt.  Man  kann  niemals  vom  Kno- 
chenmark eine  häutige  Hülle  abziehen,  wie  von  der  äusseren  Ober- 
fläche eines  Knochens. 

Das  Mark  der  langen  Knochen  erhält  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Blutzuftihr  von  jenen  Arterien,  welche  durch  die  Foramina 
nutritia  in  die  Markhöhle  gelangen.  Die  Blutgefässe  des  Markes 
verästeln  sich  längs  der  das  Mark  durchsetzenden  Bindegewebs- 
bündel,  dringen  von  innen  her  in  die  Gefässkanäle  der  compacten 
Rindensubstanz  ein,  und  anastomosiren,  wie  früher  erwähnt,  allent- 
halben mit  den  vom  äussern  Periost  in  den  Knochen  eintretenden 
GefUsszweigen.  Dass  auch  durch  die  Foramina  nutritia  Nerven  in 
die  Markhöhlen  der  Knochen  gelangen,  und  dass  imzählige  feine 
Nervenzweige  des  animalen  und  vegetativen  Systems  direct  mit  den 
Blutgefässen  in  die  compacte  und  schwammige  Substanz  der  Knochen 
eingehen,  ist  durch  ältere  und  neuere  Beobachtungen  constatirt.  — 
Die  Diploö  der  breiten,  und  die  schwammige  Substanz  der  Gelenk- 
enden der  Knochen,  enthält  statt  Mark  ein  röthliches,  gelatinöses 
Fluidum,  welches  nach  Berzelius  aus  Wasser  imd  Extractivstofi^en, 
und  nur  äusserst  geringen  Spuren  von  Fett  besteht. 

Die  alte  Ansicht,  dass  das  Knochenmark  der  Nahrungsstoff  der  Knochen 
sei:  (AueXo;  Tpo9^  oor/tov,  meduÜa  nutrimentum  ossium  (Hippocrates),  ist  durch 
die  fettige  Natur  des  Markes  gebührend  widerlegt,  und  es  scheint  die  Fettablage- 
rung im  Knochen  keinem  weiteren  physiologischen  Zwecke  zu  entsprechen,  als 
an  allen  anderen  disponiblen  Orten,  wo  Fett  bei  Nahrungsüberschuss  als  nutz- 
loser organischer  Ballast  deponirt  wird.  Dass  es  den  Knochen  leichter  mache, 
kann  nicht  die  einzige  Ursache  seiner  Gegenwart  sein.  Er  wäre  ja  noch  leichter, 
wenn  gar  kein  Fett  in  ihm  abgelagert  würde,  wie  in  den  luftgefüllten  Knochen 
der  Vögel.  Es  scheint  vielmehr  die  Fettmasse  des  Markes  den  Blutgefässen, 
welche  von  innen  her  in  die  Knochensubstanz  einzudringen  haben,  als  Schutz- 
und  Fixirungsmittel  zu  dienen,  und  die  Gewalt  der  Stösse  zu  brechen,  welche 
bei  den  Erschütterungen  der  Knochen  leicht  Veranlassung  zu  Rupturen  der  Ge- 
fässe  geben  könnten,  ähnlich  wie  das  Fett  in  der  Augenhöhle  für  die  feinen 
Ciliararterien  und  Nerven  eine  schützende  Umgebung  bildet. 

Man  findet  die  Markhöhle  der  Röhrenknochen  zuweilen  durchaus  mit 
compacter  Knochensubstanz  gef[lllt,  ohne  dass  im  Leben  irgend  eine  abnorme 
Erscheinung,   Kunde  von  solcher  Obliteration   der   Höhle   gegeben   hätte.    Der 


§.  81.   Yerbindangen  der  Knochoa  nnter  sich.  X99 

bertthmte  niederländische  Anatom,  Fr  id.  Rnjsch,  soll  sich   eines  Essbesteckes 
bedient  haben,  dessen  Griffe  ans  soliden  Menschenknochen  gedrechselt  waren. 


§.81.  Verbindungen  der  Knochen  unter  sich. 

Die  durch  Vermittlung  von  Weichtheilen  zu  Stande  kommen- 
den Verbindungen  der  Knochen  bieten,  von  der  festen  Haft  bis 
zur  freiesten  Beweglichkeit,  alle  möglichen  Zwischengrade  dar. 
Absolut  unbeweglich  ist  wohl  keine  einzige  Knochenverbindung  zu 
nennen,  aber  die  Beweglichkeit  sinkt  in  einigen  derselben  auf  ein 
Minimum  herab,  welches,  wie  an  den  Zähnen,  ohne  Anstand  =  0 
genommen  werden  kann.  Die  festesten  Knochenverbindungen  kön- 
nen unter  besonderen  Umständen  sich  lockern,  und  Verschiebungen 
gestatten.  Wir  fassen  die  verschiedenen  Arten  von  Blnochenver- 
bindungen  unter  folgenden  Hauptformen  zusammen. 

A)  Gelenke,  Articulationes, 

Sie  sind  Verbindungen  zweier  oder  mehrerer  Knochen,  welche 
durch  überknorpelte,  meist  congruente  Flächen  an  einander  stossen, 
und  durch  Bänder  derart  zusammengehalten  werden,  dass  sie  ihre 
Stellung  zu  einander  ändern,  d.  h.  sich  bewegen  können.  Die  Bän- 
der sind : 

1.  Ein  fibröses  Kapselband,  Ligamentum  capsularsy  vom 
rauhen  Gelenkumfang  eines  Knochens  zu  jenem  eines  anstossenden 
gehend,  und  an  seiner  inneren  Oberfläche  mit  einer  Synovialmem- 
bran  ausgekleidet,  welche,  wie  oben  (§.  43,  B)  gezeigt  wurde,  sich 
nicht  auf  die  tiberknorpelten  Ejiochenenden  umschlägt,  wie  man 
seit  langer  Zeit  fälschlich  angenommen  hat,  sondern  am  Beginne 
des  Knorpelüberzuges  endet.  Das  Epithel  der  Synovialmembran 
ist  ein  einfaches,  nicht  geschichtetes  Pflasterepithel. 

2.  Hilfsbänder,  Ligamenta  accesaoria  $,  auxiliaria,  um  die 
Verbindung  zu  kräftigen,  oder  die  Beweglichkeit  einzuschränken. 
Sie  liegen  in  der  Regel  ausserhalb  des  Gelenkraumes,  und  streifen 
in  verschiedener  Richtung  über  die  Gelenkkapsel  weg.  Bei  mehre- 
ren Gelenken  kommen  jedoch  solche  Bänder  auch  innerhalb  des 
Gelenkraumes  vor,  z.  B.  im  Hüft-  und  Kniegelenk. 

Eine  besondere  Eigenthümlichkeit  gewisser  Gelenke  bilden  die 
sogenannten  Zwischenknorpel,  Cartilagines  interarticulares.  Sie 
kommen  nur  in  Gelenken  vor,  deren  Contactflächen  nicht  con- 
gruiren^  und  stellen  demnach  zunächst  eine  Art  von  Ltickenbüssem 
dar,  zur  Ausfüllung  der  zwischen  den  discrepanten  Gelenkflächen 
erübrigenden  Räume.  Sie  erscheinen  als  freie,  zwischen  die  Gelenk- 
flächen der  Knochen  eingeschobene,  und  nur  an  die  Kapsel  be- 
festigte Faaerknorpelp»^  -•»•whieden,  und 


200  §•  Sl*    VirbindoDt^n  der  Knochen  unter  sich. 

von  ihr  wird  es  abhängen,  ob  sie  nur  bis  auf  eine  gewisse  Tiefe  in 
den  Gelenkranm  eindringen,  oder  denselben  ganz  und  gar  durch- 
setzen. 

Von  der  Form  der  Gelenkenden  der  Knochen,  der  Lagerung 
der  Hilfs-  und  Beschränkungsbänder,  hängt  die  Grösse  der  Beweg- 
Uchkeit  eines  Gelenkes  ab.  Selbst  beim  freiesten  Gelenke  kann 
der  zu  bewegende  Knochen  sich  nicht  in  gerader  Linie  von  jenem 
entfernen,  mit  welchem  er  articuUrt.  Würde  er  diese  Bewegung 
anstreben,  so  müsste  in  dem  Gelenke  sich  ein  leerer  Raum  bilden, 
und  dieses  gestattet  der  äussere  Luftdruck  nicht. 

Man  kann  folgende  Arten  von  Gelenken  unterscheiden: 

a)  Freie  Gelenke,  Arthrodiae  (dlpöpwBfa  bei  Galen,  seichtes 
Gelenk).  Sie  erlauben  die  Bewegung  in  jeder  Richtung.  Sphä- 
risch gekrilmmte,  genau  an  einander  passende  Gelenkflächen, 
und  laxe  oder  dehnbare  Kapseln,  mit  wenig  oder  gar  keinen 
beschränkenden  Seitenbändem ,  sind  nothwendige  Attribute 
dieser  Gelenkart,  deren  Repräsentant  das  Schulterblatt-Ober- 
armgelenk ist  Wird  die  freie  BewegUchkeit  dadurch  etwas 
Umitirt,  dass  eine  besonders  tiefe  Gelenkgrube  einen  kugeligen 
Gelenkkopf  umschliesst,  so  heisst  das  Gelenk  ein  Nuss-  oder 
Pfannengelenk,  Enarthrosis,  wie  es  zwischen  Hüftbein  und 
Oberschenkel  vorkommt. 

b)  Sattelgelenke.  Eine  in  einer  Richtung  convexe,  und  in  der 
darauf  senkrechten  Richtung  concave  Flächenkrümmung  bildet 
eine  Sattelfläche.  Stossen  zwei  Knochen  mit  entsprechenden 
Flächen  dieser  Art  aneinander,  so  ist  ein  Sattelgelenk  gegeben. 
Ein  solches  wird  in  zwei  auf  einander  senkrechten  Richtungen 
beweglich  sein.  Beispiele:  das  Carpo-Metacarpalgelenk  des 
Daumens,  und  das  Brustbein  -  Schlüsselbeingelenk.  Riebet 
bezeichnet  diese  Gelenke  als  artlculations  par  embottement 
recijproque, 

c)  Knopfgelenke.  Sie  besitzen  wie  die  Sattelgelenke  Beweg- 
lichkeit in  zwei  auf  einander  senkrechten  Richtungen.  Ein 
Gelenkskopf  mit  elliptischer  Convexität,  und  eine  entsprechend 
concave  Gelenkgrube  bilden  ein  Knopfgelenk,  welches  von 
Cruveilhier  zuerst  imter  der  Benennung  Ai-ticulation  condy- 
lienne  als  eine  besondere  Gelenksart  aufgeführt  wurde.  Als 
Beispiele  nennt  Cruveilhier  das  Gelenk  zwischen  Vorder- 
arm und  Handwurzel,  und  das  Kiefergelenk. 

d)  Winkelgelenke  oder  Charniere,  Ginglymi  (7177X^/0;,  Thür- 
angel),  gestatten  nur  Beugung  und  Streckung,  also  Bewegung 
in  einer  Ebene.  Eine  Rolle,  Trochlea,  an  dem  einen,  und 
eine  entsprechende  Aufnahmsvertiefung  am  anstossenden  Ge- 
lenkende,  so  wie  zwei  nie  fehlende  Seitenbänder  charakterisiren 


§.  81.    Yirbmdmigen  der  Knochen  anter  sieb.  201 

das   Winkelgelenk,    welches    durch    die   Finger-    und    Zehen- 
gelenke sehr  zahlreich  vertreten  ist. 

e)  Dreh-  oder  Radgelenke,  Articulationes  trochoideae  (Tpo/b;, 
Rad),  kommen  dadurch  zu  Stande,  dass  ein  Knochen  sich 
um  einen  zweiten  oder  um  seine  eigene  Axe  drehb  So  be- 
wegt sich  z.  B.  der  Atlas  um  den  Zahnfortsatz  des  zweiten 
Wirbels,  und  das  Köpfchen  der  Armspindel  um  seine  eigene 
Axe. 

f)  Straffe  Gelenke,  Amphiarthroses ^  finden  dort  statt,  wo  sich 
zwei  Knochen  mit  geraden,  ebenen,  oder  massig  gebogenen, 
tiberknorpelten  Flächen  an  einander  legen,  imd  durch  straff 
angezogene  Bänder  so  fest  zusammenhalten,  dass  sie  sich  nur 
wenig,  aber  doch  in  jedem  Sinne,  an  einander  verschieben 
oder  drehen  können.  Sie  gehören  ausschliesshch  einigen  Hand- 
und  Fusswurzelknochen  an. 

Jeder  Versuch  einer  Eintheilung  der  Gelenke  HUlt  misslich  aus,  da  jedes 
Gelenk  ein  anderes  ist,  und  die  Eintheilung  besser  durch  eine  Aufzählung  ver- 
treten werden  könnte.  In  allgemeinster  und  entsprechendster  Weise  Hessen  sich 
noch  die  Gelenke  nach  der  Zahl  ihrer  Bewegungsaxen  rubriciren,  und  es  könn- 
ten einaxige,  zweiaxige,  und  vielaxige  Gelenke  unterschieden  werden.  Einaxige 
Gelenke  wären  die  Winkel-  und  Radgelenke,  erstere  mit  horizontaler,  letztere 
mit  verticaler  Drehungsaxe.  Zweiaxig  erscheinen  die  Sattel-  und  Knopfgelenke, 
indem  sie  in  zwei  auf  einander  senkrechten  Richtungen  Bewegung  gestatten. 
Vielaxige  sind  nur  die  freien  Gelenke.  —  Da  bei  allen  schlechten  Eintheilungen 
immer  etwas  übrig  bleibt,  was  sich  der  Eintheilung  nicht  fügt,  so  sollte  auch 
zu  den  hier  aufgezählten  Gelenkarten  noch  eine  letzte  hinzugeffigt  werden,  näm- 
lich die  gemischten  Gelenke,  welche  die  Attribute  zweier  der  genannten  in 
sich  vereinigen,  wie  z.  B.  das  Kniegelenk  jene  des  Winkel-  und  Drehgelenks. 

B)  Nähte,  Suturae, 

Man  bezeichnet  mit  diesem  Namen  eine  der  festesten  Eno- 
chenverbindungen,  welche  dadurch  gegeben  wird,  dass  zwei  breite 
Knochen  durch  wechselseitiges  Eingreifen  ihrer  zackigen  Ränder 
zusammenhalten  (engrenure  der  Franzosen,  Syntaxia  serrata  der  Alten). 
Eine  Unterart  derselben  bilden  die  falschen  Nähte,  Suturae  spu- 
riae  s.  nothae.  Man  versteht  imter  diesem  Namen  die  Verbindungen 
von  Knochenrändem  ohne  vermittelnde  Zacken,  und  zwar  entweder 
durch  Ueber^inanderschiebung  derselben ,  wodurch  eine  S  c  h  u  p- 
pennaht,  Sutura  squumosa,  entsteht,  oder  durch  einfache  Anlage- 
rung, Harmonia  (apct),  zusammenpassen).  In  den  wahren  und  falschen 
Nähten  existirt  ein  weiches,  knorpeliges  oder  faseriges  Verbindungs- 
mittel, als  Vermittler  der  Vereinigung. 

C)  Fugen,  Symphysea, 

Ihr  Wesen  beruht  darin,  dass  dick  tlberknorpelte  Knochen- 
flächen durch  straffe  Bandapparate  mit  einem  Minimum  von  Beweg- 
lichkeit zusammenge)»  '      '  «oaltfbrmige   Höhle,   aU 


Of|9  S*  ^'  Nih«rM  Aber  Knochenrerbindangtii. 

Analoffon  einer  GelenkhöUe,  trennt  die  beiden  überknorpelten 
KnochenflÄchen.  Fehlt  diese  Höhle,  so  verschmelzen  die  überknor- 
pelten Ejiochenflächen,  und  diese  Verschmelzung  ist  es,  welche  als 
Synchondrose  der  Symphyse  gegenübergestellt  wird,  obwohl 
viele  Anatomen  beide  Ausdrücke  als  synonym  gebrauchen. 
D)  Einkeilungen,  Gamphosea. 

Sie  finden  sich  nur  zwischen  den  Zähnen  und  den  Kiefern. 
Eine  konische  Zahnwurzel  steckt  im  Knochen,  wie  ein  eingeschla- 
gener Keil  (Y<5|A<po<;,  Pflock). 

Die  Alten  erw&hnen  noch  zweier  Arten  von  Knochenverbindungen : 

a)  SyndetmoHt.  Sie  besteht  in  der  Verbindung  zweier  entfernt  liegender 
Knochen  durch  ein  fibröses  Band  ($Ea(i^c).  Ein  Beispiel  derselben  giebt  die  Ver- 
bindung des  Zungenbeins  mit  dem  Griffelfortsatz  des  Schläfebeins. 

b)  SehmdyleHt,  Sie  bezeichnet  jene  feste  Verbindung^form,  wo  der  scharfe 
Rand  des  einen  Knochens  zwischen  doppelten  Lefzen  eines  anderen  (wie  bei 
Schindeln)  steckt  Zwischen  PflugpBcharbein  und  Keilbein  zu  beobachten. 


§.  82.   ITälieres  über  Enochenverbindangen. 

Bezüglich  des  Vorkommens  der  eben  aufgezählten  Arten  von 
Knochenverbindungen  lässt  sich  Folgendes  feststellen: 

1.  Alle  Gelenke  sind  paarig.  Vom  Kinnbackengelenk  bis  zu 
den  Zehengelenken  herab  gilt  diese  Regel,  welche  nur  eine  Aus- 
nahme hat,  und  diese  ist  durch  das  unpaare  Gelenk  zwischen  Atlas 
und  Zahnfortsatz  des  Epiatropheus  gegeben. 

2.  Alle  Symphysen  sind  unpaar,  mit  Ausnahme  der  paarigen 
Symphysis  sacro-iliaca, 

3.  Die  Symphysen  gehören  ausschliesslich  der  Wirbelsäule, 
den  Brustbeinstücken  und  dem  Becken  an.  Sie  liegen  somit  in  der 
Medianlinie,  oder  (wie  die  Symphyses  sacro-iliacae)  nahe  an  der- 
selben. Da  die  in  der  Medianlinie  des  Leibes  gelegenen  unpaaren 
Knochen  das  feste  Stativ  des  gesammten  Skeletes  zu  bilden  haben, 
so  wird  es  verständlich,  warum  zwischen  ihnen  keine  Gelenke,  son- 
dern feste  Symphysen  vorkommen  müssen,  während  die  durch  ihre 
Beweglichkeit  mehr  weniger  bevorzugten  paarigen  Knochen  des 
Brustkorbes  und  der  Extremitäten  keine  Symphysen,  sondern  Ge- 
lenke zu  ihrer  wechselseitigen  Verbindung  benöthigen. 

4.  Wahre  und  falsche  Nähte,  so  wie  Harmonien,  kommen  nur 
zwischen  den  Kopfknochen  vor.  Sie  gestatten,  trotz  ihrer  Festig- 
keit, ein  dem  Wachsthume  des  Kopfes  entsprechendes,  allmäliges 
Auseinanderweichen  der  einzelnen  Kopfknochen,  und  machen  dann 
erst  einer  knöchernen  Verschmelzung  (Synostosis)  der  betreffenden 
Knochen  Platz,  wenn  das  Wachsthum  des  Kopfes  vollendet  ist 


S.  88.    Stractor  der  Knoelien.  203 

In  der  Thierwelt  finden  sich  Nähte  auch  zwischen  anderen  Knochen  als 
den  Kopfknochen.  So  z.  B.  a)  zwischen  den  Platten  des  Rückenschildes  der 
Chelonier.  (Man  hat  deshalb  ein  Fragment  einer  solchen  Platte  von  einer  riesi- 
gen vorweltlichen  Schildkröte  eine  Zeitlang  für  ein  Stück  Schädelknochen  eines 
präadamitischen  Menschen  gehalten.)  b)  Zwischen  den  seitlichen  Hälften  des 
Schultergürtels  gewisser  Fische  {Süuroitlei).  c)  Zwischen  den  die  Hornhaut  des 
Auges  umgebenden  Knochenplatten  bei  einigen  Vogelarten  (z.  B.  Sida).  d)  Zwi- 
schen den  Wirbeln  jener  Fische,  deren  Leib  von  einem  starren,  aus  eckigen 
Schildern  zusammengesetzten  Panzer  umschlossen  ist,  und  deren  Wirbelsäule 
somit  ihre  sonst  beweglichen  Symphysen  gegen  unbewegliche  Suturen  vertauscht 
'     (Kofferfische). 

5.  In  den  frühen  Perioden  des  Embryolebens  giebt  es  noch 
keine  Gelenke.  £in  weiches,  knorpelähnliches  Blastem  nimmt  die 
Stelle  der  Gelenke  ein.  Dieses  Blastem  verflüssigt  sich  von  innen 
nach  aussen,  und  schwindet  durch  Resorption.  Es  bleibt  von  ihm 
nichts  übrig  als  1.  die  zunächst  an  die  Knochen  des  betreffenden 
Gelenkes  anliegende  Schichte,  und  2.  seine  äusserste  Begrenzungs- 
membran (Perichondrium),  Erstere  wird  zum  Knorpelüberzug  der  Ge- 
lenkfläche des  Knochens,  letztere  zur  Kapsel  des  Gelenks.  Schmilzt 
der  Knorpel,  welcher  die  Stelle  eines  zukünftigen  Gelenks  einnimmt, 
an  zwei  Punkten,  welche  beim  Fortschreiten  der  Verflüssigung  nicht 
mit  einander  zusammenfliessen,  sondern  durch  einen  Rest  obigen 
Blastems  von  einander  getrennt  bleiben,  so  wird  ein  zweikamme- 
riges  Gelenk  entstehen,  in  welchem  sich  die  Scheidewand  der 
Kammern  entweder  zu  einer  Cartilago  interoHicularis,  oder  zu  intra- 
capsularen  Bändern  umbildet.  Nur  an  einer  Stelle  des  menschlichen 
Körpers  bleibt  das  embryonische  Verhältniss  ein  durch  das  ganze 
Leben  perennirendes.  Während  nämUch  zwischen  den  vorderen 
knorpeligen  Enden  der  Rippen  und  dem  Brustbein  sich  auf  die 
erwähnte  Weise  wahre  Gelenke  entwickeln,  verbleibt  es  zwischen 
dem  ersten  Rippenknorpel  und  der  Handhabe  des  Brustbeins  auf 
der  primitiven  Continuität  beider,  und  es  ist  als  Ausnahme  zu  be- 
trachten, wenn  es  hier  wie  bei  den  übrigen  Rippen  zur  Entwicklung 
eines  Gelenkes  kommt. 

§.  83.  Structur  der  Enochen. 

Die  compacte  Knochensubstanz  ist  von  feinen  Kanälchen 
durchzogen,  welche  Blutgeftlsse  enthalten.  Man  war  lange  Zeit 
der  Meinung,  dass  sie  blos  Mark  führen,  und  nannte  sie  deshalb 
Markkanälchen.  Diesen  Namen  verdienen  sie  nicht.  Sie  werden 
richtiger  Gefässkanälchen  genannt.  Clopton  Havers,  ein  eng- 
lischer Anatom  des  17.  Jahrhunderts,  hat  ihrer  zuerst  erwähnt.  Sie 
werden  deshalb  häufig  woßk  ab  OanaHeuU  Haoerriani  angeführt 
Nur  in  sehr  dünnen  ~  ^  der  Lamina  papyr 


204  S*  ^«   Stractar  der  Knochen. 

racea  des  Siebbeines,  und  stellenweise  am  Gaumen-  und  Thränen- 
bein.  Sie  laufen  in  den  Röhrenknochen  mit  der  Längenaxe  derselben 
parallel,  hängen  aber  auch  durch  Querkanäle  zusammen,  und  bilden 
somit  ein  Netzwerk  von  Kanälen,  welches  an  der  äusseren  und 
inneren  Oberfläche  der  Knochen  mit  freien,  aber  feinen  Oeffnungen 
mündet.  In  den  breiten  Knochen  laufen  sie  entweder  den  Flächen 
derselben  parallel,  wie  am  Brustbein,  oder  ihre  Richtung  ist  stern- 
förmig, von  bestimmten  Punkten  ausgehend  {Tuber  frontale,  parle- 
tale,  etc.).  In  den  dünnen  Blättchen  der  schwammigen  Knochen- 
substanz kommen  sie  nicht  vor. 

Hat  man  feine  Querschnitte  von  Röhrenknochen  mit  verdünn- 
ter Salzsäure  ihres  Kalkgehaltes  beraubt,  und  sie  durchsichtig  ge- 
macht, so  sieht  man  folgende  Begrenzung  der  Gefässkanälchen. 
Jedes  Gefksskanälchen  wird  von  concentrischen  cylindrischen  Schei- 
den oder  Lamellen  eingeschlossen,  zu  welchen  das  Kanälchen  die 
Axe  vorstellt  Die  Zahl  der  Scheiden  variirt  von  4 — 10,  und  dar- 
über. Jede  Scheide  ist  ein  äusserst  dünnes  Blättchen  einer  gleich- 
artigen, structurlosen  Substanz,  welche  die  Grundlage  des  Knochens 
bildet,  und  früher  (§.  77)  als  Knochenknorpel  erwähnt  wurde. 
Mehrere  GefUsskanälchen  mit  ihren  Scheiden  werden  von  grösseren 
concentrischen  Scheiden  umschlossen,  welche  zuletzt  in  einer  mehr- 
blättcrigen  grössten  Scheide  stecken,  die  so  gross  ist,  wie  der  Um- 
fang des  Knochens  selbst  (äussere  Grundlamellen).  Parallel  den 
äusscrsten  Grundlamellen  ziehen  auch  ähnliche  um  die  Markhöhle  der 
Knochen  zunächst  herum,  als  innere  Grundlamellen.  Die  Struc- 
tur  der  Knochen  ist  also  vorzugsweise  lamellös. 

Zwischen  den  Lamellen  der  concentrischen  Scheiden,  und  in 
ihnen  selbst,  bemerkt  man  auf  demselben  Querschnitte  des  Knochens, 
mikroskopisch  kleine,  runde  oder  oblonge,  gegen  die  Axe  des 
Kanälchens  concave,  in  Aesten  ausstrahlende  Körperchen,  die  soge- 
nannten Knochenkörperchen,  eingeschaltet,  deren  Grösse  sehr 
verschieden  erscheinen  muss,  je  nachdem  der  Durchschnitt  zufallig 
durch  die  Mitte  eines  Körperchens,  oder  näher  an  seinem  Rande 
lief.  Diese  Körperchen  sind  so  wie  ihre  Aeste  hohl.  Bei  Beleuch- 
tung von  oben  erscheinen  sie  unter  dem  Mikrospe  krcideweiss,  bei 
Beleuchtung  von  unten  dunkel.  Längere  Einwirkung  von  Salzsäure 
macht  sie  durchsichtig,  indem  die  Säure  die  in  der  Wand  derselben 
enthaltene  Knochenerde  auflöst.  Die  Aeste  der  Körperchen  stossen 
theils  mit  jenen  der  benachbarten  zusammen,  und  bilden  ein  fein 
genetztes  Gestrippe,  oder  sie  münden  in  die  Gefässkanälchen,  ja 
auch  in  die  Zellen  der  schwammigen  Substanz  ein,  oder  sie  endigen 
frei  an  der  äusseren  und  inneren  Oberfläche  der  Knochen.  Ist  aber 
die  Oberfläche  eines  Knochens  mit  Knorpel  incrustirt,  wie  an  den 
Gelenkenden,   so   gehen   die  gegen  den  Knorpelüberzug  gerichteten 


(.  83.    Strnetnr  der  Knochen.  205 

Aestchen  der  Knoclienkörperchen  bogenförmig  in  einander  über 
(Ger lach).  Der  Entdecker  dieser  mikroskopischen  Bestandtheile 
der  Knochen,  J.  Müller,  nannte  sie  Corpuscula  chalcophoray  da  er 
meinte,  dass  sie  das  vorzüglichste  Depot  der  in  den  Knochen  be- 
findlichen Kalksalze  seien.  Sie  enthalten  jedoch  im  frischen  Zu- 
stande des  Knochens  nur  Blutplasma,  im  getrockneten  Knochen 
dagegen  Luft.  Ejiochenerde  fiihren  sie  nie,  welche  vielmehr  im 
Knochenknorpel  selbst  deponirt  ist,  wie  man  sich  durch  mikrosko- 
pische Untersuchung  von  feinen  calcinirten  Knochenschnitten  über- 
zeugen kann.  Im  Grunde  genommen  sind  diese  Körperchen  nur 
sehr  kleine,  ästige  Lücken  in  der  Knochensubstanz,  welche,  zugleich 
mit  den  Gefässkanälchen,  ein  den  ganzen  Knochen  durchziehendes 
System  von  Röhren  und  Räumen  bilden,  durch  welches  der  aus  den 
Blutgefässen  der  Knochen  stammende  Ernährungssaft  (Plasma)  zu 
allen  Theilchen  des  Knochens  geführt  wird.  Man  hat  sich  neuester 
Zeit  an  entkalkten  Knochen  von  Embryonen  und  rhachitischen  In- 
dividuen von  der  Gegenwart  einer  Zelle  (Knochenzelle,  He  nie)  in 
dem  Hohlraum  der  Knochenkörperchen  überzeugt.  Die  Knochen- 
zelle fCÜlt  die  Höhle  der  Knochenkörperchen  entweder  vollkommen 
aus,  oder  lässt  einen  guten  Theil  derselben  frei.  Sollte  ihr  Kern 
nicht  gleich  auffallen,  kann  er  durch  Anwendung  kaustischen  Na- 
trons sichtbar  gemacht  werden  (Rouge t).  Diese  Zellen  schicken 
aber  keine  Fortsätze  in  die  sternförmigen  Ausläufer  der  Knochen- 
körperchen hinein.  —  Es  ist  begreiflich,  dass  sehr  dünne  Knochen, 
oder  die  freien  Blättchen  der  schwammigen  Knochensubstanz,  zu 
deren  Ernährung  die  Gefasse  ihres  Periosts  genügen,  keine  Gefäss- 
kanälchen benöthigten,  welche  dagegen  in  den  dicken  Knochen  zu 
einer  unerlässlichen  Nothwendigkeit  werden,  um  ihre  Masse  allent- 
halben mit  Emährungsstoffen  zu  durchdringen. 

Mikroskopische  Behandlung.  Um  die  Knochenkörperehen  zu  sehen, 
schneidet  man  sich  mit  feinster  Säge  aus  der  compacten  Substanz  der  Röhren- 
knochen möglichst  dünne  Scheibchen,  der  Länge  und  der  Quere  nach,  aus,  und 
schleift  diese  auf  feinkörnigem  Sandstein  so  lange,  bis  sie  hinlänglich  durch- 
scheinend geworden  sind.  Natürlich  sieht  man  an  solchen  Schliffen  nicht  die 
ganzen  Knochenkörperchen,  sondern  nur  ihre  Durchschnitte,  welche  längliche, 
spindelförmige,  an  beiden  Enden  zugespitzte,  und  mit  ästigen  Strahlen  besetzte 
Figuren  darstellen.  Die  Durchschnitte  der  Markkanälchen  erscheinen  bei  Quer- 
schnitten als  rundliche  Oefinungen,  bei  Längsschnitten  als  longitudinale  Kanäle. 
Die  concentrischen  Ringe  von  Knochenknorpel,  von  welchen  sie  umschlossen 
werden,  sind  bei  dieser  Behandlungsart  nicht  zu  sehen.  Es  muss  das  Knochen- 
scheibchen  durch  verdünnte  Salzsäure  seines  Kalkgehaltes  beraubt  werden,  worauf 
es  in  reinem  Wasser  ausgewaschen  wird.  Würde  es  mit  Salzsäure  getränkt  zur 
Beobachtung  verwendet,  so  würde  die  fortdauernde  Gasentwicklung  (da  der 
kohlensaure  Kalk  seine  Kohlensäure  entweichen  Uosti  um  sich  mit  der  Salz- 
säure EU  verbinden)  störend  einwirken. 

An  ganzen  Knocheni  welche  dii»«^  •  -«wä«». 

lassen    sich  von  der  Obeifliciie   ' 


206  S-  ^«   Pbjsiolofisehe  Eigenschaften  der  Knochen. 

«biÖsen.  Langsames  Verwittern  der  Knochen  läast  ihre  Oberfläche  ebenfalls,  der 
sich  abschilfernden  Rinde  wegen,  wie  schuppig  erscheinen. 

Dass  die  Gefässkanälchen  von  der  Oberfläche  des  Knochens  in  die  Mark- 
höhle eindringen,  wird  durch  einen  einfachen  Versuch  bewiese«,  wenn  man 
Quecksilber  in  die  Markhöhle  eines  gut  macerirten  und  quer  durchschnittenen 
Röhrenknochens  giesst  Man  sieht  die  Metalltröpfchen  zu  unzähligen  Punkten 
der  Knochenoberfläche  hervorquellen.  Ger  lach  hat  zu  demselben  Zwecke  I^jec- 
tionen  der  Markhöhlen  mit  gefärbten  und  erstarrenden  Flüssigkeiten  angewendet. 

W.  Sharp ey  beschrieb  in  der  6.  Ausgabe  von  Quain^s  Anatomy,  p.  120, 
unter  dem  Namen  perforating ßbres^  eigenthümliche,  von  der  Beinhaut  ausgehende, 
und  die  unter  ihr  liegenden  äusseren  Gmndlam eilen  des  Knochens  senkrecht 
durchbohrende  Faserbündel,  welche  an  mit  Salzsäure  entkalkten  Knochen  durch 
Auseinanderreissen  ihrer  Lamellen  sichtbar  werden.  Sie  verhalten  sich  also  zu  den 
Lamellen  wie  Näg^l,  welche  durch  mehrere  Bretter  getrieben  werden,  und  lassen 
an  den  aus  einander  gerissenen  Lamellen  die  Löcher  erkennen,  in  welchen  sie 
enthalten  waren.  H.  Müller  erklärt  sie  für  Züge  verdichteter  Bindegewebs- 
substanz  (Kölliker  hält  sie  den  elastischen  Fasern  verwandt),  deren  Bildung 
der  Anlagerung  der  ersten  Knochenlamellen  beim  Verknöcherungsprocess  entweder 
vorherging,  oder  wenigstens  mit  derselben  zugleich  fortschritt  Siehe  die  betref- 
fenden Berichte  der  beiden  genannten  Mikrologen  in  der  Würzb.  naturw.  Zeit- 
schrift, 1.  Bd. 

Literatur.  Nebst  den  Dissertationen  von  Deutsch y  de  penitiori  ossium 
structura.  Vratisl.,  18S4,  und  MieMcher,  de  inflammatione  ossium,  Berol.,  1836,  ver- 
'  dienen  nachgeschlagen  zu  werden:  Virchoto^  VerhandL  der  Würzb.  phys-med. 
Gesellschaft.  I.  Nr.  13.  —  C.  Bruch  ^  Beiträge  zur  Entwicklung  des  Knochen- 
systems, im  11.  Bde.  der  Schweiz,  naturforsch.  G^selisch.  — ^.  H.  Müller,  über  die 
Entwicklung  der  Knochensubstanz,  etc.,  in  der  Zeitschr.  für  wiss.  Zool.  9.  Bd.  — 
Rougetf  sur  les  corpuscules  des  os.  Journal  de  physiol.  1858,  p.  764.  —  Rohin, 
sur  les  cavit^s  caract^ristiques  des  os.  Gaz.  m^d.  1857.  N.  14.  16.  —  Lieherkühn, 
MülL  Arch.  1860. 


§.  84.  Physiologische  Eigenschaften  der  Knochen. 

Die  Knochen  sind  im  gesunden  Zustande  unempfindlich,  und 
vertragen  jede  mechanische  Beleidigung,  ohne  Schmerzgefühl  zu 
veranlassen.  Gefühlvolle  physiologische  Thierquäler  versichern,  dass 
das  Sägen,  Bohren,  Schaben  und  Brennen  gesunder  Knochen,  die 
Summe  der  Schmerzen  nicht  vermehrt,  welche  durch  die  Bloss- 
legung  der  Knochen  hervorgerufen  wurden.  Die  Knochensplitter, 
welche  nach  schlecht  gemachten  Amputationen  am  Knochenstumpfe 
zurückbleiben,  so  wie  die  Zacken  am  Rande  der  Trepanations- 
wimden,  können  eben  so  schmerzlos  mit  der  Zange  abgezwickt 
werden.  Krankheiten  der  Knochen  dagegen,  insbesondere  die  Ent- 
zündung derselben,  steigern  ihre  Empfindlichkeit  auf  eine  furcht- 
bare Höhe,  welche  selbst  die  Verstümmelung  durch  Amputation  als 
eine  Wohlthat  erscheinen  lässt.  —  Contractilität  besitzen  die  Kno- 
chen ebenfalls  nicht,  obwohl  sie  im  Stande  sind,  langsam  ihre  Oe- 
stalt  zu  ändern,   ihre   Oeffiiungen  und  Kanäle  zu  verengem,  wenn 


|.  84.  Pbytiologische  Eigenschaften  der  Knochen.  207 

die  Theile,  welche  durch  sie  durchgehen,  zerstört  wurden  und  ver- 
loren gingen.  So  zieht  sich  der  amputirte  Knochenstumpf  zu  einem 
soliden  marklosen  Kegel  zusammen,  —  so  verengert  sich  die  Zahn- 
lücke nach  Ausziehen  eines  Zahnes,  —  die  Augenhöhle  nach  Ver- 
lust des  Augapfels,  —  das  Sehloch  nach  Atrophie  des  Nervtta  op- 
ticus, —  der  durch  Wassersucht  ausgedehnte  Himschädel  durch 
Resorption  oder  Entleerung  des  ergossenen  Serums,  —  und  die 
Gelenkfläche  eines  Knochen  nach  Verrenkungen,  welche  nicht  wie- 
der eingerichtet  wurden.  Diese  Verengerungen  sind  jedoch  nicht 
Folge  einer  thätigen  Contraction,  sondern  ein  mit  Resorption  ver- 
bundenes Einschrumpfen  der  Ejiochen. 

Die  Festigkeit  der  Knochen  resultirt  aus  der  Verbindung 
ihrer  organischen  und  anorganischen  Stoffe.  Reine  Kalkerde  hätte 
sie  zu  spröde,  und  reiner  Knochenknorpel  viel  zu  weich  gemacht. 
Wie  glücklich  ein  hoher  Grad  von  Festigkeit  und  Tenacität  durch 
die  Mischung  der  Elnochenmaterialien  erzielt  wird,  zeigen  die  von 
B^vau  gemachten  Versuche,  wo  ein  Knochen  von  1  Quadratzoll 
Querschnitt  erst  bei  einer  Belastung  von  368 — 743  Centnem  ent- 
zwei ging.  Ein  Kupferstab  von  demselben  Querschnitte  riss  schon 
bei  340  Centner,  und  schwedisches  Schmiedeisen  bei  648.  Die 
besondere  Verwendung  eines  Knochens  wird  das  Verhältniss  be- 
stimmen, in  welchem  die  organischen  Materien  zu  den  anorgani- 
schen stehen.  Lange  Knochen,  welche  elastisch  sein  müssen,  um 
dem  Drucke  und  den  Stosskräften,  welche  sie  in  der  Richtung 
ihrer  Länge  treffen,  durch  Ausbiegen  etwas  nachgeben  zu  können, 
und  kurze  Knochen,  welche  nie  in  die  Lage  kommen,  gebogen 
zu  werden,  werden  sich  durch  dieses  Verhältniss  von  einander 
unterscheiden.  Knochen,  welche  sehr  elastisch  sein  müssen,  ohne 
besondere  Festigkeit  zu  benöthigen,  können  sogar,  wie  man  an 
den  Rippen  sieht,  durch  Ansätze  von  Elnorpeln  verlängert  werden. 

Langröhrige  Knochen,  welche  der  Gefahr  des  Splittems  unter- 
liegen würden,  wenn  sie  vollkommen  geradlinig  wären,  haben  wohl- 
berechneter Weise  eine  gewisse  Krümmung  im  weiten  Bogen  oder 
in  einer  Wellenlinie,  wodurch  sie  in  geringem  Grade  federnd  wer- 
den. Es  ist  ein  bekannter  physikalischer  Lehrsatz,  dass  bei  einem 
soliden  Stabe,  während  er  gebogen  wird,  die  Theilchen  der  con- 
vexen  Seite  aus  einander  weichen,  die  der  concaven  wenigstens 
im  Anfange  der  Ejrümmung  sich  einander  nähern.  Die  grössere  oder 
geringere  Schwierigkeit  dieses  Auseinanderweichens  und  Nähems 
ist  der  Grund  der  schwereren  oder  leichteren  Brechbarkeit.  Eine 
mittlere  Axe ,  d.  i.  eine  Reihe  von  Heilchen .  wird  weder  verlän- 
gert noch  verkürzt,  U*  "^n  nächst- 
liegenden Theildieii  4a8 
Nähern  unbedi' 


208  §•  ^'  Entgtehnng  und  Wachstham  der  Knochen. 

Stab  merklich  an  seiner  Festigkeit  verliert,  welche  im  Gegentheile 
vermehrt  wird,  wenn  die  herausgenommenen  Theilchen  an  der 
Oberfläche  des  Stabes  angebracht  werden.  Dieses  scheint  der  Grund 
des  Hohlseins  der  langen  Knochen  zu  sein. 


§.  85.    Entstehung  und  Wachsthum  der  Knochen. 

Ueber  Entstehung  und  Wachsthum  der  Knochen  belehrt  uns 
der  Verknöcherungsprocess.  Unsere  Kenntniss  des  Verknöche- 
rungsprocesses  hat  sich  durch  die  erfreuliche  Uebereinstimmung  der 
neuesten  Untersuchungsresultate  von  Bruch,  H.  Müller,  Lieber- 
kühn, Aeby,  Gegenbauer,  Robin,  u.  A.  auf  eine  Weise  con- 
solidirt,  welche  von  den  bisher  gangbaren  Ansichten  hierüber 
wesentUch  verschieden  ist.  Indem  ich  auf  die  betreffenden  Schriften 
verweise,  welche  jedoch  kaum  ein  mit  den  Elementen  der  Wissen- 
schaft ringender  SchtÜer  zur  Hand  nehmen  wird,  beschränke  ich 
mich  hier  blos  auf  allgemeine,  seinem  Verständniss  zugängHche 
Angaben. 

Der  Verknöcherungsprocess  geht  von  zwei  Seiten  aus.  Erstens 
von  der  knorpelig  präformirten  Grundlage  des  werdenden  Knochens, 
und  zweitens  von  der  Beinhaut.  Die  knorpelig  präformirte  Grund- 
lage des  Knochens  wird  nicht  kurzweg  in  Knochen  umgewandelt 
Es  geht  dabei  vielmehr  so  zu.  Die  Zellen  des  verknöchernden  Knor- 
pels vermehren  sich  durch  lebhaft  angehenden  Thcilungsprocess,  und 
ordnen  sieh  reihenförmig  und  parallel  zu  einander.  Es  bilden  sich 
Kanäle  in  ihm,  welche  Blutgefässe,  und,  um  diese  herum,  sogenannte 
Markzellen  enthalten.  Letztere  sind  wahre,  bei  der  Verflüssigung 
der  Knorpelsubstanz  zur  Kanalbildung,  frei  gewordene  Knorpelzellen. 
Nach  diesen  Vorbereitungen  beginnt  die  Verknöcherung  an  gewissen 
Punkten  des  Knorpels  {Puncta  ossificatioiiis).  Es  lagern  sich  in  der, 
die  Knorpelzellen  verbindenden  Zwischensubstanz,  Kalksalze  in  Form 
von  Krümeln  ab.  Die  Knorpelzellen  selbst  nehmen  keine  Kalkerde 
auf.  Die  verkalkte  Zwischensubstanz  wird  aber  bald  wieder  durch 
Aufsaugung  entfernt,  wodurch  unter  einander  communicirende,  läng- 
liche Höhlungen  entstehen,  welche  sich  mit  den  sogenannten  fötalen 
Markzellen  füllen.  Das  Schicksal  dieser  Zellen  ist  ein  doppeltes. 
Die  mehr  central  in  den  Höhlungen  lagernden  Zellen  bilden  sich 
zum  eigentUchen  Knochenmark  um,  die  peripherischen  dagegen  wer- 
den von  einer  schichtweise  fortschreitenden  Verkalkung  ihrer  immer 
mehr  und  mehr  zunehmenden  Zwischensubstanz  (H.  Müller's 
osteogene  Substanz)  umschlossen,  treiben  Aeste  aus,  und  stellen  die 
früher  erwähnten  Knochenkörperchen  dar.  Während  dieses  im  In- 
nern des  verknöchernden  Knorpels  vorgeht,  wird  auch  von  der  inneren 


).  85.    Entfltehang  und  Wachsthnm  der  Knochen.  209 

Fläche  des  Perichondrium  aus,  eine  Lage  osteogener  Substanz  aus- 
geschieden, welche  durch  fortwährende  Vermehrung  ihrer  Zellen, 
und  ununterbrochene  Bildung  von  Zwischensubstanz  zunimmt,  und 
deren  verknöchernde  Schichten  sich  auf  den  aus  dem  Knorpel  ge- 
bildeten Knochen  auflegen. 

Man  hat  es  erst  in  neuester  Zeit  (U'kannt,  dass  nicht  alle  Kno- 
chen aus  Knorpeln  hervorgehen.  Gc^wisse  Schädelknochen,  namentlich 
jene  des  Schädeldaches,  entwickeln  sieh  nicht  aus  präformirtem 
Knorpel,  sondern  aus  einem  weichon,  von  der  Beinhaut  gebildeten 
Blastem  (osteogene  Substimz),  währcnid  jene  der  Schädelbasis  aus 
knorpeUger  Grundlage  entstehen  (§.  119  der  Knochenlehre). 

Die  Pnncta  osaificationis  entstehen  in  verschiedenen  Knochen  zu 
verschiedenen  Zeiten,  niemals  jedoch  vor  dem  zweiten  embryonischen 
Lebensmonat(i.  Das  Schlüsselbein  und  der  Unterkiefer  erhalten 
ihren  Verknöcherungskem  am  fiiüu^sten,  —  schon  am  Beginne  des 
zweiten  Monats;  das  Erbsenbein  dageg(»n  am  spätesten,  —  erst 
zwischen  d(mi  8.  und  12.  Lebensjahre.  —  Breite  Knochen  besitzen 
einen  oder  mehrere  Verknöcherungspimkte,  kurze  in  der  Regel  nur 
einen,  lange  gewöhnlich  drei,  deren  einer  dem  Mittelstücke,  die 
beiden  anderen  den  Endstücken  des  Knochens  angehören.  Der  Ossi- 
ficationspunkt  des  Mittelstücks  entsteht  früher  als  jene  in  den  End- 
stücken. Ist  die  Ossification  des  Knorpels  eines  langen  Knochen  so 
weit  gekommen,  dass  derselbe  seine  bleibende  Gestalt  angenommen 
hat,  so  ist  die  Trennungsspur  zwischen  Mittelstück  und  Endstücken 
noch  immer  als  nicht  verknöcherter  Knorpel  kennbar.  In  diesem 
Zustande  heissen  die  Enden  der  langen  Knochen :  Epiphysen.  Von 
den  Knorpeln  der  Epiphysen  aus  wird  immer  fort,  bis  zur  gänzlichen 
Verschmelzung  der  drei  Stücke  eines  langen  Knochen,  Knochen- 
masse neu  gebildet,  und  an  die  Enden  des  Mittelstücks  angesetzt, 
wodurch  das  letztere  immer  länger  wird.  Zwei  in  das  Mittelstück 
eines  Röhrenknochens  gebohrte  Löcher  ändern  deshalb  durch  das 
Wachsthum  des  Knochens  ihre  Entfernung  nicht,  sondern  entfer- 
nen sich  nur  von  den  Enden  (richtiger:  die  Enden  entfernen  sich 
von  ihnen).  Die  Verschmelzung  des  Mittelstücks  mit  den  Epiphysen 
bezeichnet  den  Schhisspimkt  des  Wachsthums  eines  Knochens  in 
die  Länge.  Sie  ereignet  sich  um  das  24.  Lebensjahr. 

Die  beiden  Epiphysen  eines  langen  Knochen  verschmelzen 
nicht  zur  selben  Zeit  mit  dem  Mittelstttcke.  Es  ist  ein  ftlr  alle  lang- 
röhrigen  Knochen  geltendes  Gesetz,  dass  jene  Epiphyse,  gegen 
welche  die  in  die  Markhöhle  des  Knochens  eindringende  Arteria 
nutritia  gerichtet  ist,  früher  als  die  andere  verschmilzt.  So  im 
Oberarm  die  untere  Epiphyse  früher  als  die  obere,  im  Oberschen- 
kel die  obere  früher  ab  die  untere.     Hat  ein  langröhriger  Knochen 

Uyril.  LehitaA  <"—  14 


210  (•   ^*  F'iittt«hiing  und  WschBthmn  der  Knocben. 

nur  Eine  Epiphyse,  so  geht  die  Richtung  seiner  Artet^ia  nutritia 
gegen  jenes  Ende  des  Knochens,  wo  die  Epiphyse  fehlt. 

Vergleichungen  der  Lebensdauer  verschiedener  Thiere  mit 
dem  Zeitpunkt  der  Epiphysenverschraelzung,  haben  zu  dem  Er- 
gebniss  geftlhrt,  dass  das  Verschmelzungsjahr  mit  5  oder  6  multi- 
plicirt,  die  mögliche  Lebensdauer  des  Thieres  giebt.  Demgemäss 
wäre  letztere  für  den  Menschen  120 — 140  Jahre,  da  die  Verschmel- 
zung der  Epiphysen  mit  dem  Mittelstticke  erst  in  der  Mitte  der 
Zwanzigerjahre  vollendet  ist,  —  eine  Beruhigung  für  Alle,  welche 
gerne  leben.  Ich  citire  die  Worte  der  Schrift:  et'unt  dies  haminum 
centum  viginti  annofntm.  Nicht  die  Natur  macht  den  Menschen  früh- 
zeitig sterben,  —  er  selbst  bringt  sich  um  durch  seine  Lebensweise 
und  seine  Laster!  Man  denke  an  das  Alter  der  Patriarchen,  an 
Cornaro's  Lebensgeschichte,  und  lese  Flourens,  de  la  Longevite^ 
Paris,  1856. 

Der  Stoffwechsel  und  die  mit  ihm  zusammenhängende  Ernäh- 
rung der  Knochen  wirkt  und  schafft  lange  nicht  so  träge,  als  es 
auf  den  ersten  Blick  aus  der  Härte  der  Knochen  und  ihrem  Reich- 
thum  an  erdigen  Substanzen  zu  vermuthen  wäre.  Werden  nach 
Chossat's  Versuchen  Hühner  oder  Tauben  längere  Zeit  mit  rein 
gewaschenem  Getreide,  ohne  Sand  und  erdige  Anhängsel,  gefüttert, 
so  ist  die  im  Getreide  enthaltene  Erdmenge  nicht  hinreichend,  den 
Stoffwechsel  im  anorganischen  Bestandtheile  der  Knochen  zu  unter- 
halten. Die  Knochenerde  wird  fortwährend  durch  die  rückgängige 
Emährungsbewegung  aus  den  Knochen  entfernt,  und  die  neue  Zu- 
fuhr bietet  keinen  genügenden  Ersatz.  Die  Knochen  erweichen  sich 
deshalb,  sie  werden  dünn  und  biegsam,  und  schwinden  thcilweise, 
wie  die  Löcher  beweisen,  welche  im  Brustbeinkammc  und  an  den 
Darmbeinen  entstehen.  Wird  das  Futter  mit  Kreide  oder  Kalk 
gemengt,  so  verlieren  sich  die  Erscheinungen  der  Knochenerwei- 
chung und  des  Knochenschwundes,  und  die  normale  Festigkeit  kehrt 
zurück.  Je  jünger  der  Knochen,  desto  rascher  seine  Emährungs- 
metamorphose.  Es  ist  physiologisch  von  höchster  Wichtigkeit,  dass 
das  Case'ln,  ein  Hauptbestandtheil  der  Milch,  unter  allen  Protein- 
verbindungen (§.  17)  am  meisten  phosphorsauren  Kalk  enthält.  Es 
wird  hieraus  verständlich,  woher  das  rasche  Wachsthum  der  Kno- 
chen im  Säuglingsalter  sein  wichtigstes  Material  zum  Aufbau  des 
Skeletes  bezieht. 

Werden  junge  Thiere  mit  Färberröthe  gefüttert,  so  werden 
die  Knochen  roth  (bei  jungen  Tauben  schon  binnen  24  Stunden). 
Die  erste  Ablagerung  einer  rothen  Schichte  erfolgt  zunächst  unter 
der  Beinhaut;  das  Mark  wird  nicht  verändert.  Setzt  man  mit  der 
Fütterung  durch  Färberröthe  aus,  so  entfernt  sich  der  rothe  Ring 
vom    Periost,  und   rückt  nach   einwärts.     Es  hat    sich  um   ihn   ein 


§.    85.    Entfltehnng  und  Wachsthnm  der  Knochen.  211 

neuer  weisser   Ring  gebildet.     Je  dicker   dieser   wird,    desto    mehr 
nähert  sich  der  rothe  Ring  der  Markhöhle,  und  verschwindet  end- 
lich vollkommen.     Dieses    kann   nicht    anders    erklärt   werden,    als 
dadurch,    dass   an  der  inneren  Oberfläche  der  Knochen  fortwährend 
resorbirt,   an  der  äusseren  fortwährend  neugebildet  wird.     So  lange 
mehr    neugebildet   als    fortgeschafft    wird,    nimmt   der   Knochen    an 
Dicke   zu.     Das   Periost   steht  demnacb  in  einer  innigen  Beziehung 
zum  Wachsthum  der  Knochen;    seine   Blutgefässe   liefern  den  Nah- 
rungsstoff der  Knochen.     Es   folgt   daraus  jedoch  keineswegs,  dass 
Entblössung   eines   Knochens   und  Entfernung  seiner  Beinhaut,  sein 
Absterben   zur  Folge  haben  müsse,    da  die  in  die  Markhöhle  durch 
die    Foramina   nutritia    eindringenden    Emährungsarterien ,    welche 
durch   feine   Zweigchen   mit  den  von  der  äusseren  Beinhaut  in  den 
Knochen   gelangenden   Arterienästchen    anastomosiren,    die  von  der 
Beinhaut   her    mangelnde    Blutzufahr    ersetzen    können.     Im    Falle 
auch   diese   Emährungsarterien    der    Markhöhle  aufhörten,   Blut  zu- 
zuführen,  stirbt   der    Knochen    theilweise    oder   ganz   ab    (Necrosü, 
vexpb^,    todt),    und  wird   als   sogenannter   Sequester   ausgestossen. 
Dass    auch  die    das  Knochenmark   umgebende  Bindcgewebsschicht, 
welche  von  den  älteren  Anatomen  unrichtig  als  Periosteum  intemum, 
von    einigen  neueren    als   Membrana  medullans  beschrieben    wurde, 
an    der   Bildung   und   Regeneration    des   Knochens  definitiv  Antheil 
habe,  beweist  H unteres  Versuch.  An  einem  lebenden  Thiere  wurde 
das  Oberarmbein   im  Mittclstücke  von  seinen  weichen  Umgebungen 
isolirt,   seine   Beinhaut   abgeschabt,   und  ein  Loch  in  die  Markhöhle 
gebohrt.     Um   die   den   Knochen   umgebenden  Weichtheile  von  der 
Theilnahme  an  der  Ausfüllung  dieses  Loches  durch  Neubildung  von 
Knochensubstanz  zu  hindern,  wurde  die  angebohrte  Stelle  mit  einem 
Leinwandbande    umgeben.     Das    Loch    füHj;e   sich  von  der  Mark- 
höhle  her,   also   gewiss    durch   Vermittlung   des    blutgefässreichen 
Bindegewebes    des    Markes,    mit    neu    gebildeter    Knochensubstanz 
aus,  welche,   wenn   das  Thier  jung  ist,  so  rasch  zunimmt,  dass  der 
Knochenpfropf  selbst  über  die  äussere  Bohröffnung  herausragt. 

Die  Verwendbarkeit  der  Färbcrrötho  zu  Versuchen  über  Wachsthum  und 
Ernährung  der  Knochen,  beruht  auf  einer  chemischen  Affinität  zwischen  dem 
färbenden  Stofife  und  dem  phosphorsauren  Kalk,  welche  durch  folgendes,  von 
Rutherford  angestelltes  Experiment  anschaulich  gemacht  wird.  Giebt  man  in 
eine  Abkochung  von  Färberrötho  salzsaure  Kalkl^sung,  so  geschieht  dadurch 
keine  Acndcrung.  Setzt  man  eine  Lösung  von  phosphorsaurcr  Soda  hinzu,  so 
entsteht  durch  doppelte  Wahlverwandtschaft  phosphorsaurcr  Kalk  und  salzsaure 
Soda,  von  welchen  der  entere,  seiuer  Unlöslichkcit  wegen,  sich  niederschlägt, 
und  den  färbendfif*  mit  eich  nimmt. 

Ve«*"  "itwicklung  der  Knochcn- 

8nbsM>*'  "^  "W'.  aur  Lehre  von 

te*  Knorpel,  und 

(m  Archiv 


212  (.86.  PrakÜsehe  B6m«rkiing«n. 

für  Anat.  und  Physiol.  1860  und  1862.  —  H,  Müller,  über  Verknöcherung,  in 
der  Würzburger  naturw.  Zeitschrift,  IV.  Bd.  —  Waläeyer,  der  Ossificationspro- 
cess.  Archiv  für  mikr.  Anat  1.  Bd. 


§.  86.   Fraküsclie  Bemerkungen. 

Gebrochene  Knochen  heilen,  wenn  schwere  Complicationen 
fehlen,  in  der  Regel  leicht  zusammen,  und  um  so  schneller,  je  jün- 
ger das  Individuum.  In  jedem  Museum  für  vergleichende  Anatomie 
kann  man  es  sehen,  wie  schön  die  Natur  die  Knochenbrliche  der 
Thiere  heilt,  wobei  ihr  keine  Chirurgie  in's  Handwerk  pfuscht.  Die 
Bruchenden  werden  durch  neu  gebildete  Knochensubstanz  {Callua)^ 
deren  Erzeugung  fast  den  nämlichen  Gesetzen  unterliegt,  wie  die 
normale  Knochenbildung,  zusammengelöthet.  Hat  ein  Knochenbruch 
ohne  bedeutende  Verrückung  der  Bruchenden  stattgefunden,  so 
ergiesst  sich  anfangs  Blut  zwischen  die  Knochenenden,  luid  die  sie 
umgebenden  Weichtheile.  Dieses  Blut  gerinnt,  und  mischt  sich  mit 
einem  weichen,  halbdurchsichtigen  Exsudate,  welches  von  den  Blut- 
gefässen der  Beinhaut,  des  Markes,  und  der  Markkanälchen  geliefert 
wird.  In  der  zweiten  und  dritten  Woche  nach  dem  Bruche  orga- 
nisirt  sich  dieses  Exsudat  zu  Knorpelsubstanz  (Vötsch),  welche  sich 
zu  Knochensubstanz  (Callus)  umwandelt.  Dieser  erstgebildete  Kno- 
chencallus  füllt  den  Zwischenraiun  zwischen  beiden  Fragmenten 
vollkommen  aus,  und  hält  die  Knochenenden  so  fest  zusammen, 
dass  selbst  Gebrauch  des  gebrochenen  Knochens  von  nun  an  mög- 
lich ist.  Dupuytren  nannte  diesen  Callus :  ccd  piovisoire.  Er  enthält 
keine  Markhöhle.  Erst  wenn  sich  durch  Aufsaugung  seiner  innersten 
Masse  eine  Höhle  bildete,  die  die  Markhöhlen  des  oberen  und 
unteren  Fragmentes  mit  einander  verbindet,  wird  er  zimi  cal  definl, 
welcher  unter  günstigen  Umständen  an  Umfang  so  viel  abnimmt, 
dass  nur  eine  geringe  Wölbung  an  der  Oberfläche  des  Knochens 
die  Stelle  andeutet,  wo  der  Bruch  stattgefunden  hatte. 

War  die  Verrückung  der  Bruchenden  gross,  oder  ein  Stück 
des  Knochens  durch  Splitterung  zerstört,  und  die  Splitter  ausge- 
zogen oder  abgestossen,  so  müssen  alle  die  Bruchstelle  umgeben- 
den Weichtheile  concurriren,  um  den  Callus  zu  bilden,  der  dann 
einen  dicken,  unförmlichen  Knochenwulst,  eine  Art  Zwinge  bildet, 
durch  welche  die  Bruchenden  zusammengehalten  werden.  Dass 
die  Bildung  des  neuen  Knochens  nicht  nothwendig  von  den  Resten 
des  alten  ausgehen  müsse,  sondern  die  weichen  Umgebungen  der 
Knochen,  Aponeurosen,  Muskeln  und  Zellgewebe,  durch  ihre  Blut- 
gefässe hiebei  activ  interveniren,  beweisen  Heiners  schöne  Beob- 
achtungen, nach  welchen  bei  Hunden  das  Wadenbein  und  die 
Rippen,   nach  vollkommener  Exstirpation  mit  der  Beinhaut,  repro- 


g.  87.    ScbUimhänte.   Anatomische  Eigenschaften  derselben.  213 

ducirt  wurden   (obwohl,    so  viel   ich   an   Heiners   Präparaten   sah, 
auf  sehr  unvollkommene  Weise). 

Zuftlllige  Knochenbildung  erscheint:  a.  als  Verknöcherung  von 
Weichtheilen,  Ossißcatio,  und  ß.  als  Knochenauswuchs,  Exoatosia, 
Nicht  Alles,  was  für  Verknöchening  gilt,  ist  es  auch.  Die  soge- 
nannten verknöcherten  Arterien,  Venen,  Bronchialdrilsen ,  Schild- 
drllsen,  etc.,  besitzen  nicht  die  Structur  der  wahren  Knochen;  sie 
sind  vielmehr  anorganische  Deposita  ohne  bestimmten  Bau,  und 
werden  besser  Verkalkungen  genannt.  Nur  die  Verknöcherungen 
der  harten  Hirnhaut,  der  Sehnen,  der  Knorpel,  der  Muskeln  (z.  B. 
im  Glutaeus  des  Rindes  nicht  gar  selten,  und  häufig  beim  Späth 
der  Pferde)  besitzen  wahren  Knochenbau. 

R,  Heiiiy  über  die  Regeneration   gebrochener  und  resecirter  Knochen,  im 
XV.  Bd.  des  Arch.  f.  path.  Anat.  —  Lieberkühn^  Arch.  f.  Anat  u.  Phy«.  1860. 


§.  87.   Schleimliäute.  Anatonüsclie  Eigenschafteii  derselben. 

Während  die  gefHss-  und  nervenarmen  serösen  Membranen 
geschlossene  Körperhöhlen  auskleiden,  wie  die  Brust-,  Bauch-, 
Schädelhöhle,  überziehen  die  gefäss-  und  nervenreichen  Schleim- 
häute, Membrana^  mucosae^  die  innere  Oberfläche  solcher  Höhlen, 
welche  mit  der  Aussenwelt  durch  Oeffnungen  communiciren  (Ver- 
daimngs-,  Athmungs-,  Harn-  und  Geschlechtsorgane).  Sie  setzen 
sich  in  alle  Kanäle  und  DrüsenausRlhrungsgänge  fort,  welche  mit 
diesen  Höhlen  zusammenhängen.  Wenn  man  die  Schleimhäute  als 
Fortsetzungen  der  äusseren  Haut  betrachtet,  so  ist  dieses  nicht  im 
einfachen  Sinne  des  Wortes  zu  nehmen,  denn  die  Schleimhäute 
entwickeln  sich  selbstständig,  unabhängig  von  der  äusseren  Haut, 
und  gehen  nur  in  letztere  an  den  KörperöflFhungen  über. 

Die  eigentliche  Grundlage  jeder  Schleimhaut,  welche  sich  in 
den  feinsten  Ausbreitungen  derselben  erhält,  besteht  aus  einer  sehr 
dünnen,  stnicturlosen ,  höchstens  etwas  granulirten  Schichte,  die 
Basement  Membrane  der  englischen  Mikrologen,  an  deren  äussere 
Fläche  sich  eine  verschieden  dicke,  geftlss-  und  nervenreiche,  wohl 
auch  hie  und  da  spindelförmige  Kerne  führende  Bindegewebsschichte 
anschliesst,  und  an  deren  inneren,  der  Höhle  der  Schleimhaut  zu- 
gekehrten Fläche,  das  Epithel  aufliegt.  Auf  die  Bindegewebsschichte 
folgt  an  gewissen  Stellen,  wie  z.  B.  in  der  ganzen  Länge  des  Darm- 
kanals, eine  noch  zur  Schleimhaut  gehörige  Schichte  glatter  Muskel- 
fasern, mit  queren  und  longitudinalen  Verlauf. 

Diese  Schichte  glatter  Muskelfafleru  erreiclit  in  der  Schleimhaut  des  Oeso- 
r^"'  DiokAi  lo  da«   sie  durch  da«  Messer  darstellbar  wird, 

Matklannepdes  nimmt  sie  derart  au  Mäch- 


214  5-  ^'    SehleimUat«.  Anatomische  Eigennehaften  derselben. 

tigkeit  zu,  dass  Kohl  rausch  sie  sogar  als  einen  besonderen  Muskel  beschrieb, 
den  er  Siutentaior  memhranae  mucosae  nannte.  —  An  vielen  Schleimhäuten  wird 
die  structurlose  Grundlage  derselben  bis  zur  Unkenntlichkeit  dünn.  In  den 
letzten  Verzweigungen  der  DrüsenausfUhrungsgänge  erhält  sie  sich  dagegen  als 
einziges  Substrat  derselben,  so  wie  andererseits  die  Wand  gewisser,  auf  der 
Fläche  der  Schleimhaut  mündender  einfacher  Drüschen,  nur  aus  ihr  besteht. 

Nach  Verschiedenheit  der  Organe,  welchen  eine  Schleimhaut 
angehört,  modificiren  sich  ihre  mikroskopischen  Eigenschaften  ver- 
schiedenthch ,  wie  in  der  speciellen  Anatomie  an  seinem  Orte 
erwähnt  wird. 

Alle  Schleimhäute  haben,  wie  die  serösen  Membranen,  eine 
freie  und  eine  angewachsene  Fläche.  Die  freie  Fläche  ist  mit  einer 
EpitheKalschichte  bedeckt,  deren  Zellen  an  bestimmten  Stellen  die 
Formen  des  Pflaster-,  Platten-,  Cylinder-,  Flimmercpithelium  bilden. 
Die  angewachsene  Fläche  ist  mittelst  Bindegewebe  (Texttis  celhdaris 
suhmucosus)  an  unterliegende  Flächengebilde  (beim  Darmkanal  z.  B. 
an  die  Muskelhaut)  angeheftet.  Die  Schleimhäute  sind  in  weiten 
Schläuchen  dicker,  als  in  engen,  besitzen  mit  wenig  Ausnahmen 
zahlreiche  Blutgefässe  und  Nerven,  sind  dehnbar,  ohne  besonders 
elastisch  zu  sein,  müssen  sich  also,  wenn  der  Kanal,  den  sie  aus- 
kleiden, sich  zusammenzieht,  mehr  weniger  falten.  Diese  Falten 
sind  von  jenen  zu  unterscheiden,  welche  auch  bei  der  grössten 
Ausdehnung  des  Kanals  nicht  verstreichen,  und  an  gewissen  Orten 
(z.  B.  im  Dünndarme)  so  häufig  vorkommen,  dass  die  Schleimhaut- 
fläche bedeutend  grösser  ist,  als  die  Fläche  des  Schlauches,  welche 
von  ihr  überzogen  wird. 

Auf  der  freien  Fläche  der  Schleimhäute  zeigen  sich  zahlreiche 
Hervorragungen  und  Vertiefungen.  Die  Hervorragungen  sind  ent- 
weder Warzen,  Papulae,  oder  Flocjcen,  Floccl,  oder  Zotten, 
Villi;  die  Vertiefungen  erscheinen  als  die  Mündungen  verschiedener 
Formen  von  Drüsenbildimgen.  In  der  speciellen  Anatomie  wird  von 
diesen  Gebilden  am  geeigneten  Orte  ausführlich  gesprochen.  —  Man 
unterscheidet  drei  Schleimhautsysteme,  welche  unter  einander  nicht 
zusammenhängen : 

1.  Das  Systeina  gastro-j^ulinonale  für  die  Verdauungs-  und  Ath- 
mungseingeweide,  2.  das  Systeina  uro-genitale  für  die  Harn-  imd 
Geschlechtsorgane,  und  3.  das  Schleimhautsystem  der  Brüste. 

Mikroskopische  Untersuchung^.  Nimmt  man  ein  Stück  Darm,  lässt 
CS  etwas  maceriren,  um  sein  Epitholium  abzuschaben,  \ind  bofestip:t  man  es  so 
auf  einer  schwarzen  Wachs-  oder  llolztatel,  dass  es  mit  seiner  freien  inneren 
Fläche  auf  der  Tafel  aufliegt ,  so  kann  man  die  verschiedenen  Schichten  des 
Darmes  successive  so  abtragen,  dass  nur  die  Schleimhaut  zurückbleibt.  Wird 
diese  nun  abgenommen,  und  ein  Stückchen  derselben  mit  Nadeln  zerfasert  unter 
das  Mikroskop  gebracht,  so  tiberzeugt  man  sich  von  der  Zusammensetzung  der 
Schleimhaut  ans  allerwSrts  gekreuzten  Bindegewebsfasern  mit  mehr  weniger  Zu- 


§.  88.   Physiologische  Eigenschaften  der  •Schleimh&nte.  215 

gäbe  von  elastischen  Fasern.  —   Die  Bindegewebsfasern  der  Schleimhaut  setzen 
sich  in  jene  des  Textus  eeUulari»  suhmucoms  ununterbrochen  fort. 

Die  Nerven  der  Schleimhäute  stammen  theils  vom  Corebrospinalsystem, 
theils  vom  Sympathicus.  Sie  bilden  in  der  Schleimhaut  subtile  Geflechte,  soge- 
nannte Endplexus,  von  welchen  sich  einzelne  Nervenfaden  in  etwa  vorhandene 
Zotten  und  Papillen  der  Schleimhaut  erheben,  sich  in  denselben  ein-  oder  mehr- 
mal dichotomisch  theilen,  und  sich  dabei  um  das  Doppelte  verfeinem.  Wie  sie 
endigen,  ist  filr  keine  Schleimhaut  mit  nnbezweifelbarer  Sicherheit  festgestellt.  Die 
früher  angenommenen  Endschlingen  existiren  nirgends.  Von  dem  Verhalten  der 
feinsten  Nervenfasern  zu  den  Epithelialzellen  wurden  höchst  sonderbare  Befunde 
mitgetheilt,  auf  deren  Bestätigung  wir  mit  Spannung  in  Geduld  zu  warten  haben. 
—  Die  Blutgefässe  sind  in  der  Schleimhaut  des  Verdauungssystems,  der  Nasen- 
höhle, der  weiblichen  Geschlechtstheile,  der  männlichen  Harnröhre,  der  Binde- 
haut der  Augenlider  sehr  zahlreich,  und  bilden  reiche,  engmaschige  Capillargefäss- 
netze.  Die  Capillargefässe  der  übrigen  Schleimhäute  sind  schwächer  an  Kaliber, 
und  ihre  Netze  so  fein,  dass  Injectionen  derselben  weit  schwieriger  als  im  Ver- 
dauungskanal gelingen.  In  den  Schleimhäuten  der  Nebenhöhlen  des  Geruchorgans 
ist  mir  die  Füllung  felngenetzter  Capillargefässe  noch  niemals  gelungen. 


§.  88.  Physiologische  Eigenschaften  der  Schleimhäute. 

Die  Schleimhäute  führen  ihren  Namen  von  dem  Stoffe,  welchen 
sie  absondern,  Schleim.  Die  Schleimabsonderung  kommt  nicht 
allein  den  sogenannten  Schleimdrüsen  einer  Schleimhaut  zu.  Sie 
findet  auf  der  ganzen  Fläche  einer  Schleimhaut  statt.  Der  Schleim, 
Muais,  ist  ein  Gemenge  verschiedener  Stoffe.  Er  wird  aus  Wasser, 
Epitheliumzellen,  Schleimkörperchen  (von  welchen  in  der  Anmer- 
kung), zufälligen  Beimischungen  von  Staub  und  Luftbläschen  (in 
den  Athmungsorganen) ,  Speiseresten  (im  Verdauungssystem),  und 
aus  den  specifischen  Secreten  der  Schleimhäute,  über  welche  er 
vor  seiner  Ausleerung  hingleitete,  imd  die  er  mechanisch  mit  sich 
führt,  zusammengesetzt.  Bei  Reizungszuständen  und  Entzündungen 
der  Schleimhäute  ist  das  schleimige  Secret  derselben  reich  an  Eiter- 
kügelchcn :  eiteriger  Schleim,  Materia  puriformis. 

Der  Schleim  erscheint  als  eine  graue,  zähe,  fadenziehende  Masse,  welche 
die  freie  Schleimhautfläche  gegen  äussere  Einwirkungen  in  Schutz  nimmt,  und 
gpecifisch  schwerer  als  Wasser  ist,  in  welchem  sie  zu  Boden  sinkt,  wenn  sie 
nicht  etwa  Luftbläschen  enthält,  wie  in  den  Sputis.  Mit  Luft  in  Berühnmg  ver- 
trocknet der  Schleim,  zum  Theil  schon  innerhalb  des  Leibes  an  Stellen,  wo  Luft 
durchstreift,  wie  in  der  Nasenhöhle,  wo  er  zu  halbharten  Krusten  eingedickt 
wird.  Wenn  er  krankhafter  Weise  in  grösserer  Menge  abgesondert  wird  (Schleim- 
fluss,  Blennorrhoe^  von  ßX^vvo;  Schleim,  und  f^to  fliessen),  ist  er  dünnflüssig;  zu- 
weilen, wie  beim  Schnupfen,  wässerig.  Der  Schleim  der  Luftröhre  und  des  Kehl- 
kopfs erscheint  im  Auswurfe  gesunder  Menschen  als  eine  graue,  schwarz  gesprenkelte 
Masse  (wegen  Beimischung  von  Kohlenstaub  und  Rnss,  wie  es  in  geheizten  Woh- 
nungen nicht  anders  möglich  ist),  welche  ans  kleineren  Klttmpchcn  —  dem  Secrete 
der  einzelnen  Schleimdrtttehen  r-  mMmmoiigeballt  itt. 


216  6'  ^'   PbjBiologische  Eigeiuichftften  dor  Schleimh&nte. 

Die  Empfindlichkeit  der  Schleimhäute  tritt  an  gewissen 
Stellen  sehr  scharf  hervor,  wird  jedoch  vorzüglich  nur  durch  ge- 
wisse Reize  einer  bestimmten  Art  angeregt.  So  ist  weder  die 
Schleimhaut  der  Harnröhre  für  den  Ilam,  noch  die  Schleimhaut 
des  Darmkanals  für  die  Galle  empfindlich,  dagegen  erregen  Harn 
und  Galle  auf  der  Schleimhaut  der  Augenlider  intensive  Schmerz- 
empfindung.  Schleimhäute,  welche  vom  Cerebrospinalsystem  ihre 
Nerven  erhalten,  sind  empfindlicher  als  jene,  welche  vom  Sympa- 
thicus  versorgt  werden.  So  wird  die  gekaute  Nahrung  in  der 
Mundhöhle  und  im  Pharynx  durch  Vermittlung  der  hier  vorhande- 
nenen  Cerebrospinalnerven  gefühlt,  gleitet  aber  unbemerkt  durch 
die  Gedärme,  welche  mit  sympathischen  Nervenzweigen  ausgestattet 
sind,  und  die  schärfsten  Gewürze,  reizende  Substanzen  aller  Art, 
Essig,  Alkohol,  Säuren,  verhalten  sich  ebenso.  Auf  zwei  Schleim- 
häuten wird  die  Sensibilität  sogar  zu  einer  specifischen  Sinnes- 
energie gesteigert,  zum  Geschmack  und  zum  Geruch.  —  Die 
Atria  viacennrij  d.  i.  die  Eingangs-  und  Ausmündungshöhlen  der 
Eingeweide,  sind  durchaus  empfindlicher,  als  die  entlegeneren  Ab- 
theilungen derselben.  Ein  fremder  Körper  im  Kehlkopfe  ruft  den 
heftigsten  Reiz  zum  Husten  hervor,  während  er  in  den  Luftröhren- 
ästen jahrelang  verharren  kann,  ohne  Beschwerde  zu  erregen.  Die 
Einführung  einer  Sonde  oder  eines  Schlundstossers  erregt  im  hth- 
mus  faucium  Würg-  und  Brechbewegung;  im  Oesaphagtis  wird  sie 
nicht  einmal  gefühlt.  Die  Erregung  der  Empfindhchkeit  in  den 
Atrien  der  Schleimhautsysteme  wird  von  mehr  weniger  heftigen 
Reactionsbewegungcn  gewisser  Muskeln  begleitet,  welche  sich  nur 
einstellen,  wenn  sie  durch  Empfindungsreize  der  betreffenden  Schleim- 
haut herausgefordert  wurden.  Sie  werden  Reflexbewegungen 
genannt.  Das  Niessen,  der  Husten,  das  Erbrechen  nach  Kitzeln 
des  Racheneinganges,  die  Schlingbewegung,  die  Samenejaculation, 
die  Austreibung  des  Kothes  und  Harns,  gehören  hicher. 

Contractilität  besitzen  die  Schleimhäute  nur  auf  Rechnung 
der  glatten  Muskelfasern,  mit  welchen  sie  dotirt  sind.  Besässen  sie 
selbst  Contractilität,  so  würden  sie  sich  nicht  bei  Verengerung  ihrer 
HölJen  in  Falten  legen.  Der  leere  Magen,  die  leere  Harnblase  und 
Harnröhre  haben  Schleimhautfalten,  welche  im  vollen  Zustande 
fehlen.  Es  ist  jedoch  nicht  zu  verkennen,  dass  die  Schleimhäute 
ein  gewisses,  wenn  auch  sehr  unvollkommenes  Bestreben  äussern, 
sich,  wenn  sie  ausgedehnt  wurden,  wieder  zusammenzuziehen.  Dieses 
beruht  jedoch  nur  auf  der  Elasticität  ihres  Gewebes.  Pathologische 
Erscheinungen  bestätigen  die  Contractilität.  Jede  in  Folge  von  Ent- 
zündungen verdickte  Schleimhaut  verliert  dieses  Vermögen,  und 
hat  sie  es  verloren,  so  kann  sie  nicht  mehr  dem  Dnicke  entgegen- 
wirken, welchen  die  in  einer  Schleimhauthöhle  angesammelte  Flüs- 


g.  88.  Physiologische  Eigenschaften  der  Schleimh&nte.  217 

sigkeit  auf  sie  ausübt.  Sie  wird  vielmehr  durch  diesen  Druck  aus- 
gebuchtet,  durch  die  Maschen  der  Muskelgitter,  welche  sie  von  aussen 
bedecken,  beuteiförmig  vorgedrängt,  wodurch  die  sogenannten  Diver- 
ticula  entstehen,  welche  am  häufigsten  an  den  Harnblasen  von  Stein- 
kranken und  Säufern,  nach  vorausgegangenen  Blasenentzündungen 
beobachtet  werden. 

So  lange  Schleimhäute,  welche  sich  mit  ihren  freien  Flächen  herühren, 
mit  Epithelium  überzogen  sind,  kann  ihre  Berührung  nie  in  eine  Verwachsung 
übergehen.  Der  Schleim,  welchen  sie  absondern,  wirkt  hier  zugleich  mit  dem 
Epithelium  als  fremder  Zwischeukörpcr,  der  den  Coalitus  ausschliesst.  Ist  aber 
das  Epithel  verloren,  und  die  Schleimhaut  in  einem  kranken  Zustande,  der  keine 
Regeneration  des  Epithels  erlaubt,  z.  B.  entzündet,  verschwärt,  oder  in  Eitening 
begriflfen,  so  können  auch  Schleimhautflächen  ganz  oder  theilweise  verwachsen. 
Das  Ankylo-  und  Symblepharon,  die  Obliteration  oder  Verengening  eines  Nasen- 
loches nach  Menschcnblattem,  die  Verwachsung  der  Lippen  mit  dem  Zahnfleisch 
nach  Geschwüren,  die  Stenosen  des  Oesophagus  nach  Vergiftung  durch  Schwefel- 
säure, des  Mastdarms  durch  Ruhr,  der  Harnröhre  und  Scheide  durch  syphilitische 
Geschwüre,  bestätigen  das  Gesagte. 

Die  Schleimhäute  des  Systema  gastro-pulmonale  und  uro-genitale 
äussern,  trotz  ihrer  gleichartigen  Structur,  wenig  Sympathien  fiir 
einander,  und  es  ist  nur  ein  Fall  von  Mitleidenschaft  beider  Sy- 
steme durch  Civiale  näher  beleuchtet  worden,  nämlich  die  gastri- 
schen Störungen,  welche  nach  längerem  Manövrircn  mit  Steinzer- 
bohrungsinstrumenten  in  den  Harnwegen  sich  einzustellen  pflegen. 
Dagegen  stehen  einzelne  Abschnitte  desselben  Systems  in  unver- 
kennbarer sympathischer  Wechselbeziehung.  Die  Zunge  ändert 
z.  B.  ihr  Aussehen  bei  gastrischen  Leiden  (lingua  speculum  primanim 
viarum),  —  die  Bindehaut  des  Auges  röthet  sich  bei  Katarrhen  der 
Nasenschleimhaut,  die  Hamröhrenschleimhaut  juckt  bei  Gegenwart 
eines  Steines  in  der  Harnblase,  —  öfteres  Ziehen  am  männlichen 
Gliede  bei  Kindern  ist  dem  Chirurgen  ein  sicheres  Zeichen  von 
Steinkrankheit,  —  Kitzel  in  der  Nase,  Niessen,  und  Afterzwang 
(Tenesmus)  deuten  auf  Würmer  im  Darmkanale,  und  diese  Gefllhle 
werden  zuweilen  so  heftig,  dass  Kinder  instinctmässig  mit  den  Fin- 
gern in  der  Nase  und  dem  After  herumbohren. 

Substanzverluste  der  Schleimhaut  werden,  wenn  sie  blos  ober- 
flächlich waren,  durch  Regeneration  der  verlorenen  Schleimhaut 
ersetzt.  Tiefgehende  Destructionen  derselben,  durch  Verbrennung 
oder  Geschwür,  werden  nur  durch  Narbengewebe  ausgeftült,  wel- 
ches, seiner  Zusammenzichung  wegen,  Verengerung  des  betreflFen- 
den  Schleimhautrohres  setzt.  Nur  im  Darmkanale  erscheint  an  der 
Stelle,  wo  typhöse  Geschwüre  heilten,  ein  glänzendes,  glattes  Ge- 
webe von  serösem  Ansehen,  auf  welchem  sich  selbst  neue  Darm- 
zottcn  entwickeln  sollen. 

Noch  eine  physiologische  Eigenschaft  der  Schleimhäute,  welche 
wenig  gewürdigt  wurden  *  '  lung.  Ich  will  sie  die  respi- 


218  §•   Sd*   DrAsensjatem.   Anatomische  Eig^nsd^^iifteii  detselben. 

ratorische  Thätigkeit  derselben  nennen.  In  jeder  Schleimhaut;  die 
mit  der  atmosphärischen  Luft  in  Berührung  steht,  findet  Oxydation 
dos  Blutes  in  den  Capillargefässen  statt,  —  daher  ihre  Röthe.  Der 
Gefässreichthum  allein  ist  nicht  und  kann  nicht  die  Ursache  der 
Röthe  sein,  da  viele  Schleimhäute  eben  so  gcflissreich  sind,  wie 
die  Mund-  oder  Nascnschlcimhaut,  ohne  so  roth  zu  erscheinen,  wie 
diese.  Je  mehr  der  Luftzutritt  zu  einer  Schleimhaut  vermindert 
wird,  desto  mehr  nimmt  ihre  Röthe  ab.  Daher  ist  der  Scheiden- 
eingang und  das  Orificium  der  männUchen  Harnröhre  lebhafter  ge- 
röthet,  als  die  Schleimhaut  der  Tvha  Fallopiana,  oder  der  Harn- 
röhre. Schleimhäute,  welche  blass  gefilrbt  sind,  werden  roth,  sobald 
sie  an  die  Atmosphäre  kommen,  wie  die  Vorfälle  des  Mastdarms, 
der  Scheide,  der  widernatürliche  After  beweisen. 

Schleimkörperchen  sind,  nebst  den  Epithelialzellen,  nie  fehlende  Vor- 
kommnisse im  Schleime.  Sie  sind  ninde,  ovale,  seltener  eckige,  granulirte,  schein- 
bar solide  Körperchen,  von  durchschnittlich  0,005"*  Durchmesser.  Durch  Einwir- 
kung von  Wasser  tritt  ein  Kern  deutlich  hervor.  Durch  Behandlung  mit  Essigsäure 
zerfallt  der  Kern  in  2—4  kleinere  Körner  von  0,001'"  Durchmesser.  Sie  verhalten 
sich  im  Uebrigen  wie  Eiter-  und  Lymphkörperchcn,  und  sind,  vermuthlich,  An- 
fänge von  Zellenbildungen,  welche  auf  der  Schleimhaut  hafteten,  und  unreif  abge- 
stossen  wurden. 


§.  89.  Srüsensystem.  Anatomisclie  Eigenschaften  desselben. 

Einfache  oder  zusammengesetzte  Bereitungsorgane  von  Flüs- 
sigkeiten heissen  Drüsen,  Glandulae,  Die  Art  der  Bereitung  wird 
Absonderung,  Seci^ettOy  genannt.  Häutige  Schläuche  oder  auch 
Bläschen,  bilden  das  anatomische  Element  der  Drüsen.  Die  Schläuche 
sind  immer  an  einem  Ende  offen,  und  münden  auf  einer  freien 
Hautfläche  aus.  Die  Bläschen  sind  entweder  offen,  commimiciren  mit 
einem  solchen  Schlauche,  und  heissen  in  diesem  Falle  Acini,  oder 
sie  sind  geschlossen  als  Folliculi  clav^i.  Der  grösste  Repräsentant 
dieser  letzteren  ist  das  Graarsche   Bläschen   des  Eierstockes. 

In  den  einfachsten  Formen  bestehen  die  Drüsenschläuchc  und 
Drüsenbläschen  aus  einer  mehr  weniger  structurlosen  Grundmembran, 
welche  bei  höherer  Entwicklung  einen  faserigen  Charakter  annehmen 
kann.  Bleibt  der  Drüsenschlauch  einfach  und  unverästelt,  so  heisst 
die  Drüse  tubulös;  gruppiren  sich  aber  um  den  Sclilauch  Drüsen- 
bläschen, welche  sich  in  ihn  öffnen,  so  wird  die  Drüse  acinös  oder 
traubenförmig  genannt.  Einfache  tubulöse  Drüsen  sind  meist 
nur  Gegenstand  mikroskopischer  Anschauung;  —  acinöse  Drüsen 
können  zwar  auch  einfach  bleiben,  d.  h.  einen  unverästelten  Aus- 
führungsgang besitzen,   wie  z.  B.  Talgdrüsen,  Meibom'sche  Drüsen; 


§.  89.  Drfisensjrtem.  Anatomiselie  Eigenschaften  desselben.  219 

meistens  aber  verbinden  sieh  viele  einfache  acinöse  Drüsen  zu  einer 
mehr  weniger  zusammengesetzten,  welche  somit  einen  baumförmig 
verästelten  Ausführungsgang  besitzen  wird,  und  eine  bedeutende 
Grösse  erreichen  kann.  Solche  Drüsen  erscheinen  dann  entweder 
als  gerundete,  mehr  weniger  glatte,  oder  aus  Lappen  zusammen- 
gesetzte,  mit  Furchen  und  Einschnitten  (Grenzen  der  Lappen)  ver- 
sehene Massen,  deren  Lappen  von  einer  bindegewebigen  Hülle  um- 
geben und  zusammengehalten  werden.  Die  Wand  des  mehr  weniger 
verästelten  Ausführungsganges  besteht  meist  aus  einer  structurlosen 
Grundmembran,  mit  einer  gefilssreichen,  und  organische  Muskel- 
fasern führenden  Bindegewebsschichte  an  ihrer  äussern,  und  einem 
Epithelialbeleg  an  ihrer  inneren  Fläche.  Das  Bindegewebe,  welches 
die  einzelnen  Drüsenlappen  umgiebt  und  zusammenhält,  ist  sehr 
gefässreich.  Die  Blutgefässe  betreten  die  Drüse  entweder  an  einem 
oder  an  mehreren  Punkten.  Ersteres  ist  bei  mehr  compacten  Drü- 
sen mit  glatter  Oberfläche,  welche  nur  Einen  Einschnitt  besitzen, 
letzteres  bei  Diiisen  mit  mehreren  Einschnitten  und  mit  gelappter 
Oberfläche  der  Fall.  Die  Blutgefässe  umspinnen  mit  ihren  Capillar- 
netzen  die  Verzweigungen  der  Ausführungsgänge,  und  liefern  den 
Stoff  (^Plasma  sanguinis),  welcher  durch  die  Lebensthätigkeit  der 
Drüse  umgearbeitet,  und  als  bestimmte  Secretionsflüssigkeit,  Spei- 
chel, Galle,  Magensaft,  etc.,  zum  Vorschein  kommen  soll.  Die 
Lymphgefässe  der  Drüsen  sind  noch  nicht  genau  bekannt,  ebenso- 
wenig als  die  letzten  Verzweigungen  ihrer  Nerven.  Die  Nerven 
der  Drüsen  begleiten  die  Blutgefässe  und  die  Ausführungsgänge, 
welche  sie  mit  Geflechten  umgürten.  In  der  Niere  und  Leber  halten 
sie  sich  mehr  an  die  Blutgefässe,  in  den  Speicheldrüsen  mehr  an 
die  Ausführungsgänge.  Sie  sind  sensitiver  und  motorischer  Natur, 
und  stammen  aus  dem  Ccrebrospinal-  und  sympathischen  Nerven- 
systeme, so  dass  in  verschiedenen  Drüsen  bald  das  eine,  bald  das 
andere  System  die  Oberhand  behält. 

Da  alle  Drüsenausftlhrungsgänge  auf  der  äusseren  Haut  oder 
den  inneren  Schleimhäuten  münden,  so  mag  die  Vorstellung  immer- 
hin beibehalten  werden,  als  seien  sie  Ein-  oder  Ausstülpungen  dieser 
Häute.  Nur  ist  die  Sache  nicht  im  genetischen  Sinne  zu  nehmen 
da  nach  den  Ergebnissen  der  Entwicklungsgeschichte,  die  Veräst- 
lungen eines  Aus  führungsganges  nicht  als  röhrige  Aus^vllchse  einer 
präexistirenden  Membran  entstehen. 

Die  letzten  Ramificationen  der  Ausführungsgänge  stehen  mit 
dem  Capillargefässsystem  nirgends  in  offener  Anastomose,  und  enden 
auf  dreifache  Weise:  a.  als  abgerundete,  blindsackförmig  geschlos- 
sene Eanälchen.  <*««  Wii«*»li»AnÄrtig  erweitertes  Ende;  ß.  als  bläs- 
chenfbn  Ichen;    y*   ^^  netzförmige 

Ar 


220  S-  90.   Eintheilnng  der  Drfisen. 

Die  meisten  Ausführungsgänge  der  Drüsen  besitzen  an  ihrer 
inneren  Oberfläche  eine  aus  Cylinderzellen  bestehende  EpitheHal- 
schichte.  In  den  feinsten  Verästlungen  dagegen,  und  in  den  Endbläs- 
chen {Acini)y  findet  sich  in  allen  Drüsen  nur  mosaikartiges  oder 
aus  rundlichen  Zellen  bestehendes  Pflasterepithel,  dessen  Zellen, 
ihrer  Betheiligung  am  Secretionsprocesse  wegen,  Secretionszellen 
genannt  zu  werden  pflegen. 

Ursprünglich  hiessen  nur  kleine,  oliven-  oder  eichelfönnige  Drüsen:  Glan- 
dulae (d.  i.  Eichelchen),  gleichviel  oh  sie  Ausführungsgänge  hahen  oder  nicht 
So  sind  denn  mehrere  Organe  damals  in  die  Sippschaft  der  Drüsen  aufgenommen 
worden,  welche  es  unseren  gegenwärtigen  Begriffen  zufolge  nicht  mehr  sein  können, 
z.  B.  Olandula  pineeUi»,  püuüaria  cerebri;  und  umgekehrt  wurden,  durch  die  Auf- 
findung der  Ausführungsgänge,  viele  Organe  den  Drüsen  einverleibt,  über  deren 
Bedeutung  und  Verrichtung  man  früher  keine  Vorstellung  hatte,  und  ihnen  des- 
halb Namen  gab,  welche  nur  ihre  Lage  ausdrücken.  Parotis,  ProttaAa^  Pariathmia 
(Mandeln). 

§.  90.   Eintheilung  der  Drüsen. 

Jede  Drüseneintheilung  hat  etwas  Gezwungenes.  Eine  von 
allen  Histologen  aufgestellte  Abtheilung  der  Drüsen,  welche  den 
Namen  der  Glandulae  spurias  8,  duhi(ze  führt,  wohin  die  sogenann- 
ten Drüsen  ohne  Ausftihrungsgänge  gehören  (Milz,  Schilddrüse, 
Thymus,  Nebennieren,  der  vordere  Lappen  der  Hypophysis  cerehn, 
und  Luschka's  Steissdrüse  *),  ist  eben  kein  logischer  Vorzug  der 
Drüsenclassification. 

Die  Form  des  Ausführungsganges  und  seiner  Endigungsweise 
giebt  gegenwärtig  den  Anhaltspunkt  ab,  die  Drüsen  zu  classificiren. 

Man  unterscheidet  einfache  und  zusammengesetzte 
Drüsen. 

A)  Einfache  Drüsen.  Sie  bestehen  nur  aus  einem  ein- 
fachen Drüsenelemente,  Schlauch  oder  Bläschen,  und  zerfallen  so- 
mit in: 

a)  Einfache  tubulöse  Drüsen.  Hieher  gehören  die  Schweiss- 
drüsen,  Ohrenschmalzdrüsen,  die  Drüsen  der  Gebärmutter- 
schleimhaut, die  Pepsindrüsen  des  Magens  und  die  Lieber- 
kühn'schen  Drüsen  des  Darmkanals. 

b)  Einfache  acinöse  Drüsen,  bei  denen  ein  unverästelter 
Ausführungsgang  mit  einer  Gruppe  von  Drüsenbläschen  (Acini) 


*)  Ueber  den  Bau  dieser  DrUsen  handeln  die  betreffenden  Paragraphe  der 
Eingeweidelehre.  Sie  werden  es  zugleich  ersichtlich  machen,  dass  die  genannten 
Drüsen  gewiss  nicht  Einer  histologischen  Gruppe  angehören.  Ilimanhang,  Neben- 
niere, und  die  merkwürdige  Steissdrflse  —  die  schönste  Entdeckung  der  Anatomie 
in  unserer  Zeit  —  werden,  ihres  Keichthums  an  Nerrenelementen  wegen,  von 
Luschka  als  „ Nervendrüsen **  znsammengefasst ,  während  den  übrigen  der  alte 
Name  „GeflUsdrüsen'^  {Ganglia  vasculosa)  verbleiben  mag. 


§.  90.    Eiatheiliuig  der  Drfisen.  221 

zuBammenhängt.  EKeher  gehören  die  Schleimdrüsen^  die  Talg- 
drüsen^ und  die  Meibom'schen  Drüsen. 

Zu  den  einfachen  Drüsen  werden  formell  auch  jene  räthselhafken  Gebilde 
ohne  Aasführungsgang  eingereiht,  welche  unter  dem  Namen  geschlossene 
Follikel  passiren.  Sie  bestehen  aus  einer  geschlossenen  Bindegewebsmembran, 
deren  Binnenraum  von  einem  zarten  fibrillären  Netzgerüste  ausgefüllt  wird,  in 
dessen  Interstitien  eine  grosse  Menge  von  Lymphkörperchen  (§.  58)  lagert  Ob 
diese  Interstitien  mit  L3rmphgefKssen  zusammenhängen,  wird  von  Einigen  be- 
hauptet, von  Anderen  (zu  welchen  auch  ich  mich  zähle)  geläugnet  Nichtsdesto- 
weniger werden  die  geschlossenen  Follikel  für  Lymphdrüsen  gehalten,  oder  wenig- 
stens, mit  etwas  Schüchternheit:  lymphoide  Organe  genannt. 

Die  geschlossenen  Follikel  kommen  entweder  einzeln  und  zerstreut,  oder  in 
Gruppen  vor.  Man  unterscheidet  deshalb  FoüicuU  solüatii,  und  Folliculi  agminati 
9.  cangregati.  Erstere  finden  sich  in  der  ganzen  Länge  der  Schleimhaut  des 
Darmkanals,  und  stellenweise  in  der  Bindehaut  des  Säugethieraug^s  als  soge- 
nannte Trachomdrüsen;  letztere,  als  Peyer'sche  Drüsen,  nur  im  Krummdann. 
Eine  besondere,  zu  den  geschlossenen  Follikeln  gehörige  Art  von  Drüsen,  bilden 
die  Balgdrüsen  der  Zungenwurzel,  des  Bachens,  und  der  Mandeln,  welche  in 
ihren  dicken,  von  der  Schleimhaut  der  genannten  Organe  abstammenden  Wandun- 
gen, eine  Anzahl  solcher  geschlossener  Follikel  enthalten. 

Teichmann's  Präparate  der  menschlichen  Darmfollikel,  an  welchen  die 
Lymphgefässe ,  auf  das  Vollkommenste  gefüllt,  sich  um  die  in  ihren  dichtgeweb- 
ten Netzen  eingelagerten  Follikel  gar  nicht  künmiern,  werden  Jeden,  der  sie 
kennt,  hofientlich  auch  überzeugen,  das  Lymphdrüsen  und  Peyer^sche  Drüsen 
zwei  sehr  verschiedene  Dinge  sind.  Der  Glaube  an  den  foUiculären  Bau  der 
Peyer'schen  Drüsen,  wurde  von  He  nie  in  jüngster  Zeit  völlig  gestürzt.  Nicht 
zwischen  dem  Balkenwerke  eines  Follikels,  sondern  im  Bindegewebsstroma  der 
Darmsühleimhaut  selbst  lagern  die  Lymphkörperchen.  Die  Follikel  besitzen  keine 
ihnen  eigene  Wand,  überhaupt  kein  ihnen  eigenes  Parenchym,  wie  die  Lymph- 
drüsen ihre  Pulpa,  und  können  deshalb  weder  Follikel,  noch  geschlossen 
genannt  werden.  Demnach  sind  sie  auch  keine  Drüsen,  sondern  Deposita  von 
Lymphkörperchen  im  Gewebe  der  Darmschleimhaut.  HenlCy  Zeitschrift  für  rat. 
Med.  Bd.  Vm. 

B)  Zusammengesetzte  Drüsen.  Sie  bestehen  aus  einem 
Systeme  verzweigter  Ausfühnmgsgänge,  deren  letzte  Enden  ent- 
weder mit  Endbläschen  besetzt  sind,  und  im  gefüllten  Zustande 
traubig  erscheinen  (Speicheldrüsen),  oder  Netze  bilden,  welche  die 
Lücken  der  Capillargefässnetze  ausfüllen  (Leber),  oder  schlingen- 
förmig  in  einander  übergehen  (Hoden).  Jede  Ausbuchtung  eines 
traubigen  Kanalendes  ist  gewissermaassen  als  einfaches  Drüsenbläs- 
chen, und  darum  jede  zusammengesetzte  Drüse  als  ein  Conglomerat 
vieler  einfacher  zu  betrachten.  Man  nennt  sie  deshalb  auch  Glan- 
dulae conglomei'atae.  Unterarten  derselben  sind: 

a)  Glandulae  compositae  acinosae.  Sie  bestehen  aus  mehre- 
ren, ja  vielen  Lappen,  jeder  Lappen  aus  Läppchen,  jedes 
Läppchen   ans  einer  Gr  Dia  Speicheldrüsen, 

die  MilchdrlUH  Die  Drtt- 

senkanfik  de, 


222  8-  91-    Physiologische  EigenschafUn  der  Drflson. 

und  diese  nach  wiederholter  Verbindung  in  den  Hauptkanal 
oder  Ausführungsgang  der  Drüse  über.  Sie  werden  deshalb 
auch  Drüsen  mit  baumförmig  verzweigtem  Ausfiihrungsgange 
genannt.  Die  Ausführungsgänge  der  acinösen  Drüsen  ver- 
einigen sich  entweder  zu  einem  einzigen,  oder  die  Vereinigung 
bleibt  unvollkommen,  imd  es  existiren  mehrere,  getrennt  mün- 
dende Ausführungsgänge,  was  in  der  weibUchen  Brust,  in  der 
Thränen-  und  Vorsteherdrüse  der  Fall  ist. 
b)  Glandulae  compositae  tnhuloaaey  wohin  die  Nieren  und 
Hoden  gehören.  Dem  Wortsinne  nach  sind  auch  die  Drüsen 
mit  baumförmig  verzweigtem  Ausführungsgange  Glandulae  tu- 
Imlosaey  indem  sie  aus  verzweigten  Röhren  bestehen.  Im  enge- 
ren Sinne  dagegen  werden  zu  den  Glandulis  conipositis  tubulosis 
nur  jene  gerechnet,  bei  welchen  die  Drüsenkanälchen  weniger 
durch  Astbildung,  als  durch  ihre  Länge  ausgezeichnet 
sind.  Die  langen  Drüsenkanäle  verlaufen  entweder  gerade, 
oder  in  vielfachen  Krümmungen.  Ersteres  ereignet  sich  in  den 
Nierenpyramiden;  letzteres  im  Hoden. 

Wenn  die  iü  der  speciellen  Anatomie  gegebenen  Beschreibungen  der  ein- 
zelnen Drüsen  liekannt  geworden  sind,  wird  es  dem  Anfänger  leicht  sein,  sich 
ein  umfassendes  Schema  zu  construiren,  dessen  Hauptrubriken  hier  blos  angege- 
ben wurden. 

§.91.  Physiologische  Eigenschaften  der  Drüsen. 

Der  in  den  Drüsen  stattfindende  Vorgang,  durch  welchen  aus 
dem  Blute  neue  Flüssigkeiten  zu  verschiedenartigster  Verwendung 
gebildet  werden,  heisst  Absonderung,  Secretio.  Absonderung  und 
Ernährung  sind  sehr  nahe  verwandte  Processe.  Zu  beiden  wer- 
den Stoffe  aus  dem  Blute  bezogen.  Bei  der  Absonderung  werden 
diese  Stoffe  in  Secrcta  umgewandelt,  und  aus  dem  Bereiche  der 
Drüsen,  in  welchen  sie  gebildet  wurden,  schnell  abgeführt;  —  bei 
der  Ernährung  dagegen  in  das  Gewebe  der  Organe  selbst  umge- 
wandelt. Jede  freie  Fläche  einer  Membran  sondert  ab,  und  jedes 
kleinste  Theilchen  irgend  eines  Gewebes  kann  nur  dann  leben  und 
sich  nähren,  wenn  ihm  Ernährungsstoffe  dargeboten  werden,  welche 
alle  aus  dem  Blute  abgesondert  werden.  Die  Permeabilität  der  Ge- 
fisswandungen  ist  somit  nothwendige  Bedingimg  der  Ernährung  und 
der  Secretion.  Bei  der  Ernährung  brauchen  jedoch  die  flüssigen 
Bestandtheile  des  Blutes  nur  aus  den  Gefässwandungen  herauszu- 
treten [Exo»mosi8)y  um  ihren  Nutritionszweck  zu  erfüllen;  bei  der 
Secretion  dagegen  müssen  die  Stoffe,  welche  durch  Exosmosis  aus 
den  Capillargefässen  traten,  neuerdhigs  die  Wand  von  Drüsenkanäl- 
chen und  Drüsenzellen  durchdringen  (Endosinosis),  um  in  den  Hölilen 


S.  91.  Physiologische  Eigenschaften  der  DrOsen.  223 

derselben  als  Seereta  zu  erscheinen.  Würden  alle  Secreta  aus  Stof- 
fen bestehen,  welche  schon  im  Blute  vorräthig  und  präformirt  sind 
(wie  z.  B.  der  Harnstoff  und  die  Harnsäure),  so  könnte  man  sich 
die  Secretion  als  eine  Art  Seihungsprocess  denken,  für  welchen  die 
Wände  der  Capillargefässe  und  der  Drüsenkanälchen  doppelte  Fil- 
trirapparate  wären.  Die  alte  Medicin  hatte  diese  rohe  Ansicht  von 
allen  Secretionen,  und  nannte  deshalb  die  Drtlsen:  Colaioria,  von 
colarej  durchseihen.  Die  Gegenwart  von  so  vielen  Mischungsbestand- 
theilen  der  Secrete,  welche  im  Blute  als  solche  nicht  vorkommen, 
heisst  diese  mechanische  Vorstellung  aufgeben.  Wir  sind  gezwungen 
anzunehmen,  dass  die  Bestandtheile  des  Blutes,  während  sie  durch 
die  doppelten  Filtra  gehen,  solche  chemische  Veränderungen  erlei- 
den, welche  ihnen  den  Charakter  des  neuen  Secretionsfluidimi  geben; 
aber  wie  es  mit  dieser  Veränderung  hergehe,  ist  durchaus  unbe- 
kannt, da  immer  nur  die  Producte  der  Secretion,  nicht  aber  das 
Werden  derselben,  Gegenstand  mikroskopischer  Anschauung  sind. 
Die  genauesten  Kenntnisse,  die  wir  von  dem  Baue  so  vieler  Drtisen 
haben,  konnten  und  werden  uns  nie  hierüber  Aufschluss  geben,  um 
so  weniger,  als  gleichgebaute  Drüsen  häufig  sehr  verschiedene  Se- 
crete liefern,  wie  die  Speichel-  und  Milchdrüsen.  Dass  die  Epithe- 
lialzellen  der  Drüsenkanälchen  und  der  Acini  beim  Secretionsprocesse 
betheiligt  seien,  und  Stoffe  in  ihren  Höhlen  bilden,  um  sie  durch 
Dehiscenz  in  die  Höhle  der  Drüsenkanälchen  zu  entleeren,  wurde 
zuerst  von  Henle  undGoodsir  ausgesprochen.  Wir  finden  Gallen- 
fett  in  den  Zellen  der  Leber,  Butterfette  in  den  Zellen  der  Milch- 
drüse, Pepsin  in  den  Zellen  der  Magendrüsen,  Samenthierchen  in 
Zellen  der  Hodenkanäle. 

Die  Fortbewegung  der  secemirten  Flüssigkeiten  in  den  Aus- 
führungsgängen ist  theils  eine  nothwendige  Folge  des  Offenseins  der 
letzteren  nach  einer  Richtung  hin,  theils  eine  Wirkung  der  Con- 
tractilität  der  Kanalwandungen,  welche  durch  mikroskopische  Unter- 
suchungen, und  durch  physiologische  Experimente  constatirt  wurde. 
Gallen-,  Harn-,  Samenwege  zeigen,  wenn  sie  gereizt  werden,  sogar 
wurmförmige  Bewegungen.  Keine  Drüse  liegt  in  einer  vollkommen 
harten  Knochenkapsel,  ihre  Umgebung  besteht  vielmehr  aus  mehr 
weniger  beweglichen  Organen,  welche  durch  ihre  Verschiebung  auf 
die  Drüse  drücken,  und  somit  ebenfalls  ein  thätiges  Excretions- 
moment  abgeben  können.  Bei  den  Speicheldrüsen,  welche  von  den 
Kaumuskeln,  bei  den  Darmdrüsen,  welche  durch  die  wurmförmige 
Bewegung  der  Gedärme  gedrückt  und  dadurch  entleert  werden, 
ist  dieser  mechanische  Umstand  in  die  Augen  springend.  Die  Ab- 
schüssigkeit der  Ausführungsgänge,  und  besondere  Ejrümmungen 
derselben,  erleichtem  ebenfalls  die  Fortbewegung  des  Secretes. 
Die   korkzieherartige  ErOmmn        '    i  KAnales   der  Schweissdrüsen 


224  §•  91*   Pbytiologiscbe  EigttiiBchafteii  der  Drütiin. 

ist  offenbar  hierauf  berechnet,  da  durch  sie  der  Bewegungsweg  in 
eine  lange  schiefe  Ebene  umgewandelt  wird,  welcher  leichter  zu- 
rückzulegen ist,  als  ein  gerade  ansteigender. 

Viele  Secrete  haben  keine  weitere  Verwendbarkeit  im  Orga- 
nismus, und  werden  so  bald  als  möglich  entleert.  Sie  heissen 
Hmnores  excrementitn  (Harn,  Schwciss).  Andere  werden  nur  gebil- 
det, um  zu  gewissen  Zwecken  zu  dienen.  Sic  heissen  Humores 
inquilini.  Diese  Zwecke  werden  entweder  noch  innerhalb  des  Kör- 
pers erreicht,  oder  ausserhalb.  Speichel  und  Magensaft  wirken 
innerhalb,  Milch  imd  Same  ausserhalb  des  Körpers.  Ersterc  wer- 
den deshalb  in  den  Anfang  oder  in  den  weiteren  Verlauf  des  Ver- 
dauungssystems, entleert,  letztere  nur  in  das  Ende  ihres  bezüglichen 
Systems,  wie  der  Same  in  den  Endsclilauch  des  Urogenitalsystems 
(Harnröhre),  oder  direct  an  die  Leibesoberfläche  abgefühii;,  wie 
die  Milch.  —  Es  giebt  auch  Secrete  gemischter  Art,  von  welchen 
ein  Theil  noch  im  thierischen  Leibe  verwendet  wird,  ein  Theil  aber 
Auswurfsstoff  ist,  z.  B.  die  Galle,  deren  Harze  und  Pigmente  in 
den  Fäces  vorkommen,  während  die  übrigen  Bestandtheile  dersel- 
ben zur  Dünndarmverdauung  beitragen,  und  im  Darmkanal  wieder 
aufgesogen  werden. 

Die  complicirte  Structur  der .  Drüsen,  und  ihre  darauf  basirte 
hochgestellte  Lebensthätigkeit,  machen  sie  zu  sehr  wichtigen  Orga- 
nen des  thierischen  Haushaltes.  Erhaltung  der  Individuen  (Ernäh- 
rung), und  Erhaltung  der  Art  (Fortpflanzung)  ist  an  ihre  Thätigkeit 
gebunden.  Je  grösser  eine  Drüse  wird,  und  je  mehr  sie  schon  im 
Blute  vorhandene  Ausscheidungsstoffe  absondeii;,  desto  wichtiger 
wird  ihre  Function,  und  desto  gefährhcher  ihr  Erkranken.  Unter- 
bleiben der  Nierensecrction  führt  zum  gewissen  Tode,  und  die  unter- 
brochene Thätigkeit  der  Lunge  setzt  Erstickung,  während  beide 
Hoden  ohne  Nachtheil  der  Gesundheit  eingebüsst  werden  können. 
—  Sind  Secretionsorgane  j)aarig,  und  wird  das  eine  durch  Krank- 
heit oder  Verwundung  in  Stillstand  versetzt,  so  übernimmt  das 
andere  das  Geschäft  seines  Gefährten,  und  gewinnt  in  der  Kegel 
auch  an  Volumen  und  Gewicht.  Jede  gesteigerte  Secretion,  welche 
den  Schaden  gut  macht,  der  durch  das  Unterbleiben  einer  anderen 
gesetzt  werden  könnte,  heisst  vicariirend.  —  Exstiri)irte  Drüsen 
werden  nicht  regenerirt. 

Literatur.  Hauptwerk:  Müller ^  d«»  glandularum  secenientium  stnictiira 
penitiori  etc.  Lips.,  1830.  fol.  Die  blinden  Enden  der  Drüsenkanälc  und  ihre 
Nichtanastomose  mit  den  Capillargefässen  wurde  durch  diese  classische  Arbeit 
conatatirt.  —  IL  Meckelj  in  Müller^s  Archiv.  1846.  —  Leyälg,  in  der  Zeitschrift 
für  wisfl.  Zool.  1850.  —  HetUe,  allgem.  Anatomie,  p.  88U.  —  ValeHti7i'a  Artikel 
„Absonderung'*  in  Wagncf's  Handwörterbuch,  und  die  scliou  oft  citirten  Gcwebs- 
lehren   enthalten   das  Wichtigste  in  anatomischer  und  physiologischer  Beziehung. 


8.  9t.  Allg«nifliii«  Bemerkungen  Aber  die  Absondernngen.  225 

—  Ltuchka,  Ueber  den  Hiraanhang  und  die  Steissdrüse.  Berlin,  1860.  —  Henle^ 
Zeitschrift  für  rat.  Med.  3.  Reihe.  YlII.  Bd.  Kritische  Beleuchtung  aller  bisher 
über  geschlossene  Follikel  vorliegenden  Arbeiten. 


§.  92.  Allgemeine  Bemerkimgeii  über  die  Absonderungen. 

1.  Das  Quäle  und  Quantum  einer  Absonderung  hängt  von  dem 
Blute  und  von  dem  Baue  des  Absonderungsorgans  ab.  Verschie- 
den gebaute  Drüsen  können  nie  ganz  gleiche  Secrete  liefern.  Je 
reicher  das  Blut  an  Secretionsstoflfen  ist,  desto  reichlicher  werden 
diese  in  den  Secreten  erscheinen.  Hat  deshalb  eine  Drüse  durch 
Erkrankung  eine  Zeitlang  ihre  secretorische  Thätigkeit  eingestellt, 
so  häufen  sich  die  Stoffe,  welche  durch  sie  hätten  entleert  werden 
sollen,  im  Blute  an;  und  beginnt  die  Drüse  später  wieder  ihren 
regelmässigen  Geschäftsgang,  so  wird  ihre  Absonderung  copiöser 
sein  müssen.  Hierauf  beruhen  die  von  den  Aerzten  sogenannten 
kritischen  Ausleerungen. 

2.  Je  dünner  das  Blutplasma  ist,  desto  leichter  wird  dessen 
Exosmose  und  Endosmose.  Die  Secretionen  werden  deshalb  durch 
jene  Umstände  vermehrt,  welche  eine  grössere  Verflüssigung  der 
Blutmasse  bedingen,  wie  z.  B.  durch  Trinken  und  Baden.  Dass 
die  Secretionen  in  diesem  Falle  an  ihren  specifischen  Stoffen  nicht 
gehaltreicher  werden,  versteht  sich  von  selbst.  Eindickung  des 
Blutes  durch  Wasserverlust  mittelst  Schweiss  und  copiöser  seröser 
Absonderungen,  wird  auf  den  Gang  der  Secretionen  in  entgegen- 
gesetzter Weise  einwirken,  also  Verminderung  derselben,  und  rela- 
tives üeberwiegen  der  specifischen  Secretionsstoffe  herbeifiihren. 
So  erscheint  bei  Kranken,  welche  viel  schwitzen  und  wenig  trinken, 
der  Harn  eingedickt  und  trübe,  als  Urina  cruda  der  alten  Aerzte. 
Es  ist  ein  allgemeiner,  aber  sehr  irriger  Glaube,  dass  man  in  den 
Dampfbädern  schwitzt.  Das  Wasser,  welches  die  Oberfläche  des 
Körpers  im  Dampfbade  überzieht,  ist  kein  Schweiss,  sondern  ein 
Niederschlag  des  Dampfes  auf  die  kältere  Haut. 

3.  Die  Zahl,  Weite,  und  Verlaufsrichtung  der  Capillargefässe 
einer  Drüse  haben  insofern  auf  die  Secretion  Einfluss,  als  sie  die 
Menge  des  Blutes,  welches  zur  Absonderung  dient,  die  Geschwin- 
digkeit seiner  Bewegung,  und  den  Druck,  unter  welchem  es  strömt, 
bedingen.  Drüsen,  welche  reich  an  weiten  Capillargefilssen  sind, 
werden  copiösere  Absonderungsmengen  liefern,  und  je  gekrümmter 
der  Verlauf  der  Capillargefilsse  ist,  desto  länger  wird  das  Blut  in 
der  Drüse  verweilen,  und  desto  grösser  wird  auch  der  Druck  wer- 
den, der  den  Austritt  wiam  Plasma  bestimmt  Das  blutgefässarme 
Parenehym  des  ■trflse  lässt  keine  reich- 
lichen  Seoc  imi  an  Capillar- 


226  i-  ^*  lllg«ia#i]i«  Bemorknagen  liber  di«  Abtondenu^it. 

gefäßsen,  durch  welche  sich  die  Leber,  die  Niere,  die  Speicheldrüsen 
auszeichnen,  mit  den  gi'ossen  Secretionsmengen  dieser  Drüsen  innig 
zusammenhängt. 

4.  Da  zu  jeder  Drüse  gleichbeschafFenes  arterielles  Blut  ge- 
langt, welchem  in  den  einzelnen  Drüsen  verschiedene  Stoffe  ent- 
zogen werden,  so  kann  die  Mischung  des  venösen  Blutes  nicht  in 
allen  Drüsen  dieselbe  sein.  Da  dasselbe  auch  für  das  Venenblut 
der  verschiedenen  Organe  des  thierischen  Leibes  gilt,  deren  jedes 
einzelne  dem  Blute  nur  solche  Bestandtheile  entzieht,  welche  es  zu 
seiner  individuellen  Ernährung  benöthigt,  so  ist  begreiflich,  dass 
in  den  Hauptstämmen  des  Venensystems  sehr  verschieden  beschaf- 
fene Blutströme  zusammenlaufen,  welche  gleichförmig  gemischt  wer- 
den müssen,  bevor  sie  in  die  Lunge  gebracht  werden.  Vermuthlich 
erklärt  sich  hieraus  die  stärkere  Entwicklung  der  genetzten  Muskel- 
schichte der  rechten  Herz  Vorkammer^  deren  die  linke,  .als  Sammel- 
platz des  gleichförmig  gemischten  arteriellen  Limgenblutes,  nicht 
bedurfte.  —  Zu  den  meisten  Secretionen  wird  nur  arterielles  Blut 
verwendet.  Die  Theilnahme  des  venösen  Blutes  am  Absonderungs- 
geschäfte ist  nur  in  der  Leber  evident.  —  Unterbindmig  der  zu- 
führenden Arterie  einer  Drüse  bedingt  nothwendig  Stillstand  ihrer 
Function. 

5.  Alle  Secretionen  stehen  unter  dem  Einflüsse  des  Nerven- 
systems. Wir  kennen  diesen  Einfluss  schon  im  Allgemeinen  durch 
die  tägliche  Erfahrung,  dass  Gemüthsbewegungen  und  krankhafte 
Nervenzustände  die  Menge  und  Beschaffenheit  der  Absonderungen 
ändern.  Es  ist  bekannt,  dass  Aerger  einer  Säugenden,  durch  die 
Veränderte  Beschaffenheit  der  Milch,  dem  Säuglinge  Bauchzwieken 
und  Abweichen  zuziehen  kann,  xuid  ebenso,  dass  Furcht  oder 
ängstliche  Spannung  des  Gemüths  die  Harusecretion,  Appetit  die 
Speichelsecretion ,  wollüstige  Vorstellungen  die  Absonderung  des 
männlichen  Samens  vermehren.  —  Besondere  Nerventjrrcgungen 
wirken  auf  besondere  Drüsen,  der  Zorn  auf  die  Leber,  die  Geil- 
heit auf  die  Hoden,  Furcht  auf  die  Nieren,  Appetit  auf  die  Spei- 
cheldrüsen, Trauer  und  Schmerz  auf  die  Thränendrüsen,  während 
Heiterkeit  und  Frohsinn,  wie  sie  der  Wein  erzeugt,  auf  alle  Secre- 
tionen bcthätigend  einwirken.  In  letzterer  Hinsicht  ist  der  Alkohol- 
gehalt des  Blutes  ein  besonderer  Reiz  für  die  einzelnen  Secretions- 
organe,  denn  alle  Reize  steigern  die  organischen  Thätigkeiten.  Wie 
so  Gemüthsbewegungen  eine  plötzliche  qualitative  Aenderung  der 
Secrete,  und  schädliche,  ja  giftige  Eigenschaften  derselben  setzen 
können,  liegt  jenseits  aller  Vermuthungen. 

6.  Die  quantitativen  Aenderungen  der  Secretionen,  Ver- 
mehrung und  Verminderung,  oder  Unterdrückung,  sind  leichter 
erklärbar,  wenn  man   bedenkt,   dass  die  Porosität    der   Gefässwan- 


{.  M.  AügeBtia«  Bemorinuigeii  Ikber  die  Abtondernttgeii.  227 

düngen^  und  die  auf  ihr  beruhende  Möglichkeit  des  Durchschwitzens, 
von  dem  Einflüsse  der  motorischen  Drüsennerven  abhängt.  Da  die 
Ganglien,  welche  Nerven  zu  den  Drüsen  schicken,  wie  früher  ge- 
zeigt wurde,  durch  die  in  ihnen  entspringenden  Nervenfaseni  als 
selbstständige  Nervencentra  der  Drüsen  gelten,  so  werden  die  Er- 
fahrungen erklärbar,  laut  welchen,  nach  der,  „mit  der  grössten 
Schonung*'  ausgeftihrten  Zerstörung  des  Cerebrospinalsystems  bei 
Thieren,  die  Secretionen,  wenn  auch  vermindert,  noch  fortdauerten 
(Bidder,  Valentin,  Volkmann). 

7.  Im  Leben  sind  die  Häute,  also  auch  die  Drüsenkanälchen, 
nur  für  bestimmte  Stoffe  permeabel.  Nach  dem  Tode  schwitzt  Alles 
durch,  was  im  Wasser  löslich  ist.  Einen  guten  Beleg  hieflir  liefert 
die  Gallenblase,  welche  im  lebenden  Thiere  ihren  Inhalt  nicht  durch 
Exosmose  austreten  lässt,  während  im  Cadaver  die  gwze  Umgebung 
derselben,  Bauchfell,  Darmkanal,  Netz,  gelb  getränkt  wird. 

8.  Jede  Reizung  einer  Drüse  vermehrt  den  Blutandrang  zur 
Drüse,  und  dadurch  ihre  Absonderung.  Übt  stimultts,  ibi  congeatio 
et  secretio  aucta,  ist  ein  alter  und  noch  immer  cursirender  Aphoris- 
mus. Wird  der  Blutandrang  zur  DriLse  bis  zur  Entzündung  ge- 
steigert, welche  die  Capillargefässe  durch  Blutcoagula  verstopft, 
so  muss  die  Secretion  abnehmen,  und  endlich  imterbleiben.  Findet 
sich  eine  andere  Drüse  von  gleichem  Baue  vor,  so  kann  sie  vica- 
riirend  wirken.  —  Wird  die  Gallenbereitung  in  der  Leber  unter- 
brochen, so  kann  der  im  Blutplasma  aufgelöste  Farbestoff  der  Galle 
in  allen  übrigen  Geweben,  welche  ihrer  Ernährung  wegen  mit  Blut- 
plasma getränkt  werden,  zum  Vorschein  kommen,  und  Gelbsucht 
entstehen,  so  wie,  nach  Unterbrechung  der  Harnsecretion ,  die 
Schweiss-  und  Serumbildung  den  urinösen  Charakter,  der  schon 
durch  den  Geruch  erkennbar  ist,  annehmen.  Wirkt  die  Steigerung 
Einer  Secretion  vermindernd  auf  eine  andere  ein,  so  sagt  man 
beide  stehen  in  einem  antagonistischen  Verhältnisse.  So  wird 
die  Milchsecretion  durch  vermehrte  Darmabsonderung  (Diarrhöe), 
die  Harnsecretion  durch  Schweiss,  die  Serumausschwitzung  im 
Bindegewebe  (Wassersucht)  durch  urintreibende  Mittel  vermindert, 
und  die  ärztliche  Behandlung  so  vieler  Absonderungskrankheiten 
geht  von  dem  Antagonismus  der  Secretionen  als  oberstem  Prin- 
cipe aus. 

9.  Die  Absonderung  findet  nicht  blos  in  den  Acini  der  baum- 
förmig  ramificirten  Ausführungsgänge  statt.  Sie  ist  vielmehr  an 
der  ganzen  inneren  Oberfläche  des  verzweigten  Ausführungsganges 
thätig.  —  Die  Secrete  erleiden  während  ihrer  Weiterbeförderung 
durch  die  Ausftihnmgsgänge  eine  Veränderung  ihrer  Mischung,  die 
zunächst  als  Eindickung  oder  Conc^ntrA^tAn  Argcheint  In  den 
Nieren  tritt  dieses    am    ^'  um  so 


228  S*  9i.  Allgemeine  Bemerknngeii  Aber  die  Abeondeningen. 

concentrirter  wird,  je  näher  er  der  fllr  ihn  bestimmten  Ableitungs- 
röhre kommt.  Ebenso  ist  der  Same  im  Vas  deferens  dicker  als 
jener  der  Hodenkanälchen,  in  welchen  sich  noch  keine  Samenthier- 
chen  vorfinden. 

10.  Viele  Drüsen,  welche  fortwährend  absondern,  haben  an 
ihren  Hauptausführungsgängen  grössere  Reservoirs  angebracht,  in 
welchen  die  abgesonderten  Flüssigkeiten  entweder  blos  bis  zur 
Ausleerungszeit  aufbewahrt,  oder  auch  durch  Absorption  ihrer  wäs- 
serigen Bestandtheile,  und  durch  Hinzufügung  der  Absonderungen 
der  Reservoirs  selbst,  in  ihrer  Zusammensetzung  verändert  werden 
(Gallenblase,  Samenblase,  Harnblase).  Wird  die  Aussonderung  des 
Secretes  längere  Zeit  unterlassen,  so  sind  die  Drüsenkanäle  damit 
tiberfüllt,   und   es  kann  keine  fernere  Absonderung  vor  sich  gehen. 

11.  Langer  Secretionsstillstand  hebt  die  Absonderungsftlhigkeit 
der  Drüse  ganz  und  gar  auf,  wie  im  Qegentheile  häufigere  natur- 
gemässe  Entleerungen  derselben  ihre  secretorische  Thätigkeit  durch 
Uebung  stärken.  So  kann  das  anfangs  einem  gesunden  Menschen 
gewiss  schwer  fallende  Gelübde  der  Keuschheit,  mit  der  Zeit  leicht 
zu  halten  sein,  während  andererseits  häufige  Begattung  für  gewisse 
Temperamente  eine  Gewohnheit,  imd  wohl  auch  eine  Nothwendig- 
keit  werden  kann. 

12.  Krankhafte  Vermehrung  der  Absonderung  kann  auf  zwei- 
fache Weise  entstehen,  durch  Reizung,  oder  durch  örtliche  Schwäche. 
Im  ersten  Falle  wird  das  Secret  keine  Mischungsänderung  erleiden, 
im  zweiten  dagegen  werden  seine  wässerigen  Bestandtheile  präva- 
liren.  So  ist  häufiges  Schwitzen  Folge  örtlicher  Schwäche  der  Haut, 
und  die  Mischung  aller  krankhaften  Profluvien  (Samen-,  Speichel-, 
Schleimflttsse ,  etc.)  ist  arm  an  plastischen,  reich  an  wässerigen 
Bestandtheilen.  —  Bei  Krankheiten,  welche  mit  Abzehrung,  allge- 
meinem Verfalle,  imd  Entmischung  der  Blutmasse  einhergehen, 
können  alle  Secretionen  zugleich  profus  imd  wässerig  werden.  Ein 
solennes  Beispiel  davon  giebt  die  Lungensucht,  mit  ihren  erschöpfen- 
den Schweissen,  Durchfeilen,  örtlicher  und  allgemeiner  Wassersucht. 


ZWEITES  BUCH. 


Vereinigte  Knochen-  und  Bänderlehre. 


§.  93.   Object  der  Knochen-  und  Bänderlelire. 

jjie  vereinigte  Knochen-  und  Bänderlehre,  Osteo-iSyndes- 
mologia,  beschäftigt  sich  mit  der  Beschreibung  der  Knochen,  und 
der  sie  zu  einem  bewegHchen  Ganzen  —  Skelet  —  vereinigenden 
organischen  Bindungsmittel,  der  Bänder.  Ihr  Object  ist  das  natür- 
Hche  Skelet  (Sceleton  iiaturalejj  zum  Unterschiede  vom  künstlichen 
(Sceleton  artificiale),  dessen  Knochen  nicht  durch  natürliche  Bänder, 
sondern  durch  beliebig  gewählte  Ersatzmittel  derselben,  Draht, 
Leder-  oder  Kautschukstreifen,  mit  einander  verbunden  sind.  Da 
weder  die  Knochen,  noch  die  sie  vereinigenden  Bänder,  einer 
selbstthätigen  Bewegung  ftlhig  sind,  und  sie  nur  durch  die  von 
aussen  her  auf  sie  wirkenden  Muskelkräfte  veranlasst  werden,  aus 
dem  Zustande  des  Gleichgewichtes  zu  treten,  so  können  sie,  den 
activen  Muskeln  gegenüber,  auch  als  passive  Bewegungs- 
organe  aufgefasst  werden. 

Die  im  gewöhnUchen  Leben  übliche  Bezeichnung  der  Haupt- 
formbestandtheile  des  menschlichen  Leibes:  als  Kopf,  Rumpf,  obere 
und  untere  Gliedmassen,  ist  auch  in  die  Wissenschaft  übergegan- 
gen, welche  von  den  Knochen  des  Kopfes,  des  Rumpfes,  der 
oberen  und  unteren  Gliedmassen,  als  Hauptabtheilungen  des  Ske- 
lets,  handelt. 

Die  Gesammtzahl  der  Knochen  wird  von  verschiedenen  Auto- 
ren sehr  verschieden  angegeben,  je  nach  dem  sie  einen  Knochen, 
der  aus  mehreren  Stücken  besteht,  für  Einen  Knochen,  oder  für 
so  viele  zählen,  als  er  Stücke  hat.  Wenn  man  Brust-  und  Steiss- 
bein  als  einfache  Knochen  rechnet,  so  besteht  das  menschliche 
Skelet,  mit  Einschluss  der  Zähne  und  Gehörknöchelchen,  aber  ohne 
Sesambeine,  aus  240  Knochen.  Ein  alter  Gedächtnissvers  giebt  sie 
auf  228  an : 

jjOssibus  ex  dejiisj  bis  centenisqfie  novenis.^ 


132  S'  93.    Object  der  Knochen-  nnd  B&nderlehre. 

Das  Wort  Skelet  lässt  sich  nicht  von  ox^XXw  (austrocknen) 
ableiten,  wie  man  im  Sinne  Herodot's  zu  thun  geneigt  war,  der 
von  einem  sole  aindum  et  exsiccatum  cadaver  spricht,  welches  die 
Aegypter  bei  ihren  Festgelagen,  als  Sinnbild  der  Vergänglichkeit, 
jedoch  rosenbekränzt,  aufstellten,  und  mit  dem  Rufe  begrtlssten: 
edite  et  bibite,  —  post  mortem  tales  et-itis.  Skelet  stammt  vielmehr 
von  axdXo;,  Schenkelbein,  welches,  als  der  grösste  Knochen  des 
Skeletes,  ihm  seinen  Namen  gab.  Daher  ist  richtiger  Skelet,  an- 
statt Skellet  oder  Skelett  zu  schreiben. 

Zur  Empfehlung  der  Osteologie  diene  Folgendes.  Eine  genaue  Kenntniss 
des  Knochcnsystems  macht  sich  in  doppelter  Hinsicht  nützlich.  Erstens  in  ana- 
tomischer, da  man  in  dem  Studium  der  Anatomie  keinen  Schritt  vorwärts  machen 
kann,  ohne  beständig  auf  die  Knochen  zurückzukommen,  welche  zu  den  übrigen 
Bestandtheilen  des  menschlichen  Körpers  in  dem  innigsten  topographischen  Ver- 
hältnisse stehen;  zweitens  in  praktischer  Hinsicht,  da  alles  Erkennen  und  alles 
Behandeln  einer  grossen  Anzahl  chirurgischer  Krankheiten,  ohne  richtige  Vor- 
stellung von  den  mechanischen  Verhältnissen  der  Knochen,  unmöglich  ist.  Ich 
kenne  die  Abbildung  einer  alten  Qemme,  in  welcher  ein  griechischer  Priester 
die  Hand  eines  vor  ihm  stehenden  Skeletes  in  jene  der  Hygiea  legt,  während 
ein  fliegender  Genius  über  beide  seine  Fackel  schwingt.  Wahrlich  ein  schönes 
und  tiefes  Symbol  der  innigsten  Verbindung  der  Heilkunde  mit  der  Osteologie! 
Hippokrates,  der  AhnfÜrat  der  Heilkunde,  welcher  dem  Delphi'schen  Apoll 
ein  aus  Erz  geformtes  menschliches  Skelet  verehrte,  hat  schon  vor  3000  Jahren 
seinem  Sohne  Thessalus  die  Lehre  gegeben,  (^dit  Littr^,  vol.  IX.  pag.  392), 
sich  mit  dem  Studium  der  Geometrie  und  Arithmetik,  zum  besseren  Verständniss 
der  Knochenlehre  zu  beschäftigen,  und  Galen  sandte  seine  Schüler  nach 
Deutschland,  um  an  den  Leichen  erschlagener  Germanen  sich  jene  Kenntnisse  zu 
holen,  welche  bei  der  Sitte  der  Römer,  ihre  Leichen  zu  verbrennen,  zu  Hause 
nicht  erworben  werden  konnten. 

Bei  keinem  Systeme  bietet  sich  die  Gelegenheit,  die  Nutzanwendungen 
der  Anatomie  im  Schulvortrage  anschaulich  zu  machen,  so  reichlich  dar,  wie  im 
Knochensysteme,  ]^nd  die  wichtigsten  praktischen  Wahrheiten  können,  ohne  alle 
specielle  Kenntniss  der  chirurgischen  Krankheitslehre,  an  die  Schilderung  der 
Knochen  angeknüpft  werden.  Es  lässt  sich  vor  dem  Skelet  oder  auf  dem  Secif- 
tische  bestimmen,  welche  Knochen  häufig  oder  selten,  und  unter  welchen  Um- 
ständen sie  brechen,  welche  Gelenke  den  Verrenkungen,  und  welchen  Arten  von 
Verrenkungen  sie  unterliegen,  welche  Verschiebung  der  Muskelzug  an  gebroche- 
nen und  verrenkten  Knochen  bedingen  wird,  und  welche  mechanische  Hilfe  da- 
gegen in  Anwendung  zu  bringen  ist.  Die  Osteologie  lehrt  fürwahr  die  Chirurgie 
der  Fracturen  und  Luxationen,  aber  in  anatomischen  Worten. 

Ueberdies  schätzen  wir  zugleich  aus  Nebenrttcksichten  in  der  Osteologie 
jenen  Theil  der  Anatomie,  dessen  Erlernung  nicht  durch  jene  Unannehmlich- 
keiten erschwert  wird,  denen  die  Behandlung  der  weichen,  bluthaltigen ,  der 
Fäulniss  unterliegenden  Bestandtheile  unseres  Leibes  in  den  Secirsälen  nicht 
entgehen  kann.  Ein  gut  bereitetes  Skelet  soll,  so  möchte  ich  es  wünschen,  ein 
friedlicher  Mitbewohner  jeder  medicinischen  Studlrstube  sein ,  dessen  stumme 
Gesellschaft  nützlicher,  und  dessen  Umgang  belehrender  werden  kann,  als  jene 
eines  lebendigen  Contubemalen. 


§.  94.  Einiheilnng  der  Kopf  kaochen.  —  g.  95.  AUgem.  EigensehAflen  der  Sch&delknochen.         233 


A.  Kopfknochen. 

§.  94.   Eintheilimg  der  Kopfknochen. 

Der  knöcherne  Kopf  ist  die  wahre  Hauptsache  der  Osteologie. 
Grösse  und  Gestalt  desselben  wird  durch  den  Zusammentritt  von 
22  Knochen  bedingt,  welche,  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  des 
Unterkiefers,  fest  und  unbeweglich  zusammenpassen,  und,  weil  sie 
grösstentheils  in  die  Kategorie  der  breiten  und  flachen  Knochen 
gehören,  die  Wandungen  von  Höhlen  bilden,  die  zur  Aufnahme 
des  Gehirns  und  der  Sinnesorgane  dienen.  Es  ergiebt  sich  schon 
hieraus  die  Eintheilung  des  Kopfes  in  den  Hirnschädel  oder  die 
Hirnschale  ((7ramwm,  calvaria,  olla  capitis^  theca  cei^ebri),  und  in 
das  Gesicht  (Facies).  Ersterer  wird  durch  8  Schädelknochen 
(Oaaa  cranii),  letzteres  durch  14  Gesichtsknochen  (Ossa  faciei) 
gebildet,  welche  Unterscheidung  mehr  praktisch  geläufig,  als  wissen- 
schaftlich ist,  indem  gewisse  Schädelknochen  auch  an  der  Zusam- 
mensetzung des  Gesichtes  Theil  nehmen,  und  einer  derselben,  das 
Siebbein,  mit  Ausschluss  eines  sehr  kleinen  Theiles  seiner  Ober- 
fläche, ganz  dem  Gesichte  angehört. 

CtUvaria  stammt  von  ealviu^  der  Glätte  des  Schädeldaches  wegen. 


a)    Schädelknochen. 
§.  95.   Allgemeine  Eigenschaften  der  Schädelknochen. 

Man  unterscheidet  am  Schädel  das  Schädeldach  und  den 
Schädelgrund  {Foniix  und  Basis  cranii),  welche  beide,  als  hohle, 
mehr  weniger  unregelmässige  und  oblonge  Halbkugeln,  das  knö- 
cherne Gehäuse  des  Gehirns  —  die  Acropolis  der  menschlichen 
Seele  —  zusainmensetzen. 

Die  Schädelknochen  werden  in  die  paarigen  und  unpaari- 
gen eingetheilt.  Erstere  sind  die  beiden  Scheitelbeine  und  Schläfe- 
beine. Sie  liegen  symmetrisch  rechts  und  links  von  der  verticalen 
Durchschnittsebene  des  Schädels,  und  bilden  den  grössten  Theil 
der  oberen  und  seitlichen  Wand  desselben.  Letztere  sind:  das 
Hinterhauptbein,  Keilbein,  Stirnbein,  und  Siebbein,  welche  die 
hintere,  die  vordere,  und  die  untere  Wand  des  Schädels  zusam- 
mensetzen. 

Die  paarigen  SohUdelknochen  erzeugen  durch  ihre  Vereinigung 
einen,  von  eio^  ^H«r  den  Scheitel  weggehenden 


234  S*  ^<    Allgemeine  Eigenichailen  der  SchftdelltnocheiL 

Bogen^  deßsen  Concavität  nach  unten  siebt.  Die  unpaarigen  setzen 
dagegen  einen  von  vom  nach  hinten  unter  der  Schädelhöhle  laufen- 
den Bogen  zusammen,  dessen  Concavität  nach  oben  gerichtet  ist. 
Beide  Bogen  schUessen  durch  ihr  Ineinandergreifen  die  Schädel- 
höhle vollkommen  ab,  und  bilden  die  ovale  Schale  derselben  (Hirn- 
schale). Jedes  Stück  dieser  Schale,  also  jeder  Schädelknochen, 
muss  demnach  einen  convex-concaven,  breiten  Knochen  darstellen, 
dessen  convexe  Fläche  nach  aussen,  dessen  concave  Fläche  nach 
dem  Gehirne  sieht.  Beide  Flächen  laufen  selten  parallel,  wodurch 
die  Dicke  eines  Schädelknochens  an  verschiedenen  Stellen  ungleich 
ausfällt.  An  allen  Schädelknochen,  deren  Substanz  an  bestimmten 
Stellen  zu  Höckern  (Tuhera)  verdickt  erscheint,  entsprechen  letztere 
den  ersten  Ablagerungsstellen  von  Knochenerde  im  embryonischen 
Leben  (Puncta  ossißcatioiiis).  Die  Höcker  werden  deshalb  von  den 
englischen  Anatomen  passend  Processus  primigenü  genannt. 

Jeder  Knochen  der  Hirnschale  besteht  aus  zwei  compacten, 
durch  Einschub  schwammiger  Knochenmasse  —  Diploö  —  getrenn- 
ten Platten  oder  Tafeln,  deren  äussere,  dickere,  die  gewöhnlichen 
Merkmale  compacter  Knochensubstanz  besitzt,  deren  innere,  dün- 
nere, und  an  Knochenknorpel  ärmere,  ihrer  Sprödigkeit  und  da- 
durch bedingten  leichteren  Brüchigkeit  wegen,  den  bezeichnenden 
Namen  der  Glastafel,  Tabula  vitrea^  erhielt.  Ein  Schlag  auf  den 
Schädel  kann  deshalb  die  innere  ICnochentafel  brechen,  während 
die  äussere  ganz  bleibt,  und  sind  beide  gebrochen,  kann  die  Bruch- 
richtung in  beiden  eine  verschiedene  sein. 

Die  Diploö  der  Schädelknochen  lässt  wohl  einen  Vergleich 
mit  den  Markhöhlen  langröhriger  Knochen  zu,  enthält  aber  nicht, 
wie  diese,  consistentes  Mark,  sondern  ein  dünnes,  mit  Fetttröpfchen 
gemischtes  Fluidum,  welches  in  der  Leiche  durch  aufgelöstes  Blut- 
roth roth  tingirt  erscheint.  Die  Diploö  ist  arm  an  Arterien,  aber 
sehr  reich  an  weitmaschigen  Venennetzen.  Die  Venen  der  Diploö 
sammeln  sich  zu  grösseren  Stämmen,  welche  in  besonderen,  baum- 
fbrmig  verzweigten  Knochenkanälen  der  Diploö,  Canales  Breschetiy 
verlaufen,  und  zuletzt  die  äussere  oder  innere  Tafel  des  Knochens 
durchbohren,  um  in  benachbarte  äussere  oder  innere  Venenstämme 
einzumünden. 

An  jenen  Gegenden  des  Schädels,  welche  nur  von  wenig 
Weichtheilen  bedeckt  werden ,  wie  das  Schädeldach ,  stehen  die 
beiden  Tafeln  der  Schädolknochen,  wegen  stärkerer  Entwicklung 
der  Diploö ,  weiter  von  einander  ab ,  und  sind  a\ich  absolut  dicker, 
als  an  jenen  Stellen,  welche  durch  Muskellager  bedeckt,  und  da- 
durch vor  Verletzungen  geschützt  werden,  wie  die  Schläfen-  und 
untere  Hinterhauptgegend.  Hier  wird  die  Diploö  sogar  stellenweise 
durch  die  bis  zur  Berührung  gesteigerte  Annäherung  beider  Tafeln 


§.  95.    Allgemeine  Eigenschaften  der  Scb&delknochen.  235 

gänzlich  verdrängt,  und  letztere  verdünnen  sich  zugleich  so  sehr, 
dass  der  B^nochen  durchscheinend  wird.  Auch  an  jenen  Wänden 
der  Schädelhöhle,  welche  diese  von  anstossenden  Höhlen  des  Ge- 
sichts, den  Augenhöhlen  imd  der  Nasenhöhle,  trennen,  tritt  aus 
gleichem  Grunde  eine  bedeutende  Verdünnung  derselben  auf.  —  Im 
höheren  Alter  schwindet  die  Diploö  im  ganzen  Umfange  des  Schä- 
dels, und  die  beiden  Tafeln  der  Schädelknochen,  deren  Dicke 
gleichfalls  abnimmt,  verschmelzen  zu  einer  einfachen  Knochen- 
schale, deren  relative  Dünnheit  imd  Sprödigkeit  die  Ge&hrhchkeit 
der  Schädelverletzungen  im  Greisenalter  erklärt. 

Die  Verbindungsränder  der  Schädelknochen  sind  entweder 
mit  dendritischen  Zacken  besetzt,  durch  deren  Ineinandergreifen 
eine  wahre  Naht,  Sutura  vera  8.  SyntaxU  seirata,  zu  Stande  kommt, 
oder  scharf  auslaufend,  zum  wechselseitigen  Uebereinanderschieben, 
als  Sutura  spwria  8.  sguaTnoaa,  oder  rauh  und  uneben,  um  dem  sie 
zur  Synchondrosia  verbindenden  Zwischenknorpel  eine  grössere  Haft- 
fläche darzubieten. 

Nur  die  äussere  Fläche  der  Schädelknochen  wird  von  einer 
wahren  Beinhaut  [PericraniuTii)  überzogen,  welche  über  die  Nähte 
oberflächUch  weggeht,  faserige  Verlängerungen  in  dieselben  hinein- 
senkt, und  deshalb  von  ihnen  nur  schwer  abgelöst  werden  kann. 
An  der  inneren  Fläche  des  Schädels  fehlt  sie,  und  wird  durch  die 
harte  Hirnhaut  vertreten. 

Da  das  Gehirn  die  Schädelhöhle  vollkommen  ausfüllt,  so 
müssen  die  an  seiner  Oberfläche  vorkommenden,  viel&ltig  ver- 
sdhlungenen  Erhabenheiten  und  Vertiefungen  sich  an  der  inneren 
Tafel  der  eben  im  Entstehen  begriffenen,  und  deshalb  weichen 
Schädelknochen  gewissermassen  abdrücken,  wodurch  die  sogenann- 
ten Fingereindrücke  {Impresswnea  digitatae),  imd  die  dazwischen 
vorspringenden  Erhöhungen  (Juga  cerebralta)  enlstehen. 

Alle  Schädelknochen  werden  von  Löchern  oder  kurzen  Ka- 
nälen durchbolirt,  welche  Nerven  oder  Geftlssen  zum  Durchtritt 
dienen.  Die  Nervenlöcher  finden  sich  bei  allen  Individuen  unter 
denselben  Verhältnissen,  und  fehlen  nie.  Die  Ge&sslöcher  sind, 
wenn  sie  Arterien  durchlassen,  ebenfalls  constant.  Wenn  sie  aber 
Venen,  oder  den  sogenannten  Emissaina  Santorini  angehören,  unter- 
Uegen  sie  an  Grösse,  Zahl  und  Lagerung,  mannigfaltigen  Verschie- 
denheiten, und  fehlen  auch  zuweilen  gänzlich. 

Je  weniger  ein  Schädelknochen  an  der  Bildung  anderer  Höhlen  Antheil 
nimmt,  desto  einfacher  ist  seine  Gestalt,  und  somit  auch  seine  Beschreibung; 
je  mehr  er  an  der  Begrenzung  anderer  Höhlen  Theil  hat,  desto  complicirter 
wird  seine  Form. 

Da  man  sich  selbst  aus  den  wortreichaten  Beschreibungen  der  Knochen 
kaum  eine  richtige  Vorstellimg  Ton  ihrer  Gestalt  bUd«ii  kaiio,  befonden  wenn 
diese  80  compUcirt  ist,  wie  .e9  bei  vielen  Kopfloio^lül  te  v*^  ~'<*A  «i 


236  §•  96.    Hinterhaaptbeia. 

T 

für  ein  nützliches  Stadium  der  Osteologie  zur  unerlässlichen  Bedingung,  die  ein- 
zelnen Knochen  in  natura  vor  Augen  zu  halten.  Abbildungen  geben  nur  schlech- 
ten Ersatz.  Das  Besehen  der  Knochen  lehrt  sie  besser  kennen,  als  das  Lesen 
ihrer  Beschreibungen.  'Einen  Knochen  nur  aus  seiner  Beschreibung  sich  so 
richtig  vorzustellen,  dass  man  ihn  nachbilden  könnte,  ist  unmöglich. 


§.  96.  Hmterhauptbeiii.  *) 

Das  Hinterhauptbein,  Os  occipitis,  {ps  puppis,  auch  os  me- 
moriae,  wahrscheinlich  aus  dem  plausibehi  Grunde,  dass  man  sich 
beim  Besinnen  hinter  den  Ohren  kratzt)  wird  zur  fasslicheren  Be- 
schreibung in  vier  Stücke  eingetheilt,  welche  sind:  1.  der  Gnmd- 
theil,  Pars  basilaris;  2.  der  Hinterhaupttheil ,  Pars  ocdpitaUs; 
3.  und  4.  zwei  Gelenktheile,  Partes  condyloideae.  Diese  vier  Stücke 
sind  um  das  grosse  ovale  Loch  des  Ejiochens  —  Foramen  occipi- 
tale  magnum  —  so  gruppirt,  dass  der  Grundtheil  vor,  der  Hinter- 
haupttheil  hinter  demselben,  die  beiden  Gelenktheile  seitwärts  von 
ihm  zu  liegen  kommen.  Am  Hinterhauptbeine  neugcbomer  Kinder, 
imd  mehrerer  Thiere  durchs  ganze  Leben  hindurch,  sind  diese 
vier  Stücke  blos  durch  Knorpel  zusammengelöthet,  und  lassen  sich 
leicht  durch  Maceration  von  einander  trennen.  Die  Eintheilung  des 
vollkommen  entwickelten  Knochens  in  vier  Stücke  hat  somit  nichts 
Willkürliches. 

1.  Der  Grundtheil  vermittelt  die  Verbindung  des  Hinter- 
hauptbeines mit  dem  Keilbeine.  Er  verknöchert  imter  allen  Kopf- 
knochen zuerst,  und  stösst  mit  seiner  vorderen  rauhen  Fläche  an 
den  Körper  des  Keilbeins,  welcher  unmittelbar  nach  ihm  ossificirt. 
Eine  zwischenliegende  Knorpelscheibe  verbindet  sie,  verschwindet 
jedoch  vom  15.  Lebensjahre  an,  und  weicht  einer  soliden  Ver- 
schmelzung durch  Knochenmasse,  so  dass  beide  Knochen  von  nun 
an  nur  gewaltsam  durch  die  Säge  von  einander  getrennt  werden 
können.  Die  obere  Fläche  des  Gnindtheiles  bildet  eine  gegen  das 
grosse  Hinterhauptloch  abfallende  Rinne.  Die  untere  ist  ftir  Muskel- 
ansätze rauh  und  gefurcht,  und  durch  eine  longitudinalc  Leiste 
(Orista  ha^ilaiis)  getheilt,  deren  Stelle  zuweilen  ein  abgerundeter 
Höcker  vertritt,  welcher,  da  er  zur  Befestigung  eines  fibrösen 
Streifens  in  der  hinteren  Rachenwand  [Pharynx)  dient,  Tuhei*cxdum 
pharyngeum  genannt  wird.  Die  Seitenflächen  sind  rauh,  ftlr  die 
Anlagerung  der  Schläfebein -Pyramiden. 


*J  Da  das  Hinterhauptbein  um  die  Zeit  der  Geschlechtsreife  mit  dem 
zunächst  vor  ihm  liegenden  Keilbein  durch  Synostose  verschmilzt,  so  fand  sich 
SOmmerring  veranlasst,  beide  Knochen  als  Einen  zusammenzufassen,  und  diesen 
als  0$  batÜare  oder  tpheno-oceipUale  zu  benennen.  Ich  folgte  dieser  Anschauungs- 
weise in  allen  früheren  Aasgaben  dieses  Buches;  verlasse  sie  aber  in  dieser,  um 
beide  Knochen  in  besonderen  Paragraphen  abzuhandeln. 


$.  96.  Rintorbavptbein.  237 

2.  Der  Hinterhaupttheil;  auch  Hinterhauptschuppe  ge- 
nannt, bildet  ein  schalenförmiges;  dreieckiges,  mit  stark  gezahnten 
Seitenrftndem  versehenes  Knochenstück,  an  welchem  sich  eine  vor- 
dere concave,  und  eine  hintere  convexe  Fläche  findet.  An  der 
vorderen  Fläche  ragt  in  der  Mitte  die  Protuberantia  occipttalis 
interna  hervor,  als  Durchkreuzungspunkt  einer  senkrechten  imd 
zweier  querlaufenden  Linien,  welche  die  Emdnentia  cruciata  interna 
zusammensetzen.  Der  senkrechte  Schenkel  des  E^reuzes  zeigt  sich 
unterhalb  der  Querlinien  besonders  scharf  imd  vorspringend,  imd 
heisst  deshalb  auch  Criata  occipttalis  interna.  In  der  Regel  spaltet 
sich  diese  Crista,  während  sie  zum  grossen  Hinterhauptloch  herab- 
zieht, gabelförmig.  Die  beiden  Querschenkel  fassen  eine  Furche 
zwichen  sich  (Sulcus  transversus),  deren  rechte  Hälfte  häufig  tiefer 
als  die  linke  gefunden  wird,  und  sich  von  der  Protubei*antia  an, 
nach  oben  als  Sulcus  longitudinalis  verlängert.  Die  Sulci  dienen 
zur  Aufnahme  gleichnamiger  Blutleiter  der  harten  Hirnhaut.  Durch 
die  kreuzförmige  Erhabenheit  zerfällt  die  vordere  Fläche  der  Schuppe 
in  vier  Gruben,  von  welchen  die  beiden  oberen  die  Enden  der  hin- 
teren Lappen  des  grossen  Gehirns,  die  beiden  unteren  die  zwei 
Hemisphären  des  kleinen  Gehirns  aufnehmen.  Hält  man  den  Kno- 
chen gegen  das  Licht,  so  erblickt  man  ein  gegen  diese  vier  durch- 
scheii^enden  Gruben  dunkel  abstechendes  Kreuz.  Die  Knochen- 
wand der  unteren  Gruben  ist  dünner,  als  jene  der  oberen,  und  im 
decrepiden  Greisenalter  selbst  absolut  dünner,  als  beim  neugebor- 
nen  Kinde. 

An  der  hinteren  Fläche  der  Schuppe  bemerkt  man  die  zu- 
weilen auffallend  stark  entwickelte,  und  am  Lebenden  durch  die 
Haut  gut  zu  fühlende  Protubei^aiitia  occipitalis  exteima,  welche  der 
inneren  nicht  entspricht,  sondern  etwas  über  ihr  steht.  Sie  schickt 
zum  Hinterhauptloche  die  Crista  occipitalis  extei^na  herab,  welche 
durch  die  beiden  quergerichteten  Lineare  arcivatae  s,  semicirculares 
extemae  durchschnitten  wird.  Letztere  fallen  nur  bei  Schädeln 
muskelstarkcr  und  bejahrter  Individuen  auf,  bei  welchen  auch  die 
Protvherantia  externa  entsprechender  Entwicklung  sich  erfreut. 

Jeder  der  beiden  Seitenränder,  welche  an  der  Spitze  des 
Hinterhaupttheils  zusammen stossen  (wie  die  beiden  Schenkel  eines 
griechischen  A),  zerfällt  in  ein  oberes  längeres  Segment  {Margo 
lambdoideus)j  zur  Verbindung  mit  dem  hinteren  Rande  des  Seiten- 
wandbeins,  und  in  ein  unteres  kürzeres,  weniger  gezacktes  (Margo 
mastoideus),  zur  Verbindung  mit  dem  Warzentheil  des  Schläfebeins. 

3.  u.  4.  Die  beiden  Gelenk-  oder  Seitentheile  verbinden 
den  Grundtheil  mit  der  Hinterhauptschuppe.  Man  erwähui  an  ibnAn 
eine  obere  imd  untere  Fläche,  und  «wei  f^ 


238  S-  M.   mnterliaapibein. 

An  der  unteren  Fläche  beider  Seitentheile  ftQlt  uns  ein  ellip- 
tischer,  von  vorn  nach  hinten  convexer,  mit  glatter  Knorpelscheibe 
überzogener   Knopf  auf    (Procesatis  condyloideus  *),     durch   welchen 
der   Schädel   mit   dem    ersten   Halswirbel    articidirt.     Die   Processus 
condyloidüi  beider  Seitentheile  convergiren  mit  ihren  vorderen  Enden, 
welche   etwas   über   den    Rand   des   Hinterhauptloches    hinausragen, 
und  dessen  vorderen  Umfang  verschmälem.   Hinter  dem  Gelenkkopf 
liegt   die  flache  Fossa   coiidyloidea.    Die   sogenannten  Foramina  am- 
dyloidea   werden    als    ein    vorderes    imd    hinteres    unterschieden. 
Beide    sind   eigentlich    kurze   Kanäle,    welche    den   Knochen   schief 
nach  innen  und  oben  durchbohren,   und  jderen  äussere  Oeffnungen, 
wie  ihr  Name  sagt,  vor  und  hinter  dem  Processus  condyloidexis  liegen. 
Das  Foraineii  condyloideum  anteinus  findet  sich  bei   allen  Individuen 
genau  in  denselben  Verhältnissen,   da   es  ein  höchst  constantes  Ge- 
bilde -•—  das  zwölfte  Gehirnnervenpaar  —  aus   dem   Schädel  treten 
lässt.    Fast  regelmässig  mündet    ein   aus   der  Diploe  des  Knochens 
herstammender  Venenkanal   in  dasselbe  ein.    Das  Foramen  condyloi- 
deum posteinus   unterliegt,    da  es   nur    ein   wandelbares    Emissarium 
Santorini  durchlässt,  sehr  vielen  Abweichungen,  fehlt  auch  auf  einer 
oder  auf  beiden  Seiten,  oder  verlängert  sich  in  einen  Kanal,  welcher 
sich  über   die   obere   Fläche   der   Seitentheile  des  Hinterhauptbeins 
bis   in    die    gleich   zu   erwähnende   Incisura  jugularis  erstreckt,    in 
welchem   Falle    die    obere  Wand   dieses    Kanals   sehr  dünn,  durch- 
scheinend,   selbst    durchbrochen   gefimden   wird.    Auf  der   oberen 
Fläche  ragt  der   massig  gewölbte  Processtis  anonymus  s.   Tuberculum 
jugulare  hei'vor.     Der    erstere   Name   ist   Zeuge   seiner  Bedeutungs- 
losigkeit.   —    Der  innere   glatte   Rand  beider  Gelenkstheile  bildet 
den  Seitenrand  des   grossen  Hinterhauptloches;   der   äussere  Rand 
zeigt  einen  tiefen,  halbmondförmig  gebuchteten  Golf  (Incisura  jugu- 
laris), an  dessen  hinterem   Ende  ein  dreiseitiger,  etwas  gekrtlmmter 
und  stumpfer  Fortsatz,  als  Processus  jugularis,  zu  erwähnen  ist.    Er 
wird  bei  oberer  Ansicht  von  einer  halbkreisförmigen  Furche  ftlr  den 
Querblutleiter  der  harten   Hirnhaut  umgeben.  Die  Furche  endet  in 
der  Incisura  jugularis. 

Der  Hinterhauptknochen  erscheint  selbst  an  den  wohlgebildctsten  iSchädeln 
selten  symmetrisch,  und  bietet,  nebst  dem  als  ursprunglicher  Entwicklungsfehler 
auftretenden,  theilweisen  oder  completen  Mangel  der  Schuppe  beim  Hirnbruch, 
folgende  Spielarten  dar:  1.  Mehr  weniger  vollständiges  Verwachsensein  mit  dem 
ersten  Halswirbel,  als  angebomo  Ilemmungsbildung  (Assimilation),  worüber  Aus- 
führliches vorliegt  in  Bockshammer's  Diss.  inauguralit,  Tuh.  1861.  2.  Die  über- 
knorpelte  Fläche  der  Procesm*  condyloideif  durch  eine  rauhe  Furche  in  zwei 
liintcreinander  liegende   Facetten  getheilt    Diese  Anomalie  datirt  aus  den  frühe- 


*)  Krause  leitet  dieses  Wort  von  xov8o(,  rund,  ab.    xov8o(   findet   sich  aber 
bei  keinem  g^echischen  Autor,  dagegen  liest  man  to  xov$u  (-uo;)  runder  Becher. 


8.97.  KeUbein.  239 

ren  EntwicklimgssastäDdeii  des  Knochens,  indem  auch  der  Basilartheil  an  der 
Bildung  des  vorderen  Theiles  der    Procetttu  condtfloidei  Antheil  nehmen    kann. 

3.  Neben  dem  Procttaua  jugtäaru  wächst  ein  als  ProeeatUM  paranuutoideus  in  der 
vergleichenden  Anatomie  bekannter  Fortsatz  nach  unten,  welcher  bis  an  den 
Seitentheil    des    ersten    Halswirbels    herabreicht,    und  selbst    mit   ihm    articulirt 

4.  Von  der  Spitze  der  Schuppe,  oder  vom  Seitenrande  derselben  läuft  eine  Fis- 
sur, als  nicht  verknöcherte,  «und  im  frischen  Zustande  durch  Knorpel  verschlos- 
sene feine  Spalte,  gegen  me  ProtuberarUia  externa.  Kann  für  Fractur  gehalten 
werden.  Bei  VerwundungsfäUen  am  Lebenden  wäre  die  Unterscheidung  leicht, 
da  letztere  blutet,  erstere  aber  nicht.  5.  Ein  an  der  unteren  Fläche  der  Pars 
condyloidea  (an  der  Ansatzstelle  des  Musculus  reclus  capitis  anticus  lateralis)  be- 
findlicher, blasig  gehöhlter  Fortsatz,  welcher  mit  den  Zellen  des  Processus  mastoi- 
deus  des  Schläfebeins  communicirt,  wurde  als  Processus  pneumaticus  von  mir 
zuerst  beschrieben  (Wiener  Med.  Wochenschrift,  1860,  Nr.  46,  und  London 
Quartei'ly  Review  of  NcU,  Hist.  IS 62,  January),  6.  Die  Schuppe  wird  durch  eine 
quere,  höchst  selten  durch  eine  longitudinale  Naht  geschnitten.  7.  In  der  Mitte 
der  vorderen  Peripherie  des  grossen  Hintcrhauptloches  findet  sich  eine  kleine 
Gelenkgrube  zur  Articulation  mit  dem  Zahnfortsatz  des  zweiten  Halswirbels 
(kommt  öfter  vor,  und  ist  bei  mehreren  Säugethieren  zur  Regel  erhoben).  8.  Als 
sehr  seltene  Bildungsabweichung  des  Hinterhauptbeins,  und  zugleich  als  interes- 
sante Thierähnlichkeit  (Vögel  und  beschuppte  Amphibien)  existirt  in  der  Mitte 
des  vorderen  Halbkreises  des  grossen  Hinterhauptloches  ein  convexer  und  ttber- 
knorpelter  Höcker,  als  ein  dritter  Gelenkknopf,  der  auf  einer  entsprechend  aus- 
gehöhlten flachen  Grube  des  vorderen  Halbringes  des  Atlas  spielt  (Grub er). 


§.  97.  Keilbein. 

Das  Keilbein^  Os  cuneiforme  {Synonyma:  Oa  sphenoideum, 
sphecoideum,  vespiforme,  alatum,  polymorphon,  pterygoidetwi^  Os  carhiae, 
Oa  colatorii)  hat,  wie  die  vielen  Synonyma  bezeugen  dürften,  eine 
sehr  complicirte  Gestalt.  Die  gebräuchlichste  von  diesen  Bezeich- 
nungen ist :  Os  sphenoideumj  abgeleitet  von  a^pn^v,  Keil,  und  sI$o?,  Ge- 
stalt. Der  Knochen  wird  zur  Bildung  des  Grundes  und  der  Seiten- 
wand der  Schädelhöhle  verwendet.  Er  verbindet  sich  mit  allen 
übrigen  Knochen  der  Hirnschale,  und  mit  den  meisten  Knochen 
des  Gesichtes.  Hiedurch  wird  seine  Beschreibung  sehr  umständlich. 
Wir  geben  nur  das  Wesentliche  davon. 

Die  Einfalt  der  Alten  sah  in  der  Form  dieses  Knochens  eine 
Aehnlichkeit  mit  einem  fliegenden  Insecte,  woher  die  jetzt  noch 
übliche  Eintheilung  in  Körper  und  Flügel  stammt. 

a)  Der  Körper,  der  mittlere,  in  der  Medianlinie  des  Schädel- 
grundes liegende  Theil  des  Knochens,  ist  es,  welcher,  seiner  keil- 
förmigen Gestalt  wegen,  dem  ganzen  Knochen  den  Namen  des 
Keilbeins  verschaffte. 

Denkt  man  sich  nämlich  alle  Fltlgel  des  Knochens  weggeschnitten,  so  hat 
der  zurückbleibende  KOrper  eine  Keilgestalt,  indem  seine  obere  Flieh« 
als    seine   untere   ist,    seine  vordere  und  hintere   Fliehe 


240  §•  ^'   KeilbelB. 

convergiren.  Man  könnte  auch  den  Namen  Keilbein  dadurch  motiviren,  daas  die 
grossen  Flügel  dieses  Knochens  keilähnlich  zwischen  die  angrenzenden  Knochen 
der  Hirnschale  eingetrieben  sind. 

Der  Eeilbeinkörper  ist  dünnwandig,  und  Bchliesst  eine  Höhle 
ein,  welche  durch  eine  verticale,  häufig  nicht  symmetrisch  stehende 
Scheidewand,  in  zwei  seitliche  Fächer  (Sinus  spkenoidales)  zerfkllt. 
Er  zeigt  6  Flächen,  oder  besser  Gegenden,  von  welchen  die  obere 
und  die  beiden  seitlichen  in  die  Schädelhöhle  sehen,  während  die 
vordere  und  untere  gegen  die  Nasenhöhle  gerichtet  sind,  und  die 
hintere  bei  jüngeren  Individuen  durch  Knorpel  an  das  Basilarstück 
des  Hinterhauptknochens  angelöthet  wird,  bei  älteren  aber  durch 
Knochenmasse  mit  ihm  verschmilzt.  Die  obere  Fläche  des  Körpers 
ist  sattelförmig  ausgehöhlt,  Türkensattel  (Sella  turcica^  equina, 
Ephippium),  zur  Aufnahme  des  Gehimanhangs  (Hypophysis  s,  Glan- 
dtUa  pituitaria  cerebri).  Die  hintere  Wand  der  Sattelgrube  wird 
durch  eine  schräg  nach  vom  ansteigende  Knochenwand,  die  Sattel- 
lehne, Dorstim  ephippüj  gebildet,  an  deren  Ecken  die  nach  hinten 
und  aussen  gerichteten,  kleinen,  konischen,  und  nicht  immer  deut- 
lichen Processus  cltnoidei  postici  aufsitzen.  Die  hintere  Fläche  der 
Sattellehne  geht  in  einer  Flucht  in  die  obere  Fläche  des  Basilar- 
theiles  des  Hinterhauptknochens  über,  und  bildet  mit  ihr  eine  ab- 
schüssige Ebene  —  den  sogenannten  Clivus.  Häufig  findet  sich 
vor  der  Sattelgrube  ein  stumpfer  Knochenhöcker  —  der  Sattel- 
knopf^  Tuberculum  ephippii  s.  Eminentla  olivaria,  —  und  beider- 
seits von  diesem  die  sehr  kleinen,  meistens  nur  als  Höckerchen 
angedeuteten,  Processus  clinoidei  medii. 

Diese  Procetaus  clinoidei  medii  können  aber  ausnahmsweise  so  gross  wer- 
den, dass  sie  auf  die  Spitzen  der  später  zu  erwähnenden  Proceasua  clinoidei 
anteriores  zuwachsen,  sie  berühren,  oder  mit  ihnen  verschmelzen,  wodurch  eine 
Oeifnuug  zu  Stande  kommt,  welche  die  Carotis  durchpassiren  lässt,  und  als 
abnormes  Foramen  carotico-clinoideum  bezeichnet  wird. 

Die  beiden  Seitenflächen  des  Keilbeinkörpers  zeigen  eine 
seichte,  schräg  nach  vom  und  oben  im  Bogen  aufsteigende  Furche 
(Sulcus  caroticus)  für  den  Verlauf  der  Hauptschlagader  (Carotis)  des 
Gehirns.  Diese  Furche  wird  durch  ein  an  der  äusseren  Lefze  ihres 
hinteren  Endes  hervorragendes  Knochenblättchen  (IJngula)  nicht 
unerheblich  vertieft.  —  Die  vordere  Fläche  besitzt  zwei,  durch  eine 
vorspringende  senkrechte  Knochenleiste  {CinsUi  sphenoidaUs)  von  ein- 
ander getrennte,  unregelmässige  Oeffnungen,  welche  in  die  beiden 
seitlichen  Fächer  der  Keilbeinshöhle  führen.  —  Die  untere  Fläche 
des  Keilbeinkörpers  ist  die  kleinste.  Ein  medianer  scharfer  Kamm, 
als  Crista  sphenoidalis ,  halbirt  sie.  Dieser  Kamm  verlängert  sich 
nach  vom  zum  scharfkantigen  und  spitzigen  Keilbeinschnabel 
{Bastrum  sphenoidale).    Eine  zu  beiden  Seiten  der  Crista  sphenoidalis 


|.  97.   KeJlbein.  241 

vorkommende  Längenfarche ,  wird  durch  die  Ueberlagerung  des 
später  zu  erwähnenden  Processus  sphenoidalis  des  Gaumenbeins,  zu 
einem  Kanal  geschlossen  {Canalis  sphenopatattnus). 

b)  Die  Flügel  des  Keilbeins  bilden  drei  Paare,  welche  in 
die  kleinen  und  grossen  Flügel,  und  in  die  flügelartigen  Fortsätze 
eingetheilt  werden. 

1.  Paar.  Kleine  Flügel,  Aloe  minores  s,  Processus  ensiformes, 
Sie  entspringen  vom  vorderen  Theile  der  oberen  Fläche  des  Kör- 
pers, jeder  mit  zwei  Wurzeln,  welche  das  Seh  loch  {Foramen  opti- 
cum)  zwischen  sich  fassen.  Sie  haben  die  Gestalt  eines  Krumm- 
säbels, und  liegen  ziemlich  horizontal,  mit  einer  oberen  und  einer 
unteren  Fläche,  einem  vorderen,  geraden,  massig  gezackten,  und 
einem  hinteren,  concaven  und  glatten  Rande.  Das  innere,  nach 
der  Sattellehne  gerichtete  Ende  derselben  ist  der  Processi^  cb'noidetis 
anterior,  welche  Benennung  von  mehreren  Autoren  auf  den  ganzen 
kleinen  Flügel  übertragen  wird.  Das  äussere  spitzige  Ende  erlangt 
zuweilen  die  Selbstständigkeit  eines  besonderen,  in  die  harte  Hirn- 
haut eingewachsenen  Knöchelchens. 

Die  vorderen  Ränder  der  beiden  kleinen  Flügel  laufen  continuirlieh  in 
einander  Über.  An  ihrer  medianen  Vereinigungsstelle  ragt  öfters  ein  nnpaarer 
spitziger  Fortsatz  hervor,  welcher  von  einem  Einschnitt  des  hinteren  Randes  der 
Siebplatte  des  Siebbeins  aufgenommen  wird,  und  deshalb  Spina  ethmoidalis  heisst. 
Seitwärts  von  der  Spina  ethmoidalis  kommen  zuweilen  die  ihr  ähnlichen,  aber 
kleineren,  von  Luschka  als  Alae  minijnae  beschriebenen  Knochenplättchcn  vor, 
welche  nur  bei  den  Arten  der  Gattung  Canis  zu  constanten  Vorkommnissen  werden. 

2.  Paar.  Die  grossen  Flügel,  Aloe  magnaey  entspringen 
jeder  von  einer  Seite  des  Körpers,  und  krümmen  sich  nach  aus- 
und  aufwärts.  Man  imterscheidet  an  ihnen  3  Flächen,  und  eben 
so  viele  Ränder.  Die  Flächen  werden  nach  den  Höhlen  benannt,* 
gegen  welche  sie  gekehrt  sind.  Die  Schädelhöhlen  fläche  (Super- 
ficies  cerehralis  s,  interna)  ist  concav,  -mit  flachen  Impi*essi/mes  digi, 
tatae  und  Juga  cerebralia  versehen.  Eine  Grefässfurche,  welche  den 
oberen  äusseren  Bezirk  dieser  Fläche  in  schiefer  Richtung  nach 
vorn  und  oben  kreuzt,  und  zur  Aufnahme  des  vorderen  Zweiges 
der  Aii£ria  meningea  media  sammt  deren  Begleitungsvenen  dient, 
wird  von  den  meisten  anatomischen  Handbüchern  ignorirt.  —  Die 
Schläfen  fläche  (Supe^'ßcies  teniporalis  s.  externa)  eben  so  gross, 
von  oben  nach  unten  convex,  von  vom  nach  hinten  concav,  hegt 
an  der  Aussenseite  des  Schädels  in  der  Schläfengrube  zu  Tage, 
und  wird  beiläufig  in  ihrer  Mitte  durch  eine  querlaufende  Leiste 
(Crista  alae  magnae)  in  zwei  über  einander  liegende  kleinere  Felder 
geschnitten,  von  denen  nur  das  obere  in  der  Schläfengrube  eines 
ganzen  Schädels  sichtbar  ist,  während  das  untere  an  der  Basis  des 
Schädels   liegt    Das   vordere   Ende  der   quere* 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Aiutomie. 


242  8-  »'•   Keilbein. 

0' 

Sich  zum  Tuberculum  spinosum,  einer  dreieckigen,  mit  der  Spitze 
nach  unten  und  hinten  ragenden  Knochenzacke.  —  Die  rauten- 
förmige, ebene  und  glatte  Augenhöhlen  fläche  {Superficies  orhi- 
talis  8,  cunterioi')  ist  die  kleinste,  und  bildet  den  hinteren  Theil  der 
äusseren  Wand  der  Augenhöhle. 

Es  lassen  sich  am  grossen  Keilbeinflügel  drei  Ränder  unter- 
scheiden: ein  oberer,  ein  hinterer,  und  ein  vorderer.  Jeder 
derselben  besteht  aus  zwei,  unter  einem  vorspringenden  Winkel 
zusammenstossenden  Segmenten,  weshalb  von  älteren  Schriftstellern 
6  Flügelränder  angenommen  wurden.  Sie  bilden  zusammen  die 
polygonale  Contour  der  Ala  magna,  welche  mit  den  zackigen  Rän- 
dern eines  Fledermausflügels  entfernte  Aehnlichkeit  hat.  Der  obere 
Rand  erstreckt  sich  vom  Ursprünge  des  grossen  Flügels  bis  zur 
höchsten  Spitze  desselben.  Sein  äusseres  Segment  bildet  eine  rauhe 
dreieckige  Fläche,  die  zur  Anlagerung  des  Stirnbeins  dient.  Die 
hintere  äusserste  Ecke  des  Dreiecks,  in  eine  scharfe  dünne  Schuppe 
auslaufend,  stösst  an  den  vorderen  unteren  Winkel  des  Seiten- 
wandbeins.  Sein  inneres  Segment  ist  nicht  gezackt,  sondern  schnei- 
dend zugeschärft,  sieht  der  unteren  Fläche  der  Ala  minw  entgegen, 
und  erzeugt  mit  ihr  die  schräge  nach  aus-  und  aufwärts  gerichtete, 
nach  innen  weitere,  nach  aussen  spitzig  zulaufende  obere  Augen- 
grubenspalte  {Fissur a  sphenoidalis  s.  orhitalis  superiw).  Das  äussere 
Segment  bildet  zugleich  den  oberen,  das  innere  den  inneren  Rand 
der  rhomboidalen  Augenhöhlenfläche  des  grossen  Flügels.  —  Der 
hintere  Rand  erzeugt  durch  seine  beiden  Abschnitte  einen  nach 
hinten,  zwischen  Schuppe  und  Pyramide  des  Schläfebeins  einge- 
keilten vorspringenden  Winkel,  an  dessen  äusserstcm  Ende  nach 
unten  eine  mehr  weniger  konisch  zugespitzte  Zacke,  als  Dorn, 
Stachel,  Spina  angidaris,  hervorragt.  Findet  sich  statt  der  Zacke 
ein  scharfkantiges  Knochenblatt,  so  nennt  man  dieses  (obwohl  histo- 
risch unrichtig)  Ala  parva  Ingrassiae.  —  Der  vordere  Rand  ver- 
vollständigt durch  seine  beiden  Segmente  die  Umrandung  der  Siipei*- 
ficies  orhitalis.  Sein  oberes  Segment  ist  gezackt,  zur  Verbindung 
mit  dem  Jochbeine,  das  untere  Segment  ist  glatt,  und  dem  hinteren 
Rande  der  Augenhöhlenfläche  des  Oberkiefers  zugewendet,  mit  wel- 
chem es  die  untere  Augeng  rubenspalte  {Fissnra  sphenoinaxil- 
laris  8.  orhitalis  inferior)  bildet. 

Der  Name  Ala  parva  Ingrassiae  bezieht  sich  auf  Phil.  Ingrassias,  einen 
Bicilianiflchen  Arzt  und  Anatomen  des  16.  Jahrhunderts.  Was  dieser  jedoch  Ala 
parva  nannte,  ist  der  frUher  erwähnte  Processus  ensifonnis  des  Keilbeinkörpers 
Hyrtl,  Berichtigung  über  die  Ala  parva  Ingrassiaej  Sitzungsberichte  der  kais. 
Akad.  1858.  pag.  284. 

Der   grosse   Flügel  wird  durch   drei  constante  Löcher  durch- 
bohrt.   1.  Das  runde  Loch  liegt  in  dem  Wurzelstücke  des  grossen 


(.  97.  Keilbein.  243 

Flügels,  neben  den  Seiten  des  Keilbeinkörpers.  Der  zweite  Ast 
des  fünften  Nervenpaares  geht  durch  dasselbe  aus  der  Schädel- 
höhle heraus.  2.  Das  ovale,  und  knapp  an  und  hinter  ihm  3.  das 
kleine  Dornenloch  (Forameii  spinoaum,  richtiger  JPara7?iön  in  spina)^ 
liegen  am  inneren  Abschnitte  des  hinteren  Flügelrandes,  und  dienen, 
ersteres  dem  dritten  Aste  des  ftlnften  Paares  zum  Austritte,  letzteres 
der  mittleren  harten  Himhautarterie  zum  Eintritte  in  die  Schädelhöhle. 

Am  äusseren  Segmente  des  oberen  Randes,  und  an  der  Schläfenfläche  des 
grossen  Flügels,  finden  sich  an  Grösse,  Zahl  und  Lagerung  wandelbare  Löcher 
für  die  DiploSvenen,  wohl  auch  für  kleinere  Zweige  der  Arieria  meningea  mediaj 
welche  von  der  Schädelhöhle  aus  in  die  Schläfegrube  gelangen« 

3.  Paar.  Die  flügelartigen  Fortsätze,  Processus  pterygoidei 
(rrepu§,  ein  Flügel),  auch  Alae  inferiores  s,  palatinae  genannt,  gehen 
nicht  vom  Keilbeinkörper,  sondern  von  der  unteren  Fläche  der  Ur- 
sprungswurzel des  grossen  Flügels  aus.  Sie  steigen,  nur  wenig 
divergirend,  nach  abwärts,  und  bestehen  aus  zwei  Lamellen  (Lami- 
nae  pterygoideae),  welche  nach  hinten  auseinander  stehen,  imd  eine 
Grube  zwischen  sich  fassen,  Flügelgrube,  Fossa  pterygoidea.  Die 
äussere  Lamelle  ist  kürzer,  aber  breiter  als  die  innere,  die  mit 
einem  nach  hinten  und  aussen  gekrümmten  Haken  (Hamulus  ptery- 
goideus)  endet.  Unten  trennt  beide  Lamellen  ein  einspringender' 
Winkel  (Incisura  s,  Fissura  pterygoidea),  welcher  durch  den  Pyra- 
midenfortsatz des  Gaumenbeins  ausgefüllt  wird.  An  der  oberen 
Hälfte  des  hinteren  Randes  der  inneren  Lamelle  zieht  eine  flache 
Furche  {Sulcus  tvhae  Eustachianae)  nach  aussen  und  oben  hin. 
Zwischen  ihr  und  dem  Foramen  ovale  beginnen  die  beiden,  in  der 
Neurologie  wichtigen,  wenn  auch  nicht  constanten  Canaliculi  ptery- 
goidei s>  sphenoidalesy  von  welchen  der  äussere  an  der  Schädelfläche 
des  grossen  Flügels,  zwischen  der  Lingula  und  dem  Foramen  rotun- 
dum,  der  innere  aber  in  den  Canalis  Vidianus  ausmündet. 

Die  mit  dem  Körper  und  dem  grossen  Flügel  des  Keilbeins 
verschmolzene  Basis  des  Processus  pterygoideus,  wird  durch  einen 
horizontal  ziehenden  Kanal  (Canalis  pterygoideus^  s,  Vidianus)  per- 
forirt,  von  dessen*  vorderem  Ende  eine  Furche  am  vorderen  Rande 
des  Flügelfortsatzes  herabläuft  —  Sulcus  pterygo-palatinus.  Das 
hintere  Ende  des  Vidiankanals  liegt  unmittelbar  unter  der  Lingula 
des  Sulcus  caroticus. 

Einen  integrirenden  Bestandtheil  des  K^eilbeins  bilden  die  Os- 
sicula  Bertini  s,  Comua  sphenoidalia.  Sie  sind  paarige  Deckelkno- 
chen für  die  an  der  vorderen  Wand  des  Keilbeinkörpers  befind- 
lichen grossen  Oeffhungen  der  Sinus  sphenoidales,  deren  Umfang 
sie  von  unten  her  verkleinem.  Ihre  Gestalt  ist  dreieckig,  leicht  ge- 
bogen, indem  sie  sich  von  der  unteren  Fläche  des  Keilbe" 
zur   vorderen  aufkrümmen.    Sie  verschmelzen  frflb^ 


244  6-  91.   KeitbelB. 

Keil-  oder  Siebbein,  und  mit  den  Keilbeinfortsätzen  des  Gaumen- 
beines (jedoch  häufiger,  und  mittelst  zahlreicherer  Berührungspunkte 
mit  ersteren),  so  dass  sie  bei  gewaltsamer  Trennung  der  Schädel- 
knochen an  dem  einen  oder  anderen  Knochen  haften  bleiben,  oder 
zerbrechen,  imd  man  sie  nur  aus  jungen  Individuen  unversehrt 
erhalten  kann. 

Beim  Neugeborenen  besteht  der  Keilbeinkörper  aus  zwei,  noch  unvoll- 
kommen  oder  gar  nicht  yerschmolzenen  Stücken,  einem  vorderen  und  hin- 
teren. Das  vordere  trägt  die  kleinen  Flügel,  das  hintere  die  grossen.  Die 
kleinen  Flügel  sind  mit  dem  vorderen  Keilbeinkörper  knöchern  verschmolzen; 
die  grossen  Flügel  dagegen  mit  dem  hinteren  Keilbeinkörper  durch  Synchondrose 
verbunden.  Bei  vielen  Säugethieren  bleiben  die  beiden  Keilbeine  immer  getrennt, 
und  selbst  beim  Menschen  erhält  sich  öfters  eine,  quer  durch  den  vorderen  Theil 
der  Sattclgrube  ziehende,  am  macerirten  Knochen  wie  ein  klaffender  Riss  aus- 
sehende Trennungsspur,  durch  das  ganze  Leben. 

Ausser  den  im  Texte  angeführten  Varietäten  einzelner  Formtheile  des  Keil- 
beins, pflegen  folgende  noch  vorzukommen.  Die  Keilbeinhöhle  wird  mehrfächerig, 
setzt  sich  in  die  Proeesttis  cUnoidei  anteriores,  selbst  in  die  Schwertflügel  oder  in 
die  9asis  der  Processus  pterygoidei  fort,  oder  entbehrt  der  Scheidewand.  —  Die 
mittleren  Processus  cUnoidei  verschmelzen  durch  knöcherne  Brücken  nicht  nur 
mit  den  vorderen,  sondern  auch  mit  den  hinteren.  Ersteres  geschieht  häufiger, 
und  kommt  auch  allein,  letzteres  nur  in  Verbindung  mit  ersterem  vor.  —  Der 
Clivus  zeichnet  sich  durch  seine  Länge  aus,  oder  verkürzt  sich  bis  auf  3  Linien 
Länge  (Blumenbach).  —  Neben  dem  Foramen  rotundum  existirt  eine  etwas 
kleinere  Oeffnung  zum  Durchgang  von  Venen.  Das  Foramen  ovale  wird  durch 
eine  Brücke  in  zwei  Oeffuungen  getheilt  (3  Fälle  im  Wiener  Museum),  oder  ver- 
schmilzt mit  dem  Foramen  spinosum,  welches  auch  nur  als  Ausschnitt  gesehen 
wird.  —  Ein  oberer  Fortsatz  der  inneren  Lamelle  des  Processus  pterygoideus 
krümmt  sich  unter  die  untere  Körperfläche  als  sogenannter  Scheidenfortsatz, 
Processus  vaginalis.  Die  äussere  Lamelle  wird  mit  der  Spina  angularis  durch 
eine  knöcherne  Spange  verbunden,  welche  Anomalie  als  Verknöcherung  des  von 
Civinini  beschriebenen  Bandes  (Lig.  pterygo-spinosum)  zu  deuten  ist  —  Die 
Lingula  kann  sich  theilweise  als  ein  selbstständiges,  in  die  harte  Hirnhaut  ein- 
gewachsenes Knöchclchen  vom  Keilbein  unabhängig  machon,  oder  auch  sich  bis 
zum  Contact  mit  der  Schläfebeinspitze  verlängern.  —  Ueber  eine  seltene,  aber 
für  die  Anatomie  des  fünften  Nervenpaares  belangreiche  Anomalie  am  Keilbein 
handelt  mein  Aufsatz:  Ueber  den  Porus  crotaphitico-buccinatorius^  in  den  Sitzungs- 
berichten der  kais.  Akad.  1862.  —  Die  Processus  pterggoidei  sind  bei  einigen 
Säugethieren  selbstständige  KnochenstUcke,  die  .durch  Nähte  in  die  grossen  Kcil- 
beinflügel  eingepflanzt  werden. 

Es  leuchtet  ein,  dass  eine  allzufrüh  eintretende  Verwachsung  des  Kcil- 
und  Hinterhauptbeins,  die  Entwicklung  des  Schädelgnindes  und  der  gesammten 
Hirnschale  beeinträchtigen,  und  dadurch  eine  Hemmung  in  der  Entwicklung  des 
Gehirnes  selbst  bedingen  wird.  Eine  solche  Sgnostosis  praecox  wird  deshalb  ein 
anatomisches  Attribut,  wo  nicht  die  Bedingung,  von  Blödsinn  und  Cretinismus  sein. 

Die  etymologische  Erklärung  der  Synonyma  des  Keilbeins  bleibt  dem  münd- 
lichen Vortrage  überlassen. 


§.  »8.    Stirnbein.  245 


§.  98.   Stirnbein. 

Das  Stirnbein,  Oa  frontis  (Synan.:  Os prorae,  syncipüis^  coro- 
nale,  inverecundüm,  daher  das  französische  effrcmterie),  hat  auf  die 
Form  der  Hirnschale  und  zugleich  auf  den  Typus  der  Gesichtsbil- 
dung einen  sehr  bestimmenden  Einfluss.  Es  liegt  am  vorderen 
schmäleren  Ende  des  Schädelovals,  der  Hinterhauptschuppe  gegen- 
tlber,  deren  Attribute  sich  bei  genauem  Vergleiche  an  ihm  theil- 
weise  wiederholen. 

Stirnbein  und  Hinterhauptbein  bilden  gleichsam  das  Vorder-  und  Hint<ir- 
theil  der  kahnförmig  geh($hltcn  Schädelbasis,  deren  Kiel  das  Keilbein  ist.  So 
werden  die  von  Fabricius  ab  Aquapendente  diesen  drei  Knochen  beige- 
legten Namen  von  Schiffstheilen,  als  Ot  prorae,  puppi»,  und  carinae,  verständlich. 

Das  Stirnbein  trägt  zur  Bildung  der  Schädelhöhle,  beider 
Augenhöhlen,  und  der  Nasenhöhle  bei,  und  wird  demgemäss  in  einen 
Stirntheil,  Pars  frontalis^  zwei  Augenhöhlentheile,  Partes  orhi- 
tales,  und  einen  Nasentheil^  Pars  nasalis^  eingetheilt. 

1.  Die  Pars  frontalis  entspricht  durch  Lage  und  Gestalt  der 
Schuppe  des  Hinterhauptbeins,  und  ähnelt,  wie  diese,  einer  flachen 
Muschelschale,  deren  Wölbung,  und  grössere  oder  geringere  Nei- 
gung, einen  wesentlichen  Einfluss  auf  den  Typus  der  Gesichtsbildung 
äussert  Zwei  massig  gekrümmte  obere  Augenhöhlenränder 
{Margines  supraorbitales)  trennen  sie  von  den  beiden  horizontal 
liegenden  Partes  orbitales.  Jeder  derselben  hat  an  seinem  inneren 
Ende  ein  Loch  oder  einen  Ausschnitt  (Föramen  s,  Incisicra  siipra- 
arbitalis)^  zum  Durchgang  eines  synonymen  Gefässes  und  Nerven. 
Zuweilen  findet  sich  an  der  genannten  Stelle  nur  ein  seichter  Ein- 
druck des  Randes.  Nach  aussen  geht  jeder  Rand  in  einen  stum- 
pfen, robusten,  nach  abwärts  gerichteten,  und  unten  gezähnten 
Fortsatz,  Jochfortsatz  {Processus  zygomaticus)  tlber.  Je  näher  an 
diesem  Fortsatz,  desto  schärfer  und  überhängender  wird  der  Margo 
supraorbitalis. 

Die  vordere  Fläche  des  Stimtheiles  ist  convex,  mit  zwei 
halbmondförmigen  Erhabenheiten  oder  Wülsten  —  den  Augen- 
brauenbogen,  Arcus  superciliares ,  —  die  gerade  über  den  Mar* 
gines  supro orbitales  liegen.  Einen  Querfinger  breit  über  den  Augen- 
brauenbogen  bemerkt  man  die  flachen  Beulen  der  Stirnhtigel  — 
Tiibera  frontalia.  Zwischen  den  inneren  Enden  beider  xirctis  super- 
ciliares  und  den  Stimhügeln,  liegt  über  der  Nasenwurzel  die  flache 
und  dreieckige  Stirn  gl  atze,  Glabella  (von  glabei*,  die  glatte,  haar- 
lose Stelle  zwischen  den  Brauen),  deren  Breite  der  Physiognomie 
jenen   denkenden  Ausdruck  verieiht,  wie  wir  ihn  Bitten 


246  §•  ^    Stirnbein. 

von  Pythagoras,  Plato,  und  Newton  vor  uns  haben.  Eine  von  dem 
Processus  zygoTnaticus  bogenförmig  nach  auf-  und  rückwärts  laufende 
rauhe  Linie  oder  Crista,  die  den  Anfang  einer  später,  bei  der  Be- 
schreibung des  Seitenwandbeins,  zu  erwähnenden  Linea  semicircU' 
laris  darstellt,  schneidet  von  der  vorderen  Fläche  der  Pars  frontalis 
ein  kleines,  hinteres  Segment  ab,  welches  in  die  Schläfengrube  ein- 
bezogen, und  vom  Musculus  temporalis,  welcher  daran  zum  Theil 
entspringt,  bedeckt  wird. 

Man  überzeugt  sich  leicht  an  seinem  eigenen  Schädel  durch  ZufUhlen  mit 
den  Fingern,  dass  die  Haarbogen  der  Augenbrauen  (Supeixilia)  nicht  den  Arcus 
superciliares,  sondern  den  Margines  supraorbüales  entsprechen,  und  somit  die  Be- 
nennung der  Arcus  superciliares,  wenn  auch  alt  herkömmlich  und  allgemein  ge- 
bräuchlich, dennoch  unrichtig  ist.  Die  Arcus  superciliares  erscheinen  um  so  mehr 
aufgeworfen,  je  grösser  die  Stirnhöhle. 

Die  hintere,  tief  concave  Fläche,  wird  durch  einen  senkrechten, 
in  der  Richtung  nach  aufwärts  allmälig  niedriger  werdenden  Kamm 
(Crista  frontalis)  in  zwei  gleiche  Hälften  getheilt.  Die  Crista  spaltet 
sich  zugleich  im  Aufsteigen  in  zwei  Schenkel,  die  eine  Furche  be- 
grenzen, welche,  allmäUg  breiter  und  flacher  werdend,  gegen  den 
zackigen  Begrenzungsrand  des  Stirntheils  aufsteigt  Zu  beiden  Sei- 
ten von  ihr  liegen  unregelmässige  rundliche  Grübchen  oder  Ein- 
drücke der  inneren  Tafel,  welche  durch  die,  bei  der  Betrachtung 
der  Hirnhäute  näher  zu  besprechenden,  sogenannten  Pacchioni^schen 
Drüsen  hervorgebracht  werden,  und  zuweilen  die  Mächtigkeit  der 
Ejiochenwand  bis  zum  Durchscheinendwerden  verringern.  —  Der 
mehr  ßls  halbkreisförmige  Rand  des  Stirntheils  {Margo  coronalis) 
beginnt  hinter  dem  Processus  zygomaticus  mit  einer  gezackten  drei- 
eckigen Fläche,  die  zur  Verbindung  mit  einer  ähnhchen  am  oberen 
Rande  des  grossen  Keilbeinflügels  dient. 

2.  und  3.  Die  horizontal  liegenden  Partes  orbitainae  bilden 
mit  der  Pars  frontalis  einen  Winkel.  Sie  erzeugen,  zugleich  mit 
den  kleinen  Keilbeinsflügeln,  die  obere  Wand  beider  Augenhölden, 
und  werden  durch  einen  von  hintenher  zwischen  sie  dringenden 
breiten  Spalt  —  Siebbeinausschnitt,  Incisura  ethmoidalis,  —  von 
einander  getrennt.  Bei  Betrachtung  von  obenher  erscheinen  die 
PaHes  orhitariae  umfilngUcher,  als  bei  unterer  Ansicht.  Die  obere 
Fläche  derselben  hat  stark  ausgesprochene  Juga  cei*ehralia,  und 
trägt  die  Vorderlappen  des  grossen  Gehirns.  Die  untere,  glatte 
und  concave,  gegen  die  Augenhöhle  sehende  Fläche,  vertieft  sich 
gegen  den  Processus  zygomaticus  zur  Thränendrüsengrube  {Fovea 
glandulae  lactn/malis),  und  besitzt  gegen  die  Pars  nasalis  hin,  dicht 
hinter  dem  inneren  Ende  des  Margo  supraorbitalisy  ein  kleines,  häufig 
ganz  verstrichenes  Grübchen  (Foveola  trochkaris) ,  oder  auch  ein 
kurzes,  zuweilen  krummes  Pyramidchen   (Hamulus  tvochlearis) ,  zur 


§.  98.    SUrnbein.  247 

Befestigung  jener  fibrösen  Schleife  oder  knorpeligen  Rolle,  durch 
welche  die  Sehne  des  oberen  schiefen  Augenmuskels  verläuft.  — 
Der  hintere,  zur  Verbindung  mit  den  kleinen  Keilbeinsflügeln  be- 
stimmte, gezackte  Rand,  geht  ohne  Unterbrechung  nach  aussen  in 
den  Margo  coronalis  über.  Der  innere  Rand  begrenzt  die  Incisura 
ethmoidalis.  Eine  Eigenthümlichkeit  dieses  Randes,  der  sich  durch 
seine  Breite  und  sein  zelliges  Ansehen  charakterisirt,  beruht  darin, 
dass  die  obere  Knochenlamelle  der  Pars  orbitalis  um  3  Linien  weiter 
gegen  die  Incisura  ethmoidalis  vordringt,  als  die  untere,  wodurch 
der  Rand  zwei  Lefzen  oder  Säume  bekommt,  die  durch  dünne  und 
regellos  gestellte  Knochenblättchen,  zwischen  welchen  die  erwähnten 
zelligen  Fächer  liegen,  mit  einander  verkehren.  Von  rück-  nach 
vorwärts  nehmen  diese  Fächer  an  Tiefe  zu,  und  führen  endlich  in 
zwei  hinter  der  Glahella  befindliche,  durch  eine  vollständige  oder 
durchbrochene  Scheidewand  getrennte  Höhlen  des  Stirnbeins  (Stirn- 
höhlen, Sinus  frontales),  welche  durch  Divergenz  beider  Tafeln  des 
Knochens  entstehen,  und  sich  zuweilen  bis  in  die  Tubera  frontalia 
und  die  Partus  orhitarias  erstrecken.  Zwischen  der  äusseren  Lefze 
des  inneren  Randes,  und  der  anstossenden  Papierplatte  des  Sieb- 
beins, finden  wir  das  Foramen  ethmoidale  antei^ius  und  posterius,  von 
welchen  das  erstere  häufig  auch  blos  vom  Stirnbeine  gebildet  wird. 
4.  Die  Pars  nasalis  Uegt  vor  der  Incisura  ethmoidalis,  unter 
der  Glabella.  Streng  genommen  wäre  die  ganze  zellige  Umrandimg 
der  Incisura  ethmoidalis,  ihrer  Beziehung  zimi  Siebbeine  wegen,  als 
Nasentheil  des  Stirnbeins  anzusehen.  Aus  der  Mitte  ihres  vorderen 
Endes  ragt  der  obere  Nasenstachel  (Spina  nasalis  superior)  hervor, 
hinter  dessen  breiter,  aber  hohler  Basis,  bei  oberer  Ansicht  ein 
kleines  Loch  vorkommt  (das  blinde  Loch,  Foramen  coecum),  wel- 
ches entweder  directe,  oder  durch  enge  spaltförmige  Seitenöffhun- 
gen  in  die  Stirnhöhlen,  und  mittelbar  durch  diese  in  die  Nasenhöhle 
•führt.  Es  lässt  eine  Vene  durchgehen,  welche  den  Sinu^  falcifm'mis 
major  der  harten  Hirnhaut  mit  den  Venen  der  Nasenhöhle  verbindet, 
und  ist  insofern  kein  blindes  Loch,  sondern  ein  doppelmündiger 
Kanal.  Ueber  der  Spina  nasalis  bemerkt  man  die  halbkreisförmige, 
tief  gezähnte  Incisura  nasalis,  zur  Einzackung  der  Nasenbeine  und 
der  Stirnfortsätze  des  Oberkiefers. 

Einwärts  vom  früher  erwähnten  Foramen  s.  Incisura  supraorhUiUis,  kommt 
öfter  noch  ein  zweiter  Einschnitt  am  oberen  Augenhöhlenrande  vor,  zum  Aus- 
tritte des  Stimnerven  und  seiner  begleitenden  Gefässe.  Nur  selten  wird  dieser 
Ausschnitt  zu  einem  Loche.  Man  könnte  also  mit  W.  Krause  ein  Foramen 
frontale  s.  Incisura  frontalis  vom  Foramen  s,  Incisura  supraorhitalis  unterscheiden. 
Der  Fall,  wo  die  Incisura  supraorbitaUs  sehr  breit  erscheint  (bis  2"')  lässt  sich 
als  Verschmelzung  der  Incisura  frontalis  und  supraorhitalis  nehmen. 

Die  häufigste  und  als  Thieräfanlichkeit  bemerkeoBwerthe  Abweiokung  des 
Stirnbeins  von  der  Norm,  liegt  in  d«r  Qegenwart  einer  8id  «Milalie 


248  §•  ^.   Siebbein. 

vertical  von  der  Nasenwurzel  gegen  den  Margo  coronalia  aufsteigt,  und  den  Stim- 
theil  in  zwei  congruente  Hälften  theilt  Sie  kommt  in  der  Kegel  nur  bei  breiten 
Stirnen  vor,  und  findet  ihre  Erklärung  in  der  Entwicklungsgeschichte  des  Kno- 
chens, welcher  aus  zwei,  den  Tubttra  frontalia  entsprechenden  Ossificationspunk- 
ten  entsteht.  Diese  vergrösscm  sich  selbstständig,  bis  sie  sich  mit  ihren  inneren 
Rändern  berühren,  und  zuletzt  mit  einander  zu  Einem  Knochen  verschmelzen. 
Wenn  nun  bei  rascher  Entwicklung  des  Gehirns,  und  eben  so  rascher  Zunahme 
des  Schädelvolumons  die  Knochenbildung  nicht  mit  gleicher  Intensität  vorgeht, 
so  kann  es  bei  der  blossen  Berührung  beider  Hälften  des  Stirnbeins  verbleiben, 
und  eine  Stimnaht  als  permanenter  Ausdruck  der  paarigen  Entwicklung  des 
Knochens  durch  das  ganze  Leben  fortbestehen.  Dass  sie  bei  Weibern  häufiger 
vorkommt  als  bei  Männern,  ist  unrichtig.  Ein  Rudiment  der  Sutura  frontalU 
findet  sich  sehr  oft  über  der  Nasenwurzel. 

Die  Angaben  über  Mangel  der  Stirnhöhlen  (Lavater)  entbehren  gehöriger 
Evidenz.  Allerdings  sehe  ich  sie  an  mehreren,  besonders  knochenstarken  Schä- 
deln so  klein,  dass  sie  nur  als  seichte  Nischen  erscheinen.  Dagegen  ist  Ver- 
grösserung  und  Zerfallen  in  mehrere  Zellen,  welches  bei  gewissen  Säugethieren 
zur  Norm  gehört,  auch  im  Menschen  nicht  ungewöhnlich.  Die  auffallendste 
Entwicklung  der  Stirnbeinhöhlen  findet  sich  beim  Elephanten,  dessen  ungeheures 
Schädelvolumen  nicht  durch  die  Grösse  des  Gehirns,  sondern  durch  die  Grösse 
der  Stirnhöhlen,  welche  sich  bis  in  den  Hinterhauptknochen  erstrecken,  be- 
dingt wird. 

Häufiger  trifft  man  neben  der  inneren  Mündung  des  Foramen  supraorhitale^ 
oder  in  dem  letzteren  selbst,  ein  zur  Diplo()  des  Stimtheils  führendes  Venenloch. 
—  Das  Foramen  coecum,  welches  viel  bezeichnender  Porus  cranio-nasali*  genannt 
werden  könnte,  wird  zuweilen  vom  Stirn-  und  Siebbein  zugleich  gebildet.  — 
Eine  die  Stelle  der  Glabella  einnehmende,  grosse,  runde  Oefi'nung  wurde  bisher 
nur  einmal  von  Römer  gesehen,  und  der  betreffende  Schädel  in  der  anatom. 
Sammlung  des  Josephini^ms  hinterlegt.  Die  Oeffnung  war  durch  Himbruch  be- 
dingt. Unter  meinen  Zuhörern  befand  sich  im  Jahre  1862  ein  Grieche,  mit  der- 
selben angeborenen  Perforation  des  Stirnbeins.  —  Die  Tuhera  frontalia  werden 
bei  hörnertragenden  Thieren  zu  langen,  hohlen,  mit  den  Sinus  frontales  commu- 
nicirenden,  mit  einer  hornigen  Rinde  überzogenen  Knochenzapfen ;  —  bei  geweih- 
tragenden Thieren  dagegen,  die  ihren  Hauptschmuck  zu  Zeiten  abwerfen,  zu 
kurzen,  platten,  und  soliden  Stöcken. 

Ein  grosser  Theil  der  Pars  orbitaria  des  Stirnbeins  kann  sich  zu  einem 
selbstständigen  Schädelknochen  emancipiren,  welcher  zu  den  anatomischen  Selten- 
heiten gehört,  da  ich  ihn  unter  400  Schädeln  nur  dreimal  zu  sehen  Gelegenheit 
hatte.  Die  betreffende  Abhandlung  ist  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Aka- 
demie, 1860,  enthalten. 

Hält  man  das  Stirnbein  so,  dass  die  convexe  Stimfiäche  nach  hinten 
sieht,  und  denkt  man  sich  die  Incisura  ethmoidalia  durch  die  Anlagerung  des 
Keilbeins  in  ein  Loch  umgewandelt,  so  lässt  sich  eine  gewisse  Aehnlichkeit 
des  Stirnbeins  mit  dem  Hinterhauptbeine  nicht  verkennen.  —  lieber  bisher  un- 
erwähnte Kanäle  des  Stirnbeins  handelt  Schultz.  Siehe  Literatur  der  Knochen- 
lehre, §.  156. 

§.  99.   Siebbein. 

Das   Siebbein,    Os  cribrosum  8.  ethmoideumj  von  t^Ojac;,   Sieb, 
und  s'So;,  Gestalt  (Synoiu:   Os  spongiosuniy  cubicum,   ci'Utatum,  cola- 


§.  99.    Siebbein.  249 

torium),  liegt  zwischen  Schädelhöhle^  Nasenhöhle,  und  den  beiden 
.  Augenhöhlen;  deren  innere  Wand  es  vorzugsweise  bildet.  Dieser 
Ejiochen  kann  nur  insofern  als  Schädelknochen  angesehen  werden, 
als  er  die  Indsura  ethmoidalis  des  Stirnbeins  ausfilUt,  und  dadurch 
an  der  Zusammensetzung  der  Schädelbasis  einen  sehr  unbedeuten- 
den Antheil  hat. 

Das  Siebbein  wird  in  die  Siebplatte,  die  senkrechte  Platte, 
und  die  beiden  zelligen  Seitentheile  oder  Labyrinthe  ein- 
getheilt.  Keiner  dieser  Bestandtheile  erreicht  auch  nur  einen  mitt- 
leren Grad  von  Stärke,  und  die  doppelten  Lamellen  der  Schädel- 
knochen sind,  sammt  der  Diplo6,  an  den  dünnen  Platten  und  Wänden 
des  Siebbeins  nicht  mehr  zu  erkennen. 

1.  Die  Siebplatte  (Lamina  crthroaa)  liegt  horizontal  in  der 
sie  genau  umschliessenden  Incisura  ethmoidalis  des  Stirnbeins.  Sie 
ist  es,  durch  welche  das  Siebbein  den  Rang  eines  Schädelknochens 
beansprucht,  denn  alle  übrigen  Bestandtheile  dieses  Knochens  ge- 
hören der  Nasenhöhle.  Ihr  hinterer  Rand  stösst  an  die  Mitte  dies 
vorderen  Randes  der  vereinigten  schwertförmigen  Flügel  des  Keil- 
beins. Ein  senkrecht  stehender,  longitudinaler,  nicht  inamer  gleich 
stark  ausgeprägter  Kamm  (Crista  ethmoidalis)  theilt  sie  in  zwei 
Hälften,  und  erhebt  sich  nach  vorn  zum  Hahnenkamm,  Crista 
galli,  welcher  zuweilen,  wenn  er  besonders  voluminös  erscheint, 
ein  Cavum  einschliesst,  zu  welchem  eine,  an  der  vorderen  Gegend 
der  Basis  der  Crista  befindliche  OefFnung  führt.  Die  Siebplatte 
wird,  wie  es  ihr  Name  will,  durch  viele,  gewöhnlich  nicht  symme- 
trisch vertheilte  OefFnungen  durchbohrt  (Foramina  cribrosa),  von 
denen  die  grösseren  an  der  Crista  liegen,  und  die  grössten,  meist 
schUtzförmigen,  die  vordersten  sind.  Die  Breite  der  Siebplatte  ist 
an  verschiedenen  Schädeln  eine  sehr  verschiedene.  Es  giebt  deren, 
an  welchen  sie  so  schmal,  und  zugleich  so  concav  erscheint,  dass 
sie  mehr  einer  durchlöcherten  Furche  als  der  flachen  Platte  eines 
Siebes  gleicht.  Von  der  unteren  Fläche  der  Siebplatte  steigt 

2.  die  senkrechte  Platte  —  obwohl  selten  genau  lothrecht 
—  herab,  und  bildet  den  oberen  Theil  der  knöchernen  Nasenscheide- 
wand, welche  durch  den  Hinzutritt  der  übrigen,  in  der  senkrechten 
Durchschnittsebene  der  Nasenhöhle  liegenden  Knochen  oder  Kno- 
chentheile,  vervollständigt  wird. 

3.  und  4.  Die  zelligen  Seitentheile,  oder  das  Siebbein- 
labyrinth, sind  ein  Aggregat  von  dünnwandigen  Knochenzellen, 
die  unter  einander  und  mit  der  eigentlichen  Nasenhöhle  communi- 
ciren,  und  an  Grösse,  Zahl,  und  Lagerung  so  sehr  variiren,  dass 
es  nicht  möglich  ist,  für  jeden  speciellen  Fall  geltende  Bes^mmun- 
gen  aufzustellen.  Im  Allgemeinen  theilt  man  die  das 
bildenden  Zellen  (CeUidae  ethmoidale$)  in  die  ycnH 


250  §.  99     Siebbein. 

und  hinteren  ein.  Sie  werden  von  aussen  durch  eine  glatte,  dtlnne, 
aber  ziemlich  feste  viereckige  Knochenwand  (Papierplatte,  Lamina 
papyracea)  geschlossen,  welobe  zugleich  die  innere  Wand  der  Augen- 
höhle bildet,  und  nicht  so  weit  nach  vom  reicht,  um  «auch  die 
vordersten  Zellen  vollkommen  schliessen  zu  können,  weshalb  für 
diese  ein  eigener  Deckelknochen,  das  später 'zu  beschreibende  Thrä- 
nenbein,  benöthigt  wird.  Von  oben  schliesst  sie  der  geßlcherte  Rand 
der  Incisura  eihmoidalia  des  Stirnbeins  zu.  Nach  innen  werden  sie 
durch  die  obere  und  untere  Siebbeinmuschel  begrenzt  (ConcAa 
ethmoidalis  superior  et  inferior,  «.  minor  et  rnajor)j  zwei  dünne,  rauhe, 
poröse  Knochenblätter,  welche  so  gebogen  sind,  dass  ihre  convexen 
Flächen  gegen  die  Lamina  peipendiculaiis,  die  concaven  gegen  die 
Zellen  sehen.  Zwischen  beiden  Siebbeinmuscheln  bleibt  ein  freier 
Raum  oder  Gang  übrig,  der  obere  Nasengang,  Meatus  narium 
superior f  in  welchen  die  mittleren  und  hinteren  Siebbeinzellen  ein- 
münden, während  die  vorderen  sich  gegen  die  concave  Fläche  der 
unteren,  grösseren  und  stärkeren  Siebbeinmuschel  öffiien.  Nach 
hinten  tragen  der  KeilbeiiAörper,  die  Oaaicida  Bertini,  und  nicht 
selten  die  Augenhöhlenfortsätze  der  Gaumenbeine,  nach  vom  die 
Pars  nasalis  des  Stirnbeins,  und  die  Nasenfortsätze  der  Oberkiefer, 
und  nach  unten  die  zelligen  inneren  Ränder  der  Augenhöhlenflächen 
der  Oberkiefer,  zur  Schliessung  der  Zellen  das  Ihrige  bei. 

Vom  vorderen  Ende  der  unteren  Siebbeinmuschel,  und  von 
den  unteren  Wänden  der  vorderen  Siebbeinzellen,  entwickelt  sich 
rechts  und  links  ein  dünnes,  gezacktes,  senkrecht  absteigendes, 
und  zugleich  nach  hinten  gekrümmtes  Knochenblatt  —  Processus 
uncinatus  s,  Blumenbachü  —  welches  über  die  grosse  OefFnung  der 
bei  der  Beschreibung  des  Oberkiefers  zu  erwähnenden  Highmors- 
höhle wegstreift,  sie  theilweise  deckt,  und  nicht  selten  mit  einem 
Fortsatze  des  oberen  Randes  der  unteren  Nasenmuscliel  verschmilzt. 

Diese  Beschreibung  des  Siebbeins  dürfte  nur  wenig  auf  die,  durch  rohes 
Sprengen  älterer  Schädel,  verstümmelten  Knochen  passen,  welche  gewöhnlich  in 
die  Hände  der  Schüler  kommen.  Man  wird  sich  auch  nicht  leicht  eine  Vorstel- 
lung von  dem  Baue  des  Siebbeins  machen  können,  wenn  man  nicht  die  Integri- 
tät desselben  opfert,  und  wenigstens  Ein  Labyrinth  ablöst,  da  man  sonst  nicht 
zur  inneren  Flächenansicht  der  beiden  Muscheln  kommt. 

Häufiger  vorkommende  Verschiedenheiten  des  Siebbeins  sind:  zwei  kleine 
flügelartige  Fortsätze  {Proceatnu  alarea)  an  der  Crista  gaUi,  welche  in  correspon- 
dirende  Grübchen  des  Stirnbeins  passen ;  —  Zerfallen  der  Lamina  papip'axea  in 
zwei  kleinere,  durch  eine  senkrechte  Naht  vereinigte  Stücke;  —  Abweichung  der 
Ct^ia  gaUi  und  der  Lamina  perpendiculari»  nach  einer  Seite;  —  Auftreten  einer 
dritten  kleinen  Siebbeinmuschel,  die  über  der  gewöhnlichen  Concha  tupei'ior  liegt, 
und  Concha  SantotHniana  heisst  (beim  Neger  in  der  Regel  vorhanden) ;  —  bedeu- 
tende Wulstung  und  zellige  Aufblähung  der  Concha  ethmoidalis  inferior;  —  end- 
lich Verschmelzung  der  Otticula  Bertini  mit  den  Wänden  der  hinteren  Siobbein- 
zollen,  oder  mit  der  Lamina  perpendicularis,  Unsymmetrischo  Stellung  der  Criata 


§.  100.   Seitenwandbeine  oder  Scheitelbeine.  251 

galli,  so  daas  auf  der  einen  Seite  derselben  mehr  Fovamina  crihroaa  als  auf  der 
anderen  lagen,  beobachtete  J.  B.  Morgagni.  Kein  menschenähnlicher  Affe  be- 
sitzt eine  so  ansehnliche  Crista  galli,  wie  der  Mensch. 

An  den  meisten  ägyptischen  Mumien  ist  das  Siebbein  von  der  Nasenhöhle 
aus  durchstossen,  behufs  der  Entleerung  des  Gehirns.  Bei  den  viel  seltneren 
Gnanchenmumien  der  Azoren,  wird  das  Siebbein  unversehrt  gesehen,  indem  an 
ihnen  das  Gehirn  durch  ein  Loch  in  der  Para  orhitcdia  des  Stirnbeins  heraus- 
genommen wurde. 


§.  100.  Seitenwandbeine  oder  Scheitelbeine. 

Die  beiden  Seitenwandbeine,  Ossa  painetalia  (auch  Ossa  breg- 
maticüj  verticisy  tetragona),  sind  die  einfachsten,  an  griechiÄshen 
und  lateinischen  Merkwürdigkeiten  ärmsten  Schädelknochen.  Sie 
bilden  vorzugsweise  das  Dach  der  Schädelhöhle,  und  liegen,  bei- 
derseits symmetrisch,  an  Scheitel  und  Schläfe.  Sie  stellen  schalen- 
förmige, aber  zugleich  viereckige  Knochen  dar,"  an  denen  eine 
äussere  und  innere  Fläche,  vier  Ränder,  und  vier  Winkel 
unterschieden  werden. 

Die  äussere  convexe  Fläche  ragt  in  der  Mitte  als  Scheitel- 
höcker (Tuber  parietale)  am  stärksten  vor,  und  wird,  unter  dem 
Scheitelhöcker,  durch  eine  mit  dem  unteren  Rande  des  Knochens 
fast  parallel  laufende  Linea  semidrculai^^  als  Fortsetzung  der  von 
dem  Processus  zygornaücus  des  Stirnbeins  aufsteigenden  scharfen 
Linie,  in  einen  oberen  grösseren  und  unteren  kleineren  Abschnitt 
getheilt.  Nur  der  untere  Abschnitt  hilft,  zugleich  mit  den  betreffen- 
den Theilen  des  Stirn-,  Keil-  und  Schläfebeins,  das  an  der  Seiten- 
wand des  Schädels  befindliche  Planum  temporale  s.  semicirculare 
bilden,  von  welchem  später  (§.  116.  4). 

Die  innere  concave  Fläche  zeigt: 

a)  Die  gewöhnlichen  Fingereindrücke  und  Cerebraljuga,  und 
längs  des  oberen  Randes  mehrere  Pacchioni'sche  Gruben. 

b)  Zwei  baumförmig  verzweigte,  dem  Gerippe  eines  Feigen- 
blattes ähnliche  Gefässfurchen  (Sulci  meningeijy  für  die  Ramifica- 
tionen  der  Arteria  durae  matris  media  und  der  sie  begleitenden 
Venen.  Die  vordere  dieser  Furchen  geht  vom  vorderen  unteren 
Winkel  des  Knochens  aus,  und  ist  öfters  an  ihrem  Beginne  zu 
einem  Kanal  zugewölbt.  Die  hintere  beginnt  an  der  Mitte  des 
unteren  Randes. 

c)  Zwei  venöse  /Sulci.  Der  eine  erstreckt  sich  längs  des  oberen 
Randes  des  Knochens,  und  erzeugt  mit  dem  gleichen  des  anderen 
Seitenwandbeins  zusammenfliessend  eine  Furche  zur  Einlagerung 
des  Sinus  hngüudinalis  superior  der  harten  Hirnhaut.  Der  zweite 
kürzer  und   bogenförmig  gekrümmt,   nimmt  den  hinteren  unteren 


252  S-  101.    Schl&febeine. 

Winkel   des  Knochens  ein,  und  dient   zur  Aufnahme  eines  Theiles 
des  Sinus  transvei'stis. 

Die  vier  Ränder  werden,  ihrer  Lage  und  Verbindung  nach, 
in  den  oberen,  Margo  sagittalis,  in  den  unteren,  Margo  squamo- 
sas  8.  tempoi'alis^  in  den  vorderen,  Margo  coronalis,  und  in  den 
hinteren,  Margo  lamhdoid^ms ,  eingetheilt.  Nur  der  untere  bildet 
ein  coneaves  Bogenstttck,  welches  durch  das  bis  zum  Verschmel- 
zen gedeihende  Aneinanderschmiegen  beider  Tafeln  des  Knochens, 
scharf  schneidend  ausläuft;  die  übrigen  sind  gerade,  und  ausge- 
zeichnet zackig. 

Es  ist  unrichtig^,  die  Zuschärfang  des  unteren  Randes  durch  Verkürzung 
der  äusseren  Tafel,  und  dadurch  bedingtes  relatives  LKngerscin  der  inneren 
Ta||l  zu  erklären.  Man  überzeugt  sich  bei  senkrechten  Durchschnitten  des 
Knochens,  dass  die  äussere  Tafel  eben  so  weit  herabreicht,  wie  die  innere,  die 
DiploS  aber  zwischen  beiden  Tafeln  allinälig  so  abnimmt,  dass  es  endlich  zum 
Verschmelzen  beider  Tafeln  kommt,  —  daher  die  Schärfe  des  Randes. 

Die  vier  Winkel,  welche  nach  den  angrenzenden  Knochen 
genannt  werden,  sind:  der  vordere  obere,  Angulus  frontalis,  der 
vordere  untere,  Angulus  sphenoidalisj  der  hintere  obere,  An- 
gulus lamMoi(if*us  s,  occipitalis,  der  hintere  untere,  Angulus  ma- 
stoideus.  Der  Angulus  sphenoidalis  ist  der  spitzigste,  der  Angulus 
mastoideus  der  stumpfste. 

Am  hinteren  Viertel  des  Margo  sagittalis  findet  sich  das  Foi'amen 
fHirietale,  welches  häufig  auf  einer  oder  auf  beiden  Seiten  fehlt,  und 
von  einem  Santorini'schen  Emissarium  zum  Austritte  benutzt  wird. 

Der  Knochen  bietet,  ausser  dem  sehr  seltenen  Zerfallen  in  zwei  Stücke 
durch  eine  Quernaht,  keine  erwähnenswerthen  Abweichungen  dar.  Er  ist  der 
einzige  Schädelknochen,  der  nur  aus  Einem  Ossiticc'itionspunkt  entsteht,  welcher 
dem  Tuber  parietale  entspricht.  —  Der  häufig  gel)rauchte  Name  Osfta  hregmatica, 
stammt  von  ßp^/tj,  befeuchten.  In  der  Kindheit  der  Medicin  (und  sie  steht  auch^ 
heute  noch  nicht  am  Ende  des  Anfangs)  glaubte  man,  dass  die  Borken,  welche 
so  häufig  den  Kopf  von  Säuglingen  bedecken,  durch  eine  vom  Gehirn  aus- 
geschwitzte, und  a^  der  Luft  eintrocknende  Feuchtigkeit  entstehen. 


§•  101.   Schläfebeine. 

Beide  Schläfebeine ,  Ossa  tempm^m  (Synon, :  Ossa  parietalia 
inferiora,  Uxpidosa,  squamosa,  crotaphltica ,  memento  mori),  nehmen 
theils  die  Basis  des  Schädels,  theils  die  Schläfegegend  desselben 
ein,  wo  das  frtihzeitige  Ergrauen  der  Kopfhaare  an  die  Fuga  tein- 
poris  erinnert,  —  daher  der  lateinische  Name.  Die  Schläfebeine 
haben  eine  unregelmässige  Gestalt,  und  werden  zur  Erleichterung 
ihrer  Beschreibung  in  drei  Theile,  Schuppen-,  Felsen-,  und  Warzen- 
theil,  geschieden,   welche  sich  zu   der,  an   der  äusseren   Seite    des 


%.  101.   Bchläfebeine.  253 

Knochens  befindlichen  grössten  Oeffnung  —  dem  äusseren  Ge- 
hör gang,  Meatus  aitditorivs  externus  —  so  verhalten,  dass  der 
Schuppentheil  über,  der  Felsentheil  einwärts,  der  Warzentheil  hinter 
derselben  zu  liegen  kommt 

Diese  drei  Theile  entsprechen  aber  nicht  vollkommen  den  drei  Stücken, 
aus  welchen  das  embryonische  Schläfebein  besteht,  indem  1.  der  Felsen-  und 
Warzentheil  niemals  getrennt,  sondern  immer  als  Oa  petroso-mastoideum  mit  ein- 
ander vereint  existiren,*und  2.  die  Schuppe,  und  das  der  Entstehung  des  äusseren  Qe- 
hörganges  zu  Grunde  liegende  0»  tympanicum^  als  selbstständige  Knochen  entstehen. 

1.  Der  Schupp  entheil  {Squama  8.  Lepisma)  hat  an  seiner 
äusseren  Fläche  vor  und  über  dem  Meatus  auditorius  extemus 
einen,  durch  zwei  zusammenfliessende  Wurzeln  gebildeten,  schlan- 
ken, aber  starken,  nach  vom  gekrümmten,  und  zackig  endigenden 
Fortsatz,  den  Jochfortsatz,  Processus  zygomaticus.  Zwischen  den 
beiden  Wurzeln  dieses  Fortsatzes  liegt  die  querovale  Grelenk- 
grube  für  den  Kopf  des  Unterkiefers  (Fossa  glenoidalis)^  und  vor 
dieser,  ein  in  die  vordere  Wurzel  des  Processus  zygomaticus  über- 
gehende Hügel  —  Gelenkhttgel,  Tuberculum  aHiculare.  Eine 
über  dem  äusseren  Gehörgang  beginnende,  senkrecht  aufsteigende 
arterielle  Furche  fehlt  häufig.  Die  innere  Fläche  ist  mit  ansehn- 
lichen Impressiones  digitatae,  und  stark  markirten  Juga  cerebralia 
besetzt,    und    zeigt    zwei    Gefässfurchen    zur   Aufnahme    der    Vasa 

meningea  media. 

Die  eine  dieser  Furchen  zieht  hart  am  vorderen  Rande  der  Schuppe 
empor,  um  in  die  bei  der  Betrachtung  des  grossen  Eeilbeinflügels  an  der  Super- 
ficie»  cerehraiU  desselben  angeführte  Furche  tiberzugehen,  deren  Verlängerung 
sofort  zum  vorderen  Sulcua  meningeus  auf  der  Innenfläche  des  Seitenwandbeins 
wird,  während  die  andere  in  stark  schiefer  Richtung  nach  hinten  und  oben  auf- 
steigt, um  sich  in  die  hintere  der  beiden  Furchen  an  der  Innenfläche  des  Seiten- 
wandbeins fortzusetzen.     Beide  Gefässfurchen  der  Schuppe  gehen  aus  einer  sehr 

.    kurzen  einfachen  Furche  hervor,  welche  man  von  der  Spitze  des  einspringenden 
Winkels  zwischen  Schuppe  und  Pyramide  auslaufen  sieht. 

Der  mehr  als  halbkreisförmige  Rand  der  Schuppe  trägt  nur 
an  seinem  vorderen  unteren  Abschnitte  Nahtzähne,  der  grössere 
Theil  desselben  erscheint  von  innen  nach  aussen  und  oben  zu- 
geschärft, und  deckt  den  im  entgegengesetzten  Verhältnisse  zu- 
geschärftcn  unteren  Kand  des  Scheitelbeins  zu,  indem  er  sich  über 
ihn  hinaufschiebt 

2.  Der  Felsentheil  {Pars  petrosa)  gleicht  einer  liegenden, 
dreiseitigen,  aus  steinharter  Knochenmasse  gebildeten  Pyramide, 
deren  Basis  nach  aussen,  deren  Spitze  nach  vom  und  innen,  gegen 
den  Keilbeinkörper  sieht.  Er  empfiehlt  uns  drei  Flächen  und  drei 
Ränder  zur  besonderen  gefeiligen  Beachtung. 

Die  hintere  Fläche,  die  kleinste  von  den  dreien,  steht 
bei  natürlicher  Lagerung  des  Knochens  fast  senkrecht,  und  hat 
beiläufig  in  ihrer  Mitfee  **«"       '•1**   Oeffoung;    die    in  den  inneren 


254  t   101.    Schläfebeine. 

Gehörgang  (Meatus  s.  Form  acnsticus  intemv^)  ftlhrt.  Drei  Linien 
von  ihr  nach  aussen  mündet  die  bei  der  Anatomie  des  Gehörorgans 
zu  bertlcksichtigende  Wasserleitung  des  Vorsaals  {Aqnaedvctus 
vestihuli)  in  einer  krummen,  feinen  Spalte  oder  Scharte. 

Die  obere  Fläche  ist  die  grösste,  und  zugleich  etwas  nach 
vorn  gekehrt.  Sie  wird  von  der  inneren  Fläche  der  Schuppe  durch 
eine,  nur  an  jugendlichen  Individuen  wahrnehmbare,  nahtähnliche 
Fissur  {Sutura  8,  Fissura  petroso-squamosa)  geschieden.  Neben  der 
Spitze  der  Pyramide  zeigt  sich  die  innere  OefFnung  des  carotischen 
Kanals,  von  welcher  eine  Rinne  (Semicanalis  nei*vi  Vtdiani)  nach 
aussen  zu  einem  kleinen  Loche  ftlhrt,  welches  zu  dem  in  der  Masse 
des  Felsenbeins  verlaufenden  Fallopischen  Kanal  geleitet,  —  Hiatus 
8.  Apertura  sptiria  canalis  Fallopiae  (auch  Foj'amen  Tarini,  Foramen 
anonymum  Ferreinii).  In  dieser  Rinne,  oder  auswärts  von  ihr,  mün- 
det, nebst  kleinen  Ernährungslöchem,  der  sehr  feine  Canaliculus 
petro8U8j  welcher  zur  Trommelhöhle  zieht. 

Ein  über  die  obere  Kante  des  Felsenbeines  sich  quer  auflagernder  Höcker, 
ist  nicht  immer  deutlich  ausgesprochen,  und  zeigt  die  Richtung  des  in  die  Felsenbein- 
masse versenkten  Canalis  »emicirctUaris  superior  des  knöchernen  Ohrlabyrinthes  an. 

Jener  Bezirk  der  oberen  Fläche  der  Pyramide,  welcher  rück-  und  aus- 
wärts vom  Foramen  Tarini  liegt,  gehört  eigentlich  nicht  der  Pyramide,  sondern 
einem  Knochenblatte  an,  welches  die  Verlängerung  der  oberen  Pyramidenfläche 
bildet,  und  die  Trommelhöhle  deckt  Man  kann  dieses  Knochenblatt  deshalb 
Tegmentum  tympani  nennen.  An  gewissen  Stellen  verdünnt  es  sich  zuweilen  so 
sehr,  dass  es  selbst  durchlöchert  gefunden  wird.  {Hyrtl,  über  spontane  Dehiscenz 
des  Tegmentum  tympani,  in  den  Sitzungsberichten  der  kaiserl.  Akad.  1858).  Mit 
Meisscl  und  Hammer  durchbricht  man  dasselbe  leicht,  und  geniesst  dann  die 
Einsicht  in  die  Trommelhöhle  von  oben.  Der  vorderste  Theil  seines  äusseren 
Randes  schiebt  sich  in  die  Spalte  zwischen  Schuppe  und  äusseren  Gehörgang 
ein,  und  bildet  den  oberen  Hand  der  gleich  zu  envähnenden  Fisaura  Olaseri, 
deren  unterer  Rand  dem  Os  tyvipanicum  angehört. 

Die  untere  Fläche  des  Felsentheils  sieht  nicht  in  die  Schä- 
delhöhle, sondern  gegen  den  Hals  herab.  Sie  ist  uneben,  und  bildet 
an  ihrem  äusseren  Abschnitte  ein,  den  äusseren  Gehörgang  von 
unten  imd  vorn  imischliessendes  Knochenblatt  {Os  tyrtipaincum), 
welches  von  der  Gelenkgrube  der  Schuppe  durch  eine,  sehr  unrecht 
als  Fissura  Glasen  bezeichnete  Spalte  getrennt  wird. 

Henlo  zeigte,  dass  die  Fissura  Olaseri  eigentlich  nicht  zwischen  Oa  tym- 
panicum  und  Gelenkgrube  des  Schläfebeins,  sondern  zwischen  dem  ersteren,  und 
dem  äussersten  Rande  des  Tegmentum  tympani  liegt,  welcher  sich  hinter  jener 
Gelenkfläche  nach  aussen  vordrängt. 

Man  begegnet  an  der  unteren  Fläche  des  Felsentheiles,  von 
aussen  nach  innen  gehend: 

a)  dem  Griffelwarzenloch,  Foranien  stylo-mastoideum j  als 
Ausmündung  des  Fallopischen  Kanals,  genau  imter  dem  äusseren 
Gehörgange ; 


§.  101.    ScUäfebeine.  255 

b)  neben  ihm  dem  Griffelfortsatz,  Processus  styloideuSj  von 
verschiedener  Länge,  nach  unten  und  innen  ragend ; 

c)  neben  dem  QrifFelfortsatzc  der  seichteren  oder  tieferen 
Drosseladergrube,  Fossa  jugulariSj  mit  der  kleinen,  in  der  Nähe 
ihres  vorderen  Randes  befindlichen  Anfangsöffnung  des  Canalicuhis 
mastoideus  s.  Arnoldi; 

d)  neben  der  Fossa  jiigularis,  gegen  den  vorderen  Rand  hin, 
der  unteren  Oeffnung  des  carotischen  Kanals^  welcher  in  halbmond- 
förmiger Krümmung  nach  vor-  und  aufwärts  durch  die  Pyramide 
tritt,  xmd  gleich  über  seiner  unteren  Oeffnung  zwei  feine  Kanälchen 
[Canalicnli  carotico-tympc^nici)  zur  Trommelhöhle  sendet,  imd 

e)  gegen  den  hinteren  Rand  hin,  der  trichterförmigen  End- 
mündung des  AquaediLctus  Cochleae. 

Zwischen  der  Inctsnra  jugnlmHs,  und  der  unteren  Oeflfnung  des 
carotischen  Kanals,  liegt  die  flache  Fossula  petrosay  welche  oft  blos 
angedeutet  ist,  und  dem  in  die  Paukenhöhle  eindringenden  Canali- 
culus  tympanicus  zum  Ursprünge  dient.  I 

Das  oben  erwähnte,  gewundene,  den  äusseren  Gehörgang  umschliessende 
Knochenblatt,  erscheint  in  den  letzten  Monaten  des  Embryolebens  als  ein  knö- 
cherner, schmaler,  oben  offener,  und  mit  seinen  beiden  Enden  an  die  Schuppe 
angelötheter  King,  in  welchem,  wie  in  einem  Rahmen,  das  Trommelfell  aus- 
gespannt ist.  Es  heisst  in  diesem  Zustande  Annulus  tympani,  gewöhnlich  aber 
Os  fympanicum,  und  bleibt  in. dieser  Form  bei  einigen  Säugethier-Ordnungen  ein 
durch  die  ganze  Lebensdauer  isolirter  Knochen. 

Bringt  man  in  das  Foramen  stylo-mastoideum  eine  Borste  ein, 
so  gelingt  es,  sie  so  weit  fortzuschieben,  dass  sie  durch  den  Hia- 
tus Fallopiae  zum  Vorschein  kommt.  Eben  so  leicht  kann  eine 
zweite  Borste,  vom  inneren  Gehörgange  aus,  durch  denselben 
Hiatus  zu  Tage  gefilhrt  werden.  Es  existirt  somit  in  der  Substanz 
des  Felsenbeins  ein  Kanal,  welcher  im  inneren  Gehörgange  seinen 
Anfang,  und  im  Foramen  stylo-mastoideum  sein  Ende  hat,  und  nebst 
diesen  beiden  Mündungen  noch  eine  Seitenöfliiung  —  den  Hiatus  — 
besitzt.  Dieser  Kanal,  welcher  das  siebente  Gchimnervenpaar  aus 
dem  Schädel  leitet,  heisst  Canalis  s.  Aquaeductus  Fallopiae, 

Der  Canalis  FaUopiae  besitzt,  ausser  den  angefdhrtcn  Oeffnungen,  noch 
einen  kurzen  Seitenast,  welcher  als  sogenannter  Canalicuhis  chordae,  dicht  über 
dem  Foramen  stylo-mastoideum  von  ihm  abgeht,  und  in  die  Paukenhöhle  führt. 
Er  ist  bei  äusserer  Besichtigung  des  Schläfebeins  nicht  zu  sehen.  Meissel  und 
Hammer  verhelfen  auch  zu  ihm.  Ferner  verdient  erwähnt  zu  werden,  dass 
der  in  der  Fossa  jugularis  beginnende,  und  in  der  Fissura  tympano-mastoidea 
endigende  Canaliculus  mastoideus,  sich  mit  dem  unteren  Ende  des  Canalis  Fallo- 
piae derart  kreuzt,  dass  der  Canalicus  mastoideus  zwei  Abschnitte  darbietet, 
deren  einer  zum  Camilis  Faücpiae,  der  andere  von  ihm  führt  —  So  schwer  das 
Auffinden  dieser  Kanftlchen  dem  Anf&nger  wird,  ao  möico  ^  ^  dennoch  mit  ihnen 
nicht  leicht  nehmen,    da  die  Venweii  ^  dieie 


256  S-  lOi*   Sc1il&feb«in«. 

Kanälchen  gebunden  sind.  Ihre  Wichtigkeit  erg^ebt  sich  somit  erst  aus  den 
Details  der  Nervenlehre,  und  steht  wahrlich  mit  ihrer  Grösse  im  umgekehrten 
Verhältniss. 

Die  in  der  Beschreibung  des  Felsentheils  genannten  CanalicuH  petron 
Bind,  so  wie  der  Canalicu»  mastoideus  und  tympanieu»,  nur  fQr  ein  Borstenhaar 
permeabel,  und  können,  da  sie  von  gewöhnlichen  feinen  EmKhrung^löchem,  bei 
äusserer  Besichtigung  des  Knochens,  nicht  zu  unterscheiden  sind,  nur  durch 
sorgsames  Sondiren  mit  dünnen  Borsten  ausfindig  gemacht  werden. 

Die  drei  Winkel  oder  Ränder  des  Felsentheils  sind:  der 
obere,  vordere,  und  hintere.  Der  obere  ist  die  Vereinigungskante 
der  hinteren  Felsenbeinfläche  mit  der  oberen.  Er  ist  besonders  an 
seiner  äusseren  Hälfte  tief  gefurcht,  —  Sulcus  petrosus  superior. 
Der  vordere  ist  der  kürzeste,  und  bildet,  mit  dem  unteren  Stücke 
des  vorderen  Schuppenrandes,  einen  einspringenden  Winkel,  wel- 
cher die  Spina  angularis  des  Keilbeins  aufnimmt.  Am  äusseren 
Ende  dieses  Randes  liegt  eine,  in  die  Trommelhöhle  gehende 
Oeffnung,  welche  durch  eine  Knochenleiste  in  eine  obere  kleinere, 
und  untere  grössere  Abtheilung  gebracht  wird.  Erstere  ist  der  An- 
fang des  Semicanalis  tensoris  tympani,  letztere  die  Insertionsöffiiung 
der  Tuba  EustachiL  Der  hintere  Rand  der  Pyramide  erscheint 
durch  die  glatte  Incisura  jv^ulavis  ausgeschnitten,  welche  mit  der 
gleichnamigen  Incisur  der  Gelenktheile  des  Hinterhauptbeins  das 
Drosseladerloch    {Foramen  jugulare   8,    lacerum)    zusammensetzt. 

Der  Warzen-  oder  Zitzentheil  (Pars  mastoidea  s,  mammil- 
laris,  von  |xaT:b;,  Brustwarze)  befindet  sich  hinter  dem  Meatus  audi- 
tw^ius  exteimus.  Er  besitzt  eine  äussere  convexe  und  rauhe,  und 
innere  concave,  glatte  Fläche.  Die  äussere  Fläche  zeigt  den  einer 
Brustzitze  ähnlichen  Processus  mastoideus  s.  Apophysis  mammillaris, 
welcher  von  unten  durch  die  Incisura  mastoidea  wie  eingefeilt  erscheint. 
Er  schliesst  eine  vielzellige  Höhle  (Cellulae  mastoideae)  ein,  welche 
mit  der  Trommelhöhle  in  Verbindung  steht.  Der  Processus  mastoi- 
deus wird  von  der  hinteren  Peripherie  des  äusseren  Gehörganges 
durch  eine  Spalte  abgegrenzt  {Fissura  tympano-masioidea) ,  welche, 
wie  früher  angeführt,  die  Endmündung  des  Canaliculus  mastoideus 
enthält.  Die  innere  Fläche  zeichnet  sich  durch  eine  breite,  tiefe, 
halbmondförmig  gekrümmte  Furche  aus  (Fossa  sigmoidea,  von 
c;{Y|xa-£TBc;,  C-  nicht  ^-förmig),  in  welche  sich  der  quere  Blutleitcr 
der  harten  Hirnhaut  einlagert.  Ein  zuweilen  fehlendes,  und  zum 
Durchgange  eines  Saiitorini'schen  Emissariums  dienendes  Loch  {Fo- 
ramen mastoideum),  führt  von  dieser  Furche  zur  Aussenfläche  des 
Knochens.  Die  Ränder  des  Warzentheils  sind:  der  obere,  zur  tief- 
greifenden Naht  Verbindung  mit  dem  Angulus  mastoideus  des  Scheitel- 
beins, und  der  hintere,  zur  schwächer  gezackten  Vereinigung  mit 
dem  unteren  Theile  des  Seitenrandes   der  Hinterhauptechuppe. 


(.  101.    Schl&febeino.  257 

Im  Inneren  des  Schläfebeins  liegt,  zwischen  dem  MecJat  auditorvif  exfer- 
nua  und  dem  Felsentheile,  die  Paukenhöhle  (Cavum  tympam),  und  in  der 
Felsenpjramide  selbst,  das  Labyrinth  des  Gehörorgans.  Viele  oben  angefiilirte 
Kanäle  und  OeiTnungon  stehen  in  einem  innigen  Bezüge  zum  inneren  Geiiör- 
organe,  und  können  erst,  wenn  der  Bau  des  letzteren  bekannt  ist,  richtig  auf- 
gefasst  und  verstanden  werden.  Deshalb  macht  das  Studium  des  Schläfebeins 
dem  Anfänger  gewöhnlich  die  grössten  Schwierigkeiten,  die  wohl  in  der  Natur 
der  Sache  liegen,  und  nur  dann  verschwinden,  wenn  man  die  äussere  Oberfläche 
des  Knochens  auf  seinen  Inhalt  bezieht,  welcher  aber  erst  in  der  Lehre  von  den 
Sinnesorganen  besprochen  wird.  Eine  genaue  Kenntniss  des  Felsenbeins  empfiehlt 
sich  als  Vorbedingung  zum  praktischen  Studium  des  Gehörorgans,  und  giebt 
insbesondere  dem  Anfänger  einen  leitenden  Ariadnefaden  in  die  Hand,  ohne 
wichen  er  sich  nie  in  jenen  finsteren  Revieren  zurecht  finden  kann,  welche  das 
„Labyrinth**  des  Gehörorgans  bilden,  wo,  wenn  auch  kein  bliitlechzender  Mino- 
taurus  zu  fürchten,  doch  missmuthige  Verzagtheit  genug  zu  holen  ist 

Die  Varianten  des  Schläfebeins  sind:  1.  Theilung  der  Schuppe  durch  eine 
Qtiemaht   (Grub er).     2.  Ein  vom   vorderen   Rande    der    Schuppe    ausgehender 
platter  Fortsatz  schiebt  sich  zwischen  den  Artffulut  aphenoHalia  des  Seitenwand- 
beins  und  den  grossen  KeilbeinflUgel  ein,  und  erreicht  den  Margo  coronalia  des 
Stirnbeins.     Er  kommt  dadurch   zu  Stande,  dass   ein  in  der  vorderen  seitlichen 
Fontanelle  (§.  102)  entwickelter  Sclialtknochen  (§.  10.3)  mit  dem  vorderen  Schup- 
penrande, nicht  aber  mit  dem  Seitenwandbein  verwächst.    3.  Bedeutende,  bis  auf 
2  Zoll  steigende  Länge  des  Grifrels,  oder  Zusammensetzung  desselben  aus  zwei 
durch   Synchondrose    oder    Synostose   verbundenen    Stücken,    sowie    excedirende 
Dicke  an   seiner  Basis,  bis   auf  4   Linien,  und  Gegenwart  einer  Markhöhle  in 
ihm.  4.  Am  oberen  Felsenbeinrande   eine  narbig  eingezogene  Grube,   als  Ueber- 
bleibsel  embryonischer  Bildungsphasen.    6.  Vorkommen  von  Schaltknochen  in  der 
Fuge  zwischen   der  Pyramide  und   der  Par»  hastilarU  des   Hinterhauptbeins   bis 
zTun  Keilbeinkörper  hin.     Sie   liegen   nur  lose  in  dieser  Fuge,  und  fallen  beim 
Maceriren  aus.  Am  festesten  haftet  noch  das  der  Felsenbeinspitze  nächst  gelegene 
Knöchelchen,  welches  mit  einer  rauhen  Fläche  in  einem  Grübchen  des  Felsen- 
beins ruht    Man  hatte  diesem  Knöchelchen  unrichtig  den  Namen  Oaaicubim  seaa' 
moideftm   Cortesii  beigelegt    Henle    zeigte,    dass    Cortese   (1G25)   es  nur  mit 
Verknöcherungen  der  Carotis  interna  zu  thun  hatte.     Ein  ähnliches,   selten  vor- 
kommendes  Knöchelchen,  als  Ergänzungsstück   des  Foramen  jtitjutare,    erwähnt 
W,  Oruher  (Bulletin  de  TAcad.  de  St  Petersbourg.  11.  Bd.  p.  94).     Ein  Schalt- 
knochen   im   Tegmentum   tywpani  wurde    gleichfalls    von    Grub  er   aufgefunden. 
Beim  Hirsch  fand  ich  das  ganze  Tegmentum  tympani  als  selbstständigen  Knochen. 
Auch  vom  Menschen  besitze  ich  einen  ähnlichen  Fall.  6.  Eine  sehr  interessant«, 
von  Luschka  beschriebene  Anomalie   besteht  in  einem,   unter  der  Wurzel  des 
Jochbogens  vorkommenden  Loche    (bis    V2*"    weit),    welches   in  eine  längs   der 
Sutnra  petroso-squamota  verlaufende  Filrche  einmündet   Diesö  Furche  findet  sich 
auch  ohne  Loch,  und  dient  einem  Blntleiter  (Sinv»  petroto-aquamosus)  zur  Auf- 
nahme. Luschka  nannte  das  Loch:   Foramen  jugutare  spurium,  indem  der  Sinus 
petroao '  squamosus    sich    durch    dasselbe    in    die   Vena  jugularis   externa  fortsetzt 
(Zeitschr.  für  rat  Med.  1859).    7.  Die  Cellulae  mastoideae  werden  stellenweise  so 
dünnwandig,  dass  sie,  entweder  spontan  dehisciren,  oder  durch  sehr  geringfügige 
Gewalt  brechen  können.  (Sieh*  meine,  p.  262  citirte,  hieher  gehörige  Abhandlung 
in  den  Sitzungsberichten  der  kaiserl.  Akademie,  1858.)  —  G.  Zoja,  sull*  apofisi 
mastoidea.  Milano,  1864. 


Byrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  17 


20o  ^*  ^^^'   Verbindang  der  Soiiftdelknociien.    Foniuieiiet. 


§.  102.  Yerbindimg  der  Schädelknochen.  FontanelleiL 

Die  Verbindung  der  Schädelknochen  unter  sich  wird  auf  ver- 
schiedene Weise,  aber  immer  sehr  fest,  durch  wahre  und  falsche 
Nähte,  durch  Anlagerung  (Harmonie),  und  durch  Synchondrose 
bewerkstelligt. 

1.  Wahre  Nähte  finden  sich  zwischen  tief  gezahnten,  in  ein- 
ander greifenden  Knochenrändem.  Die  Kranz-  oder  Kronennaht 
(Sutura  coronalis)  zwischen  Stirn-  und  den  beiden  Scheitelbeinen, 
die  Pfeilnaht  (Sutura  sagittalis  s.  interparietalis)  zwischen  beiden 
Scheitelbeinen,  die  Lambdanaht  (Sutura  lamhdoidea)  zwischen 
Hinterhauptschuppe  und  den  hinteren  Rändern  beider  Scheitelbeine, 
die  Warzennaht  (Sutura  maatmdea)  zwischen  Warzentheil  des 
Schläfebeins  und  unterem  Seitenrande  des  Hinterhauptbeins,  so  wie 
die  abnorme  Stirnnaht  (Sutura  frontulw)  sind  die  Repräsentanten 
der  wahren  Sohädelnähte.  Alle  genannten  Nähte  erscheinen  nur 
bei  äusserer  Ansicht  des  Kopfes  als  wahre  Nähte.  Von  innen  ge- 
sehen besitzt  keine  dieser  Nähte  das  zackige  Ansehen,  welches  den 
Charakter  der  wahren  Naht  bildet,  sondern  präsentirt  sich  als  eine 
mehr  weniger  gerade  Contactlinie,  wie  bei  der  sub  3  anzuführenden 
Harmonie.  Bei  Kahlköpfen,  deren  Schädeldach  zuweilen  so  rund 
imd  glatt  ist .  wie  eine  Billardkugel ,  kann  man  die  Nähte  selbst 
durch  die  verdünnten  imd  glänzenden  Schädeldecken  hindurch 
erkennen. 

Ausser  den  genannten  Nähten  giebt  es  noch  mehrere  andere  am  Schftdel. 
Sie  könnten,   wenn   sie   einen  Namen   erhalten  sollten,    selben  von   den  beiden 
Knochen  entlehnen,  welche  sie  vereinigen:    Sutura  tquamoso-sphenoidaUt,  tpheno- 
frontalis^  etc. 

2.  Falsche  Nähte  (Suturae  spuriae  8,  squamoaae)  bestehen 
als  Uebereinanderschiebung  zweier  entgegengesetzt  zugeschärfter 
Knochenränder,  zwischen  Schläfenschuppe  und  Seitenwandbein  (Su- 
tura temporo'par letalis),  und  zwischen  Angulus  spkenoidalis  des  Seiten- 
wandbeins  und  oberem  Rand  des  grossen  Keilbeinflügels  (Sutura 
spheno  -parietalis). 

3.  Einfache  Anlagerung  oder  Harmonie  durch  rauhe,  nicht 
gezackte  Ränder,  findet  sich  zwischen  dem  vorderen  Rande  der 
Schläfenpyramide ,  und  dem  grossen  Flügel  des  Keilbeins,  so  wie 
an  den  Contactr^ndem  der  Glastafel  aller  Schädelknochen. 

4.  Die  ^urch  einen  dichten  Faserknorpel  vermittelte  Verbin- 
dung zwischen  der  Pyramide  des  Felsenbeins,  der  Pars  hasüaris 
des  Hinterhauptbeins  und  dem  Keilbeinkörper  ist  eine  St/nchondrosis, 

Schultz   (Ueber  den   Bau    der    normalen    Aenschenschädel.     Petersburg, 
1852.  p.  9)   unterscheidet  mehrere   Unterarten  von  wahren   und  falschen  Nähten, 


|.  lös.  Verbindung  i%t  Sch&dellmocben.   Fontanellen.  259 

von  welchen  die  Kopf  naht  und  die  Stiftnaht  die  zulässlichsten  sind.  Die 
Kopfhaht  charakterifiirt  sich  dadurch,  dass  von  zwei  sich  etwas  übereinander 
schiebenden  Enochenrändem  der  eine  kleine  Hervorragungen  bildet,  welche  von 
Lochern  des  anderen  umschlossen  werden,  wie  in  der  Naht  zwischen  kleinem 
Reilbeinflügel  und  Stirnbein.  Ich  habe  gezeigt,  dass  diese  kleinen  Hervorragun- 
gen (Köpfe)  so  gross  werden  können,  dass  sie  wie  supemumeräre  Schaltknochen 
(§.  103)  aussehen,  und  auch  dafür  gehalten  wurden.  Sieh*  meine  Abhandlung: 
Ueber  wahre  und  falsche  Schaltknochen  in  der  Pars  orbitaria  des  Stirnbeins,  in 
den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  42.  Bd.  1860.  Die  Stiftnaht  entsteht,  wenn 
ganz  lose  Knöchelchen,  wie  Stifte,  durch  die  Löcher  zweier  zusammenstossenden 
Knochenränder  gesteckt  sind.  Sie  soll  in  der  Naht  zwischen  Stirnbein  und  Stim- 
fortsatz  des  Oberkiefers,  und  in  der  Verbindung  vom  Basilartheil  des  Hinter- 
hauptbeins mit  dem  Keilbeinkörper,  aber  nur  während  der  Verknöcherungsperiode 
der  hier  befindlichen  Symphyse  bei  jugendlichen  Individuen,  vorkommen. 

In  jüngeren  Lebensperioden  sind  die  wahren  Nähte  weit  weni- 
ger zackig  und  kraus,  als  im  reifen  Alter.  Von  dem  Zeitpunkte  an, 
wo  der  Schädel  nicht  mehr  wächst  (gegen  die  Dreissiger  Jahre  hin) 
beginnen  die  Nähte  zu  verstreichen,  d.  h.  einer  wahren  Synostose 
zu  weichen,  wobei  die  Sutura  mastoidea  wohl  meistens  den  Anfang 
macht;  die  Sutura  paiietaUa  imd  lambdoidea  folgen  nach,  und  war 
eine  Stimnaht  vorhanden,  so  bleibt  sie  imter  allen  am  längsten. 

Wie  früher  hervorgehoben  wurde,  erscheint  jede  wahre  Naht 
nur  bei  äusserer  Ansicht  als  solche.  Bei  innerer  Ansicht  wird  sie 
wegen  sehr  geringer  Entwicklung  von  Zacken  an  der  inneren  Kno- 
chentafel als  eine  geschlängelte,  selbst  als  geradelinige  Harmonie 
gesehen.  Die  Harmonie  der  inneren  Tafel  verschmilzt  nun  auch 
regelmässig  vor  der  Sutur  der  äusseren.  Da  die  innere  Tafel  der 
Schädelknochen  viel  spröder  und  brüchiger  ist,  als  die  äussere,  so 
wären  Nahtzacken  an  der  inneren  Tafel  von  keinem  besondere]! 
Vortheil  filr  die  Festigkeit  des  Schädels  gewesen. 

Es  ist  in  vergleichend  anatomischer  Hinsicht  von  Interesse,  dass  die  oben 
erwähnte  Reihenfolge  der  Verknöcherung  der  Nähte,  bei  den  Affen  und  Negern 
gerade  umgekehrt  wird,  indem  die  Kranznaht  zuerst  und  die  Lambdanaht  zuletzt 
verstreicht.  Ja  es  tritt  das  Verstreichen  der  Kranznaht  beim  Neger  selbst  be- 
deutend früher  ein,  als  das  Verstreichen  der  Hinterhauptnähte  bei  den  Menschen 
weisser  Race.  Da  das  Verstreichen  der  Nähte  dem  Wachsthum  des  Schädels, 
und  somit  auch  der  Entwicklung  des  Gehirns,  ihre  natürlichen  Schranken  setzt, 
liegt  der  Gedanke  nicht  fem,  dass  die  geringere  geistige  Entwicklungsfähigkeit 
der  schwarzen  Race,  dieser  anatomischen  Thatsache  nicht  ganz  fremd  ist  Ob  es 
aber  deshalb  erlaubt,  den  Neger  für  den  menschenähnlichsten  Affen  zu  halten, 
und  als  Lastthier  zu  verwenden,  wie  in  den  amerikanischen  Sclavenstaaten, 
werden  Philantropen  und  Philosophen  zu  entscheiden  haben. 

Indem  die  Schädelknochen  sich  aus  Ossificationspunkten  ent- 
wickeln, welche  durch  concentrische  Anlagerung  von  Knochenmasse 
in  der  Fläche  wachsen,  so  müssen  die  Ecken  und  Winkel  der 
breiten  Tafeln  zuletzt  entstehen,  und  es  muss  eine  Periode  im 
Bildungsgange  des  Schädels  geben,  wo  swischen  den  sich  nur  be- 
rührenden Kreisscheiben  der  So^'  ^-wknöcherte, 


2(50  $•  ^^'    Yorbindnng  ditr  Schiidelknooh«»!!.    FonUnelUn. 

und  durch  VVeiehgebilde  versclilossene  Stellen  übrig  bleiben,  welche 
Fontanellen  —  FonticuU  8,  Lacunae  —  genannt  werden. 

Es  liegt  deren  je  eine  an  jedem  Winkel  des  Seitenwandbeins, 
und  wir  zählen  somit  eine  Stirn-,  Hinterhaupt-,  Keilbein-  und 
Warzen fontanelle.  Die  zwei  ersten  sind  begreiflicher  Weise 
unpaar;  die  zwei  letzten  paarig.  Die  Stirn  fontanelle  ist  die 
grösste,  rhombisch  viereckig  (wie  die  Papierdrachen  der  Kinder), 
und  erhält  sich  bis  in  das  zweite  Lebensjahr.  An  grossen  Kinds- 
köpfen kann  sie  Jahre  zu  ihrer  gänzlichen  Verknöcherung  brauchen. 
Von  ihren  vier  Winkeln  ist  der  vordere  der  schärfste  und  längste, 
der  hindere  der  stumpfste.  Ersterer  reicht  beim  Embryo  bis  zur 
Nasenwurzel  herab.  Da  man  bei  Neugeborenen  und  Kindern  die 
Bewegungen  des  Gehirns  durch  die  Stirnfontanelle  sieht  und  ftlhlt, 
so  wurde  ihr  der  Name  Fona  pulsatäis  s.  Vertex  palpitans  ertheilt, 
und  da  die  Aerzte  des  Alterthums  die  Vorstellung  hatten,  dass 
durch  die  Bewegungen  des  Gehirns  die  Lebensgeister  in  die  Nerven 
getrieben  werden,  mag  wohl  dieses  die  Veranlassung  der  sonder- 
baren Benennung FonticuluSj  i.  e,  Quelle,  gewesen  sein.  — Die  Hinter- 
hauptfontanelle ist  um  die  Zeit  der  Geburt  schon  durch  die 
Spitze  der  Hinterhauptschuppe  fast  vollständig  ausgeftlllt.  Im  Embryo 
erscheint  sie  dreieckig,  und  viel  kleiner,  als  die  Stirnfontanelle.  — 
Die  kleine  Keilbein  fontanelle  am  Angultis  sphenoidalis  des  Schei- 
telbeins, und  die  Warzenfontanelle  {F.  mastoideua  s.  Caserii)  wer- 
den auch  als  vordere  und  hintere  Seitenfontanelle  beschrie- 
ben.   Beide  verstreichen  schon  im  Embryoleben. 

Die  NXhte,  so  wie  die  Stirn-  und  Hinterhanptfontanelle,  sind  in  geburts- 
hilflicher Beziehung,  für  die  Ausmittlung  der  Lage  des  Kindkopfes  bei  der  Geburt, 
von  hoher  Wichtigkeit  Die  Nähte  erlauben  femer  durch  ihre  Uebereinanderschie- 
bung  eine  Verkleinerung  des  Kopfvolumens  eines  zu  gebärenden  Kindes,  während 
des  Durchganges  durch  den  Bekenring  der  Mutter.  Auch  sind  sie  für  das  Wachs- 
thum  des  Schädels  eine  unerlässlich  nothwendige  Bedingung.  Die  Wichtigkeit 
der  Mähte  in  letzterer  Beziehung  wurde  zuerst  von  Gibson  erkannt,  und  von 
Sömmerring  näher  beleuchtet.  Die  Hirnschale  ist  in  den  ersten  Wochen  des 
Embryolebeus  eine  häutig  -  knorpelige  Blase,  welche  durch  die  Entwicklung  und 
Vergrösserung  der  in  ihr  niedergelegten,  oder  auf  ihr  entstandenen,  primitiven 
Verknöcherungspunkte,  allmälig  verdrängt  wird.  Mau  nennt  die  aus  dem  Pri- 
mordialknorpel  des  Schädels  entstandenen  Schädelkuochen  Primordialkno- 
chen, die  übrigen  dagegen,  als  Auflagerungen  auf  häutigen  Substraten,  Deck- 
knochen (siehe  §.  119).  Wenn  diese  Knochen  bis  zur  gegenseitigen  Berührung 
herangewachsen  sind,  so  werden  zwischen  den  Berührungsrändem  derselben,  nur 
schmale  Streifen  des  Primordialknorpels,  oder  dos  häutigen  Anthcils  des  jungen 
Schädels,  übrig  bleiben.  Bei  der  Zusammensetzung  des  Schädels  aus  mehreren, 
durch  Säume  von  weicherem  Stoff  getrennten  Stücken,  ist  <*g  den  letzteren  mög- 
lich, dem  durch  das  Wachsthum  des  Gehirns  von  innen  nach  aussen  veranlassten 
Drucke  nachzugeben,  und  sich  durch  Anschuss  neuer  Knochenmasse  am  Rande 
zu  vergröasem.  Die  Schädelknochen  wachsen  somit,  waa  ihre  Zunahme  an  Breite 
bvtrifil;  vorzugsweise  an   ihren  Rändern,  während  die  Zunahme  au  Dicke  durch 


S.  108.   U«benabHge  Sch&delknochen.  261 

Ansatz  neuer  Knocheuniasse  an  die  Flächen  der  bereits  fertigen  Schädelknochen- 
Scheiben  erfolgt,  womit  natürlich  nicht  gesagt  ist,  dass  nicht  auch  jedes  Gefäss- 
kanälchen  der  Knochensubstanz  den  Herd  neuer  Knochenbildung  abgeben  kann, 
.welche  in  coneentrischen  Schichten  um  das  Kanälcheu  herum  erfolgt.  Würde 
der  Schädel  vom  Anfange  an  aus  Einem  Kuochengussc  bestehen,  so  wäre  die 
Vergrösserung  seiner  Peripherie,  wenn  nicht  unmöglich,  doch  nur  auf  sehr  lang- 
same Weise  zu  erzielen. 

Die  Nähte  halten  übrigens  die  Känder  der  fertigen  Schädelkuocheu  so  fest 
au  einander,  dass  durch  mechanische  Gewalten  erzeugte  Brüche  der  Hirnschale 
von  einem  Schädolknochen  sich  in  den  nächstliegenden,  ohne  durch  die  Nähte 
aufgehalten  zu  werden,  nnd  ohne  Kichtnngsänderung  fortpflanzen,  und  Trennun- 
gen der  Nälite  ihrer  Länge  nach  (DUutMes  »iiturarum)^  zu  den  seltensten  Folgen 
von  Verletzungen  gehören. 

Hat  die  Entwicklung  des  Gehirns  ihren  Culmiuatiouspunkt  erreicht,  so 
werden  die  Nähte  überflüssig,  und  verschmelzen  durch  Synostose  von  innen  nach 
aussen  zu.  Dieses  Verschmelzen  tritt  nicht  an  der  ganzen  Länge  der  Naht  mit 
einmal  ein,  sondern  schreitet  gewöhnlich  von  der  Mitte  gegen  die  Endpunkte 
vor.  Ist  der  Druck,  den  die  Schädelknocheu  von  innen  her  auszuiialten  haben» 
bei  raschem  Wachsthum  des  Gehirns,  oder  bei  Wasseransammlungen  in  der 
Schädelhöhle  ein  bedeutender,  und  kann  in  einer  gegebenen  Zeit  nicht  so  viel 
Knochenmaterie  am  Rande  des  jugendlichen  Schädelknochcns  abgelagert  werden, 
als  die  Ausdehnung  der  Suturalknorpel  erfordert,  so  werden  letztere  immer  breiter, 
und  können  nachträglich  durch  neue  Knochenkeme,  die  sich  in  ihnen  bilden  und 
vergrössem,  ausgefüllt  und  verdrängt  werden.  So  entstehen  die  im  nächsten 
Paragraphe  erwähnten  Nahtknochen.  Frühzeitiges  Verwachsen  der  Nähte,  bevor 
noch  das  Gehirn  seine  vollkommene  Ausbildung  erlangte,  bedingt  Mikrocephalie, 
als  treuen  Gefälurten  des  angebornen  Blödsinns.  Vorschnelles  Verwachsen  der 
Schädelnähte  auf  einer  Seite  hat  Schiefheit  des  Kopfes  zur  Folge,  mit  und  ohne 
Hemmung  geistiger  Entwicklung. 

Wo  eine  Synchondrose  am  Schädel  vorkommt,  setzt  sich  der  Knorpel  der- 
selben in  die  knorpelige  Grundlage  der  Schädelknochen  unmittelbar  fort.  Der 
Synchondrosenknorpel  ist  demnach  der  nicht  ossificirte  Theil  des  primordialen 
Schädelknorpels.  Entzieht  man  der  Basis  einer  frischen  Hirnschale  durch  Be- 
handlung mit  verdünnter  Salzsäure  die  Knochenerde,  so  bleibt  eine  continuirliche 
Knorpelschale  zurück,  an  welcher  keine  Nahtspuren  zu  entdecken  sind.  Da  man 
die  Schädelknochen  nur  an  macerirten  Köpfen  studirt,  erhält  man  von  den  Syn- 
chondrosenknorpeln  keine  Anschauung. 

Ein  sehr  interessanter  Artikel  über  das  Verhältniss  der  Nähte  zur  Festig- 
keit des  Schädeli  findet  sich  in  der  Cjfdopaedia  of  Anal,  and  PhytioL  j^Crane.'^ 


§.  103.  Ueberzählige  Schadelünochen. 

Die  Zahl  der  Schädelknochen  erscheint  in  nicht  ganz  seltenen 
Ausnahmsföllen  durch  das  Auftreten  ungewöhnlicher  Knochen  ver- 
mehrt Die  Vermehrung  kann  auf  zweifache  Weise  stattfinden.  Es 
zerfällt  entweder  ein  normaler  Schädelknochen ,  wie  bereits  beim 
Stirn-;  Scheitel-  und  Hinterhauptbein  bemerkt  wurde ,  durch  ab- 
norme Nahtbildung  in  zwei  oder  mehrere  Stttcke;  oder  es  ent- 
wickeln sich  in  den  Scbädelnähten  selbststftndige  Knoehen,  die 


262  $.  104.    üebon&hUge  Schädellmoclien. 

dem  Namen  der  Naht-  oder  Schaltknochen,  auch  Zwickel- 
beine (Ossicula  suturarum,  Wormiana,  triquett^a,  epactalia,  rapho- 
geminantid)  belegt*)  werden.  Die  Entstehung  letzterer  datirt  aus 
jener  Periode  des  Embryolebens,  wo  die  Schädelknochen  noch  durch 
weiche,  häutige  oder  knorpelige  Zwischenstellen  von  einander  ge- 
trennt waren.  Werden  in  diesen  weichen  Interstitien  selbstständige 
Ossificationspimkte  niedergelegt,  die  bis  auf  eine  gewisse  Grösse 
wachsen,  ohne  mit  den  anstossenden  Knochen  zu  verschmelzen,  so 
treten  sie  in  die  Kategorie  der  überzähligen  Schädelknochen.  Am 
häufigsten  finden  sie  sich  in  der  Lambdanaht,  wo  ihre  Zahl,  nament- 
lich bei  hydrocephaUschen  Schädelformen,  bis  in  das  Unglaubliche 
wuchert.  Ich  habe  deren  mehr  als  300  in  der  Lambdanaht  eines 
Cretinschädels  gesehen.  Sie  wurden  aber  in  jeder  anderen  Naht, 
und  selbst  in  der  Mitte  der  Hinterhauptschuppe  eingeschlossen  an- 
getroffen. 

An  den  beiden  Punkten,  wo  die  Pfeilnaht  mit  der  Kranziiaht  und  mit  der 
Lambdanaht  zusammenstösst,  erreichen  die  Nahtknocbon  eine  merkwürdige  Grösse, 
und  nehmen  hier,  so  wie  wenn  sie  an  den  beiden  unteren  Winkeln  des  Scheitel- 
wandbeins vorkommen,  den  Namen  der  Fontanellknochen  an.  Der  zwischen 
Pfeil'  und  Kranznaht  eingeschaltete  Fontanellknochen  war  schon  den  älteren 
Aerzten  (dem  originellen  Salzburger,  Phil.  H.öchener,  der  sich  selbst  zum 
ParaceUus  latinisirte,  und  den  bescheidenen  Titel  Monarcha  medicorum  beilegte) 
bekannt,  und  wurde  als  Heilmittel  gegen  die  fallende  Sucht  angewendet,  woher 
die  alte  Benennung:  Osnadum  arUiepilepticum,  Der  die  Spitze  der  Hinterhaupt- 
schuppe bildende  Nahtknochen  wird  bei  vielen  Nageni,  Wiederkäuern  und  Fleder- 
mäusen, zu  einem  constanten  Schädelknochen,  und  ist  in  der  vergleichenden  Ana- 
tomie als  Of  intetparietale  bekannt  (Geoffroy).  Ueber  die  Verschiedenheiten 
dieses  und  anderer  Schaltknochen  an  thierischen  Schädeln,  enthalten  reiches 
Material  W.  Ghniher^a  Abhandlungen  aus  der  menschl.  und  vergleichenden  Ana- 
tomie, Petersburg,  1852. 

Als  allgemeine  Gesetze  des  Vorkommens  der  Schaltknochen  gelten  folgende : 

1.  Sie  finden  sich  in  der  Regel  nur  an  der  Hinischale.  Am  Gesichte  kom- 
men sie  seltener  vor.  Man  hat  Schaltknochen  fast  in  allen  Nähten  angetroffen. 

2.  Schädel  mit  grossen  Dimensionen  zeigen  sie  häufiger,  als  kleine. 

3.  Ihre  Grösse  variirt  von  Linsengrösse  bis  zum  Umfange  eines  Thalers, 
wie  ich  an  einem  Stimfontanellknochen  vor  mir  sehe. 

4.  Sie  sind  häufiger  symmetrisch  gestellt,  als  nicht 

5.  Die  Schaltknochen  bestehen,  wie  die  übrigen  Schädelknochen,  aus  zwei 
Tafeln,  mit  intercalarer  DiploS.  Ihre  innere  Tafel  ist  meistens  kleiner,  als  die 
äussere,  wodurch  ihre  Einfügung  zwischen  ihre  Nachbarn  eine  kcilartigo  wird. 
Aus  demselben  Grunde  fallen  die  Nahtknochen  an  macerirten  Schädeln  gerne 
aus,  und  lassen  sich,  wenn  sie  nicht  ausfallen,  leicht  mit  dem  Mcisscl  ausheben. 

6.  Selten  finden  sich  Schaltknochen,  welche  bei  äusserer  Ansicht  dos  Schä- 
dels nicht  zu  sehen  sind,  indem  sie  blos  der  inneren  Tafel  der  Schädelknochen 
angehören.     Häufiger   dagegen   kommen,   besonders  in   der  Lambdanalit,  Schalt- 


*)  Der  Name:  0$  epactdU^  stammt  von  e^cocx-nj,  d.  h.  hinzugefügt,  daher 
epactaCy  der  Schalttag.  —  Der  Name:  Osva  WotTiiiaJia  (von  dem  dänischen  Arzte 
Ole  W*orm)  gebührt  ihnen  nicht,  da  schon  Eustachius  diese  Knochen  kannte. 


|.  104.   ßch&delböhle.  263 

knochen  vor,  welche  nur  aus  einer  äusseren  Tafel  bestehen.  Diese  Nahtknochen 
sind  dann  immer  sehr  klein. 

Nach  Angabe  Tschudi^s  kommt  ein  wahres  Oa  interparietale  bei  gewissen 
Stämmen  der  Ureinwohner  von  Peru,  den  Chinchas,  Aymaras  und  Huankas,  con- 
stant  vor.  Der  grösste  obere  Theil  der  Hinterhauptschuppe  existirt  nämlich  bei 
Neugeborenen  dieser  Stämme  als  selbstständiger  Knochen,  bleibt  es  durch's  ganze 
Leben,  oder  verschmilzt  nur  selten  nach  dem  4.  oder  5.  Lebensmonate  mit  dem 
Reste  der  Schuppe.  Eine  über  der  Linea  »emicircularis  superior  verlaufende  Furche 
soll  auch  bei  alten  Schädeln  dieser  Stämme,  an  die  früher  bestandene  Trennung 
der  Hinterhauptschuppe  erinnern.  An  den  Schädeln  aus  Atacama  und  Guatemala, 
welche  ich  besitze,  fehlt  sie. 


§.  104.  Schädelhölile. 

Die  Grösse  und  Gestalt  der  Schädelhöhle,  Cavum  crann,  ist 
in  verschiedenen  Lebensperioden,  bei  verschiedenen  Individuen  und 
Racen,  so  veränderlich,  dass,  ohne  in  nutzlose  Details  einzugehen, 
sich  nur  allgemeine  Bestimmungen  geben  lassen.  Man  kann  inso- 
fern sagen,  dass  die  Schädelhöhle  im  Verhältniss  zur  Körpergrösse 
um  so  geräumiger  gefunden  wird,  je  jünger  das  Individuum;  denn 
die  Geräumigkeit  der  Schädelhöhle  hängt  vom  Volumen  des  Ge- 
hirns ab,  welches  im  Embryonen-  und  Kindesalter  relativ  zur  Kör- 
pergrösse prävaUrt.  Dass  die  Gestalt  des  Schädels  sich  im  Allge- 
meinen nach  der  Masse  und  der  Gestalt  des  Gehirns  richtet,  ist 
wahr.  Unwahr  aber  ist  es,  dass  man  aus  der  Gestalt  des  Schädels, 
aus  gewissen  Hervorragungen  desselben,  auf  die  Anlagen,  Fähig- 
keiten, Tugenden  und  Laster  eines  Menschen  schliessen  könne. 
Das  allgemeine  Princip  der  Abhängigkeit  der  Schädelform  vom 
Gesammtgehim  will  ich  nicht  beanständigen,  aber  die  Functionen 
der  einzelnen  Gehimtheile  sind  noch  so  räthselhaft,  dass  eine  Lehre, 
die  sich  anmasst,  durch  Abgreifen  des  Schädels  die  geistigen  An- 
lagen eines  Menschen  ausfindig  machen  zu  wollen,  nur  von  Thoren 
filr  Thoren  erfunden  werden  konnte.  Dieses  über  den  Werth  der 
Gairschen  Schädellehre. 

Ein  durch  die  Länge  der  Pfeilnaht  senkrecht  geführter  Schnitt, 
und  ein  anderer  durch  die  Stirnhöcker  zum  Hinterhaupthöcker  nach 
hinten  gelegter,  geben  Ovallinien,  deren  schmales  Ende  gegen  die 
Stime  zu  liegt.  Die  Schädelhöhle  hat  somit  die  Eiform.  Die  obere 
Schale  des  Eies  {Fomix  cranit)  ist  an  beiden  Flächen  glatt,  die 
untere  (Basis  ci'anii)  zeigt  sich  bei  innerer  Ansicht,  in  drei  Gruben 
abgetheilt,  welche  von  vorn  nach  rückwärts  gezählt  werden. 

1.  Vordere  Schädelgrube.  Sie  liegt  unter  allen  am  höch- 
sten, und  wird  durch  die  Partes  orhitariae  des  Stirnbeins,  die  La- 
mina  cribrosa  des  Siebbeins,  von  welcher  man  nur  sehr  wenig  nebt, 
und  die  schwertförmigen  Flügel  des  Keilbeins  gebildet«  Per  Bcluurfr 


264  |.  104.   Sch&delhöhle. 

hintere  Rand  der  letzteren  trennt  sie  von  der  darauf  folgenden  mittleren 
Grube.  Aus  der  Mitte  ihres  Grundes  ragt  die  Crista  galli  empor,  vor 
welcher  das  Foiamen  coecum  und  der  Anfang  der  Crista  frontalis  hegen. 

2.  Die  mittlere  Schädelgrube  hat  die  Gestalt  einer  liegen- 
den Qo,  und  besteht  eigentlich  aus  zwei  seitUchen  Gruben,  welche 
durch  die  Sella  turcica  mit  einander  in  Verbindung  stehen.  Sie 
wird  durch  die  oberen  und  die  beiden  Seitenflächen  des  Körpers 
des  Keilbeins,  so  wie  durch  die  Superficies  cei^ebralis  des  grossen 
Keilbeinflügels,  und  durch  die  obere  Fläche  der  Felsenpyramide 
zusammengesetzt.  Der  obere  Rand  der  Pyramide  trennt  sie  von  der 

3.  hinteren  Schädelgrube,  welche  die  übrigen  an  Grösse 
übertrifft,  und  durch  das  Hinterhauptbein,  die  hintere  Fläche  der 
Pyramide,  und  die  innere  Fläche  der  Pars  mastoidea  des  Schläfe- 
beins gebildet  wird. 

Nebst  diesen  Gruben  finden  sich  an  der  inneren  Oberfläche 
des  ^  Schädelgehäuses  noch  Rinnen  oder  Furchen,  die  entweder  ver- 
zweigt sind,  oder  keine  Nebenäste  abgeben.  Die  verzweigten 
Furchen  nehmen  die  arteriellen  und  venösen  Gefässramificationen 
der  harten  Hirnhaut  auf,  und  heissen  Sulci  arterioso-venosL  Sie  ent- 
springen am  Foramen  spinosum  mit  einer  Hauptfurche,  welche  an 
der  Schuppe  des  Schläfebeins  sich  in  zwei  Nebenzweige  theilt, 
deren  vorderer  über  die  Gehirnfläche  des  grossen  Keilbeinfltigels 
zum  Angulus  sphenoidalis  des  Seiten wandbeins  schief  emporsteigt, 
während  der  hintere  über  die  Schläfeschuppe  beiläufig  zur  Mitte 
des  unteren  Randes  des  Seitenwandbeins  zieht,  wo  dann  beide  durch 
wiederholte  Theilung  allmälig  sich  verjüngen,  und  über  die  ganze 
innere  Fläche  des  Seitenwandbeins  bis  auf  das  Stirn-  und  Hinter- 
hauptbein hin  ausstrahlen.  Die  unverzweigten  Furchen  sind  viel 
breiter,  als  die  verzweigten,  enthalten  gewisse  Blutleiter  der  harten 
Hirnhaut,  imd  heissen  deshalb  Sulci  venosi.  Wir  unterscheiden  fol- 
gende Suld  veixosi: 

a)  Der  grösste  derselben  beginnt  als  Suhus  longitudinalis  schon 
über  der  Crista  des  Stirnbeins,  geht  längs  der  Sutura  sagittalis  nach 
rückwärts,  dann  an  der  rechten  Seite  des  senkrechten  Schenkels  der 
Eminent ia  aniciata  interna  des  Hinterhauptbeins  nach  abwärts,  und 
setzt  sich  in  die  Furche  zwischen  den  rechten  Hälften  der  beiden 
Querlinien  als  Snlcns  transversus  fort,  streift  über  den  Warzenwinkel 
des  Seitenwandbeins  nach  vorn,  und  steigt  an  der  inneren  Fläche 
des  Warzentheils  vom  Schläfebein  herab,  um  sich  um  den  Processus 
jugniaris  des  Hinterhauptknochens  herumzukrümmen,  und  im  Fora- 
men  jugulare  dextt*um  zu  endigen. 

b)  Zwischen  den  linken  Hälften  der  inneren  Queriinien  des 
Hinterhauptbeins  befindet  sich  ein  ähnlicher  Venensulcus,  der  den- 
selben Weg  zum  Foramen  jugulare  sinisti^um  einschlägt. 


).  105.  Allgemeine  Bemerkungen  Aber  die  Qesichtsknochen.  265 

c)  Am  oberen  Rande  der  Pyramide  liegt  ein  constanter  Sulctis 
petrosus  superioTy  und 

d)  am  vorderen  und  hinteren  Rande  der  häufig  fehlende  Sulcns 
petrosus  anterior  et  posterior. 

Am  skeletirten  Schädel  exißtiii;  zwischen  der  Spitze  der  Fel- 
senpyramide und  dem  Eeilbeinkörper  eine  zackige  Oeffnung,  welche 
im  frischen  Schädel  durch  Knorpel  ausgefüllt  ist,  sich  in  den,  zwi- 
schen hinterem  Winkel  der  Pyramide  und  Seitentheil  des  Hinter- 
hauptbeins befindlichen  Spalt  {Fissura  petroso-hasilaria)  verlängert, 
und  Foramen  lacervm  anterius  genannt  wird. 

Die  durch  einen  senkrechten  Durchschnitt  des  Schädels  erhal- 
tenen Hälften  desselben  sind  fast  niemals  vollkommen  gleich.  Diese 
Ungleichheit  trifft  besonders  gewisse  Einzelnheiten,  und  zwar  vor- 
zugsweise die  Gruben  des  Hinterhauptbeins,  die  Suhi  venosi  und 
Foramina  jugvlaria,  welche  auf  der  rechten  Seite  stärker  ausgewiiict 
gefunden  werden.  Man  glaubte  mit  Unrecht,  den  Grund  für  die 
grössere  Entwicklung  der  Sulci  venosi  und  des  Foramem  jugulare 
dextrum,  in  dem  häufigen  Liegen  auf  der  rechten  Seite  gefunden 
zu  haben,  wodurch  das  venöse  Blut,  den  Gesetzen  der  Schwere 
zufolge,  in  den  Gelassen  nach  rechts  strömt. 

'  Es  gewährt  dem  Anfänger  viel  Nutzen,  sich  beim  Studium  der  Schädel- 

gruben  nicht  der  getrennten  Schädelknochen,  sondern  eines  horizontal  und  eines 
vertical  aufgesägten  Schädels  zu  bedienen,  und  an  der  Basis  und  den  Seiten- 
wänden derselben  die  einzelnen  Oeffnungen  und  Furchen  aufzusuchen,  welche  in 
der  speciellen  Beschreibung  der  Schädelknochen  genannt  wurden.  Das  relative 
LageruDgsverhältniss  dieser  Oeflbungen  und  Furchen  wird  sich  für  die  Angaben 
der  später  folgenden  Doctrinen,  besonders  der  Gefäss-  und  Nervenlehre,  als 
nützlich  bewähren. 

Ausführliches  über  die  osteologischen  Verhältnisse  der  Schädelhohle,  über 
Nähte,  Fontanellen,  Geschlechts-  und  Racenverschiedenheiten  enthält  mein  Hand- 
buch der  topographiachen  Anatomie.  4.  Aufl.  1.  Bd.  Wien,  1860. 


b)  Gesichtsknochen. 
§.  105.  Allgemeine  Bemerkimgeii  über  die  ftesichtsknocheiL 

Der  GesichtstheQ  des  Kopfes  wird  durch  vierzehn  Knochen 
construirt.  Dreizehn  derselben  (die  paarigen  Oberkiefer-,  Joch-, 
Gaumen-,  Nasen-,  Thränen-,  Muschelbeine,  und  der  unpaarige  Pflug- 
scharknochen i,  sind  zu  einem  unbeweglichen,  an  der  Himacbaie 
befestigten  Ganzen  verbunden,  welches  die  zur  Unterbringung  der 
Gesichts-  und  Geruchswerkzeuge  erforderlichen  Höhlen  enthiU. 
Unter  diesen  liegt  der  vierzehnte  Geaichtsknochen  (der  ünteridefci*' 
welcher  mit  dem   übrigen  KsochengerOste  des  OendHi  m 


266  §.  106.    Oberkieferbein. 

Verbindung  steht,  und  nur  während  des  Zubeissens  mit  seiner 
Zahnreihe  jene  des  Oberkiefers  trifft.  Er  wird  an  der  Basis  des 
Himschädels,  und  zwar  am  Schläfebein,  beweglich  durch  ein  Ge- 
lenk, suspendirt. 

Da  das  Pflugscliarbein  um  eine  Zeit,  wo  noch  alle  übrigen  Kupfknochen 
getrennt  von  einander  bestehen,  schon  mit  dem  Siebbein  zu  verwachsen  beginnt, 
80  könnte  es,  mit  Portal  und  Lieutand,  als  ein  Theil  dieses  Knochens  ange> 
sehen  werden,  wodurcli  die  Zahl  der  Gesichtsknoclien  auf  dreizehn  reducirt 
würde,  von  welchen  die  seclis  paarigen  das  Oberkiefergerüste  bilden,  welchem 
der  einzige  unpaarige  Knochen  des  Unterkiefers  beweglich  gegenübersteht. 

Der  Oberkieferknochen  verhält  sich  zum  Gesichte,  wie  das 
vereinigte  Keil  -  Hinterhauptbein  zum  Himschädel.  Er  stellt  einen 
wahren  Basilarknochen  des  fixen  Oberkiefergerüstes  dar,  welcher 
sich  mit  allen  übrigen  Knochen  dieses  Gerüstes  verbindet,  und 
ihnen  an  Grösse  bei  weitem  überlegen  ist.  Alle  Gesichtsknochen, 
welche  Verbindungen  mit  dem  Oberkiefer  eingehen,  sind  nur  des 
Oberkiefers  wegen  da,  und  dienen  ihm  auf  zweifache  Weise.  Sie 
bezwecken  entweder  eine  Vermehrung  und  Klräftigung  seiner  Ver- 
bindungen mit  dem  Himschädel,  welche  somit  grösstentheils  mittel- 
bare sein  werden,  und  sichern  dadurch  den  wankenden  Thron  dieses 
Gesichtsmonarchen,  vor  den  gewaltigen  Erschütterungen,  die  er  von . 
seinem  unruhigen  und  vielbewegten  Antagonisten  —  dem  Unter- 
kiefer —  beim  Kauen  zu  erdulden  hat.  Solche  Gesichtsknochen 
sind  das  Jochbein  und  das  Nasenbein.  Ich  nenne  sie  deshalb  Stütz- 
knochen des  Oberkiefers.  Oder  sie  dienen  zur  Vergrösserimg  seiner 
Flächen,  wie  die  übrigen  kleineren  und  dünneren  Gesichtsknochen: 
Gaumenbein,  Muschelbein,  Thränenbein.  Die  Stützknochen  werden 
einen  bedeutenden  Grad  von  Stärke  besitzen  müssen,  dessen  die 
blossen  Vergrösserungsknochen  leicht  entbehren  können.  Erstere 
werden  kurze  und  dicke,  letztere   flache  und  dünne  Knochen  sein. 

Die  Verbindungen  der  Gesichtsknochen  mit  den  Schädelknoclien  werden 
durch  stark  gezähnte  Nähte,  und  die  Verbindungen  derselben  unter  einander 
grösstentheils  durch  Anlagerungen  bewerkstelligt 

Von  den   paarigen   Gesichtsknochen  genügt  es,  nur  Einen  zu  beschreiben 


§.  106.  Oberkieferbein. 

Das  Oberkieferbein,  Maxilla  s.  Mandihula  superiory  Os 
maxillare  superius,  behauptet  durch  seine  Grösse  und  seine  Arrai- 
rung  mit  Zähnen  als  passives  Kauwerkzeug,  den  Vorrang  unter 
seinen  Gefährten  und  Nachbarn,  aus  welchen  sich  die  obere  fixe 
Gesichtshälfte  aufgebaut  hat.  Es  wird  in  den  Körper,  und  in  4  Fort- 
sätee  eingetheilt. 


§.  IOC.   Oberkieferbein.  267 

a)  Der  Körper  besitzt,  wenn  man  sich  alle  Fortsätze  weg- 
genommen denkt,  die  Gestalt  eines  Keils.  Um  mit  Auirechthaltung 
seiner  Grösse  und  Form  eine  gewisse  Leichtigkeit  zu  verbinden, 
musste  er  hohl  sein.  Die  Höhle  heiset  Simis  maxillaris  s.  Äntrum 
Highmori,  hat  ganz  die  Gestalt  des  Körpers  des  Oberkiefers,  und 
wird  nur  an  seiner  unteren  Wand  zuweilen  durch  niedrige  Quer- 
leisten in  ftlcherfbrmige  Gruben  abgetheilt.  —  Der  Körper  des 
Oberkiefers  besitzt  drei  Flächen  oder  Wände: 

1.  Die  äussere  oder  Gesichtsfläche  (Superficies  s.  Lamina 
fadaiü)  ist  von  vom  nach  hinten  convex,  und  durch  eine  gegen 
den  gleich  zu  erwähnenden  Jochfortsatz  ansteigende  glatte  Erhaben- 
heit, in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  getheilt.  Die  vordere  ist 
concav,  wie  eingesunken,  zeigt  unter  ihrem  oberen  Rande  das  Fo- 
ramen  infraorbitale,  und  unter  diesem  eine  seichte  Grube,  wie  ein 
Fingereindruck  der  Knochen  wand  (Fovea  maxillaris  s,  canina).  Die 
hintere  erscheint  convex,  und  wird  nach  hinten  durch  eine,  mit 
vielen  Löchern  durchbohrte  Rauhigkeit  (Tubeivsitas  maocillaris),  be- 
grenzt. Die  Löcher  derselben  sind  theils  der  Ausdruck  der  schwam- 
migen Textur  des  Knochens,  theils  dienen  sie  als  Zugänge  zu  Ge- 
fäss-  und  Nervenkanälen,  imd  heissen  in  diesem  Falle  Foramina 
maxälaria  swperiora,  obwohl  jedes  Loch  des  Oberkiefers  auf  diese 
Bezeichnug  Anspruch  hat. 

2.  Die  obere  oder  Augenhöhlenfläche,  Superficies  orhitalis 
s.  Planum  orbitale,  ist  dreieckig,  und  nach  vom  und  aussen  etwas 
abschüssig.  Von  ihren  drei  Rändern  trägt  nur  der  innere  dort  kurze 
Nahtzacken,  wo  er  sich  mit  dem  unteren  Rande  der  Lamina  papy- 
ra/xa  des  Siebbeins  verbindet.  Der  vordere  ist  scharf,  der  hintere 
abgerundet.  Der  vordere  bildet  einen  Theil  des  unteren  Augen- 
höhlenrandes (Margo  infraoi-bitalis).  Der  hintere  erzeugt  mit  dem, 
über  ihm  liegenden,  imteren  Rande  der  Augenhöhlenfläche  des 
grossen  Keilbeinflügels,  die  untere  Augengrubenspalte  (Fissura  orhi- 
talis inferior).  Von  ihm  geht  eine  Furche,  die  sich  allmälig  in  einen 
Kanal  (Canalis  infraorbitaiis)  umwandelt,  nach  vorwärts,  um  am 
Fai'amen  infraorbitale  auszumünden. 

Der  Canaüs  infraorhüalia  führt,  kurz  vor  seiner  Ausmündang  am  Foramen 
mfraorbitcUej  in  ein  Nebenkanälchen  {Canalis  alveolarU  anterior),  welches  Anfangs 
zwischen  den  beiden  Lamellen  der  Facialwand  des  Oberkieferkörpers,  später 
aber  als  Furche  an  der,  der  Highmorshöhle  zusehenden  Fläche  dieser  Wand, 
gegen  die  Wurzeln  der  Schneidezähne  herabläuft  Es  kann,  so  wie  die  mehr- 
fachen Canales  alveolare»  posteriores ,  welche  von  den  Foramina  maxillaria  superiora 
ausgehen,  bei  äusserer  Untersuchung  des  Knochens  nicht  gesehen  werden,  und 
muss  mit  Hammer  und  Meissel  verfolgt  werden. 

3.  Die  Nasen  fläche  (Superficies  s.  Lamina  nasalis)  zeigt  die 
grosse  Oeffnung  der  Highmorshöhle,  und  vor  dieser  den  weiten 
äiukw  lacnffnaUa  ab  senkrechten  Halbkanal. 


268 


{.  106.   Oberkieferbein. 


b)  Die  4  Fortsätze  des  Oberkiefers  wachsen  nach  oben, 
aussen,  unten,  und  innen,  aus  dem  Körper  heraus.    Sie  sind: 

1.  Der  Process7(»  nasalis  8.  frontalis  s.  ascendens.  Durch  die 
tiefgekerbte  Spitze  dieses  Fortsatzes  verbindet  sich  das  Oberkiefer- 
bein direct  mit  der  Hirnschale  an  der  Pars  nasalis  des  Stirnbeins. 
Sein  vorderer  Rand  ist  an  der  oberen  Hälfte  geradlinig,  und  stösst 
an  das  Nasenbein;  die  untere  concave  Hälfte  dieses  Randes  hilft 
mit  demselben  Rande  des  gegenständigen  Oberkieferbeins,  den  vor- 
deren Naseneingang  {Apertura  ptp^iformis  namum)  bilden.  Der  hintere 
Rand  stösst  an  das  Thränenbein.  Die  äussere  Fläche  wird  durch 
eine  aufsteigende  Fortsetzung  des  Margo  infraarbitalis  in  eine  vor- 
dere, ebene,  das  knöcherne  Nasendach  bildende,  und  in  eine  hintere, 
kleinere,  rinnenförmig  gehöhlte  Abtheilung  (Thränensackgrube,  Fosm 
sacci  lactymalis)  getheilt,  welche  sich  nach  abwärts  in  den  SiUeus 
lacrymalis  der  Nasenfläche  des  Oberkieferkörpers  continuirt.  Die 
innere  Fläche  deckt  mit  ihrem  oberen  Felde  einige  Zellen  des 
Siebbeinlabyrinthes,  und  wird  weiter  unten  durch  eine  vom  unteren 
Ende  des  Sulcus  lacrymalis  nach  vom  laufende  rauhe  Leiste  {Christa 
tiirbinalis)  zur  Anlagerung  der  unteren  Nasenmuschel,  quer  geschnitten. 
Zuweilen  liegt,  einen  Daumen  breit  über  der  Orista  turbifiaUs,  noch 
eine  rauhe,  lineare  Anlagerungsspur  der  unteren  Siebbeinmuschel 
(Orista  eihmoidalis), 

2.  Der  stumpfpyratnidale  Processus  zygomaticus  strebt  nach 
aussen,  dient  dem  Jochbein  als  Ansatzstelle,  und  erscheint  durch 
eine  dreieckige,  zackenbesetzte  Fläche,  wie  abgebrochen.  Zuweilen 
zeigt  diese  Fläche  eine  unregelmässige  Oeffiiung  von  verschiedener 
Grösse,  durch  welche  die  Highmorshöhle  nach  aussen  klafft,  und 
somit  das  Jochbein  die  Rolle  eines  Deckels  für  diese  Oeffhung  zu 
übernehmen  hat. 

3.  Der  horizontal  nach  innen  gerichtete,  viereckige  und  starke 
Processus  palatinus,  kehrt  seine  obere,  glatte,  concave  Fläche  der 
Nasenhöhle,  und  seine  rauhe,  untere  Fläche  der  Mundhöhle  zu, 
und  bildet  mit  dem  der  anderen  Seite  den  vorderen  grösseren  Theil 
des  harten  Gaumens.  Sein  innerer  und  hinterer  Rand  sind  ge- 
zackt, ersterer  überdies  aufgebogen,  und  nach  vom  zu  höher  wer- 
dend. Durch  den  Zusammenschluss  der  inneren  Ränder  des  rechten 
und  linken  Processus  palatinus  entsteht  die  mediane  Orista  nasalis, 
welche  nach  vom  in  die  Spina  nasalis  antei'ior  (vorderer  Nasen- 
stachel) ausläuft.  Einen  halben  Zoll  hinter  der  Spitze  der  Spina 
nasalis  anterior  liegt  an  der  oberen  Fläche,  dicht  am  inneren  Rande 
derselben,  ein  Loch,  welches  in  einen  schräg  nach  innen  und  abwärts 
laufenden  Kanal  {Canalis  naso-palatinus)  führt.  Die  Kanäle  des  rech- 
ten und  linken  Gaumenfortsatzes  convergiren  somit,  vereinigen  sich, 
und  münden  an  der  unteren  Fläche  des  harten  Gaumens  durch  eine 


$.  106.    Oberkieferbein.  269 

gemeinschaftliche  Oeffnung  aus^  welche  in  der,  die  Gaumenfortsätze 
verbindenden  Naht,  hinter  den  Schneidezähnen  liegt,  und  deshalb 
Foramen  incmvum  s.  palatinum  antefinua  genannt  wird. 

4.  Der  P^ocesstis  alveolaris  wächst  aus  dem  Körper  des  Ober- 
kiefers nach  unten  heraus.  Wir  finden  ihn  bogenförmig  gekrümmt, 
mit  äusserer  Convexität.  Er  besteht  aus  einer  äusseren  schwächeren, 
and  inneren  stärkeren  Platte,  welche  ziemlich  parallel  laufen,  imd 
durch  Querwände  so  unter  einander  zusammenhängen,  dass  8  Zellen 
(Alveoli)  für  die  Aufnahme  ebenso  vieler  Zähne  entstehen.  Die  Form 
der  Zellen  richtet  sich  nach  der  Gestalt  der  betreffenden  Zahnwur- 
zeln. Die  wellenförmige  Krümmung  (Juga  alveolarid)  der  äusseren 
Platte  des  Fortsatzes  lässt  die  Lage  und  Tiefe  der  Alveoli  absehen. 
Man  kann  am  eigenen  Schädel  die  Juga  alveolaria  recht  deutlich 
fühlen,  wenn  man  den  Finger  über  dem  Zahnfleisch  des  Oberkiefers 
hin  und  her  führt.  Da  die  Juga  alveolana  der  Dicke  der  Zahnwur- 
zeln entsprechen  müssen,  so  erfahrt  der  Zahnarzt  aus  derselben  Unter- 
suchung am  Lebenden,  ob  ein  Zahn  leicht  oder  schwer  zu  nehmen 
ist,  und  richtet  darnach  das  Maass  der  anzuwendenden  Kraft. 

Nicht  selten  finden  sich  am  Oberkiefer  aussergewöhnliche  Nähte  oder  Naht- 
■pnren,  welche  als  Ueberbleibsel  embryonaler  Bildungszustände  des  Knochens 
ansoBehen  sind,  a)  Vom  Foramen  infraorbitale  zum  gleichnamigen  Margo,  und 
zuweilen  durch  das  ganze  Planum  orbitale  laufend,  b)  Von  der  Spitze  des  Pro- 
ceuuM  frontalis  gegen  den  unteren  Augenhöhlenrand,  wodurch  das  hintere,  die 
Thrinenaackgrube  bildende  Stück  des  Fortsatzes  selbststfindig  wird  (selten), 
c)  Hinter  den  Schneidezähnen ,  quer  durch  das  Foramen  incisivum  gehend. 
Meckel  sieht  in  dieser  letztgenannten  Nahtspur  eine  Andeutung  zur  Isolirung 
des,  bei  den  Sängethieren  existirenden,  und  die  Schneidezähne  tragenden  Oa  inci- 
«fotcm  t.  intermaxillare,  dessen  Begrenzung,  wenn  die  auch  an  der  vorderen  Seite 
des  Körpers  bei  dreimonatlichen  Embryonen  gesehene  Fissur  permanent  bliebe, 
Tollstftndig  würde. 

Am  inneren  Rande  der  Augenhöhlenfläche  des  Oberkiefers  bemerkt  man 
zuweilen  die  Cellulae  orbitariae  Halleriy  welche  zur  Completirung  des  Siebbein- 
labyrinthes verwendet  werden;  —  die  Highmorshöhle  wird  durch  eine  Scheide- 
wand, wie  beim  Pferde,  getheilt,  oder  fehlt  gänzlich,  wie  Morgagni  gesehen  zu 
haben  versichert;  die  Alveoli  der  Backen-  und  Mahlzähne  communiciren  mit  der 
Kieferbohle,  und  die  Spitzen  der  Zahnwurzeln  ragen  frei  in  letztere  hinauf;  — 
das  Foramen  infraorhitale  wird  doppelt,  wie  bei  einigen  Quadrumanen;  —  die 
beiden  Cantdea  naso-palatini  verschmelzen  im  Herabsteigen  nicht  zu  einem  unpaa- 
ren  medianen  Kanal,  sondern  bleiben  getrennt,  so  dass  ein  doppeltes  Foramen 
inäHvum  gegeben  ist.  Jedes  derselben  kann  in  eine  vordere  grössere  und  hin- 
tere kleinere  Oeffiinng  zerfallen.  Selten  tritt  zwischen  zwei  getrennt  bleibenden 
Canales  noMO-palatini  ein  unpaarer  medianer  auf,  welcher  nach  oben  an  die  Nasen- 
scheidewand stösst,  und  daselbst  blind  endigt.  Nicht  ungewönlich  erscheint 
das  Foramen  incintmm  als  Endmündung  einer  geräumigen,  erbsengrossen  Höhle, 
in  welche  Höhle  sich  die  beiden  Canales  naso-palalini  öffnen. 

Geht  ein  Zahn  verloren,  so  schwindet  dessen  Alveoltu  durch  Resorption, 
was  im  hoben  Alter  mit  dem  ganzen  zahnlosen  Alveolarfortsatz  an  beiden  Kinn- 
backen geschieht. 


270  8.  10^.  Jochbein. 


§.  107.  Jochbein. 

Das  Jochbein^  Os  zygomaticum  (Synon.:  Zygoma,  Os  malare, 
jngale,  aubocularef  hypopium,  auch  pudicuviy  der  Schamröthe  wegen), 
hat  nach  Verschiedenheit  seiner  Grösse  und  der  Stellung  seiner 
Flächen,  einen  sehr  bestimmenden  Einfluss  auf  die  Gesichtsform. 
Wir  erkennen  in  ihm  einen  massiven  Strebepfeiler,  durch  welchen 
der  Oberkiefer  mit  drei  Schädelknochen,  —  dem  Stirn-,  Schläfe- 
und  Keilbein  —  verbunden,  und  in  seiner  Lage  befestigt  wird,  daher 
sein  griechischer  Name  (von  I^jy^w,  einjochen,  verbinden).  Wir  haben 
somit  auch  an  ihm  drei  Fortsätze  zu  unterscheiden,  welche  nach 
jenen  Schädelknochen,  zu  welchen  sie  gehen,  benannt  werden.  Der 
nach  oben  gehende  Stirnbeinfortsatz  muss  der  stärkste  sein,  da 
der  Druck  beim  Kauen  und  Beissen  von  unten  her  auf  den  Ober- 
kiefer wirkt,  und  folgUch  dem  möglichen  Ausweichen  dieses  Kno- 
chens nur  durch  eine  starke  Stütze  am  Stirnbein  entgegengewirkt 
werden  konnte.  Der  nach  hinten  gerichtete  Jochfortsatz  bildet 
mit  dem  entgegenwachsenden  Jochfortsatze  des  Schläfebeins  eine 
knöcherne  Brücke  (JPons  s,  Arcus  zygomaticus)^  welche  die  Schläfen- 
grube horizontal  überwölbt,  und  ihrer  bei  verschiedenen  Menschen- 
racen  verschiedenen  Richtung,  Bogenspannung,  und  Stärke  wegen, 
als  anatomischer  Racencharakter  benützt  wird.  Beide  Jochbrücken 
stehen  am  Schädel,  wie  horizontale  Henkel  an  einem  Topfe,  — 
daher  der  alte  Name  Ansäe  capitis.  Der  Keilbein forts atz,  welcher 
sich  mit  dem  vorderen  Rande  der  Orbitalfläche  des  grossen  Keil- 
beinflügels einzackt,  ist  eigentUch  nur  eine,  nach  hinten  gerichtete 
Zugabe   des   Stimfortsatzes,   imd    der   schwächste   von  allen  dreien. 

Ein  eigentlicher  Körper  mit  kubischen  Dimensionen  fehlt  am 
Jochbeine.  Wir  nennen  den  mit  dem  Jochfortsatze  des  Oberkie- 
fers durch  eine  dreieckige,  rauhgezackte  Stelle  verbundenen  Theil 
des  Knochens:  den  Körper,  welcher  ohne  scharf  gezeichnete  Gren- 
zen in  die  Fortsätze  übergeht.  —  Die  Flächen  des  Knochens, 
welche  eben  so  gut  den  Fortsätzen,  wie  dem  Körper  angehören, 
werden  nach  ihrer  Lage  in  die  Gesichts-,  Schläfen-,  und  Augen- 
höhlenfläche eingetheilt.  Von  der  Augenhöhlenfläche  zur  Gesichts- 
fläche läuft  durch  die  Substanz  des  Knochens  der  Canalis  zygoma- 
ticiis  facialis.  Er  sendet  einen  Nebenkanal  zur  Schläfenfläche.  Es 
findet  sich  aber  an  wandelbarer  Stelle,  gewöhnlich  hinter  dem 
Canalis  zygomaticus  facialis,  noch  ein  zweiter,  das  Jochbein  durch- 
setzender Kanal,  als  Canalis  zygomaticus  teniporalis,  welcher  von  der 
Augenhöhle  in  die  Schläfengrube  führt.  —  Der  Rand,  welcher  die 
Augenhöhlen-  und  Gesichtsfläche  des  Jochbeins  trennt,  ergänzt  die 
äussere  Umrandung  der  Orbita. 


t  108.   Kasenbeim  271 

I)a8  Jochbein  bildet  den  hervorragendsten  Theil  der  Wange,  mcUa  (von 
mando,  wie  aeala  von  aeando)^  und  ist  seiner  Verwendung  als  Stützknochen,  und 
seiner  vorspringenden,  durch  mechanische  Schädlichkeiten  von  aussen  her  leicht 
zu  treffenden  Lage  wegen,  der  stärkste  Knochen  der  oberen  Gesichtshälfte.  £r 
schliesst  deshalb  auch  keine  Höhle  ein.  —  Das  Jochbein  variirt  nur  wenig,  und 
fehlt  in  äusserst  seltenen  Fällen  (Duraeril,  Meckel),  oder  wird  durch  Naht  in 
zwei  (Sandifort),  ja  selbst  in  drei  Stücke  (Spix)  getheilt.  —  Das  rechte  Joch- 
bein wird  gewöhnlich  etwas  stärker  gefunden,  als  das  linke,  in  Folge  des  stär- 
keren Gebrauches  des  rechten  Kaumuskels.  Nicht  ganz  selten  fehlt  der  Canalia 
zygomaticus  facialis^  wo  dann  der  aus  der  Augenhöhle  in  die  Schläfengrube  füh- 
rende Kanal  um  so  stärker  entwickelt  angetroffen  wird.  —  Bei  mehreren  Eden- 
taten und  beim  Tenrec  (Centetes  ecaudatus)  fehlt  der  Arcus  zygomatictu  gänzlich. 


§.  108.   Nasenbein. 

Das  Nasenbein^  Os  naai  8,  nasale,  bildet  mit  seinem  Gespan 
den  knöchernen  Nasenrücken.  Beide  Nasenbeine  sind  zwischen 
die  oberen  Enden  der  Stimfortsätze  der  Oberkiefer  eingeschoben, 
imd  stossen  mit  ihren  inneren  Rändern,  welche  die  Spina  nasalis 
des  Stirnbeins  decken,  an  einander.  Sie  stellen  längliche,  aber 
ungleichseitige  Vierecke  dar,  und  sind  an  ihrem  oberen  Rande 
dicker  als  am  unteren.  Der  obere,  kurze,  zackige  Rand,  greift  in 
die  Incisura  nasalis  des  Stirnbeins  ein;  der  untere,  längere  Rand 
ist  frei  und  scharf,  und  begrenzt  die  Incisura  pyriformis  narium 
nach  oben.  Die  vordere  glatte  Fläche  ist  von  oben  nach  unten 
flach  sattelförmig  gehöhlt ;  die  hintere  rauhe  Fläche  sieht  gegen  die 
Nasenhöhle.  Ein  oder  mehrere  Löcher  (Foramina  nasalia)  durch- 
bohren das  Nasenbein. 

Die  oberflächliche  Lage  der  Nasenbeine  setzt  sie  den  Brüchen  mit  Ein- 
druck aus.  Letzterer  wird,  da  man  der  hinteren  Fläche  der  Knochen  von  der 
Nase  aus  beikann,  leicht  zu  heben  sein. 

Kein  Knochen  des  Gesichts  erreicht  seine  volle  Ausbildung  so  frühzeitig, 
und  ist  im  neugeborenen  Kinde  schon  so  sehr  entwickelt,  wie  die  Nasenbeine. 
Sie  sind  äusserst  selten  einander  vollkommen  gleich,  verschmelzen  am  Hotten- 
tottenschädel theilweise  oder  ganz  mit  einander  (Affenähnlichkeit),  oder  fehlen 
(einseitig  oder  beiderseits)  und  werden  dann  durch  grossere  Breite  des  Stimfort- 
Satzes  des  Oberkiefers  ersetzt.  Zuweilen  schiebt  sich  in  die  Naht  zwischen  bei- 
den Nasenbeinen  in  kurzer  Strecke  der  vordere  Rand  der  Papierplatte  des  Sieb- 
beins ein  (Paget,  van  derHoeven).  An  einem  Schädel  meiner  Sammlung 
findet  sich  ein  von  oben  her  zwischen  beide  Nasenbeine  eingekeiltes  dreieckiges 
Knöchel  eben  vor,  welches  mit  dem  vorderen  Rande  der  Spina  ncualis  des  Stirn- 
beins verwachsen  ist  (Hyrü,  über  Schaltknochen  am  Nasenrücken,  Osten*.  Zeit- 
schrift für  prakt.  Heilkunde,  1861,  Nr.  49).  —  Mayer  erwähnt  noch  zweier 
accessorischer,  kleiner  KnOchelchen,  welche  unter  100  Schädeln  2 — 3  Mal  in 
einem  dreieckigen  Ausschnitte  zwischen  den  untern  Rändern  der  Nasenbeine 
vorkamen,  und  die  er  für  Analoga  der  bei  einigen  Sängethieren  (Maulwurf)  vor. 
kommenden  Büssdknoelieil  UQl  (Archiv  für  physiol.  Heilkunde.  1849.  pag.  235). 


272  (•  109.    Gannenbein. 

Mayer  nennt  sie  Oaaa  inieimasalia.  Sie  scheinen  mir  besser  mit  dem  Os  praena- 
acde  einiger   Edentaten   verglichen    ea  werden. 

Van  der  Hoeven^   über  Formabweichangen  der  Nasenbeine,   in  der  Zeit- 
schrift für  wiss.  Zool.  1861. 


§.  109.  Gaumenbein. 

Das  Gaumenbein,  Os  palatinum,  macht  uns  mit  einem  Sup- 
plementknochen des  Oberkiefers  bekannt,  dessen  Nasenfläche  und 
Gaumen  Fortsatz  es  vergrössert.  Da  die  Nasenfläche  und  der  Gau- 
menfortsatz des  Oberkiefers  einen  rechten  Winkel  bilden,  so  muss 
auch  das  Gaumenbein  aus  zwei  rechtwinklig  zusammengefügten 
Stücken  —  Pars  pei-pendtcularis  et  horizontalis  —  zusammenge- 
setzt sein. 

a)  Die  dünne  und  länglich  -  viereckige  Pars  perpendicttlaris 
besitzt  an  ihrer  inneren  Fläche  zwei  horizontale,  rauhe  Leisten: 
die  untere,  stärker  ausgeprägte  {Onsta  turhinalis)  für  die  Anlage 
der  unteren  Nasenmuschel;  die  obere,  schwächere  {Cinsta  ethmoi- 
dalis)  für  die  Concha  ethmoidalis  inferior.  Die  äussere  Fläche  legt 
sich  an  die  Svpeiificies  nasalis  des  Oberkieferkörpers  hinter  der 
Oefinung  der  Highmorshöhle  an.  Der  vordere  Rand  verlängert 
sich  zu  einem  dreieckigen  dünnen  Fortsatze,  der  sich  von  hinten 
her  über  die  Oefi^nung  der  Highmorshöhle  schiebt,  und  dieselbe 
verengert.  Der  hintere  Rand  zeigt  den  Sulcus  pteiygopalatinuSj 
darum  so  genannt,  weil  er  mit  dem,  am  vorderen  Rande  des  Pro- 
cessits  pterygoideus  des  Keilbeins  befindlichen,  ähnlichen  Sulcus, 
den  Canalis  pterygo-palatinvs  bilden  hilft,  zu  dessen  vollkommener 
Schliessung  auch  die,  am  hinteren  Winkel  des  Oberkieferkörpers 
befindliche,  seichte  Längenfurche  concurrirt.  Vom  oberen  Rande 
entspringen  zwei  Fortsätze,  welche  durch  eine  tiefe  Incisur  von  ein- 
ander getrennt  werden.  Die  Incisur  wird  durch  die  untere  Fläche 
des  Keilbeinkörpers  zu  einem  Loche  {Foramen  spheno-palatinum), 
von  3  Linien  Querdurchmesser,  geschlossen.  Der  vordere  Fort- 
satz wird  zur  Bildung  der  Augenhöhle  einbezogen,  und  heisst  des- 
halb Processus  orbitalis.  Er  schmiegt  sich  zwischen  den  inneren 
Rand  der  Augenhöhlenfläche  des  Oberkiefers,  und  die  Lamina  pa- 
pyi'acea  des  Siebbeins  hinein,  und  enthält  sehr  häufig  2 — 3  kleine 
Cellulae  palatinae,  welche  die  hinteren  Siebbeinzellen  decken  und 
schliessen.  Der  hintere  Fortsatz,  Processus  sphenoidalis,  krümmt 
sich  gegen  die  untere  Fläche  des  Keilbeinkörpers,  und  überbrückt 
die  daselbst  erwähnte  Längenfurche  zu  einem  Kanal  {Canalis  spheno- 
palatinus)  §.  97,  a. 

b)  Die  Pars  horizontalis  ist  zwar  stärker,  aber  kleiner,  als  die 
senkrechte   Platte   des   Gaumenbeins.     Viereckig  von   Gestalt,   hilft 


{.  110.   Thrinenbein.  273 

sie  mit  den  Ganmenfortsätzeii  des  Oberkiefers  den  harten  Gau- 
men, Palatuni  ossetimj  bilden.  Der  innere,  zur  zackigen  Verbindung 
mit  dem  gleichnamigen  Fortsatze  des  gegenseitigen  Gaumenbeins 
dienende  Rand,  wirft  sich  zu  einer  Crista  auf,  welche  sich  nach 
vom  in  die,  durch  die  Gaumenfortsätze  des  Oberkiefers  gebildete 
Crista  nasalis  fortsetzt.  Der  vordere  Rand  stösst  an  den  hinteren 
Rand  des  Gaumenfortsatzes  des  Oberkiefers,  der  äussere  dient 
zur  Verschmelzung  mit  der  Pars  perpendiciilaris,  und  der  hintere, 
halbmondförmige,  bildet  mit  dem  der  anderen  Seite  die  Spina  na- 
salis posterior,  als  hinteres  Ende  der  Crista  nasalis. 

An  der  Verschmelzimgsstelle  des  senkrechten  und  wagrechten 
Stückes  entspringt  der  nach  hinten  gerichtete,  und  in  die  Incisitra 
pterygoidea  des  Keilbeins  sich  einkeilende,  Processtis  pyramidalis.  Er 
zeigt  uns  die  Fortsetzung  des  Siilcns  pterygo-palatinus,  welcher  zu- 
weilen ganz  von  Enochenmasse  umschlossen,  und  in  diesem  Falle, 
ohne  Beihilfe  des  Processus  pteiygoideus  des  Keilbeins  (und  des 
Oberkiefers)  in  einen  Kanal  umgewandelt  wird.  Dieser  Kanal  erzeugt 
noch  zwei  Nebenkanäle,  welche  den  Pyramidenfortsatz  nach  ab- 
wärts durchbohren,  so,  dass  der  ursprtlnglich  und  oben  einfache 
Canalis  ptei^ygo-palatinuSj  im  Herabsteigen  in  drei  Kanäle  sich  spal- 
tet, welche  an  der  unteren  Fläche  des  Processus  pyramidalis,  also 
am  harten  Gaumen,  durch  die  3  Fo^^amina  palatina  posterioi^a  rmb- 
münden,  von  welchen  das  vordere,  als  Mündung  des  Hauptkanals, 
das  grösste  ist. 

Die  Autoren  erwähnen  keine  erheblichen  Verschiedenheiten  an  den  Gaumen- 
beinen. Ich  besitze  jedoch  einen  Fall,  wo  die  Para  horizontal^  des  Gaumenlieins 
mit  der  perpendicttlaris  durch  Naht  verbunden  ist,  und  einen  zweiten,  an  welchem 
die  sehr  schmalen  Partes  horizontales  zugleich  so  kurz  sind,  dass  sie  sich  einander 
nicht  erreichen,  sondern  ein  Fortsatz  der  Processus  pakUini  beider  Oberkiefer 
sich  zwischen  sie  einschiebt,  und  den  hinteren  Nasenstachel  bildet. 


§.  110.   Thräiienbeiii, 

Das  Thränenbein  [Os  1/icrymale,  auch  Os  ung^iis,  von  seiner 
Gestalt  und  Dünne,  wie  die  Platte  eines  Fingernagels),  dient  der 
Papierplatte  des  Siebbeins  als  Supplement.  Es  ist  der  kleinste  Kopf- 
knochen, und  hegt,  ein  längliches  Viereck  bildend,  am  vordersten 
Theile  der  inneren  Augenhöhlenwand,  zwischen  Stirnbein,  Papier- 
platte des  Siebbeins,  und  Stirnfortsatz  des  Oberkiefers.  Seine 
äussere  Fläche  wird  durch  eine  senkrechte  Leiste  {Crista  lacry- 
malis)  in  eine  vordere  kleinere,  und  hintere  grössere  Abtheilung  ge- 
bracht. Erstere  stellt  eine  Rinne  vor,  welche  durch  das  Heranrücken 
an  den  Stimfortsatz  des  Oberkiefers,  der  eine  ähnliche  Rinne  besitzt, 
zur  tiefen   Thränensackgrube    (Fossa  sarci  lacrymalis)   wird,    deren 


274  §•  m*  Untere  NMenmnschel. 

Fortsetzung  der  absteigende  Thränen  -  Nasenkanal  {Canalia  naao- 
lacrimalis)  ist.  Die  Criata  lacrymalia  setzt  sich  nach  unten  in  den 
gekrümmten  Thränenbeinhaken  {Hamulus  lacrymalia)  fort^  welcher 
in  den  scharfen  Winkel  zwischen  Stimfortsatz  und  Augenhöhlen- 
fläche des  Oberkiefers  eingefügt  wird,  und  nicht  selten  fehlt.  Die 
innere  Fläche  deckt  die  vorderen  Siebbeinzellen. 

Das  ThrXnenbein  ist  beim  Neugeborenen,  nach  den  Nasenbeinen,  der  ent- 
wickeltste Gesichtsknochen.  —  Bei  älteren  Individuen  erscheint,  in  Folge  seniler 
Knochenatrophie,  das  Thränenbein  häufig  durchlöchert.  Die  Durchlöcherung  kann 
so  weit- gedeihen,  dass  der  Knochen  netzartig  durchbrochen  aussieht.  Ich  besitze 
einen  Fall,  wo  es  durch  eine  senkrechte  Naht  in  2  Stücke  geschnitten  wird. 
Grub  er  beschrieb  ein  merkwürdiges  Unicum  (Miiüer'a  Archiv,  1848),  wo  das 
fehlende  Thränenbein  durch  eine  grosse  Anzahl  blättchenartiger  Fortsätze  benach- 
barter Knochen  ersetzt  wurde.  Er  hat  auch  das  Verdienst,  ein  von  E.  Rous- 
seau in  den  Annales  des  aciences  naturelles^  1829,  beschriebenes  Knöchelchen, 
welches  zuweilen  den  oberen  Theil  der  äusseren  Wand  des  Thränennasenkanals 
bildet,  neuerdings  sorgfältig  auf  sein  Vorkommen  untersucht  zu  haben.  Siehe 
hierüber  auch  Luschkay  das  Nebenthränenbein  des  Menschen,  in  MiUler^s  Archiv, 
1858,  und  Mayer,  ebenda,  1860.  —  Zuweilen  bildet  das  Thränenbein  mit  der 
Lamina  papyracea  des  Siebbeins  ein  Continuum. 


§.  111.   Untere  irasenmuscheL 

Die  untere  Nasenmuschel;  Concha  infeinor  (Synon.:  Os  turhi- 
natum  s,  spongiosum,  Buccinum,  Concha  Venerü),  liegt  in  der  Nasen- 
höhle. Sie  haftet  an  der  inneren  Wand  des  Oberkieferkörpers,  auf 
welcher  sie  wie  eine  Arabeske  aufsitzt.  Sie  gleicht  einer  Teich- 
muschel,  deren  Schloss  nach  gben,  und  deren  convexe  Seite  nach 
innen  gegen  die  Nasenscheidewand  gerichtet  ist.  Da  bereits  am 
Siebbein  beiderseits  zwei  Muscheln  bekannt  wurden,  so  wird  die 
untere  Nasenmuschcjl,  die  keinen  Bestandtheil  eines  anderen  Kno- 
chens ausmacht,  als  freie  Nasenmuschcl  bezeichnet  werden 
können.  Sie  ist  dünn,  leicht,  porös,  und  am  unteren  Rande, 
welcher  etwas  nach  aussen  und  oben  aufgerollt  erscheint,  gewöhn- 
lich dick  imd  wie  aufgebläht.  Der  obere  Rand  giebt  dem  in  die 
Oeffnung  der  Highmorshöhlc  sich  einhäkelnden  Processus  maxillaris 
den  Ursprung.  Vor  diesem  findet  sich  der  zum  unteren  Thränen- 
beinrande  aufsteigende,  und  den  Canalis  iiaso-f/zcrt/malis  theilweise 
bildende  Processtts  lacrymalis.  Ein  mit  dem  Siebbeinhaken  sich  ver- 
bindender Processus  ethmoidalis  ist  unconstant.  Das  vordere  und 
hintere  zugespitzte  Ende  verbindet  sich  mit  der  Crista  tnrhinalis  des 
Oberkiefers  und  des  Gaumenbeins. 

Die  unteren  Nasenmuscheln  verwachsen  frühzeitig  mit  den  Knociien,  zu 
welchen  sie  Fortsätze  schicken,  und  wurden  deshalb  frflher  für  Thcile  anderer 
Gesichtsknochen  gehalten:  des  Thränenbeins  (Winslow),  des  Oaumenbeins 
(Santorini),  des  Siebbeins  (Fallopia,  Hnnold). 


§.  IIS.   Pflagscharbein.  275 

Der  Mensch  hat  unter  allen  Sängethieren  die  am  wenigsten  entwickelten 
Nasenrnnscheln.  Welch*  enormen  Entwicklungsgrad  dieser  Knochen  durch  Ast- 
bildung, Einrollung,  und  Faltung,  erreichen  kann,  zeigt  das  Muschelbein  der 
gemeinen  Ziege,  des  AmeisenbXren,  des  Seehundes,  und  einiger  Bentolthiere.  — 
Die  Verwendung  der  Nasenmuscheln  IXsst  sich  leicht  verstehen.  Die  Nasenhöhle 
besitzt  eine  Schleimhautauskleidung,  welche  der  Träger  der  Gemchsnerven  ist 
Diese  muss  sich  falten,  um  in  denl  engen  Räume  der  Nasenhöhle  dennoch  eine 
grosse  Oberfläche  der  mit  Riechstoffen  geschwängerten  Luft  darzubieten.  Diese 
Falten  würden  beim  Ein-  und  Ausathmen  durch  die  Nase  hin-  und  herschlottem, 
und  öfters  den  Luftweg  ganz  verlegen,  wenn  sie  nicht  durch  knöcherne  Stützen 
in  einer  bestimmten  Lage  und  Richtung  erhalten  würden.  Diese  Stützen  sind 
die  Nasenmuscheln.  Einen  anderen  Zweck  erfüllen  sie  nicht,  und  der  genannte 
erklärt  hinlänglich  ihre  Schwäche.  —  Angebomer  Mangel  der  unteren  Nasen- 
muscheln (und  des  Siebbeinlabyrinths)  wurde  von  mir  beobachtet.  Sitzungs- 
berichte der  kais.  Akad.  1859. 


§.  112.  PflugscharbeiB. 

Das  Pflugscharbein,  Oa  vomeriSy  erscheint  als  ein  unpaarer, 
flacher,  rautenförmiger  Knochen,  welcher  den  unteren  Theil  der 
knöchernen  Nasenscheidewand  bildet.  Es  ist  selten  vollkommen  plan, 
sondern  meistens  auf  die  eine  oder  andere  Seite  etwas  ausgebogen. 
Sein  oberer  Rand  weicht  in  die  beiden  Flügel  (Akte  vomerts)  aus- 
einander, welche  das  Rostrum  spJienoidale  zwischen  sich  fassen.  Der 
untere  Rand  steht  auf  der  Crista  nasalis  auf;  der  vordere,  längste, 
verbindet  sich  an  seinem  oberen  Segmente  mit  der  Lamina  perpen- 
dicularis  des  Siebbeins,  an  seinem  imteren  mit  dem  viereckigen 
Nasenscheidewandknorpel;  —  der  hintere,  kürzeste,  steht  frei,  und 
theilt  die  hintere  Nasenöffnung  in  zwei  seitliche  Hälften  —  Choanae. 
Sein  frühzeitiges  Verwachsen  mit  der  senkrechten  Platte  des  Sieb- 
beins ist  der  Grund,  warum  es  von  Santorini,  Petit,  und  Lieu- 
taud,  nicht  als  selbstständiger  Gesichtsknochen,  sondern  als  Theil 
des  Siebbeins  beschrieben  wurde. 

Im  Kinde  besteht  die  Pflugschar  aus  zwei,  durch  ein  Knorpelblatt  ver- 
bundenen, dünnen  Knochenlamellen.  Das  Knorpelblatt  setzt  sich  ununterbrochen 
in  den  Nasenscheidewandknorpel  fort.  Im  Erwachsenen  findet  sich  noch  ein  Rest 
des  Knorpels  zwischen  den  beiden  Lamellen  des  Yomer.  Schrumpft  dieser  Knorpel 
beim  Trocknen  macerirter  Knochen  ein,  so  kann  dadurch  Verbiegung,  selbst 
Bruch,  des  Vomer  entstehen.  —  Zwischen  den  Aloe  vomerU  und  der  unteren 
Flüche  des  Keilbeinkörpers  existirt  auch  im  Erwachsenen  ein  Loch ,  welches 
einen  Ast  der  Rachenschlagader  durch  den  Yomer  hindurch  zum  Nasenscheide- 
wandknorpel gelangen  lässt.  (TourtwU,  der  Pflng^charknorpel,  im  Rheinischen 
Correspondenzblatt,  1845,  Nr.  10  und  11.) 


18* 


27G  <•  113.    Unterkiefer. 

§.  113.  Unterkiefer. 

Der  Unterkiefer,  Maxilla  inferior  8.  mandihila,  bildet  die 
untere,  bewegliehe  Hälfte  des  Gesichtsskelets,  und  stellt  gewisser- 
massen  die  in  der  Mittellinie  verwachsenen  Arme  des  Kopfes  dar. 
Er  tibertrifft  an  Stärke  alle  Schädelknochen,  und  entwickelt  sich 
auch  früher,  als  alle  übrigen  Gesichtsknochen.  Man  tlieilt  ihn  in 
den  Körper  und  in  die  beiden  Aeste  ein. 

1.  Das  parabolisch  gekrümmte,  zahntragende  Mittelstück  des 
Knochens,  heisst  Körper.  In  der  Mitte  der  vorderen  Fläche  des- 
selben bemerkt  man  die  Protuberantia  mentalis,  als  die  Stelle,  wo 
die  im  Neugebomen  noch  getrennten  Seitenhälften  des  Unterkiefers, 
mit  einander  verwachsen.  Einen  Zoll  weit  von  der  Protuberantia 
nach  aussen,  liegt  das  Kinnloch  (Fm^amen  mentale  s,  maxillare  an- 
terius),  unter  welchem  die  nicht  immer  scharf  markirte  Linea  ohliqua 
externa  zum  vorderen  Rande  des  Astes  hinaufzieht.  In  der  Mitte  der 
hinteren  Fläche  ragt  der  ein-  oder  zweispitzige  Kinnstachel 
(Spina  mentalis  interna)  heraus.  In  einiger  Entfernung  nach  aussen 
von  ihm  beginnt  die  Linea  ohliqua  interna  s,  mylo-hyoidea ,  deren 
Richtimg  mit  der  äusseren  so  ziemlich  tibereinstimmt.  Der  untere 
Rand  ist  breit  und  stumpf,  und  imter  dem  Kinnstachel  mit  zwei 
rauhen  Eindrücken  für  den  Ursprung  der  vorderen  Bäuche  der 
Musculi  digastrici  versehen;  der  obere  ist  gefHchert,  und  besitzt 
16  Zahnzellen  (Alveoli),  welche  den  Zahnwurzeln  entsprechend  ge- 
formt sind.  Da  die  Wurzeln  der  Schneide-  und  Eckzähne  des  Unter- 
kiefers nicht  konisch  sind,  wie  jene  des  Oberkiefers,  sondern  seitlich 
comprimirt  erscheinen,  so  nehmen  sie  weniger  Raum  in  Anspruch, 
und  der  obere  Rand  des  Unterkiefers  wird,  so  weit  er  die  genann- 
ten Zähne  trägt,  einen  kleineren  Bogen  bilden,  als  der  entsprechende 
Theil  der  Alveolarfortsätze  beider  Oberkiefer.  Aus  diesem  Grunde 
stehen  bei  geschlossenen  Kiefern  die  Schneidezähne  des  Unterkiefers 
hinter  jenen  des  Oberkiefers  zurtlck. 

2.  Die  Aeste  steigen  vom  hinteren  Ende  dest  Körpers  schräg 
an.  Ihre  äussere  Fläche  ist  ziemlich  glatt,  die  innere  hat  in 
ihrer  Mitte  das  durch  ein  kleines  vorstehendes  Knochenschttppchen 
(Zünglein,  Lingula)  geschützte  Foramen  maxillare  inie^^ivm,  als  An- 
fang eines,  durch  den  Körper  schief  nach  vorn  laufenden,  und  am 
Foramen  mentale  endigenden  Kanals  (Canalis  iyiframaxillai'is  s.  nl- 
veolaris  infennor).  Vom  Fm*amen  maxillare  infemum  läuft  eine  Rinne 
(Sulcvs  mylo-hyoiihms)  schief  nach  abwärts,  welche  ziemlich  genau 
der  Richtung  des  Canalis  inframaxilloris  entspricht.  Der  hintere 
längste  Rand  bildet,  mit  dem  unteren  Rande  des  Körpers,  den 
Winkel  des  Unterkiefers  (Angulus  maxillae).  —  Am  oberen  Rande 
des  Astes  bemerken  wir  einen   Halbmondausschnitt,   durch  welchen 


|.  lU.   Kinnbacken-  oder  Eiefergelenk.  277 

eine  vordere  und  hintere  Ecke  desselben  entsteht.  Erstere  ist 
flach  und  zugespitzt^  und  heisst  Processus  coroTwideus,  —  letztere 
iBt  der  Processus  condyloideus,  welcher  auf  einem  verschmächtigten 
rundlichen  Halse  {ColluTn),  ein  querovales  tiberknorpeltes  Köpfchen 
(Capitidwn  s,  Condylus)  trägt,  welches  in  die  Fossa  glenoidalis  des 
Schläfebeins  passt.  Der  vordere  Rand  geht  ohne  Unterbrechung 
in  die  Linea  obb'qitu  externa  über. 

Der  Unterkiefer  erscheint  zuweilen  am  Kinne  sehr  breit  {machoire  d'dne), 
xnweilen  mehr  weniger  zugespitzt,  beim  sogenannten  Bockskinn  (nach  Lavater 
ein  Zeichen  von  Hang  zum  Geiz). 

Der  Oanalia  mframaxiüaris  variirt  durch  Verlauf  und  Weite  in  verschie- 
denen Lebensepochen  desselben  Individuums.  Beim  neugebomen  Kinde  streicht 
er  am  unteren  Rande  des  Körpers  des  Unterkiefers  hin,  und  ist  sehr  geräumig. 
Im  Jünglinge  und  Manne  nimmt  er  die  Mitte  des  Knochens  ein,  und  zieht  nach 
der  Richtung  der  Linea  ohiiqua  interna.  Im  Oreise,  nach  Verlust  der  Zähne, 
läuft  er  dicht  unter  der  zahnfächerlosen  oberen  Wand  des  Körpers  hin,  und  er- 
icheint bedeutend  enger.  —  Den  Processus  coronoideus  einen  Kronenfortsatz 
zu  nennen,  ist  zwar  üblich,  aber  nicht  etymologisch  richtig,  da  der  Name  von 
xop<ow),  Krähe,  nicht  von  corona  stammt.  Er  gleicht  bei  gewissen  Thieren  einem 
Krähenschnabel.  Allerdings  aber  kann  man  ihn  Krohnenfortsatz  nennen,  da 
Krähe  auch  Krohne  geschrieben  wird.  So  sagt  Coriolau:  Der  Krohuenflug 
zur  Linken  scheint  Unheil  mir  zu  bringen.  Haiberts ma  wies  darauf  hin, 
dass  bei  griechischen  Autoren  xopcüVY)  auch  das  hakenförmige  Ende  eines  Bogens 
(Armbrust)  bedeutet,  an  welchem  die  Schnur  befestigt  wird.  Allerdings  hat  die 
Indsura  semilunaris,  mit  dem  Kronenfortsatz  des  Unterkiefers,  eine  Aehnlicbkeit 
mit  jenem  Haken. 


§.  114.  Kinnbacken-  oder  Kiefergelenk. 

Da»  Kinnbackengelenk  {Articulatio  temporo-maxülaris)y  mag 
als  ein  freies  Gelenk  angesehen  werden,  denn  es  besitzt  eine  nach 
drei  auf  einander  senkrechten  Richtungen   gestattete  Beweghchkeit. 

Der  Unterkiefer  kann  1.  auf  und  ab,  2.  nach  beiden  Seiten, 
und  3.  vor-  und  rtickwärts  bewegt  werden.  Die  Bewegung  in  ver- 
ticaler  Richtung  ist  die  umfänglichste.  Bei  den  ersten  beiden  Be- 
wegungsarten, wenn  ihre  Extension  eine  geringe  ist,  verlässt  das 
Köpfchen  des  Unterkiefers  die  Fossa  glenoidalis  des  Schläfebeins 
nicht;  bei  letzterer  tritt  es,  ohne  sich  um  seine  Queraxe  zu  drehen, 
auf  das  Thtberculum  articulare  hervor  (Schubbewegung),  und  gleitet 
wieder  in  die  Fovea  glenoidalis  zurück,  welche  Bewegung  auch  bei 
weitem  OefFhen  und  darauf  folgendem  Schliessen  des  Mundes  statt- 
findet, wobei  jedoch  das  Köpfchen  des  Unterkiefers  nicht  einfach 
nach  vor-  und  rückwärts   gleitet,   sondern   sich    zugleich   um   seine 

Queraxe  dreht. 

I 

Bei  sehr  weitem  Aufsperren  des  Mundes  wird  der  Gelenkkopf  selbst  vor 
da«  Tuberctdum  articulare  treten,  über  welches  er  dann  nicht  mehr  zurück  kann, 


278  S*  11^   Kinnbacken-  oder  Kiefergelenk. 

und  der  Kiefer  somit  verrenkt  ist.  Man  versteht  sonach,  wie  man  sich  durch 
ausgiebiges  Gähnen  in  anatomischen  Vorlesungen  die  Kiefer  verrenken  kann, 
und  wie  sich  eine  Frau,  welche  eine  grosse  Birne  am  dicken  Ende  anbeissen 
wollte,  denselben  Unfall  zuziehen  konnte,  wie  die  Oomptea  rendus  der  Pariser 
Akademie  vor  einiger  Zeit  berichtet  haben.  ^ 

Eine  fibröse,  sehr  dünne;  weite,  und  laxe  Kapsel  umgiebt  das 
Gelenk.  Ihre  Höhle  wird  durch  einen  ovalen,  am  Rande  dicken, 
in  der  Mitte  seiner  Fläche  dünnen,  zuweilen  hier  selbst  durch- 
brochenen Zwischenknorpel  (Cartilago  interarticularis)  in  zwei  über 
einander  liegende  Räume  getrennt,  welche  besondere  Synovialhäute 
besitzen.  Der  dicke  Rand  des  Zwischenknorpels  ist  mit  der  fibrösen 
Kapsel  verwachsen.  Er  selbst  folgt  den  Bewegungen  des  Qelenk- 
kopfes,  tritt  mit  ihm  aus  der  Foasa  glenoidalü  auf  das  Tuberculum 
hervor,  und  wieder  zurück,  und  dämpft  die  Gewalt  der  Stösse,  welche 
die  dünnwandige  und  durchscheinende  Gelenkgrube  des  Schläfebeins, 
bei  kräftigem  Zubeissen,  durch  das  Zurückprallen  des  Unterkiefer- 
kopfes von  der  Höhe  des  Tuberculum  in  die  Fosaa  glenoidalis,  aus- 
zuhalten hat  Seine  wichtigste  Leistung  besteht  aber  darin,  dass  er 
die  Zahl  der  Contactpunkte  zwischen  Kopf  des  Unterkiefers,  Fossa 
glenoidcUis,  und  Tuberculum  des  Schläfebeins  vermehrt,  während, 
wenn  der  Zwischenknorpel  nicht  vorhanden  wäre,  die  genannten 
Gebilde  sich,  ihrer  nicht  congruenten  Krümmung  wegen,  nur  an 
Einem  Punkte  berühren  könnten,  was  durch  die  Einschaltung  dieses 
knorpeligen  Lückenbüssers  vereitelt  wird.  —  Das  Gelenk  besitzt 
zwei  Seitenbänder.  Das  äussere  ist  kurz,  stark,  mit  der  Ge- 
lenkskapsel verwachsen,  und  geht  von  der  Wurzel  des  Processus 
zygomaücus  des  Schläfebeins  schief  nach  hinten  und  unten  zur  äus- 
seren Seite  des  Halses;  das  innere  übertrifit  das  äussere  an  Länge, 
ist  aber  zugleich  schwächer  als  dieses,  steht  mit  der  Kapsel  nicht 
in  Contact,  entspringt  von  der  Spina  angularis  des  Keilbeins,  und 
endigt  an  der  Lingula  des  Untcrkieferkanals.  Ein  vom  GrifFelfort- 
satze  des  Schläfebeins  zum  Winkel  des  Unterkiefers  herablaufender, 
breiter,  aber  dünner  Bandstreifen,  kann  als  Ligamentum  stylo-maxil- 
lare  angeführt  werden,  und  ist,  so  wie  das  Ligamentum  laterale  in- 
temum,  streng  genommen,  kein  eigentliches  Aufhänge-  oder  Bcfesti- 
gungsmittel  des  Unterkiefers,  sondern  ein  Theil  einer  gewissen, 
später  am  Halse  zu  erwähnenden  Fascie  {Fascia  bucco-phaiyyigea, 
§.  160). 

Da  beim  Aufsperren  des  Mundes  der  Gelenkkopf  des  Unterkiefers  nach 
vom  auf  das  Tuberculum,  der  Winkel  aber  nach  hinten  geht  (wie  man  sich  leicht 
am  eigenen  Kinnbacken  mit  dem  Finger  überzeugen  kann),  so  muss  in  der  senk- 
rechten Axe  des  Astes  ein  Punkt  liegen,  welcher  bei  dieser  Bewegung  seine  Lage 
nicht  ändert  Dieser  Punkt  entspricht  dem  Foramen  maxUlare  irUemum,  Man 
sieht,  wie  klug  die  Lage  dieses  Loches  gewählt  wurde,  da  nur  durch  die  Wahl 
eines  solchen  Ortes,  Zerrung  der  in  das  genannte  Loch  eintretenden  Nerven  und 


§.  115.  Zungenbein.  279 

GefäBse  bei  den  Kaubewegungen  vermieden  werden  konnte.  —  Es  verdient  noch 
bemerkt  zu  werden,  dass  die  Knorpelüberzüge  der  das  Kinnbackengelenk  bilden- 
den Knochen,  namentlich  der  Fossa  glenoidalüy  äusserst  dünn  sind,  und  fast  nur 
aus  Bindegewebe  mit  sehr  wenig  Knorpelzellen  bestehen. 

C.  Langer,  lieber  die  Mechanik   des  Kiefergelenks,  siehe  Sitzungsberichte 
der  kais.  Akad.  XXXIX.  Bd.  und  H.  Meyer,  im  Arch.  für  Anat  1866. 

§.  115.   Zungenbein. 

Das  Zungenbein,  Oshyoides,  ypstUndeSy  gutturale  (von  seiner 
Aehnlichkeit  mit  dem  griechischen  Buchstaben  u,  08  uoeiB^^  genannt) 
schliesst  sich  als  ein  Additament  den  Eopfknochen  an.  Es  liegt 
an  der  vorderen  Seite  des  Halses,  wo  dieser  in  den  Boden  der 
Mundhöhle  tibergeht,  und  stützt  die  Basis  der  Zunge,  ftlr  deren 
knöcherne  Grundlage  es  gilt.  Man  theilt  es  in  einen  Körper,  oder 
Mittelsttick,  imd  2  Paar  seitliche  Hörner,  welche  Theile  je- 
doch, da  sie  durch  Gelenke  oder  durch  Synchondrose  beweglich 
vereinigt  werden,  und  oft  noch  im  hohen  Greisenalter  unverschmol- 
zen  sind,  als  eben  so  viele  besondere  Zungenbeine  angesehen  wer- 
den können  (Meckel).  Das  Mittelsttick  {Basis)  mit  vorderer 
convexer,  hinterer  concaver  Fläche,  oberem  und  imterem  schnei- 
denden Rande,  trägt  an  seinen  beiden  Enden,  mittelst  Gelenken 
aufsitzend,  oder  durch  Synchondrose  verbunden,  die  grossen 
Hörner  oder  seitlichen  Zungenbeine  (Comua  majora)^  welche 
zwar  länger,  aber  auch  bedeutend  dtinner  als  das  Mittelsttick  sind, 
und  den  Bogen  desselben  vergrössem.  Ihre  dreikantig  prismatische 
Gestalt,  mit  einer  rundlichen  Auftreibung  am  äusseren  Ende,  ähnelt 
einem  kurzen  Schlägel.  Das  rechte  und  linke  grosse  Hom  gleichen 
einander  fast  niemals  vollkommen.  Die  kleinen  Homer  (Comua 
minora  s.  Comicula)  sind  am  oberen  Rande  der  Verbindungsstelle 
des  Mittelstticks  mit  den  grossen  Hörnern  durch  Eapselbänder  an- 
geheftet. Sie  erreichen  bei  weitem  nicht  die  Länge  und  Stärke  der 
seitlichen  Homer,  indem  ihre  gewönliche  Länge  zwischen  2 — 3 
Linien  schwankt.  Häufig  steigt  die  Länge  dos  linken  um  das  Dop- 
pelte des  rechten,  welches  Verhältniss  Duvernoy  imd  Meckel 
als  Norm  ansehen. 

Die  kleinen  Hörner  des  Zungenbeins  dienen  einem  von  der 
Spitze  des  Griffelfortsatzes  des  Schläfebeins  herabsteigenden  Auf- 
hängeband des  Zungenbeins  {Ligamentum  stylo-hyoideum  s,  Suspen- 
sorium) als  Insertionsstellen.  Dieses  Band  verknorpelt  und  ver- 
knöchert theilweise  nicht  selten.  Man  lernt  daraus  verstehen,  dass 
eine  besondere  Länge  der  Griffelfortsätze,  oder  der  kleinen  Zungen- 
beinhömer,  nur  durch  ein  von  oben  nach  unten,  oder  von  unten 
nach  aufwärts  fortschreitendes  Verknöchern  dieses  Bandes  ssu  Stand« 
kommt. 


280  §•  ^^^-    Höhlen  und  Oniben  des  Oeeichts. 


§.  116.  Höhlen  und  Gruben  des  O-esichts. 

Nur  die  Augenhöhlen  dienen  zur  Aufnahme  eines  unabhängi- 
gen Sinnesorgans.  Die  übrigen  Höhlen  des  Gesichtsschädels,  — 
Nasen-  und  Mundhöhle,  —  sind  die  Anfänge  des  Athmungs-  und 
Verdauungsapparates,  welche,  einer  in  ihnen  residirenden  specifi- 
schen  Empfänglichkeit  fllr  gewisse  äussere  Eindrtlcke  «wegen,  auch 
zu  den  Sinnesorganen  gezählt  werden.  Die  Höhlen  zur  Aufnahme 
des  Gehörwerkzeuges  gehören  nicht  dem  Gesicht,  sondern  der 
Hirnschale  an. 

1.  Die  beiden.  Augenhöhlen,-  Oi^hitae,  deren  Abstand  durch 
die  Entfernung  beider  Laminae  papyraceae  des  Siebbeins  von  ein- 
ander bestimmt  wird,  stellen  liegende,  hohle,  vierseitige  Pyramiden 
dar,  die  mit  ihren  inneren  Flächen  ziemUch  parallel  liegen,  und 
deren  verlängerte  Axen  sich  am  Ttlrkensattel  schneiden.  Die 
äussere  Wand,  vom  Jochbein  und  grossen  Keilbeinfltigel  gebildet, 
ist  die  stärkste.,  die  obere  die  grösste,  die  innere,  vom  Processus 
frontalis  des  Oberkiefers,  vom  Thränenbein,  und  der  Lamlna  papy- 
racea  gebildet,  die  schwächste.  Die  untere,  von  der  Orbitalfläche 
des  Oberkieferkörpers  und  vom  Processus  orhitalis  des  Gaumenbeins 
erzeugte  Wand,  geht  ohne  scharfe  Grenze  in  die  innere  Wand  über, 
imd  hat  eine  schräg  nach  vorn  und  unten  gerichtete,  abschüssige 
Lage.  Sie  wird  gewöhnUch  Pammeiitum  orbitae,  Boden  der  Augen- 
höhle, benannt.  Als  offene  Basis  der  Augenhölilen- Pyramide  gilt 
uns  die  grosse,  durch  den  Margo  supra-  et  mfraarbitalis  umschrie- 
bene Oeffnung  der  Augenhöhle,  Apertura  orhitalis.  Hinter  dieser 
Basis  erweitert  sich  die  Pyramide  etwas,  besonders  nach  oben  und 
aussen,  als  Fossa  glandulae  lacii/nialis.  Die  Winkel  derselben  sind 
mehr  weniger  abgerundet.  Der  äussere  obere  Winkel  wird  durch 
die  Fissura  orhitalis  super ior,  der  äussere  untere  durch  die  längere, 
aber  schmälere,  imd  nur  gegen  ihr  äusseres  Ende  hin  breiter  wer- 
dende Fissura  orhitalis  inferior  aufgeschlitzt.  Die  Spitze  der  Pyra- 
mide liegt  im  Foramen  opticum.  Die  übrigen  Oefiiiungen  und  Löcher 
der  Augenhöhle  und  der  anderen  Höhlen  des  Gesichts,  sind  am 
Ende  dieses  Paragraphes  zusammengestellt. 

2.  Die  Nasenhöhle  (Cavum  narium)  hat  eine  viel  schwerer 
zu  beschreibende  Gestalt,  und  viel  complicirtere  Wände.  Sie  wird 
in  die  eigentliche  Nasenhöhle,  und  die  Nebenhöhlen  {/Sinus  s.  Antra) 
eingetheilt.  Die  eigentliche  Nasenhöhle  liegt  über  der  Mundhöhle, 
und  ragt  bis  zur  Schädelhöhle  zwischen  den  beiden  Augenhöhlen 
hinauf.  Oben  wird  sie  durch  die  Nasenbeine  und  die  Lainina  cri- 
brosa  des  Siebbeins,  unten  durch  die  Processus  palatini  der  Ober- 
kiefer,   und    die    horizontalen   Platten    der   Gaumenbeine    begrenzt. 


f.  116.  H&hlen  nnd  Oraben  de«  Gesiditf.  281 

Die  ausgedehnten  Seitenwände  werden  oben^  wo  die  Nasenhöhle 
an  die  Augenhöhle  grenzt,  durch  den  Nasenfortsatz  des  Ober- 
kiefers, das  Thränenbein,  und  die  Papierplatte  des  Siebbeins  ge- 
bildet; weiter  unten  folgen  die  Superficies  nasalis  des  Oberkiefers, 
der  senkrechte  Theil  des  Gaumenbeins,  und  der  Processus  ptery- 
goideus  des  Keilbeins.  Die  vordere  Wand  fehlt  grösstentheils,  und 
es  befindet  sich  an  ihrer  Stelle  die  durch  die  beiden  Oberkiefer 
und  Nasenbeine  begrenzte  Apertura  pyrifarmis.  Die  hintere  Wand 
wird  theilweise  durch  die  vordere  Fläche  des  Keilbeinkörpers  dar- 
gestellt, unterhalb  welchem  sie  fehlt,  und  von  den  beiden  Choanae 
s.  Aperturae  narium  posteriwes  eingenommen  wird.  Der  Name 
Choanae  stammt  von  fim  (giessen),  weil  der  Nasenschleim  durch 
diese  OeflFnung  sich  in  die  Rachenhöhle  ergiesst,  und  als  Sputum 
ausgeworfen  werden  kann.  Jede  Choana  oder  hintere  Nasen- 
ö  f  f  n  u  n  g  wird  oben  durch  den  Körper  des  Keilbeins,  aussen  durch 
den  Processus  pterygoideus ,  innen  durch  den  Vomer,  und  unten 
durch  den  horizontalen  Gaumenbeintheil  umgeben.  —  Die  knö- 
cherne Nasenscheidewand  {Septum  narium  osseum),  aus  der  senk- 
rechten Siebbeinpiatte  und  der  Pflugschar  bestehend,  geht  selten 
senkrecht  von  der  Siebbeinplatte  und  der  Spina  nasalis  superior  zur 
Crista  nasalis  infei^ior  herab,  und  theilt  deshalb  die  Nasenhöhle  in 
zwei  meist  ungleiche  Seitenhälften. 

Nebst  den  die  Wände  der  Nasenhöhle  construirenden  Knochen 
hat  man  noch  gewisse,  von  diesen  Wänden  ausgehende  knöcherne 
Vorsprünge,  als  Vergrösserungsmittel  ihrer  inneren  Oberfläche,  in's 
Auge  zu  fassen.  Diese  sind:  die  Blättchen,  welche  das  Siebbein- 
labyrinth bilden,  die  obere  und  untere  Siebbeinmuschel,  und  die 
untere  oder  freie  Nasenmuschel.  Sie  sind  als  Sttltzknochen  ftlr  die 
sie  überziehende  Nasenschleimhaut  anzusehen,  welche  dadurch  eine 
viel  grössere  Oberfläche  erhält,  als  wenn  sie  nur  die  glatten  Wände 
eines  hohlen  Würfels  überzogen  hätte.  —  Die  Muscheln  tragen  zur 
Bildung  der  sogenannten  Nasengänge,  Meatus  narium j  bei,  deren 
drei  auf  jeder  Seite  liegen.  Der  obere,  zwischen  oberer  imd 
unterer  Siebbeinmuschel,  ist  der  kürzeste,  und  etwas  schräg  nach 
hinten  und  unten  gerichtet.  Es  entleeren  sich  in  ihn  die  hinteren 
und  mittleren  Siebbeinzellen,  und  die  Keilbeinhöhle.  Der  mitt- 
lere, zwischen  unterer  Siebbeinmuschel,  und  unterer  oder  freier 
Nasenmuschel,  ist  der  längste,  horizontal  gerichtet,  und  commu- 
nicirt  mit  der  Highmorshöhle,  den  vorderen  Siebbeinzellen,  imd 
der  Stirnhöhle.  Der  untere,  zwischen  unterer  Nasenmuschel 
und  Boden  der  Nasenhöhle,  ist  der  geräumigste,  und  nimmt  den 
von  der  Fossa  lacrymalis  der  Augenhöhle  nicht  senkrecht,  son- 
dern ein  wenig  schief  nach  aussen  und  hinten  herabsteigenden 
Thränennasengang    auf,    dessen    Ausmündungsöffhung    durch    das 


282  f.  116.  Höhlen  und  Graben  dei  Oeriehta. 

vordere  spitze  Ende  der  unteren  Nasenmuschel  von  oben  her  tiber- 
ragt wird. 

Die  Nebenhöhlen,  welche,  obwohl  sie  als  VergrOsserungsräome  der  Nasen- 
höhle gelten,  doch  in  keiner  Beziehung  zur  Wahrnehmung  der  Gerüche  stehen, 
sind  die  Stirn-,  Keilbein-  und  Oberkieferhöhle,  deren  bereits  früher  Erwähnung 
geschah. 

3.  Die  Mundhöhle  (Cavum  oris)  ist  die  einzige  Höhle  des 
Kopfes,  deren  Grösse  einer  Veränderung  unterliegt.  Diese  Ver- 
änderung hängt  von  der  Beweglichkeit  des  Unterkiefers  ab.  Es 
finden  Vorgänge  in  der  Mundhöhle  statt,  welche  ohne  Bewegung 
nicht  denkbar  sind.  Das  Kauen  und  Einspeicheln  der  Nahrung, 
ja  schon  die  Aufnahme  der  Nahrung  in  die  Mundhöhle,  schliesst 
vollkommen  starre  und  fixe  Wände  aus.  Die  Mundhöhle  kann 
deshalb  nicht  ganz-  von  knöchernen  Wänden  begrenzt  sein.  Die 
untere  Wand  oder  der  Boden  wird  nur  durch  Muskeln  gebildet. 
Die  obere  Wand  ist  der  unbewegliche  harte  Gaumen  {Palatum 
dwum  8,  osseum),  an  welchem  die  aus  einem  Längen-  und  Quer- 
schenkel bestehende  Kreuznaht  (Sutttra  palatina  cruciata)  vorkommt. 
Die  vordere  und  die  beiden  seitlichen  Wände  werden  bei  ge- 
schlossenem Munde  durch  die  an  einander  schliessenden  Zähne 
beider  Kiefer  dargestellt.  Die  hintere  Wand  fehlt,  und  wird  selbst 
im  nicht  macerirten  Schädel  durch  eine  Oefihung  eingenommen, 
mittelst  welcher  die  Mundhöhle  mit  der  hinter  ihr  liegenden  Rachen- 
höhle communicirt. 

4.  Noch  erübrigt  am  Schädel  beiderseits  hinter  den  Augen- 
höhlen eine  Grube,  welche  durch  den  Jochbogen  überbrückt  wird, 
und  Schläfengrube,  Foasa  temporalis,  genannt  wird.  Sie  ist  eine 
unmittelbare  Fortsetzung  des  bei  der  Beschreibung  der  Seitenwand- 
beine  erwähnten  Planum  tempai'alej  imd  wird  durch  die  Schuppe 
des  Schläfebeins,  die  Superficies  temporalis  des  grossen  Keilbein- 
flügels, den  Jochfortsatz  des  Stirnbeins,  und  den  Stirnfortsatz  des 
Jochbeins  gebildet.  Die  Schläfengrube  zieht  sich,  immer  tiefer  wer- 
dend, nach  unten,  innen,  und  vom,  zwischen  Oberkiefer,  Flügel- 
fortsatz des  Keilbeins,  und  Gaumenbein  hinein,  und  nimmt  hier 
den  Namen  der  Flügelgaumengrube  oder  Keil-Oberkiefer- 
grube (Fossa  pterygo-palatina  s,  spheiio-maxillains)  an.  Die  Flügel- 
gaumengrube ist  somit  die  bis  an  die  Schädelbasis  hinabreichende, 
tiefste  Stelle  der  Schläfengrube.  Sie  liegt  hinter  der  Augenhöhle, 
mit  welcher  sie  durch  die  Fissura  orhitalis  infei^icn"  in  Verbindung 
steht,  und  auswärts  von  dem  hinteren  Theilc  der  Nasenhöhle.  Ihre 
Gestalt  ist  sehr  unregelmässig,  und  ihre  durch  Löcher  und  Kanäle 
vermittelte  Verbindung  mit  der  Schädelhöhle  und  den  Höhlen  des 
Gesichts  sehr  vielfältig.  Gewöhnlich  bezeichnet  man  nur  die  tiefste 
und    engste    Schlucht   dieser   Grube,    welche    zunächst    durch    den 


|.  116.  Höhlen  and  Qrnben  des  Gesiohta.  283 

Flügelfortsatz  des  Keilbeins  und  das  Gaumenbein  gebildet  wird; 
als  Flügelgaumengrube,  und  nennt  den  weiteren,  zwischen 
Oberkiefer  und  Keilbein  gelegenen  Theil  derselben,  Keil-Ober- 
kiefergrube. 

Löcher  und  Kanäle  der  Augenhöhle.  1.  Zur  Schädelhöhle:  JFVro- 
men  opticum,  Fi»9ura  orhitaiU  tuperior^  Foramen  ethmoidale  anterius.  2.  Zur  Nasen- 
höhle: Foramen  ethmoidale  posterius,  Ductus  lacri/marum  nasalis.  3.  Zur  Schläfen- 
grube: Canalis  zygomaticus  temporalis,  4.  Zur  Fossa  pterygo-palatina:  Fissura 
orhitalis  inferior»  5.  Zum  Gesicht:  Oanalis  zygomaUcus  facialis,  Foramen  supra- 
orbitaley  CanaUs  ivfraorbitalis, 

Löcher  und  Kanäle  der  Nasenhöhle.  1.  Zur  Schädelhöhle:  Fora- 
mina  cribrosa.  2.  Zur  Mundhöhle :  Canalis  naso-paUUintts.  3.  Zur  Fossa  pterygo- 
palatina:  Foramen  spheno-palatinum.  4.  Zur  Augenhöhle,  bei  dieser  erwähnt. 
6.  2um  Gesicht :  Aperiura  pyriformis^  Foramina  nasalia, 

Löcher  und  Kanäle  der  Mundhöhle.  1.  Zur  Nasenhöhle:  Canalis 
naso-palcUinus.  2.  Zur  Fossa  pterygo-palatina  i  CancUes  pterygo-pakUini  s,  Canales 
palatini  descendentes,   3.  Zum  Gesicht:  Canalis  inframaxillaris, 

Löcher  und  Kanäle  der  Fossa  pterygo-palatina,    1.  Zur  Schädel- 
höhle: Foramen  rotundum.    2.  Zur  Augenhöhle:  Fissura  orbitaUs  inferior»    3.  Zur 
Nasenhöhle:    Foramen   spheno-paUUinum,    4.   Zur  Mundhöhle:    OanaUs  palatinus 
'  descendens,    5.  Zur  Schädelbasis:  Canalis  Vidianus. 

Die  Zusammensetzung  der  Augenhöhle,  so  wie  die  zu  ihr  oder  von  ihr 
führenden  Oeffnungen  werden,  da  die  Wände  der  Augenhöhle  bei  äusserer  In- 
spection  des  Schädels  leicht  zu  übersehen  sind,  auch  eben  so  leicht  studirt 
Schwieriger  aufzufassen  ist  die  Construction  der  Nasenhöhle  und  der  Flügel- 
gaumengrube. Es  müssen,  um  zur  inneren  Ansicht  der  Wände  derselben,  und 
der  in  diesen  befindlichen  Oeffnungen  zu  gelangen.  Schnitte  durch  sie  geführt 
werden,  wozu  man  für  die  Nasenhöhle  frische  Schädel  wählt,  die  bereits  zu 
einem  anderen  anatomischen  Zwecke  dienten,  und  deren  Nasenhöhle  noch  mit 
der  Schleimhaut  derselben  (Membrana  pituitaria  narium  s.  Schneidert)  ausgekleidet 
ist  An  skeletirten  Köpfen  werden  durch  das  Eindringen  der  Säge,  die  dünnen 
und  nur  lose  befestigten  Muschelknochen  leicht  zersplittert,  und  man  erhält  nur 
ein  unvollkommenes  Bild  ihrer  Lagerungsverhältnisse,  und  ihrer  Beziehungen  zu 
den  Nasengängen.  Das  Splittern  der  Knochen  lässt  sich  vermeiden,  wenn  man 
sich  einer  dünnen  Blattsäge  bedient,  und  den  Kopf  unter  Wasser  zersägt  Zwei 
senkrechte  Durchschnitte,  deren  einer  mit  der  Nasenscheidewand  parallel  läuft, 
deren  anderer  sie  schneidet,  leisten  das  Nöthige. 

Die  Wichtigkeit  der  Osteolog^e  für  die  Nervenlehre  bewährt  sich  am 
schönsten  in  der  Flügelgaumengrube.  Die  Anatomie  des  zweiten  Astes  vom 
Trigeminus  wird,  ohne  genaue  Vorstellung  der  mit  dieser  Grube  in  Verbindung 
stehenden  Kanäle  und  Oeffnungen,  unmöglich  verstanden.  Es  muss  der  Pro- 
cessus pterygoideus  des  Keilbeins  an  seiner  Basis,  mit  Schonung  der  senkrechten 
Platte  des  Gaumenbeins,  abgesägt  werden,  um  die  in  ihr  liegenden  oben  er- 
wähnten Zugangs-  und  Abgangsöfihungen  zu  sehen. 


284  !•  1^7.  yerhiliniM  der  Hirnsohftle  zum  Gesicht. 


§.  117.  Yerhältniss  der  Hirnschale  zum  O-esicht. 

Bei  keinem  Säugethier  tiberwiegt  der  Hirnschädel  das  Gesicht 
so  auffallend  wie  beim  Menschen,  dessen  Gehirn,  als  Organ  der 
Intelligenz,  über  die  der  SinnUchkeit  fröhnenden  Werkzeuge  des 
Kauens  und  Riechens  prävalirt.  Das  Höchste  imd  Niedrigste  der 
Menschennatur  steht  am  Kopfe  gepaart,  mit  tiberwiegender  Ausbil- 
dung des  Ersteren.  Je  mehr  die  Kauwerkzeuge  sich  entwickeln, 
und  je  grösser  der  Raum  wird,  den  die  Nasenhöhle  einnimmt,  desto 
vorspringender  erscheint  der  Gesichtstheil  des  Kopfes,  und  desto 
mehr  entfernt  sich  das  ganze  Profil  vom  Schönheitsideal.  Die  hohe 
Stirn,  hinter  welcher  eine  Welt  von  Gedanken  Platz  hat,  und  ihr 
fast  senkrechtes  Abfallen  gegen  das  Gesicht,  ist  ein  der  edelsten 
und  geistig  entwicklungsfähigsten  Menschenrace  —  der  kaukasi- 
schen —  eigenes  charakteristisches  Merkmal. 

Da  von  dem  Verhältnisse  des  Schädels  zum  Gesicht  die  nach 
unseren  Schönheitsbegrifi'en  mehr  oder  minder  edle  Kopfbildung 
abhängt,  imd  die  Gh-össe  dieses  Verhältnisses  ein  augenfälliges  Merk- 
mal gewisser  Menschenracen  abgiebt,  so  hat  man  gesucht,  die  Be- 
ziehungen des  Hirnschädels  zum  Gesicht  durch  Messungen  auszu- 
mitteln,  indem  man  durch  gewisse,  willktirhch  angenommene  Punkte 
des  Kopfes  Linien  zog  (Lineae  cranio7netricae)y  deren  Durchschnitts- 
winkel einen  Ausdruck  fUr  dieses  Verhältniss  abgiebt. 

1.  Messung  nach  Daubenton  (1764).  Man  zieht  vom  unteren 
Augenhöhlenrande  zum  hinteren  Rande  des  Fai^amen  occipitale  magnum 
eine  Linie,  und  eine  zweite  von  der  Mitte  des  vorderen  Randes 
dieses  Loches  zum  Endpunkte  der  frtiheren.  Der  durch  beide  Linien 
gebildete,  nach  vom  offene  Winkel  {^Angulus  occipitalia)  erscheint 
im  Menschengeschlechte  am  kleinsten,  und  vergrössert  sich  in  der 
Thierreihe  um  so  mehr,  je  mehr  das  grosse  Hinterhauptloch  die 
Mitte  der  Schädelbasis  verlässt,  und  auf  das  hintere  Ende  des 
Schädels  hinaufrtickt,  wodurch  seine  Ebene  nach  vom  abschtissig 
wird.  Als  osteologischer  Charakter  der  Racen  lässt  sich  dieser 
Winkel  nicht  benützen,  da  nach  Blumenbach^s  Erfahrungen,  seine 
Grösse  bei  Individuen  derselben  Race  innerhalb  einer  gewissen 
Breite  variirt.  Im  Mittel  beträgt  er  beim  Menschen  4",  beim  Orang  37®, 
beim  Pferde  70",  und  beim  Hunde  82". 

2.  Messung  nach  Camper  (1791).  Man  zieht  eine  Tangente 
zur  vorragendsten  Stelle  des  Stirn-  und  Oberkieferbeins,  und  schneidet 
diese  durch  eine  vom  äusseren  Gehörgang  zum  Boden  der  Nasen- 
höhle gezogene  Linie.  Der  Winkel  beider  ist  der  Anguliis  faciei 
Camperi,  dessen  Ausmittlung  unter  allen  Sehädelmessungsmethoden 
die    häufigste   Anwendung    gefunden    hat.     Je    näher    er    90"  steht, 


§.  117.  YerhältnUs  der  Hinucliale  mm  Oesielit.  285 

desto  schöner  ist  das  Schädelprofil.  Vergrössert  er  sich  über  90**, 
so  entstehen  jene  über  die  Augen  vortretenden  Stirnen,  welche  bei 
Rhachitis  und  Hydrocephalus  vorkommen,  und,  wenn  sie  über  ein 
gewisses  Maass  hinausgehen,  die  Schönheit  des  Profils  ebenso  be- 
einträchtigen, wie  die  flachen.  An  den  berühmtesten  Meisterwerken 
hellenischer  Kunst,  wie  am  Apoll  von  Belvedere,  und  an  'der  Meduse 
des  Sosicles,  finden  wir  den  Gesichtswinkel  selbst  etwas  grösser, 
als  90®.  —  Als  Maassstab  für  die  Entwicklimg  des  Gehirns  in  der 
Thierreihe  kann  der  Camper'sche  Winkel  nicht  benützt  werden, 
da  die  Wölbung  der  Stirn  blos  durch  geräumige  Sinus  frontales 
»(Elephant,  Schwein)  bedingt  sein  kann.  Auch  ist  seine  Grösse  bei 
Schädeln,  die  verschiedenen  Racen  angehören,  häufig  gleich  (Neger- 
und  alter  Lithauerschädel).  Seine  Grösse  beträgt  bei  Schädeln 
kaukasischer  Race  85®  (griechisches  Profil),  beim  Neger  70®,  beim 
jungen  Orang  67®,  beim  Schnabelthier  14®.  —  Daubenton's  imd 
Camper's  Messimgen  triflft  überdies  der  Vorwurf,  dass  sie  das 
Schädelvolumen  nur  durch  die  senkrechte  Ebene  messen,  imd  die 
Peripherie  (den  Querschnitt)  unberücksichtigt  lassen.  Die  Cam- 
p  e  r'sche  Messung  wird  auch  deshalb  variable  Resultate  an  Schä- 
deln derselben  Race  geben,  weil  der  vorspringendste  Punkt  des 
Oberkiefers,  der  in  den  Alveolis  der  Schneidezähne  liegt,  durch 
Ausfallen  der  Zähne  und  damit  verbundene  Resorption  der  Alveoli 
im  höheren  Alter  zurücktreten  muss. 

3.  Blumenbach's  Scheitelansicht  (1795)  ist  keine  Messung, 
sondern  eine  beiläufige  Schätzung  der  Schädel-  und  Gesichtsver- 
hältnisse. Es  werden  die  zu  vergleichenden  Schädel  so  aufgestellt, 
dass  die  Jochbogen  vollkommen  horizontal  liegen,  und  dann  von 
oben  in  der  Vogelperspective  angesehen,  wobei  obiges  Verhältniss, 
imd  alle  übrigen  abweichenden  Einzelnheiten  im  Schädelbaue,  sich 
dem  geübten  Auge  besonders  scharf  herausstellen. 

4.  Cuvier's  Methode  (1797)  zerlegt  den  Schädel  in  zwei  seit- 
liche Hälften,  und  bestimmt  an  der  Durchschnittsebene  den  Grössen- 
unterschied  von  Schädel  imd  Gesicht.  Dieser  ist  beim  Orang  =  0, 
und  verhält  sich  beim  Menschen  wie  4:1. 

Jede  dieser  Methoden  hat  ihr  Gutes;  aber  alle  zusammen 
reichen  nicht  aus,  einen  bestimmten  Ausdruck  für  die  charakteristi- 
schen Formen  der  Racenschädel  zu  geben.  Die  neueren  cranio- 
metrischcn  Methoden  von  Lucae  und  Aeby  bestätigen  das  Gesagte. 

Tiedemann  und  Morton  haben  durch  Ausfüllung  der  Schä- 
delhöhle die  Capacität  der  Hirnschale  verschiedener  Racen  auszu- 
mitteln  gesucht.  Tiedemann  fand  die  mittlere  Capacität  des  Neger- 
und  Europäerschädels  gleich;  Morton  dagegen  jene  des  Negers 
kleiner.  Man  wird  zugeben,  dass  die  Schädelmessimgen,  insofern  sie 
darauf  ausgehen,   die   geistige  Entwicklungsfähigkeit  des  Menschen 


286  5-  117.  yerhiltiilsg  der  Hinitclialt  %xaa  Gesicht. 

von  dem  Volumen  seines  Craniums^  und  des  in  diesem  eingeschlos- 
senen Gehirns  abhängig  zu  machen,  den  materialistischen  Tendenzen 
der  Gegenwart  weder  genützt  noch  geschadet  haben. 

Es  sind  noch  mehrere  andere  craniometrische  Methoden  bekannt,  worunter 
die  SpigeTsche  (1646)  die  älteste  ist.  Da  es  sich  hier  nur  um  Andeutungen, 
und  nicht  um  erschöpfende  Zergliederung  und  Vergl^ichung  der  einzelnen  Me- 
thoden handelt,  kann  das  Gesagte  genügen. 

Die  Hauptunterscheidungsmerkmale  des  menschlichen  und  thierischen  Schä- 
dels liegen:  1.  in  dem  ovalen  Cranium,  dessen  Verhältniss  zum  Gesichtstheil  des 
Kopfes  ein  grösseres  ist,  als  bei  allen  Thieren;  —  2.  in  dem  sich  einem  rechten 
Winkel  mehr  weniger  nähernden  Gesichtswinkel ;  —  3.  in  dem  mehr  in  der  Mitte 
des  Schädelgrundes  liegenden  Foramen  oceipUale  magnum;  —  4.  in  dem  gerundeten, 
nicht  zurückweichenden,  sondern  massig  prominirenden  Kinn  {mentum  promimdttm 
Linn.);  —  und  6.  in  der  bogenförmigen  Stellung  der  gleich  hohen,  und  ohne 
Zwischenlücken  neben  einander  stehenden  Zähne.  Auch  besitzt,  so  viel  mir  be- 
kannt, weder  der  Chimpanse,  noch  der  Gorilla  (die  zwei  menschenähnlichsten 
Affen)  einen  so  grossen  Processus  nuuloideu»,  und  einen  so  langen  Processus  sty- 
loideuSf  wie  der  Mensch.  Die  Lage  des  Hinterhauptloches  stimmt  mit  dem  Mittel- 
punkte des  Schädelgrundes  wohl  nicht  genau  überein,  sonst  müsste  der  Schädel 
auf  der  Wirbelsäule  balanciren,  was  nicht  der  Fall  ist  Der  Schädel  wird  am 
Uebemeigen  nach  vom  nur  durch  die  Wirkung  der  Nackenmuskeln  gehindert 
Lässt  diese  nach,  wie  bei  Lähmung,  beim  Einschlafen,  und  im  Greisenalter,  so 
folgt  er  dem  Zuge  seiner  Schwere,  und  sinkt  gegen  die  Brust 

Die  Racenverschiedcnheiten  der  Schädel  gehören  in  das  Gebiet  der  phy- 
sischen Anthropologie.  Es  wird  hier  blos  erwähnt,  dass  die  Gestalt  des  Schädels 
von  der  Norm  des  gefälligen  Ovals  (Ortkoeqtkali)  nach  zwei  Extremen  hin  ab- 
weicht Es  giebt  1.  stark  nach  hinten  verlängerte,  und  2.  in  dieser  Richtung 
kurze  Racenformen  des  Schädels  {Dolichocephali  —  Brachycephali).  Repräsentanten 
der  Dolichocephali  m  Europa  Rind  die  germanischen,  und  der  Brachycephali  die 
slavischen  (besonders  südslavischen,  croatischen  und  morlachischcn)  Schädel.  Das 
Gesicht  kann  bei  beiden  vor-  oder  zunickstehen,  d.  h.  prognathisch  oder  ortho- 
gnathisch sein  (YvoOof,  Kiefer).  Die  Germanen,  Gelten,  Britten,  und  Juden,  sind 
orthognathische,  die  Neger  und  Grönländer  prognathische  Formen  von  Langköpfen. 
Die  Magyaren,  Finnen,  Türken,  sind  orthognathische,  die  Kalmücken,  Mongolen 
und  Tartaren  prognathische,  Kurzköpfe.  —  Das  Verhältniss  der  Schädelhöhlo  zum 
Gesicht  ist  bei  den  Negom  kleiner  als  bei  allen  übrigen  Racen,  und  ein  mit 
36  Kuropäerschädeln  verglichener  Negerschädel  nahm  unter  allen  die  geringste 
Wassormenge  auf  (Saumarez).  Wie  wichtig  för  den  Künstler  die  nationalen 
Formen  der  Schädel  sind,  kann  man  aus  dem  Missfallen  entnehmen,  welches  ein 
Fachmann  bei  dem  Anblick  sogenannter  Meisterwerke  der  Kunst  empfindet.  Der 
Daniel  von  Ruhens  ist  kein  Jude,  seine  sabmischen  Weiber  sind  Holländerinnen, 
RaphaeFs  Madonnen  sind  hübsche  Italienerinnen,  und  Lessing's  Hussiten  wahr- 
lich keine  brachycephalischen  Czechen. 

Bei  angeborenem  Blödsinne  ist  die  Hirnschale,  selbst  bei  gewöhnlicher  Grösse 
des  Gesichts,  klein,  ja  kleiner  als  dieses.  Dagegen  finden  sich  eminente  Geistes- 
anlagen nicht  immer  in  grossen  Köpfen.  —  An  antiken  Statuen  von  Göttern  und 
Halbgöttern  waren  auch,  wahrscheinlich  um  das  Ucbermenschliche  auszudrücken, 
Gesichtswinkel  von  100^  beliebt  Bei  Neugeborenen  ist  dieser  Winkel  durch- 
schnittlich um  10°  g^sser  als  bei  Erwachsenen,  und  soll,  bei  der  im  höheren  Alter 
vorkommenden  Gehimatrophie ,  durch  Einsinken  des  Schädels  wieder  kleiner 
werden. 


§.  118.   AlterayeTschiedenbeit  des  Kopfes.  287 

Ein  weiblicher  Schftdel  ist  absolut  kleiDer,  dabei   zugleich  dünnwandiger, 

und  somit  auch  leichter   als  ein  männlicher,  von   gleichem  Alter;  die  Hirnschale 
aber  im  Yerhältniss  zum  Gesicht  grösser  als  beim  Manne. 


§.  118.  Altersyerschiedenlieit  des  Kopfes. 

Bei  sehr  jungen  Embryonen  gleicht  die  Gestalt  des  Schädels 
einem  Sphäroid,  mit  ziemlich  gleichen  Durchmessern.  Das  Gesicht 
ist  nur  ein  kleiner,  untergeordneter  Anhang  desselben.  Bei  Neu- 
geborenen, und  in  den  ersten  Lebensmonaten,  waltet  die  rund- 
liche Form  des  Gesichts  noch  vor,  welche  sich  erst  von  der  Zeit 
an,  wo  die  Eäefer  mit  dem  Ausbruch  der  Zähne  als  Kauwerkzeuge 
gebraucht  zu  werden  anfangen,  in  die  länglich -ovale  umwandelt. 
Die  Schläfenschup|>e  nimmt  im  ersten  Eandesalter  verhältnissmässig 
einen  weit  geringeren  Antheil  an  der  Bildung  der  Schädelseiten. 
Der  Grund  der  Schläfengrube  ist  eher  convex  als  concav,  und  der 
grösste  Querdurchmesser  liegt  zwischen  beiden  Tvhera  parietalia. 
Wegen  Prävalenz  des  Knochenknorpels  sind  die  Kopfknochen  weich 
und  biegsam,  und  man  hat  Fälle  gesehen,  wo  sie  durch  einen  Stoss 
eingebogen,  aber  nicht  gebrochen  wurden  (Chaussier,  Velpeau). 
Aeussere  mechanische  Einflüsse,  Binden,  Schnüren,  localer  Druck, 
ändern,  bekannten  Erfahrungen  zu  Folge,  die  Form  des  Schädels, 
und  somit  auch  jene  des  Gehirns,  ohne  die  geistigen  Fähigkeiten 
desselben  zu  beeinträchtigen.  So  besitzen  die  Chenoux- Indianer, 
welche  das  Flachdrucken  der  Stime  bis  zur  hässlichsten  Missstaltung 
treiben,  nicht  weniger  Intelligenz,  als  die  übrigen  westlichen  In- 
dianer Nordamerika's,  welche  mit  der  natürlichen  Form  ihrer  Schä- 
del zufrieden  sind,  und  sie  deshalb  in  Ruhe  lassen  (Phrenologen 
mögen  dieses  beherzigen).  —  Die  Nasenhöhle  ist  klein;  ihre  Neben- 
höhlen beginnen  sich  erst  zu  entwickeln;  die  Stirnhöhle  erst  im 
zweiten  Lebensjahre.  Die  Mundhöhle  erscheint,  da  die  Alveolarfort- 
sätze  der  Kiefer  fehlen,  niedrig.  Die  Aeste  des  Unterkiefers  ragen 
über  den  oberen  Rand  des  Körpers  nur  wenig  hervor,  und  haben 
eine  schiefe  Richtung  nach  hinten.  Sie  verlängern  sich  erst  mit 
dem  Auftreten  der  Alveolarfortsätze,  und  dem  Ausbruche  der  Zähne. 

Vom  Eintritte  der  Geschlechtsreife  angefangen,  ändert  sich 
die  Form  des  Schädels  nicht  mehr,  und  bleibt,  ein  geringes  Zu- 
nehmen in  der  Peripherie  abgerechnet,  stationär.  Im  Mannesalter, 
und  zwar  schon  nach  dem  26.  Lebensjahre,  beginnen  einzelne 
Nähte,  durch  Verschmelzen  der  verschränkten  Nahtzacken,  zu  ver- 
streichen. Im  Greisenalter  werden  die  Schädelknochen  dünn  imd 
spröde,  die  Diploö  schwindet^  an  einzelnen  Stellen  (Keilbeinfortsatz 
des  Jochbeins^  Lamim  j  ^^^«orption  der 


288  S*  ^^^'   Altersrenehiedeiiheit  des  Kopfes. 

Knochenmasse  Oefihungen.  Der  Greisenschädel  verliert  2/5  von 
seinem  vollen  Gewichte  im  Mannesalter  (Tenon),  das  Cavum  cranii 
verkleinert  sich  wegen  Schwund  des  Gehirns,  sinkt  wohl  auch  an 
den  Scheitelbeinen  grubig  ein,  und  das  Gesicht  verliert,  durch  Aus- 
fallen der  Zähne  und  Verschwinden  der  Alveolarfortsätze,  an  senk- 
rechter Höhe.  Der  Unterkiefer,  der  seinen  ganzen  Zahnbogen  ein- 
büsste,  bildet  einen  grösseren  Bogen  als  der  Oberkiefer,  stösst  mit 
seinem  vorderen  Theile  nicht  mehr  an  diesen,  sondern  schliesst  ihn 
bei  geschlossenem  Munde  ein.  Das  Bann  steht  vor  (menton  en  gahche)^ 
weil  die  Aeste  des  Unterkiefers  eine  schiefe  Richtung  nach  hinten 
annehmen,  und  nähert  sich  der  Nase  {U  nez  et  le  menton  se  düputent 
entrer  la  honche)^  wodurch  die  Weichtheile  der  Backe,  die  ihrer 
Spannkraft  ebenfalls  verlustig  werden,  lax  herabhängen,  oder  sich 
faltig  einbiegen.  Die  Kanten  und  Winkeln  sämmtlicher  Schädel- 
knochen werden  schärfer  und  dünner,  und  der  anorganische  Kno- 
chenbestandtheil  überwiegt  den  organischen  so  sehr,  dass  geringe 
mechanische  Beleidigungen  hinreichen,  Brüche  des  Schädels  hervor- 
zurufen. 

Obwohl  die  Knochen  des  Schädeldftches  im  Embryo  früher  zn  verknöchern 
beginnen,  als  jene  des  Schädelgmndes,  so  ist  doch  um  die  Zeit  der  Gebart  die 
Schädelbasis  zu  einem   festeren  Knochencomplex  gediehen,   als  das  Schädeldach. 

So  lange  die  Fontanellen  offen  sind,  wird  auch  die  Weichheit  und  Nach- 
giebigkeit des  kindlichen  Kopfes  bestehen.  Dem  weichen  kindlichen  Schädel 
durch  Dnick  eine  bleibende  Missstaltung  aufzudringen,  war  und  ist  bei  gewissen 
rohen  Völkerstämmen  herrschende  Volkssitte.  Schon  Hippocrates  spricht  von 
scythischen  Langköpfen  (Macrocephali  scythaei),  die  durch  Kunst  (vinculo  et 
idoneU  artibus)  erzeugt  wurden.  Die  in  Oesterreich  zu  Grafencgg  und  Inzersdorf 
aufgefundenen  Avarenschädel  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akademie,  1851,  Juli), 
und  die  von  Pentland  nach  Kuropa  gebrachten  alten  Peruanerschädel,  vom 
Stamme  der  Huancas,  sind  durch  fest  angelegte  Zirkelbinden,  deren  Eindruck 
noch  zu  erkennen,  zum  Wachstimm  in  die  Länge  gezwungen  worden.  K  o  x  und 
A  d  a  i  r  haben  uns  die  Verfahrungsart  der  Indianer  am  Columbiaflusse  und  in 
Nordcarolina,  die  Köpfe  ihrer  Kinder  bleibend  flach  zu  drücken,  mitgetheilt.  Die 
Wanasch,  und  einige  tartarische  Völker,  umwickeln  ebenso  die  Schädel  ihrer 
Kinder  bis  an  die  Augen,  wodurch  sie  sich  konisch  zuspitzen.  Zusammenschnüren 
durch  Riemen  (Lachsindianer),  Festbinden  in  einer  hölzernen  Form  (Tschactas), 
Einklemmen  zwischen  Brettern  (Omaguas)  sind  ebenfalls  im  Gebrauche.  Die 
merkwürdigste  Entstellung,  die  ich  kenne,  sehe  ich  an  einem  Indianerschädel 
aus  dem  Golf  von  Mexico,  der  am  Hinterhaupt  und  am  Scheitel  durch  einen 
breiten  tiefen  Eindruck  in  zwei  seitliche  halbkugelige»  ^'orsprünge  zerfällt.  Es 
ist  al>er  offenbar  zu  weit  gegangen,  wrnn  man  glaubt,  «lass  das  breite  Hinter- 
haupt der  alten  Deutschen,  so  wie  die  breiten  Schläfen  der  Belgier,  vom  Liegen 
der  Kinder  (Vesalj,  die  runden  Köpfe  der  Türken  durch  den  Turban,  und  die 
flachen  Köpfe  der  Aegyptier  und  einiger  («ebirgsstämme  durch  das  Tragen  schwerer 
Lasten  auf  dem  Kopfe  entstanden  seien  (Hufeland).  Durch  Foville's  inter- 
essante Abhandlung  über  Schädelmissstaltung  erfahren  wir,  dass  in  einigen  De- 
partements von  Frankreich  das  Binden  des  Schädels  der  Neugeborenen  noch 
üblich  sei.  Man  bemerkt  an  Erwachsenen  noch  die  Spuren  der  Einschnürung. 
Fo Tille  hält  diesen  Gebrauch  nicht  ohne  Einfluss  auf  später  sich  entwickelnde 


i.  119.   Eotwieklang  der  Kopfknochoii.  289 

Se«leiist5ningeiL  Unter  431  Irren  im  Hospice  von  Ronen,  hatten  247  den  vom 
Schnürband  herrührenden  Eindruck.  Die  Irrenärzte  Delaye  und  Mitivie  be- 
obachteten Gleiches.  Es  muss  jedoch  beachtet  werden,  dass,  wo  das  Schnüren 
des  kindlichen  Schädels  Yolksgebrauch  ist,  alle  Schädel,  somit  auch  jene  der 
Irren,  die  Folge  der  mechanischen  Gewaltanwendung  an  sich  tragen  müssen. 

Nicht  immer  werden  die  Schädel  im  Greisenalter  dünner.  Man  sieht  zu- 
weilen das  Gegentheil  stattfinden,  wenn  beim  beginnenden  Schwund  des  Gehirns 
nur  die  innere  Tafel  einsinkt,  und  der  vergrösserte  Diplo^raum  dnrch  Knochen- 
substanz ausgefüllt  wird. 

Detailschilderungen  über  den  knöchernen  Schädel  und  seine  Höhlen  siehe 
in  meinem  Handbnche  der  topographischen  Anatomie.  1.  Bd.  Eine  auf  zahlreiche 
Messungen  gegründete  morphologische  Entwicklungsgeschichte  des  Kopfes  enthält 
R,  Fronest  Charakteristik  des  Kopfes.  Berlin,  1846.  8.,  und  EngePa  Schrift  über 
das  Knochengerüste  des  menschlichen  Antlitzes.  Wien,  1850,  bemühte  sich  nach- 
zuweisen, dass  die  differente  Form  des  knöchernen  Antlitzes  einem  auf  sie  wir- 
kenden Mechanismus  (der  Kraft  der  Kaumuskeln)  ihre  Entstehung  verdankt. 


§.  119.  Entwicklung  der  Kopfknochen. 

Wie  schon  mehrmals  erwähnt  wurde,  tritt  in  den  frühesten 
Perioden  des  Fötallebens  die  Grundlage  des  Schädels  als  eine  theils 
häutige,  theils  knorpelige  Blase  auf.  Der  knorpelige  Antheil,  wel- 
cher .  vorzugsweise  der  zukünftigen  Basis  crafin  entspricht,  ist  J  a- 
cobson's  Primordialcranium.  Diese  Blase  verknöchert  auf 
zweierlei  Art.  Ei'stens  durch  Umwandlung  des  Knorpels  in  Kno- 
chen,  welche,  wenn  sie  fertig  sind,  ihrer  Entstehung  aus  Primor- 
dialknorpel  wegen,  Primordialknochen  des  Kopfes  heissen. 
Zweitens  durch  Bildung  von  Knochen  aus  einem  weichen,  auf  den 
häutigen  Wänden  des  Schädels  abgelagerten  Blastem  (Deck-  oder 
Belegknochen). 

Die  Primordialknochen  gehen  aus  präexistirenden  Knorpeln 
hervor.  —  Wie  entstehen  aber  die  Deckknochen?  -^  üeber  diese 
Frage  haben  genaue  Forschungen  folgenden  Aufschluss  gegeben. 
Jeder  Deckknochen  ist  von  der  häutigen  Unterlage,  auf  welcher 
er  entsteht,  durch  eine  deutliche,  abpräparirbare  Lamelle  von  imrei- 
fem,  homogenem  Bindegewebe  getrennt,  und  besitzt  auch  auf  seiner 
äusseren  Fläche  eine  ähnliche  Bindegewebschichte.  In  diesen  Binde- 
gewebschichten finden  sich  sehr  zahlreiche,  und  anfangs  regellos 
eingestreute,  grössere  und  kleinere  Zellen  mit  Kernen,  welche  sich 
in  Eüiochenkörperchen  umwandeln  (?).  Die  erste  Anlage  (Punctum 
ossißcationis)  eines  Deckknochens  läuft  an  ihrem  Rande  in  Strahlen 
aus,  welche  ohne  scharfe  Grenze  in  weiche  Bälkchen  übergehen, 
welche  sich  zu  einem  ossescirenden  Netzwerk  verbinden.  Niemals 
sieht  man  an  dem  Bildungsprocess  eines  Deckknochens  Knorpel« 
Substanz  Antheil  haben,  und  die  genetische  VenchiedAvKir' 
Deck-  und  der  Primordialknochen  ist  demgemXst  €■> 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie. 


290  I-  IM*   Begriff  und  EinthtUnng  der  Wirbel. 

Jedoch  ist  zu  bemerken,  dass  auch  bei  den,  aus  präformirtem  Schä- 
delknorpel entstandenen  Eoiochen,  die  Zunahme  an  Dicke  gleich- 
falls, wie  bei  den  Deckknochen,  durch  Verknöcherung  eines  weichen 
Blastems  stattfindet,  welches  durch  die  Beinhaut  an  die  Oberfläche 
des  Knochens  abgelagert  wird.  Dieses  gilt  überdies  nicht  blos  für 
die  Schädelknochen,  sondern  ftir  alle  Knochen  überhaupt. 

Als  Deckknochen  des  Primordialknorpels  des  Schädels  ent- 
stehen folgende:  das  Stirnbein,  die  Seitenwandbeine,  die  obere 
Hälfte  der  Hinterhauptschuppe,  die  Schläfebeinschuppe,  die  Nasen-, 
Joch-,  Oberkiefer-,  Thränen-  und  Gaumenbeine,  die  innere  Lamelle 
der  Processus  pterygoidei  des  Keilbeins,  die  Pflugschar  imd  der 
Unterkiefer.  Durch  Verknöcherung  des  Primordialknorpels  bilden 
sich:  der  Grundtheil,  die  untere  Hälfte  der  Schuppe,  und  die  beiden 
Gelenktheile  des  Hinterhauptbeins,  die  grossen  und  kleinen  Flügel 
des  Keilbeins,  und  die  äussere  Lamelle  der  Processus  pterygoidei,  das 
Siebbein,  der  Felsen-  und  Warzentheil  des  Schläfebeins,  die  untere 
Muschel,   das   Zungenbein,   und    die   Gehörknöchelchen  (Kölliker). 

Da  der  eben  besprochene  Gegenstand  vor  das  Forum  der  Entwicklungs- 
geschichte gehört,  so  müssen  von  Jenen,  welche  in  diese  höchst  interessante  und 
nir  die  vergleichende  Anatomie  des  Schädels  ergebnissreiche  Sache  n&her  ein- 
zugehen wünschen,  die  in  der  Literatur  der  Osteologie,  §.  166,  angeführten  Ent- 
wicklnngsschriften  nachgesehen  werden.  —  Ein  bündiges  Resum^  des  Wichtigsten 
über  die  Entwicklung  der  Kopfknochen,  gab  einer  der  thatigsten  Bearbeiter  dieses 
Gegenstandes :  KöUikery  in  seinem  „Bericht  über  die  zootomische  Anstalt  zu 
Würzburg.  1849.  4.** 


B.    Knochen  des  Stammes. 

Die  Knochen  des  Stammes  werden  nach  Meckel  in  die  Ur- 
knochcn  oder  Wirbel,  und  in  die  Nebenknochen  eingetheilt 
Letztere  zerfallen  wieder  in  das  Brustbein,  und  die  Rippen. 


a)  Urknochen  oder  Wirbel. 
§.  120.    Begriff  und  Eintheilimg  der  Wirbel. 

Da  die  erste  Anlage  der  Wirbelsäule  beim  Embryo  jener  der 
übrigen  Bestandtheile  des  Skelets  vorausgeht,  so  sollte  die  beschrei- 
bende Osteologie  eigentlich  mit  der  Betrachtung  der  Wirbel  be- 
ginnen. Viele  Anatomen  verfahren  so,  und  die  Wirbelsäule  ver- 
diente wohl  diesen  Vorzug,  da  sie  es  ist,  welche  der  Eintheilung 
der  gesammten  Thierwelt  in  zwei  Hauptgruppen:    Wirbelthiere 


S.  180.   Begriff  und  Eintheünng  der  Wirbel.  291 

und  Wirbellose,  zu  Grunde  Hegt.  In  diesem  Buche  wurde  da- 
gegen die  Osteologie  mit  den  Kopfknochen  begonnen,  weil,  wenn 
der  Anfänger  einmal  über  sie  hinaus  ist,  er  mit  der  Beruhigung, 
das  Schwierigste  bereits  überwunden  zu  haben,  sich  an  das  Uebrige 
macht. 

Als  Grundlage  und  Stativ  des  Stammes  dient  eine  in  seiner 
hinteren  Wand  befindUche,  senkrechte,  gegliederte  und  bewegliche 
Säule,  Wirbelsäule  (Columna  vertebralis  s,  Rhachü),  deren  einzelne 
Elemente:  Wirbel  (Vertebrae  s.  Spondyli)  heissen.  Da  der  bei 
Weitem  grössere  Theil  dieser  Säule,  zur  Aufnahme  des  Rücken-r 
marks,  hohl  ist,  so  bildet  jeder  Wirbel  einen  kurzen,  hohlen  Cylin- 
der  oder  Bing.  Nur  das  untere  zugespitzte  Ende  der  Wirbelsäide 
—  das  Steissbein  —  ist  nicht  hohl,  sondern  solide,  imd  wird  nur 
deshalb,  weil  es  bei  den  Thieren,  wie  die  übrige  Wirbelsäule,  einen 
Kanal  und  in  diesem  eine  Fortsetzung  des  Rückenmarks  einschliesst, 
und  gewisse  typische  Uebereinstimmungen  in  der  Entwicklung  des 
Steissbeins  mit  den  übrigen  Wirbeln  vorkommen,  noch  unter  die 
Wirbel  gezählt  —  Die  Wirbelsäide  wird  der  Länge  nach  in  ein 
Hals-,  Brust-,  Lenden-  und  Kreuzsegment  eingetheilt.  Das  Steiss- 
bein figurirt  nur  als  Anhang  des  letzteren. 

Das  Halssegment  der  Wirbelsäule  besteht  aus  sieben  Hals- 
wirbeln {Vei'telrae  colli  8.  cervicia),  das  Brustsegment  aus  zwölf 
Brustwirbeln  (Vertebrcie  ihorads\  das  Lendensegment  aus  flinf  Len- 
denwirbeln {Veriehrae  lumbales).  Die  das  Kreuzsegment  zusammen- 
setzenden fünf  Kreuzwirbel  ( Ve»*tebrcte  aacrales)  verwachsen  im  Jting- 
Ungsalter  zu  Einem  Knochen  (Kreuzbein),  und  heissen  deshalb 
falsche  Wirbel  {Vertebrae  spuriae),  während  die  übrigen  durch  das 
ganze  Leben  getrennt  bleiben,  und  wahre  Wirbel  (Vertebras  verae) 
genannt  werden.  Auch  die  vier,  ihrer  Form  nach  mit  Wirbeln  kaum 
mehr  vergleichbaren  Stücke  des  Steissbeins,  werden  den  falschen 
Wirbeln  beigezählt. 

Jeder  wahre  Wirbel  hat,  als  vollständiger  Ring,  eine  mittlere 
Oeffnung  (Foramen  vertehrale),  imd  eine  vordere  und  hintere 
Bogenhälfte.  Die  vordere  Bogenhälfte  verdickt  sich,  mit  Ausnahme 
des  ersten  Halswirbels,  zu  einer  kurzen  Säule  (Körper  des  Wir- 
bels, Corpus  vertebrae).  Der  Körper  eines  Wirbels  besitzt  eine  obere 
und  untere  plane,  oder  massig  gehöhlte  Fläche.  Beide  dienen  den 
dicken  Bandscheiben,  welche  je  zwei  Wirbelkörper  unter  einander 
verbinden,  zur  Anheftung.  Sie  sind  deshalb  rauh,  und  häufig  an 
macerirten  Wirbeln  noch  mit  vertrockneten  Resten  dieser  Band- 
scheiben belegt.  Die  vordere  und  seitliche  Begrenzungsfiäche  der  Wir- 
belkörper gehen  im  Querbogen  in  einander  über^  und  sind  zn^eicli 
von  oben  nach  unten  ausgeschweift.  Die  hintere,  dem  Fcramei^  f 
h^ale  zugekehrte  Fläche  des  Körpers,  ist  in  beiden 


292  f*  IM.    Bftgriff  nnd  EIntlieilang  der  Wirbel. 

Der  Körper  eines  Wirbels  besteht  fast  durchaus  aus  schwam- 
miger Knochenmasse.  Daher  sein  poröses  Ansehen,  welches  um  so 
mehr  auf&Ut,  je  grösser,  und  zugleich  je  älter  der  Wirbel  ist 
Zahlreiche  Oefinungen,  deren  grösste  an  der  hinteren  Fläche  des 
Wirbelkörpers  getroflfen  werden,  dienen  zum  Ein-  und  Austritt  von 
Blutgefässen,  imter  welchen  die  Venen  weit  über  die  Arterien  prä- 
valiren.  Da  die  Festigkeit  der  Wirbelsäule  mehr  auf  ihren  Bändern, 
als  auf  der  Stärke  der  einzelnen  Wirbelknochen  beruht,  so  wird 
diese  Oekonomie  der  Natur  in  der  Anbringung  compacter  Knochen- 
substanz begreiflich. 

Nur  die  hintere  Bogenhälfte  bleibt  im  Verhältniss  zur  vor- 
deren spangenartig  dtlnn,  heisst  deshalb  vorzugsweise  Bogen,  Arcus 
vertebrae,  und  treibt  sieben  Fortsätze  aus.  Als  allgemeine  Regel  hat 
es  zu  gelten,  dass  nie  ein  Wirbelfortsatz  vom  Körper  des  Wirbels, 
sondern,  ohne  Ausnahme,  vom  Bogen  desselben  abgeht.  Die  Fort- 
sätze der  Wirbel  dienen  entweder  zur  Verbindung  der  Wirbel 
unter  einander,  oder  zum  Ansatz  bewegender  Muskeln.  Sie  werden 
deshalb  in  Gelenkfortsätze  und  Muskelfortsätze  (Processus  articula- 
res  et  musculares)  eingetheilt.  Wir  zählen  drei  Muskelfortsätze. 
Der  eine  ist  unpaar,  und  wächst  von  der  Mitte  des  Bogens  nach 
hinten  als  Dornfortsatz,  Proce#«t«  spinostis;  —  die  beiden  anderen 
sind  paarig,  und  stehen  seitwärts  als  Querfortsätze,  Processus 
transversi.  Die  Gelenk fortsätze  zerfallen  in  zwei  obere  und  zwei 
imtere  (Processus  ascendentes  et  descendentes).  Sie  sind,  wie  begreif- 
lich, mit  Gelenkflächen  versehen,  welche  bei  den  oberen  Fortsätzen 
nach  hinten,  bei  den  unteren  nach  vom  gerichtet  sind.  Denkt  man 
sich  alle  Fortsätze  weggeschnitten,  so  erhält  man  die  Urform  eines 
Wirbels,  als  knöchernen  Ring. 

Wo  der  Bogen  vom  Körper  abgeht,  also  noch  vor  den  Wur- 
zeln der  ab-  und  aufsteigenden  Gelenkfortsätze,  hat  er  an  seinem 
oberen  Rande  einen  seichten,  und  am  imteren  Rande  einen  tiefen 
Ausschnitt,  welche  beide  Ausschnitte  sich  mit  den  entgegenstehen- 
den Ausschnitten  des  darüber  und  darunter  liegenden  Wirbels  zu 
Löchern  vereinigen.  So  entstehen  die  Zwischonwirbelbeinlöcher, 
Foramina  intervertebralia  s,  conjngata,  zum  Austritte  der  Rticken- 
marksnerven. 

Nicht  bei  allen  Wirbeln  wiederholen  sich  die  aufgezählten  Theile  in  der- 
selben Art  und  Weise,  und  nicht  bei  allen  sind  sie  übereinstimmend  an  Grösse, 
Kichtung  und  Gestalt.  Sie  erleiden  vielmehr  an  einer  gewissen  Folge  von  Wir- 
beln sehr  wichtige  Modificationen ,  welche  einen  anatomischen  Charakter  der 
verschiedenen  Abtheilungen  der  Wirbelsäule  bilden,  welcher  in  den  folgenden 
Paragraphen  erörtert  wird. 


^  m.  Hftlswirbel.  293 


§.  121.  lalswirbel. 

Alle  Säugethiere;  sie  mögen  langhälsig  sein,  wie  die  Giraffe, 
kurzhälsig  wie  das  Schwein,  oder  keinen  äusserlieh  wahrnehmbaren 
Hals  besitzen,  wie  der  Walfisch,  haben  sieben  Halswirbel.  Nur  bei 
den  Faulthieren  steigt  ihre  Zahl  auf  8  und  9,  und  bei  der  Seekuh 
(welche,  ihrer  zum  Kriechen  und  zum  Halten  des  Jungen  dienen- 
den Flossenfüsse  wegen,  Manatus,  schlecht  Manati  heisst)  sinkt  sie 
auf  6  herab. 

Ein  charakteristisches  Merkmal  sämmtlicher  sieben  Halswirbel 
des  Menschen  liegt  in  dem  Loche  ihrer  Querfortsätze,  Foramen 
traiisveraarium  y  an  welchem  wir  eine  vordere  und  hintere  Spange 
unterscheiden.  Kein  anderer  Wirbel  hat  durchbohrte  Querfortsätze. 
Wichtig  ist  es,  dass  die  vordere  Spange  von  den  Seiten  des  Kör- 
pers, die  hintere  aber,  wie  die  Querfortsätze  aller  übrigen  Wirbel, 
vom  Bogen  ausgeht.  Die  vordere  Spange  hat  auch  in  der  That, 
wie  in  der  Note  zu  diesem  Paragraphe  gezeigt  wird,  nicht  die  Be- 
deutung eines  Querfortsatzes,  sondern  einer  festgewachsenen  so- 
genannten Halsrippe. 

Mit  Ausnahme  der  beiden  ersten,  theilen  die  Halswirbel  fol- 
gende allgemeine  Eigenschaften.  Ihr  Körper  ist  niedrig,  aber  breit. 
Die  obere  Fläche  ist  von  rechts  nach  links,  die  untere  von  vom 
nach  hinten  concav.  Legt  man  zwei  Halswirbel  über  einander,  so 
greifen  die  sich  zugekehrten  Flächen  sattelförmig  in  einander  ein. 
Der  Bogen  gleicht  mehr  den  Schenkeln  eines  gleichseitigen  Drei- 
ecks, dessen  Basis  der  Körper  vorstellt.  Das  Faramen  verteh-ale  ist 
somit  eher  dreieckig  als  rund.  Der  horizontal  gerichtete  Domfort- 
satz der  mittleren  Halswirbel  spaltet  sich  an  seiner  Spitze  gabel- 
förmig in  zwei  Zacken,  welche  am  sechsten  Halswirbel  zu  zwei 
niedrigen  Höckern  werden,  und  am  siebenten  zu  einem  einfachen 
rundlichen  Ejiopf  verschmelzen.  Die  durchlöcherten  Querfortsätze 
sind  kurz,  an  ihrer  oberen  Fläche  rinnenartig  gehöhlt,  und  endigen 
in  einen  vorderen  imd  hinteren  Höcker,  Tuberculum  anterius  et  po- 
sterius. Die  auf-  imd  absteigenden  Gelenkfortsätze  sind  niedrig,  ihre 
Gelenkflächen  rundlich  und  vollkommen  eben.  Die  oberen  sehen 
schief  nach  hinten  und  oben,  die  unteren  schief  nach  vom  und 
unten.  Der  erste  und  zweite  Halswirbel  entfernt  sich  auffallend,  der 
siebente  nur  wenig  von  diesem  gemeinsamen  Vorbilde. 

Der  erste  Halswirbel  oder  der  Träger  (Atlas)  hat,  da  er 
keinen  Körper  besitzt,  die  ursprüngliche  Ringform  am  reinsten 
erhalten.  Er  besitzt  keinen  Körper,  sondern  besteht  aus  einem  vor- 
deren und  hinteren,  gleich  starken  Halbringe.  Wo  diese  seitlich 
zusammenstossen,   liegen  die    dicken  Seitentheile    (JlfoMae   laUrales 


294  S-  IS^   Halswirbel. 

atlantis),  welche  sieh  m  die  stark  vorragenden  und  massigen  Quer- 
fortsätze ausziehen.  Obere  und  untere  Gelenkfortsätze,  so  wie  der 
Dornfortsatz,  fehlen.  Statt  der  Gelenkfortsätze  finden  sich  nur 
obere,  von  vorn  nach  hinten  ausgehöhlte,  und  untere,  ebene,  über- 
knorpelte  Gelenkflächen.  Der  Domfortsatz  ist  auf  ein  kleines 
Höckerchen  in  der  Mitte  des  hinteren  Halbringes  reducirt.  Ein  ähn- 
liches am  vorderen  Halbringe  erinnert  an  den  fehlenden  Körper. 
In  der  Mitte  der  hinteren  Fläche  des  vorderen  Halbringes  liegt 
eine  kleine,  rundliche,  überknorpelte  Stelle,  mittelst  welcher  der 
Atlas  sich  um  den  Zahnfortsatz  des  zweiten  Halswirbels  dreht.  Sein 
Foramen  vertehrale  ist,  wegen  Mangel  des  Körpers,  grösser  als  bei 
irgend  einem  Wirbel.  Die  Ausschnitte,  welche  zur  Bildung  der 
Zwischenwirbellöcher  dienen,  liegen  dicht  hinter  den  Ma^ssae  laterales. 

Der  zweite  Halswirbel  {EpistrapheuSy  von  arp^^o),  drehen), 
unterscheidet  sich  ebenso  charakteristisch  wie  der  Atla^  von  dem 
obigen  Vorbilde  der  Halswirbel. 

Der  Name  EpUtropheus  wurde  ursprünglich,  und  zwar  mit  vollem  etymo- 
logiBchen  Recht,  dem  Atlaa  beigele^  Er  ist  es  ja,  der  sich  dreht.  Der  zweite 
Halswirbel  hiess  damals  axU  (auch  a^tov),  oder  vertebra  deniata. 

Sein  kleiner  Körper  trägt  an  der  oberen  Fläche  einen  zapfen- 
förmigen  Fortsatz,  den  sogenannten  Zahn  {Processm  odantoidetis), 
welcher  an  seiner  vorderen  und  hinteren  Gegend  durch  Gelenk- 
flächen geglättet  erscheint,  und  in  den  Hals,  den  Kopf  und  die 
Spitze  eingetheilt  wird.  —  Die  oberen  Gelenkfortsätze  fehlen,  und 
finden  sich  statt  ihrer  blos  zwei  plane,  rundliche  Gelenkflächen 
nahe  am  Zahne,  welche  etwas  schräg  nach  aussen  und  abwärts 
geneigt  sind.  Die  obere  Incisur  zur  Bildimg  des  Zwischenwirbel- 
loches ist  nur  angedeutet.  Der  an  seiner  Spitze  zuweilen  in  zwei 
gedrungene  Zacken  zerklüftete  Domfortsatz  zeichnet  sich  durch 
seine  Stärke  aus. 

Es  lässt  sich  beweisen,  dass  der  Zahn  des  Epiatropheua  eigentlich  den 
Körper  des  Atlas  darstellt,  welcher  aber  sich  vom  Atlas  ablöste,  und  mit  dem 
zweiten  Wirbel  verschmolz.  Er  schliesst  selbst  am  geborenen  Menschen  noch 
einen  Ueberrest  jenes  knorpeligen  Stranges  {Chorda  doracdit)  ein,  um  welchen 
herum  sich  alle  Wirbelkörper  bilden.  (H.  Müller,  über  das  Vorkommen  von 
Resten  der  Chorda  doraalia  bei  Menschen  nach  der  Geburt,  in  der  Zeitschrift 
für  rat.  Med.  N.  F.  2.  Bd.) 

Der  siebente  Halswirbel,  welcher  an  Grösse  und  Con- 
figuration  den  Uebergang  zu  den  Brustwirbeln  bildet,  hat  den 
längsten  Domfortsatz,  und  heisst  deshalb  Vertehra  prominens.  Der 
Dom  erscheint  nicht  mehr  gespalten,  und  auch  nicht  horizontal 
gerichtet,  sondern  etwas  schief  nach  abwärts  geneigt.  Am  unteren 
Rande  seines  Körpers  findet  sich  seitlich  öfters  ein  Stück  einer 
überknorpelten    Gelenkfläche,    welche    mit    einem    grösseren,    am 


§.  191.   Halswirbel.  295 

oberen  Rande  der  Seitenfläche  des  ersten  Brustwirbels  vorkommen- 
den, die  Gelenkgrube  für  den  Kopf  der  ersten  Rippe  bildet. 

Der  hinter  den  Seitentheilen  des  Atlas  liegende  Ausschnitt,  welcher  mit 
dem  Hinterhauptbein  eine  dem  Foratnen  intervertebraU  der  übrigen  Wirbel  ana- 
loge Lücke  bildet,  wird  zuweilen,  wie  bei  den  meisten  vierfüssigen  Thieren, 
durch  eine  darüber  weggezogene,  dünne  Knochenspange  in  ein  Loch  umgewan- 
delt —  Sehr  selten  besteht  der  Atlas  aus  zwei,  durchs  ganze  Leben  getrennt 
bleibenden  seitlichen  Hälften,  oder  es  fehlt  dem  hinteren  Bogen  die  Mitte.  — 
Das  Foramen  traiuveraarium  wird  doppelt  auf  einer,  oder  auf  beiden  Seiten.  — 
Zuweilen  wird  der  Zahnfortsatz  des  JEpittropheu»  so  lang,  dass  er  die  vordere 
Peripherie  des  grossen  Hinterhauptloches  erreicht,  und  mit  ihr  durch  ein  Gelenk 
articulirt 

Durch  die  Löcher  der  Querfortsätze  der  Halswirbel  läuft  die  Arteria  und 
Vena  vertebraUt,  Nur  das  Foramen  tranaversarium  des  siebenten  Halswirbels  hat 
in  der  Regel  keine  Beziehung  zur  Wirbelarterie,  lässt  aber  doch  die  Wirbelvene 
durchgehen. 

Da  jener  Antheil*  des  Querfortsatzes  eines  Halswirbels,  welcher  vor  dem 
Foramen  Iranaversarium  liegt,  und  vom  Wirbelkörper  ausgeht,  sich  aus  einem 
besonderen  Ossificationspunkt  entwickelt,  welcher  sich  in  die  Länge  zieht,  und 
in  diesem  Zustande  einer  kurzen  Rippe  (Halsrippe  vieler  Thiere)  vergleichbar 
wird,  so  kann  eigentlich  nur  die  hinter  dem  Foramen  tramversarium  gelegene 
Spange  eines  Querfortsatzea  als  eigentlicher  Querfortsatz  gedeutet  werden.  Die 
vergleichende  Anatomie,  und  die  Ursprungs-  und  Endigungsweisen  der  Hals- 
muskeln, sprechen  dieser  Ansicht  das  Wort.  Sie  wird  durch  die  Gesetze  der 
Entwicklung  zur  unumstösslichen  Wahrheit  An  6-  und  auch  7monatlichen  Em- 
bryonen sieht  man  die  zu  einem  independenten,  selbstständigen,  rippenähnlichen 
Stabe  entwickelte  vordere  Spange  des  Foramen  iraneversarium  am  siebenten 
Halswirbel  sehr  gut  Sie  soll  und  wird  später  an  ihrem  inneren  Ende  mit  dem 
betreffenden  Wirbelkörper,  an  ihrem  äusseren  Ende  mit  der  Spitze  der  hinteren 
Querfortsatzspange  verschmelzen.  Thut  sie  dieses  nicht,  sondern  verlängert  sie 
sich  im  Bogen  gegen  die  Brustbeinhandhabe  hin,  so  stellt  sie  eine  wahre,  freie, 
und  bewegliche  Halsrippe  vor,  deren  Länge  eine  verschiedene  sein  kann,  je 
nachdem  sie  das  Brustbein  erreicht,  oder  schon  früher  endigt.  Nach  Hal- 
bertsma*s  und  Luschka's  Beobachtungen,  geht  die  Arteria  subclavia,  welche 
im  Bogen  über  die  erste  Rippe  wegläuft,  im  Falle  des  Vorhandenseins  einer 
solchen  längeren  Halsrippe  am  siebenten  Halswirbel,  über  diese  Halsrippe  weg, 
welche  dann  eine  Furche  zur  Aufnahme  dieses  (Jefässes  besitzt.  Ausführliches 
giebt  Luschka:  lieber  Halsrippen  und  Oesa  mprcutemalia,  im  16.  Bande  der 
Denkschrift  der  kais.  Akad. 

Sind  die  oberen  und  unteren  Gelenkflächen  der  Seitentheile  des  Atlas,  und 
die  oberen  Gelenkflächen  des  ErpUtropheua  den  auf-  und  absteigenden  Gelenk- 
fortsätzen der  übrigen  Wirbel  analog?  Die  Antwort  auf  diese  Frage  entnehme 
man  aus  folgendem  Ideengang.  Man  denke  sich  den  Atlas  mit  einem  Körper 
versehen.  Dieser  Körper  zerfalle  in  drei  Stücke,  ein  mittleres  und  zwei  seitliche. 
Das  mittlere  rücke  nach  hinten,  und  verschmelze  mit  dem  Körper  des  zweiten 
Halswirbels,  dessen  Zahn  es  vorzustellen  hat  Die  beiden  seitlichen  rücken  aus- 
einander, werden  oben  und  unten  überknorpelt,  und  stellen  somit  die  Mcusae 
laleralea  atJantia  dar,  mit  ihren  oberen  und  unteren  Gelenkflächen.  Wären  diese 
Gelenkflächen  Analoga  der  auf-  und  absteigenden  Gelenkfortsätze  anderer  Wirbel, 
so  müssten  ja  die  Auss«hmtte  zur  Bildung  der  Foramina  intervertebralia ,  vor 
ihnen  liegen,  wie  bei  aUen  übrigen  Wirbeln.  Sie  liegen  aber  hinter  ihnen,  wie 
bei  den  flbrigoi  W"*'^  aaUentheUen  ihrer  Körper.    Die  durch  das 


296  S-  1^-   Brastwirbel. 

Auseinanderrücken  der  drei  gedachton  Antheile  des  Atlaskörpeni  entstehende 
Lücke,  wird  durch  zwei  Ossificationspunkte  eingenonunen ,  welche  durch  ihr 
Wachsthum  und  endliche  Confluenz,  den  vorderen  Atlasring  darstellen. 


§.  122.   Brustwirbel. 

Die  zwölf  Brustwirbel  sind  Rippenträger,  und  besitzen  deshalb, 
als  Wahrzeichen  ihrer  Gattung,  an  den  Seiten  ihrer  Körper  kleine 
tibei:knorpelte  Gelenkstellen,  zur  Verbindung  mit  den  Rippenköpfen. 
Diese  Gelenkstellen  verhalten  sieh  folgendermassen.  Jeder  der  neun 
oberen  Brustwirbelkörper  hat  an  seiner  Seitengegend  zwei  unvoll- 
ständige, coneave  Gelenkgrübchen ;  die  eine  am  oberen,  die  andere 
am  unteren  Rande.  Erstere  ist  immer  grösser,  letztere  kleiner. 
Thürmt  man  die  Wirbel  über  einander,  so  ergänzen  sich  die  zu- 
sammenstossenden,  unvollständigen,  flachen  Grübchen  zu  vollstän- 
digen, concaven  Gelenkflächen  für  die  Rippenköpfe  —  Foveae  aiii- 
culares.  Hat  der  siebente  Halswirbel  kein  Stück  einer  Gelenkfläche 
am  unteren  Rande  seiner  Seitenfläche,  so  wird  das  Grübchen  für 
dien  ersten  Rippenkopf  blos  durch  die  Gelenkfläche  am  oberen 
Rande  der  Seitenwand  des  ersten  Brustwirbels  gebildet.  Der  eilfte 
und  zwölfte  Brustwirbel  hat  eine  vollkommene  Fovea  articularis  am 
oberen  Rande.  Somit  wird  der  zehnte  nui*  eine  unvollkommene 
Gelenkfläche,  und  zwar  an  seinem  oberen  Rande,  besitzen  können. 
Ihre  sonstigen  Attribute  sind  folgende.  Der  Querschnitt  der  ober- 
sten und  untersten  Brustwirbelkörper  ist  oval,  jener  der  mittleren 
dreieckig,  mit  gerimdeten  Winkeln.  Am  vorderen  Umfange  des 
Körpers  ist  dessen  Höhe  etwas  geringer,  als  am  hinteren.  Die  Kör- 
per der  Brustwirbel  gewinnen,  von  oben  nach  unten  gezählt,  zu- 
sehends an  Höhe.  Der  Querdurchmesser  nimmt  bis  zum  vierten 
an  Grösse  ab,  von  diesem  bis  zum  zwölften  aber  zu.  —  Das  Fo- 
ramen  vertebrale  der  Brustwirbel  ist  kreisförmig  und  kleiner,  als  an 
den  Hals-  und  Lendenwirbeln.  Die  Domfortsätze  sind  lang,  drei- 
seitig, zugespitzt,  an  den  oberen  und  unteren  Brustwirbeln  mehr 
horizontal,  an  den  mittleren  schief  nach  unten  gerichtet,  und  dach- 
ziegelförmig  einander  deckend.  Die  Querfortsätze  sind  nur  an  den 
oberen  acht  Brustwirbeln  lang  und  stark.  Vom  neunten  bis  zum 
zwölften  Brustwirbel  werden  sie  so  kurz,  dass  sie  eigentlich  kein 
Anrecht  mehr  auf  die  Benenmmg  von  Fortsätzen  haben,  und  nur 
niedrigen  Höckern  oder  Zapfen  gleichen.  Ihre  aufgetriebenen, 
knopffbrmigen  Enden  besitzen,  mit  Ausnahme  der  zwei  letzten, 
nach  vom  sehende,  seichte,  überknorpelte  Gelenkflächen,  zur  Auf- 
nahme der  Tuhercula  costaimm.  Die  auf-  und  absteigenden  Gelenk- 
fortsätze stehen  vollkommen  vertical,  imd  ihre  rundlichen,  planen 
Gelenkflächen  sehen  direct  nach  hinten  und  nach  vom. 


i.  1S8.  L«ndenwirb«l.  297 

Die  Dornfortsfttze  der  oberen  und  mittleren  Brustwirbel  liegen  selten  in 
der  yerticalen  Durchschnittsebene,  sondern  weichen,  besonders  bei  Frauen,  die 
sich  stark  schnüren,  etwas  nach  rechts  ab. 

Von  hoher  morphologischer  Wichtigkeit  ist  eine  an  der  hinteren  Fläche 
aller  Bmstwirbel-Querfortsätze  bemerkbare  Rauhigkeit.  Sie  dient  gewissen  Mus- 
keln des  Rückens  zum  Angriffspunkt.  An  den  kurzen  Querfortsätzen  der  unter- 
sten Brustwirbel  trifft  man  sie  öfters  in  zwei  über  einander  gestellte  Höcker 
zerfallen. 

Die  Fovea  arUctdaris  am  11.  und  12.  Brustwirbel  wird  am  Skelete  sehr 
oft  so  undeutlich,  dass  sie  mehr  einem  rauhen  Höcker  gleicht. 


§•  123.  LendenwiiM. 

Den  fünf  Lendenwirbeln  fehlen  die  Löcher  in  den  Qaerfort- 
sätzen^  so  wie  die  Gelenkflächen  am  Körper,  und  am  Ende  der 
Querfortsätze.  Ihr  anatomischer  Charakter  ist  somit  ein  negativer: 
Mangel  der  Löcher  in  den  Querfortsätzen,  und  der  Gelenkflächen 
an  der  Seitengegend  der  Körper.  In  ihrer  stattlichen  Grösse  liegt 
kein  absolutes  Unterscheidungsmerkmal  von  den  übrigen  Wirbeln, 
da  ein  junger  Lendenwirbel  kleiner  als  ein  alter  Hals-  oder  Brust- 
wirbel ist.  —  Sie  sind  in  demselben  Individuum  nach  jedem  Durch- 
messer grösser,  als  die  Hals-  und  Brustwirbel.  Ihr  Körper  ist  quer- 
oval, das  Loch  für  das  Rückenmark  rund.  Die  Domfortsätze  sind 
seitUch  comprimirt,  hoch,  aber  schmal,  iihd  horizontal  gerichtet,  — 
die  Querfortsätze  schwächer  als  an  den  Brustwirbeln,  und  vor  den 
Gelenkfortsätzen  wurzelnd.  Die  nach  lünen  und  hinten  sehenden 
Gelenkflächen  der  oberen  Gelenkfortsätze  stehen  senkrecht,  und  sind 
von  vom  nach  hinten  concav.  Die  unteren  Gelenkfortsätze  stehen 
näher  an  einander  als  die  oberen;  ihre  Gelenkflächen  sehen  nach  aus- 
imd  rückwärts,  und  sind  convex.  Passt  man  also  zwei  Lendenwirbel 
zusammen,  so  werden  die  unteren  Gelenkfortsätze  des  oberen  Wirbels, 
von  den  oberen  des  imteren  Wirbels  umfasst.  —  Der  Körper  des 
fünften  Lendenwirbels  ist  vorn  merklich  höher  als  hinten,  was  auch 
bei  den  übrigen  Lendenwirbeln,  aber  in  viel  geringerem  Grade, 
vorkommt. 

Zwischen  dem  oberen  Gelenkfortsatz  imd  der  Wurzel  des 
Querfortsatzes  findet  sich  regelmässig  ein  stumpfer  Höcker,  oder 
eine  rauhe,  vom  oberen  zum  imteren  Rande  des  Querfortsatzes 
ziehende  Leiste,  welche  Processus  accesswius  heisst.  Am  äusseren 
Rande  des  oberen  Gelenkfortsatzes  kommt  eine  ähnliche  Erhaben- 
heit vor,  welche  man  als  Processus  mammillains  bezeichnet.  Der 
Processus  accessorius  und  mammüUiris  sind  in  der  That  nur  höhere 
Entwicklungsstufen  jener  Rauhigkeit,  welche  in  der  Note  des  vor* 
hergehenden  Paragraphes  an  der  hinteren  Fläofa6  der  BruftwirbetU 
Querfortsätze  bemerkt  wurde^  und   dflm|r 


298  I-  IM.   Kreiisb«iii. 

einander  liegende   Höcker,   den  Uebergang  zu  den  getrennten  Pro- 
cessua  accesswius  und  mammillaris  bildet. 

Die  unteren  Ränder  der  breiten  und  von  den  Seiten  comprlmirten  Dom- 
fortsKtze  der  Lendenwirbel  erscheinen  gegen  die  Spitze  wie  eingefeilt,  wodurch 
zwei  seitliche  Höckerchen  entstehen.  Die  zwischen  beiden  Höckerchen  befind- 
liche Vertiefung  (Erinnerung  an  die  gegabelten  Dornen  der  Halswirbel)  ist  zu- 
weilen, wegen  Reibung  an  dem  oberen  Rande  des  nächstfolgenden  Dornfortsatzes 
beim  starken  Rtlckwärtsbiegen  der  Wirbelsäule,  wie  eine  Qelenkfläche  geglättet. 
Seltener  findet  sich  am  unteren  Rande  der  Spitze  des  Domfortsatzes  ein  beson- 
derer, hakenförmig  nach  unten  gebogener  Höcker,  welcher  an  den  nächsten 
Domfortsatz  stösst,  und  mit  ihm  ein  wahres  Gelenk  bildet  (Mayer). 

Eine  schon  im  Mannesalter  auftretende  Verwachsung  des  letzten  Lenden- 
wirbels mit  dem  Kreuzbein,  kommt  nicht  gar  selten  vor,  und  bildet  den  Ueber- 
gang zur  normalen  Verwachsung  der  falschen  Kreuzbeinwirbel.  Bei  Lidividuen 
von  besonders  hoher  Statur  erscheint  die  Zahl  der  Lendenwirbel  um  einen  Wirbel 
vermehrt.  —  Ich  besitze  den  fünften  Lendenwirbel  eines  Erwachsenen,  dessen 
Bogen  und  untere  Gelenkfortsätze  mit  dem  Körper  nicht  verschmolzen  sind. 

Durch  vergleichend  anatomische  Untersuchung,  und  durch  die  Ergebnisse 
der  Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelsäule,  lässt  es  sich  beweisen,  dass  die 
Proceanu  trantverai  der  Lendenwirbel  eigentlich  den  Rippen,  nicht  aber  den 
Querfortsätzen  der  übrigen  Wirbel,  analog  sind.  Sie  sollten  somit  besser  Pro' 
ceuua  costarii  genannt  werden.  Der  Querfortsatz  der  übrigen  Wirbel  ist  an  den 
Lendenwirbeln  durch  den  Processtu  acceatorius  repräsentirt.  Die  anatomischen 
Verhältnisse  der  Rückenmuskeln  bekräftigen  diese  Auffassung.  Ausführlich  über 
diesen  Gegenstand  handelt  Retzius,  in  Müller* s  Archiv,  1849,  p.  693,  und 
He  nie,  im  Handbuche  der  sjstemat  Anatomie,  Knochenlehre. 

§.  124.   Kreuzbein. 

Das  Kreuzbein  (Os  saci'um,  latum,  cluniumy  vertebra  magna) 
wird  auch  heiliges  Bein  genannt.  Der  Name  stammt  wohl  daher^ 
dass  der  Knochen,  als  der  grösste  Wirbel,  von  den  Griechen  ix^y«? 
oTr6v5uXo;  genannt,  und  \^h<;  (heilig)  sehr  oft  ftlr  ii.iY«<;  gebraucht 
wurde  (so  z.  B.  ""IXio^  tpi^,  i£p^?  7c6vto<;  bei  Homer). 

Diese  Erklärung  eines  seltsam  klingenden  Namens  scheint  mir  richtiger 
als  jene,  nach  welcher  der  Knochen,  der  Nachbarschaft  des  kothhältigen  Mast- 
darms wegen,  Oa  aaerum  genannt  wurde,  wo  aacrum  so  viel  als  deteatandum 
bezeichnet.  Allerdings  findet  man  auch  für  diese  Interpretation  gewährleistende 
Stellen  in  römischen  Schriften.  So  heisst  es  im  Gesetz  der  zwOlf  Tafeln:  Homo 
aacer  ia  eat,  quem  poptäua  judicarit  ob  mo^cium,  und  ferner:  PiUronua^  ai  clienU 
fraudem  fecerit,  aacer  eato,  Ucbrigens  wird  bei  Hippocratea  auch  der  2.  und  7. 
Halswirbel,  und  der  5.  Lendenwirbel  als  (i^a^  orc^vSuXo^  benannt.  —  Dass  das 
Oa  aacrum  an  den  Opferthieren  sammt  dem  Mastdarm  ausgeschnitten  wurde,  ge- 
schah nicht  des  Mastdarms  wegen,  sondern  weil  die  Opferpriester  das  hinter 
diesem  Knochen  lagernde  beste  Fleisch  des  Thieres  ftir  sich  zu  behalten  wünschten. 

Das  Kreuzbein  repräsentirt  den  grössten  Knochen  der  Wirbel- 
säule, und  besteht  aus  fllnf  unter  einander  verschmolzenen  falschen 
Wirbeln,  deren  Attribute  sich  an  ihnen  nachweisen  lassen.  Es  ist 
wie  ein  nach  unten  zugespitzter  Keil  zwischen  die  beiden  Hüftbeine 


i.  IM.  Xnaibain.  299 

des  Beckens  hineingetrieben,  schliesst  den  Beckenring  nach  hinten, 
und  dient  gewissermassen  der  auf  ihm  ruhenden  Wirbelsäule  als 
Piedestal.  Seine  concav-convexe  Gestalt  lässt  den  Vergleich  mit 
einer  Schaufel  zu,  oder  besser  noch  mit  einer  umgestürzten,  nach 
vom  gekrümmten  Pyramide,  an  welcher  eine  nach  oben  gekehrte 
Basis,  eine  vordere  und  hintere  Fläche,  und  zwei  dicke  Seiten- 
ränder unterschieden  werden.  Die  Basis  zeigt  in  ihrer  Mitte  eine 
ovale  Verbindungsstelle  für  den  letzten  Lendenwirbel,  welche  Ver- 
bindung, da  die  Axe  des  Kreuzbeins  nicht  in  der  Verlängerung 
der  Axe  der  Lendenwirbelsäule  liegt,  sondera  nach  hinten  abweicht, 
einen  vorspringenden  Winkel  bildet,  welcher  in  der  Geburtshilfe  als 
Vorberg,  Promontorium^  bekannt  ist.  Hinter  dieser  Verbindungs- 
stelle liegt  der  dreieckige  Eingang  zu  einem,  das  Kreuzbein  von 
oben  nach  unten  durchsetzenden  Kanal,  welcher  eine  Fortsetzung 
des  Kanals  der  Wirbelsäule  ist,  und  Canalis  sacralü  genannt  wird. 
Rechts  und  links  von  diesem  Eingange  ragen  die  beiden  oberen 
Gelenkfortsätze  des  ersten  falschen  Kreuzwirbels  hervor.  Die 
vordere  Fläche  ist  concav,  und  zeigt  vier  Paar  Löcher  {Foramina 
sacralia  anteriora)^  welche  von  oben  nach  unten  an  Grösse  abneh- 
men, und  zugleich  einander  näher  rücken.  Die  Löcher  eines  Paares 
verbindet  eine  quere,  erhabene  Leiste  (als  Spur  der  Verwachsung 
der  falschen  Kreuzwirbelkörper).  Auswärts  von  den  vorderen  Kreuz- 
beinlöchem  liegen  die  sogenannten  Massae  laterales  ossü  sacri,  welche 
in  die  schief  nach  unten  convergirenden  breiten  Seitenränder  über- 
gehen. Die  convexe  und  unebene  hintere  Fläche  zeigt  eine  mitt- 
lere und  zwei  seitliche,  parallele,  rauhe  Leisten,  die  eine  Reihenfolge 
verschmolzener  Höcker  darstellen.  Die  mittlere  Leiste,  (Vw^  «ct- 
cralis  media  genannt,  wird  durch  die  unter  einander  verwachsenen 
Domen  der  falschen  Kreuzwirbel;  die  beiden  seitlichen,  als  Cristae 
sacrales  lateralesy  durch  die  zusammenfliessenden,  auf-  und  abstei- 
genden Gelenkfortsätze  derselben  gebildet.  Am  unteren  Ende  der 
mittleren  Leiste  liegt  die  untere  Oeffnung  des  Canalis  sacralis,  als 
sogenannter  Kreuzbeinschlitz  (Hiatus  sacralis).  Zwei  abgerundete 
Höckerchen  ohne  Gelenkfläche,  welche  die  verkümmerten  abstei- 
genden Gelenkfortsätze  des  letzten  falschen  Kreuzwirbels  darstellen, 
stehen  seitwärts  vom  Hiatus  sacralis.  Man  nennt  sie  Cornua  sacralia. 
Den  vorderen  Elreuzbeinlöchem  entsprechend,  finden  sich  auch  hin- 
tere (Foramina  sa^craUa  posteriora) ,  welche  kleiner  und  unregel- 
mässiger sind,  als  die  vorderen.  —  Die  nach  unten  convergirenden 
Seitenränder  des  Kreuzbeins  zeigen  an  ihrem  oberen,  dickeren 
Ende,  eine  nierenförmige  Verbindungsfläche  ftlr  den  Httftknochen, 
und  gehen  nach  unten  in  eine  stumpfe  Spitze  über^  an  welche  sich 
das  Steissbein  anschliesst  Bevor  sie  diese  Spitse  erreiol' 
sie  halbmondförmig  ausgeschnitten  —  Indmmii 


300  i.  IM.  Kreiuib«iiL 

Eine  durch  die  vorderen  Kreuzbeinlöcher  eingeftlhrte  Sonde  triU  durch 
die  hinteren  aus.  Beide  Arten  von  Löchern  sind  somit  eigentlich  die  Endmttn- 
dungen  kurzer  Kan&le,  welche  den  JCnochen  von  vom  nach  hinten  durchsetzen. 
Diese  Kanäle  stehen  mit  dem  senkrechten  Hauptkaual  (OanalU  sacralU)  durch 
grosse  Oeffhungon  in  Verbindung. 

Die  Bedeutung  der  einzelnen  Formbestandtheile  des  Kreuzbeins  als  Wirbel- 
elementc,  wird  durch  die  Untersuchung  jugendlicher  Knochen,  wo  die  Verwach- 
sung der  fünf  falschen  Wirbel  zu  Einem  Knochen  noch  nicht  vollendet  ist,  be- 
sonders klar.  Man  überzeugt  sich  an  solchen,  dass  die  hinteren  Kreuzbeinlöcher 
den  Zwischenräumen  je  zweier  Wirbelbogen  entsprechen,  während  die  verschmol- 
zenen Dom-  und  Gelenkfortsätzo  in  den  longitudinalen  Leisten  an  der  hinteren 
Fläche  des  Knochens  erkannt  werden.  Man  denke  sich  fünf  rasch  an  Grösse 
abnehmende,  und  mit  sehr  langen  und  massigen  Querfortsätzen,  und  festg^wach- 
senen  Rippenliälsen  (wie  bei  den  Halswirbeln)  ausgestattete  Wirbel,  an  ihren 
Körpern,  und  an  den  Enden  ihrer  starken  Querfortsätze  und  Rippenhälse,  mit 
einander  verwachsen,  so  hat  man  einen  einfachen  pyramidalen  Knochen  mit 
unterer  Spitze  geschaffen,  welcher  dem  Kreuzbein  gleicht  Die  Mcusae  UUerxUea 
des  Kreuzbeins  sind  es,  welche  durch  die  Verschmelzung  der  massigen  Quer- 
fortsätze und  Ripponhälse  zunächst  gebildet  werden. 

Kein  Knochen  bietet  so  zahlreiche  Verschiedenheiten  seiner  Fofm  dar, 
wie  das  Kreuzbein.  Fälle,  wo  das  erste  Stück  des  Steissbeins,  oder  der  letzte 
Lendenwirbel  mit  dem  Kreuzbein  verwachsen  ist,  dürfen  nicht  für  eine  Vermeh- 
rung seiner  Wirbelzahl  angesehen  werben.  Wirkliche  Vermehrung  der  Kreuz- 
beinwirbel gehört  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Verminderung  der  Kreuzwirbel 
auf  vier  kann  eine  wirkliche  sein,  oder  dadurch  gegeben  werden,  dass  der  erste 
Kreuzwirbel  sich  selbstständig  macht,  und  einem  sechsten  Lendenwirbel  gleicht.  — 
Alb  in  und  Saudi  fort  haben  zuerst  eine  interessante  Anomalie  des  Kreuzbeins 
erwähnt,  wo  der  erste  falsche  Wirbel  auf  der  einen  Seite  ganz  die  Form  eines 
Lendenwirbels,  auf  der  anderen  die  Beschaffenheit  eines  Kreuzwirbels  hatte. 
Dieser  Fall  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  jenem,  wo  die  eine  Hälfte  des  fünf- 
ten Lendenwirbels,  oder  beide,  durch  massige  Entwicklung  ihrer  Querfortsätze 
und  mehr  weniger  vollständige  Verschmelzung  derselben  mit  den  Seitentheilen 
des  ersten  Kreuzwirbels,  diesem  Wirbel  „assimilirt**  werden  (Dürr,  in  der 
Zeitschr.  für  wlss.  Med.  3.  Reihe.  8.  Bd.).  —  Unvollkommene  Schliessung  oder 
Offensein  des  CanalU  »aeralU  in  seiner  ganzen  Länge  findet  man  oft  genug.  Ich 
besitze  einen  sehr  merkwünligen  Fall  von  anomaler  Bildung  des  Kreuzbeins,  wo 
die  seitlichen  Bogenhälften  der  falschen  Wirbel,  welche  durch  ilire  Nichtvereini- 
gung  das  Offenbleiben  des  Sacralkanals  bedingen,  mit  einander  so  verwachsen 
sind,  dass  die  rechte  Bogenhälfte  des  ersten  Wirbels  mit  der  linken  des  zweiten, 
die  rechte  Hälfte  des  zweiten  mit  der  linken  des  dritten  u.  s.  w.  zusammenstösst, 
wodurch  eine  ganz  sonderbare  Verschobenheit  der  hinteren  Flächenansicht  ent- 
steht. Die  linke  Bogenhälfte  des  ersten,  und  die  rechte  Bogenhälfte  des  letzten 
Kreuzwirbels  ragen  als  stumpfe  Höcker  unverbunden  hen'or.  An  einem  zweiten 
Falle  wächst  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  hinteren  Foramen  tacrale  rechter- 
seits  ein  stumpf-pyramidaler  Fortsatz  heraus,  der  sich  nach  aussen  krümmt,  und 
mit  der  Tvberotitctt  ossit  ild  durch  Synchondrose  zusammenstösst. 

Da  das  Kreuzbein  an  der  Bildung  des  Beckenringes  participirt,  und  von 
seiner  Grösse  und  Gestalt  die  in  beiden  Geschlechtern  sehr  ungleiche  Länge 
und  Weite  des  Beckens  vorzüglich  abhängt,  so  muss  der  Geschlechtsunterschied 
an  ihm  sehr  deutlich  ausgesprochen  sein.  Es  gilt  als  Norm,  dass  das  weibliche 
Kreuzbein  breiter,  kürzer,  gerader,  und  mit  seiner  Längenaze  mehr  nach  hinten 
gerichtet  ist,  als  das  männliche. 


S.  1t5.   SteUtbeia.  301 


§.  125.   Steissbein. 

Das  Steissbein,  Ob  coccygü  (auch  Kukuksbein,  von  )c6xxu^), 
stellt  eigentlich  eine  Reihe  von  vier,  höchst  selten  von  fUnf  Knochen- 
stücken  dar,  an  deren  erstem  und  zugleich  gross tem,  nur  wenig 
Attribute  eines  Wirbels,  an  den  übrigen  gar  keine  mehr  zu  erken- 
nen sind.  Man  begreift  eigentlich ,  nicht,  wozu  sie  da  sind.  Die  den 
Wirbeln  zukommende  Ringform  ist  bei  allen  ganz  eingegangen,  da 
die  Bogen  fehlen,  und  nur  ein  Rudiment  des  Körpers  übriggeblie- 
ben ist.  Das  erste  Stück  des  Steissbeins  hat  noch  Andeutungen 
von  aufsteigenden  Gelenkfortsätzen,  welche  nun  Comua  coccygea 
heissen,  und  den  Comua  sacrcUia  des  letzten  Kreuzbeinwirbels  ent- 
gegenwachsen, ohne  sie  zu  erreichen.  Seine  in  die  Quere  ausge- 
zogenen Seitentheile  mahnen  an  verkümmerte  Processus  transversi. 
Die  Verbindungsstelle  des  ersten  Steisswirbels  für  die  abgestutzte 
Kreuzbeinspitze  ist  noch  das  wenigst  entstellte  Ueberbleibsel  einer 
oberen  Wirbelfläche.  Die  am  unteren  Ende  des  Seitenrandes  des 
Kreuzbeins  erwähnte  halbmondförmige  Incisura  sacro-coccygea  wird 
durch  Anlagerung  des  ersten  Steisswirbels  zwar  bedeutend  vertieft, 
aber  nicht  zu  einem  Loche  vervollständigt  Sie  stellt  nur  ein  miss- 
lungenes  Foramen  intervertebrale  dar. 

Bei  den  geschwänzten  Säugethieren  ändert  sich  der  WiVbelcharakter  der 
einzelnen  Steissbeinwirbel  gar  nicht,  und  finden  sich  alle  Attribute  einer  wahren 
Vertebra  an  ihnen. 

Bauhin  betrachtete  es  als  Regel,  dass  das  weibliche  Steissbein  um  ein 
Stück  mehr  hätte,  als  das  männliche.  Vermehrung  der  Steisswirbel,  die  sich 
auch  am  lebenden  Menschen  als  Appendix  hinter  dem  After  bemerkbar  macht, 
soll  als  Raceneig^nthümlichkeit  bei  einem  malayischen  Stamme  im  Inneren  Java*s 
vorkommen.  Man  entfernt  den  unangenehmen  Ueberfluss  durch  Wegschneiden. 
Bartholin  hat  die  Hominea  caudaU  auch  unter  seinen  Landsleuten  (Dänen)  an- 
getroffen, und  ehrlich  gesagt,  waren  wir  es  alle  im  Fötalleben,  denn  das  embryo- 
nische Tubercfdum  coccygeum  ist  in  der  That  ein  knochenloser  Schweif.  —  Die 
Verwachsung  des  ersten  Steisswirbels  mit  dem  letzten  Krenzwirbel  ereignet  sich 
nur  im  männlichen  Geschlechte;  bei  Weibern  wäre  eine  solche  Ankylose  etwas 
Unerhörtes,  und  hätte  den  nachtheiligsten  Einfluss  auf  das  Gebären.  Man  be- 
hauptete, es  entständen  solche  Verwachsungen  gerne  bei  Individuen,  welche  oft 
und  anhaltend  reiten.  Wie  wenig  an  dieser  Behauptung  Wahres  ist,  beweist 
das  Steissbein  eines  alten  donischen  Kosaken  in  der  ehemals  Blume  nbac haschen 
Sammlung,  an  welchem  vier  Lendenwirbel  ankylosirten,  das  Steissbein  aber  voll- 
kommen beweglich  blieb.  —  Der  dritte  und  vierte  Steisswirbel  erscheinen  bis- 
weilen nicht  auf,  sondern  neben  einander  Hegend,  als  Folge  von  Verrenkung, 
welche,  bei  der  Häufigkeit  von  Fällen  auf  das  Gesäss,  nicht  eben  selten  vor- 
kommen mag.  Verwachsung  dieser  beiden  Wirbel  komn^  sehr  oft  vor.  —  HyrÜ, 
Ueber  angebome  und  erworbene  Anomalien  des  BteSssbeiiUy  in  den  SKsunff«- 
berichten  der  kais.  Akad.  186^.  (MSrzheft). 


302  S-  ISC-  B&nder  der  Wirbek&ale. 


§.  126.  Bänder  der  Wirbelsäule. 

Um  die  complicirten  Bandvorrichtungen  an  der  Wirbelsäule 
bequemer  zu  überschauen,  wird  eine  Classificirung  derselben  noth- 
wendig.  Ich  trenne  die  Wirbelsäulenbänder  in  allgemeine  und 
besondere.  Erstere  finden  sich  entweder  als  lange  continuirliche 
Bandstreifen  an  der  ganzen  Länge  der  Wirbelsäule,  oder  sie  treten 
zwischen  je  zwei  Wirbeln,  nur  nicht  zwischen  Atlas  und  Episfro- 
pjieusy  in  derselben  Art  und  Weise  auf,  und  wiederholen  sich  so 
oft,  als  Verbindung  zweier  Wirbel  überhaupt  stattfindet.  Letztere 
werden  nur  an  bestimmten  Stellen  der  Wirbelsäule,  und  namentlich 
an  ihrem  oberen  und  unteren  Endstücke  gefunden,  wo  die  Wirbel 
besondere,  vom  allgemeinen  Wirbeltypus  abweichende  Eigenschaf- 
ten besitzen. 


A)  Allgemeine  Bänder,  welche  die  ganze  Länge  der  Wirbelsäule 

einnehmen. 

Sie  finden  sich  als  zwei  lange,  vorwaltend  aus  Bindegewebs- 
fasern bestehende  Bänder,  an  der  vorderen  und  hinteren  Fläche 
der  Wirbelkörper  herablaufend.  Das  vordere  lange  Wirbelsäulen- 
band (Ligamentum  longititdinale  anteinus),  entspringt  an  der  Pars 
basilaris  des  Hinterhauptbeins,  ist  anfangs  schmal  und  rundlich, 
wird  im  Herabsteigen  breiter,  adhärirt  fest  an  die  vordere  Gegend 
der  Wirbelkörper  und  besonders  der  Bandscheiben  zwischen  ihnen, 
und  verliert  sich  ohne  deutliche  Grenze  in  die  Beinhaut  des  Kreuz- 
beins. Das  hintere  (Ligamentum  longitudifiale  posterius)  ist  schwächer 
als  das  vordere.  Es  liegt  im  Rückgratskanal,  und  kann  deshalb  im 
Laufe  nach  abwärts  nicht  so  an  Breite  zunehmen,  wie  das  vordere, 
welches  frei  liegt.  Am  Körper  des  zweiten  Halswirbels  beginnend, 
verliert  es  sich  im  Periost  des  Kreuzbeinkanals.  Es  hängt,  wie  das 
vordere,  viel  fester  mit  den  Bandscheiben,  als  mit  den  Wirbelkör- 
pem  zusammen.  Uebersieht  man  es  an  einem  geöffneten  Rückgrats- 
kanal in  seiner  ganzen  Länge,  so  besitzt  es  keine  parallelen,  sondern 
sägefbrmig  gezackte  Seitenränder,  da  es  auf  den  Bandscheiben 
breiter  erscheint,  als  auf  den  Wirbelkörpern.  Das  vordere  lange 
Wirbelsäulenband  beschränkt  die  Rückwärtsbeugung,  das  hintere 
die  Vorwärtsbeugung  der  Wirbelsäule.  Das  hintere  gewährt  noch 
überdies  den  Vortheil,  dass  die  Venengeflechte,  welche  zwischen  ihm 
und  der  hinteren  concaven  Fläche  der  Wirbelkörper  liegen,  selbst 
im  höchsten  Grade  ihres  Strotzens  keinen  nachtheiligen  Druck  auf 
das  Rückenmark  ausüben  können. 


§.  186.   Bind«  der  Wirb«l8&al«.  303 


B)  Allgemeine  Bänder,  welche  sich  zwischen  je  zwei  Wirbeln  wiederholen, 

1.  In  den  Zwißchenwirbelsclieiben  {Ligamenta  interver- 
iebralia,  besser  Fibro-cartilagines  intervertebrales)  sind  die  haltbarsten 
Bindungsmittel  je  zweier  Wirbelkörper  gegeben.  Jede  Zwischen- 
wirbelscheibe besteht,  bei  Betrachtung  mit  unbewafihetem  Auge^ 
aus  einem  äusseren,  breiten,  elastischen  Faserringe,  und  einem  von 
diesem  umschlossenen,  weichen,  gallertartigen  Kern,  welcher  nicht 
die  Mitte  der  Scheibe  einnimmt,  sondern  dem  hinteren  Rande  der- 
selben näher  liegt,  als  dem  vorderen.  Die  Elemente  des  Faserringes 
sind,  an  der  Oberfläche  desselben,  Bindegewebsbtindel  und  elastische 
Fasern,  welche  theils  an  den  Verbindungsflächen  je  zweier  Wirbel 
festhaften,  theils  in  concentrischen  Ringen  einander  umschliessen. 
Je  näher  dem  weichen  Kerne,  desto  mehr  gewinnen  die  elastischen 
Fasern  die  Oberhand.  Ihre  theils  senkrechte,  theils  concentrisch 
gekrümmte  Anordnung  ist  der  Grund,  warum  der  Querschnitt  einer 
Bandscheibe  kein  homogenes  Ansehen  darbietet,  sondern  eine  Strei- 
fung zeigt,  indem  glänzend  helle  Ringe  mit  dunkleren  abzuwechseln 
scheinen.  Dass  diese  Streifung  nicht  auf  einem  substantiell  ver- 
schiedenen Material  beruht,  sondern  der  optische  Ausdruck  einer 
abwechselnd  verticalen  und  horizontalen  Faserungsrichtung  ist,  be- 
weist der  Umstand,  dass  die  hellen  Linien  der  Durchschnittsfläche 
dunkel,  und  die  dunkeln  hell  werden,  sobald  man  die  Schnittfläche 
von  der  entgegengesetzten  Seite  her  beleuchtet.  Zwischen  den 
elastischen  Faserbündeln  finden  sich  Ejiorpelzellen  eingestreut, 
welche  sich,  an  Menge  zunehmend,  bis  in  den  weichen  Kern  der 
Bandscheibe  hineinerstrecken.  Dieser  letztere  zeichnet  sich  durch 
eine  merkwürdige  Quellbarkeit  aus,  indem  er,  gänzlich  eingetrock- 
net, unter  Wasserzusatz  bis  nahe  zum  Zwanzigfachen  seines  Volu- 
mens aufschwillt.  Seine  homogene  Qrundsubstanz  wird  nur  von 
verticalen  imd  schief  gekreuzten  Fasern  durchzogen,  in  deren 
Maschen  die  oben  erwähnten  zahlreichen  Knorpelzellen  Uegen.  Bei 
älteren  Individuen  finden  sich  im  Centrum  des  Kernes  grössere 
oder  kleinere  Hohlräume,  mit  platten  oder  verschiedentlich  aus- 
gebuchteten Wänden.  Sie  sind  ihrem  Wesen  nach  den  Hohlräumen 
der  Gelenke  verwandt,  und  erscheinen,  wie  diese,  mit  einer  Art 
von  Synovialmembran  ausgekleidet. 

Ausführliches  über  den  Bau  der  Zwischenwirlielscheiben  ist  bei  H  e  n  1  e 
(Handbuch  der  systemat.  Anatomie,  Bänderlehre)  und  bei  Luschka  (Zeitschrift 
für  rationelle  Med.  Bd.  VII.  Heft  1)  zu  finden. 

2.  Zwischenbogenbänder,  oder  gelbe  Bänder  (Liga- 
menta interciniralia  s.  flava),  Sie  füllen  die  Zwischenräume  je  zweier 
Wirbelbogen  aus,  bestehen  nur  aus  ebuttisoher  "^ 


304  S-  IM.   Blnd«r  der  Wirbels&nl«. 

deshalb^  nebst  der  gelben  Farbe,  auch  einen  hohen  Grad  von 
Dehnbarkeit,  welcher  bei  jeder  Vorwärtsbeugung  der  Wirbelsäule 
in  Anspruch  genommen  wird.  Sie  ziehen  nicht  vom  unteren  Rande 
eines  oberen  Wirbelbogens  zum  oberen  Rande  des  nächst  unteren, 
sondern  mehr  zur  hinteren  Fläche  des  letzteren.  Ihre  Richtung 
kann  somit  keine  verticale,  sondern  muss  eine  etwas  schiefe,  nach 
unten  und  hinten  gehende  sein. 

3.  Von  den  Zwischendorn-  und  4.  den  Zwischenquer- 
b ändern  (Ligamenta  tnterspiruüta  et  interti'ansversalia) ,  so  wie  von 
den  Eapselbändern  der  auf-  und  absteigenden  Gelenkfortsätze, 
sagt  der  Name  Alles.  Am  besten  entwickelt  trifft  man  sie  am 
Lendensegmente  der  Wirbelsäule.  Die  sogenannten  Spitzen- 
bänder der  Domfortsätze  (Ligamenta  aptcum)  sind  wohl  nur  die 
hinteren  verdickten  Ränder  der  Zwischendombänder.  Sie  finden 
sich  nur,  vom  siebenten  Halswirbel  an,  bis  zu  den  falschen  Domen 
des  Kreuzbeins.  Vom  siebenten  Halswirbel,  bis  zur  Protuberantia 
ocdpitalis  externa,  werden  sie  durch  das  in  hohem  Grade  elastische 
Nackenband  {Ligamentum  nuchae)  ersetzt,  welches  beim  Menschen 
verhältnissmässig  schwächer  ist,  als  bei  jenen  Thieren,  die  schwere 
Geweihe  tragen,  oder  ihres  Kopfes  sich  zum'  Stossen  und  Wühlen 
bedienen.  Man  fuhlt  das  Band  sehr  gut  am  eigenen  Nacken,  in 
der  Nähe  des  Hinterhauptes,  wenn  man  den  Kopf  stark  nach  vom 
beugt. 

C)  Besondere  Bänder  zwischen  einzelnen  Wirbeln. 

Um  die  Beweglichkeit  des  Kopfes  zu  vermehren,  konnte  er 
weder  mit  dem  ersten  Halswirbel,  noch  dieser  mit  dem  zweiten 
durch  Zwischenwirbelscheiben  verbunden  werden.  .  Es  waren  be- 
sondere Einrichtungen  nothwendig,  um  den  Kopf  beweglicher  zu 
machen,  als  es  ein  Wirbel  auf  dem  anderen  zu  sein  pflegt  Bewegt 
sich  der  Kopf  in  der  verticalen  Ebene,  so  drehen  sich  die  Proces- 
sus condyloidei  seines  Hinterhauptes,  in  den  oberen  concaven  Ge- 
lenkflächen der  Seitentheile  des  Atlas,  welcher  ruhig  bleibt,  um 
eine  quere  Horizontalaxe.  Bewegt  sich  der  Kopf  um  seine  senk- 
rechte Axe  drehend  nach  rechts  und  links,  so  ist  es  eigentlich  der 
Atlas,  welcher  diese  Bewegung  ausfahrt,  indem  er  sich  um  den 
Zahn  des  Epistropheus ,  wie  ein  Rad  um  eine  excentrische  Axe, 
dreht;  —  der  Kopf,  welcher  vom  Atlas  getragen  wird,  macht  noth- 
wendig die  Drehbewegimg  des  Atlas  mit. 

Beim  Neigen  deit  Kopfes  gegen  eine  Schulter,  wird  die  Halswirbels&ule 
als  Ganzes  gebogen,  wozu  nach  Henke  noch  eine  in  diesem  Sinne  sehr  geringe 
Beweglichkeit  der  Hinterhaupt -Atlasgelenke  beiträgt 


S.  1S6.    Biadar  der  Wirbelsäule.  305 

1.  Bänder  zwischen  Atlas  und  Hinterhauptbein. 
Der    Kaum,    welcher    zwischen    dem    vorderen   Halbring    des 

Atlas  und  der  vorderen  Peripherie  des  Hinterhauptloches,  so  wie 
zwischen  dem  hinteren  Halbring  und  der  hinteren  Peripherie  dieses 
Loches  übrig  bleibt,  wird  durch  zwei  fibröse  Häute  verschlossen, 
das  vordere  und  hintere  Verstopfungsband  (iWemüwana  o^fura- 
fo^na  anterior  et  posterim*),  Ersteres  ist  stärker,  straffer  angezogen, 
letzteres  dünner  und  schlaflFer,  und  wird  beiderseits  dicht  an  seinem 
äusseren  Rande  durch  die  Arteria  vertehralis  durchbohrt,  welche 
von  dem  Loche  des  Querfortsatzes  des  Atlas  sich  zum  grossen 
Hinterhauptloche  krümmt.  —  Die  Gelenkflächen  der  Processus  con- 
dyloidet  des  Hinterhauptes  und  der  Seitentheile  des  Atlas  werden 
durch  fibröse  Kapseln  zusammengehalten,  deren  vordere  und  hin- 
tere Wände  schlaff  und  nachgiebig  sind,  um  die  Beugung  und 
Streckung  des  Kopfes  nicht  zu  beschränken. 

2.  Bänder  zwischen  Epistropheus,  Atlas,  und  Hinter- 
hauptknochen. 

Der  Zahn  des  Epistropheus  wird  durch  ein  starkes  Quer- 
band (Ligafnentum  transversum  atlantts)  an  die  Gelenkfläche  des 
vorderen  Halbringes  des  Atlas  angedrückt  gehalten.  Es  ist  dieses 
Querband  in  der  Ebene  des  Atlasringes,  von  einem  Seitentheil  zum 
anderen,  nicht  ganz  quer  gespannt,  sondern  vielmehr  im  Bogen 
um  den  Zahn  herumgelegt.  Das  Band  theilt  die  Oeffnung  des 
Atlas  in  einen  vorderen,  für  den  Zahn  des  Epistropheus,  und  in 
einen  hinteren,  grösseren,  für  das  Rückenmark  bestimmten  Raum 
ein.  Vom  oberen  Rande  desselben  geht  ein  Fortsatz  zum  vorderen 
Rande  des  grossen  Hinterhauptloches,  und  vom  unteren  Rande  ein 
gleicher  zum  Körper  des  Epistropheus  herab.  Diese  beiden  senk- 
rechten Fortsätze  bilden  mit  dem  Querband  ein  Kreuz  —  Liga- 
mentum cntciatvm.  Damit  der  Zahn  aus  dem,  durch  den  vorderen 
Halbring  des  Atlas  und  durch  das  Querband  gebildeten  Ring  nicht 
herausschlüpfe,  wird  er  ebenfalls,  an  den  vorderen  Umfang  des 
grossen  Hinterhauptloches  durch  drei  Bänder  —  ein  mittleres 
und  zwei  seitliche  —  befestigt.  Das  mittlere  (Ligamentum 
susj>ensoi*ium  dentis)  geht  von  der  höchsten  Spitze  des  Zahnes  zum 
vorderen  Rande  des  Foramen  ocdpitale  magnnm;  die  beiden  seit- 
lichen (Ligamenta  alaria  s.  Maucharti)  erstrecken  sich  von  den 
Seiten  der  Zahnspitze  zu  den  Seitenrändem  dos  Hinterhauptloches, 
und  zur  inneren  Fläche  der  Processus  condyloidei,  Sie  beschränken 
die  drehende  Bewegung  des  Kopfes. 

Der   hier  beschriebene   Bandapparat  wird  durch   eine   fibröse 
Membran  zugedeckt,  welche  über  dem  vorderen  Rande  des  groMov 
Hinterhauptloches    entspringt,    von    der    harten    Himhair' 
zwischenlagemde  Venengeflechte  getrennt  ist,  und  ^ 

Ilyrtl,  T.ohrhnrh  d^r  Anniomie. 


80ß  l  1S6.    Binder  d«r  Wirbols&ale. 

zweiten  Halswirbels  dort  endet ^  wo  das  Ligamentum  longäudinale 
posteinus  beginnt.  Ich  nenne  sie  Membrana  ligameniosa,  und  ver- 
stehe iinter  dem  Namen  Apparaius  Ugamentosus,  welchen  ihr  alte 
und  neue  Schriftsteller  beilegen^  die  ganze  Bandverbindung  der 
zwei  oberen  Halswirbel  und  des  Hinterhauptbeins.  Der  Name  Appa- 
ratus  drückt  ja  eine  Vielheit  von  Theilen  aus,  und  kann  auf  Ein 
Ligament  nicht  angewendet  werden. 

Zwischen  der  vorderen  Peripherie  des  Zahnes,"  und  der  an- 
stossenden  Gelenkfläche  des  vorderen  Atlasbogens,  so  wie  zwischen 
der  hinteren  Peripherie  des  Zahnes,  und  dem  über  sie  quer  weg- 
gehenden Ligamentum  transversum,  befinden  sich  Synovialkapseln, 
aber  ohne  Faserkapseln.  Ich  habe  kleine  unconstante  Schleimbeutel 
gefimden  und  beschrieben,  mit  welchen  diese  Synovialkapseln  in 
Verbindung  stehen.  —  Der  vom  vorderen  Atlasbogen  und  dem 
Ligamentum  transversum  gebildete,  zur  Aufnahme  des  Zahnfortsatzes 
bestimmte  Hohlraum,  ist  kein  eylindrischer,  sondern  ein  konischer 
—  oben  weiter,  als  unten,  da  auch  der  Zahn  einen  dicken  Kopf 
und  einen  -schmächtigeren  Hals  besitzt.  Dass  auch  dieser  Umstand 
dem  Herausschlüpfen  des  Zahnes  aus  seiner  Aufnahmshöhle  ent- 
gegenwirkt, bedarf  keines  weiteren  Beweises. 

Da  der  Atlas,  zugleich  mit  dem  Kopfe,  sich  tun  den  Zahn  des  Epistro- 
pheus  nach  rechts  Mind  links  um  46"  drehen  kann,  wohci  die  unteren  Gelenk- 
flächen der  Seitcntheilc  des  Atlas  auf  den  oberen  Gelenkflächcn  dos  Epistropheus 
schleifend  weggleiteu,  so  müssen  die  Kapseln,  welche  die  unteren  Gelenkflüchen 
der  Seitentlieile  des  Atlas  mit  den  oberen  Gelenkflächen  des  Epistropheus  ver- 
binden, sehr  schlafl^  und  nachg^iebig  sein,  wie  sie  es  in  der  That  auch  sind. 
Henle  hat  zuerst  jjezei^t,  dass  die  einander  xugokehrtcn  seitlichen  (velenkflächen 
des  Atlas  und  Epistropheus,  bei  der  Kopfrichtung  mit  dem  Gesicht  nach  vom, 
gar  nicht  aufeinander  passen,  sondern  sich  nur  mit  transversal  gericlit<*teu  Firsten 
berühren,  vor  und  hinter  welchen  sie  klaffend  von  einander  abstehen.  Wird  eine 
Seitendrehung  des  Kopfes,  z.  B.  nach  recht«  ausgeführt,  so  tritt  linkerseits  die 
hintere  Hälfte  der  seitlichen  Gelenkfläche  des  Atlas  mit  der  vorderen  Hälfte  der- 
selben Gelenkfläche  des  Epistropheus  in  Contact,  während  rechterseits  die  vor- 
dere Hälfte  der  seitlichen  Gelenkfläche  des  Atlas  mit  der  hinteren  des  Epistropheus 
in  Berillining  kommt.  Bei  der  Kopfdrehung  nach  links  tritt  das  entgegengesetzte 
Verhältniss  ein.  W.  Henko  hat  nun  auch  nachgewiesen,  dass  die  bei  der  Drehung 
nach  rechts,  und  bei  jener  nach  links  in  Contact  gerathenden  Hälften  der  Atlas- 
und  Epistropheusflächen  Schraubengänge  darstcOlen,  deren  einer  rechtsläufig,  der 
andere  linksIäuHg  ist.  Die  beiden  Schrauben  vermitteln  abwechselnd  di('  Drehun- 
gen des  Kopfes  nach  rechts  und  nach  links.  Den  llebcrgang  zwischen  beiden 
Schraubenbewegungen  bildet  ein  Moment,  wo  die  Firsten  der  seitlichen  Gelenk- 
flächen auf  einander  passen,  in  welchem  Momente  der  K(»pf  begreiflicher  Weise 
hfther  st*»hen  muns,  als  er  am  Ende  seiner  Seitwärtsdrehung  steht.  Diese  Ein- 
richtung bringt  den  grossen  Vortheil,  dass  durch  sie  bei  der  Seitwärtsdrehung 
des  Kopfes  die  Zerrung  des  Rückenmarkes  vermieden  wird,  welche  bei  einer  ein- 
fachen Axcndrehung  des  Atlas  um  den  Zahn  des  Epistropheus  nicht  zu  vermei- 
den gewesen  wäre.  Siehe  Henket  die  Bewegung  zwischen  Atlas  und  Epistropheus, 
in  der  Zeitschrift  ftir  rationelle  Medicin.  3.  Reihe.  2.  Bd.   1.  Het^. 


§.  187.   B«tnM:htnng  der  Wirbelaäale  als  GaiiBes.  307 

Zerreissung  des  Querbandes  und  der  Seiteubänder  des  Zahnes,  die  durch 
ein  starkes  und  plötzliches  Niederdrücken  des  Kopfes  gegen  die  Brust  entstehen 
könnte,  würde  den  Zahnfortsatz  in  das  Rückenmark  treiben,  und  absolut  tödt- 
liche  Zerquetschung  desselben  bedingen.  Die  Gewalt,  die  eine  solche  Verrenkung 
des  Zahnfortsatzes  nach  hinten  bewirken  soll ,  muss  sehr  intensiv  sein ,  da  die 
Bänder  des  Epiatropheut  ein  Gewicht  von  126  Pfund,  ohne  zu  zerreisen  tra- 
gen (Maisonabe),  und  die  Stärke  des  Querbandes  wenigstens  nicht  geringer 
ist,  die  übrigen  Bänder  und  Weichtheile  gar  nicht  gerechnet  Man  hat  behauptet, 
dass  beim  Tode  durch  £rhenken,  wenn,  um  die  Dauer  des  Todeskampfes  zu 
kürzen,  gleichzeitig  an  den  Füssen  gezogen  wird,  eine  Verrenkung  des  Zahnes 
nach  hinten  jedesmal  eintrete  (J.  L.  Petit).  Ich  habe  an  zwei  Leichen  gehenkter 
Mörder  ebenfalls  keine  Zerreissung  der  Bänder  des  Zahnes  beobachtet,  möchte 
jedoch  die  Möglichkeit  derselben  nicht  in  Zweifel  ziehen,  wenn,  wie  es  in  Frank- 
reich vor  Einführung  der  Guillotine  geschah,  der  Henker  sich  auf  die  Schultern 
des  Delinquenten  schwingt,  und  dessen  Kopf  mit  beiden  Händen  nach  unten 
drückt.  Petit  könnte  somit  wohl  Recht  gehabt  haben.  Man  hat  ja  auch  in 
einem  Falle,  wo  ein  junger  Mensch  sich  auf  einen  anderen  stürzte,-  welcher 
gerade  mit  seinem  Leibe  ein  Rad  schlug,  Zersprengung  der  Bänder  des  Zahnes, 
und  augenblicklich  tödtliche  Luxation  desselben  mit  Zermalmung  des  Rücken- 
marks erfolgen  gesehen.  Uebrigens  kann  hinzugefügt  werden,  dass  weder  Real- 
dus  Columbus  (1546),  noch  Mackenzie  und  Monro,  welche  letztere  im 
vorigen  Jahrhundert  mehr  als  60  gehenkte  Verbrecher  auf  die  fragliche  Verrenkung 
untersuchten,  dieselbe  vorfanden.  £benso  hat  Orfila,  welcher  an  20  Leichen 
directe  Versuche  hierüber  vornahm,  wohl  einmal  einen  Bruch  des  Zahnfortsatzes, 
aber  nie  eine  Luxation  desselben  nach  hinten  entstehen  gesehen. 

Der  Bandapparat  zwischen  Zahn  des  Epistropheus,  Atlas,  und  Hinterhaupt- 
bein, wird  am  zweckmässigsten  untersucht,  wenn  man  an  einem  Nacken,  der 
bereits  zur  Muskclpräparation  diente,  die  Bogen  der  Halswirbel  und  die  Hinter- 
hauptschuppc  absägt,  und  den  Rückgratkanal  mit  dem  grossen  Hinterhauptloche 
dadurch  öffnet.  Nach  Entfernung  des  Rückenmarks  trifft  man  die  harte  Hirnhaut. 
Unter  dieser  folgt  die  Membrana  ligamerUosa,  und,  bedeckt  von  dieser,  das  Liga- 
mentum cruciaiiim,  nach  dessen  Wegnahme  das  Ligamentum  auapen»orium,  und  die 
beiden  Ligamenta  alaria  übrig  bleiben. 

3.  Bänder   zwischen   Kreuz-   und   Steissbein. 

Die  Spitze  des  Kreuzbeins  wird  mit  dem  ersten  Steissbein- 
sttick,  imd  die  folgenden  Stücke  des  Steissbeins  unter  einander, 
durch  Faserknorpelscheiben,  wie  wahre  Wirbel,  vereinigt.  Dazu 
kommen  vordere,  hintere,  und  seitliche  Verstärkungsbänder  — 
Ligamenta  sacro-coccygea.  Das  Ligamentum  8aa*o-coccygeum  postentis 
ist  zwischen  den  Kreuzbeins-  und  Steissbeinshömern  ausgespannt, 
und  schlicsst  den  Hiatus  saci'O-coccygeus, 


§.  127.   Betrachtimg  der  Wirbelsäule  als  Ganzes. 

Die  Wirbelsäule  ist  die  Hauptstütze  des  Stammes.  Sie  er- 
scheint, mit  Ausnahme  des  Steissbeins,  als  eine  hohle,  gegliederte 
Knochenröhre,    welche    das   Rückenmark   und    die   Unpi^ 


.WH  $.  1S7.    Bctraclitang  d<»r  WirbelsÜnle  aU  (ian2<>s. 

Rtickcnmarksnerven  cinschliesst.  Am  Skclete  betrachtet,  finden  i^är 
die  Röhre  nur  unvollkommen  von  knöchernen  Wänden  gebildet.  Zwi- 
schen je  zwei  Wirbelkörpem  bleiben  Spalten,  und  zwischen  je  zwei 
Bogen  bleiben  offene  Lücken  übrig.  Erstere  sind  im  frischen  Zustande 
durch  die  dicken  Bandscheiben  der  Ligamenta  intervertebralia  ausge- 
füllt, und  letztere  werden  durch  die  Ligamenta  flava  s,  intercruralia  ver- 
schlossen ,  so  dass  beiderseits  nur  die  Foramina  intervertehralia  ftlr 
die  austretenden  Rückenmarksnerven  offen  bleiben.  Die  Länge  der 
Säule,  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Krümmungen,  in  gerader  Linie  vom 
Atlas  bis  zum  Kreuzbeine  gemessen,  beträgt  durchschnittlich  den 
dritten  Theil  der  ganzen  Körperlänge.  Die  einzelnen  Glieder  dersel- 
ben, oder  die  Wirbel,  nehmen  an  absoluter  Grösse  bis  zum  Kreuz- 
bein allmälig  zu,  vom  Kreuzbein  bis  zur  Steissbeinspitze  aber  schnell 
ab.  Die  Breite  der  W^irbelkörper  wächst  vom  zweiten  bis  zum  sie- 
benten Halswirbel.  Vom  siebenten  Halswirbel  bis  zum  vierten  Brust- 
wirbel nimmmt  sie  wieder  etwas  ab,  und  steigt  von  nun  an  succes- 
sive  bis  zur  Basis  des  Kreuzbeins.  Die  Höhe  der  einzelnen  Wirbel 
ist  am  Halssegmente  fast  gleich,  und  wächst  bis  zum  letzten  Lenden- 
wirbel in  steigender  Progression.  Der  Kanal  ftlr  das  Rückenmark 
bleibt  in  den  Halswirbeln  ziemlich  gleich  weit,  in  den  Rückenwirbeln 
vom  6.  bis  zum  9.  ist  er  am  engsten,  in  den  oberen  Lendenwirbeln  wird 
er  wieder  weiter,  und  verengt  sich  neuerdings  gegen  die  Kreuzbein- 
spitze. Die  Seitenöffnungen  des  Kanals  {Foramina  intervrrfehralia),  deren 
wir  mit  Inbegriff  der  vorderen  Kreuzbeinlöcher  30  zählen,  sincf  an 
den  Brustwirbeln  enger,  an  den  Lenden-  und  Kreuzwirbeln  weiter 
als  an  den  Halswirbeln.  —  Die  grösste  Entfernung  je  zweier  Dom- 
fortsätze kommt  am  Halssegmente  der  Wirbelsäide  vor,  wegen 
horizontaler  Richtung  und  Schwäche  dieser  Fortsätze.  Am  Brust- 
segmente erscheint  sie  wegen  üebereinanderlagenmg  der  Domen 
am  kleinsten,  und  im  Lendensegmentc  kaum  kleiner  als  am  Halse. 
Das  dachziegelförmige  ITebereinanderschieben  der  mittleren  Brust- 
wirbeldomcm  schützt  das  Rückenmark  gegen  Stich  und  Hieb  von 
hinten  besser,  als  am  Halse  und  an  den  Lenden.  Ein,  durch  die 
hinteren  Kreuzbeinlöcher  eingedrungenes  Instrument,  kann  durch 
die  vorderen  in  die  Beckenhöhle  gelangen.  Der  Abstand  zweier 
Bogen  ist  zwischen  Atlas  und  Epistropheus  am  grössten,  sehr  klein 
bei  den  Rückenwirbeln,  grcisser  hn  den  Lendenwirbeln.  Am  leich- 
testen dringen  verletzende  Werkzeuge  zwischen  Hint(^rliaupt  und 
Atlas  in  die  Rüekgratshöhle  ein.  -  Die».  Spitzen  der  Cjuerfortsätze 
der  (>  oberen  Halswirbel  liegen  in  einer  senkrechten  Linie  über 
einander.  Der  Querfort«atz  des  7.  Halswirbels  weicht  etwas  nach 
hinten,  welche  Abweichiuig  sämmtlichen  Brustwirbelquerfortsätzen 
zukommt,  und  sich  an  den  Lendenwirbeln  wieder  in  die  rein  quere 
Biehtung  verwandelt.    Zwischen  den  Dom-  und  Querfort^ätzen  aller 


8-  1S7-   Betntchtang  d«r  Wirb^loiale  »la  Ganzes.  ^         309 

Wirbel  liegen  2  senkrechte  Kinnen^  SnUd  dorsaleSj  die  einem  Theile 
der  langen  Rückenmuskeln  zur  Aufnahme  dienen. 

Die  Wirbelsäule  ist  nicht  vollkommen  geradlinig,  imd  darf  es 
auch  nicht  sein.  Denn  würde  der  Kopf  auf  einer  geradlinigen  Wir- 
belsäule ruhen,  so  müsste  jeder  Stoss,  welcher,  wie  beim  Sprung 
und  beim  Fall  auf  die  Füsse,  von  unten  auf  wirkt,  Erschütterimg 
des  Gehirns  mit  sich  bringen.  Ist  aber  die  Wirbelsäule  nach  be- 
stimmten Gesetzen  gekrümmt,  so  wird  der  Stoss  grösstentheils  in 
der  Schärfung  der  Krümmungen  absorbirt,  und  wirkt  somit  weniger 
nachtheilig  auf  das  Gehirn.  Die  Wirbelsäulenkrümmungen  sind  mm 
folgende.  Der  Halstheil  erscheint  nach  vorn  massig  convex,  der 
Brusttheil  stark  nach  hinten  gebogen,  der  Lendentheil  wieder  nach 
vorn  convex,  das  Kreuzbein  nach  hinten.  Diese  4  Krümmimgen 
addiren  sich  zu  einer  fortlaufenden  Schlangenkrümmung.  Man  prägt 
sich  das  Gesetz  der  Krümmung  am  besten  ein,  wenn  man  festhält, 
dass  jene  Reihen  von  Wirbeln,  welche  mit  keinen  Nebenknochen  in 
Verbindung  stehen  (Hals-  und  Lendenreihe),  nach  vorn,  dagegen 
die  mit  Nebenknochen  des  Stammes  verbundenen  Reihen  (Brust- 
wirbel und  Kreuzbein)  nach  hingen  convex  gekrümmt  sind.  Die 
nach  hinten  convexen  Krümmungen  vergrössem  den  Rauminhalt  der 
vor  ihnen  liegenden  Höhlen  der  Brust  und  des  Beckens.  Die  Krüm- 
mungen der  Wirbelsäule  entwickeln  sich  erst  deutlich  mit  dem  Ver- 
mögen aufrecht  zu  stehen  und  zu  gehen.  Bei  Embryonen  imd  bei 
Kinclern,  die  noch  nicht  gehen  lernten,  sind  sie  nur  angedeutet, 
dagegen  stellen  sie  sich  bei  Thieren,  die  auf  zwei  Füssen  zu  gehen 
abgerichtet  wurden,  zur  Zeit  des  Aufrechtseins  sehr  kennbar  ein. 
Die  stärkste),  nach  vorn  convexe  Krümmung,  liegt  zwischen  Len- 
denwirbelsäule und  Kreuzbein,  als  sogenanntes  Promontorium 
(Vorberg). 

£8  läASt  sich  leicht  beweiseu,  daaa  eine  schlailgent'örmig  gekrümmte  Wirbel- 
säule besser  trägt,  als  eine  gerade.  Rechnung  und  Versuch  zeigen,  dass  bei  zwei 
oder  mehreren  geraden  Säulen  von  verschiedener  Höhe,  vertical  aufgestellt,  und 
vertical  gedrückt,  im  Moment  des  beginnenden  Biegens,  sich  die  Dmckgrössen 
verkehrt  wie  die  Quadrate  der  Höhen  verhalten.  Eine  kurze  Säule  erfordert 
somit  mehr  Druck,  um  gebogen  zu  werden,  als  eine  längere.  Die  Wirbelsäule, 
welche  bis  zum  fixen  Kreuzbein  herab,  aus  drei  in  entgegengesetzten  Richtungen 
gekrümmten  Segmenten  besteht,  muss  sich  also  in  drei  entgegengesetzten  Rich- 
tungen krümmen,  d.  h.  sie  besteht  eigentlich  aus  drei  übereinander  gestellten 
kurzen  Säulen,  welche  somit  zusammen  mehr  tragen  können,  als  eine  gerade 
Säule,  deren  Länge  der  Summe  der  drei  kurzen  Säulen  gleich  ist  —  Man  kann 
es  eben  so  leicht  zur  Anschauung  bringen,  dass  die  nach  unten  verlängerte 
Schwerpunktslinie  des  Kopfes  (welche  zwischen  beiden  ProceuuM  eandyloidei  des 
Hinterhauptbeins  durchgeht)  die  Chorda  der  drei  oberen  Krümmungen  der  Wir- 
belsäule bildet  —  Bei  sehr  alten  Menschen  geht  die  •chlangenfttrmige  Krümmung 
der  Wirbelsäule  (mit  Ausnahme  der  Kreuzbeincurvatur)  in  eine  einiige  Bogen- 
krümmung  über,  deren  Convexitftt  nach  hinten  iiehti  nnd  ab  Senkrllek^P 
zeichnet  wird. 


310         .  §•  127.   Btttrachtang  der  WirbeUtale  als  Oanxes. 

Die  nach  vorn  convexen  Krümmungen  werden  durch  die 
Gestalt  der  Zwischenwirbelbänder  bedingt,  welche  an  ihrem  vor- 
deren Umfange  höher  als  am  hinteren  sind.  Die  nach  hinten  con- 
vexe  Baiimmung  der  Brustwirbelsäule  hängt  nicht  von  den  Zwischen- 
wirbelbändern ab,  die  hier  vom  und  hinten  gleich  hoch  sind,  sondern 
wird  durch  die  vorn  etwas  niedrigeren  Körper  der  Brustwirbel 
erzeugt.  Die  leichte  Seitenkrümmung,  die  die  Brustwirbelsäide  be- 
sonders in  ihrem  Brustsegmente  nach  rechts  zeigt,  und  die  bei 
Wenigen  fehlt,  scheint  mit  dem  vorwaltenden  Gebrauch  der  rechten 
oberen  Extremität  in  Verbindung  zu  stehen;  denn  bei  Individuen, 
die  ihre  Linke  geschickter  zu  gebrauchen  wissen,  krümmt  sich  die 
Brustwirbelsäule  nach  links,  wie  B^clard  zuerst  nachwies. 

Die  Zusammendrückbarkeit  der  Zwischenwirbelscheiben  er- 
klärt es,  warum  der  menschliche  Körper  bei  aufrechter  Stellung 
kürzer  ist,  als  bei  horizontaler  Rückenlage.  Auch  die  Zunahme 
der  Krümmungen  der  Wirbelsäule  bei  aufrechter  Leibesstellung 
hat  auf  diese  Verkürzung  Einfluss.  Nach  Messungen,  die  ich  an 
mir  selber  vorgenommen  habe,  beträgt  meine  Körperlänge  nach 
7  stündiger  Ruhe  5  Schuh  8  Zoll,  vor  dem  Schlafengehen  dagegen 
nur  5  Schuh  7  Zoll  3  Linien.  Nach  längerem  Krankenlager  fällt 
oft  die  Zunahme  der  Körperlänge  auf.  Sie  verliert  sich  jedoch  wie- 
der in  dem  Maasse,  als  das  Ausserbettsein  des  Reconvalescenten 
die  elastischen  Zwischenwirbelscheiben  durch  verticalen  Druck  auf 
eine  geringere  Höhe  bringt,  und  die '  Krümmungen  der  Wirbelsäule, 
an  Schärfe  zunehmen. 

Die  weibliche  Wirbelsäule  unterscheidet  sich  von  der  mKnnlicheu  darin, 
dass  die  Querfortsätzc  der  Brustwirbel  stärker  nach  hinten  abweichen,  und  das 
Lendensegment  verhältnissmässig  länger  ist. 

Da  die  Dornfortsätze  durch  die  Haut  zu  fühlen  sind,  so  bedient  man  sich 
der  Untersuchung  ihrer  Richtung,  um  eine  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  aus- 
zumitteln.  —  Der  Dom  des  7.  Halswirbels  wird,  seiner  Länge  und  Richtung 
wegen,  am  meisten  den  Brüchen  ausgesetzt  sein.  —  Oft  findet  man  die  rechte 
Hälfte  eines  Wirbels  merklich  höher  als  die  linke,  was,  wenn  keine  Ausgleichung 
durch  ein  entgegengesetztes  Verhältniss  des  nächstfolgenden  Wirbels  herbeigeführt 
wird,  Seitenverkrümmung  (Scoliosu)  bedingt.  —  Die  Gesetze  des  Gleichgewichtes 
fordern  es,  dass,  wenn  an  einer  Stelle  eine  Verkrümmung  des  Rückgrats  auftritt, 
in  einem  unteren  Segmente  der  Wirbelsäule  eine  compensirende,  i.  e.  ent- 
gegengesetzte Krümmung  durch  erstere  bedingt  wird.  —  Die  Dorn-  und  Quer- 
fortsätze sind  als  Hebelarme  zu  nehmen,  durch  deren  Länge  die  Wirkung  der 
Rückgratsmuskeln  begünstigt  wird. 

Durch  die  Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelsäule  und  durch  die  Data 
der  vergleichenden  Osteologie  wird  gezeigt,  dass  die  beiden  Schenkel  der  durch- 
bohrten Querfortflätzc  der  Halswirbel  einer  verschiedenen  Deutung  unterliegen, 
und  nur  der  hintere  Schenkel  dem  Processus  transversus  eines  Bnistwirbels  ver- 
glichen werden  kann,  der  vordere  aber  als  Rippenrudiment  angesehen  werden 
muss.  Denkt  man  sich  an  einem  Brustwirbel  den  Rippenkopf  mit  der  Seiten- 
fläche des  Wirbelkörpers,  und  das  Tuherctdum  cosiae  mit  der  Spitze  des  Processus 


§.  128.   Beweffliebkeit  der  Wirbels&Qle.  311 

trafuversti»  verwachsen,  so  wird  der,  zwischen  Rippenhals  und  Qnerfortsatz  des 
Wirbels  übrig  bleibende  Ramn,  einem  Foramen  tranwersarium  eines  Halswirbels 
entsprechen.  Nesbitt's  und  MeckeTs  Beobachtungen  constatirten  die  Ent- 
stehung eines  eigenen  länglichen  Knochenkernes  im  vorderen  Umfange  des  Fora- 
men  transversarium  des  7.  Halswirbels.  Dieser  Kern  entspricht  durch  Lage  und 
Gestalt  einem  Rippenhalse,  und  yerschmilzt  zuweilen  gar  nicht  mit  dem  übrigen 
Wirbel,  sondern  bleibt  getrennt,  verlängert  sich  rippenartig,  und  bildet  eine  soge- 
nannte Halsrippe.  Bei  den  übrigen  Halswirbeln  wird  für  den  vorderen  Umfang 
des  Foramen  tran*ver»arium  von  Meckel  kein  besonderer,  von  M.  J.  Weber 
dagegen  ein  besonderer  Ossiiicationspunkt  angegeben,  ^en  ich  an  der  6.,  5.  und 
4.  Vertebra  colli  ganz  deutlich  an  11  gesehen  Präparaten  gesehen  habe.  Bei  den 
Lendenwirbeln  ist  nicht  der  allgemein  sogenannte  Querfortsatz,  sondern  der  Pro- 
eesnu  acceagorius  einem  Bmstwirbelquerfortsatze  zu  vergleichen,  und  der  für  den 
Querfortsatz  gehaltene  Proceanu  tranwerstu  stimmt  vollkommen  mit  einer  Rippe 
überein,  weshalb  der  Name  Proceattu  cottarius  richtiger  klingt  Wenn  sich  die 
dreizehnte  Rippe  nicht  am  letzten  Halswirbel,  sondern  am  ersten  Lendenwirbel 
bildet,  so  sitzt  sie  immer  auf  der  Spitze  des  Proceaaw  coslariw,  nicht  am  Wirbel- 
kOrper  auf. 


§.  128.   Beweglichkeit  der  Wirbelsaule, 

Nur  das  aus  den  24  wahren  Wirbeln  gebildete  Stück  der 
Wirbelsäule  ist  nach  allen  Seiten  beweglich.  Das  zwischen  die 
Beckenknochen  eingekeilte  Kreuzbein  steckt  fest,  und  das  Steiss- 
bein  kann  nur  in  geringem  Grade  nach  vor-  und  rückwärts  bewegt 
werden.  Die  Beweglichkeit  der  wahren  Wirbel  hängt  zunächst  von 
den  Zwischen  wirb  elbändern  ab.  Jede  Bandscheibe  dieser  Art  stellt 
ein  elastisches  Kissen  dar,  welches  dem  darauf  liegenden  Wirbel 
eine  geringe  Bewegung  nach  allen  Seiten  zu  erlaubt,  ihn  aber  zu- 
gleich mit  dem  nächst  darunter  liegenden  auf  das  Festeste  ver- 
bindet. Wenn  die  Beweglichkeit  zweier  Wirbel  gegen  einander 
auch  sehr  limitirt  ist,  so  wird  doch  die  ganze  Wirbelsäule,  durch 
Summirung  der  Theilbewegungen  der  einzelnen  Wirbel,  einen  hohen 
Grad  von  •  geschmeidiger  Biegsamkeit  erhalten.  Ueber  die  Beweg- 
lichkeit der  Wirbelsäule  belehren  folgende  Beobachtungsergebnisse. 

1.  Die  Beweglichkeit  der  Wirbelsäide  ist  nicht  an  allen  Stellen 
derselben  gleich.  Jene  Stücke  der  Wirbelsäule,  wo  der  Kanal  für 
das  Rückenmark  eng  ist,  haben  eine  sehr  beschränkte,  oder  ga^ 
keine  Beweglichkeit  (Brustsegment,  Kreuzbein),  während  mit  dem 
Grösserwerden  dieses  Kanals  an  den  Hals-  und  Lendenwirbeln,  die 
Beweglichkeit  zunimmt.  Die  grössere  oder  geringere  Beweglichkeit 
eines  Wirbelsäulensegmentes  wird  von  folgenden  Punkten  abhängen: 

1.  von  der  Menge   der  iil  ihm  vorkommenden  Bandscheiben  (oder, 
was  dasselbe   sagen  will,   von   der  Niedrigkeit  der  WirbelkOrperl 

2.  von  der  Höhe  der  Bandscheiben,  3.  von  der  «^ 
ringeren  Spannung  ihrer  fibrösen  Beitandthe? 


312  ^  6-  128-   Beweglichkeit  der  Wirbels&ale. 

der  Wirbelkörper,    5.  von   einer   günstigen    oder  ungünstigen  Stel- 
lung der  Wirbelfortsätze. 

2.  Mit  der  Menge  der  Bandscheiben  an  einem  Wirbelsegmente 
von  bestimmter  verticaler  Ausdehnung,  wächst  die  Menge  des  be- 
weglichen Elementes  der  Wirbelsäule.  Daher  wird  die  Halswirbel- 
säule einen  höheren  Grad  von  allseitiger  Beweglichkeit  besitzen, 
als  das  Brust-  oder  Bauchsegment,  was  uns  Lebende  und  Todte 
bestätigen  werden.  Beugung,  Streckung,  Seitwärtsneigung,  und 
Drehung  um  ihre  Axe,  kommt  den  Halswirbeln  am  meisten,  den 
10  oberen  Brustwirbeln  am  wenigsten  zu.  Die  Höhe  der  Zwischen- 
wirbelscheiben nimmt  vom  letzten  Lendenwirbel  bis  zum  3.  Brust- 
wirbel ab,  wächst  aber  bis  zum  vierten  Halswirbel  wieder,  um  von 
diesem  bis  zum  zweiten  Halswirbel  neuerdings  kleiner  zu  werden. 
Nach  den  genauen  Messungen  der  Gebrüder  Weber,  beträgt  die 
mittlere  Höhe  der  letzten  Zwischenwirbelscheibe  10,90  Millim.,  zwi- 
schen 3.  und  4.  Brustwirbel  1,90,  zwischen  5.  und  6.  Halswirbel 
4,60,  zwischen  2.  und  3.  Halswirbel  2,70.  Die  Summe  der  Höhen 
aller  Zwischenwirbelscheiben  ist  gleich  dem  4.  Theil  der  ganzen 
Säulenhöhe.  Die  unbeweglichsten  Wirbel  sind  der  3.  bis  6.  Brust- 
wirbel, so  wie  der  2.  Halswirbel.  Die  Lendenwirbel,  welche,  ihrer 
grossen  Verbindungsfläche  wegen,  schwerer  auf  einander  beweglich 
wären,  sind  durch  ihre  hohen  Bandscheiben  ziemlich  beweglich  ge- 
worden. Die  am  vorderen  und  hinteren  Rande  imgleiche  Höhe 
der  Bandscheiben  muss  nothwendig  auf  die  Entstehung  der  Schlan- 
genbiegung der  Wirbelsäule  Einfluss  nehmen. 

3.  Es  leuchtet  a  jn-iari  ein,  dass  ein  Band,  welches  aus  elasti- 
schen und  nicht  elastischen  Elementen  besteht,  beimi  Comprimiren 
eine  Krümmung  seiner  nicht  elastischen  Bestandtheile  zeigen  müsse. 
Je  grösser  diese  Krümmung  war,  desto  grösser  wird,  wenn  der 
Druck  nachlässt,  die  verticale  Ausdehnung  des  Bandes  werden, 
und  mit  dieser  wächst  im  gleichen  Schritte  die  absolute  Beweglich- 
keit des  darüber  liegenden  Wirbels. 

4.  Die  kleine  Peripherie  der  Halswirbelkörper,  und  die  ver- 
hältnissmässig  nicht  unansehnliche  Dicke  ihrer  Bandscheiben  fördert 
ihre   Beweglichkeit  nach   allen   Seiten.     Die   Halswirbelsäule   besitzt 

Selbst,   wie   die  Lendenwirbelsäule,   einen  geringen  Grad  von  Dreh- 
barkeit. 

5.  Die  Stellung  der  Fortsätze  der  Wirbel,  ihre  Richtung  und 
Länge,  influirt  sehr  bedeutend  auf  die  Beweglichkeit  der  Wirbel- 
säule. Die  horizontalen,  und  unter  einander  parallelen  Dornen  der 
Hals-  und  Lendenwirbel,  sind  für  die  Rttckwärtsbeugung  der  Hais- 
und Lendenwirbelsäule  günstige,  die  üebereinanderlegung  der  Brust- 
dornen dagegen  ungünstige  Momente.  Die  ineinander  greifenden 
auf-    und    absteigenden    Gelenkfortsätze    der   Lendenwirbel    begün- 


§.  129.    Brustbein.  313 

stigen  die  Axendrehung  der  Körper  dieser  Wirbel,  welche  Bewe- 
gung durch  die  Höhe  der  Zwischenwirbelscheiben  in  erheblichem 
Ghrade  gefördert  wird. 

Drückt  man  auf  eine  präparirte  und  vertical  aufg^estellte  WirbelaKule  von 
oben  her,  so  werden  ihre  Krümmungen  stärker,  und  kehren  bei  nachlassendem 
Drucke  in  das  frühere  Verhältniss  zurück.  Während  des  Druckes  springen  die 
Zwischenwirbelscheiben  wie  Wülste  vor,  und  flachen  sich  bei  nachfolgender  Aus- 
dehnung wieder  ab.  Werden  die  Zwischenwirbelscheiben  beim  Beugen  der  Säule 
comprimirt,  so  müssen  die  Ligamenta  flava  gespannt  werden,  und  umgekehrt.  Das- 
selbe gilt  für  die  vorderen  und  hinteren  Peripherien  der  fibrösen  Ringe  der 
Zwischenwirbelscheiben. 

Die  Beweglichkeit  der  Wirbelsäule  an  einzelnen  Stellen  wurde  durch  £.  H. 
Weber  dadurch  bestimmt  und  gemessen,  dass  er,  an  einer  mit  den  Bändern 
präparirten  Wirbelsäule,  drei  Zoll  lange  Nadeln  in  die  Dorn-  und  Querfortsätze 
einschlug,  welche  als  verlängerte  Fortsätze  oder  Zeiger,  die  an  und  für  sich 
wenig  merklichen  Bewegungen  der  Wirbel  in  vergrössertem  Maassstabe  absehen 
liessen.  Unter  anderen  führten  diese  schönen  Untersuchungen  zur  Erkenntniss, 
dass,  beim  starken  Ueberbeugen  der  Wirbelsäule  nach  rückwärts,  sie  nicht  gleich- 
förmig im  Bogen  gekrümmt  wird,  sondern  dass  es  drei  Stellen  an  ihr  giebt,  wo 
die  Beugung  viel  schärfer  ist,  als  an  den  Zwischenpunkten,  und  fast  wie  eine 
Knickung  der  Wirbelsäule  aussieht  Diese  Stellen  liegen  1.  zwischen  den  unteren 
Halswirbeln,  2.  zwischen  dem  11.  Brust-  und  2.  Lendenwirbel,  3.  zwischen  dem 
4.  Lendenwirbel  und  dem  Kreuzbein.  An  Gjrmnasten,  die  sich  mit  dem  Kopfe 
rückwärts  bis  zur  Erde  beugen,  kann  man  sich  von  der  Lage  der  einspringenden 
Winkel,  die  durch  das  Knicken  der  Wirbelsäule  entstehen,  leicht  überzeugen. 
Da  die  Bänder  an  diesen  drei  Stellen  minder  fest  sein  müssen,  so  erklärt  es 
sich,  warum  die  mit  Zerreissung  der  Bänder  auftretenden  Wirbelverrenkungen 
gerade  an  diesen  Stellen  vorkommen.  Wie  gross  die  Festigkeit  des  ganzen 
Bandapparates  der  Wirbelsäule  ist,  kann  man  aus  Maisonabe's  Versuchen  ent- 
nehmen, nach  welchen  ein  Gewicht  von  100  Pfd.  dazu  gehört,  um  eine  Hals- 
wirbelsäule, von  150  Pfd.,  um  eine  Brustwirbelsäule,  und  von  250  Pfd.  (nach 
Bouvier  300  Pfd.),  um  eine  Lendenwirbelsäule  zu  zerreissen. 


b)  Nebenknochen  des  Stammes. 

§.  129.   Brustbein. 

Die  Nebenknochen  des  Stammes  bilden  die  Brust,  und  werden 
in  das  Brustbein  und  die  Rippen  eingetheilt. 

Das  Brustbein  oder  Brustblatt  {SteiTiurriy  Os  8.  Scutum pecto- 
ris, Os  xiphoides;  bei  Hippocrates  ^Os;,  daher  der  Name  Ste- 
thoskop für  ein,  in  der  neuen  Mediein  viel  gebrauchtes  Instrument, 
zum  Untersuchen  der  Brustorgane)  liegt  der  Wirbelsäule  gegenüber, 
an  der  vorderen  Fläche  des  Stammes.  Wenn  es  schön  geformt  ist, 
hat  es  einige  Aehnlichkeit  mit  einem  kurzen  römischen  Schlacht* 
Schwert,  imd  wird  deshalb  in  den  Griff^  die  Klingei  und  di 
Spitze    oder    den    Schwertfortsatz    abgetheilt     Dm 


314  §•  1^-   Brnstbein. 

oder  die  Handhabe  (Mannbrium),  stellt  den  obersten  und  brei- 
testen Theil  des  Knochens  dar.  Er  liegt  der  Wirbelsäule  näher,  als 
das  untere  Ende  des  Brustbeins,  und  hat  eine  vordere,  leicht  con- 
vexe,  und  eine  hintere,  wenig  concave  Fläche.  Der  obere  Rand 
der  Handhabe  ist  der  kürzeste,  und  halbmondförmig  ausgeschnitten 
(Incis^ira  semilmmins  s.  jugularis).  Der  untere  ist  gerade,  und  dient 
zur  Vereinigung  mit  dem  oberen  Rande  der  Klinge.  Rechts  und 
links  von  der  Incisvra  aemüunaris  liegt  eine  sattelförmig  gehöhlte, 
tiberknorpelte  .Gelenkfläche,  filr  das  innere  Ende  des  Schlüsselbeins 
(Indsura  clavicularh),.  Die  massig  convergirenden  Seitenränder 
der  Handhabe  setzen  sich  in  jene  der  Klinge  (Mittelstück,  Corpus 
steimi)  fort,  welche  dreimal  länger,  aber  zusehends  schmäler  ist  als 
der  Griff,  und  an  ihrem  unteren  Rande  die  Spitze  {Procestnis  xipJioi' 
deu8  8.  muci*onatv8  8,  mmfcnmis)  trägt,  welche  scharf  zidäuft,  oder 
abgenmdet  oder  gabelförmig  gespalten  erscheint,  häufig  ein  oder 
zwei  Löcher  besitzt,  länger  als  der  Griff  und  die  Klinge  knorpelig 
bleibt,  und  deshalb  auch  allgemein  Schwertknorpel  genannt  wird. 

Die  Seitenränder  des  Brustbeins,  vom  Manubrium  bis  zum 
Schwertknorpel,  stehen  mit  den  inneren  Enden  von  7  Rippenknor- 
peln in  Verbindung.  Der  erste  Rippenknorpel  geht,  ohne  Unter- 
brechung oder  Zwischenraum,  unmittelbar  in  die  knorpelige  Grund-, 
läge  des  Manubriums  über.  Der  2.  Rippenknorpel  articulirt  mit 
einem  Grübchen  zwischen  Handgiüff  und  Klinge,  der  3.,  4.,  5.  und 
6.  legen  sich  in  ähnliche,  aber  immer  flacher  werdende  Grübchen 
im  Verlaufe  des  Seitenrandes,  und  der  7.  Rippenknorpel  in  eine 
sehr  seichte  Vertiefung  zwischen  Klinge  und  Schwertfortsatz. 

Das  weibliche  Brustbein  charakterisirt  sich  durch  die  grössere 
Breite  seiner  Handhabe,  und  durch  seine  schmälere,  aber  längere 
Klinge.  —  Das  Brustbein  besitzt  nur  eine  sehr  dünne  Schichte  von 
compacter  Rinde,  welche  eine  äusserst  fein  genetzte  Suhstantia 
spoiujiosa  umschliesst.  Daher  rührt  die  Leichtigkeit  des  Knochens, 
welcher  zugleich,  da  er  blos  durch  die  elastischen  Rippenknorpel 
gehalten  wird,  eines  erheblichen  Grades  von  Schwungkraft  theil- 
hafiig  wird. 

Nach  Laschka  (Zeitschrift  für  rationelle  Med.  1866)  wird  die  Verbin- 
dung zwischen  Handhabe  und  Körper  des  Brustbeins,  beim  Neugeborenen  bis  in 
das  aclite  Lebensjahr  hinauf,  nur  durch  Bindegewebe  und  elastische  Fasermasse, 
ohne  Theiluahme  von  Knorpelsubstanz,  bewerkstelligt.  In  der  BlUthenzeit  des 
reifen  Alters  besteht  die  Verbindungsmasse  aus  zwei  hyalinen  Knorpelplatten, 
welche  durch  zwischenliegendes  Fasergewebe  zusammenhalten.  Im  vorgerückten 
Lebensalter  kommt  es  selbst  ausnahmsweise  zur  Bildung  einer  spaltförmigen 
Höhle  zwischen  beiden  Knorpelplatten,  und  zum  verspäteten  Auftreten  eines 
Gelenks. 

Die  S^mchondrose  zwischen  Handhabe  und  Klinge  verwächst  häufig  schon 
im  frühen  Mannesalter;  im  Kindesalter  ist  sie  so  beweglich,  dass  man  bei  Ath- 
mungsstörangen  (Engbrüstigkeit,  Keuchhusten,   etc.)    Griff   und   Klinge   sich    auf 


§.  180.    Rippen.  315 

einander  beugen  nnd  strecken  sieht.  —  Am  unteren,  etwas  breiteren  Ende  der 
Klinge,  existirt  abnormer  Weise  ein  angebornes  Loch  von  1 — 4  Linien  Durch- 
messer, welches  im  frischen  Znstande  durch  Knochenknorpel  und  Beinhaut  ver- 
schlossen wird,  und  Anlass  zu  tödlichen  Verletzungen  durcli  spitzige  Instrumente 
geben  kann.  In  meinem  Besitze  befindet  sich  ein  weibliches  Brustbein,  an 
welchem  zwei  vertical  übereinander  stehende  Löcher  coiSxistiren ;  der  einzige 
Fall  dieser  Art!  —  Das  untere  der  beiden  Löcher  übertrifft  das  obere  zweimal 
an  Durchmesser,  welche  sich  wie  2"*  :  A"*  verhalten.  —  Zuweilen  besteht  die 
Klinge  selbst  aus  mehreren  durch  Knorpel  vereinigten  Stücken,  (bei  den  BSu- 
gethieren  meistens  aus  so  vielen  Stücken,  als  sich  wahre  Rippen  finden).  — 
Kurze  Brustbeine  sind  gewöhnlich  breiter,  als  lange.  Das  Brustbein  des  Doni- 
schen Kosaken  in  der  Blumenbach'schen  Sammlung  ist  handbreit  —  Die  Ver- 
bindung des  Brustbeins  mit  den  elastischen  Knorpeln  der  wahren  Rippen  verleiht 
ihm  so  viel  Schwungkraft,  dass  es  durch  Stoss  von  vom  her  nicht  leicht  zer- 
bricht Portal  zergliederte  zwei  durch  das  Rad  hingerichtete  Verbrecher,  und 
fand  an  ihnen  keine  Brüche  des  Brustbeins.  —  In  sehr  seltenen  Fällen  kommt 
es  gar  nicht  zur  Entwicklung  des  Brustbeins,  und  dieser  Schlussstein  des  Brust- 
kastens fehlt,  wodurch  eine  Spalte  entsteht,,  durch  welche  das  Herz  aus  dem 
Brustkasten  treten,  und  vor  demselben  eine  bleibende  Lage  einnehmen  kann 
{Ectopia  cordis),  —  Rechtwinkelig  nach  innen  gekrümmte,  oder  durch  Länge 
ausgezeichnete  Procesutts  ociphoidei,  wurden  beobachtet.  Desault  sah  den  Schwert- 
fortsatz bis  an  den  Nabel  hinabreichen. 

Breschet  (Recherches  sur  diffSrentes  pi^ces  du  squelette  des  animaux 
vert^br^s  encore  peu-connues.  Paris,  1838.  4.)  behandelt  sehr  ausführlich  zwei 
mehr  oder  weniger  verknöcherte  Anhängsel  der  Brustbeinhandhabe,  welche  am 
oberen  Rande  derselben,  einwärts  von  der  Incisura  clavicularis  liegen,  und  im 
Menschen,  wenn  auch  nicht  constant,  doch  häufig  genug  vorkommen.  Er  nannte 
sie  Otsa  mprastemalia,  und  erklärte  sie  für  paarige  Rippenrudimente,  indem  er 
in  ihnen  die  Andeutung  des  Sterualendes  einer  sogenannten  Halsrippe  zu  sehen 
meinte,  deren  Vertebralende  durch  die  sich  Öfters  vergrössernde  und  selbstständig 
werdende  vordere  Wurzel  des  Querfortsatzes  des  siebenten  Halswirbels  darge- 
stellt wird.  Nach  Luschka  sind  die  Oasa  suprcutemalia  paarig,  symmetrisch, 
an  Form  dem  Erbsenbeine  der  Handwurzel  ähnlich,  und  mit  dem  Brustbein  durch 
Synchondrose  zusammenhängend.  Sie  haben  auch  eine  starke  Bandverbindung 
mit  dem  in  §.  136  erwähnten  Zwischenknorpel  des  Stemo-Claviculargelenks.  Da 
nun  wahre  Otsa  suprastemalia  gleichzeitig  mit  vollkommen  entwickelten,  d.  h. 
bis  zum  Steimum  reichenden  Halsrippen  vorkommen,  so  wird  Breschet^s  Deu- 
tung derselben,  als  Stemalenden  unvollkommen  entwickelter  Halsrippen,  unhalt- 
bar. (Denkschriften  der  kais.  Akad.  Bd.  XVI.) 


§.  130.   Rippen. 

Rippen  {Costae)  sind  zwölf  paarige,  zwischen  Wirbelsäule  und 
Brustbein  liegende,  bogenförmige,  seitlich  comprimirte,  und  sehr 
elastische  Knochen.  Die  Vielheit  derselben,  welche  beim  ersten 
Blicke  auf  ein  Skelet  gleich  in  die  Augen  fkllt,  veranlasste  ohne 
Zweifel  den  Ursprung  des  Wortes  Gerippe.  Die  Rippen  (mit  Aus- 
nahme der  ersten  und  der  zwei  letzten)  liegen  auf  einer  horizontalen 
Unterlage  nicht  in  ihrer  ganzen  Länge  auf.  Sie  köiin 


316  $•  ISO.    Rippen. 

reinen  Kreissegmente  sein,  wie  sie  denn  wirklich,  ausser  der  Flächen- 
krümmung, auch  eine  Krümmung  nach  der  Kante  aufweisen,  üeber- 
dies  sind  sie  noch  um  ihre  eigene  Achse  etwas  torquirt. 

Jede  Rippe  besteht  aus  einer  knöchernen  Spange  und  einem 
knorpeligen  Verlängerungsstücke,  dem  Rippenknorpel.  Erreicht 
der  Knorpel  einer  Rippe  den  Seitenrand  des  Brustbeins,  so  heisst 
die  Rippe  eine  wahre  {Chsta  vera  8,  genuind).  Die  oberen  7  Paare 
sind  wahre  Rippen.  Sehr  selten  sinkt  die  Zahl  der  wahren  Rippen 
auf  6  {Bochdalek),  Erreicht  der  Rippenknorpel  das  Brustbein  nicht, 
wie  an  den  5  unteren  Rippenpaaren,  so  legt  er  sich  entweder  an 
den  vorhergehenden  Knorpel  an,  wie  bei  der  8.,  9.  und  10.  Rippe, 
oder  er  endet  frei,  wie  bei  der  11.  und  12.  Rippe.  In  beiden  Fäl- 
len hcissen  die  Rippen  falsche  {Coatae  »puriae  s.  mendosae).  Die 
11.  und  12.  werden  insbesondere,  ihrer  grossen  Beweglichkeit  wegen, 
auch  schwankende  Rippen  {Costae  fluctuantes)  genannt. 

Jede  Rippe,  mit  Ausnahme  der  ersten,  hat  eine  äussere  con- 
vexe,  und  innere  concave  Fläche,  einen  oberen  abgerundeten, 
und  einen  unteren  der  Länge  nach  gefurchten  Rand  {Sulcus  costa- 
lis)^  die  erste  Rippe  dagegen  eine  obere  und  untere  Fläche,  einen 
äusseren  und  inneren  Rand.  Die  Furche  am  unteren  Rande  er- 
scheint nur  gegen  das  hintere  Ende  der  Rippe  zu  tief;  gegen  das 
vordere  Ende  der  Rippe  zu  verstreiclit  sie.  Von  den  beiden,  die 
Furche  begrenzenden  Lefzen,  ttbeiTagt  die  äussere  die  innere,  und 
erhält,  wo  sie  am  höchsten  ist,  den  Namen  Cinsta  costae.  Das  hin- 
tere Ende  jeder  Rippe  trägt  ein  überknorpeltes  Köpfchen  {Capi- 
tulum)y  und  am  vorderen  Ende  bemerkt  man  eine  kleine  Vertiefung, 
in  welche  der  Rippenknorpel  fest  eingelassen  ist.  Die  erste,  eilfte 
und  zwölfte  Rippe  besitzen  ein  rundliclies  Köpfchen,  Nur  wenn 
die  Gelenkfläche  zur  Aufnahme  des  ersten  Rippenkopfes  zugleich 
vom  siebenten  Halswirbel  gebildet  wird,  trägt  das  Köpfchen  der 
ersten  Rippe  zwei,  unter  einem  Giebel  {Crista  cajntnli)  zusammen- 
stossende,  platte  Gelenkflächen,  welche  am  Köpfchen  der  zweiten 
bis  zehnten  immer  vorkommen.  Der  Kopf  der  zehn  oberen  Rippen 
sitzt  auf  einem  rundlichen  Hals.  Wo  dieser  in  das  breitere  Mittel- 
stück der  Rippe  übergeht,  steht  nach  hinten  der  Rippenhöcker 
(Tube7xulinn  costae)  heraus,  welcher  sich  mittelst  einer  überknor- 
pelten  Fläche  an  die  ihm  zugekehrte  Gelenkfläche  des  betreff'enden 
Wirbelquerfortsatzes  anstemmt. 

Im  Sulcut  coatalia  findet  man,  nahe  am  Halse,  oder  an  diesem  selbst,  meh- 
rere Foramina  nutritia,  welche  in  Emährungskanäle  führen,  deren  Richtung  dem 
Köpfchen  der  Kippe  zustrebt.  An  der  Aussenfläche  des  hinteren  Segments  der 
dritten  bis  zur  letzten  Kippe  macht  sich  eine  mehr  weniger  stark  ausgeprägte, 
schräg  nach  aussen  und  unten  gerichtete,  rauhe  Linie  bemerklich,  durch  welche 
dieses  Segment  von  dem  MittelstUck   der  Rippe   abgegrenzt   wird.     Diese   rauhe 


§.   130.    Bippeu.  317 

Linie  unterbricht  zugleich  die  bog^enförmige  Krümmung  der  Rippe  in  der  Art, 
dass  der  hintere  Theil  der  Rippe,  gegen  den  mittleren,  wie  in  einem  stumpfen 
Winkel  abgesetzt  erscheint.  Angultu  9,  Cuhitna  costae  lautet  der  Name,  welchen 
man  seit  Vesal  diesem  stumpfen  Winkel  beigelegt  hat.  An  der  ersten  und  zwei- 
ten Rippe  fällt  der  AnqulHs  costae  mit  dem  Tubereulum  zusammen.  Dagegen 
besitzt  die  erste  Rippe  in  der  Nähe  des  vorderen  Endes  ihres  oberen  (inneren) 
Randes  ein  nicht  immer  scharf  ausgeprägtes  Höckerchen,  als  Ansatzstelle  des 
Mtueulua  sealenus  arUicutj  hinter  welchem  die  Schlüsselbeiuarterie  über  die  erste 
Rippe  wegläuft  Das  Höckerchen  giebt  deshalb  einen  guten  Führer  zur  Auf- 
findung dieser  Arterie  am  Lebenden  ab,  und  ist  in  der  topographischen  Anatomie 
als  Tubereulum  Liafrancü  bekannt 

Alle  Rippen  einer  Seite  sind  einander  ähnlich,  aber  keine  ist 
der  anderen  gleich.  Die  einzelnen  Rippen  differiren  in  folgenden 
Punkten : 

1.  Durch  ihre  Länge.  Die  Länge  der  Rippen  nimml!  von 
der  1.  bis  zur  7.  oder  8.  zu;  von  dieser  gegen  die  12.  ab.  Die 
Abnahme  geschieht  rascher  als  die  Zunahme,  und  es  muss  somit 
die  12.  kürzer  sein  als  die  1. 

2.  Durch  ihre  Krümmung.  Man  unterscheidet  drei  Arten 
von  Krümmungen:  1.  eine  Krümmung  nach  den  Kanten,  2.  nach 
der  Fläche,  3.  nach  der  Axe  (Torsionskrümmung).  Die  Krümmung 
nach  der  Kante  ist  an  der  ersten  Rippe  am  ausgesprochensten. 
Die  Flächenkrümn)ung  zeigt  sich  an  allen,  von  der  2.  bis  12.,  und 
zwar  um  so  stärker,  je  näher  eine  Rippe  der  zweiten  steht,  oder 
mit  anderen  Worten,  die  Kreise,  als  deren  Bogensegment  man  sich 
eine  Rippe  dcnjcen  kann,  werden  von  oben  nach  unten  grösser.  Die 
Torsionskrümmung,  welche  an  den  mittleren  Rippen  am  meisten 
auilFallt,  lässt  sich  daran  erkennen,  dass  jene  Fläche  einer  Rippe, 
welche  nahe  an  der  Wirbelsäule  vertical  steht,  sich  um  so  mehr  schräg 
nach  vom  und  unten  richtet,  je  näher  sie  dem  Brustbein  kommt. 

3.  Durch  ihre  Richtung.  Die  Rippen  liegen  nicht  horizon- 
tal, sondern  schief,  mit  ihren  hinteren  Enden  höher,  als  mit  den 
vorderen.  Nebstdem  kehren  die  obersten  Rippen,  entsprechend  der 
fassförmigen  Gestalt  des  Thorax,  ihre  RÄnder  nicht  direct  nach 
oben  und  unten,  wie  die  mittleren,  sondern  nach  innen  und  aussen, 
wodurch  ihre  Flächen  nicht  mehr  rein  äussere  imd  innere,  sondern 
zugleich  obere  und  untere  werden.  Gilt  besonders  von  der  ersten 
Rippe. 

4.  Durch  das  Verhältniss  des  Halses  zum  Mittelstück. 
Absolut  genommen,  nimmt  die  Länge  des  Rippenhalses  von  der  1. 
bis  7.  Rippe  zu,  relativ  zur  Länge  des  Mittelstücks  aber  ab.  An 
den  beiden  letzten  Rippen  fehlt,  wegen  Mangel  des  Tttheradum^ 
auch  der  Hals. 

5.  Durch  ihre  Beweglichkeit,  welche  bei  den  unteren 
Rippen  grösser  ist,  als^  bei  den  oberen. 


318  §.  180.    Rippen. 

Die  Rippenknorpel,  Cartilagines  costaintm,  welche  für  die 
zehn  oberen  Rippen  flachgedrückt,  fiir  die  zwei  unteren  aber  rund- 
lich und  zugespitzt  erscheinen,  stimmen  hinsichtlich  ihrer  Länge 
mit  den  Rippen,  welchen  sie  angehören,  überein.  Je  länger  die 
Rippe,  desto  länger  auch  ihr  Knorpel.  Ihre  von  oben  nach  unten 
abnehmende  Stärke,  so  wie  die  Art  ihrer  Verbindung  mit  dem 
Brustbein  und  unter  sich,  bedingt  die  verschiedene  Beweglichkeit 
der  Rippen.  Die  Richtung  der  drei  oberen  Knorpel  mag  ohne 
grossen  Fehler  nahezu  horizontal  genannt  werden.  Die  folgenden 
Rippenknorpel  treten,  abweichend  von  der  Richtung  ihrer  Rippen, 
schräge  gegen  das  Brustbein  in  die  Höhe.  Die  Knorpel  der  sechs- 
ten bis  neunten  Rippe  (seltener  der  fünften  bis  zehnten)  senden 
sich  einander  kurze,  aber  breite  Fortsätze  zu,  mittelst  welcher  sie 
unter  einander  articidiren. 

Herrn  Prof.  Oehl  in  Pavia  verdanken  wir  die  interessante  Beobachtung, 
dass  auch  der  Schwertknorpel  zuweilen  appendiculäre  Knorpclstücke  trägt,  welche 
offenbar  Andeutungen  selbstständiger  Rippenknorpel  sind  (Sitzungsberichte  der 
kais.  Akad.  1858.  Nr.  23). 

Die  weiblichen  Rippen  unterscheiden  sich  dadurch  von  den  männlichen, 
dass  die  Krümmung  nach  der  Fläche  an  ihrem  hinteren  Ende  stärker,  die  Krüm- 
mung nach  der  Kante  schwächer  ausgeprägt  erscheint.  Der  Ängultu  a,  CuhUua 
weiblicher  Rippen  ist  zugleich  schärfer  als  jener  der  männlichen.  Nach  Meckel 
sind,  selbst  in  kleineren  weiblichen  Körpern,  die  ersten  beiden  Rippen  länger 
als  bei  Männern. 

Zuweilen  theilt  sich  eine  Rippe  oder  ihr  Knorpel  vom  gabelförmig,  oder 
es  verschmolzen  2,  ja  selbst  3  Rippen  theilweise  zu  einem  tlachen,  breiten  Kno- 
chenstück, oder  es  gehen  2  Rippen  in  Einen  Knorpel  über.  —  Die  Zahl  der 
Rippen  sinkt  auf  11  herab,  wobei  nicht  die  1.,  sondern  die  12.  Rippe  fehlt,  und 
der  12.  Bnistwirbel  ein  überzähliger  Lendenwirbel  wird.  Vergrösserung  der 
Rippenzahl,  wozu  das  Breiterwerden  und  die  Spaltung  der  Rippe  am  vorderen 
Ende  den  Uebrrgang  bilden,  ereignet  sich  in  der  Regel  durch  Einschiebung  eines 
rippentragenden  Wirbels  zwischen  dorn  12.  Brust-  und  1.  Lendenwirbel.  Jedoch 
bildet  sich  die  13.  Rippe  auch  oberhalb  der  sonstigen  ersten,  indem  die  unge- 
wöhnlich verlängerte,  und  sclbstständig  gewordene,  vordere  Wurzel  des  Querfort- 
satzes des  7.  Halswirbels,  ihre,  auch  in  der  Entwicklungsgeschichte  begründeten 
Rechte,  als  Halsrippe,  geltend  macht  Der  von  Adams  beschriebene  Fall,  wo 
das  1.  Rippenpaar  das  Brustbein  nicht  erreichte,  gehört  wahrscheinlich  hieher. 
Bertin  will  auf  beiden  Seiten  15  Rippen  beobachtet  haben,  was  nicht  unmög- 
lich erscheint,  wenn  man  sich  die  Bedeutung  der  Querfortsätze  der  Lendenwirbel 
als  ProcesstM  coatarii  vergegenwärtigt.  Das  Pferd  hat  18,  der  Elephant  19  Rip- 
penpaare. Albertus  Magnus  hat  die  Frage:  ob  Adam  beim  letzten  Gericht 
mit  24  oder  23  Rippen  erscheinen  werde,  einer  gründlichen  Untersuchung  werth 
gefunden. 


§.  131.   Verbindnngeti  der  Kijipen.  319 


§.  131.  Verbindimgen  der  Rippen. 

Die  Verbindungen,  welche  die  Rippen  eingehen,  sind  für  die 
wahren  und  falschen  verschieden. 

Die  wahren  Rippen  verbinden  sich  an  ihren  hinteren  Enden 
mit  der  Wirbelsäule,  an  ihren  vorderen  durch  ihre  Knorpel  mit  dem 
Seitenrande  des  Brustbeins.  Beide  Verbindungen  bilden  Gelenke, 
welche  als  Articulationes  costo-spindUa  und  costo-stemales  bezeichnet 
werden.  Bei  den  falschen  Rippen  fehlt  die  Verbindung  mit  dem 
Brustbein. 

A)  Die  Gelenke  zwischen  den  hinteren  Rippenenden 
und  den  Wirbeln,  sind  fiir  die  10  oberen  Rippen  doppelt:  1.  zwi- 
schen Rippenkopf  und  seitlichen  Gelenkgrübchen  der  Wirbelkörper 
{AHictUcUtones  costO'Vertebrales)^  und  2.  zwischen  Höcker  der  Rippe 
und  Wirbelquerfortsatz  {Articulationes  coato-transveisales).  Bei  den 
zwei  letzten  Rippen  fehlt  mit  dem  Höcker,  auch  die  zweite  Gelenks- 
verbindung. 

1.  Jede  Articuldtio  costo-vei'tebraUs  besteht  aus  einer  Kapsel, 
welche  durch  ein  vorderes,  strahlenförmiges  Hilfsband  {Ligamentum 
capituli  costne  anterius  s.  radiatum)  bedeckt  wird.  Im  Inneren  des 
Gelenkes  findet  sich  bei  den  zehn  oberen  Rippen,  von  der  Crista 
ihrer  Köpfchen  zur  betreffenden  Zwischenwirbelscheibe  gehend,  das 
Ligamentum  intet^articidare  8.  tranavo'snm.  An  der  ersten  Articulatio 
costO'Veiiebrafis  fehlt,  wenn  die  Grube  fiir  den  ersten  Rippenkopf 
vom  ersten  Brustwirbel  allein,  ohne  Theilnahme  des  siebenten  Hals- 
wirbels, gebildet  wird,  mit  der  Crista  des  Rippenköpfchens,  auch 
das  Ligamentum  interarticnlare.  Das  Ligamentum  interarticulare  zählt 
seinem  Baue  nach  zu  den  Faserknorpeln,  und  ist  eine  wahre  Fort- 
setzimg der  Zwischenwirbelscheibe,  mit  welcher  es  zusammenhängt. 
—  An  den  unteren  Rippen  habe  ich  das  f -oato -Vertebralgelenk 
durch  eine  Synchondrose  ersetzt  getroffen. 

2.  Da  die  Querfortsätze  der  Wirbel  als  Strebebalken  dienen, 
welche  das  Ausweichen  der  Rippen  nach  hinten  verhüten,  die  Rippe 
aber  bei  den  Athembewegimgen  sieh  am  Querfortsatze  etwas  ver- 
schieben muss,  so  wurde  die  Errichtung  der  Articulationes  costo- 
transversales  für  die  zehn  oberen  Rippen  nothwendig.  Die  zwei 
letzten  Rippen,  deren  Kürze,  Schwäche,  und  deren  in  den  Bauch- 
muskeln versteckte  Lage,  sie  vor  Verrenkung  besser  in  Schutz 
nimmt,  benöthigen  die  Stütze  der  Querfortsätze  nicht.  Jede  Arti- 
culatio  costo-transversalis  besteht  aus  einer  dünnen  Kapsel,  und 
einem  starken  Hilfsbande,  welches  die  hintere  Seite  des  Gelenkes 
deckt  {Ligamentum  costfhtransversale  posteritui).  Auch  die^  von  dem 
nächst  darüber  liegenden  Querfortsatze  zum  oberen  Rande  und  91 


320  S*  182.    Allgemeine  Retrftcbtnng  des  BrastkorheR. 

hinteren  Fläche  des  Rippenhalses  herabsteigenden,  vorderen  und 
hinteren  Ligamenta  colli  costae,  sichern  die  Lage  der  Rippe,  ohne 
ihre  Erhebung  beim  Einathmen  zu  stören. 

B)  Die  Gelenke  zwischen  den  vorderen  Rippenenden 
und  dem  Brustbeine  gehören  der  2.  bis  inclusive  7.  Rippe  an, 
da  der  erste  Rippenknorpel  sich  ohne  Gelenk  an  das  Brustbein 
festsetzt.  Ausnahmsweise  kann  jedoch  auch  der  erste  Rippenknor- 
pel eine  Gelenksverbindung  mit  der  Brustbeinhandhabe  eingehen 
(Luschka).  Jedes  Rippenknorpelgelenk  besteht  aus  einer  Synovial- 
kapsel  mit  vorderen  deckenden  Bändern  {Ligamenta  stemo-costalia 
radiata).  In  dem  Gelenk  des  zweiten  Rippenknorpels  mit  dem 
Brustbein,  findet  sich  sehr  häufig  ein,  das  Gelenk  horizontal  durch- 
setzender, und  seine  Höhle  in  zwei  Räume  theilender  Faserknorpel, 
als  Verlängerung  des  Knorpels  zwischen  Handhabe  und  Körper 
des  Brustbeins.  Der  sechste  und  siebente  Rippenknorpel  verhalten 
sich  ausnahmsweise  wie  der  erste.  —  Vom  sechsten  und  siebenten 
Rippenknorpel  geht  das  straffe  Ligamentum  costo-xiphoideum  zum 
Schwertfortsatze. 

§.  132.   Allgemeine  Betrachtimg  des  Brustkorbes. 

Die  zwölf  Rippenpaare  bilden  mit  den  zwölf  Brustwirbeln  und 
dem  Brustbein  den  Brustkorb  oder  Brustkasten  {Thorax),  Der 
Brustkorb  imponirt  uns  als  ein  sonderbares,  fassförmiges  Knochenge- 
rüste, zu  welchem  die  Rippen  die  Reifen  darstellen,  und  an  welchem 
eine  vordere,  hintere,  imd  zwei  Scitengegenden  oder  Wände 
angenommen  werden.  Die  vordere  ist  die  kürzeste,  flacher  als 
die  tlbrigen,  und  wird  vom  Brustbein  und  den  Knorpeln  der  wahren 
Rippen  gebildet.  Sic  liegt  derart  schräg,  dass  das  untere  Ende  des 
Brustbeins  zweimal  so  weit  von  der  Wirbelsäule  absteht,  als  das 
obere.  Die  hintere  Wand  erscheint  durch  die  in  die  Brusthöhle 
vorspringenden  Wirbelkörper  stark  eingebogen,  und  geht  ohne 
scharfe  Grenze  (wenn  man  nicht  die  Verbindungslinie  sämmtlicher 
Angtdi  s.  Cuhiti  cosfaimm  als  solche  ansehen  will)  in  die  langen 
Seiten  wände  über.  Die  Länge  der  vorderen,  der  hinteren,  und 
der  Scitenwand,  vorhält  sich  wie  5  :  11  :  12  Zoll. 

Der  horizontale  Durchschnitt  des  Brustkorbes  hat  eine  boh- 
nenfömiige,  —  der  senkrechte,  durch  beide  Seitenwände  gelegte, 
eine  viereckige  Gestalt  mit  convexon  Seitenlinien. 

Der  Brustraum  {Cnvinn  thoracis)  ist  oben  und  unten  offen,  und 
durch  die  Zwischenrippenränme  {/Spatia  infprcostalin)  von  aussen  zu- 
gängig. Die  obere,  kleinere  Oeffnung  (Apprtura  thoracic  snpei^ior) 
wird  durch  den  ersten  Brustwirbel,  das  erste  Rippenpaar  mit 
seinem  Knorpel,  und  durch   die  Handhabe   des  Brustbeins  gebildet. 


i.    n2.    Allg«*inpiiic  h*'tr:i«>htnng  rteH  KrOKikorbw  3^1 

Die  untere,  viel  grössere  Oeffnung  {ApertHra  thtn^acis  inferior)  wird 
vom  letzten  Brustwirbel,  dem'  letzten  Rippenpaar,  den  Knorpeln  aller 
falschen  Rippen,  und  dem  Schwertfortsatz  des  Brustbeins  zusammen- 
gesetzt. Die  El)enen  beider  OeflFhungen  sind,  wegen  Kürze  der  vor- 
deren Brußtwand,  auf  einander  zugeneigt,  und  convergiren  nach  vom. 
Die  J^wischenrippenräimie  können,  da  die  Rippen  nicht  parallel 
liegen,  und  nicht  überall  gleich  weit  von  einander  abstehen,  auch 
nicht  in  ihrer  ganzen  Länge  gleich  weit  sein.  Sie  erweitem  sich 
nach  vom  zu,  sind  an  der  Uebergangsstelle  der  Rippen  in  ihre 
Knorpeln  am  geräumigsten,  und  werden,  gegen  den  Rand  des  Brust- 
beins hin,  wieder  schmäler.  Eine  stark  vorspringende,  volle  und 
convexe  Brust  ist  ein  nie  fehlendes  Zeichen  eines  kraftvollen,  ge- 
sunden Knochenbaues,  während  ein  schmaler,  vom  gekielter  Thorax, 
ein  physisches  Merkmal  körperlicher  Schiväche  und  angeborenen 
Siechthunis  abgiebt. 

Indem  das  vordere  Ende  einer  Rippe  tiefer  steht,  als  das  hintere,  so  kann, 
wenn  die  Heberauskeln  der  Rippen  wirken,  die  Richtung^  ,der  Rippen  sich  der 
horizontalen  nähern,  wodurch  das  Bmstbein  90  zu  sagen  aufgehoben,  und  tob 
der  Wirbelsäule  entfernt  wird.  Die  Gelenke  am  hinteren  Rippenende,  und  die 
Elasticität  der  Knorpel  am  vorderen,  erlauben  auch  den  Rippen  (am  wenigsten 
der  ersten)  eine  Drehung,  wodurch  ihr  Mittelstück  gehoben,  und  ihr  unterer  Rand 
mehr  nach  aussen  bewegt  wird.  Beide  Bewegungen  finden  beim  tiefen  Einath- 
men  statt,  und  erweitem  den  Brustkorb  im  geraden  (vom  Brustblatte  zur  Wirbel- 
säule  gezogenen),  und  im  queren  (von  einer  Seite  zur  anderen  gehenden)  Durch- 
messer. Die  verticale  Vergrösserung  der  Brusthöhle  wird  nicht  blos  durch  die 
Hebung  der  Rippen,  sondern  vorzugsweise  durch  das  Herabsteigen  des  Zwerch- 
felles erzielt.  Hören  die  Muskelkräfte,  welche  die  Rippen  aufhoben  und  etwas 
drehten,  zu  wirken  auf,  so  stellt  sich  das  frühere  Verhältniss  theilweise  schon 
durch  die  Elasticität  der  Knorpel  wieder  her. 

Der  grösste  Umfang  des  Brustkorbes  fällt  nicht  in  die  untere  Brustapertur, 
sondern  etwa  in  die  Mitte  seiner  Höhe,  und  beträgt  im  Mittel  25  Zoll.  Die 
Breite  der  hinteren  Bnistwaud  erlaubt  dem  Menschen  auf  dem  Rücken  zu  liegen, 
was  die  Thiere  nicht  können,  da  sie  keine  Rückenfläche,  sondern  nur  eine 
Rückeukante  haben. 

Der  weibliche  Brustkorb  cr»cheint  mehr  fassartig  als  der  männliche,  wel- 
cher ihn  übrigens  an  Geräumigkeit  übertrifft.  Bei  Frauen ,  die  sich  stark 
schnüren,  wird  der  untere  Umfang  des  Brustkorbes  auffallend  verkleinert,  die 
recht-  und  linkseitigen  falschen  Rippen  werden  zusammengeschoben,  und  die 
Knorpel  d(*r  achten  Kippen  stossen  seihst  zuweilen  v<ir  dem  nach  hinten  gedrängten 
Hchwortknorpel  an  einander.  Die  weibliche  Brusthöhle,  ungeachtet  sie  länger  ist, 
endigt  doch  höher  über  der  Schoossfnge,  wegen  grösserer  Höhe  der  weiblichen 
Lendenwirbelsäule,  und  wegen  geringerer  Kinsenkung  des  Kreuzbeins  zwischen 
den  Hüftknochen.  Wenn  ein  weiblicher  und  ein  männlicher  Leichnam  von  glei- 
cher Grösse  horizontal  neben  einander  liegen,  so  steht  bei  letzterem  die  Brust 
merklich  höher  als  die  Schoossfuge,  bei  ersterem  niedriger  oder  gleich  hoch. 
l'mständliche  Erörterung  dieser  Verhältnisse  des  Brustkorbes  in  beiden  Ge- 
.  schlechtem  enthält  Sfhnmerrin^Jt  kleine  Schrift:  Veher  die  Wirkung  der  Heh/Mf' 
brüste.    Keriin,  1793.    8.  r» 

HjrrtI,  I^hrbuch  der  Anaioai«.  Sl 


322     6-1^.  Binftheil.  der  oberen  £zireniit&t«B.  -  $.  194.  Knochen  der  Schulter.  Sohlftsselbein. 

C  Knochen  der  oberen  Extremitäten  oder 

Brustglieder. 

§.  133.  Eintheilung  der  oberen  Extremitäten. 

Die  beiden  oberen  Extremitäten  bestehen  aus  vier  beweglich 
unter  einander  verbundenen  Abtheilungen :  der  Schulter,  dem  Ober- 
arm, dem  Vorderarm,  und  der  Hand,  welche  letztere  selbst  wieder 
in  die  Handwurzel,  die  Mittelhand,  und  die  Finger  abgetheilt  wird. 

§.  134.   Knochen  der  Schulter.  Schlüsselbein. 

Der  Anatom  versteht  imter  Schulter  etwas  Anderes  als  der 
Laie.  Im  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  gilt  als  Schulter  eine  am 
äusseren  oberen  Contour  der  Brust  befindliche,  weiche,  dem  Delta- 
muskel entsprechende  Wölbung,  während  die  Anatomie  unter  diesem 
Namen  zwei  Knochen  der  oberen  Extremität  zusammenfasst :  das 
Schlüsselbein  und  das  Schidterblatt.  Durch  das  Schlüsselbein  hängt 
die  Schlüter  (und  durch  die  Schlüter  auch  die  Gesammtheit  der 
oberen  Extremität)  mit  dem  Stamme  zusammen. 

Das  Schlüsselbein  (Clavicala,  Fnrcula,  Ligida,  Os  juguli, 
griechisch  xXsi;)  ist  ein  massig  S-förmig  gekrümmter,  starker,  sich 
mit  der  ersten  Rippe  kreuzender  Röhrenknochen.  Er  bildet  das 
einzige  Vereinigungsmittel  der  oberen  Extremität  mit  dem  Stamme. 
Sein  inneres  Endstück  {Ext/i^eniitas  steimalis),  dicker  als  das 
äussere,  stützt  sich  mittelst  einer  stumpf  dreieckigen,  massig  sattel- 
förmig gebogenen  Gelenkfläche,  auf  die  im  Allgemeinen  wohl  ent- 
sprechend gekrümmte,  aber  nicht  vollkommen  congruente  Inciaiira 
daviculaina  des  Bnistbeins.  Es  hat  an  der,  dem  ersten  Rippenknor- 
pel zugekehrten  Gegend,  eine  längliche  Rauhigkeit,  zur  Anheftung 
eines  Bandes.  Sein  äusseres  Endstück  {Extremitas  aci-ortiiali^) 
ist  breiter  als  das  innere,  indem  es  von  oben  nach  unten  flachge- 
drückt erscheint.  Es  zeigt  an  seinem  äussersten  Rande  eine  kleine, 
ovale  Gelenkfläche,  zur  Verbindung  mit  dem  Acromium  des  Schul- 
terblattes. An  seiner  unteren  Fläche  bemerkt  man  eine  rauhe  Stelle, 
welche  mit  der  am  inneren  Ende  angegebenen,  gleiche  Bestimmung 
hat.  Das  mehr  weniger  abgerundete  Mittelstück  schliesst  nur 
eine  kleine  Markhöhle  ein.  Die  Krümmung  des  Knochens  ist  in 
den  beiden  inneren  Dritteln  nach  vorn  convex,  am  äusseren  Drittel 
nach  vom  concav.  Der  Halbmesser  der  ersten  Krümmung  über- 
triflft  jenen  der  zweiten. 


S-  1S6.  SchnlUrblatt.  323 

Im  weiblichen  Geöchlechte  finden  wir  das  Schlüsselbein,  be- 
sonders an  seiner  äusseren  Hälfte,  nicht  so  scharf  gebogen,  und 
zugleich  mehr  horizontal  liegend,  als  im  männlichen.  Portal  be- 
hauptet, das  rechte  Schlüsselbein  sei  in  beiden  Geschlechtern  stär- 
ker gekrümmt,  als  das  linke.  Bei  Menschen  aus  der  arbeitenden 
Classe  verdickt  sich  die  Extremitas  stemalü  des  Schlüsselbeins,  wird 
kantiger,  schärfer  gebogen,  vierseitig  pyramidal,  und  ihre  Gelenk- 
fläche überragt  die  Incisura  daviculaiis  des  Brustbeins  nach  vom 
und  nach  hinten. 

Die  oberflächliche  Lage  des  Knochens  macht  ihn  der  chirurgischen  Unter- 
suchung leicht  zugänglich,  und  Erkennung  und  Einrichtung  seiner  Brüche  unter- 
liegen deshalb  keinen  erheblichen  Schwierigkeiten,  —  wohl  aber  die  Erhaltung 
der  Einrichtung,  welche  ihren  grössten  Feind  in  der  leichten  Beweglichkeit  des 
Knochens  hat  Möglichste  Ruhe  der  oberen  Extremität  wird  somit  die  erste  In- 
dication  bei  Behandlung  der  Schlüsselbeinbrüche  sein. 

Das  Schlüsselbein  hat,  als  Verbindungsknochen  der  oberen  Extremität  mit 
dem  Stamme,  eine  hohe  functionelle  Wichtigkeit.  Es  hält,  wie  ein  Strebepfeiler, 
das  Schultergelenk  in  gehöriger  Entfernung  von  der  Seite  des  Thorax,  und  be- 
dingt mitunter  die  Freiheit  der  Bewegungen  des  Armes.  Bricht  es,  was  meistens 
auswärts  seiner  Längenmitte  geschieht,  so  sinkt  die  Schulter  herab,  der  Ober- 
armkopf reibt  sich'  bei  Bewegungsversuchen  an  der  Thoraxwand,  und  die  Be- 
wegungen der  oberen  Extremität  werden  dadurch  in  bedeutendem  Grade  beein- 
trächtigt —  Je  kraftvoller,  vielseitiger,  und  freier  die  Bewegungen  der  vorderen 
Extremität  bei  den  Thieren  werden,  desto  grösser  und  entwickelter  erscheint  das 
Schlüsselhein,  z.  B.  bei  kletternden,  grabenden,  fliegenden  Säugethieren.  Bei 
den  Katzen  nimmt  es  nur  die  Hälfte  des  Abstandes  zwischen  Brustbein  und 
Schulterblatt  ein,  und  fehlt  bei  den  Ein-  und  Zweihufern,  welche  ihre  vorderen 
Extremitäten  nur  zum  Gehen,  nie  zum  Greifen  verwenden,  vollkommen.  —  An 
der  hinteren  Gegend  des  Mittelstücks  finden  sich  1 — 2  Foramina  nutritia,  welche 
in  eben  so  viele,  gegen  die  Eoctremitca  curomieUis  des  Knochens  gerichtete  CanaUt 
ntUrüii  führen. 


§.  13Ö.  Scilulterblatt. 

Das  Schulterblatt,  Scapula  (Synon.:  Omoplata,  Scopttda, 
Pterygiumy  CheUmium),  liegt  als  ein  breiter,  flacher,  bei  seiner 
Grösse  zugleich  leichter,  in  der  Mitte  sogar  durchscheinender 
Knochen,  wie  ein  knöchernes  Schild  auf  der  hinteren  Thoraxwand, 
wo  es  die  zweite  bis  siebente  oder  achte  Rippe  theilweise  bedeckt. 
Seiner  dreieckigen  Gestalt  wegen  wird  es  in  eine  vordere  und 
hintere  Fläche,  drei  Ränder,  eben  so  viele  Winkel,  und  in 
zwei  Fortsätze  eingetheilt. 

Die  vordere  Fläche  ist,  da  sie  sich  der  convexen  hinteren 
Thoraxwand   anschmiegt,  leicht  ausgehöhlt,   und  mit  3 — 6  rtnlien 
Leisten  gezeichnet,   welche   die  Ursprungsstellen  6mzdii<^ 
des  Musculus  stibscäpularis  sind,  und  nicht  durch  den 


824  l  l-"»-'^-  Schiiliirblalt. 

Rippen  entstehen,  wie  man  früher  glaubte,  und  der  alte  Name 
Costae  scajndares  noch  ausdrückt.  Die  hintere  Fläche  wird  durch 
ein  stark  vorragendes  KnochcnriflF,  die  Schultergrätc  (Sjnna  sca- 
pulae,  besser  Schultcrgrat,  da  man  auch  Rückgrat  sagt,  von 
Grat,  d.  i.  Kante),  in  die  kleine  Obergrätengrube  (Fossa  supra- 
splnntd),  und  in  die  grössere  Untergrätengrube  (Fossa  infnispinaUi) 
abgetheilt.  —  Der  der  Wirbelsäule  zugekehrte,  scharfe,  innere 
Rand  des  Schulterblattes  ist  der  längste;  der  äussere  ist  kürzer 
und  dicker,  und  zeigt  bei  starken  Schulterblättern  zwei  deutliche 
Säume  oder  Lefzen.  Der  obere  Rand  ist  der  kürzeste,  et\^'as  con- 
cav  gekrümmt,  und  scharf.  An  seinem  äusseren  Ende  findet  sich 
ein  tiefer  Einschnitt,  Inrisvra  scajvdne.  Der  untere  Winkel  ist  ab- 
gerundet, der  obere»  innere  spitzig  ausgezogen ,  der  obere 
äussere  aufgetrieben,  massiv,  mit  einer  senkrecht  ovalen,  flachen 
Gelenkgnibt^  für  den  Kopf  des  Oberarmknochens  versehen  {Cavihis 
glnnoidnlh), ,  Die  Furche,  durch  welche  diese  Oelenkginibe  von  dem 
übrigen  Knochen  wie  abgeschnürt  erscheint,  heisst  der  Hals, 
Collum  scnjtithe.  Einige  Autoren  beschreiben  den  äusseren  Winkel, 
seiner  Dicke  und  seines  Umfange»  wegen,  auch  als  Körper,  Cor- 
ptts  scapnlae. 

Die  an  der  hinteren  Fläche  der  Scapula  aufsitzende  Schulter- 
grät(>  verlängert  sieh  nach  aussen  und  oben  in  einen  breiten,  von 
oben  nach  unt(»n  flachgedrückten  Fortsatz,  welcher  über  die  Ge- 
leiikfläehe  des  Schulterblattes  wie  ein  Sehirmdach  hinausragt,  und 
Gräte  necke,  Sinmnns  humorus  v.  AnoDiifm  | tc  iV-psv  tsü  <V);/sj,  Höhe 
der  Schulter),  gtMiainit  wird.  An  ihrem  äussersten  Ende  befindet 
sich,  nach  injien  zu,  eine  kleine  Gelenkfläche,  zur  Verbindung  mit 
der  E.vtrcrnifa»  acnnuinh's  des  Schlüsselheins.  Xehst  dem  Akromion 
wird  dit*  GehMikfläcln*  nt)ch  durch  einen  andreren  Fr)rtsatz  —  den 
R  a  h  < '  11  s  c  li  n  a  h  e  1  f  o  r  t  s  a  t  z ,  / ^roccssNs  tiovacnuhns  s.  fdKinatns  — 
tlbfrwölht,  weldier  zwischen  lucisnra  s,nnih(ii(irts  und  Cauitas  ijlenoi' 
dullf  srnpn/(Of  breit  entsj>ringt,  sicli  nach  vorn  und  aussen  fast  im 
rechten  Winkel,  lihnlich  <*inrm  han)ge))ngenen  kleinen  Finger,  flber 
die  (if»h*nkfläche  wegbiegt,  und  aus  so  roinpacter  Knochenmasse 
besteht,  dass  or  unbedingt  der  stärkst«'  Theil  des  Schulterblattes 
genannt  wcTclen  kann.  Er  wird  von  der  Krtremitns  arromifth'tc  des 
Schlüss«»]beins,  wpIüIh*  quer  üIhm*  ihn  läuft,  gekreuzt. 

Retrachtt't  man  Schulterblatt  und  Schlüsselbein  beider  Schul- 
tern in  ihn*r  natürlicluMi  I Lagerung  am  Skelete,  so  bilden  sie  zusam- 
men «'inen  unvollkonimciKMi  knöchernen  Ring  oder  Gürtel,  den 
Scliultergürtel,  welcher  sich  an  der  unteren  Extremität,  als  voll- 
kommen geschlossener  Bcckengürtel  wiederholt.  Der  Schultergtlrtel 
ist  vorn  und  hinten  offen.  Seine  vordere  Oeffnung  wird  durch  die 
Handhabe   des  Brustbeins   ausgefüllt.     Seine  hintere   OeffViung  liegt 


§.  138.    Verbindungon  dt>r  Scliulterku(iehei).  32o 

zwischen  den  iiiuereu  Rändern  beider  Seludturblätter,    und  wird  mit 
der  vei'schiedenen  Stellung  dieser,  t;ijrrts8er  oder  kleiner. 

D'w  Lage  (1«h  Schiilterhiattej«,  welchem  nur  tlnrcli  tMiio  sehr  kleine  Gelenk- 
Hache  mit  «lern  SehlllHselbeine,  und  durch  dieses  mit  dem  Skelete  Kusammen- 
hän^t,  verändert  sicli  bei  jeder  St««lhin«>;  de«  Annes.  Häuß^en  die  Münde  an  den 
Seiten  des  Stannnes  ruhijr  herab,  «o  stehen  die  inneren  Ränder  der  beiden 
Schnlterblätter  senkreclit,  und  sind  der  Wirbel.säuh'  parallel.  Hebt  man  den 
Arm  langsam  bi.s  in  die  vertieale  Richtung  nach  /nifwärts,  so  tolcrt  der  untere 
Winkel  des  .Schulterblattes  diesen  Hewegungen,  und  entfernt  sieh,  einen  Kreis- 
bogen besehreibend,  von  der  Wirbelsäule. 

Muskeln  überlagern  das  Schulterblatt  dergestalt,  dann  n'ia  nur  die  »Spina 
icupuhip.  bei  mageren  Personen  durch  die  >faut,  ja  durch  den  Rock  erkennen 
lassen.  Das  Akromion  wird  in  seltenen  Fällen  in  «o  fern  ein  selbstständiger 
Knochen  (als  sogenanntes  O»  aeromiah)^  als  es  mit  der  Hpina  svapulae  nur  durch 
Zwischeutritt  eines  Knorpels  zusammenhängt,  also  eine  jierennirende  Upiphyse 
desselben  darstellt.  R.  W^agner,  Kugo,  und  G ruber,  haben  das  Akromion 
sogar  durch  ein  wahres  Gelenk  mit  der  Spina  acapulae  articuliren  gesehen.  Rüge 
gedenkt  eines  Falles,  in  welchem  sich  zwei  Ofi/ta  arromiafia  vorfanden  CZeitschr. 
fttr  rat.  Med.  VII.  Bd.).  Ausführlich  über  diesen  Gegenstand  handelt  Grub  er, 
im  Archiv  Ü\r  Anat.  und  Pliysiol.  1863,  pag.  388,  seqq.  —  In  der  Mitte  der 
Untergrätengnibc  kommt  als  merkwürdige  Thierbildung  zuweilen  eine  grosse 
Oeffnung  vor,  so  wie  iiuch  die  Incutura  ffemihmari»  durch  eine  knöcherne  Quer- 
spange in  ein  Loch  sich  umwandelt.  —  Die  mohrfachen  Foramina  nutritia  des 
Schulterblattes  finden  sich  theils  längs  seines  äusseren  Randes,  theils  in  der 
Nähe  der  Cavitaa  glenoidaiin.  —  Heim  sogenannten  phthisischen  Habitus  liegt,  wegen 
Schmalheit  des  Thorax,  das  Schulterblatt  nicht  mit  der  ganzen  Breite  seiner 
vorderen  Fläche  auf  der  hinteren  Thoraxwand  auf,  sondern  entfernt  sich  von  ihr 
mit  seinem  inneren  Rande,  welcher  sich  nach  hinten  weudef,  und  die  Haut  des 
Rückens  aufhebt:  Scapttlae  alatae. 

§.  136.  Verbindungen  der  Schulterknochen. 

1.  Brustbein-SchlUsöelbeingelenk,  ArticiiUitio  steiiio-cla- 
mcularis.  Nur  durch  dieses  Gelenk  hängt  die  obere  Extremität  mit 
dem  Stamme  zusammen.  Ehie  fibröse,  an  ihrer  vorderen  Wand 
sehr  starke  Kapsel  vereinigt  die  für  einander  bestinnnten,  sattel- 
förmig gekrümmten  GelenkHäehen  des  Brust-  inid  Schlüsselbeins. 
Die  vordere  verstärkte  Wand  der  fibrösen  Kapsel  wird  von  einigen 
Autoren  als  Uyameiihim  steiiio-clnvicidarH  aufgeführt.  Die  Höhle  des 
Gelenks  wird  durch  einen  scheibenförmigen  Zwischenknorpel,  des- 
sen Umfang  mit  der  Kapsel  verwachsen  ist,  in  zwei  Räume  getheilt. 
Die  allerdings  nicht  sehr  in  die  Augen  fallende  Incongruenz  der  Con- 
tactfiächen  der  Knochen  im  Bi*ustbein- Schlüsselbeingelenk  postulirt 
die  Gegenwart  dieses  Zwischenknorpels.  Weitere  Befestigungsbän- 
der  des  Gelenks  sind:  das  rundliche  Ligainentum  interdamctdare, 
welches  in  der  Indsura  jugtdaris  steiiii  quer  von  einem  Schlttsftel- 
beine  zum  anderen  geht,  und  das  länglich  viereckige  Uigmmm 
conto -clnvieidnre,  yom  ersten  Bippenknorpel  sstqr  unterer 


326  S.  187.  Oberarmbein. 

der  Extremitas  stemaUs  clamculae.  Trotz  dieser  accessorischen  Bän- 
der ist  die  Beweglichkeit  des  Gelenks  in  zwei  auf  einander  senk- 
rechten Richtungen  gestattet,  und  es  muss  sonach  das  Brustbein- 
Schlüsselbeingelenk  unter  die  Sattelgelenke  gerechnet  werden. 

2.  Schlüsselbein-Schulterblattgelenk,  Articulatio  acrO" 
mio-claviculaiia»  Nebst  der  fibrösen  und  Synovialkapsel  findet  sich 
noch  ein  breites,  von  oben  über  das  Gelenk  streifendes  Verstär- 
kungsband —  Ligamentum  acromio-claviculare.  Ein  Zwischenknorpel 
in  der  Articulatio  acromio-clavicularisy  der  von  Vesal  zuerst  er- 
wähnt wurde,  existirt  entweder  als  eine,  durch  die  ganze  Höhe 
und  Breite  des  Gelenkraumes  sich  erstreckende  Faserknorpelplatte, 
oder  als  ein,  nur  bis  zu  einer  gewissen  Höhe  sich  in  das  Gelenk 
einschiebender,  von  der  unteren  Wand  der  Kapsel  ausgehender 
Meniscus.  Selten  fehlt  dieser  Zwischenknorpel,  wo  dann  die  Knor- 
pelüberzüge der  betreflFenden  Gelenkflächen,  besonders  jene  des 
Schlüsselbeins,  sehr  dick  angetroffen  werden. 

Da  das  Schlüsselbein  über  dem  Processus  co9'acoideus  lagert, 
so  wird  es  mit  ihm  durch  das  sehr  starke  Ligamentum  coraco- 
claviculare  verbunden,  an  welchem  man  eine  vordere,  umgekehrt 
dreieckige  Abtheilung  des  Ligamentum  conicum^  und  eine  hintere, 
ungleich  vierseitige,  als  Ligamentum  trapezoides  unterscheidet. 

3.  Besondere  Bänder  des  Schulterblattes.  Vom  Pro- 
cessus coracoideus  zum  Akromion  läuft  das  starke  und  breite  Liga- 
mentum coraco-acromiale.  Es  bildet  eine  Art  fibrösen  Gewölbes  über 
der  Gelenkfläche  des  Schulterblattes,  welches  die  Verrenkungen 
des  Oberarms  nach  oben  nicht  zulässt.  —  Ueber  die  Incisura  semi- 
lunaris  am  oberen  Schulterblattrande  legt  sich  das  kurze  Ligamen- 
tum transvei'sum,  und  verwandelt  die  Incisur  in  ein  Loch. 


§.  137.  Oberarmbein. 

Der  einfache  Axenknochen  des  Oberarms  ist  das  Oberarm- 
bein, Os  humein.  Sein  oberes  Ende  bildet  ein  überknorpeltes, 
schief  nach  innen  und  oben  gegen  die  Gelenk  fläche  des  Schidter- 
blattes  schauendes  Kugelsegment  —  Kopf,  Caput  humeri»  Eine 
rings  um  den  Rand  der  Ueberknorpelung  des  Kopfes  befindliche 
Einschnürung,  setzt  den  Kopf  gegen  den  Mittelschaft  des  Knochens 
ab,  und  fuhrt  den  Namen  Collum  humeri  anatomicum,  zum  Unter- 
schied vom  Collum  humeid  chirurgictvm,  welches  sich  weiter  abwärts, 
bis  zur  Insertionsstelle  des  Musculus  teres  major,  erstreckt.  Die 
Chirurgen  pflegen  nämlich,  einen  über  der  Insertionsstelle  des 
Musculus  teres  major  stattfindenden  Bruch  des  Oberarmbeins,   noch 


§.  187.   Oberarmbein.  327 

als  FrcLctwra  colli  humein  za  bezeichnen.  —  Aul'  die  Furche  folgen 
zwei  Höcker.  Der  kleinere  {Tuberculum  minus)  liegt  nach  vom, 
und  wird  vom  grösseren,  äusseren  (Tuberculum  majua),  durch  eine 
tiefe  Rinne  (Sulcus  intei'tuberailaris)  getrennt.  Von  jedem  Höcker 
läuft  ein  erhabener  Grat  (Spina  tuberculi  niajoris  et  minori^)  zum 
Mittelstilck  des  Knochens  herab.  Dieses  ist  in  seiner  Mitte  drei- 
seitig, mit  einer  vorderen,  äusseren,  und  inneren  Kante,  wel- 
chen die  hintere,  innere,  und  äussere  Fläche  gegenüber  stehen, 
an  deren  letzterer,  über  ihrer  Mitte,  eine  rauhe  Stelle  (Tuberositas) 
dem  Deltamuskel  zum  Ansatz  dient.  Gewöhnlich  findet  sich  im 
oberen  Drittel  des  Mittelstücks,  dicht  vor  der  inneren  Kante,  das, 
in  einen  abwärts  gerichteten  Kanal  fahrende  Ernährungsloch  (Fora- 
men  nntritivm)  des  Oberarmbeins. 

Das  untere  Ende  ist  breiter  und  iiacher,  als  das  obere,  wie 
von  vorn  nach  hinten  zusammengedrückt,  und  besitzt  zur  Verbin- 
dung mit  jedem  der  beiden  Vorderarmknochen  besondere  Gebilde. 
Diese  sind:  a)  die  Rolle  (Trochlea  s,  Rotvld)^  ein  kurzer,  quer- 
Uegender,  tief  gefurchter  Cylinder,  welcher  von  dem  grossen  Halb- 
mondausschnitt der  Ulna  umfasst  wird.  Ueber  der  Rolle  liegt  an 
der  vorderen  Seite  die  Fovea  supratrochlearis  anterior,  und  an  der 
hinteren  die  tiefere  und  weitere  Fovea  supratrochledris  posterior. 
Beide  Gruben  sind  durch  eine  dünne  Knochenwand  getrennt,  welche 
zuweilen,  besonders  bei  alten  Individuen,  durchbrochen  gefunden 
wird.  Neben  der  Rolle  liegt  nach  aussen  b)  das  kugelige  Köpfchen 
(Eminentia  capitata),  welches,  wie  die  Rolle,  mit  Knorpel  überzogen 
ist,  und  zur  Gelenkverbindung  mit  dem  Radius  dient 

Verfolgt  man  die  äussere  imd  innere  Kante  des  Mittelstücks 
mit  dem  Finger  nach  abwärts,  so  wird  man  durch  sie  auf  den 
äusseren  kleineren,  und  inneren  grösseren  Knorren  oder 
Nebenhöcker  (Condyltis  extemtis  et  internus)  geleitet,  welche,  da 
sie  vorzugsweise  den  Streckern  und  Beugern  der  Hand  und  der 
Finger  zum  Ursprünge  dienen,  ganz  bezeichnend  auch  Condylus 
extensorius  (der  äussere),  und  flexorius  (der  innere)  genannt  werden. 
Bei  französischen  Anatomen  heisst  allgemein  der  äussere  Condylus: 
Epicondylus,  der  innere  Epitrochlea,  Schon  aus  der  bedeutenden 
Grösse  des  inneren  Knorrens  lässt  sich  schliessen,  dass  die  Ge- 
sammtmaase  der  von  ihm  entspringenden  Beugemuskeln  grösser 
als  jene  der  Streckmuskeln  sein  wird.  Zwischen  Condylus  internus 
und  Trochlea  findet  sich  an  der  hinteren  Seite  des  unteren  Endes 
des  Oberarmbeins  eine  Furche  {Svicus  tUnaris),  fUr  den  Verlauf  des 
Ellbogennerven. 

Dm   Oberannbein  erscheint  im   Ganzen  etwas  nach  innen  und  vom  ge- 
wunden (courbure  de  tortion  der  französischen  Anatomwi),  was  All't*' 
als  richtig  mit  den  Worten  bezeichnet:  f,\ 


328  $.  188.    Sckuliergelenk. 

Als  eine  der  interessantesten  Abweichungen  des  Knochens  muss  jene  ge- 
nannt werden,  wo  1^^  bis  2  Zoll  über  dem  Condylus  internus^  ein  gerader  oder 
hakenförmig  nach  ab-  und  rückwärts  gekrümmter  Fortsatz,  beiläufig  in  der 
Mitte  der  inneren  Fläche,  aufsitzt,  welcher,  seiner  Stellung  und  seines  Ver- 
hältnisses zur  Arteria  hrachialU  und  zum  Nervus  medianus  wegen,  als  eine 
Analogie  des  bei  vielen  Säugethieren  vorkommenden  CaneUM  tupraamdyloideus 
gedeutet  werden  muss,  und  Processtis  ntpracondyloideus  von  Josephi  (Anatomie 
der  Säugethiere.  I.  Bd.  pag.  319)  genannt  wurde.  Ausführlich  hierüber  handeln: 
OUOj  de  rarioribus  quibusdam  sceleti  humani  cum  sceleto  animalium  analogiis. 
Vratisl.,  18S9;  BarkoWy  anat.  Abhandl.  Breslau,  1851,  und  mit  ganz  ausgezeich- 
neter Genauigkeit  und  comparativer  Vielseitigkeit,  W.  Ointber,  in  seiner  „Mono- 
graphie des  Canalis  suprctcondyloideuSy*^  Petersburg,  1856,  mit  3  Tafeln.  G ruber 
hat  diesen  Fortsatz  unter  220  Leichen  6  Mal  angetroffen.  Jedesmal  dient  er 
einem  überzähligen  Fascikel  des  Musndvs  pronalor  tere«  zum  Ursprung. 


§.  138.  Schultergelenk. 

Das  Schulte rgelenk,  ArticukUio  humeinj  ist  das  freieste  Ge- 
lenk des  menschlichen  Körpers. 

Der  Kopf  des  Oberarmknochens  bewegt  sieh  auf  der  öelenk- 
fläche  des  Schulterblattes  so  allseitig  und  frei,  dass  wir  jeden' Punkt 
unserer  Körperoberfläche  mit  der  Hand  erreichen  können.  Der 
Kopf  des  Oberarmknochens  gleicht  beiläufig  dem  dritten  Theil 
einer  Kugel  von  1  ^/^  Zoll  Durchmesser.  Die  Gelenkfläche  des 
Schulterblattes  aber  ist  ein  kleineres  Segment  einer  eben  so  grossen 
Halbkugel,  und  steht  somit  nur  mit  einem  Theile  der  Oberfläche 
des  Kopfes  in  Berührung.  Sie  hat  an  ihrem  Rande  einen  ringför- 
migen, knorpeligen  Aufsatz  (Limhiis  cartilagineus  s,  Lahinim  gleiioi- 
deum)j  der  sie  etwas  tiefer  macht.  —  Die  weite  und  schlaffe  fibröse 
Kapsel,  die  vom  anatomischen  Halse  des  Oberarmknochens  zur 
Peripherie  der  Cavitaa  glenoidalis  scapulae  geht,  beschränkt  keine 
der  Bewegungen  des  Oberarms,  Wäre  sie  straff  gespannt,  so  würde 
sie  bei  den  grossen  Bewegungsexcursionen  des  Oberarms  nothwen- 
dig  hemmend  einwirken.  Die  Schlaffheit  ihrer  Wände  erlaubt  da- 
gegen ein  sonst  bei  keinem  Gelenk  in  so  grossem  Maassstabe  zu 
beobachtendes  Gleiten  und  Drehen  des  Oberarmkopfes  in  der 
Cavitcis  glenoidalis,  wodurch  jeder  Punkt  des  ersteren  an  letzterer 
vorbeigeht.  Der  untere  Rand  der  Kapsel  setzt  über  beide  Tuber- 
cula  brückenartig  weg,  und  verwandelt  den  Sulcus  intei-tubercularis 
in  einen  Kanal,  durch  welchen  die  Sehne  des  langen  Kopfes  vom 
Mtisculus  bicepa  in  die  Gelenkhöhle  dringt,  um  sich  an  der  höchsten 
Stelle  des  Limbus  cartilagineus  festzusetzen.  Die  Synovialkapsel 
giebt  dieser  Sehne  einen  scheiden  artigen  Fortsatz  als  Hülle,  wel- 
cher sich  nach  abwärts,  dem  Sidcus  intei*tuhercularis  entlang,  bis 
zur  Anheffcungsstelle   der  Sehne  des  grossen  Brustmuskels  erstreckt, 


§.   139.    Knochen  des  Vorderarms.  329 

und  nach  aufwärts  die  Bicepssehne,  bis  zu  ihrer  Insertion  an  die 
höchste  Stelle  des  Limbus  cartilagineiis ,  begleitet.  Eine  sackartige 
Ausstülpung  der  Synovialkapsel  schiebt  sich  zwischen  den  Raben- 
schnabel und  die  oberen  Bündel  des  Musculus  subscapularis  ein. 
Die  untere  Wand  der  fibrösen  Kapsel  ist  die  schwächste. 

Schlemm  beschreibt  drei  VemtärkungRbänder  an  der  Kapsel  des  Schulter- 
gelenks {MiÜler'a  Archiv,  1853)  als  Ligamentum  coraco-brachialey  glenoideo-braehiale 
intemumf  et  inferiuSf  deren  Namen  ihre  Lage  bezeichnen. 

Die  uneingeschränkte  Beweglichkeit  des  SchuUergelcnks  bedingt  die  Häufig- 
keit seiner  Verrenkungen,  die  nach  jeder  Riclitung,  nur  nach  oben  nicht  (ausser 
mit  gleichzeitigem  Bnich  des  Akromium)  denkbar  sind,  indem  die  Kraft,  die  den 
Oberarmkopf  nacli  oben  treiben  könnte,  an  dem  Widerstände  des  elastischen 
Ligamentum  coraco-ticromiale  gebrochen  wird.  ^  Die  fibröse  Kapsel  kann,  ihrer 
Schlaffheit  wegen,  die  Knochen  des  Schultergelenks  nicht  an  einander  halten. 
Der  fortwährende  innige  Contact  beider  Gelenkflächeu  hängt  nicht  von  ihr,  son- 
dern vom  Luftdrucke  ab  (wie  beim  Hüftgelenk,  §.  150). 


§.  139.  Knochen  des  Vorderarms. 

Der  Vorderarm  Brachium,  (auch  Antibi*achiumy  vielleicht  rich- 
tiger Antebrachium)  wird  durch  zwei  neben  einander  liegende  Röhren- 
knochen, Ellbogenrölire  und  Armspindel,  gebildet. 

A.  Die  Ellbogenröhre  {Ulna,  Cnhitus,  Focih  majus)  ist  der 
grössere  der  beiden  Vorderarmknochen.  Ihr  oberes  Ende,  dicker 
als  das  untere,  wird  durch  einen  tiefen,  halbmondförmigen  Aus- 
schnitt {Cavltas  sigmoidea  s,  Innata  major)  ausgehöhlt,  welcher  genau 
die  Rolle  des  Oberarmbeins  umfasst.  Ein  erhabener  First  theilt  die 
ConcavitÄt  des  Ausschnittes  in  zwei  seitliche  Facetten,  welche  den- 
selben Facetten  der  Rollenfurche  des  Oberarms  entsprechen.  Die 
obere,  dicke,  und  hinten  rauhe  Ecke  dieses  Ausschnittes,  heisst 
Haken fortsatz,  Olecranon  (tb  xpavov  t^<;  wXevy;^,  caput  ulnae),  oder 
Processus  anconaeus  (von  oyxwv,  Haken,  womit  das  altdeutsche  Enke 
verwandt  ist).  Die  untere,  weniger  vorspringende  und  stumpf  zu- 
gespitzte Ecke  des  Ausschnittes,  stellt  den  Kronen  fortsatz  (Pro- 
cessus coronoideus)  dar.  Der  ifrüher  erwähnte  First  in  der  Cavüas 
sigmoidea  major^  verbindet  die  Spitzen  des  Olecranon  und  des  Pro- 
cessus coronoideus»  Häufig  wird  die  Ueberknorpelung  der  Cavitas  sig- 
moidea major,  durch  eine  querlaufende,  rauhe,  nicht  überknorpelte 
Furche  unterbrochen.  Was  vor  dieser  Furche  liegt,  gehört  dem 
Processus  coronoideus  an;  was  hinter  derselben,  dem  Olecranon.  — 
Seitlich  am  Kronenfortsatze,  also  auch  unter  der  Cavitas  sigmoidea 
major,  liegt  eine  kleine,  halbmondförmige  Vertiefung  {Cavitas  sig- 
moidea s,  lunata  minor),  zur  Aufnahme  des  glatten  Umfanges  des 
Köpfchens  der  Armspindel.  Unter  dem  Eronenfortu  »  «teht  die 
Tubei'osttas  ulnae,  fur  die  Insertion  dei»  M 


330  $•  139.  Knochen  dM  Yordernrms. 

Das  Mittelstück  ist  dreiseitig.  Die  schärfste  Kante  (Christa  ulnae) 
sieht  der  Armspindel  zu.  Die  beiden  Flächen,  welche  diese  Kante 
bilden^  sind  grösser  als  die  dritte,  in  welche  sie  durch  abgerun- 
dete Winkel  tlhergehen.  Bei  ruhig  herabhängendem  Arm  lassen 
sich  diese  drei  Flächen  als  äussere,  innere,  und  hintere  be- 
zeichnen. An  der  inneren  Fläche  liegen,  ober  der  Mitte  des  Kno- 
chens*, 1. — 2  schräg  nach  aufwärts  flihrende  Ernährungslöcher.  — 
Das  untere  Ende,  seiner  Gestalt  wegen  das  Köpfchen  (Capitu- 
lum)  genannt,  hat  eine  in  der  Mitte  etwas  eingedrückte  Gelenk- 
fläche, welche  sich  auch  auf  jenen  Theil  des  Randes  fortsetzt, 
welcher  mit  dem  unteren  Ende  der  Armspindel  in  Berührung  steht. 
Am  hinteren  Umfang  des  Köpfchens  ragt  ein  zwei  Linien  langer, 
stumpfspitziger  Fortsatz  (Processus  styloidetts  ulnae)  herab.  Zwischen 
ihm  und  dem  äusseren  Umfange  des  Köpfchens  verläuft  die  Rinne 
für  den  Musculus  ulnaiis  exteimus. 

B.  Die  Armspindel,  Speiche,  Radius  (iSynon. :  Focile  minus, 
Additamentum  ulnaey  Manubrium  manus),  verhält  sich  in  ihren  Eigen- 
schaften der  Ulua  entgegengesetzt.  An  ihrem  oberen  Ende  fällt 
uns  das  auf  einem  engeren  Halse  aufsitzende  Köpfchen  auf,  wel- 
ches eine  seicht  vertiefte,  sich  über  den  Rand  des  Köpfchens  herab- 
senkende Gelenkfläche  besitzt.  Unter  dem  Halse  liegt  ein  rauher 
Höcker  {Tuberositas  radii)  zur  Anheftung  des  Musculus  biceps  hi*achii. 
—  Das  Mittelstück  ist  dreiseitig.  Die  schärfste  Kante  {Crista 
radii)  sieht  der  Ciista  ulnae  zu,  und  bildet  mit  ihr  den  in  der  Mitte 
breitesten,  oben  und  unten  zugespitzten  Zwischenknochenraum 
(Spatium  interosseum).  Die  innere  und  äussere  Fläche  gehen 
durch  abgerundete  Winkel  in  die  vordere  über.  An  der  Crista, 
oder  im  oberen  Bezirk  der  inneren  Fläche,  liegt  ein  einfaches, 
schräg  nach  oben  fllhrendes  Emährungsloch.  —  Das  untere  Ende, 
dicker  und  breiter  als  das  obere,  kehrt  seine  grösste  Fläche  nach 
abwärts  gegen  die  Handwurzel.  Diese  Fläche,  elliptisch  concav  und 
überknorpelt,  wird  durch  eine  quere  Kantenspur  in  zwei  kleinere 
Facetten  getheilt.  Wo  dieses  untere  Ende  mit  dem  Köpfchen  der 
Ulna  in  Berührung  tritt,  ist  es  leicht  halbmondfbrmig  ausgeschnitten 
(Incisura  semilunaris  radii),  und  überknorpelt.  Dem  Ausschnitt 
gegenüber  verlängert  sich  das  untere  Ende  der  Armspindel  in  einen 
stumpfen  Höcker  (Processus  styloideus  radii).  Die  äussere  rauhe 
Seite  des  unteren  Endes  zeigt  zwei,  seltener  drei,  longitudinale 
MuskeHurchen. 

Da  das  Skelet  des  Vorderanns  aus  zwei  Knochen  besteht,  so  muss  jeder 
derselben  der  Oberfläche  des  Vorderarms  näher  liegen,  als  der  einfache  Axen- 
knochen  des  Oberarms.  Man  kann  deshalb  die  Ulna  in  ihrer  ganzen  Länge, 
den  Radius  aber  nur  an  seiner  unteren  Hälfte  am  eigenen  Arme  durch  die  Haut 
deutlich  fühlen.  —  Die  beiden  Knochen  verhalten  sich  hinsichtlich  ihrer  anato- 
mischen Eigenschaften  verkehrt  zu  einander.    Die  Ulna   ist  oben,   der  Radius 


$.  140.  Ellbogengeleak.  331 

unten  dick,  —  die  Ulna  hat  ihr  Capitnlom  unten,  der  Radius  oben,  —  da« 
CapUulum  ulnae  lieg^  in  dem  Halbmondausschnitt  am  unteren  Ende  des  Radius, 
das  Oapiluhim  radii  in  der  Cav܀u  ngmoidea  minor  am  oberen  Ende  der  Ulna, 
—  die  Ulna  ragt  um  die  Höhe  des  Olekranons  weiter  nach  oben,  der  Radius 
mit  seinem  unteren  Ende  weiter  nach  abwärts,  —  die  Ulna  kehrt,  bei  ruhig 
herabhängendem  Arme,  ihre  Crista  nach  vom,  der  Radius  nach  rückwärts,  — 
endlich  vermittelt  die  Ulna,  durch  das  Umgreifen  der  Rolle  des  Oberarmbeins, 
die  feste  Verbindung  des  Vorderarms  mit  dem  Oberarme,  während  das  untere 
Ende  des  Radius  mit  den  zwei  grössten  Knochen  der  ersten  Handwurzelreihe 
eine  Verbindung  eingeht. 


§.  140.   Ellbogengelenk. 

Das  Ellbogengelenk,  Articulatio  cubitiy  trägt  den  Charakter 
eines  gemischten  Gelenks,  da  es  Winkelbewegung  und  Rotation 
ausfbhren  kann.  Wir  wollen  es  einen  Trocho-ginglyrnris  nennen. 

Da  das  Ellbogengelenk  uns  das  erste  Beispiel  eines  Gelenks 
vor  Augen  bringt,  in  welchem  drei  Knochen  zusammen  treffen,  so 
besteht  dasselbe  eigentlich  aus  drei  Gelenken,  die  durch  eine  ge- 
meinschaftUche  fibröse  und  synoviale  Kapsel  zu  Einem  Gelenke  ver- 
einigt werden.  Die  Rolle  des  Oberarmbeins  bildet  mit  der  Cavitas 
sigmoidea  major  der  Ulna  die  Articulatio  hmnero-ulnaris,  —  die  Emi- 
nentia  capitata  des  Oberarmbeins  mit  dem  Capitulum  radii  die  Arti- 
ctdatio  humer o-radialisy  —  und  der  überknorpelte  Rand  des  Capituli 
radii  mit  der  Cavitas  sigmoidea  minor  ulnae  die  Articulatio  radio- 
tdnaris.  Bei  der  Beugung  und  Streckung  des  Vorderarms  geschieht 
die  Bewegung  in  den  beiden  ersten  Gelenken,  das  dritte  bleibt  voll- 
kommen ruhig.  Bei  der  Drehung  des  Radius,  durch  welche  die 
Hand  nach  innen  oder  nach  aussen  gewendet  wird  {Pronatio  et 
Supinatio),  bewegt  sich  das  erste  Gelenk  nicht;  die  Axendrehung 
des  Köpfchens  der  Armspindel  wird  nur  im  zweiten  imd  dritten 
Gelenke  eine  Bewegung  veranlassen. 

Wäre  der  Radius  ein  vollkommen  geradliniger  Knochen,  so  wfirde  die 
Axendrehung  seines  Köpfchens  zugleich  den  ganzen  Radius,  wie  eine  Walze,  um 
seine  Längenaxe  drehen,  ohne  dass  er  seinen  Ort  verlüsst  Da  er  aber,  vom 
Halse  angefangen,  sich  derart  krümmt,  dass  bei  hängend  gedachtem  Arm  sein 
unteres  £nde  nicht  vertical  unter  dem  oberen  steht,  so  muss,  wenn  das  Köpf- 
chen sich  um  seine  Axe  dreht,  das  untere  Ende  einen  Kreisbogen  beschreiben, 
dessen  Centrum  das  unverrückte  Köpfchen  am  unteren  Ende  der  Ulna  ist. 

Die  gemeinschaftliche  fibröse  Kapsel  des  Ellbogen- 
gelenks  entspringt  tlber  der  Rolle  und  der  Eminentia  capitata  des 
Oberarmbeins,  und  schliesst  somit  auch  die  vordere  imd  hintere 
Fovea  mpratrochlearis  ein.  Der  Radius  wird  an  die  Cavitas  sigmoi- 
dea minor  vlnae  durch  das  Ringband  {lÄgamerdwra  armulaire  m^*^ 
angedrückt,  welches  den  überknorpelten  Rand 
und  die  oberste  Zone  seines  Halses  umgr^ifL 


332  §•  1^1*  Knochen  der  Hand. 

• 

und  hinteren  Ende  der  Cavitas  sitjnwidea  minor  befestigt  ist.  Das 
dreieckige  innere  Seitenband  entspringt  schmal  vom  Condylua 
mtenitis  des  Oberarmbeins,  und  endigt  breit  an  der  inneren  Seite 
des  Processus  coronoideusj  und  am  inneren  Rande  der  Cavitas  lunata 
major  ulnae.  Das  äussere  Seitenband,  schmäler  als  das  innere, 
entspringt  am  Condylus  exteriuis  des  Oberarmbeins,  und  darf  nicht 
am  Radius  endigen,  sondern  verwebt  sich  mit  dem  Ringbande,  ohne 
an  den  Radius  zu  treten.  Die  Drehbewegung  des  Radius  würde  ja, 
durch  die  Befestigung  des  äusseren  Seitenbandes  an  ihn,  allzusehr 
beschränkt  worden  sein.  Aus  demselben  Grunde  kann  auch  die 
tibrösc  Kapsel  sich  nicht  an  beiden  Knochen  des  Vorderarms,  son- 
dern nur  an  der  Umrandung  der  Cavitas  sigmoidea  major  ulnae  in- 
Bcriren,  und  setzt  sich,  so  wie  das  äussere  Seitenband,  nicht  an 
den  Radius,  sondern  nur  an  das  Ringband  seines  Köpfchens  an. 
Das  den  Zwischenknochenraum  ausfüllende  Ligamentum  inter- 
osseum  reicht  nicht  bis  zum  oberen  Winkel  dieses  Raumes  hinauf. 
Die  von  der  Gegend  des  Processus  coronoideus  idnae  zur  Tid}erositas 
radii  schräg  herablaufende  Chorda  tratisversalis  cubiti  ersetzt  zum 
Theile  diesen  Mangel.  Ihre  Faserrichtung  ist  jener  des  Ligamentum 
interosseum  entgegengesetzt 

Da  das  Olekranon  sich  im  höchsten  Grade  der  Ausstreckung  des  Vorder- 
arms in  die  Fovea  »fipratrochlearU  po$lerior  des  Oberarmknochens  stemmt,  so 
kann  die  Streckung  auf  nicht  mehr  als  180  o  gebracht  werden.  Das  Maximum 
der  Beugung  tritt  dann  ein,  wenn  der  Proceanu  coronoideus  ulnae  auf  den  Gmnd 
der  Fossa  supralrochleai-U  anterior  stösst  —  Die  tibrösc  Kapsel  dient  nicht  dazu, 
die  drei  Knochen  des  Ellbogengelenks  an  einander  zu  halten.  Man  kann  die 
vordere  und  die  hintere  Kapselwand  quer  durchschneiden,  und  man  wird  dadurch 
nichts  an  der  Festigkeit  des  Gelenks  geändert  haben.  Erst  wenn  ein  oder  beide 
Seitenbänder  zerschnitten  sind,  weichen  die  Knochen  aus  einander.  —  Indem 
das  untere  Ende  des  Kadius  mit  den  zwei  grössten  Knochen  der  ersten  Hand- 
wurzelreihe durch  Bänder  hinlänglich  fest  zusammenhängt,  die  Ulna  aber  (wie 
oben  gesagt  wurde)  mit  der  Handwurzel  in  keine  unmittelbare  Berührung  kommt, 
80  wird  die  Hand  jeder  Bewegung  des  Kadius  folgen,  und  durch  die  Drehung 
dieses  Knochens  nach  innen  oder  aussen,  sich  so  stellen,  dass  die  Hohlhand  nach 
hinten  oder  nach  vom  sieht,  d.  h.  die  Pronations-  und  Supinationsbewegungen 
beschreiben  zusammen  einen  Kreisbogen  von  180<).  Soll  die  Bewegung  der  I[and 
in  einem  noch  grösseren  Bogen  vollführt  werden,  so  muss  auch  zugleich  der  Ober- 
arm sich  um  seine  senkrechte  Axe  drehen,  was  die  Laxität  der  tibWisen  Capsula 
hnmeri  leicht  gestattet. 

Die  Bedeutung  der  Spirale  bei  den  Bewegungen  des  Ellbogengelenks 
würdigte  H.  Meyer,  Arch.  für  Anat.  und  Thys.  1866. 


§.  141.  Knochen  der  Hand. 

Das  Skelet  der  Hand  besteht  aus  drei   Abtheilungen:   Hand- 
wurzel, Mittelhandy  und  Finger. 


c 


141.    Knochen  der  Hand.  333 


A.    Er«fs  Abtheilung.    Knochen  dei^  Handivnrzel. 

Die  erste,  sich  an  die  Vorderarmknochen  anschliessende  Ab- 
theilung der  Hand  ist  die  Handwurzel,  Carpus  (vielleicht  von 
Spiro»,  greifen),  welche  aus  acht  kloinen,  meist  vieleckigen,  in  zwei 
Reihen  (zu  vieren)  gruppirten  Knochen  zusammengesetzt  wird.  Sie 
werden  durch  kurze  und  starke  Bänder  so  genau  und  fest  zu- 
sammengehalten, dass  sie  fast  Ein  kniichernes  Ganzes  zu  bilden 
scheinen,  welches  jedoch  durch  ein  Minimum  möghcher  Verschieb- 
barkeit der  einzelnen  Handwurzelkuochen  an  einander,  eines  ge- 
ringen Grades  von  Beweglichkeit  theilhaftig  wird.  Brüche  der  Hand- 
wurzel kommen  deshalb  nur  höchst  selten  vor.  Der  brechende  Stoss, 
welchen  Ein  Handwurzelknochen  aufnimmt,  vertheilt  sich  auf  alle 
übrigen,  und  wird  dadurch  so  abgeschwächt,  dass  die  Integrität 
der  Handwurzel  gewahrt  bleibt. 

Ohne  in  eine  detaillirte  Beschreibung  der  einzelnen  Hand- 
wurzelknochen einzugehen,  geben  wir  nur  folgende  allgemeine  und 
ftlr  das  Bedüriiiiss  des  Anfängers  genügende  Anhaltspunkte.  Man 
möge  zum  leichteren  Verständniss  derselben  eine  gefasste  Hand 
vor  Augen  haben. 

1.  Die  erste  oder  obere  Reihe  der  Handwurzelknochen 
wird,  wenn  man  von  der  Radial-  gegen  die  Ulnarseite  zählt,  durch 
das  Kahnbein,  Mondbein,  dreieckige  Bein  (Pyramidenbein 
bei  Henle),  und  Erbsenbein  (0«  scaphoideum,  lunatum,  triquetrum, 
pmforme)  zusammengesetzt.  Die  zweite  oder  untere  Reihe  ent- 
hält, in  derselben  Richtung  gerechnet,  das  grosse  und  kleine 
vieleckige  Bein  (Trapez-  und  Trapezoidbein  bei  Henle),  das 
Kopfbein  und  das  Hakenbein  (Os  multangulum  majuSj  minus y 
capitatumj  hamatum).  Das  Kopfbein  ist  der  grösste  Handwurzel- 
knochen —  daher  Os  magnum  bei  älteren  Autoren. 

2.  Von  den  Knochen  der  ersten  Reihe  helfen  nur  die  drei 
ersten  das  Gelenk  zwischen  Vorderarm  und  Handwurzel  bilden; 
—  das  vierte  (Erbsenbein)  wird  hiezu  gar  nicht  verwendet,  wes- 
halb es,  genau  gcpommcn,  nicht  die  Bedeutung  eines  Handwurzel- 
knochens hat,  und  von  Alb  in  auch  nicht  zur  Handwurzel  gezählt 
wurde:  r,acl  carpttm  re  vefra  iirm  perttnef^. 

3.  Obwohl  alle  Handwurzelknochen  eine  sehr  unregelmässige 
und  schwer  durch  Worte  anschaulich  zu  machende  Gestalt  haben, 
so  darf  man  sich  doch  erlauben,  um  die  Verbindungen  leichter  zu 
übersehen,  an  jedem  derselben  sechs  (hegenden  (nicht  mathe- 
matische Flächen)  anzunehmen,  welche,  wenn  man  sich  die  Hand 
nicht  liegend,  sondern  herabhängend,  und  die  Hohlhand  dem 
Stamme  »uirek«*hrt  d        ;.  in  die  obere  und  untere,  die  Dorsal- 


334  S-  1^1'  Knochen  der  Hnnd. 

und  Volargegend,    die   Radial-  und  Ulnargegend   eingetheilt 
werden. 

4.  Die  oberen  Gegenden  der  drei  ersten  Elnochen  in  der 
oberen  Handwurzelreihe  bilden ,  da  sie  sämmtlich  gewölbt  sind^ 
durch  ihr  Nebeneinandersein  einen  elliptisch  convexen  Kopf,  der 
in  die  elliptische  Concavität  am  unteren  Ende  der  Vorderarmkno- 
chen aufgenommen  wird.  Die  erste  Facette  der  unteren  Gelenk- 
fläche des  Radius  steht  mit  dem  Eahnbein,  die  zweite  mit  dem 
Mondbein  in  Contact.  Der  dritte  Knochen  —  das  dreieckige  Bein 
—  stösst  aber  nicht  an  das  Köpfchen  der  Ulna,  weil  dieses,  nach 
Angabe  des  §.  139  und  dessen  Note,  nicht  so  weit  herabreicht, 
wie  das  untere  Speichenende.  Es  bleibt  vielmehr  ein  Raum  zwi- 
schen beiden  Knochen  übrig,  der  gross  genug  ist,  um  einen  dicken 
Zwischenknorpel,  Cartilago  interarticularisy  aufzunehmen.  —  Die 
unteren  Gegenden  derselben  drei  Knochen  bilden  durch  ihre 
Nebeneinanderlagerung,  vom  Radial-  gegen  den  Ulnarrand  hin  eine 
wellenfbrmig  gekrümmte  Fläche.  Das  besonders  tiefe  Wellenthal, 
welches  durch  die  Vertiefung  des  Os  scapkoideum  und  lunatum  ge- 
bildet wird,  hat  zu  seinen  beiden  Seiten  schmale  Wellenberge, 
deren  äusserer  dem  Os  scaphoideum,  deren  innerer  dem  Os  frique- 
trutn  angehört  —  Die  Dorsalgegend  ist  massig  convex,  die 
Volargegend  ebenso  concav.  Die  einander  zugekehrten  Ulnar- 
und  Radialgegenden  der  drei  ersten  Handwurzelknochen  sind, 
so  wie  dieselben  Gegenden  der  vier  Knochen  der  zweiten  Hand- 
wurzelreihe, theils  rauh  zur  Anheftung  sehr  kurzer  Zwischenband- 
massen,  theils  aber  auch  zur  wechselseitigen  Articulation  mit  kleinen 
Gelenkflächen  versehen,  welche  als  seitliche  Fortsetzungen  der  an 
ihren  oberen  oder  unteren  Gegenden  vorkommenden  Ueberknorpe- 
lungen  erkannt  werden. 

5.  Die  vier  Knochen  der  zweiten  Reihe  lassen  sich  unter  dem- 
selben allgemeinen  Gesichtspunkte  auffassen.  Die  oberen  Gegen- 
den derselben  bilden,  da  sie  sich  an  die  untere  Gegend  der  ersten 
Reihe  anlagern,  eine  zu  jener  umgekehrte  Wellenfläche,  deren  mitt- 
lerer, hoher  Wellenberg,  vorzugsweise  durch  den  Kopf  des  Os  capi- 
tatum  erzeugt  wird.  —  Die  unteren  Gegenden  der  vier  Knochen 
dieser  Reihe  stossen  mit  den  Mittelhandknochen  zusammen,  und 
bilden  eine  Reihe  von  Gelenkflächen,  deren  erste,  für  den  Mittel- 
handknochen des  Daumens  bestimmte,  dem  Os  midtangulum  vwjus 
allein  angehört,  sattelförmig  gekrümmt  ist,  und  von  den  ebenen^ 
unter  Winkeln  im  Zickzack  zusammenstossenden  unteren  Gelenk- 
flächen der  übrigen  Knochen  dieser  ßeihe,  durch  eine  kleine,  nicht 
überknorpelte,  rauhe  Zwischenstelle  getrennt  wird.  Im  Allgemeinen 
lässt  sich  sagen,  dass  die  untere  Fläche  des  Midtangulum  majus  den 
Mittelhandknochen  des  Daumens  und  überdies  noch  einen  kleinen 


§.  141.   Knochen  der  Hand.  335 

Theil  des  Mittelhandknochens  des  Zeigefingers  trägt;  jene  des  Mul- 
tangtdum  minus  mittelst  eines  vorspringenden  Giebels  in  einen  Win- 
keleinschnitt der  Basis  des  Mittelhandknochens  des  Zeigefingers 
passt;  jene  des  Capttatwn  an  den  Mittelhandknochen  des  Mittel- 
fingers, und  jene  des  Hakenbeins  an  die  Mittelhandknochen  des 
vierten  und  fünften  Fingers  stösst  —  Die  übrigen  Gegenden  dieser 
Knochen  verhalten  sich  wie  die  gleichnamigen  der  ersten  Hand- 
wurzelreihe. 

6.  Beide  Reihen  bilden  einen,  gegen  den  Rücken  der  Hand 
convexen,  gegen  die  Hohlhand  concaven  Bogen.  Der  erste  und 
letzte  Knochen  jeder  Reihe  wird  somit  gegen  die  Hohlhand  stark 
vorspringen,  und  dadurch  die  sogenannten  Eminentiae  carpi  erzeu- 
gen, welche  in  zwei  ßminentiae  radiales  und  zwei  ulnares  zerfallen. 
Die  Eminentia  carpi  radialis  superior  gehört  einem  Höcker  des 
Kahnbeins,  die  inferior  einem  Höcker  des  grossen  vielwinkligen 
an,  —  die  Eminentia  caipi  ulnaris  supei'ior  wird  durch  das  Erbsen- 
bein, die  inferior  durch  den  hakenförmigen  Fortsatz  des  Haken- 
beins erzeugt.  Von  den  Eminentiae  caipi  radiales  zu  den  ulnares 
geht  ein  starkes  queres  Band  (Ligamentum  carpi  transversum)^  wel- 
ches die  concave  Seite  des  Bogens  in  einen  Kanal  für  die  Sehnen 
der  Fingerbeuger  umwandelt. 

Sehr  selten  finden  sich  9  Händwurzelknochen,  nicht  durch  Hinzutritt  eines 
neuen,  sondern  durch  Zerfallen  eines  gegebenen,  und  zwar  des  ersten  (Scaphoi- 
deum)  in  zwei,  durch  Gelenk  unter  einander  verbundene  Knochen,  wozu  der 
Umstand  zu  disponiren  scheint,  dass  das  0^  acaphoideum  nach  allerdings  nicht 
ganz  tibereinstimmenden  Angaben,  aus  zwei  Verknöcherungspunkten  sich  ent- 
wickelt, welche,  wenn  sie  zu  selbstständigen  Knochen  werden,  eben  jene  Ver- 
mehrung der  Carpusknochen  auf  9  bedingen.  Sehr  gründlich,  und  in  comparative 
Details  eingehend,  handelt  tiber  diesen  Gegenstand  Oruber,  (Secundäre  Hand- 
wurzelknochen) im  Archiv  für  Anat.  1866.  N.  6. 

Um  die  Handwurzel  als  Ganzes  kennen  zu  lernen,  muss  man  sie  an  einer 
gefassten  Hand  studiren.  Lose  Handwurzelknochen  machen  den  Anfängern  allzu- 
viel zu  schaffen.  Am  brauchbarsten  sind  jene  gefassten  Hände,  deren  Handwurzel- 
knochen  nicht  mit  Draht  unbeweglich  verbunden,  sondern  so  an  Darmsaiten 
aufgeschnürt  sind,  dass  sich  je  zwei  derselben,  in  zwei  auf  einander  senk-, 
rechten  Richtungen  von  einander  entfernen,  und  wieder  zusammenschieben  lassen. 

Wünscht  sich  Jemand  speciell  in  die  Beschreibung  der  Flächen  und  Rän- 
der einzelner  Handwurzelknochen  einzulassen,  so  findet  er  in  der  We herrschen 
Ausgabe  von  Hildebrandt's  Anatomie,  und  in  Henle's  Knochenlehre  die  weit- 
läufigsten Schilderunpren.  —  Es  ist  sehr  belehrend,  sich  nach  einem  guten  Vor- 
bilde in  der  Zusammenstellung  der  Handwurzelknochen  zu  üben,  die  rechten  von 
den  linken  unterscheiden  zu  lernen,  und  einen  senkrechten  Schnitt  durch  eine 
frische  Handwurzel  zu  logen,  um  die  Contactlinien  zu  sehen,  welche  durch  die 
Verbindung  beider  Handwurzolreihen  unter  sich,  und  mit  den  darüber  und  dar- 
unter liegenden  Knochen  zu  Stande  kommen.  Man  erhält  durch  die  Ansicht 
solcher  Schnitte  die  beste  Vorstellung  von  der  Beweglichkeit  beider  Handwurzel- 
reihen, und  von  der  Lagerung  des  zwischen  CapUitlum  ulnae  und  0»  hiqueinm 
eingeschalteten  Zwischenknorpels. 


336  §•  141-    Knochen  der  Hmnd. 


,  jB.    Zweite  Abtheilung.    Knochen  dei'  Mätelhand. 

Die  fünf  Mittel handknochen  ( Ossa  metacarpi)  liegen,  j enen 
des  Daumens  abgerechnet,  in  einer  Ebene  neben  einander,  nehmen 
vom  Zeigefinger  gegen  den  kleinen  Finger  an  Länge  und  Stärke 
ab,  und  bilden  den  breitesten,  aber  auch  den  unbeweglichsten  Theil 
der  Hand.  Sie  werden  vom  Daumen  gegen  den  kloinen  Finger  ge- 
zählt. Jeder  Mittelhandknochen  hat  ein  oberes,  einfach  schräg 
abgestutztes  (wie  beim  3.,  4.  und  5.),  oder  winklig  eingeschnittenes 
Ende  (wie  beim  2.),  welches  Basis  heisst.  Die  nach  oben  gegen 
den  Carpus  gekehrte,  grösste  Fläche  der  Basis  ist  ttberknorpelt, 
und  setzt  sich  in  kleinere,  an  der  Radial-  und  Uluarseite  der  Basis 
befindliche  Gelenkflächen  fort.  Das  untere  Ende  ist  sphärisch 
convex  (CapiUdnm),  mit  einem  Grilbchen  an  der  Radial-  und  Uluar- 
seite für  Bandanheftung.  Das  Mittelst  tick  ist  dreikantig-prisma- 
tisch. Die  Dorsalseite  finden  wir  an  allen  massig  convex,  die  ihr 
gegenüberstehende  Volarkante  concav  gekrümmt. 

Der  Mittelhandknochen  des  Daumens  (Os  metacarpi  poUicis) 
unterscheidet  sich  von  den  übrigen  durch  seine,  mit  einer  sattel- 
förmigen Gelenkfläche  versehene  Basis,  sein  von  oben  nach  unten 
flachgedrücktes,  breites  Mittelstück,  wodurch  er  einer  Phalanx  prima 
eines  Fingers  ähnlich  wird,  ferner  durch  seine  Kürze  und  seine  ab- 
weichende Lage,  da  er  mit  den  übrigen  nicht  in  einer  unveränder- 
lichen Ebene  liegt,  sondern  frei  beweghch  ist. 

• 
C.    Lhifte  Abtheibmg,    Knochen  der  Finger. 

Die  Knochen  der  Finger,  Phalanges  digitorum  manus  8,  Inter- 
nodia  (^aXr;;,  eine  Reihe  oder  Folge),  sind,  trotz  ihrer  Kürze,  den- 
noch den  langen  Knochen  beizuzählen,  da  sie,  wie  diese,  im  jün- 
geren Alter  einen  Körper  und  eine  Epiphyse  (und  zwar  nur  eine 
obere)  besitzen. 

Der  Daumen  hat  zwei,  die  vier  übrigen  Finger  drei  Phalangen 
oder  Glieder.  Da  die  Fingergelenke,  ihrer  fühlbaren  Aufgetrieben- 
heit  wegen,  bei  Celsus  Nodi  heissen,  so  werden  die  Phalangen 
bei  älteren  Autoren  auch  häufig  Interwtdia  genannt.  Die  Nodi  sind 
die  Ursache,  warum  an  magt^nm  oder  abgezehrten  Händen,  bei 
aneinander  geschlossenen  Fingern,  spaltförmige  Räume  zwischen 
den  Gliedern  je  zweier  benachbarter  Finger  klafi'en.  Alle  Phalan- 
gen sind  oblong,  der  Länge  und  Breite  nach  massig  gebogen,  mit 
einer  dorsalen  convexen,  und  volaren  concaven  Fläche,  zwei  Seiten- 
rändern, einem  oberen  und  unteren  Ende  versehen.  Das  obere 
Ende  heisst,  wie  bei  den  Mittelhandknochen,  Basis.  Das  erste 
Glied   jedes   Fingers    hat    an    seinem   oberen  Ende    eine   einfache 


§.  141.   Knochen  der  Hand.  337 

concave  Gelenkflächc,  —  den  Abdruck  des  Capitidum  des  zuge- 
hörigen Mittelhandknoehens.  Sein  unteres  Ende  zeigt  zwei,  durch 
einen  Einschnitt  getrennte,  überknorpelte  Condyli,  welche  zusammen 
eine  Art  von  Rolle  bilden,  und  seitwärts  noch  zwei  rauhe  Grübchen, 
Zur  Befestigung  der  Seitenbänder.  —  Das  zweite  Glied,  welches 
am  Daumen  fehlt,  hat  am  oberen  Ende  zwei  flache,  durch  eine 
Erhöhung  geschiedene  Vertie^ngen,  zur  Aufnahme  der  Rolle  am 
unteren  Ende  des  ersten  Gliedes,  —  am  unteren  Ende  besitzt  es 
eine  Rolle,  wie  das  erste.  —  Das  dritte  Glied,  —  am  Daumen 
das  zweite,  —  hat  oben  zwei  Vertiefungen,  unten  läuft  es  in  eine 
rauhe,  huf-  oder  schau^elförmige  Platte  aus.  Es  wurde  sehr  unpas- 
send mit  einer  Pfeilspitze  verglichen.  Die  Länge  der  Glieder  ninunt, 
so  wie  ihre  Breite  und  Stärke,  vom  ersten  zum  dritten  ab.  Die 
französischen  Anatomen  gebrauchen  für  1.,  2.  und  3.  Fingerglied 
die  Ausdrücke  pkcUange,  phalanginey  und  phalangette  (Chaussier). 

Ist  der  Daumen  zwei-  oder  dreigliedrig?  Dem  Nichtanatomen,  welcher 
feinen  Daumen  unbedingt  Hir  zweigliedrig  hält,  erscheint  diese  Frage  überflüssig, 
wo  nicht  absurd.  Anatomen  denken  anders.  Galen  hielt  das  Os  metacarpi  pol- 
UcU  für  die  erste  Phalanx  des  Daumens,  welcher  somit,  wie  jeder  andere  Finger, 
drei  Phalangen,  aber  keinen  Mittelhandknochen  hätte,  —  eine  Ansicht,  welche 
in  Vesal,  Duvcruey,  Bertin,  Cheselden  und  J.  Bell  Anhänger  fand. 
Durch  sein  Exterieur  verräth  sich  das  Os  metacarpi  polUcM  gewiss  als  naher 
Vetter  eines  ersten  Fingergliedes.  Seine  grosse  Beweglichkeit  unterscheidet  es 
fimctionell  von  den  Mittolhandknochen,  und  seine  Entwicklung  erfolg^  nach  dem- 
selben Gesetze,  wie  die  jeder  Phalanx  prima,  .Jede  Phalanx  prima  nämlich  ent- 
steht aus  zwei  Ossilicationspunkten ,  einem  oberen  und  unteren.  Letzterer 
wird  zu  Ende  des  dritten  Embryo  -  Monats  in  der  knorpeligen  Grundlage  des 
Mittelstückes  niedergelegt;  erstens  bildet  sich  erst  im  fünften  Lebensjahre  im 
oberen  Ende,  und  bleibt  bis  zum  Puhcrtätseintritt,  oft  auch  noch  länger,  mit 
dem  Mittelstücke  unverschmolzen.  Das  untere  Ende  erhält  keinen  besonderen 
Knochenkeni.  Genau  so  verhält  es  sich  mit  dem  Metacarpus  des  Daumens,  wäh- 
rend die  Metacarpusknochen  der  übrigen  Finger,  im  Anfange  des  dritten  Embryo- 
Monats  einen  Ossificationspunkt  im  Mittelstück,  und  schon  im  zweiten  Lebens- 
jahre einen  Knochenkeni  für  das  untere  Ende  (Capitulum),  aber  keinen  für 
das  obere  Ende  erhalten.  Auch  das  Ernährungsloch  des  sogenannten  Metacarpus 
des  Daumens  weicht  von  jenem  der  übrigen  Metacarpi  darin  ab,  dass  es  nicht, 
wie  bei  diesen,  nach  aufwärts,  sondern,  wie  bei  den  Phalangen,  nach  abwärts 
gerichtet  ist.  Morphologisch  ist  somit  der  Daumen  dreigliedrig,  aber  metacar- 
puslos,  und  betrachtet  man  die  Bewegungen  der  Finger  und  des  Daumens  als 
Ganzes  an  der  eigenen  Hand,  so  zeigt  es  sich,  dass  bei  den  ersteren  die  Meta- 
carpusknochen ruhen,  bei  den  letzteren  aber  der  sogenannte  Metacarpus  des 
Daumens  alle  Bewegungen  der  beiden  Phalangen  mitmacht  Es  bleibt  natürlich 
Jedem  unbenommen,  an  die  Zweigliedrigkeit  seines  Daumens  zu  glauben,  und 
auch  dieses  Lehrbuch  theilt  die  Ansicht  der  Zweigliedrigkeit,  wenn  nicht  aus 
Ueberzeugung,  doch  aus  Rücksicht  gegen  die  allgemeine  Meinung,  welcher  Viele 
huldigen,  ohne  im  Geringsten  an  ihre  Unfehlbarkeit  zu  glauben.  Mehr  hierüber 
enthält  Uffelmann,  der  Mittelhandknochen  des  Daamens,  Oött.  1868. 


Uyrtl,  Lehrbach  der  Anmtomi«. 


338  §•  1^-   Binder  d«r  Hand. 


§.  142.  Bänder  der  Hand. 

A.  Bänder  der  Handwurzel. 

Die  Bewegungen;  welche  die  Hand  als  Ganzes  aosftlhrt,  sind 
1.  Beugung  und  Streckung,  2.  Zuziehung  und  Abziehung,  3.  Supi- 
nation  und  Pronation.  Nur  die  beiden  ersten  Bewegungen,  1  und  2, 
geschehen  im  Gelenke  zwischen  dem  unteren  Ende  des  Vorder- 
arms und  den  drei  ersten  Handwurzelknochen  —  Articulatio  carpu 
Sie  können  in  ziemlich  grossem  Maassstabe  ausgeführt  werden.  Vom 
Maximum  der  Beugung  bis  ztmi  Maximimi  der  Streckung  beschreibt 
die  Hand  einen  Bogen  von  180®,  von  der  grössten  Zuziehung  bis 
zur  grössten  Abziehung  einen  Bogen  von  80®.  Die  Abziehung  (Sei- 
tenbewegung nach  der  Ulna  zu)  ist  mehr  gestattet  als  die  Zuziehung 
(Seitenbewegung  nach  dem  Radius  zu),  weil  der  zwischen  Ulna  und 
Os  triquetrum  eingeschaltete  Knorpel  eine  Compression  erlaubt.  Ein- 
und  Auswärtswendung  der  Ha^^d  geschieht  nicht  in  dem  Handwur- 
zelgelenk, sondern,  wie  im  §.  140  gezeigt  wurde,  im  oberen  Dreh- 
gelenk des  Radius  mit  der  Ulna,  also  im  Ellbogengelenk. 

1.  ÄHicmlatio  radio-ulnarU  inferim\ 

Am  unteren  Ende  beider  Vorderarmknochen,  ereignet  sich 
folgende  eigenthümliche  Gelenkverbindung  derselben  unter  sich. 
Das  untere  Ende  des  Radius  stösst  mit  seinen  beiden  Gelenk- 
facetten direct  auf  die  zwei  ersten  Knochen  der  oberen  Hand- 
wurzelreihe (Kahn-  und  Mondbein).  Das  untere  Ende  der  Ulna 
dagegen  reicht  nicht  so  weit  herab,  um  den  dritten  Knochen 
der  oberen  Handwiirzelreihc  (dreieckiges  Bein)  zu  berühren.  Die 
Berührunp^  wird  nur  durch  die  Dazwischenkunft  eines  Knorpels 
vermittelt.  Dieser  erstreckt  sich  vom  kurzen  (hinteren)  Rande  der 
unteren  Gelenkflächc  des  Radius  gegen  den  Processus  sfylaideus 
ulnae,  an  welchen  er  durch  ein  kurzes  Band  (seiner  Farbe  wegen 
Ligamentum  subcruentum  genannt)  geheftet  wird.  Der  Zwischen- 
knorpel hat  nun  eine  obere  und  untere  Fläche.  Erstere  bildet 
mit  Hilfe  der  Incisiira  semilunarLs  am  unteren  Ende  des  Radius, 
eine  Nische  ftir  das  Capitnlum  ulnae;  letztere  liegt  in  der  Verlän- 
gerung der  unteren  (lelenkfläche  des  Radius,  und  stcisst  an  den 
dritten  Knochen  der  oberen  Handwurzelreihe.  Eine  weite  Kapsel 
(Membrana  saccifomiis)  nimmt  das  Capittdtim.  ulnae,  die  Incisura 
semüunaris  radii,  und  die  obere  Fläche  des  Zwischonknorpels  in 
ein  gemeinschaftliches  Cavum  auf. 

Der  ZwiBchonknorpel  ist  nach  Hcnle  ciue  wirkliche  Verlängerung  des 
Gclenkknorpels  am  unteren  Ende  des  Radius.  Man  findet  ihn  öfter,  besonders 
hei  filteren  Individuen,  in  der  Mitte  durchbrochen,  wodurch  die  Articulatio  radio- 


§.  142.   Bänder  der  Hftnd.  339 

ulnaru  m/erior  mit  der  g^leich  zu  schildernden  ArticuUUio   braehuhcarpea  in  Höh- 
lencommnnication  zu  stehen  kommt. 

2.  Articulatio  brachio-carpea* 

Die  freie  Beweglichkeit  der  Handwurzel  am  Vorderarm  be- 
dingt eine  laxe  fibröse  Kapsel  (Ligamentum  capsulare  articula- 
tionis  brachw-carpecLe),  welche  von  dem  Umfang  der  unteren  Gelenk- 
fläche des  Radius  und  des  dreieckigen  Zwischenknorpels  entspringt^ 
und  sich  an  der  Peripherie  des,  durch  die  oberen  Flächen  der  drei 
ersten  Handwurzelknochen  gebildeten  Kopfes  befestigt.  Das  Os 
pisifarme  wird  nicht  in  die  Höhle  dieser  Kapsel  einbezogen,  sondern 
articulirt,  für  sich,  mit  einer  kleinen  Gelenkfläche,  an  der  Ulnarseite 
des  Os  triquetrum.  Die  Synovialhaut  Aer  Articulatio  brachio-carpea 
setzt  sich  in  die  Fugen  zwischen  den  drei  ersten  Carpusknochen 
nicht  fort.  —  Die  Volarseite  der  fibrösen  Kapsel  wird  durch  zwei 
Bänder  verstärkt^  welche  vom  Radius,  und  von  dem  Zwischenknor- 
pel zwischen  Köpfchen  der  Ulna  und  Os  triquetrum,  zu  den  drei 
ersten  Handwurzelknochen  in  gerader  und  schiefer  Richtung  laufen 
{Ligamentum  accessorium  rectum  et  ohliquum).  An  der  Dorsalseite  der 
Kapsel  liegt  das  breitere  Ligamentum  rhomboideum^  vom  Radius  zum 
Os  lunatum  und  triquetrum  gehend;  —  vom  Griffelfortsatz  des  Ra- 
dius zum  Kahnbein  erstreckt  sich  das  Ligamentum  laterale  radiale^ 
und  vom  Griffelfortsatz  der  Ulna  zum  dreieckigen  Bein  das  Liga- 
mentum laterale  ulnare  s.  Funicülus  ligamentostts.  Man  kann  die  Arti- 
culatio hrachio'Carpea  eine  beschränkte  Arthrodie  nennen,  da  sie 
Beugung  und  Streckung,  Zu-  und  Abziehung  der  Hand,  aber  keine 
Axendrehung  vermittelt. 

Gewöhnlich  passirt  die  Articulatio  brachio-carpea  kurzweg  als  ArticuUUio  earpi. 

3.  Articulatio  intercarpea. 

Die  erste  und  zweite  Handwurzelreihe  bilden  unter  einander 
die  Articulatio  intercarpea.  Sie  sind  durch  keine  eigentliche  fibröse 
Kapsel,  wohl  aber  durch  eine  Synovialkapsel  mit  einander  vereinigt, 
welche  nicht  nur  die  einander  zugekehrten  Flächen  beider  Knochen- 
reihen überzieht,  sondern  selbst  in  die  Fugen  zwischen  den  Hand- 
wurzelknochen bis  auf  eine  gewisse  Tiefe,  so  weit  sie  nämlich 
tiberknorpelt  sind,  eindringt.  Darum  sieht  man,  nach  Eröffnung  der 
Synovialkapsel,  Spalten  zwischen  diesen  Knochen.  Kurze  und  straffe 
Bänder,  welche  an  der  Dorsal-  und  Volarseite  der  Handwurzel  von 
der  ersten  Reihe  zur  zweiten  laufen,  beschränken  die  Beweglichkeit 
dieses  Gelenkes  so  sehr,  dass  nur  eine  geringe  Beuge-  und  Streck- 
bewegung übrig  bleibt,  Zuziehung  und  Abziehung  aber,  wie  schon 
aus  der  wellenförmigen  Begrenzungslinie  beider  Ejiocheiireihen  zu 
entnehmen  war,  ganz  ausgeschlossen  wird.  —  TT« 
Verstärkungsbändem  der  Articulatio  iniereff 


340  S-  1^2-   Bänder  der  Huid. 

dem  Erbsenbein  und  dem  Haken  des  Hakenbeins  (Ligamentum  piso- 
uncinatum)  das  stärkste.  Das  Ligamentum  carpi  iransversum,  welches 
die  Endpunkte  der  zwei  Handwurzelbogen  mit  einander  verbindet, 
geht  über  die  coneave  Seite  dieser  Bogen  wie  eine  Brücke  weg, 
und  verwandelt  sie  in  einen  theils  knöchernen,  theils  ligamentösen 
Kanal,  dessen  schon  bei  der  Betrachtung  der  Handwurzelknochen 
erwähnt  wurde. 

Ueberdies  werden  auch  die  seitlichen  Contactflächen  der  Handwnrzelkno- 
chen  (mit  Ausnahme  des  Erbsenbeins),  so  weit  sie  nicht  überknorpelt  sind,  durch 
kurze,  stramme,  und  starke  Bandfasem  —  lAgamenta  nUerottea  —  zusammen^ 
gehalten. 

B.  Bändel*  der  Mittelhand. 

Eine  sehr  dünne  fibröse  Kapsel  mit  zahlreichen  Verstärkungs- 
bändem  verbindet  die  Basen  der  vier  letzten  Mittelhandknochen 
mit  der  zweiten  Han^wurzelreihe  zur  festen  und  sehr  wenig  Be- 
weglichkeit zeigenden  ArticukUio  caiyo-metacarpea.  Die  Synovial- 
kapsel  dieses  Gelenks  schickt  faltenartige  Verlängerungen  zwischen 
die  kleinen  Gelenkflächen  an  den  Seiten  der  Basen  der  Mittelhand- 
knochen. Kurze  und  straffe  Verstärkungsbänder,  welche  von  den 
Knochen  der  zweiten  Handwurzclreihe  zu  den  Basen  der  Mittel- 
handknochen  laufen,  kräftigen  die  Verbindung  des  Mctacarpus  mit 
dem  C-ar|)U8,  so  wie  andererseits  die  zwischen  den  Basen  je  zweier 
Metacarjiusknochen  quergeapanntcn  Ligamenta  htminn  fforsalin  et 
voUivlay  die  wochselsoitige  Verbindung  derselben  zu  einer  kaum 
beweglichen  machen.  -  Auch  die  Oapituln  der  vier  letzten  Meta- 
carpusknochen  sind  an  dor  Volarseite  durch  QufTbändcT  mit  ein- 
ander verbunden,  welche  oinige  Nachgiebij^keit  haben,  und  den 
Metacarpusknochen  gestatten ,  i)(?im  Aufstemmen  der  Flachhand 
auf  eine  Unterlage,  mit  ihren  Kr»pfchen  etwa«  auseinander  zu  wei- 
chen, was  die  Basen  7iieht  können.  -  Das  ()s  vietacarpi  des  Dau- 
mens bildet  mit  dem  O«  mnltangnlum  vuijva  <Mn  durch  die  Gestalt 
der  Gelenkflächen  und  durch  die  Wc;ite  der  Kapsel  bedingtes  selbst- 
ständiges Sattelgelenk,  welchc^s  Beugung  U7id  Streckung  des  Dau- 
mens, nebst  Zu-  und  Abziehung  gestattet.  —  Die  übrigen  Artiat- 
lationes  carpo-metacnrpt'ae  stellen  nur  in  einem  Minimum  bewegliche 
Amphiarthrosen  vor.  -  Das  Gelenk  der  })eiden  letzten  Metacar- 
pusknochen mit  dem  Ilakenbein  besitzt  zuweilen  eine  besondere 
Synovialkapsel. 

A.  Fiek^  die  Gelenke  mit  sattelförmigen  Flächen,  in  Ilenle  und  P/euffer*n 
Zeitschrift,  1854. 


S.  14S.   Binder  der  Hand.  341 


C,  Bänder  der  Fingerglieier. 

Wir  unterscheiden  an  jedem  Finger  eine  ÄHiculatio  meta- 
carpO'phcdangeay  dann  eine  erste  und  eine  zweite  Articulatio  intei*- 
phaUmgea. 

Die  Articulatio  metacarpo-phalangeay  zwischen  dem  kugeligen 
Capitulum  des  Metacarpus  und  der  flachen  Grube  am  oberen  Ende 
der  Pfwlanx  primae  ist  fttr  den  Zeige-,  Mittel-,  Ring-  und  Ohrfinger 
eine  Arthrodie,  welche  Beugung  und  Streckung,  Zu-  und  Abziehung, 
aber  keine  Axendrehimg  des  Fingers  erlaubt,  während  das  mehr 
quergezogene,  walzenförmige  Capitulum  des  Metacarpus  des  Dau- 
mens, der  zugehörigen  Fhalanx  p^ima  nur  eine  Beug-  und  Streck- 
bewegung gestattet,  also  ein  Winkelgelenk  bedingt,  wie  es  an  den 
übrigen  Fingern  zwischen  der  ersten  imd  zweiten  Phalanx  vor- 
kommt. Sämmtliche  Articulationes  inte^yhalangeae  zählen  zu  den 
Winkelgelenken. 

Alle  Fingergelenke  besitzen  fibröse  und  Synovialkapseln,  nebst 
zwei  Seitenbändem,  welche  aus  den  seitlichen  Grübchen  der  oberen 
Knochen  entspringen,  imd  am  Seitenrande  der  nächstfolgenden  en- 
digen. Für  die  ÄHiculatio  meincarpo-phakingea  sind  die  Seitenbänder 
sehr  schwach  und  dehnbar,  und  müssen  es  sein,  da,  wenn  sie  so 
stark  wären,  wie  am  2.  und  8.  Fingergelenk,  die  durch  die  Form 
der  Gelenkflächen  ji^egebene  Arthrodie  in  ein  Winkelgelenk  ein- 
geschränkt würde.  —  Die  Volarseiten  der  fibrösen  Kapseln  der 
Ai'tictilationes  metacciipo-phalangeae  werden  an  ihrer  unteren  Wand 
durch  Faserknorpelsubstanz  verdickt,  und  bilden  eine  Art  Rolle 
oder  Rinne,  in  welcher  die  Sehnen  der  Fingerbeuger  gleiten.  Man 
hat  allgeAiein  diese  verdickte  Stelle  des  Kapselbandes,  als  Liga" 
menttim  traiisveraiim  besclirieben.  In  der  Mitte  einzelner  Faserknor- 
pelplatten finden  sich  knöcherne  Kerne  eingewachsen,  welche  die 
Gestalt  einer  halben  Erbse,  oder  des  Samens  der  Sesampflanze 
haben  (Ostta  sesamoidm)^  und  mit  ihrer  glatten,  überknorpelten 
Fläche,  in  den  Gelenkraum  hineinschauen.  An  der  Volarseite  der 
Gelenkskapsel  zwischen  Metacarpus  und  Phalanx  prima  des  Dau- 
mens, finden  sich  constant  zwei '  neben  einander  liegende  Sesam- 
beine; am  ersten  Gelenke  des  Zeige-  und  Ohrfingers,  so  wie  am 
zweiten  Gelenke  des  Daumens  kommen  sie  ebenfalls,  aber  ein- 
fach, vor.    Bei   den  arabischen  Schriftsteilem  hiessen  sie  Albadara. 

Da  der  Metacarpus  des  Daumens  mit  dem  0»  muUangulum  majus  durch 
ein  einer  Arthrodie  sich  näherndes  Sattelgelenk,  und  mit  der  ersten  Phalanx 
durch  ein  Winkelgelenk  verbiinden  wird,  so  verhält  er  sich  auch  in  dieser  Be- 
ziehung mehr  wie  eine  Phalmtx  prima  der  tlbrigen  Finger. 


342  §•  1^*   Allgemein«  BemerkuiigeB  Aber  die  Hand. 

§.  143.   Allgemeine  Bemerkungen  über  die  land. 

Schulter,  Oberann  und  Vorderarm,  sind  nur  der  Hand  wegen 
geschaffen,  deren  Beweglichkeit  und  Verwendbarkeit  durch  ihre 
Befestigung  an  einer  langen  und  mehrfach  gegliederten  Knochen- 
säule erheblich  gewinnen  muss.  Das,  ohne  die  Sesambeine,  aus 
27  Knochen  bestehende,  und  durch  40  Muskeln  bewegliche  Skelet 
der  Hand,  in  welchem  Festigkeit  mit  geschmeidiger  und  vielseitiger 
Beweglichkeit  sich  auf  die  sinnreichste  Weise  combinirt,  bewährt 
sich  filr  die  roheste  Arbeit,  wie  ftlr  die  subtilsten  Hantierungen 
im  gleichen  Grade  geschickt,  und  entspricht  durch  seinen  wohlbe- 
rechneten Mechanismus  vollkommen  jener  geistigen  Ueberlegenheit, 
durch  welche  der  Mensch,  das  an  natürlichen  Vertheidigimgsmitteln 
ärmste  Geschöpf,  sich  zum  Beherrscher  der  lebenden  und  leblosen 
Natur  aufwuA. 

Die  Hand,  am  Ende  einer  langen  und  gegliederten  Knochen- 
säule befestigt,  reicht,  in  hängender  Armstellung,  bis  zur  Mitte  des 
Oberschenkels.  Weiter  herabreichende  Arme  haben  dem  Perser- 
könig Artaxerxes  zu  dem  Beinamen  hngimanusy  und  einer  russi- 
schen Fürstenfamilie  (deren  Stammvater  mit  dieser  Eigenthümlichkeit 
behaftet  war)  zu  dem  Namen  Dolgoruki  verhelfen.  Beim  Neger 
langt  die  Hand  constant  weiter  herab,  und  bei  gewissen  Affen  selbst 
bis  zur  Ferse.  Die  Verlängerung  betrifft  bei  beiden  vorzugsweise 
die  Vorderarme.  Ohne  Zweifel  ist  diese,  selbst  den  Negern  unan- 
genehm vorkommende  Aehnlichkeit,  der  Gnmd,  warum  sie,  wenn 
sie  unbeschäftigt  sind,  ihre  Hände  immer  vor  der  Brust  verschlun- 
gen halten.  Bei  den  ägyptischen  Mimiien  von  Jungfrauen  liegen 
die  Hände  vor  der  Scham  gekreuzt. 

Die  Hand  wird  durch  ihren  Hautüberzug,  besonders  in  der 
Hohlhand  (palma  von  xaXa[XY)),  mit  hoher  Empfindlichkeit  ausge- 
rüstet, und  erhebt  sich  zur  Bedeutung  eines  Tastorgans, 
welches,  naph  allen  Richtungen  des  Raumes  beweglich,  uns  von 
der  Ausdehnung  der  Materie  imd  ihren  physikalischen  Eigen- 
schaften belehrt.  Die  ältesten  Maassbestimmungen  {tdna,  Elle,  — 
spiihama,  Spanne,  —  poüex,  Zoll)  sind  deshalb  der  Länge  einzelner 
Handabtheilimgen  entnommen.  Die  Fähigkeit  der  Hand,  sich  zu 
einem  Löffel  auszuhöhlen,  imd  zu  einer  Schaufel  zu  strecken, 
bedingt  ihren  Gebrauch  zum  Schöpfen  und  Wühlen,  die  ge- 
krümmten Finger  bilden  einen  starken  und  breiten  Haken,  der 
beim  Klettern  die  trefflichsten  Dienste  leistet,  und  der  jedem 
anderen  Finger  entgegenstellbare  Daumen  wirkt  mit  diesem  wie 
eine  Zange,  die  zum  Ergreifen  und  Befühlen  kleiner  Gegen- 
stände benutzt  wird. 


S.  143.  Allgemein«  BemerlrangeB  über  die  Hand.  343 

In  dem  langen,  freibeweglicfaen  und  starken  Daumen  (pollex, 
von  poUere)  liegt  der  wichtigste  Vorzug  der  Menschenhand.  Er  krümmt 
sich  mit  Kraft  gegen  die  übrigen  Finger  zur  Faust;  PugnuSy  die 
zum  Anfassen  und  Festhalten  schwerer  Gegenstände  dient.  Der 
Daumen  leistet  hiebei  so  viel;  wie  die  übrigen  Finger  zusammen- 
genommen,  er  stellt  das  eine  Blatt  einer  Beisszange  vor,  deren 
anderes  Blatt  durch  die  vier  übrigen  Finger  gebildet  wird,  und 
fllhrt  deshalb  bei  AI  bin  den  Namen  manus  parva,  majori  adjittrix^ 
was  die  griechische  Bezeichnung  inix^^  noch  besser  ausdrückt. 
Eine  Hand  ohne  Daumen  hat  ihren  besten  Theil  eingebüsst,  und 
der  Chirurg  wird  mit  seiner  Entfernung  nicht  so  rücksichtslos  ver- 
fahren;  wie  mit  den  übrigen  Fingern.  Im  Mittelalter  wurde  das 
Abhauen  des  Daumens  als  Strafe  für  schwere  Verletzungen  verhängt 

Die  Afifenhand;  deren  Stummeldaumen  Eustachius  einen 
pollex  ridiculus  nanntC;  ist  ein  unvollkommener  organisirteS;  mecha- 
nisches Werkzeug;  als  die  Menschenhand;  das  Organon  organorum 
des  AnaxagoraS;  und  einige  Afifengattungen  entbehren  selbst 
der  OppositionsfUiigkeit  des  Daumens.  —  Die  ungleiche  Länge 
der  Finger  ist  filr  das  Umfassen  kugeliger  Formen  wohlbe- 
rechnet; imd  schliesst;  wenn  die  Finger  gegen  die  Hohlhand  ge- 
beugt und  zusammengekrümmt  sind;  einen  leeren  Kaum  ein  (wie 
z.  B.  beim  Fliegenfangen);  der  durch  den  Daumen  als  Deckel  ge- 
schlossen wird.  —  Die  aus  mehreren  Knochen  zusammengesetzte 
bogenförmige  Handwurzel  imterliegt  der  Gefahr  des  Bruches  weit 
weniger;  als  wenn  ein  einziger  gekrümmter  Knochen  ihre  Stelle 
einnähme.  Ihre  concave  Seite,  die  durch  das  starke  Ligamentum 
carpi  transversum  in  einen  Ring  umgebildet  wird;  schützt  die  Beuge- 
sehnen der  Finger  vor  äusserem  Druck.  Die  feste  Verbindung  der 
Mittelhand  mit  der  Handwurzel  macht  das  Stemmen  und  Stützen 
mit  den  Händen  möglich;  und  die  Längenkrümmung  der  einzelnen 
Metacarpusknochen ;  so  wie  ihre  Nebeneinanderlagerung  in  einer 
gegen  den  Rücken  der  Hand  convexen  EbenC;  erleichtert  die  Aus- 
höhlung der  Hohlhand  zum  poculum  Diogenis. 

In  der  Zehnzahl  der  t^nger;  welche  bei  den  ersten  Rech- 
nimgsversuchen  der  Menschen  zum  Zählen  diente;  liegt  gewiss  die 
anatomische  Ursache  unseres  jetzigen  Zahlen-Dekadensystems. 
Es  giebt  wilde  Völker;  welche  nur  nach  den  Fingern  bis  10;  andere 
welche;  mit  Hinzunahme  der  Zeheu;  nur  bis  20  zählen  können  (wie 
die  Nahoris);  und  für  alle  Zahlen  darüber  nur  Ein  Wort  haben: 
Viel  (Miribiri).  —  Die  grosse  Beweglichkeit  der  Finger,  und  die 
möglichen  zahlreichen  Combinationen  ihrer  Stellungen;  machten  sie 
zu  Vermittlem;  der  Zeichensprache;  ihre  tiefen  Trennungsspal- 
ten  erlauben  das  Falten  der  Hände ^  um  mit  doppelter  Kraft  zu 
drücken;  und  die  nur  im  Winkel  mtel]       ~  "^wei  letzten 


344  S-  1^-   Eintheilang  der  unteren  Exiremit&ten.   -    §.  145.   Hflftbein. 

Phalangen^  giebt  der  gebaUten  Faust  eine  Eraft^  die  einst  statt 
des  Rechtes  galt.  Wie  nothwendig  das  Zusammenwirken  beider  Hände 
zu  gewissen  Verrichtungen  wird,  beweist  das  alte  Sprichwort:  manus 
manum  lavat  Eine  fehlende  Hand  kann  deshalb  nur  unvollkommen 
durch  die  andere  Hand  ersetzt  werden,  und  der  Verlust  Einer  Hand 
wird  schwerer  gefühlt,  als  jener  eines  Auges,  da  zum  Sehen  unter 
allen  Verhältnissen  Ein  Auge  hinreicht.  —  Die  tausendfältigen  Ver- 
richtungen der  Hände  (Hantierungen),  die  die  Nothwendigkeit 
dictirt  und  der  Verstand  raffinirt,  und  die  ein  ausschliessliches 
Prärogativ  der  Menschen  sind,  werden  nur  durch  den  weise  be- 
rechneten Bau  dieses  Werkzeuges  ausführbar.  Wir  können  uns 
keine  Vorrichtung  denken,  durch  welche  die  mechanische  Brauch- 
barkeit der  Hand  auf  einen  höheren  Vollkommenheitsgrad  gebracht 
werden  könnte.  Jede,  wie  inmier  beschafifene  Zugabe  würde  eher 
hemmend  als  fördernd  wirken.  So  ist  z.  B.  ein  sechster  Finger 
wahrlich  keine  Vollkommenheit  der  Hand;  sonst  wtlrde  der  Besitzer 
desselben  nicht  wünschen,  dieser  Vollkommenheit  quitt  zu  werden, 
und  die  Chirurgen  würden  sich  nicht  dienstfreundlichst  beeilen,  sie 
wegzuschneiden. 


D.  Knochen  der  unteren  Extremitäten 

oder  Bauchglieder. 

§.  144.  Eintheilimg  der  unteren  Extremitäten. 

Die  untere  Extremität  besteht,  wie  die  obere,  aus  vier  beweg- 
lich verbundenen  Abtheilungen:  der  Hüfte,  dem  Oberschenkel,  dem 
Unterschenkel  und  dem  Fusse,  welcher  selbst  wieder  in  die  Fuss- 
wurzel,  den  Mittelfuss  und  die  Zehen  zerftillt. 

§.  145.  Hüftbein. 

Die  Hüfte  verhält  sich  zur  unteren  Extremität,  wie  die  Schul- 
ter zur  oberen.  Man  könnte  sie  deshalb  die  Schulter  der  unteren 
Extremität  nennen.  Sie  besteht  jedoch  nicht  aus  zwei  Knochen, 
wie  die  Schulter  der  oberen,  sondern  nur  aus  einem.  Dieser  ist 
das  Hüftbein  (Os  innominatum  s.  anonynium,  os  coxaej  os  pelvis 
latei'ale).  Beide  Hüftbeine  fassen  mit  ihren  Iiinteren  oberen  Stücken, 
das  Kreuzbein  zwischen  sich,  und  bilden  mit  ihm  den  Beckcngürtel 
oder  Beckenring.  Sie  sind  die  grössten  aller  Stammknochen,  und 
werden   in    drei   Theile    eingetheilt;    das    Darmbein,    Sitzbein    und 


§.  146.  Hüftbein.  345 

Schambein.  Nicht  die  Laune  der  Willkür  hat  diese  Eintheilung 
erdacht)  sondern  die  Entwicklungsgeschichte  des  Knochens  sie  auf- 
gestellt, indem  jedes  Hüftbein  beim  neugeborenen  Kinde  aus  drei, 
nur  durch  Knorpel  verbundenen  Stücken  besteht,  welche  die  oben 
angegebene,  allgemein  übliche  Eintheilung  veranlassten.  Um  die 
Zeit  des  Zahnwechsels  (7.  Lebensjahr)  beginnt  ihre  Verschmelzung, 
welche  jedoch  selbst  im  16.  Lebensjahre  noch  nicht  vollkommen 
beendet  ist.  Bei  zwei  Säugethieren  (dem  Schnabelthiere  und  der 
Echidna)  bleiben  diese  drei  Stücke  durch  das  ganze  Leben  ge- 
trennt. Hält  man  sich  an  die,  etwais  unter  der  Mitte  des  Knochens 
befindliche,  grosse  Gelenkgrube  (die  Pfanne),  so  liegt,  das  Darm- 
bein über  ihr,  das  Sitzbein  unter  ihr,  und  das  Schambein  an  ihrer 
inneren  Seite.  Alle  drei  genannten  Bestandtheile  der  Hüftbeine 
betheiligen  sich  an  der  Bildung  der  Pfanne,  und  man  kann  es  an 
einem  jüngeren^  Exemplare  des  Knochens,  wo  noch  die  Knorpel 
zwischen  den  drei  Bestandtheilen  der  Hüftbeine  existiren,  sehr  gut 
absehen,  dass  das  Darmbein  die  obere,  das  Sitzbein  die  untere,  und 
das  Schambein  die  innere  Wand  der  Pfanne  bildet. 

A.  Das  Darmbein,  Os  ilei  s.  iliumy  führt  diesen  Namen,  weil 
es  mit  seiner  inneren,  concaven  Fläche,  jenen  Theil  des  dünnen 
Gedärmes  trägt,  welcher  ileum  heisst  Dick  an  seiner  Basis,  welche 
die  obere  Wand  der  Pfanne  bildet,  gewinnt  es  nach  oben  zu  die 
Gestalt  einer  breiten,  in  ihrer  Mitte  durchscheinend  dünnen,  dem 
verbogenen  Kamme  eines  antiken  Helmes  nicht  unähnlichen  Platte, 
an  welcher  man  eine  äussere  und  innere  Fläche,  und  einen  dicken 
Begrenzungsrand  unterscheidet.  Die  äussere  Fläche  ist  an 
ihrem  vorderen  Abschnitt  convex,  am  hinteren  concav,  und  besitzt 
eine,  selbst  bei  älteren  Individuen  nicht  immer  scharf  ausgeprägte, 
mit  dem  oberen  Rande  des  Darmbeins  nicht  parallel  laufende  Linie 
(Linea  semicircularis  8.  arctiata  externa^  als  die  ürsprungsgrenze 
des  Musculus  glutaetis  minimus.  Sonst  ist  diese  Fläche  glatt,  mit 
einem  grossen  Emährungsloch  in  ihrer  Mitte,  und  mehreren  kleineren 
gegen  den  Rand  zu.  Die  innere  Fläche  wird  durch  einen  schräg 
von  hinten  nach  vom  und  unten  gehenden,  schneidend  zulaufenden 
Winkelvorsprung  (Linea  arcuata  interna)  in  eine  kleinere  untere, 
und  viel  grössere  obere  Abtheilung  gebracht.  Die  untere  hilft 
die  Seitenwand  des  kleinen  Beckens,  und  zugleich  den  Grund 
der  Pfanne  bilden;  die  obere  ist  an  ihrer  vorderen  Hälfte  concav 
und  glatt  (Fossa  ilicuxi)y  an  ihrer  hinteren  Hälfte  mit  einer  beknor- 
pelten  ohrmuschelförmigen  Verbindungsstelle  für  die  ähn- 
lich gestaltete  Fläche  am  breiten  Seitenrande  des  Kreuzbeins,  und 
hinter  dieser  mit  einem  umftlnglichen,  rauhen  Höcker  (Tuherositas 
ossis  ilei)  versehen.  —  Der  Begrenzungsrand  des  Darmbeines  zer- 
fällt 1.  in  den  oberen  Band  oder  Kamm  (Owia  aesia  üei)y  welcher 


346  §•  1^*  Hflftbdn. 

eo  wie  die  äussere  Fläche  des  Darmbeins^  vom  nach  aussen^  und 
hinten  nach  innen^  also  S-förmig  gekrümmt  ist;  und  eine  äussere^ 
mittlere  und  innere  Lefze  fUr  die  Befestigung  der  drei  breiten 
Bauchmuskebi  besitzt;  2.  in  den  vorderen  und  hinteren  Kand^ 
welche  beide  kurz  und  nicht  so  dick  sind^  wie  die  Crista^  und  fast 
senkrecht  von  den  Endpunkten  der  Crista  abfallen.  Jeder  derselben 
besitzt  einen  halbmondft^rmigen  Ausschnitt^  flacher  und  länger  am 
vorderen  Rande,  am  hinteren  tiefer  und  kürzer.  Die  Ecken  der 
Ausschnitte  heissen  Spimxey  und  es  muss  somit  eine  Spina  anterior 
superior  et  inferior^  desgleichen  eine  Spina  posterior  superior  et  inferior 
geben.  Der  .hintere  Rand  führt  unter  der  Spina  posterior  inferior  zu 
einem  tiefgehöhlten  Ausschnitt  {Ineisura  ischiadica  major  s.  iliaca)^ 
welcher  sich  bis  zum  später  zu  erwähnenden  Stachel  des  Sitzbeins 
heraberstreckt. 

B.  Das  Sitzbein,  Os  ischii  s.  coxendicis  (ia)retv  xa^fjievou;,  quod 
sedentes  sustineaty  RioL)y  wird  in  den  Körper,  den  absteigenden, 
und  aufsteigenden  Ast  eingetheilt.  Der  Körper  bildet  die  untere 
Wand  der  Pfanne,  ist  dreiseitig,  und  hat  an  seinem  hinteren  Rande 
einen  Sporn  oder  Stachel  {Spina  ossis  ischii)^  welcher,  mit  der  Spina 
ossis  ilei  posterior  inferior,  die  oben  genannte  Inciswra  ischiadica  major 
s.  ilüica  begrenzt.  Der  absteigende  Ast  {Ramus  descendens)^  ist 
eine  Fortsetzung  des  Körpers,  dessen  drei  Flächen  er  beibehält. 
Er  endigt  nach  unten  mit  dem  dicken  und  rauhen  Sitzknorren 
(Tuberositas  ossis  ischii) y  zwischen  welchem  und  der  Spina  ischii  die 
seichte  Ineisura  ischiadica  minor  liegt.  Der  aufsteigende  Ast 
(Ramus  ascendens)  erhebt  sich  vom  Sitzknorren  nach  innen  und 
oben,  ist  von  vom  nach  hinten  flachgedrückt,  mit  vorderer  und 
hinterer  Fläche,  nebst  einem  inneren  stumpfen,  und  äusseren  schar- 
fen Rande. 

C.  Das  Schambein,  Os  pubis  s,  pectinisy  zerMlt  in  einen 
horizontalen  und  absteigenden  Ast.  Der  horizontale  Ast 
bildet  mit  seinem  äusseren  Ende  die  innere  Pfannenwand,  und  stösst 
an  seinem  inneren  Ende  durch  eine  breite,  rauhe  Verbindungsflächc, 
und  darauf  haftenden  Faserknorpel,  mit  dem  gleichnamigen  Kno- 
chen der  anderen  Seite  zusammen.  Die  Stelle,  wo  das  äussere  Ende 
des  horizontalen  Astes  sich  mit  dem  Pfannenstück  des  Darmbeins 
(Basis)  verbindet,  bleibt  durch  das  ganze  Leben  als  ein  rauher, 
von  vom  nach  hinten  gerichteter  Aufwurf  oder  Rücken  kennbar, 
der  gewöhnlich  Tubei^ctdum  ileo-pectineumy  passender  jedoch  Tuber- 
ctdum  ileo-pubicum  genannt  wird.  Der  horizontale  Ast  stellt  ein 
kurzes,  dreiseitiges  Prisma  dar,  dessen  Flächen,  weil  das  äussere 
und  innere  Ende  dicker  sind  als  das  Mittelstück,  sämmtlich  etwas 
concav  sein  müssen.  Die  Concavität  zeigt  sich  besonders  an  der 
unteren  Fläche  so   sehr  ausgesprochen,  dass  einige   Anatomen  sie 


S-  l^'   Hflftbein.  347 

mit  dem  Namen  einer  Furche  belegen,  deren  Richtung  von  aussen 
und  oben  nach  innen  und  unten  geht.  —  Von  den  drei  Winkebi  ist 
der  obere  der  schärfste,  imd  heisst  Schambeinkamm  (Pecten 
8.  Qrista  ossis  pvbis).  Er  setzt  sich  nach  aussen,  hmter  dem  Tttber- 
ctdum  ileo-pvhicum,  in  die  Linea  arcuaia  vüema  des  Darmbeins  fort, 
und  endigt  nach  innen  am  Schambeinhöcker  {Tvherculum  pubi- 
cum). Die  beiden  unteren  Ränder  setzen  sich  ohne  Unterbrechung 
in  die  Ränder  des  vom  Sitz-  und  Schambein  umschlossenen,  grossen 
Loches  {Foramen  obturatum  8.  ovale)  fort,  und  zwar  der  vordere 
untere  in  den  äusseren,  der  hintere  untere  in  den  inneren  Rand 
des  Loches.  Vom  inneren  Ende  des  horizontalen  Astes  wächst  der 
absteigende  Ast  dem  aufsteigenden  Sitzbeinaste  entgegen,  und 
verschmilzt  mit  ihm.  Er  hat,  wie  dieser,  eine  vordere  und  hintere 
Fläche,  einen  äusseren  und  inneren  Rand. 

Der  Winkel,  unter  welchem  der  absteigende  Schambeinast  zum  horiKon- 
talen  steht,  heisst  Angulua  OiHa  pubisj  zum  Unterschied  des  Angttku  otnum  pubia, 
unter  welchem  man  den  Raum  versteht,  der  zwischen  den  absteigenden  Aesten 
beider  Schambeine  enthalten  ist,  und  welcher,  weil  er  besonders  im  mXnnlicheu 
Geschlecht  sich  nach  oben  zuspitzt,  immerhin  ein  Ängulus  09num  pubU  genannt 
werden  kann.  Bei  Weibern,  wo  dieser  Winkel  zum  Bogen  wird,  heisst  er  Arcu9 
ossium  pubis. 

Wo  die  drei  Stücke  des  Hflftbeins  zusammenstossen,  liegt  die 
tiefe,  sphärisch  gehöhlte  Gelenkgrube  zur  Aufnahme  des  Ober- 
schenkelkopfes —  die  Pfanne,  Acetahulum  8.  Cotyle,  an  Grösse 
und  Form  den  Essigschälchen  der  alten  Römer  gleich  —  inde  nomen. 
Ihre  rauhe  Umgrenzung  (Supercilium  acetabuli)  bildet  keine  voll- 
kommene Kreislinie,  sondern  wird  an  der  inneren  und  unteren 
Peripherie  durch  die  Incisura  acetabuli  ausgeschnitten.  Die  innere 
Oberfläche  der  Pfanne  ist  nicht  durchaus  überknorpelt,  sondern 
zeigt  an  ihrem  Grunde  eine  knorpellose,  vertiefte  Stelle  (Fo88a  a^e- 
tabvli)y  welche  sich  bis  zur  Incisura  aceiaindi  ausdehnt,  und  gegen 
das  Licht  gehalten,  meistens  matt  durchscheinend  getroffen  wird. 

Einwärts  von  der  Pfanne,  und  etwas  tiefer  als  diese,  Uegt  das 
sogenannte  Verstopfungsloch  {Foramen  oi^wratorium,  besser  ohtv/- 
ratum  oder  ovale),  welches  durch  die  Aeste  des  Sitz-  und  Scham- 
beines umgeben  wird,  und  genau  betrachtet,  besonders  an  Individuen 
weiblichen  Geschlechts,  eine  dreieckige  Form  mit  abgerundeten 
Winkeln  hat.  Im  männlichen  Geschlechte  erscheint  das  Loch  von 
mehr  ovaler  Gestalt  Die  Umrandung  des  Loches  bildet  keine  in 
sich  selbst  zurücklaufende  Linie,  indem,  wie  oben  bemerkt  wurde, 
der  äussere  Rand  des  Loches  in  den  vorderen  imteren  Rand  des 
horizontalen  Schambeinastes,  und  der  innere  Rand  in  den  hinteren 
unteren  Rand  des  Schambeinastes  übergeht.  Dadurch  geschieht  es, 
dass  die  untere,  furchenähnlich  stark  ausgehöhlte  Fläche  dea 


348  §•  1^-   VerbindiiBg«n  der  HOflbeine. 

zontalen  Schambeinastes^  mit  ibrer  ganzen  Breite  die  obere  Umran- 
dung des  Verstopfimgslocfaes  bildet. 

Das  Studium  des  Hüftbeius  macht  den  AnfKngern  einige  Schwierigkeit,  da 
an  den  Knochen  Erwachsener,  deren  sie  sich  bedienen,  die  Trennungsspuren  der 
einzehien  embryonalen  Stücke  nicht  mehr  abzusehen  sind.  Ich  empfehle  deshalb, 
zur  besseren  Orientirung,  diese  Trennungslinien  am  ausgebildeten  Knochen  auf 
folgende  Weise  zu  verzeichnen.  Man  beschreibt  mit  Tinte  oder  Bleistift  eine 
über  das  Thtberadum  üeo-ptihicum  und  nach  seiner  Richtung  laufende  Linie,  ver- 
längert sie  über  den  Anfang  der  Linea  areiiata  inteima  eine  Querfingerbrcito  nach 
abwärts  auf  die  hintere  (innere)  Fläche  des  Knochens,  und  lässt  sie  dann  in 
zwei  Schenkel  divergprcn,  deren  einer  nach  aussen,  zur  Mitte  der  Incmtra  i»chia- 
diea  mc^or^  der  andere  nach  innen,  zum  oberen  Dritttheil  des  äusseren  Randes 
des  Verstopfung^loches  geführt  wird.  Diese  ges]>alteno  Linie  wird  die  Gestalt 
eines  umgekehrten  Y  haben,  und  an  der  inneren  Oberfläche  des  Hüftbeins  die 
Verwachsungsstelle  seiner  drei  Stücke  angeben.  Um  sie  auch  an  der  äusseren 
Oberfläche  des  Knochens  darzustellen,  verlängert  man  das  vordere  Ende  der 
längs  des  Tnherculi  ileo-pubici  gezogenen  Linie,  eine  Qnerfingerbreito  in  die  Pfanne 
hinein,  und  lässt  sie  dort  wieder  in  zwei  Schenkel  auslaufen,  welche  durch  die 
Pfanne,  und  über  den  Rand  derselben  hinaus,  so  verlängert  werden,  dass  sie  mit 
den  Endpunkten  der  an  der  inneren  Fläche  verzeichneten  Schenkel  zusammen- 
stossen.  Man  wird  dann  den  Antheil  kennen  lernen,  den  jedes  der  drei  Stücke 
des  Hüftbeins  an  der  Bildung  der  Pfanne  nimmt.  Die  Verschmelzungsstelle  des 
absteigenden  Schambein-  und  aufsteigenden  Sitzbeinastes  fällt  beiläufig  in  die 
Mitte  des  inneren  Randes  des  Foramen  obturatum. 

Ausser  den  drei  Ossificationspunkten,  welche  im  Embryo  die  erste  Anlage 
des  Darm-,  Sitz-  und  Schambeins  bilden,  erhält  das  ungenannte  Bein  noch  drei 
selbstständige  VerkniSchenmgspunkte ,  welche  aber  erst  spät  nach  der  Geburt 
auftreten.  Der  erste  entsteht  im  Y-förmigen  Knorpel,  welcher  die  drei  Knochen- 
stücke der  Pfanne  verbindet;  der  zweite  im  Sitzknorren;  der  dritte  im  Lahium 
fnedium  der  Oruta  osHs  üei. 

An  Abnormitäten  ist  das  Hüftbein  nicht  reich.  -  Eine  der  merkwürdigsten 
befindet  sich  in  meiner  Sammlung.  Ein  an  der  Incintra  acetabuli  entspringender 
Knochenbalken  läuft  quer  über  das  Foramen  ohturatum  weg,  ohne  den  äusseren 
Rand  desselben  zu  erreichen.  An  einem  zweiten  Becken  ist  der  absteigende 
Schambeinast  mit  dem  aufsteigenden  Sitzbeinaste  nicht  verbunden.  —  Einen  voll- 
ständigen knöchernen  Pfannenrand,  ohne  Incisur,  zeigt  ein  im  Prager  anatomi- 
schen Museum  aufbewahrtes  Hüftbein.  —  Ich  besitze  ein  Darmbein,  an  dessen 
äusserer  Fläche  eine  selir  tiefe  Furche  für  den  Verlauf  der  Vata  glutaea  superiora 
ausgegraben  erscheint. 

Das  weibliche  Hüftbein  zeichnet  sich  durch  die  grössere  Kürze,  Schmal- 
heit, und  mehr  nach  aussen  umgelegte  Richtung  seines  Darmbeines,  durch  die 
Kürze  seines  Sitzbeines,  die  Länge  seines  horizontalen  Scbambeinastes,  die 
Schmalheit  der  das  Foramen  ohturatum  umgebenden  Kuochentheile,  und  die  mehr 
dreieckige  Gestalt  dieses  Loches  vor  dem  männlichen  aus. 


§.  146.  Yerbindimgen  der  Hüftbeine. 

Die  Hüftbeine  verbinden  sich  mit  dem  Kreuzbeine  durch  die 
Symphyses  sacro-üiactie ,  und  unter  einander  durch  die  Symphysis 
ossium  pubis. 


S.  U6.    VerbindanKea  der  HOftbeine.  349 

1.  Die  Symphysis  saci'o-iliaca  (cuv-^uo),  zusammenwach  scn"!  soll 
von  BechtswegeO;  nach  den  Untersuchungen  von  Luschka,  eigent- 
fich  zu  den  Gelenken  gezählt  werden,  indem  die  überknorpelten^ 
ohrftrmigen  Verbindungsflächen  des  Dann-  und  Kreuzbeins,  welche 
man  sich  firüher  mit  einander  verwachsen  dachte,  durch  eine  mit 
Synovialhaut  und  Epithel  ausgekleidete,  spaltförmige,  und  niemals 
feUende  Höhle  von  einander  so  getrennt  sind,  dass  sie  zwar  im 
gegenseitigen  Contact,  aber  nicht  in  Continuität  stehen.  Dieses  Ge- 
lenk|  welches  den  altherkömmUchen  Namen  einer  Symphyse  noch 
Unge  Aihren  dürf^,  wird  durch  vordere,  untere,  und  hintere  Ver- 
stirkungsbänder  bedeckt,  welche  zugleich  mit  der  über  die  Sym- 
physe wegstreichenden  Beinhaut,  eine  Art  Kapsel  tmi  die  innere 
Hohle  bilden.  Unter  den  hinteren  verdienen  das  Ligamentum  ileo- 
9acrum  Umgum  et  breve^  ihrer  Grösse  wegen,  besondere  Erwähnung. 
Das  erste  entspringt  von  der  Spina  po8te9*ioi'  et(pe9*iai'y  das  zweite, 
vom  ersten  bedeckt,  von  der  Spina  posteiiai*  infeinor  des  Darmbeins, 
und  beide  enden  am  Seitenrande  des  Kreuzbeins.  —  Zur  Fixirung 
des  letzten  Lendenwirbels  am  Os  sacrum  hilft,  nebst  der  Zwischen- 
wirbelscheibe, auch  das  Ligamentum  ileo-lumhaley  welches  vom  Quer- 
fortsatze des  ftlnften  Lendenwirbels  entspringt,  und,  in  zwei  Schenkel 
gespalten,  sich  mit  einem  an  der  Tuberositas  ossis  ilei,  mit  dem  an- 
deren theils  an  der  Basis  des  Kreuzbeins  inserirt,  theils  sich  über 
die  Symphysis  saa'o-iliaca  ausbreitet. 

Luschka,   die  Krenz-Darinheinfuj^o   und   dir    Öcliamh«iiifiigre,  im  Archiv  fUr 
pathol.  Anatomie.  7.  \U\. 

Zur  Verbindung  dos  Hüftbeines  mit  dem  heiligen  Beine  dienen 
noch  zwei  kraftvolle  Bänder,  welche  zugleich  den  Raum  des  klei- 
nen Beckens  seitwärts  begrenzen  helfen.  Sie  sind:  a)  das  Sitz- 
knorrcn-Kreuz beinband,  Ligamentum  tuberosa-sacvum ,  welches 
am  Sitzknorren  entsteht,  und,  stark  schief  nach  innen  und  oben 
laufend,  sich  ausbreitet,  um  an  der  Spina  posterUn^  infeiityi*  des 
Darmbeins,  und  am  Rande  des  Kreuz-  und  Stcissbeins,  zu  endigen. 
Von  seiner  Ursprungsstcllc  am  Sitzknorren  läuft  ein  sichelförmiger 
Fortsatz,  Processus  faldfo)*misy  am  aufsteigenden  Sitzbein-  und  ab- 
steigenden Schambeinast  bis  zur  Symphysis  puhisy  woselbst  er  mit 
dem  gleich  zu  erwähnenden  Ligam^itum  arcuatum  infeinus  ver- 
schmilzt, b)  Das  Sitzstachel-Kreuzbeinband,  Ligamentum  spi- 
noso-sncrtnnj  ist  kürzer  und  schwächer,  als  das  Sitzknorren-Kreuz- 
beinband, entspringt  von  der  Spina  ossis  ischii,  schlägt  eine  viel 
weniger  schiefe  Richtung  zimi  Seitenrande  des  letzten  Kreuzwirbels 
und  des  Stcissbeins  ein,  wo  es  sich  festsetzt,  und  sich  sonach  mit 
dem  Ligamentum  tuberoso-sacitim  kreuzt  Durch  die  Kreuzung  beider 
Bänder  werden  die  Incisura  ischiadica  major  und  minor  in  Löcher 
desselben  Namens  imigewandelt. 


360  §•  1^>   Terbindmigeii  der  HlUibeiBe. 

2.  Die  Symphysis  ossium  pubü  schliesst  durch  die  Vereinigung 
der  horizontalen  Schambeinäste  den  Beckenring  ab.  Der  kühne 
Versuch,  diese  Symphysis  bei  gewissen  Arten  schwerer  Geburten 
ZU  trennen^  veranlasste  ein  genaueres  Studium  ihres  Baues.  Sie 
ist  nach  demselben  Typus,  wie  die  Verbindung  zweier  Wirbelkörper 
durch  Bandscheiben;  eingerichtet  Es  findet  sich,  zwischen  den 
einander  zugekehrten  Endflächen  beider  horizontalen  Schambein- 
äste, ein  Faserknorpel,  der  in  der  Mitte  einen  weicheren  Kern, 
und  in  diesem,  nach  hinten  zu,  eine  kleine,  spaltförmige,  constante 
Höhle  enthält.  Der  Knorpel  hat  die  Gestalt  eines  dreiseitigen  Pris- 
mas, dessen  eine  Fläche  nach  vorn,  somit  eine  Kante  nach  hinten 
gekehrt  ist.  Er  ist  beim  Manne  schmäler  und  länger,  beim  Weibe 
kürzer,  aber  breiter.  Ein  unbedeutendes  Ligamentum  arcuaJtum 
superius,  und  ein  viel  stärkeres  Ligam^nttim  arctuztum  inferius  ver- 
stärken die  Sjrmphyse  an  ihrem  oberen  und  unteren  Rand.  Die 
Ligamenta  arcuata  identificiren  sich,  je  näher  sie  dem  Symphysen- 
knorpel  kommen,  derart  mit  ihm,  dass  eine  scharfe  Grenze  zwischen 
Band  imd  Knorpel  nicht  existirt 

Luschka  (a.  a.  O.  p.  310)  findet  öfters  eine  doppelte,  paarige  Höhle  in 
der  Schamfnge,  mit  einer  faserknorpeligen  Zwischenwand,  welche  sich  zu  den 
beiden  Höhlen  wie  eine  CartUago  interarticularia  verhält. 

Das  Foramen  obturatum  wird  durch  eine  fibröse  Membran  (Mem- 
brana obturatoria  8,  Ligamentum  obturatatnum)  so  verschlossen,  dass 
nur  am  oberen  äusseren  Winkel  desselben,  eine  schräg  von  innen 
und  unten  nach  oben  und  aussen  laufende  Lücke  {Canalis  obtura- 
torius)  offen  bleibt,  welche  aus  der  kleinen  Beckenhöhle  führt.  Die 
Lücke  hat  zur  oberen  Wand  die  untere  Fläche  des  horizontalen 
Schambeinastes,  von  welcher  früher  bemerkt  wurde,  dass  sie  fur- 
chenähnlich  gehöhlt  ist. 

Man  kann  an  einem  skoletirten  Becken  die  Richtung  der  Bänder  durch 
Fäden  oder  Bandstreifen  vorstellen,  welche  den  angegebenen  Ursprung  und  das 
Ende  eines  Bandes  verbinden.  Die  Richtung  des  lAgamenlum  tuberoso-  und  ipi- 
noso'saavvtf  ihre  Kreuzung,  und  ihre  Theilnahme  an  der  Bildung  des  grossen 
und  kleinen  Hüflloches,  sind  für  die  später  folgenden  Details  von  besonderer 
Wichtigkeit. 

Durch  die  Symphysen  erhält  der  Beckengürtel  ein  Minimum  von  Beweg- 
lichkeit, welches  durch  den  gelockerten  Zustand  derselben  in  der  Schwanger- 
schaft vergrössert  wird.  Verknöcherungen  der  Symphysen,  und  besonders  der 
Schamfuge,  gehören  beim  weiblichen  Geschlechte  unter  die  grössten  Seltenheiten 
(Otto),  ob\\ohl  sie  bei  gewissen  Säugethieron  regelmässig  vorkommen  (bei  den 
Wiederkäuern,  Einhufern  und  Pachydermen).  Durch  die  Bänder,  welche,  unge- 
achtet ihrer  Stärke,  doch  einem  von  innen  wirkenden  Drucke  nachzugeben  ver- 
mögen, kann  die  Beckenhöhle  etwas  erweitert  werden ;  sie  begrenzen  denkleinen 
Beckenraum  so  gut  wie  Knochen,  und  haben  nicht,  wie  diese,  den  Nachtheil 
unfügsamer  Starrheit.  —  Das  Foramen  obturatum,  das  grösste  Loch  am  Skelete, 
hat  nur  unnütze  Knochenmasse  zu  vertreten,  und  bedingt  somit  eine  grössere 
Leichtigkeit  des  Beckens.  —  Durch  das  grosse  Hüftloch,  viel  seltener  durch  das 


§.  U7.   Dm  Beekea  »Is  Ouses.  351 

Ideine,  können,  so  wie  durch  den  OanaU»  ohturcUüritUy  Eingeweide  der  Becken- 
höhle als  Hemiae  nach  aussen,  und  fremde  Körper  durch  Verwundung  nach 
innen  dringen.  Im  Prager  Museum  befindet  sich  ein  Fall,  wo  eine  Nadel  im 
Nervu»  üchiadicuM  (welcher  durch  das  grosse  Hüftloch  aus  der  Beckenhöhle 
heraustritt)  gefunden  wurde,  und  ganz  von  ihm  umschlossen  war  (Grub er). 
Verwundungsfälle,  wo  das  Becken  quer  durch  und  durch  geschossen  wurde, 
ohne  KnochenverletEung,  sind  ebenfalls  bekannt. 


§.  147.  Das  Becken  als  Glanzes. 

Das  Becken  {Pelvia)  ist  ein  am  unteren  Ende  des  Stammes 
durch  die  beiden  Hüftbeine^  und  das  zwischen  sie  hineingeschobene 
Kreuz-  und  Steissbein^  gebildeter  Enochenring,  welcher  an  seiner 
hinteren  Peripherie  die  Wirbelsäule^  trägt,  und  sich  mittelst  der 
Pfannen  auf  die  Köpfe  des  Oberschenkels  stützt.  Eine  genaue 
Kenntniss  seiner  Zusammensetzung  und  seiner  Dimensionen  ist  für 
den  Geburtshelfer  unerlässlich,  da  die  Technik  seiner  mechanischen 
Hülfleistungen  bei  schweren  Geburten,  von  den  räumlichen  Ver- 
hältnissen dieses  knöchernen  Ringes  bestimmt  wird.  Stellt  man  das  ^ 
Becken  so  vor  sich  hin,  dass  es  mit  den  beiden  Sitzknorren  und 
mit  der  Steissbeinspitze  auf  dem  Tische  aufsteht,  so  hat  es  wirk- 
lich einige  Aehnlichkeit  mit  einem  tiefen  Wasserbecken  {ad  lavact'i 
simüitudinemj  Vesal.),  dessen  breiter,  nach  aussen  gebogener  Rand, 
vom  und  hinten  abgebrochen  erscheint,  so  dass  nur  zwei  Seiten- 
stückc  desselben,  die  beiden  Darmbeine,  übrig  bleiben. 

Das  Becken  wird  in  das  grosse  und  das  kleine  Becken 
eingetheilt. 

A.  Das  grosse  Becken  stellt  eigentlich  nur  die  breite  Um-* 
randung  des  kleinen  Beckens  dar,  und  wurde  deshalb  auch  Lat/nim 
pelvis  genannt.  Es  verhält  sich  das  grosse  Becken  zum  kleinen, 
wie  beiläufig  der  Rand  einer  Tasse  zum  Grunde  derselben.  Dieser 
Rand  ist  aber  nicht  vollständig,  sondern,  wie  oben  gesagt,  vom 
und  hinten  ausgebrochen.  Die  hintere  Lücke  des  ausgebrochenen 
Randes  wird  durch  den  letzten  Lendenwirbel  nur  unvollständig, 
die  vordere,  viel  grössere  Lücke,  durch  die  musculöse  Bauchwand 
vollständig  ausgefüllt  oder  ergänzt.  Die  Höhle  des  grossen  Beckens 
dient  zur  Vergrösserung  der  Bauchhöhle,  und  geht,  sich  trichter- 
förmig verengernd,  in  die  Höhle  des  kleinen  Beckens  über. 

B.  Das  kleine  Becken  bildet  ebenfalls  eine  nach  unten 
konisch  sich  verengernde  Höhle,  deren  hintere  lange  Wand,  durch 
die  vordere  concave  Kreuzbein-  und  Steissbeinfläche,  deren  vordere 
Wand  durch  die  Symphysis  ossium  pvhisy  und  die,  das  Faramen  ob- 
turatum  umgebenden  Aeste  des  Scha»-  ^  ^n«,  nebst  dem 


352  6-   ^7.   Das  Becken  als  Oanses. 

Ligamentum  ohturaiorium ,  gebildet  wird.  Die  Seitenwände  werden 
von  jenem  Theile  der  Hüftbeine,  welcher  zwischen  Linea  arauzta 
interna  und  Tuberositas  ossis  ischii  liegt,  und  von  den  Ligamentis 
tvberoso-  et  spinoso-sacris  erzeugt.  Die  Höhle  des  kleinen  Beckens 
hat  eine  obere  und  untere  Oeffnung.  Die  obere  Oeffnung 
oder  der  Eingang  des  kleinen  Beckens  {Apei*tura  pelvis  supe- 
rior)y  wird  durch  eine  Linie  umsäumt,  welche  vom  Promontorium, 
und  vom  vorderen  Rande  der  Basis  des  Kreuzbeins,  so  wie  von 
beiden  Lineis  arcuaüs  inteimis  der  Darmbeine,  und  den  beiden 
Cristae  der  Schambeine  zusammengesetzt  wird.  Sie  heisst,  indem 
sie  aus  so  vielen  Stücken  besteht,  Linea  innomtTiata,  besser  Linea 
terminalisy  weil  sie  die  scharf  gezogene  Grenze  zwischen  dem 
grossen  und  kleinen  Becken  bildet.  Sie  hat  im  männlichen  Ge- 
schlechte,  wegen  stärkerem  Hervorragen  des  Promontorium,  eine 
mehr  herzförmige,  im  weiblichen  Geschlechte  eine  ovale  Gestalt.  — 
Die  untere  Oeffnung  oder  der  Ausgang  des  Beckens  (Apertura 
pelvis  infeinor)  ist  kleiner  als  der  Eingang,  und  wird  von  der  Spitze 
und  den  Seitenrändem  des  Steissbeins,  den  unteren  Rändern  der 
Ligamenta  tubei'oso-  und  spinoso-saa'ay  den  Höckern  und  aufsteigen- 
den Aesten  der  Sitzbeine,  den  absteigenden  Aesten  der  Scham- 
beine, und  dem  Ligamentum  arcuatum  inferius  der  Schamfuge  ge- 
bildet. Ihre  Gestalt  ist  in  beiden  Geschlechtem  eine  herzförmige. 
Die  Spitze  des  Herzens  liegt  am  unteren  Rande  der  Symphysis 
ossium  pubisy  der  eingebogene  Rand  des  Herzens  wird  durch  den 
Vorsprung  des  Steissbeins  erzeugt.  Durch  das  Zurückweichen  des 
beweglichen  Steissbeins,  kann  der  gerade  Durchmesser  dieser  Oeff- 
nung bedeutend  vergrössert  werden,  wodurch  ihre  Gestalt  rhom- 
bisch viereckig  wird.  Denkt  man  sich  von  einem  Sitzknorren  zum 
anderen  eine  gerade  Linie  gezogen,  so  heisst  der  vor  dieser  Linie 
liegende  Theil  der  Oeffnung  Schambogen,  Arcus  ossium  pubis,  der 
im  weiblichen  Geschlechte  constant  weiter  als  im  männlichen  ist, 
wo  der  Bogen  zum  Winkel  wird,  als  Angulus  ossium  pubis. 

Da  die  vordere  Wand  des  kleinen  Beckens  (Symphyse  der 
Schambeine)  viel  niedriger  ist  als  die  hintere  (sie  verhalten  sich 
beiläufig  wie  1  :  3),  so  werden  die  Ebenen  der  oberen  und  unteren 
Beckenöffnung  nicht  mit  einander  parallel  sein  können,  sondern 
nach  vom  convergircn.  Dasselbe  muss  von  je  zwei  imaginären, 
zwischen  der  oberen  und  unteren  Beckenöffnung  gelegten  Durch- 
schnittsebenen gelten.  Würde  man  die  Mittelpunkte  vieler  solcher 
Durchschnittsebenen  durch  eine  Linie  verbinden,  so  würde  diese 
keine  gerade,  sondern  eine  krumme  Linie  sein,  deren  Convexität 
gegen  das  Kreuzbein  sieht  Diese  Linie  stellt  uns  die  Beckenaxe 
dar,  welche  auch  Leitungs-  oder  Führungslinie  heisst,  weil  in 
ihrer   Richtung   sich    der   Kopf  eines    zu    gebärenden    Kindes    nach 


§.  147.  Du  Becken  als  Games.  353 

aussen  bewegt,   und   diö  Hand  des   Geburtshelfers,  oder  seine  nach 
der  Beckenaxe  gekrümmte  Zange,  nach  dieser  Linie  wirken. 

Nebst  der  Beckenaxe  werden  in  der  oberen  und  unteren 
Beckenöffnung,  so  wie  in  der  Höhle  des  Beckens  selbst,  mehrere 
fiir  den  Geburtshelfer  wichtige  Durchmesser  gezogen. 

a)  In  der  oberen  Beckenöffnung:  1.  der  gerade  Durchmesser, 
Diametei'  antero-posterior  8,  Coiyugata,  von  der  Mitte  des  Promon- 
toriums zum  oberen  Rande  der  Symphysis  pubis;  2.  der  quere, 
Dianieter  transversus,  zwischen  den  grössten  Abständen  der  Linea 
innaniinata;  3.  und  4.  die  beiden  schiefen,  Diametri  obliqui  s. 
Deventei^i  (nach  Heinrich  Devenfer/,  einem  niederländischen  Ge- 
burtshelfer, benannt),  von  der  Symphysis  sacro-iliaca  einerseits,  ziun 
entgegengesetzten  Tuberculum  ileo-pubicum. 

b)  In  der  unteren  Beckenöffnung  zieht  man:  1.  den  geraden 
Durchmesser,  von  der  Steissbeinspitze  zum  unteren  Rande  der  Sym- 
physis pubis;  2.  den  queren,  zwischen  beiden  Sitzknorren.  Der 
quere  ist  constant,  der  gerade  aber  durch  die  BewegUchkeit  des 
Steissbeins  vergrösserbar.  Man  zieht  deshalb,  um  auch  ftlr  den 
geraden  Durchmesser  eine  constantc  Grösse  zu  haben,  noch  einen 
zweiten,  von  der  Vereinigungsstelle  des  Kreuzbeins  mit  dem  Steiss- 
beine,  zum  unteren  Rande  der  Symphysis  pubis, 

c)  In  der  Höhle  des  kleinen  Beckens  werden  gezogen :  1.  der 
gerade  Durchmesser,  von  der  Verschmelzungsstelle  des  2.  und 
3.  Kreuzbeinwirbels,  zur  Mitte  der  Schambeinvereinigung,  und 
2.  der  quere,  der  die  Mittelpimkte  beider  Pfannen  verbindet. 

Da  die  verschiedenen  Menschenracen  verschiedene  Schädel- 
formen haben,  welche  schon  an  den  Embryonen  zu  erkennen  sind,' 
so  wird  sich  auch  das  Becken  nach  diesen  Kopfformen  richten,  und 
einen  osteologischen  Racencharakter  darstellen.  So  sticht  z.  B.  die 
längsovalc  Form  des  Beckens  der  Negerinnen,  von  der  mehr  quer- 
ovalen Form  bei  der  weissen  Race  auffallend  ab. 

Um  eine  richtige  Vorstellung  von  der  Lage  des  Beckens  zu 
erhalten,  muss  man  es  so  stellen,  dass  die  Conjugata  mit  dem  Hori- 
zonte einen  Winkel  von  65®  bildet.  Dieser  Winkel  giebt  die  soge- 
nannte Neigung  des  Beckens,  und  variirt  sehr  wenig  bei  verschie- 
denen Indi\'iduen.  Bei  Männern  ist  er  um  einige  Grade  kleiner,  als 
bei  Weibern.  Hat  man  einem  Becken  diese  Neigung  gegeben,  so 
wird  man  finden,  dass  die  Spitze  des  Steissbeins  ohngefilhr  7  Linien 
höher  liegt,  als  der  untere  Rand  der  Schambeinfuge. 

Die  Neigung  des  Beckens,  oder  der  Winkel  der  Conjagata  mit  dem  Hori- 
zonte, wurde  noch  vor  wenig  Jahren  für  viel  kleiner  als  65®  gehalten,  indem 
man  die  Spitze  des  Steissbeins  mit  dem  unteren  Bande  der  Schamfäge  in 
einer  horizontalen  Linie  liegend  annahm.  Dieser  irrigen  VorsteUong  Aber  die 
Neignng  des  Beckens,  die  selbst  dnrch  die  besten  anatomifehen  AbbOdvBgiMl 
Hyrtl,  Lehrbach  der  Anatomie.  23 


354  $•  1^*   unterschied«  des  m&nnliclieii  and  woiblidien  Beckeni. 

vervielfSltigt  wurde,  verdanken  die  unrichti^n,  aber  noch  immer  gebranehtm 
Ansdriicke:  horizontaler  und  absteigender  Ast  des  Schambeins ,  aaBrteigend« 
Ast  des  Sitzbeins,  etc.,  ihren  Ursprung.  Bei  einer  Neigung  von  65  *  wird  dir 
horizontale  Ast  des  Schambeins  eine  sehr  abschüssige  Lage  einnehmen,  der  ab- 
steigende Ast  wird  stark  schief  nach  hinten,  und  der  aufsteigende  Sitsbeiaait 
nach  vom  gerichtet  sein.  Dem  deutschen  Geburtshelfer  Nägele  gebfihrt  du 
Verdienst,  durch  Versuche  an  Lebenden  die  wahre  Neigung  des  Beckens  am* 
gemittelt  zu  haben. 


§.  148.  Unterschiede  des  männlichen  und  weiblichen  Beckens. 

Der  hervorragendste  sexuale  Charakter  des  Skelets  liegt  m 
der  Beckenform.  Kein  Theil  des  Skelets  bietet  so  auffallende,  und 
wegen  ihrer  Beziehungen  zum  Geburtsact  so  wichtige  GescUechts- 
verschiedenheiten  dar,  wie  das  Becken.  Dass  es  sich  hier  vorzugs- 
weise nur  lim  das  kleine  Becken  handelt,  versteht  sich  von  selbst, 
denn  das  grosse  Becken  ist,  seiner  Weite  wegen,  von  keinem  be- 
stimmenden, hemmenden,  oder  fördernden  Einfluss  auf  die  Geburt 
Nur  im  kleinen  Becken  werden  Dimensionsänderungen  auf  den  Ab- 
lauf des  Geburtsgeschäftes  Bezug  haben  können. 

Der  anatomische  Charakter  des  weiblichen  Beckens  liegt  in 
dessen  Weite  und  Kürze.  Das  männliche  Becken  charakterisirt 
sich  dagegen  vergleichungsweise  durch  Enge  imd  Höhe.  Der 
Geburtsact  bedingt  diesen  Unterschied.  Die  Bewegung  des  Kinds- 
kopfes durch  den  Beckenring  wird  leichter  durch  die  Weite  de« 
Beckens,  und  ist  schneller  beendigt  durch  die  Kttrze  deftselben. 
Die  Weite  des  kleinen  Beckens  nimmt  beim  Weibe  in  doppel- 
ter Beziehung  zu.  Erstens  gewinnt  die  ganze  Beckenhöhle  gleich- 
massig  mehr  an  Umfang  als  dip  männliche,  und  zweitens  geht  die 
konische  Beckenform  des  Mannes  beim  Weibe  in  eine  mehr  cvlin- 
drische  über,  indem  die  untere  Beckenapertur  weiter  wird. 

Der  grössere  Umfang  des  weiblichen  Beckens  wird  durch  die 
grössere  Breite  des  Kreuzbeins,  so  wie  durch  die  grössere  Länge 
der  Line/i  nrciiatn  infntiu,  und  der  hcirizontalnn  Schambeinäste  be- 
dingt. Die  mehr  cylindrische  Form  desselben  resultirt  aus  dem 
grösseren  Parallelismus  der  beim  Manne  nach  unten  convergirenden 
Sitzbeine.  Die  Pfannen  und  di<»  SitzknoiTcm  stehen  somit  im  Weibe 
mehr  aus  einander,  und  der  Arrjiji  ossimn  pubis  wird  offener  imd 
weiter,  als  im  männlichen  Oeschlechte,  sein  müssen.  Darauf  beruht 
eben  der  im  vorhergegangenen  Paragraphe  angegebene  Unterschied 
von  Anguhis  und  Arcu^  ossnnm  jmhis.  Letzterer  wird  noch  dadurch 
vcrgrössert,  dass  die  absteigenden  Scham-  und  aufsteigenden  Sitz- 
beinäste wie  um  ihre  Axe  gedreht  erscheinen,  so  dass  ihre  inneren 
Ränder  sich  nach  vom  wenden.    Das    flache  und  stark  nach  hinten 


$.  148.  unterschiede  de«  m&nnlichen  und  weihlichen  Beckens.  3i)ö 

gerichtete  Krenzbein  vergrössert  ganz  vorzüglich  den  Raum  der 
weiblichen  kleinen  Beckenhöhle^  und  die  grosse  Beweglichkeit  des 
Steissbeins  bedingt  ebenso  augenfällig  die  bedeutende  Erweiterungs- 
fUiigkeit  des  Ausganges  während  des  Geburtsactes.  Die  Kürze  des 
weiblichen  Beckens  folgt  aus   der  geringeren  Länge  der  Sitzbeine. 

Das  grosso  Becken  bietet  keine  so  erheblichen  Differenzen 
der  Durchmesser  dar,  und  zeichnet  sich  im  Weibe  nicht  so  sehr 
durch  seine  Weite,  als  durch  die  Schmalheit  und  Niedrigkeit  der 
Dannbeine,  vor  dem  männlichen  aus. 

Folgende  Tabelle  dient  zum  Vergleiche  der  wichtigsten  Durch- 
messer des  kleinen  Beckens  in  beiden  Geschlechtem. 

Apertur a  pelvis  superior.  im  Manne  im  Weibe 

Conjugata        4"  4"  3'" 

Querer  Durchmesser 4"  9'"  5" 

Schiefer  Durchmesser 4"  6'"  4"  8'" 

Umfang  der  Linea  innominata  .     .     .  15"  16"  6 
C^dvum  pelvis. 

Gerader  Durchmesser 4"  4"  6' 

Querer  Durchmosser 4"  4"  3' 

Senkrechter    Durchmesser    von    der 

Linea  arcaata  zum  Tuber  ossis  ischii  4"  3"  6 

Grösster  Umfang 13"  6"'  15"  6' 

-^  f^ertura  pelvis  inferior. 

Veränderlicher  gerader  Durchmesser, 

von  der  Spitze  des  Steissbeins       .  2"  0"'  3"  4 
Constanter  gerader  Durchmesser,  von 

der  Symphysis  sacro-coccygea      .     .  3"  r>"'  4"  3' 

Querdurchmesser 3"  4" 

Auf  die  Ausmittlung  der  Beckenweite  le^  der  Geburtahelfer  grossen  Werth, 
^**i  JBU  entscheiden,  ob  eine  Geburt  ohne  Kunsthilfe  möglich  ist,  oder  nicht  Von 
^^•onderer  Wichtigkeit  ist  eine  sufficionte  Grösse  des  geraden  Durchmessers  des 
"^^ckeneinganges,  zwischen  Schamfuge  und  Promontorium.  Allzu  starkes  Hinein- 
^^^n  des  letzteren  in  den  Beckenraum  macht  es  zu  keinem  Promontorium  bonae 
*3c»ei,  und  die  Geburt  kann  durch  dasselbe  bis  zur  Unmöglichkeit  erschwert  wer- 
^«n-    Dass  aber  selbst  bei   sehr  verengertem   Becken  einer  Schwangeren  durch 
^UMunmenraffen  der  letzten  Wehenkraft  eine  normale  Geburt  möglich  ist,  beweist 
^^ner  Fall,  wo  eine  Gebärende,  bei  welcher  die  Unmöglichkeit  des  Gebürens  auf 
Natürlichem  Wege  (wegen  Verkrüppelung  des  Beckens)  Ärztlich  ausgemittelt  und 
^««tge«tel1t,   und   der  Kaiserschnitt  als  das  einzige  Rettungsmittel  für  Mutter  und 
^ind  reaolvirt  wurde,   der  um  seine  Instrumenten  nach  Hause  eilende  Wundarzt 
1>ei    seiner   bewaffneten  Rückkunft   die    Frau    —   eines    gesunden  Knäbleins   ge- 
nesen fand. 

Der  yeränderliche  gerade  Durchmesser  des  Beckenansganges  kann  nach 
Jf  eckel  bis  auf  5  Zoll  erweitert  werden,  welche  Erweiterung  jedoch  nicht  ganz 
zu  Gnnsten  der  Geburt  geschieht,  weil  der  constantc  Durchmesser  des  Ausgan« 
ge«    nur  4"  3'"  misst.     Die    gegen    da»  Ende    der   Schwangerschaft  eintretende 

23* 


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356  §•  1^^-    Oberschenlielbein. 

Auflockerung  der  Symphysen  dos  Beckens,  die  von  Galen  scheu  gekannt  (non  tan- 
tum  difiUai-iy  aed  et  aecari  tuto  poamntj  ut  intetmia  »faiatfratw),  von  Pin e au  und 
Hunt  er  constatirt  wurde,  bleibt  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Beckenerweiterung. 
Bei  Frauen,  welche  schon  oft  geboren  haben,  sind  sämmtliche  Beckendurchmesser 
etwas  grösser,  und  die  Syniphyuü  pubia  breiter,  als  bei  Jungfrauen.  Man  will 
bemerkt  haben,  dass  der  rechte  schiefo  Durchmesser  des  Berkeneinganges  immer 
etwas  kürzer  als  der  linke  ist. 

Das  menschliche  Becken  unterscheidet  sich  durch  seine  Breite,  und  durch 
die  Neigung  seiner  Darmbeine  nach  aussen,  vom  thierischon,  dessen  Oaaa  iUi 
schmal  sind,  und  senkrecht  stehen.  —  Die  breiten,  concaven,  und  nach  aussen 
umgelegten  Darmbeine  können  einen  Theil  der  Last  der  Eingeweide  stützen,  und 
sprechen  somit  für  die  Bestimmung  des  Menschen  zum  aufrechten  Gange. 

An  den  Becken  neugeborener  Kinder  sind  die  Geschlechtsunterscliiede  noch 
nicht  wahrzunehmen,  wohl  aber  die  Racenverschiedcnheiten,  wie  denn  das  Becken 
eines  achtmonatlichen  Negerembryos  unserer  Sammlung  die  längsovale  Form  schon 
deutlich  erkennen  lässt. 


§.  149.  Oberschenkelbein. 

Das  Oberschenkelbein  (Os femoris,  Fernur,  griechisch  ox^Xoc, 
daher  oxeAerov)  ist  der  längste  und  stärkste  Röhrenknochen,  und 
überhaupt  der  grösste  Knochen  des  Skelets. 

Das  seiner  Länge  nach  etwas  nach  vorn  gekrümmte  Mittel- 
sttick  gleicht  einer  dreiseitig  prismatischen  Säule,  mit  vorderer, 
äusserer,  und  innerer  Fläche.  Von  den  drei  Winkeln,  oder  Kanten, 
ist  der  hinterste  der  schärfste.  Er  heisst  Linea  aspera  fenimns^  und 
zeigt  zwei  Lefzen,  Labia,  welche  gegen  das  obere  und  untere 
Ende  des  Knochens,  als  zwei  Schenkel  aus  einander  weichen,  wo- 
durch diese  Enden,  besonders  das  untere,  vierseitig  werden.  In 
oder  neben-  der  Linea  aspera  liegen,  an  nicht  genau  bestimmten 
Stellen,  ein  oder  zwei,  nach  oben  dringende  Emährungslöcher.  Ist 
nur  Eins  vorhanden,  so  befindet  es  sich  gewöhnlich  unter  der  Län- 
genmitte der  Li^iea  aspera. 

Das  obere  Ende  hat  eine  unverkennbare  Aehnlichkeit  mit 
jenem  des  Oberarmbeins.  Es  bildet  mit  dem  Mittelstücke  einen 
Winkel,  welcher  grösser  ist  als  ein  rechter,  und  hat  auf  einem, 
von  vom  nach  hinten  etwas  comprimirten,  langen  Halse  (Collum 
fenioris),  einen  kugelrunden,  überknorpelten  Kopf  {Caput  femoris) 
aufsitzen,  auf  welchem  eine  kleine  rauhe  Grube  (Foveola)  zur 
Insertion  des  runden  Bandes  dient.  Der  Kopf  bildet  y^  einer  Kugel 
von  20 — 22  Linien  Durchmesser.  Die  grössere  Dicke  des  Schenkel- 
halses in  der  Bichtimg  von  oben  nach  unten  als  von  vom  nach 
hinten,  lässt  ihn  den  Stössen  in  verticaler  Richtung,  wie  sie  beim 
Spnmg,  beim  Lauf,  und  beim  PaU  auf  die  Pttsse  vorkommen, 
besser  widerstehen,  als  den  von  vom  nach  hinten  wirkenden  Brech- 
gewalten. —  An  der  winkelig  geknickten  Uebergangsstelle  des  Halses 


§.  149.  Oberachenlielbeiii.  357 

in  das  Mittelstück ^  ragen  zwei  Höcker^  als  sogenannte  Rollhügel 
{Trochanteres,  von  Tpoxo;,  Radspeiche)  hervor,  welche  für  die  Dreh- 
muskeln des  Schenkels  als  Hebelarme  dienen,  und  ihnen  ihre  Wir- 
kung erleichtem.  Der  äussere  Rollhügel  ist  bedeutend  grösser 
als  der  innere,  liegt  in  der  verlängerten  Axe  des  Mittelstücks,  steht 
also  gerade  nach  oben  gerichtet,  und  hat  an  seiner  inneren  Seite 
eine  Grube  —  Foaaa  trochanterica.  Der  ihm  entgegengesetzte, 
kleinere  innere  Rollhügel  steht  etwas  tiefer,  als  ein  nach  hin- 
ten gerichteter  stumpfer  Kegel,  der  mit  dem  grossen  RoUhÜgel 
durch  eine  vordere,  nur  schwach  angedeutete,  und  eine  hin- 
tere, scharf  aufgeworfene,  rauhe  Verbindungslinie  (Linea  intertro- 
chanterica  anterior  et  posterior)  vereinigt  wird.  Der  äussere  Roll- 
hügel lässt  sich  am  lebenden  Menschen,  durch  die  ihn  bedeckenden 
Weichtheile  hindurch,  sehr  gut  fühlen,  —  der  innere  nicht,  da 
er  von  der  Musculatur  an  der  inneren  Seite  des  Schenkels  ganz 
maskirt  wird. 

Das  untere  Ende  des  Oberschenkelbeins  ähnelt  einer  mas- 
sigen Rolle.  Es  zeigt  nämlich  zwei,  nur  an  ihren  unteren  und  vor- 
deren Gegenden  ttberknorpelte  Knorren  —  Qmdylm  extenius  et 
internus.  Die  Ueberknorpelung  des  einen  Knorrens  setzt  sich  an 
der  vorderen  Seite  in  jene  des  anderen  ununterbrochen  fort,  und 
bildet  zwischen  diesen  beiden  Knorren  eine  sattelfbrmige  Vertiefung, 
ein  Analogen  der  Rolle  am  unteren  Ende  des  Oberarmbeins,  in  wel- 
cher die  Kniescheibe  bei  den  Streck-  und  Beugebewegungen  des 
Unterschenkels  auf-  und  niedergleitet.  Hinten  sind  beide  Condyli  durch 
eine  tiefe,  nicht  überknorpelte  Grube  (Fossa  poplitea  s.  intercondy- 
loidea)  getrennt.  Der  äussere  Condylus  ragt  mehr  nach  vom  her- 
aus, als  der  innere,  und  ist  zugleich  um  3  Linien  kürzer  und 
breiter,  als  letzterer.  Ein  senkrechter,  von  vom  nach  hinten  gehen- 
der Durchschnitt  jedes  Condylus,  giebt  keine  kreisförmige,  sondern 
ein  Segment  einer  Spirallinie,  welche,  ohne  einen  grossen  Fehler  zu 
begehen,  und  um  den  später  zu  betrachtenden  Mechanismus  des 
Kniegelenks  fasslicher  darzustellen,  als  elliptisch  angenommen 
werden  kann.  An  der  äusseren  Seite  jedes  Condylus  bemerkt  man 
eine  flache,  rauhe  Erhebung  {TvJ>ero8ita8  condyli)  ftlr  den  Ursprung 
der  Seitenbänder. 

Am  weiblichen  Schenkelbcino  erscheint  der  Hals  länger,  und  mehr  wag- 
recht. Auch  der  Längennnterschied  beider  Condyli  am  unteren  Ende  ist  im 
Weibe  bedeutender.  Da  das  Oberschenkelbein  nicht  vertical,  und  mit  seinem 
Gespann  nicht  parallel  zum  Knie  herablänft,  sondern  mit  ihm  convergirt,  so  wer- 
den die  unteren  Enden  der  Condyli,  ungeachtet  ihrer  verschiedenen  LXng^,  doch 
so  ziemlich  in  einer  horizontalen  Ebene  liegen.  —  Die  Richtung  beider  Schenkel- 
beine bildet  mit  der  Verbindungslinie  beider  Pfannen  ein  Dreieck,  dessen  Basis 
beim  Weibe,  wegen  gr(taserer  Pfannendistans,  breiter  ist.  —  Die  Spitie  dei 
grossen  Trochanters  liegt  mit  dem  Mittelpunkte  des  Sehenkelkopfes  in  glelehvr 


'358  5-  IM-   Hfiftgelenk. 

Höhe.  Eine  die  Mittelpunkte  beider  Schenkelköpfe  verbindende  Linie,  gibt  die 
Axe  für  die  Beuge-  und  Streckbewegung  des  Stammes  auf  den  Köpfen  der  Ober- 
schenkelbeine. Der  Schwerpunkt  des  menschlichen  Körpers  liegt,  beim  Erwach- 
senen, beiläufig  SYi  Par.  Zoll  über  der  Mitte  dieser  Axe. 

Nur  beim  Menschen  und  einigen  Affen  übertrifft  das  Schenkelbein  das 
Schienbein  an  Länge.  —  Das  längste  Schenkelbein  wird  im  Wiener  anatomischen 
Museum  aufbewahrt  Es  misst  26  Zoll  6  Linien.  Das  dazu  gehörige  Schienbein 
hat  eine  Länge  von  21  Zoll  9  Linien,  und  das  Hüftbein  (von  der  Mitte  der 
Crista  bis  zum  Tuber  ischu)  von  12  Zoll.  Das  im  anatomischen  Museum  zu 
Marburg  aufbewahrte  Schenkelbein,  welches  für  das  grösste  galt,  misst  nur 
23  Zoll  Sy,  Par.  Linien.  —  Bei  angeborener  Verrenkung  des  Hüftgelenks  fehlt 
zuweilen  am  Schenkelkopfe  das  Grübchen  ftlr  das  runde  Band.  —  Ueber  einen 
dem  Prouatua  9t4pr€tcondyloideus  humeri  analogen  Fortsatz  des  Schenkelbeius 
handelt  sehic  ausführlich  Gruber,  in  seiner  Monographie  des  CtmalU  tupracon- 
dyloideutj  etc.  Petersburg,  1856.  Ich  habe  ihn  an  Lebenden  beobachtet  (Sitzungs- 
berichte der  kais.  Akad.  1858). 


§.  150.  Hüftgelenk. 

Das  Hüftgelenk  (Articulatio  coxae  s.  femorü)  theilt  mit  dem 
Kniegelenk  den  Ruf  des  stärksten  und  festesten  Gelenkes  des 
menschlichen  Körpers.  Die  Bestimmung  der  unteren  Extremität, 
als  Stütze  des  Körpers  beim  aufrechten  Gange  zu  dienen,  machte 
eine  grössere  Festigkeit  des  Hüftgelenks,  und  eine  beschränktere 
Beweglichkeit  desselben  noth wendig,  als  am  Oberarmgelenk  gefun- 
den wurde.  Das  tiefe  Eindringen  des  Schenkelkopfes  in  die  Pfan- 
nenhöhle, bedingt  jene  Form  beschränkter  Arthrodie,  welche  in  der 
Sprache  der  Techniker  Nussgelenk  heisst.  Die  Tiefe  der  Pfanne 
wird  durch  einen  fas  er  knorpeligen  Ring,  welcher  auf  dem 
Supercilium  acetabuli  fest  aufsitzt,  und  in  einen  freien  scharfen 
Rand  auslauft,  vergrössert  Dieser  Ring  (Limbus  cartilagineua  ace- 
tabuli) geht  über  die  Incisuva  acetabuli  brückenartig  weg,  und  ver- 
wandelt sie  in  ein  Loch,  durch  welches  Blutgefässe  in  die  Pfannen- 
höhle dringen.  Die  fibröse  Kapsel  des  Gelenks  entspringt  vom 
rauhen  Umfange  des  knöchernen  Pfannenrandes,  schliesst  somit  den 
faserknorpeligen  Ring  noch  ein,  und  befestigt  sich  vom  an  der 
■Linea  inte)'tj'ochante)'ica  antei*iat'j  hinten  dagegen  nicht  an  der  posterioi-, 
sondern,  mit  nach  aufwärts  umgeschlagenen  Fasern,  an  die  hintere 
Fläche  des  Schenkelhalses  selbst,  und  zwar  in  geringer  Entfernung 
über  der  Linea  intertrochantetnca  posterior.  Dieser  nach  innen  um- 
geschlagene, an  die  hintere  Fläche  des  Schenkelhalses  sich  irise- 
rirende  Theil  der  Kapsel,  ist  sehr  dünnwandig,  und  es  fehlt  nicht 
an  Autoren,  welche  die  hintere  Kapselwand  gar  nicht  an  den  Kno- 
chen adhäriren  lassen.  Dem  Gesagten  zufolge  schliesst  die  fibröse 
Kapsel  des  Hüftgelenks,   auch  den  Hals   des  Schenkelbeins  in  sich 


g.  160.  HtUtgelenk.  359 

ein,  und  zwar  seine  ganze  vordere  Fläche,  und  den  grösseren  Theil 
der  hinteren. 

Die  vordere  Kapselwand  wird'  durch  ein  von  der  Spina  ante- 
rior inferior  oasis  ilei  entspringendes,  umgemein  starkes,  4 — 5  Linien 
dickes  Band  verstärkt  (Ligamentum  Bertini,  s,  accessorium  aitticum), 
welches  theils  an  der  Linea  intertrochanterica  anterior  endigt,   theils 
mit  zwei,  um  den  Hals  des  Femur  herumgehenden,  und  sich  hinten 
zu   einer  Schlinge  vereinigenden   Schenkeln,    eine    Art   Halsband 
(Zona  orbicularis  Weheri)  bildet,  welches  nirgends  an  den  Hals  selbst 
adhärirt,   sondern  ihn  nur  lose   umschliesst.     Die  Zona  beschränkt 
die    Streckung    des    Schenkels,    ohne    seine    Beugung    oder   Axen- 
drehung  zu  hemmen,  —    das  Ligamentum  Bertini  hemmt  die  Zuzie- 
hung und  die  Auswärtsrollung,   aber  nicht  die  Einwärtsdrehung.  — 
Die    Synovialkapsel    überzieht   die    fibröse   Kapsel,    den   Limlma 
cartilagineiiH y  und  den  Hals  des  Schenkelbeins;   die  Reibflächen  der 
Gelenkknorpel  erhalten  von  ihr  keinen  Ueberzug.  In  der  Höhle  de§i 
Gelenks    liegt    das  runde    Band   des    Schenkelkopfes    {Ligamentum 
teres)y   welches  an  der  Incisura  acelabuli  entspringt,   und,   bei  rich- 
tiger Neigung  des  Beckens,   senkrecht  zur  Grube   des  Schenkel- 
kopfes aufsteigt.  Das  Band  besteht  oberflächlich  aus  festeren  Faser- 
schichten, als  im  Inneren,  wo  nur  locker  verbundene,  und  mit  Fett 
untermischte   Bindegewebsbündel   auftreten,   deren  Querschnitt  dem 
Bande   den  Anschein   von  Hohlsein  giebt.     Man  hat  dem  Ligamen- 
tum t>eres  den  Zweck   zugemuthet,   die  Zuziehung  des  Schenkels  zu 
beschränken.     Dieses  ist  nicht  der  Fall,   da  nach  Durchschneidung 
des  Bandes  in    der   von    der    Beckenhöhle    aus    eröfiheten    Pfanne, 
die   Zuziehimgsfähigkeit   des    Schenkels   nicht   vermehrt  wird.     Das 
einzige   Hemmungsmittel   der  Zuziehung  Uegt  im  Lig.  Bertini.    Das 
runde   Band   hätte,  wenn   es   in   die  Höhle  des   Gelenkes    vorragen 
würde,   durch  Reibung  viel  zu  leiden  gehabt.     Ja  selbst  seine  Exi- 
stenz wäre   compromittirt,   wenn  nicht  die  knorpellose  Fovea  aceta- 
buli  zu  seiner  Aufnahme  bereit  stünde.  Es  giebt  keine  vollko^lmene 
Verrenkung  des  Hüftgelenks   ohne  Zerreissung  des  runden  Bandes. 
Angeborenes   Fehlen   des   Bandes  gehört  als  Thierähnlichkeit  (Ele- 
phant)  zu  den  grössten  Seltenheiten. 

Wodurch  wird  der  Schenkelkopf  in  der  Pfanne  gehalten?  —  Die  Lösung 
dieser  Frage,  die  wir  den  Untersuchungen  der  OebrDder  Weber  verdanken 
(Mechanik  der  menschlichen  Gehwerkzeuge.  Göttingen,  1836),  fQhrte  zu  dem 
überraschenden  Resultate,  dass  das  Zusammenhalten  der  Knochen  im  Hüftgelenke 
nur  vom  Druck  der  Athmosphäre  abhängt;  eine  Wahrheit,  die  für  alle  übrigen 
Gelenke  in  gleicher  Weise  gilt.  —  Bei  den  Nussgelenken,  die  der  Mechaniker 
baut,  hat  die  Pfanne,  wenigstens  in  einem  ihrer  Bögen,  mehr  als  180 ^  umfasst 
somit  den  Kopf,  und  lässt  ihn  nicht  heraus.  Die  menschliche  Hüftpfanne  hält 
in  keinem  ihrer  Bögen  mehr  als  180  ^  Der  lAmhtu  carUlagmeua  geht  wohl  über 
den  grössten  Kreis  des  Schenkelkopfes  hinaus,  kann  ihn  i^ber  nicht  in  der  Pf«iiiM 


360  §•  i50.  Hflflgelenk. 

zurückhalten,  da  er  in  diesem  Falle  durch  die  Reibung  bald  abgenützt  und 
unbrauchbar  gcmaclit  würde,  eine  so  schwere  Last,  wie  sie  in  der  ganzen 
unteren  Extremität  mit  ihren  Weichtheilen  gegeben  ist,  zu  tragen.  Die  Kapsel 
tmd  die  Zona  orhieidaria  können  am  Cadaver  zerschnitten  werden,  ohne  dass 
der  Kopf  aus  der  Pfanne  weicht  Sie  nützen  ^Iso  für  das  Verbleiben  des  Schen- 
kelkopfes in  der  Pfanne  eben  so  wenig,  wie  der  knöcherne  und  der  knorpelige 
Pfannenrand.  Um  den  Eiufluss  des  Luftdrucks  bei  der  Fixirung  des  Schenkel- 
kopfes in  der  Pfanne  einzusehen,  stelle  man  sich  einen  hohlen  Cylinder  vom 
Durchmesser  der  Pfanne  vor,  welcher  oben  blind  abgerundet  endigt  In  die 
untere  Oeffhung  desselben  passe  man  den  Schenkclkopf  ein,  und  schliesse  sie 
dadurch  luftdicht  Denkt  man  sich  nun  die  Luft  im  Ojlinder  verdünnt  werden, 
so  muss  der  Scheukelkopf  durch  den  äusseren  Luftdruck  aufsteigen,  und  ist  der 
Cylinder  ganz  luftleer  geworden,  so  wird  der  Schenkclkopf  am  oberen,  pfannen- 
ähnlichen blinden  Ende  desselben  anstehen.  Das  Stück  dos  Cylinders,  welches 
der  Schenkclkopf  während  seines  Aufstcigens  durchlaufen  hat,  kann  man  nun 
wegnehmen,  und  durch  einen  faserknorpeligcn  Hing  {TJmhiu  cartUagineiia)  er- 
setzen, welcher  sich  um  den  Kopf  des  Schenkclbeins  genau  anlegt.  Bei  jedem 
Versuch ,  den  Schenkel  aus  der  Pfanne  zu*  ziehen ,  und  dadurch  in  der  Pfanne 
einen  luftleeren  Raum  zu  bilden,  wird  der  äussere  Luftdruck  den  faserknor- 
peligen Ring,  wie  ein  Ventil,  um  den  Kopf  herum  andrücken,  und  das  Her- 
austreten des  letzteren  verhüten.  Bohrt  man  in  den  Pfannengrund  vom  Becken 
aus  ein  Loch,  so  hält  die  einströmende  Luft  dem  äusseren  Luftdnicke  das 
Gleichgewicht  Der  Schenkel  wird  nicht  mehr  durch  den  Luftdruck  balancirt, 
sondern  tritt,  seiner  Schwere  folgend,  so  weit  aus  der  Pfanne  heraus,  bis  er  vom 
Limbua  cavtUagineu*  getragen  wird.  Zerschneidet  man  diesen,  so  fällt  der  Schen- 
kelkopf ganz  heraus.  Wird  der  Schenkelkopf  in  die  Pfanne  wieder  zurück- 
gebracht, und  das  Bohrloch  hierauf  mit  dem  Finger  zugehalten,  so  balancirt  er 
wieder,  wie  früher,  und  stürzt  nach  Entfernung  des  Fingers  neuerdings  herab. 
Da  die  Grösse  der  Kraft,  mit  welcher  der  Luftdruck  auf  das  Hüftgelenk  wirkt, 
gleich  ist  dem  Gewicht  einer  Quecksilbersäule  von  der  Höhe  des  Barometer- 
standes, und  dem  Umfange  der  auf  eine  Ebene  projicirten  Pfannenarea,  so  lässt 
sich  diese  Grösse  leicht  berechnen,  und  wird  dem  Gewichte  der  unteren  Extre- 
mität gleich  gefunden. 

Dem  Gesagten  zufolge  äquilibrirt  der  äussere  Luftdruck  den  Schenkel  im 
Pfannengelenk.  Der  Schenkel  schwingt  somit  bei  seinen  Bewegungen  wie  ein 
Pendel  ohne  Reibung,  und  die  Gesetze  der  Pendelschwingungen  finden  auf  die 
Bewegungen  des  Schenkels  volle  Anwendung.  Sie  erklären  uns,  warum  alle 
Schritte  desselben  Menschen  gleich  lang  sind,  warum  kleine  Menschen  kurze, 
und  grosse  Menschen  lange  Schritte  machen,  warum  die  Bewegungen  kleiner 
Menschen  schnell  und  hurtig,  jene  grosser  Menschen  gravitätisch  und  langsam 
sind,  warum  ein  kleiner  und  grosser  Mensch  Arm  in  Arm  nur  schwer  zusammen- 
gehen, und  bald  aus  dem  Schritt  fallen,  warum  man  im  Militär  die  grossen  Leute 
in  eigene  Compagnien,  und  die  grössten  davon  in  eine  Reihe  stellt,  u.  v.  a. 

Gegen  die  We herrsche  Lehre  ist  in  neuester  Zeit  von  E.  Rose  schweres 
Bedenken  erhoben  worden  (Mechanik  des  Hüftgelenks,  im  Archiv  für  Auat  1865». 
Die  Schlüsse,  zu  welchen  Rose  durch  Versuch  und  Beobachtung  an  Kranken 
gelangte,  sind:  dass  der  Luftdruck  für  die  Festigkeit  des  Hüftgelenks  belanglos 
ist,  und  dass,  nebst  der  durch  die  St/novia  bedingten  Adhäsion  der  Gelenkflächen, 
vorzugsweise  den  Muskeln  und  Bändern  das  Zusammenhalten  der  Knochen  im 
Hüftgelenke  obliegt 


(.  151.   Kaoehen  de«  Untorichenkels.  361 


§.  151.  Knochen  des  Unterschenkels. 

Das  Skelet  des  Unterschenkels  besteht  aus  zwei  langröhrigen 
Knochen:  dem  Schien-  und  Wadenbein,  welchen  ein  kurzer  und 
dicker  Knochen:  die  Kniescheibe,  als  Zugabe  beigesellt  ist. 

A.  Das  Schienbein,  Tibia  (alter  Name  Canna  majai')  ist  der 
grössere  von  beiden,  und,  nächst  dem  Schenkelbein,  der  grösste 
Röhrenknochen.  Seine  Gestalt  gleicht  einer  Schalmeie,  deren  Mund- 
stück der  gleich  zu  erwähnende  Knöchel  vorstellt,  daher  der  latei- 
nische Name  Ttbia  (tibiis  canei'e).  Das  Schienbein  bildet  die 
eigentliche  knöcherne  Stütze  des  Unterschenkels,  und  übertrifft  das 
an  seiner  äusseren  Seite  liegende  Wadenbein  viermal  an  Masse  und 
Gewicht.  Sein  Mittelstück  ist,  wie  bei  allen  bisher  abgehandelten 
langen  Knochen,  eine  dreiseitige  Säule.  Die  vordere  besonders 
scharfe  Kante  heisst  Schienbeinkamm  —  Crista  tibiae.  Sic  kann 
am  lebenden  Menschen  durch  die  Haut  hindurch  gefühlt  werden. 
Minder  scharf  ist  die  äussere,  und  am  stumpfsten  die  innere 
Kante.  Die  hintere,  ebene  Fläche  zeigt  in  ihrem  obersten  Theile 
eine  rauhe,  schief  von  aussen  und  oben,  nach  innen  und  unten 
laufende  Linie  (Linea  popUted),  Neben  dem  unteren  Ende  dieser 
Linie  liegt,  nach  der  äusseren  Kante  zu,  das  grösste  aller  Er- 
nährungslöcher, welches  schief  abwärts  in  den  Knochen  di*ingt.  Die 
äussere  Fläche  erscheint  der  Länge  nach  concav,  die  innere 
etwas  convex.  Letzteres  ist  durch  die  Haut  hindurch  leicht  zu 
fühlen.  Das  obere  Ende  breitet  sich  wie  ein  Säulenknauf  in  die 
zwei  seitlich  vorspringenden  Schienbeinknorren  (Condyli  tibiae) 
aus,  welche  an  ihrer  oberen  Fläche  nur  sehr  wenig  vertiefte  Ge- 
lenkflächen besitzen.  Die  Gelenkfläche  des  inneren  Condylus  ist 
etwas  tiefer  ausgehöhlt,  und  steht  zugleich  etwas  höher,  als  die 
äussere.  Zwischen  beiden  Gelenkflächen  liegt  eine,  in  zwei  stumpfe 
Spitzen  getheilte  Erhabenheit  (Eminentia  s.  Accltvüaa  intercon- 
dyloidea)y  welche  vor  und  hinter  sich  rauhe  Stellen  ftlr  die  An- 
heftung der  Kreuzbänder  des  Kniegelenks  liegen  hat.  Jeder  Con- 
dylus ist  mit  einem  breiten,  senkrecht  abfallenden,  porösen  Rande 
umgeben.  Unter  der  vorderen  Verbindungsstelle  beider  Ränder, 
bemerkt  man  den  Schienbeinstachel  {Spinaj  besser  Tubertmbaa 
tibiae)  als  Ausgangspunkt  der  vorderen  Kante  des  Mittelstücks. 
Am  hinteren  seitlichen  Umfange  des  äusseren  Condylus  sieht  man 
eine  rundliche,  kleine,  schräg  nach  abwärts  sehende  Gelenkfläche, 
für  das  Köpfchen  des  Wadenbeins.  —  Das  untere  Ende  hat  eine 
viereckige,  nach  abwärts  schauende,  von  vom  nach  hinten  conoave 
Gelenkfläche,  welche  nach  innen  durch  einen  kurzen,  aber  breiten 
und  starken  Fortsatz^  den  inneren  Knöchel|  MaUeaiuB  inUßrm 


362  S*  l&^*   Kaoolieii  des  üntenchenkels. 

begrenzt  wird,  dessen  Gelenkfläche  mit  der  ersteren  fast  einen 
rechten  Winkel  bildet.  Am  hinteren  Theile  des  inneren  Knöchels, 
verläuft  eine  Furche  ftlr  die  Sehne  des  hinteren  Schienbeinmuskels. 
Dem  inneren  Knöchel  gegenüber^  zeigt  das  untere  Ende  des  Schien- 
beins an  seiner  äusseren  Gegend  einen  zur  Aufnahme  des  Waden- 
beinendes dienenden  Ausschnitt,  Incisura  pei'onea. 

Das  Schienbein  nimmt  nur  bei  Individuen,  die  in  ilirer  Jugend  Anlage 
zur  Kkacliitis  hatten,  eine  leise  Biegung  nach  vom  und  aussen  an.  Seine  vor- 
dere Kante  ist  jedr»ch,  selbst  bei  vollkommen  gut  gebauten  Füssen,  an  der  oberen 
H&lfte  nach  innen,  an  der  unteren  nach  aussen  gebogen,  also  schwach  S-  oder 
wellenförmig  gokrflmmt, 

B.  Das  Wadenbein,  Fibula,  Pei'Oiie,  Cawia  minor,  associirt 
sich  als  schlanker  Nebeuknochen  dem  Schienbein.  Es  hat  mit 
diesem  gleiche  Länge,  steht  aber  im  Ganzen  etwas  tiefer,  so  dass 
sein  oberes  Ende  oder  Köpfchen  (Capitulum)  an  die  nach  ab- 
wärts gerichtete  kleine  Gelenkfläche  des  Condylus  extemtts  tibtae, 
nicht  aber  an  den  Oberschenkelknochen  anstösst,  und  sein  unteres 
Ende,  welches  den  äusseren  Knöchel  (Malleolus  extemus)  bildet, 
weiter  herabreicht,  als  der  Malleolus  inteimus  des  Schienbeins.  Die 
dem  Schienbeine  zugekehrte,  überknorpelte,  innere  Fläche  des  äusse- 
ren Knöchels  steht  mit  der  entgegensehenden  Fläche  des  inneren 
Knöchels  parallel,  also  senkrecht,  wodurch  eine  tief  einspringende 
Gelenkhöhle  ftlr  den  ersten  Fusswurzelknochen  (Sprungbein)  zu 
Stande  kommt.  An  seinem  hinteren  Rande,  welcher  seiner  Breite 
wegen  besser  als  Fläche  zu  bezeichnen  wäre,  bemerkt  man  die 
zuweilen  nur  seicht  vertiefte  Furche  fttr  die  Sehnen  des  langen 
und  kurzen  Wadenbeinmuskels.  Das  Mittel  stück  ist  ein  unregel- 
mässig vierkantiger  Schaft,  dessen  vordere  schärfste  ^Kante  Crista 
fihulae  heisst,  dessen  innere,  dem  Schienbein  zugekehrte,  stumpfe 
Kante  dem  Ligamentum  interosseum  zur  Anheftung  dient.  Gegen 
das  Köpfchen  hinauf  geht  die  vierseitige  Gestalt  des  Mittelstücks 
in  eine  dreiseitige,  zuweilen  auch  durch  Abrundung  der  Kanten 
in  eine  mehr  cylindrische  Form  über,  und  dieser  dreiseitige  oder 
rundliche  Theil  des  Knochens  ist  es,  welcher  von  einigen  Anatomen 
als  Collum  ßbulae  benannt  wird. 

C.  Die  Kniescheibe,  Patella  (Rotuia,  Mola,  Scutum  genu,  Os 
thyreoides,  Epigonis),  wurde  ihres  Verhältnisses  zur  Strecksehne  des 
Unterschenkels  wegen,  von  Bertin  für  ein  wahres  Sesambein  erklärt, 
—  le  grand  os  sesamötde  de  la  Jambe.  Ihre  bei  beiden  Geschlech- 
tem, und  bei  Individuen  eines  Geschlechtes,  bemerkbare  Verschie- 
denheit an  Grösse  und  Stärke,  hängt  von  der  Intensität  der  Wir- 
kung der  Unterschenkelstrecker  ab.  (Bei  Ajax  Telamonius  lässt 
sie  Tansanias,  handgross  sein!)  Bei  richtiger  Würdigung  hält  sie 
ganz   gut  den  Vergleich   mit  dem  Olekranon  der  Ulna  aus,  da  sie. 


§.  16».  Kniegelenli.  363 

wie  dieses,  den  Streckseimen  zur  Anhefking  dient.  Die  Patella 
wäre  demnach  ein  frei  und  selbstständig  gewordenes  Olekranon. 
Wie  das  Olekranon  in  dem  Einschnitte  der  Trochlea  des  Oberarms 
beim  Strecken  und  Beugen  des  Vorderarms  auf  und  nieder  geht, 
eben  so  gleitet  die  Kniescheibe  in  der  Vertiefung  zwischen  beiden 
Condyli  femoria  beim  Strecken  und  Beugen  des  Unterschenkels  auf 
und  ab.  Ihre  Gestalt  mag  herz-  oder  kastanienförmig  genannt 
werden,  mit  einer  oberen  Basis,  und  unteren  Spitze,  welche 
durch  ein  sehr  starkes  Band  {Ligamentum  patellae  proprium)  mit 
der  Spina  tifyiae  zusammenhängt.  Ihre  vordere  Fläche  ist  convex 
und  rauh,  ihre  hintere  besteht  aus  zwei  unter  einem  sehr  stumpfen 
GKebel  zusammenstossenden,  flach  concaven  Gelenkflächen,  einer 
äusseren  grösseren,  die  dem  Condylus  extemusy  und  einer  inne- 
ren kleineren,  die  dem   Condylus  internus  femoris  entgegenßieht« 

Kleinere  Unterabtheilxmgen  oder  Facettiningen  hier  anzuführen,  halte  ich, 
für  elementare  Vorträge  nicht  erspriesslich.  Ausführliches  hierüber  giebt  Robert, 
in   seinen:  Untersuchungen  über  die   Mechaiuk  des  Kniegelenks.  Qiessen,  1855. 

Das  Schien-  und  Wadenbein  werden  oben  durch  die  straffe 
Articulatio  tibio-fihularis,  ihrer  Länge  nach  durch  die  Membrana 
interossea,  \xni  unten  durch  die  vorderen  und  hinteren  Knöchel- 
bänder, welche  vom  Malleolus  extemvs  quer  zimi  vorderen  und 
hinteren  Ende  der  Incisura  fibularis  des  Schienbeins  laufen,  ver- 
bunden, und  können  ihre  wechselseitige  Lage  nur  in  geringem 
Ghrade  ändern.  Eine  Portsetzung  der  Synovialkapsel  des  Sprung- 
gelenks dringt  von  unten  her,  als  eine  kleine  Tasche  oder  Blind- 
sack, zwischen  die  vorderen  und  hinteren  Knöchelbänder  ein. 


§.  152.  Kniegelenk. 

Die  mechanische  Einrichtung  des  Kniegelenks  (Articulatio  genu) 
stempelt  dasselbe  zum  Winkelgelenk,  erlaubt  aber  dem  Unterschen- 
kel, nebst  der  Beugung  imd  Streckung,  im  gebeugten  Zustande 
noch  eine  Axendrehung  (Pronation  und  Supination),  welche  bei  ge- 
strecktem Knie  nicht  möglich  ist.  Wir  haben  es  somit  wie  beim 
Ellbogengelenk  mit  einem  Trocho-ginglymus  zu  thun.  Im  Ellbogen- 
gelenk war  die  Winkelbewegung  und  die  Axendrehung  auf  ver- 
schiedene Knochen  vertheilt;  —  im  Kniegelenk,  wo  von  den  Kno- 
chen des  Unterschenkels  nur  das  Schienbein  als  theilnehmender 
Knochen  auftritt,  muss  durch  eine  besondere  Modification  der  Bän- 
der, die  Coöxistenz  dieser^  beiden,  sonst  einander  ausschhessenden 
Bewegungsarten,  an  Einem  Knochen  möglich  gemacht  werden.  Im 
Ellbogengelenke  wurde  das  Maximum  der  Beugung  durch  das 
Stemmen    des    Processus   coronoideus    in    der   Fovea   supraitroMeaHs 


364  §.  15S.  Kniegelenli. 

antetnoTf  und  das  Maximum  der  Streckung  durch  das  Stemmen  des 
Olekranon  in  der  Fovea  supratrochleains  posterior  bestinunt;  —  im 
Kniegelenke  fehlen  am  Schienbein  solche  stemmende  Fortsätze, 
und  doch  kann  man  den  Unterschenkel  nicht  auf  mehr  als  180'' 
strecken,  und  nur  mit  Mühe  so  weit  beugen,  dass  die  Ferse  die 
Hinterbacke  berührt  Die  Ursache  dieser  Beschränkung  liegt  einzig 
und  allein  im  Bandmechanismus,  der  an  diesem  Gelenke  eine  Com- 
plicirtheit  besitzt,  wie  sie  bei  keinem  anderen  Gelenke  vorkommt. 
Der  Bandapparat  des  Kniegelenks  besteht  aus  folgenden  Ein- 
zelnheiten :  ^ 

1.  Die  zwei  halbmondförmigen  Zwischenknorpel,  Fibro- 
cartilagines  interartiadares  (auch  semilunaresy  falcatae,  lunatae,  me- 
niscoideae).  Die  stark  convexe  Oberfläche  der  beiden  Condyli  femoris 
würde  die  flachen  Gelenkebenen  der  Condyli  tihiae  nur  an  einem 
Punkte  berühren,  wenn  nicht,  durch  die  Einschaltung  der  Zwischen- 
knorpel, der  zwischen  den  Condyli  fennoria  und  tihiae  übrig  blei- 
bende Raum  ausgefüllt,  und  die  Berührungsfläche  beider  dadurch 
vergrössert  würde.  Jeder  Zwischenknorpel  hat  die  Gestalt  eines  C, 
oder  Halbmondes,  dessen  convexer  und  dicker  Rand  gegen  die 
fibröse  Kapsel,  dessen  concaver  schneidender  Rand  gegen  den 
Berührungspunkt  der  Condyli  sieht.  Beide  Zwischenknorpel  sind 
nicht  gleich  gross.  Der  innere  ist  weniger  gekrümmt,  und  am 
convexen  Rande,  der  mit  der  fibrösen  Kapsel  verwächst,  höher, 
somit  weniger  beweglich,  als  der  äussere,  der  eine  schärfere  Krüm- 
mung hat,  niedriger  ist,  und,  da  er  mit  der  fibrösen  Gelenkkapsel 
nicht  verwächst,  sondern  nur  durch  eine  Falte  der  Synovialhaut 
mit  ihr  verbunden  wird,  sich  einer  grösseren  Verschiebbarkeit  er- 
freut. Die  durch  ein  kurzes  Querband  verbundenen  vorderen  Enden 
beider,  sind  in  der  Grube  vor  der  Eminentia  intercondyloidea  des 
Schienbeins,  die  hinteren  Enden  hinter  dieser  Erhabenheit  durch 
kurze  Bandfasem  befestigt. 

Die  Zwi8chenknor|)el  vertiefen  die  seichten  Gelcnkflfichen  der  Schionbein- 
knorren,  und  «daptiren  sie  der  Convexität  der  Schenkelbeinknorren,  —  sie  ver- 
grOssem  die  Contactflftchen  des  Gelenks,  und  verhüten  dadurch  die  gewisse 
Abnützung  der  sich  reibenden  Condyli.  Sie  vermehren  die  Stabilität  des  Ge- 
lenks, dämpfen  als  elastische  Zwischenpolster  die  Gewalt  der  Stösse,  die  das 
Gelenk  beim  Sprunge  auszuhalten  hat,  und  verhindern,  da  sie  den  luftleeren 
Raum  des  Gelenks  ausfüllen,  eine  durch  den  Äusseren  Luftdnick  möglicher  Weise 
zu  bewirkende  Einklemmung  der  Kapsel  zwischen  den  auf  einander  rollenden 
Condyli  femoris  et  tihiae, 

2.  Die  zwei  Kreuzbänder,  Ligamenta  a'itciata,  liegen  in 
der  Gelenkhöhle,  entspringen  an  den  einander  zugekehrten,  die 
Inciatira  intercotidyloidea  begrenzenden,  rauhen  Flächen  der  Condyli 
femot^Sy  und  inseriren  sich  in  den  Gruben  vor  und  hinter  der  Emi- 
nentia intercomlyloidea  tihiae.    Das    vordere  Kreuzband  geht  vom 


$.  152.   Kniegelenk.  365 

hinteren  Theile  der  inneren  rauhen  Fläche  des  Condylus  extetmus 
femoris  zur  vorderen,  das  hintere  Kreuzband  vom  vorderen 
Theile  der  äusseren  rauhen  Fläche  des  Condyhta  internus  zur  hin- 
teren Grube.  Sie  kreuzen  sich  somit  wie  die  Schenkel  eines  X. 
Die  schiefe  Richtung  ist  jedoch  nicht  an  beiden  Kreuzbändern 
gleich  gross,  indem  sich  die  Richtung  des  hinteren  mehr  der  senk- 
rechten nähert.      , 

Beide  Kreuzbänder  sind  ausebnlich  dick  und  stark,  und  functioniron,  das 
hintere  als  Hemmung^mi^tel  der  Streckung,  das  vordere  als  Hemmnngsmittel  der 
Beugung  und  Einwärtsdrebung  des  Unterschenkels. 

3.  Die  zwei  Seitenbänder,  Ligamenta  lateraliay  Hegen  ausser 
der  Kapsel.  Das  äussere  Seitenband  entspringt  von  der  Tube- 
rositas  des  äusseren  Schenkelknorrens,  ist  rundlich,  und  befestigt 
sich  am  Köpfchen  des  Wadenbeins.  Das  innere  entspringt  an 
derselben  Stelle  des  inneren  Schenkelknorrens,  ist  breiter,  länger 
und  stärker,  als  das  äussere,  imd  setzt  sich  2 — 3  Zoll  unter  dem 
inneren  Condylus,  an  der  inneren  Kante  des  Schienbeins  fest. 

Wären  beide  Condyli  fenioru  Walzenstücke  mit  cylindrischer  Oberfläche, 
deren  Axe  durch  die  Ursprungsstellen  beider  Scitenbänder  geht,  so  würden  die 
Seitenbänder  bei  gebogenem  und  gestrecktem  Znstande  des  Gelenks  dieselbe 
Spannung  haben,  und  die  Axendrehung  des  Unterschenkels  bei  keiner  dieser  bei- 
den Stellungen  gestatten.  Da  aber  die  von  Tom  nach  hinten  gehende  Bcgren- 
sungslinie  der  Bchenkelknorren  kein  Kreisbogen,  sondern  ein  Stück  einer  £Uipse 
(eigentlich  einer  Spirale,  Weber)  ist,  so  wird,  wenn  diese  Ellipse  sich  auf  den 
Schienbeinpfannen  dreht,  ihr  Mittelpunkt  {TuberosiUu  condyli,  als  Urspruugsstelle 
des  Seitenbandes)  bei  gestrecktem  Knie  höher  als  bei  gebeugtem  Knie  zu  stehen 
kommen,  und  dadurch  das  Seiten  band  nur  bei  gestrecktem  Knie  angespannt, 
bei  gebogenem  dagegen  relaxirt  sein  müssen,  wodurch,  im  letzteren  Falle,  ein 
Drehen  des  Schienbeins  um  seine  Axe  möglich  wird. 

4.  Die  fibröse  Gelenkkapsel  muss  einen  sehr  dünnwandi- 
gen und  weiten  Sack  bilden,  um  Beugung  und  Streckung,  so  wie 
Drehimg  des  Unterschenkels  nicht '  zu  hindern.  Sie  entspringt  in 
massiger  Entfemimg  über  den  tiberknorpelten  Flächen  der  Condyli 
femoris,  und  inserirt  sich  an  dem  rauhen  Umfange  beider  Schien- 
beinknorren. Fortsetzungen  der  Sehnen  der  Streckmuskeln  des  Unter- 
schenkels verstärken  sie  stellenweise.  An  ihrer  vorderen,  sehr  laxen 
Wand,  hat  sie  eine  Oeffnung,  welche  die  hintere  überknorpelte 
Fläche  der  Kniescheibe  aufiiimmt,  und  durch  sie  geschlossen  wird. 
Sie  ist  so  dünn,  dass  man  sie  für  eine  blosse  Fortsetzung  der 
Beinhaut  des  Oberschenkels  zur  Tibia  angesehen  hat.  Nur  an  der ' 
hinteren  und  äusseren  Wand  wird  sie  durch  eingewebte  fibröse 
Faserzüge  verdickt. 

Das  Verstärknngsbündel  der  hinteren  Wand  wird  Kniekehlenband, 
Ligamentum  poplUeum,  genannt  Es  entsteht  vom  Otmdjfht»  9xUmu9  fem&ri»f  endigt 
unter  dem  Condylus  internus  tünae,   und  hängt  auf  ^e  in  der  Mofkidlekvt 


366  §    l&>-    Kniegelenk. 

erwähnende  Weise  mit  den  Sehnen  des  Miuctäu»  temimembranosuSf  und  dem 
äusseren  Ursprungskopfe  des  Qastrocnemius  zusammen.  Es  wird  durch  die 
Action  dieser  Muskeln,  beim  Bengen  des  Knies  zugleich  mit  der  hinteren  Kapsel- 
wand gespannt,  und  entrückt  dadurch  die  Kapselwand  einer  möglichen  Einklem- 
mung. Das  Verstärkungsbündel  der  äusseren  Wand  ist  dünner,  entspringt  am 
Kopfe  des  Wadenbeins,  und  verliert  sich  aufwärtssteigend  in  der  äusseren  Kap- 
selwand. Es  wurde  von  mehreren  als  Ligamentum  laterale  extemum  breve  dem 
in  3  erwähnten  äusseren  Seitenbande,  welches  dann  dbn  Beinamen  longum  erhält, 
entgegengesetzt. 

5.  Die  mit  der  inneren  Fläche  der  fibrösen  Kapsel  innigst 
verwachsene  Synovial kapsel  bildet  zu  beiden*  Seiten  der  Knie- 
scheibe zwei,  in  die  Höhle  des  Gelenks  hineinragende,  mit  Fett 
reichlich  gefüllte  Einstülpungen  oder  Falten,  die  Plügelbänder, 
Ligamenta  alaria,  welche  von  der  Basis  der  Kniescheibe,  zu  den 
vorderen  Enden  der  Zwischenknorpel  herablaufen,  sich  hier  mit 
einander  verbinden,  und  in  den  Synovialüberzug  eines  dünnen, 
aber  ziemlich  resistenten  Bandes  übergehen,  welches  von  der  An- 
heftungsstelle  des  vorderen  Kreuzbandes  am  Schienbein  entspringt, 
und  sich  in  der  Fossa  intei'condyloidea  des  Oberschenkels  festsetzt 
Dieses  Band  führt  den  altherkömmlichen  Namen  Ligamentum  mticosum. 

Ich  habe  bewiesen,  dass  durch  die  beiden  Flügelbänder  der  vor  den  LAga- 
menlit  cnidatiB  befindliche  Raum  der  Kniegelenkhöhle  in  drei  vollkommen  unab- 
hängige Gelenkräume  getheilt  wird,  deren  mittlerer  dem  Gelenke  der  Kniescheibe 
mit  der  Rolle  des  Oberschenkels,  und  deren  seitliche  den  Gelenken  zwischen  den 
beiden  Schenkel-  und  Schienbeinknorren  angehören.  Sie  fimctioniren  für  dieses 
Gelenk  als  Ventile,  welche  das  Kniescheibengelenk,  selbst  bei  seitlicher  Er- 
öffnung der  Kniegelenkkapsel,  dem  Einflüsse  des  Luftdruckes  unterordnen,  imd 
ein  Ausheben  der  Kniescheibe  aus  der  Furche,  in  welcher  sie  gleitet,  nicht  zu- 
lassen. —  Auch  die  in  der  Höhle  des  Gelenks  angebrachten  Kreuzbänder  besitzen 
einen  von  der  Synovial memhran  entlehnten  TJeberzug.  Derselbe  geht  als  Falte 
von  der  hinteren  Wand  der  Synovialis  aus,  und  umhüllt  beide  Kreuzbänder,  welche 
somit,  streng  genommen,  ausser  der  Höhle  der  Synovialmembran,  aber  dennoch 
innerhalb  der  Gelenkskapsel  liegen. 

6.  Die  Synovialkapsel  erzeugt,  nebst  den  in  5  er- 
wähnten Einstülpungen,  eine  gewisse  Anzahl  Ausstülpun- 
gen. Man  bohre  in  die  Kniescheibe  ein  Loch,  und  flllle  durch 
dieses  die  Kniegelenkhöhle  mit  erstarrender  Masse.  Es  werden 
sich  dadurch  drei  beutelförmigc  Aussttllpungen  der  Synovialkapsel 
auftreiben,  welche  sind:  a.  eine  obere,  unter  der  Sehne  des  Unter- 
schenkelstreckers liegende,  ß.  eine  seitliche,  welche  sich  unter 
der  Sehne  des  Musculus  popliteua  nach  aussen  wendet,  und  zuweilen 
mit  der  Synovialkapsel  des  Wadenbein-Schienbeingelenks  commu- 
nicirt,  so  dass  diese  als  eine  Verlängerung  des  Kniegelenk-Syno- 
vialsacks  erscheint,  7.  eine  zweite  seitliche,  die  sich  zwischen 
die  Sehne  des  Musculus  poplitetis,  und  das  äussere  Seitenband, 
einschiebt. 


|.  152.    Kniegelenk.  367 

Nach  Grub  er*  8  fleissigen  und  genauen  Untersuchungen  (Prager  med. 
Vierteljahresschrift.  II.  Bd.  1.  Heft),  kommt  die  offene  Communication  der  Syno- 
vialkapsel  des  Kniegelenks  mit  jener  des  Wadenbein-Schienbeingelenks  unter 
160  Fällen  nur  11  Mal  vor. 

Durch  Versuche  am  Cadaver  lassen  sich  folgende.  Sätze  für 
die  Verwendung  der  Kniegelenkbänder  beweisen : 

a)  Die  fibröse  Kapsel  ist  kein  Befestigungsmittel  der 
Knochen  des  Kniegelenks.  Schneidet  man  an  einem  präpa- 
rirten  Kniegelenk  die  Seitenbänder  entzwei,  und  trennt  man  durch 
eine  dünne,  am  Seitenrande  der  Kniescheibe  in  die  Kapsel  einge- 
stochene Messerklinge,  die  Kreuzbänder,  wodurch  also  die  Kapsel, 
ausser  der  kleinen  Stichöffnung,  ganz  bleibt,  so  hat  man  die  Festig- 
keit des  Gelenks  im  gebogenen  und  gestreckten  Zustande  total 
vernichtet  Der  Unterschenkel  entfernt  sich  durch  seine  Schwere 
vom  Oberschenkel,  so  weit  es  die  Schlaffheit  der  Kapsel  gestattet. 
—  Wurde  an  einem  anderen  Exemplare  die  Kapsel  ganz  entfernt, 
die  Seiten-  und  Kreuzbänder  aber  geschont,  so  bleibt  die  Festigkeit 
des  Gelenks  im  gebogenen  und  gestreckten  Zustande  dieselbe,  wie 
bei  unversehrter  Kapsel. 

b)  Die  Seitenbänder  bedingen  im  gestreckten,  aber 
nicht  im  gebogenen  Zustande  die  Festigkeit  des  Kniege- 
lenks. Trennt  man  an  einem  Kniegelenk  die  Kreuzbänder  mit  Scho- 
nung der  Seitenbänder,  so  bemerkt  man  im  gestreckten  Knie  keine 
Verminderung  seiner  Festigkeit.  Je  mehr  man  es  aber  beugt,  desto 
mehr  beginnt  es  zu  schlottern,  der  Unterschenkel  entfernt  sich  vom 
Oberschenkel,  und  kann  um  sich  selbst  gedreht  werden.  Da  das 
innere  Keitenband  breiter  und  stärker  gespannt  ist  als  das  äussere, 
so  wird,  bei  der  Drehimg  des  Unterschenkels,  nur  der  äussere 
Schienbeinknorren  einen  Kreisbogen  beschreiben,  dessen  Centrum 
der  Mittelpunkt  des  inneren  Knorren  bildet 

c.  Die  Kreuzbänder  bedingen  im  gebogenen,  aber 
nicht  im  gestreckten  Zustande,  die  Festigkeit  des  Knie- 
gelenks. Werden  die  Seitenbänder  durchgeschnitten,  die  Kreuz- 
bänder aber  nicht,  so  klappert  das  Kniegelenk,  wenn  es  gestreckt 
wird,  und  der  Unterschenkel  lässt  sich  nach  aussen  drehen.  Diese 
Drehung  nach  aussen  erfolgt,  im  gebogenen  Zustande  des  Gelenks, 
von  selbst,  indem  die  Krcuzl)änder  sich  von  einander  abwickeln, 
und  parallel  zu  werden  streben.  Nach  innen  kann  sich  der  Unter- 
schenkel nicht  drehen,  da  hiebei  die  Kreuzbänder  sich  schrauben- 
förmig um  einander  winden  müssten.  Das  hintere  Kreuzband  ist 
zugleich  ein  einflussreiches  Hemmungsmittel  der  Streckung  des 
Unterschenkels,  welcher,  wenn  jenes  zerschnitten  wird,  sich  auf 
mehr  als  180*'  strecken  lässt  Das  vordere  Kreuzband  bezeichnet 
durch    seine   aufs    Höchste   gediehene   Spannung  die   Grense,  üb^, 


368  ^-  1^3.    Knochen  des  Fasses. 

welche  hinaus  die  Beugung  des  Unterschenkels  nicht  mehr  gestei- 
gert werden  kann.  —  Der  Einfluss  der  Kreuzbänder  auf  die  Limi- 
tirung  der  Streckung  und  Beugung  lässt  sich  nur  dann  verstehen, 
wenn  man  in  Anschlag  bringt,  dass  das  Kniegelenk  keine  fest- 
stehende Drehungsaxe  hat,  sondern  Unterschenkel-  und  Oberschen- 
kelknorren bei  den  Winkelbewegungen  auf  einander  nicht  Mos 
rollen,  sondern  auch  schleifen,  was  nothwendig  eine  Aenderung 
in  der  Spannung  der  Ligamenta  citu:iata  herbeiführt 

Ueber  das  Kniegelenk  handeln  aasfQhrlich  H.  Meyer,  in  Müller*»  Archiv. 
1853.  p.  497,  und  Robert,  in  seinen  früher  citirien  Untersuchungen.  Details  über 
den  Bandapparat  suche  bei  Henle^  in  dessen  Bänderlehre,  p.  132,  seqq.,  Langer, 
über  incongruente  Chamiergelenke  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1857,  Nov.) 
und  Henkef  Zeitschrift  für  rat  Med.  3.  Reihe.  14.  Bd. 


§.  153.  Knochen  des  Fusses. 

Die  Ejiochen  des  Fusses  {Ossa  pedis)  werden,  entsprechend 
den  Knochen  der  Hand,  in  die  Knochen  der  Fusswurzel,  des  Mit- 
telfusses,  und  der  Zehen  eingetheilt. 

A.   Er9te  Abtheilung.    Knochen  der  Fusswurzd, 

Die  Fusswurzel  (Tarsus)  bildet  den  grössten  Bestandtheil, 
und  zwar  die  ganze  hintere  Hälfte  des  Fussskeletes.  Sie  besteht 
aus  sieben  kurzen  und  dicken  Knochen  {Ossa  tarsi)y  welche  aber 
nicht  mehr  in  zwei  transversale  Reihen,  wie  die  Handwurzelkno- 
chen, geordnet  sind,  sondern  theils  über,  theils  der  Länge  und 
Quere  nach  neben  einander  zu  liegen  komnien. 

1.  Das  Sprungbein,  Talus,  Astragalus  (Synon,:  Os  tesserae 
s.  halistae)  hat  seinen  griechischen  Namen  von  der  Gestalt  seines 
Körpers  («(npiYO'Xc;,  lat  talus,  ein  Würfel,  —  aaTpaYaX{^6iv,  mit 
Würfeln  spielen,  bei  Homer).  Es  ist  der  einzige  Fusswurzelknochen, 
der  mit  dem  Unterschenkel  articulirt,  und  wird  in  den  Körper, 
Hals  und  Kopf  eingetheilt.  Der  Körper  zeigt  sich  uns  als  ein 
würfelförmiges  Knochenstück,  welches  in  die  Vertiefung  zwischen 
beiden  Knöcheln  hineinpasst.  Die  obere,  durchaus  überknorpolte 
Fläche  ist  von  vom  nach  rückwärts  convex,  von  einer  Seite  zur 
anderen  massig  concav.  Prof.  Langer  hat  in  der  Krümmung  die- 
ser Fläche,  ein  Sttlck  einer  Schraubenfläche  erkannt.  Am  vorderen 
Rande  ist  die  obere  Fläche  breiter  als  am  hinteren.  Ihre  Aus- 
dehnimg von  vom  nach  hinten  übertrifft  dieselbe  Ausdehnung  der 
an  sie  stossenden  Gelenkfläche  des  Schienbeins,  so  dass  bei  einer 
mittleren  Stellung  des  Gelenkes  (zwischen  Maximum  der  Beugung 
und  Streckung),  ein  Stück  der  Sprungbeingelenkfläche  am  vorderen. 


§.  158.   Knochen  des  Fnsses.  369 

und  ein  ebensolches  am  hinteren  Rande  frei  bleibt ,  d.  h.  mit  dem 
Schienbein  nicht  in  Contact  steht.  —  Die  tiberknorpelte  obere 
Fläche  des  Sprungbeinkörpers  geht  ununterbrochen  in  die  seit- 
lichen Gelenkflächen  über,  von  welchen  die  äussere  perpendiculär 
ab&llty  länger^  und  in  senkrechter  und  querer  Richtung  concav 
erscheint;  die  innere  aber  kürzer  ist,  und  mit  der  oberen  keinen 
rechten,  sondern  einen  stumpfen  Winkel  bildet.  —  Die  untere 
Gelenkfläche  des  Körpers  vermittelt  die  Verbindung  des  Sprung- 
beins mit  dem  Fersenbein.  Sie  ist  ein  Stück  einer  cyUndrischen 
Hohlfläche,  deren  längster  Durchmesser  schräge  von  innen  nach 
aussen  und  vom  geht  —  Die  vordere  Fläche  verlängert  sich  zum 
kurzen,  aber  dicken,  etwas  nach  innen  gerichteten  Halse  des 
Sprungbeins,  welcher  den  mit  einer  sphärisch  gekrümmten  Gelenk- 
fläche versehenen  Kopf  trägt,  dessen  Knorpelüberzug  sich  ununter- 
brochen in  eine  kleine,  an  der  unteren  Seite  des  Halses  befindliche, 
plane  Gelenkfläche  fortsetzt.  Zwischen  dieser  Gelenkfläche  des 
Halses  und  der  unteren  Gelenkfläche  des  Körpers  läuft  eine  tiefe 
rauhe  Rinne  (StUcus  toZi),  schief  von  innen  und  hinten  nach  vom 
und  aussen. 

Bei  hinterer  Ansicht  des  SpningbeinkOrpers  bemerkt  man,  zwischen  der 
oberen  und  hinteren  Gelenkfläche  desselben,  eine  Furche  schief  nach  unten  und 
innen  herabsteigen.  Sie  nimmt  die  Sehn^  des  langen  Beugers  der  grossen 
Zehe  auf. 

2.  Das  Fersenbein,  Calcaneus^  Cakar  pedis,  der  grösste 
Fusswurzelknochen,  liegt  unter  dem  Sprungbein,  reicht  nach  vom 
eben  so  weit  wie  dieses,  überragt  es  aber  rückwärts  beträchtlich, 
wodurch  der  Fersenvorsprung  (die  Hacke,  calx,  talon)  entsteht. 
Es  ist  länglich  viereckig,  zugleich  seitlich  comprimirt,  und  endigt 
nach  hinten  als  Fersenhöcker,  Tvherositas  calcanei,  an  welchem 
sich  gewöhnlich  noch  zwei  nach  unten  sehende,  ungleich  grosse 
Hervorragungen  bemerkbar  machen  (die  innere  grösser  als  die 
äussere).  An  seiner  oberen  Fläche  sieht  man  in  der  Mitte  die 
längUche,  concave,  schief  von  innen  nach  aussen  und  vom  gerich- 
tete Gelenkfläche  zur  Verbindung  mit  der  entsprechenden  unteren 
Gelenkfläche  des  Sprungbeinkörpers.  Vor  ihr  liegt  eine  rauhe 
Furche  (SiUcus  ccdcanei),  die  mit  der  ähnlichen,  an  der  unteren 
Gegend  des  Sprungbeins  erwähnten,  den  Sinvs  tarsi  bildet.  Ein- 
wärts von  dieser  Furche  überragt  ein  kurzer,  aber  starker,  nach 
innen  gerichteter  Fortsatz  {Processus  lateralis  s.  Sttstentaculum)  die 
innere  Fläche  des  Knochens,  imd  bildet  mit  dieser  eine  Art  Hohl- 
kehle, in  welcher  die  Muskehi,  Ge&sse,  und  Nerven,  vom  Unter- 
schenkel zum  PlattfuBS  ziehen. 

Das  SuHerUaadum  ist  an  seiner  oberen  Fläche  überknorpelt,  um  mit  der 
Gelenkfläche  an  der  unteren  Seite  des  Spmngheinhalses  in  articuliren.  Am  vw- 
Hyrtl,  Lelirbach  der  JüiUomie.  24 


370  S*  ^^'   Knochen  des  FatMs. 

deren  inneren  Winkel  der  oberen  Fläche  lie^  zuweilen  noch  eine  Neben-Gelenk- 
fläche,  die  einen  Theil  der  unteren  Peripherie  des  Spmngbeinkopfes  stützt,  und 
entweder  yollkommen  isolirt  ist,  oder  mit  der  Oelenkfläche  des  Sustentaculums 
zusammenfliesst  Camper*8  Vermuthung,  dass  diese  Verschmelzung  bei  Frauen- 
zimmern vorkomme,  welche,  wie  es  zu  seiner  Zeit  üblich  war,  Stöckelschuhe  mit 
hohen  Absätzen  trugen,  wird  dadurch  widerlegt,  dass  sie  auch  heut  zu  Tage,  wo 
die  Fussbekleidang  der  Damen  zweckmässiger  geworden,  nicht  selten  ist,  und 
auch  an  ägyptischen  Mumien,  an  einem  oder  an  beiden  Füssen,  vorkommt. 

Die  vordere  Fläche  des  Fersenbeins  ist  die  kleinste,  unregel- 
mässig viereckig,  und  ganz  tiberknorpelt,  zur  Verbindung  mit  dem 
Wtirfelbein.  Die  äussere  und  innere  Fläche  besitzen,  wie  die 
untere  keine  Gelenkflächen.  Die  untere  Fläche  ist  schmäler  als 
die  obere,  massig  concav,  und  mehr  an  ihrem  vorderen  Ende  durch 
eine  Querwulst  erhöht. 

An  der  äusseren  Fläche  fällt  sehr  oft  ein  schief  nach  vom  und  unten  ge- 
richteter Vorsprung  auf,  hinter  welchem  eine  Furche  bemerklieh  wird,  in  welcher 
die  Sehne  des  Musculus  peroneus  longus  ihren  Verlauf  angewiesen  hat.  Ausnahms- 
weise wird  dieser  Vorsprung  so  hoch,  dass  er  den  Namen  eines  Processus  infra- 
malleolaris  calcanei,  welchen  ich  ihm  beigelegt  habe,  vollkommen  verdient.  Dieser 
Processus  ist  dann  immer  an  seiner  hinteren  Fläche,  auf  welcher  die  Sehne  des 
langen  Wadenbeinmuskels  gleitet,  mit  Knorpel  incrustirt  Ich  habe  ihn  so  lang 
werden  gesehen,  dass  er  die  ihn  bedeckende  Haut  als  einen  Hügel  emporhob, 
an  dessen  Spitze  ein  durch  die  Reibung  mit  dem  Leder  der  Fussbekleidung  ge- 
bildetes Hühnerauge  thronte.  Der  Fortsatz  verdient  die  Beachtung  der  Wund- 
ärzte und  gewiss  auch  der  Schuhmacher.  Ausführlicher  hierüber,  und  über  an- 
dere Fortsätze  dieser  Art,  handelt  mein  Aufsatz:  Uebor  die  Trochlearfortsätze 
der  menschlichen  Knochen,  in  den  Denkschriften  der  kais.  Akad.  18.  Bd. 

3.  Das  Kahnbein,  Os  scaphoideum  s.  naviculare,  liegt  zwischen 
dem  Kopfe  'des  Sprungbeins  und  den  drei  Keilbeinen,  am  inneren 
Fußsrandc.  Seine  hintere  Fläche  nimmt  in  einer  tiefen  Höhlung 
das  Caput  tali  auf;  seine  vordere  convexe  Fläche  hat  drei  ziem- 
lich ebene  Facetten,  fUr  die  Anlagerung  der  Keilbeine;  die  convexe 
Dorsal-  und  die  concave  Plantargegend  sind  rauh,  und  am  inneren 
Rande  der  letzteren  ragt  die  stumpfe  Tuherositas  ossis  navieulains 
hervor,  hinter  welcher  eine  Rinne  (Sulcns  ossis  navicidaris)  verläuft. 

4.  5.  6.  Die  drei  Keilbeine,  Ossa  cuneiformia,  liegen  vor 
dem  Kahnbein,  an  dessen  drei  Facetten  sie  stossen,  und  werden 
vom  inneren  Fussrande  nach  aussen  gezählt.  Das  erste  oder 
innere  Keilbein  (Entocuneiforme)  ist  das  grösste.  Die  stumpfe 
Schneide  des  Keils  sieht  gegen  den  Rücken  des  Fusses,  somit  die 
rauhe  Basis  gegen  die  Plantarfläche.  Die  innere  Fläche  ist  rauh, 
und  von  oben  nach  unten  sanft  convex,  die  äussere  concav^  und 
gegen  den  oberen,  so  wie  gegen  den  hinteren  Rand  mit  einer 
schmalen,  zungenförmigen  Gelenkfläche  (einer  Fortsetzung  der  hin- 
teren) zur  Anlagerung  des  zweiten  Keilbeins,  versehen.  Die  vor- 
dere überknorpelte  Fläche  erscheint  bohnenfbrmig,  mit  nach  innen 
gerichteter   Convexität,    xmd   vermittelt    die   Verbindung    mit   dem 


g.  153.    Knochen  dm  Fnases.  371 

Mittelfiissknochen  der  grossen  Zehe.  —  Das  zweite  oder  mitt- 
lere Keilbein  {Mesocuneifm^Toe)  ist  das  kleinste,  kehrt  seine 
Schneide  nach  der  Plantarfläche,  somit  seine  Basis  nach  oben.  Es 
stösst  hinten  an  die  mittlere  Facette  des  Kahnbeins ,  und  vom  an 
den  Mittelfiissknochen  der  zweiten  Zehe.  Die  Seitenflächen 
sind  theils  rauh,  theils  mit  Knorpel  geglättet,  zur  bewegHchen  Ver- 
bindung mit  den  angrenzenden  Nachbarn.  —  Das  dritte  oder 
äussere  Keilbein  {Ectocuneiforme)^  der  Grösse  nach  das  mitt- 
lere, gleicht  an  Gestalt  und  Lage  dem  zweiten,  stösst  hinten  an 
die  dritte  Facette  des  Kahnbeins,  vom  an  den  Mittelfiissknochen 
der  dritten  Zehe,  innen  an  das  zweite  Keilbein,  und  aussen  an  das 
Wtirfelbein.  Die  überknorpelten  Flächen,  welche  die  Verbindung 
mit  den  genannten  Knochen  unterhalten,  nehmen  die  ganze  vordere 
und  hintere  Gegend  des  Knochens,  aber  nur  Theile  der  äusseren 
und  inneren  in  Anspruch. 

7.  Das  Würfelbein,  Os  cuboideumy  liegt  am  äusseren  Fuss- 
rande  vor  dem  Fersenbein.  Seine  obere  Fläche  ist  rauh,  die 
untere  mit  einer  von  aussen  nach  innen  und  etwas  nach  vom 
gerichteten  Rinne  versehen,  hinter  welcher  ein  glattrandiger  Wall 
sich  hinzieht  —  Stdctts  et  Tvberositas  ossis  cuboidei.  Die  innere 
Fläche  besitzt  eine  kleine,  ebene  Gelenkfläche  für  das  dritte  Keil- 
bein, und  zuweilen  hinter  dieser  eine  noch  kleinere,  ftlr  eine  zu- 
fällige vierte  Gelenksfacette  des  Kahnbeins.  Die  äussere,  rauhe 
Fläche  ist  die  kleinste;  —  die  vordere,  tiberknorpelte,  stösst  mit 
der  Basis  des  vierten  und  filnfiien  Mittelfussknochens  zusammen. 

Denkt  man  sich  die  obere  Querreihe  der  Handwurzelknoehon  so  ver- 
grössert,  dass  ihre  einzelnen  Knochen  die  Grösse  der  Fusswurzelknochen  anneh- 
men, nnd  diese  yergrösserte  Reihe  so  unter  das  untere  Ende  der  Unterschenkel- 
knochen gestellt,  dass  die  Querrichtung  eine  Längenrichtung  wird,  so  wird  das 
Mondbein  in  die  Gabel  zwischen  beiden  Malleoli  passen,  und  das  Sprungbein 
vorstellen,  das  Kahnbein  (der  Handwurzel)  wird  zum  Kahnbein  der  Fusswurzel 
werden,  und  das  mit  dem  Erbsenbein  verwachsen  gedachte  Os  triquetrumj  wird 
das  Fersenbein  repräsentiren.  Die  drei  Keilbeine  und  das  Würfelbein  verhalten 
sich  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Metatarsusknochen,  wie  die  Knochen  der 
zweiten  Handwurzelreihe,  so  dass  das  erste  Keilbein  dem  Os  muUangtdum  majuSy 
das  zweite  dem  minusj  das  dritte  dem  capüatum,  und  das  Würfelbein  dem  hamO' 
tum  äquivalirt. 

Es  fehlt  nicht  an  Beobachtungen  über  Vermehrung  der  Fusswurzelknochen, 
durch  Zerfallen  eines  der  gegebenen.  So  hat  B  landin  das  Würfelbein,  Grub  er 
das  erste  Keilbein,  in  zwei  Elnochen  zerfallen  gefunden,  und  auch  den  an  der 
hinteren  Fläche  des  Sprungbeins  vorhandenen  stumpfen  Höcker,  welchen  Grub  er 
Tubei'cubtm  laterale  nennt,  sich  vom  Körper  dieses  Knochens  ablösen  und  selbst- 
ständig werden  gesehen  (Archiv  für  Anat  1864). 


U* 


372  §•  IM*    Knochen  des  Fosses. 

B.  Zweite  Abtheilung.    Knochen  des  Mittelfusses, 

Die  ftlnf  Mittelfussknochen  {Ossa  metatarsi)  liegen  in 
einer  von  aussen  nach  innen  convexen  Ebene  neben  einander.  Sie 
sind  kurze  Röhrenknochen  ^  der  Länge  nach  ein  wenig  aufwärts 
convex  gekrümmt;  mit  einem  Mittelstück^  hinterem  dicken, 
und  vorderem  kugelig  geformten  Ende.  Das  Mittelstttck  ist 
dreiseitig  prismatisch,  mit  Ausnahme  des  ftinften,  welches  in  verti- 
caler  Richtung  comprimirt  erscheint.  Das  hintere  dicke  Ende 
(Basis)  ist  durch  eine  ebene  Gelenkfläche  senkrecht  abgeschnitten, 
und  besitzt  an  den  drei  mittleren  Mittelfussknochen  noch  kleine, 
seitliche,  tiberknorpelte  Stellen,  zur  wechselseitigen  Verbindung.  Das 
vordere,  kopfförmige  Ende  (Capitulvm)  besitzt  seitliche  Grüb- 
chen, ftlr  Bandinsertionen.  Sie  werden,  wie  die  Keilbeine,  vom 
inneren  Fussrande  nach  aussen  gezählt. 

Der  erste  Mittelfussknochen,  der  grossen  Zehe  ange- 
hörig, Os  metatarsi  hcdluds  s.  primvm,  unterscheidet  sich  von  den 
übrigen  durch  seine  Kürze  und  Stärke.  An  der  unteren  Fläche 
seines  überknorpelten  Capitulum  erhebt  sich  ein  longitudinaler  Kamm, 
zu  dessen  beiden  Seiten  sattelförmig  gehöhlte  Furchen  für  die  bei- 
den Sesambeine  liegen. —  Der  Mittelfussknochen  der  zwei- 
ten Zehe  ist  der  längste,  weil  das  zweite  Keilbein,  an  welches 
seine  Basis  stösst,  das  kürzeste  ist.  —  Der  Mittelfussknochen 
der  kleinen  Zehe  zeichnet  sich,  nebst  seiner,  schief  von  oben 
nach  unten  etwas  comprimirten  Gestalt,  noch  durch  einen  Höcker 
seiner  Basis  aus,  welcher  am  äusseren  Fussrande  über  das  Würfel- 
bein hinausragt,  und  durch  die  Haut  leicht  gefühlt  werden  kann. 

Die  Mittelfussknochen  bilden,  zugleich  mit  der  Fusswurzcl,  einen  von 
vom  nach  hinten,  und  von  aussen  nach  innen  convexen  Bogen,  welcher  beim 
Stehen  nur  mit  seinem  vorderen  und  hinteren  Ende  den  Boden  berührt.  Dieser 
Bogen  hat  einen  äusseren,  mehr  flachen,  und  einen  inneren,  mehr  convexen 
Rand,  auf  welchen  die  Körperlast  durch  das  Schienbein  stärker,  als  auf  den 
äusseren  drückt.  Die  Spannung  des  Bogens  ist  veränderlich.  Er  verflacht  sich 
in  der  Richtung  von  vom  nach  hinten,  und  von  aussen  nach  innen,  wenn  der 
Fuss  beim  Stehen  von  obenher  gedrückt  wird,  und  nimmt  seine  frühere  Con- 
vezität  wieder  an,  wenn  er  gehoben  wird.  Eine  bleibende  Flachheit  des  Bogens 
bedingt  den  Platt  fuss,  der  mit  seiner  ganzen  unteren  Fläche  auftritt.  Der 
Bogen  des  Fusses  kann  zur  Verlängerung  der  unteren  Extremität  benützt  wer- 
den, wenn  man  sich  stehend  durch  Strecken  der  Füsse  höher  macht  (auf  die 
Zehen  stellt),  wobei  der  Fuss  sich  nur  mit  den  Köpfen  der  Büttelfussknochen, 
insbesondere  des  ersten  und  zweiten,  auf  dem  Boden  stemmt,  während  die  Zehen, 
ihrer  schwachen  Axenknochen  wegen,  nie  dazu  verwendet  werden  können,  die 
Leibeslast  zu  tragen.  —  Durch  die  Beweglichkeit  der  einzelnen  Stücke  des  Bo- 
gens, kann  sich  der  Fuss  den  Unebenheiten  des  Bodens  besser  anpassen,  und 
der  Tritt  wird  sicherer. 


g.  154.  B&nd«r  dM  FTttses.  373 

(7.   Dritte  Ahtheilung.    Knochen  der  Zehen, 

Die  Knochen  der  Zehenglieder  (Phalanges  digitorum  pedü), 
entsprechen,  durch  Zahl,  Form  und  Verbindung,  jenen  der  Finger, 
und  sind,  wie  diese,  Röhrenknochen  en  miniature.  An  der  Hand, 
deren  Bau  auf  vielseitige  Beweglichkeit  abzielt,  waren  die  frei  be- 
weglichen Finger  wohl  die  Hauptsache.  Am  Fusse  dagegen,  dessen 
Bau  auf  Festigkeit  und  Tragfähigkeit  berechnet  ist,  wären  finger- 
lange Zehen  etwas  sehr  Ueberfltissiges,  wo  nicht  Nachtheiliges  ge- 
wesen. Die  Zehen  sind  deshalb  bedeutend  kürzer  als  die  Finger. 
Ihre  einzelnen  Phalangen  sind  somit  ebenfalls  kürzer,  und  zugleich 
rundlicher  und  schwächer,  als  die  einzelnen  Phalangen  der  Finger. 
Die  Phalangen  der  dreigliederigen  Zehen  liegen  aber  nicht  wie  die 
Fingerphalangen  in  einer  geraden  Linie.  Die  erste  Phalanx  ist 
schief  nach  oben,  die  zweite  fast  horizontal,  die  dritte  schief  nach 
unten  gerichtet.  Die  ganze  Zehe  bekommt  dadurch  die  Krümmung 
einer  Kralle,  welche  nur  mit  dem  Ende  der  dritten  Phalanx  den 
Boden  berührt.  Die  besten  Abbildungen  vom  Fussskeiete  sind  in 
dieser  Beziehung  unrichtig  zu  nennen.  Die  dritten  Phalangen  wer- 
den an  den  zwei  äussersten  Zehen  häufig  durch  enge  und  unnach- 
giebige Fussbekleidung  verkrüppelt  gefunden ;  die  zweiten  sind  mehr 
viereckig  als  oblong,  und  öfters  an  der  kleinen  Zehe  mit  der  dritten 
Phalanx  verwachsen.  Die  zwei  Phalangen  der  grossen  Zehe  (die 
mittlere  fehlt  wie  am  Daumen)  zeichnen  sich  durch  ihre  Breite  und 
Stärke  vor  den  übrigen  aus. 

Man  hat  es  nicht  beachtet,  daas  die  letste  Phalanx  der  Zehen  sehr  oft 
an  jedem  ihrer  Seitenrftnder  ein  Loch,  und,  wenn  dieses  fehlt,  einen  entsprechen- 
den Ausschnitt  besitzt,  durch  welchen  die  ansehnlichen  Zweige  der  DigitalgefXsse 
und  Nerven  zum  Rücken  des  Fingers,  namentlich  zum  blut-  und  nervenreichen 
Nagelbett  verlaufen.    Nur  Henle  gedenkt  dieser  LOcher. 

An  schon  gebildeten  Füssen  soll  die  grosse  Zehe  etwas  kürzer  als  die 
zweite  sein,  und  die  vordere  Vereinigungslinie  der  Zehenspitzen  einen  Bogen 
bilden.  So  sieht  man  es  wenigstens  an  den  classischen  Arbeiten  älterer  und 
neuerer  Kunst,  wenn  gleich  nicht  zu  lAugnen  ist,  dass,  bei  der  ungleich  grosse- 
ren Mehrzahl  der  Füsse,  die  grosse  Zehe  die  grOsste  Lftnge  hat  Vielleicht  Übt 
die  Festigkeit  der  Fussbedeckung ,  welche  das  Wachsthum  des  starken  HaUux 
weniger  beschränken  wird,  als  das  der  nächst  folgpenden  Zehe,  hierauf  einen 
Einfluss.  Dem  Künstler  mag  es  erlaubt  sein,  die  anatomische  Richtigkeit  der 
gefälligeren  Form  zum  Opfer  zu  bringen,  denn  eine  gebogene  vordere  Begren- 
zungslinie des  Fusses  ist  jedenfalls  schOner,  als  eine  gerade. 

§.  154.  Bänder  des  Fnsses. 

1.  Bänder  der  Fusswurzel. 

Der  Fuss  führt  am  Unterschenkel  dreierlei  Bewegungen  aus: 
1.  Die  Streckung  und  Beugung  in  verticaler  Ebene:  2«  die  Prell- 


374  6*  IM.   Binder  des  Fusm«. 

bewegung  um  eine  verticale  Axe  (Abduction  und  Adduction),  bei 
welcher  die  Fussspitze  einen  Kreisbogen  in  horizontaler  Ebene 
beschreibt;  3.  die  Drehung  des  Fusses  um  seine  Längenaxe,  Su- 
pination  und  Pronation  genannt,  wodurch  der  äussere  oder  innere 
Fussrand  gehoben  wird.  Versuchen  an  Leichen  zufolge  verhält  sich 
der  Umfang  dieser  drei  Bewegungen  wie  78^ :  20^ :  42^*.  Die  erste 
Bewegung  wird  durch  das  Gelenk  zwischen  dem  Sprungbein  und 
dem  Unterschenkel  vermittelt,  und  die  Drehungsaxe  geht  horizon- 
tal durch  beide  Knöchel.  Die  zweite  Bewegung  tritt  in  demselben 
Gelenke  auf,  indem  die  innere  Gelenkfläche  des  Sprungbeins  am 
inneren  Knöchel  vor-  und  rückwärts  gleiten  kann,  und  dadurch 
einen  Kreisbogen  beschreibt,  dessen  Centrum  im  äusseren  Knöchel 
liegt  Die  dritte  Bewegung  leistet  das  Kugelgelenk  zwischen  Sprung- 
und  Kahnbein,  und  das  Drehgelenk  zwichen  Sprung-  und  Fersen- 
bein. Sie  combinirt  sich  immer  mit  der  zweiten  Bewegungsform, 
welche  an  und  ftlr  sich  sehr  klein  ist,  und  nur  durch  gleichzeitiges 
Eintreten  der  dritten,  im  Bogen  von  20°  ausführbar  wird. 

Die  Bänder  der  Fusswurzel  bedingen:  a)  theils  eine  Verbin- 
dung dieser  mit  dem  Unterschenkel,  b)  theils  eine  Vereinigung  der 
einzelnen  Fusswurzelknochen  unter  einander. 

a)  Die  Verbindung  der  Fusswurzel  mit  dem  Unter- 
schenkel bildet  das  Fuss-  oder  Sfrxinggelenky  Artictdatio  pedis 
8.  talo'cniralia.  Die  beiden  Knöchel  des  Unterschenkels  fassen  die 
Seiten  des  Körpers  des  Sprungbeins  gabelartig  zwischen  sich,  und 
gestatten  ihm  beim  Beugen  und  Strecken  des  Fusses  in  verticaler 
Ebene,  sich  um  seine  Queraxe  zu  drehen.  Es  wurde  früher  er- 
wähnt, dass  bei  jener  mittleren  Stellung  des  Gelenks,  wo  die  Axe 
des  Fusses  mit  der  Axe  des  Unterschenkels  einen  rechten  Winkel 
bildet,  der  vordere  breiteste,  und  der  hintere  schmälste  Rand  der 
oberen  Gelenkfläche  des  Sprungbeins,  nicht  mit  der  unteren  Ge- 
lenkfläche des  Schienbeins  in  Contact  stehe.  Erst  beim  Strecken 
des  Fusses  im  Sprunggelenk,  kommt  der  hintere  schmale  Rand 
dieser  Gelenkfläche,  und  beim  Beugen  der  vordere  breite  Rand 
derselben  mit  der  Schienbeingelenkfläche  in  Berühnmg.  Letzteres 
wird  nur  dadurch  möglich,  dass  der  äussere  Knöchel  etwas  nach 
aussen  weicht,  und  es  begreift  sich  somit,  warum  das  Schienbein 
nicht  beide  Knöchel  bilden  durfte,  indem  sie  in  diesem  Falle  keine 
Entfernung  von  einander  gestattet  hätten.  Es  erhellt  zugleich  aus 
dieser  Angabe,  dass  ein  gebeugtes  Sprunggelenk  viel  mehr  Festig- 
keit besitzt,  als  ein  gestrecktes.  Um  einen  Begriff  von  der  Festig- 
keit dieses  Gelenks  im  gebogenen  Zustande  zu  haben,  muss  man 
es  im  frischen  Zustande  untersuchen,  indem,  an  gebleichten  Kno- 
chen, die  Knorpelttberzüge  so  eingetrocknet  sind,  dass  der  Talus 
in  der  Gabel  der  Knöchel  klappert. 


§.  154.   B&nder  des  FiiBses.  375 

Die  Bänder  des  Sprunggelenks  sind,  nebst  der  fibrösen 
und  Synovialkapsel,  welche  die  Ränder  der  beiderseitigen  Gelenk- 
flächen umsäumen,  die  drei  äusseren,  und  das  einfache  innere 
Seitenband.  Die  drei  äusseren  sind  rundlich,  strangformig, 
entspringen  vom  MaUeolua  exterrmsy  und  laufen  in  divergenter  Rich- 
tung, das  vordere  schief  nach  vorn  und  innen  zur  äusseren  Fläche 
des  Halses,  als  Ligamentum  fibvlare  tali  anticum,  —  das  hintere 
fast  horizontal  nach  innen  und  hinten,  zur  hinteren  Fläche  des 
Körpers  vom  Sprungbeine,  als  Ligamentum  ßbulare  tali  posticum,  — 
während  das  mittlere  zur  äusseren  Fläche  des  Fersenbeins  herab- 
steigt, als  Ligamentum  ßbulare  calcanei.  Das  innere  Seitenband 
entspringt  breit  vom  unteren  Rande  des  Malleohia  intemusy  nimmt 
im  Herabsteigen  an  Breite  zu,  und  endigt  an  der  inneren  Fläche 
des  Sprungbeins,  und  am  Sustentaculum  des  Fersenbeins.  Seine 
Gestalt  giebt  ihm  den  Namen  Ligamentum  deltoides. 

Ausführliche,  anf  vergleichende  anatomische  Untersuchungen  basirte  Auf- 
schlüsse über  das  Sprunggelenk  gab  Langer:  Ueber  das  Sprunggelenk  der 
Säugethiere   und   des  Menschen,   im    12.  Bde.   der  Denkschriften  der  kais.  Akad. 

b)  Die  Bandverbindungen  der  Fusswurzelknochen 
unter  einander  müssen,  bei  dem  Drucke,  welchen  der  Fuss  von 
obenher  auszuhalten  hat,  überhaupt  sehr  fest,  und  an  der  Sohlen- 
seite fester,  als  an  der  Dorsalseite  sein.  Von  diesem  sehr  verwickel- 
ten Bandapparate  soll  hier  nur  die  Hauptsache  berührt  werden. 

Die  einander  zugekehrten  Gelenkflächen  je  zweier  Fusswurzel- 
knochen werden  durch  eine  fibröse,  mit  Synovialhaut  gefütterte 
Kapsel,  und  durch  Verstärkungsbänder,  zu  einer  Amphiarthrose 
vereinigt,  welche  den  Namen  von  den  betreffenden  Knochen  ent- 
lehnt: Ariiculatio  talo-ccUcanea,  calcaneo-cvhoidea,  talo  -  navictilaris, 
u.  s.  f.  Die  meiste  Beweglichkeit  besitzt  die  Articulatio  talo-navi- 
cidarisy  weil  die  Berührungsflächen  sphärisch  gekrümmt  sind,  wie 
es  die  in  diesem  Gelenke  gestattete  Drehbewegung  des  Fusses  um 
seine  Längenaxe  (Supination  und  Pronation)  erheischt.  Das  Kahn- 
bein wird  mit  den  drei  Keilbeinen  nicht  durch  drei  besondere,  son- 
dern durch  eine'  gemeinschaftliche  Kapsel  vereinigt.  —  Die  Ver- 
stärkungsbänder, welche  den  Namen  des  Gelenks  tragen,  dem  sie 
angehören  {Ligamentum  talo-calcaneumy  cakaneo  -  cuboideum ,  etc.), 
werden  ihrem  Vorkommen  nach  in  äussere  und  innere,  dorsale 
und  plantare  eingetheilt.  Die  plantaren  verdienen  ihrer  Stärke 
wegen  besondere  Würdigung.  1.  Das  Ligamentum  ccUcaneo  -  cubai- 
deum  plantare,  von  der  unteren  Fläche  des  Fersenbeins  zur  Tvhe- 
rositas  ossis  cuhaidei  gehend,  ist  eines  der  stärksten  Ligamente  des 
Körpers,  und  besteht  aus  einer  oberflächlichen  und  tiefen,  durch 
etwas  zwischenliegendes  Fett  getrennten  Schichte.  Die  erstere  ist 
länger   als   die   letztere,   gerade    von   hinten  nach  vom 


376  S*  ^^'  B&nder  des  Fasses. 

(daher  Ligamentum  plantare  longum  s.  rectum),  und  sendet^  über  die 
Furche  des  Würfelbeins  hinüber^  eine  Fortsetzung  zu  den  Basen 
der  zwei  letzten  Mittelfussknochen.  Die  tiefliegende  Schichte  dieses 
Bandes  wird  von  der  hochliegenden  nur  theilweise  bedeckt^  ist 
bedeutend  kürzer,  und  schief  nach  innen  gerichtet  (daher  Ligamen- 
tum plantare  obliquum),  da  es  sich  einwärts  von  der  Tuberositas  oseis 
cuboidei  an  der  unteren  Fläche  dieses  Knochens  befestigt.  2.  Das 
Ligamentum  calcaneo-naviculare  plantare y  welches,  seiner  häufigen, 
durch  Verknorpelung  bedungenen  Rigidität  wegen,  auch  Ligamen- 
tum cartüagineum  genannt  wird,  und  gar  nicht  selten  selbst  einen 
Enochenkem  enthält.  Es  zieht  vom  Sustentaculum  des  Fersenbeins 
zur  unteren  Gegend  des  Eahnbeins,  und  hilft  mit  seiner  oberen 
Fläche  die  Gelenkgrube  des  Eahnbeins  zur  Au&ahme  des  Sprung- 
beinkopfes vergrössern.  Daher  seine  Verknorpelung  und  gelegent- 
liche Verknöcherung.  Hieher  gehört  noch:  das  Ligamentum  intei*- 
taraeumy  eine  kurzfaserige  und  feste  Bandmasse,  welche  im  Sinus 
tarsi  zwischen  Sprung-  und  Fersenbein  angebracht  ist 

2.  Bänder  des  Mittelfusses. 

Sie  sind:  1.  Eapselbänder,  zur  Verbindung  der  einzelnen 
Mittelfussknochen  mit  den  correspondirenden  Flächen  der  Fuss- 
wiurzelknochon,  wodurch  die  fünf  straffen  Articvlationes  tarso-meta- 
tarseae  entstehen,  deren  Synovialkapseln  sich  zwischen  die  seitlichen 
Gelenkflächen  der  Bases  ossium  metatarsi  fortsetzen,  —  2.  Hilf s- 
b ander  dieser  Gelenke,  an  der  Dorsal-  und  Plantarseite,  — 
3.  Zwischenbänder  der  Bases,  Ligamenta  basium  transversalia 
9.  intfrbasicay  zwischen  je  zwei  Bases  ausgespannt,  deren  es  vier 
dormliay  aber  nur  drei  plantaria  giebt,  indem  zwischen  Meta- 
tarsus  der  grossen  und  der  nächstfolgenden  Zehe  kein  Querband 
in  der  Planta  vorkommt,  —  4.  Zwischenbänder  der  Eöpfchen, 
Ligamenta  capitulorum  metatarsi  dorsalia  et  plantaria  y  von  beiden 
Arten  vier. 

3.  Bänder  der  Zehenglieder. 

Die  Verbindungen  der  Zehenglieder  gleichen  jenen  der  Finger- 
glieder vollkommen.  Die  Gelenke  zwischen  den  Eöpfchen  der  Meta- 
tarsusknochen  und  den  ersten  Zehengliedem  sind  ziemlich  frei, 
indem  sie  nebst  Beuge-  und  Streckbewegung  auch  Zu-  und  Ab- 
ziehung  gestatten.  Die  Gelenke  der  Phalangen  unter  einander  sind 
reine  Winkelgelenke.  An  allen  finden  sich  Eapseln,  mit  einem 
äusseren  und  inneren  Seitenbande,  und  einer  unteren,  stärkeren, 
wie  verknorpelten  Wand,  in  welcher,  am  ersten  Gelenke  der 
grossen  Zehe,  zwei  ansehnliche  Sesambeine  eingewachsen  sind, 
deren  dem  Gelenke  zugekehrte  Flächen  in  die  sattelfbrmigen  Fur- 
chen an  der  unteren  Seite  des  Eopfes  des  Metatarsus  hallucis  ein- 
passen.    Am   zweiten   Gelenke    der   grossen   Zehe   findet   sich    ein 


§.  155.   Ällf^nieise  Bemsrknngeii  Aber  dun  Fngg.  377 

drittes,  so  wie  zuweilen  an  der  inneren  Fläche  des  ersten  Eeilbcins, 
und  an  der  äusseren  Ecke  der  Tvberositas  ossü  cuboidei,  ein  viertes 
und  fünftes  Os  sesamoideum. 

Mehr  als  hier  wird  ftlr  den  wissbegierigen  Leser  in  meinem  Handbuch  der 
prakt  Anatomie.  "Wien,  1860,  über  die  Bänder  des  Fusses  gesagt 


§.  155.  Allgemeine  Bemerkungen  über  den  Fuss. 

Die  untere  Extremität  ist  nach  demselben  Typus  gebaut  wie 
die  obere,  deren  Abtheilungen  sie,  mit  wenig  Verschiedenheiten, 
wiederholt.  Das  Gesetz  der  strahligen  Bildung,  mit  Zunahme  der 
Axenknochen  von  1  bis  5,  ist  in  beiden  ausgedrückt.  Das  Hüft- 
bein entspricht  der  Schulter,  und  man  braucht  ein  Schulterblatt  nur 
so  aufzustellen,  dass  seine  Gelenkfläche  nach  unten  sieht,  um  die 
Aehnlichkeit  desselben  mit  dem  Darmbeine  evident  zu  machen. 
Dass  das  Sitzbein  dem  Rabenschnabelfortsatz  des  Schulterblattes, 
imd  das  Schambein  dem  Schlüsselbeine  entspricht,  ist  an  jugend- 
lichen Hüftbeinen,  deren  drei  Bestandtheile  noch  nicht  durch 
Synostose  vereinigt  sind,  leicht  abzusehen.  Um  den  Bewegungen 
der  oberen  Extremität  das  möglichst  grösste  Bereich  zu  geben, 
musste  das  Schulterblatt,  welches  so  vielen  Muskeln  des  Armes 
zum  Ursprünge  dient,  selbst  ein  verschiebbarer  Knochen  sein.  Das 
Hüftbein  dagegen,  durch  welches  der  Stamm  auf  dem  Oberschenkel- 
knochen ruht,  musste  mit  der  Wirbelsäule  in  festerem  Zusammen- 
hange stehen,  wie  er  denn  durch  die  Symphysis  sacro-iliaca  ge- 
geben ist. 

Das  Schenkelbein  wiederholt  durch  seinen  Kopf  und  Hals, 
durch  seine  Trochanteres  am  oberen  Ende,  und  seine  rollenartig 
vereinigten  Condyli  am  unteren,  den  Kopf,  Hals,  die  Tubercula, 
und  die  Trochlea  des  Oberarmbeins. 

Der  Unterschenl^el  besteht,  wie  der  Vorderarm,  aus  zwei  Röh- 
renknochen, von  denen  jedoch  nur  das  Schienbein  mit  dem  Ober- 
schenkel articulirt.  Das  Wadenbein,  welches  nicht  bis  zum  Ober- 
schenkel reicht,  und  somit  auch  keinen  Theil  der  Körperlast  trägt, 
ist  nur  der  Lage  nach,  und  durch  den  Malleolus  extemus  (der  dem 
Processus  styhideus  des  Radius  entspricht),  dem  Radius  vergleichbar. 
Genauer  genommen,  vereinigt  das  Schienbein  die  Eigenschaften  der 
Ulna  und  des  Radius,  und  zwar  ist  seine  obere  Hälfte  der  Ulna, 
seine  untere  dem  Radius  vergleichbar.  Man  setze  die  obere  Hälfte 
einer  Ulna  mit  der  unteren  Hälfte  eines  Radius  zusammen,  und 
man  wird  einen  Knochen  erhalten,  der  dem  Schienbein  viel  ähn- 
licher ist,  als  eine  ganze  Ulna.  Denkt  man  sich  noch  die  Knie- 
scheibe mit  ihrer  SptUe  an  die  Tibia  angewachsen;  so  springt  die 


378  6'  16ö*   AUgemaine  Bmnerkangen  Aber  den  Fnss. 

Aehnlichkeit  noch  mehr  in  die  Augen.  Die  Kniescheibe  ist  das 
selbstständig  gewordene  Olekranon  des  Unterschenkels.  Beide  ent- 
wickeln sich  aus  besonderen  Ossificationspunkten^  und  dienen  den 
Streckern  zur  Insertion.  Der  Ossificationspunkt  des  Olekranons 
verschmilzt  mit  dem  Körper  der  Ulna;  es  wurden  'jedoch  von  mir 
und  de  la  Chenal  Fälle  beschrieben,  wo  das  Olekranon  einen 
Substantiven,  nicht  mit  der  Ulna  verschmolzenen  Knochen  darstellte, 
was  bei  mehreren  Gattungen  der  Fledermäuse  als  Norm  erscheint. 
Das  Schienbein  führt  allein  die  Winkel-  und  Drehbewegungen  aus, 
in  welche  am  Vorderarm  sich  Ulna  imd  Radius  theilten. 

Der  Fuss  besteht,  wenn  man  das  Erbsenbein  der  Handwurzel 
nicht  zum  Carpus  zählt,  der  Zahl  nach  aus  eben  so  viel  Knochen, 
wie  die  Hand.  Jedoch  ist  die  Zusammensetzung  der  Fusswurzel 
durchaus  verschieden  von  jener  der  Handwurzel.  Das  Sprungbein 
ist  durch  seine  Einlenkung  am  Unterschenkel  nicht  den  drei  ersten 
Handwurzelknochen  analog,  wie  es  auf  den  ersten  Blick  den  An- 
schein hat,  sondern  entspricht,  wie  früher  gezeigt  wurde,  nur  dem 
Oa  lunatum  des  Carpus.  Die  Fusswurzel  ist  zugleich  der  grösste 
Bestandtheil  des  Fusses,  während  die  Handwurzel  der  kleinste  Be- 
standtheil  der  Hand  ist.  Theilt  man  sich  die  Länge  des  Fusses  in 
zwei  gleiche  Theile,  so  besteht  der  hintere  nur  aus  der  Fusswurzel, 
der  vordere  aus  Mittelfuss  imd  .Zehen,  während  bei  der  Hand  die 
obere  Hälfte  aus  Handwurzel  und  Mittelhand,  die  untere  aber  nur 
aus  den  Fingern  besteht.  Die  Hand  liegt  in  Einer  Flucht  mit  der 
Längenaxe  des  Vorderarms,  —  der  Euss  bildet  mit  dem  Unter- 
schenkel einen  rechten  Winkel. 

Da  der  Fuss  ein  Piedestal  für  die  knöchernen  Säulen  der  Beine 
bilden  soll,  so  waren  Festigkeit  und  Grösse  unerlässliche  Bedin- 
gungen. Diesen  beiden  Bedingungen  entspricht  der  Fuss  1.  durch 
seine  Bogenkrümmung,  welche  durch  die  Stärke  der  Plattfussbän- 
der,  auch  bei  der  grössten  Belastung  des  Körpers,  aufrecht  erhalten 
wird,  und  2.  durch  die  Länge  und  Breite  des  Tarsus  und  Meta- 
tarsus.  Die  Zehen  kommen,  ihrer  Kürze  und  Schwäche  wegen, 
beim  Stehen  auf  der  ganzen  Sohlenfläche  nicht  sehr  in  Betracht^ 
da  die  Endpunkte  des  festen  Fussbogens  im  Fersenhöcker  und  in 
den  Köpfchen  der  Metatarsusknochen  liegen.  Die  geringe  Festig- 
keit der  Zehen,  und  ihre  Zusammensetzung  aus  kurzen,  dünnen 
Säulenstücken,  ist  auch  der  Grund,  dass  wir  uns  nicht  auf  ihre 
Spitzen  erheben  können.  Wenn  wir  glauben,  auf  den  Zehenspitzen 
zu  gehen,  so  gehen  wir  eigentlich  nur  auf  den  Köpfen  der  Meta- 
tarsusknochen, vorzüglich  jenes  der  grossen  und  der  nächsten  Zehe, 
und  dieses  Gehen  würde  ein  sehr  unsicheres,  und  vielmehr  nur  ein 
Trippeln  sein,  wenn  die  durch  ihre  Muskeln  gebeugten,  und  nur 
mit  ihren  Spitzen  den  Boden  berührenden  Zehen,  in   diesem  Falle 


%.  155.   AUgemeine  Bemerkangen  Aber  den  Fum.  379 

nicht  als  eine  Art  elastischer  Schwungfedern  wirkten,  durch  welche 
die  Schwankungen  des  Körpers  corrigirt,  und  die  Sicherheit  des 
Trittes  vermehrt  wird.  Ein  Mensch,  der  keine  Zehen  hätte,  könnte, 
mit  gestreckten  Füssen,  nur  wie  auf  kurzen  Stelzen  gehen.  Uebri- 
gens  sind  die  Zehen  viel  unwichtiger  für  den  Fuss,  als  die  Finger 
flir  die  Hand.  Ein  Fuss,  welcher  durch  Gangrän  oder  Verwundung 
alle  Zehen  verlor,  hat  nur  seinen  unwesentlichsten  Bestandtheil  ver- 
loren, während  der  Verlust  aller  Finger,  oder  jener  des  Daumens 
allein,  die  Hand  ihrer  nothwendigsten  Gebrauchsmittel  beraubt. 

Ein  Hauptunterscheidungsmerkmal  des  Fusses  von  der  Hand 
liegt  in  dem  Unvermögen,  die  grosse  Zehe,  wie  einen  Daumen,  den 
übrigen  Zehen  entgegenzustellen,  um  zu  fassen  oder  zu  halten. 
Wenn  behauptet  wurde,  dass  bei  Ziegeldeckem,  guten  Kletterern, 
und  bei  den  Hottentotten,  die  grosse  Zehe  opponirbar  sei  (Bory 
de  St.  Vincent),  so  muss  dieses  so  lange  für  eine  blosse  Meinung 
eines  Nichtanatomen  gehalten  werden,  bis  sie  durch  anatomische 
Untersuchungen  gerechtfertigt  sein  wird.  Es  ist  uns  nicht  bekannt, 
wie  es  die  Wilden  Neuhollands  zu  Wege  bringen,  ihre  langen 
Speere  im  hohen  Grase  mit  den  Füssen  nachzuschleppen,  wenn 
sie  einen  Ueberfall  auf  Europäer  beabsichtigen,  und  dieselben  durch 
scheinbares  Unbewehrtsein  täuschen  wollen.  Hätte  die  grosse  Zehe 
die  angeborene,  aber  durch  Vernachlässigung  verlernte,  oder  nicht 
zur  Entwicklung  gekommene  Oppositionsfähigkeit,  so  würde  sich 
diese  gewiss  bei  jenen  Individuen  in  ihrer  ganzen  Ghrösse  zeigen, 
welche  mit  Mangel  der  Hände  geboren  wurden,  und  die  die  Noth 
lehrte,  sich  ihrer  Füsse  statt  der  Hände  zu  den  gewöhnlichen  Ver- 
richtungen des  täglichen  Lebens,  (Schreiben,  Spinnen,  etc.)  zu  be- 
dienen. Ich  habe  an  einem  Mädchen  mit  angeborenem  Mangel  der 
oberen  Extremitäten,  'welches  es  so  weit  brachte,  mit  den  Füssen  eine 
Pistole  zu  laden  und  abzudrücken,  die  grosse  Zehe  nicht  entgegen- 
stellbar gefunden.    Es   fehlt  ja  übrigens  auch  die  Musculatur  hiezu. 

Die  Zehen  des  Fusses  können  zum  Ergreifen  dienen,  wie 
die  Finger  der  Hand  ohne  Mithilfe  des  Daumens,  allein  die  Sicher- 
heit des  Anfassens  und  Festhaltens  ist  ihnen  versagt.  Durch  ihre 
Adductionsbewegung  können  beide  Füsse  einen  festen  Körper  um- 
klammern, wie  es  beim  Emporklettem  an  einem  Baumstamme 
oder  Seile,  oder  beim  festen  Schluss  des  Reiters  auf  einem  sich 
bäumenden  Pferde  geschieht.  Wie  unvollkommen  und  unbehilflich 
der  beste  Kletterer  unter  den  Menschen  ist,  zeigt  die  Behendigkeit 
und  Schnelligkeit  der  kletternden  Thiere. 

Wenn  die  Füsse  die  Aufstellnngsbasis  des  Leibes  abgeben,  so  sind  grosse 
Füsse  jedenfalls  anatomisch  vollkommener  als  kleine.  Der  Schönheitskenner  denkt 
anders,  und  schwärmt  für  einen  kleinen  Fnss.  Das  Stehen  mit  parallelen  Füssen 
(die  Zehenspitzen  gerade   nach  Tom  gerichtet)  ist,  wegen  Grösse  der  Basis  und 


380  S*  IM*   Literatur  der  Knochen-  und  B&nderlehro. 

Entfernung  des  Schwerpunktes  ron  der  Umdrehungskante,  das  sicherste.  Je 
weiter  die  Fussspitzen  sich  nach  aussen  wenden,  desto  schwerer  und  unsicherer 
wird  das  Stehen.  Der  Bauer  steht  fester  als  der  Soldat  en  parttde.  Eine  gewisse 
Entfernung  der  Füsse  von  einander,  ist  zu  einer  festen  Positur  nothwendig,  darf 
abev  ein  gewisses  Maximum  nicht  überschreiten.  —  Jede  Bewegung,  die  der  Fuss 
am  Unterschenkel  ausfuhrt,  kann  letzterer  ebenfalls  an  ersterem  machen.  Der 
Unterschenkel  beugt  sich  und  streckt  sich  im  Sprunggelenk  gegen  den  Fuss  beim 
Niederkauem  und  Erheben,  —  er  dreht  sich  mittelst  des  Sprungbeins  am  Kahn- 
und  Fersenbein,  um  mit  weit  ausgespreiteten  Extremitäten  und  ganzer  Sohlen- 
fläche zu  stehen,  —  und  der  innere  Knöchel  dreht  sich  um  die  innere  Grelenk- 
fläche  des  Sprungbeins,  wenn  man,  auf  Einem  Fusse  stehend,  Drehbewegungen 
mit  dem  Stamme  macht  Bei  sehr  starker  Aus-  und  Einwärtsdrehung  der  Fuss- 
spitzen in  aufrechter  Stellung,  geschieht  die  Bewegung  im  Hüftgelenke,  und  man 
fühlt  den  Trochanter  einen  eben  so  grossen  Bogen  beschreiben,  wie  die  Zehen. 
Sonderbarer  Weise  behaupten  die  alten  Anatomen  (Spigelius),  dass  starke 
Knöchel  bei  neidischen,  kleine  bei  trägen  Individuen  vorkommen,  so  wie  noch  in 
neuerer  Zeit  Dupuytren  und  Malgaigne  angeborene  Breite  des  Vorderarms 
in  der  Nähe  der  Handwurzel,  für  ein  organisches  Zeichen  geistiger  Schwäche 
erklären. 

Ueber    die    Analogien   der  oberen  und   unteren   Extremitäten 
schrieben: 

Falgueroüu,  diss.  de  extremitatum  analogia  Erlangae,  1786.  4.  —  Berg- 
mamiy  zur  Vergleichung  des  Unterschenkels  mit  dem  Vorderarme,  in  Müller 9 
Archiv,  1841.  p.  201.  —  R.  Owen,  On  Nature  of  Limbs.  London,  1849.  —  Oa- 
veilhieTy  Trait^  d*anatomie  descriptive,  3.  6dit  Tom.  I.  p.  340.  —  Girant  Teulon, 
in  der  Gaz.  m^d.  1864,  N.  6,  6.  —  L,  Fick,  Hand  und  Fuss,  in  MüUer^s  Archiv, 
1867.  —  CA.  Martina f  Nouvelle  comparaison  des  membres  pelviens  et  thoraciques. 
Montpellier,  1867.  —  G,  Murray  Humphry,  On  the  Limbs  of  Vertebrale  Animals. 
Cambridge,  1860,  und  desselben  Autors :  The  Human  Foot  and  the  Human  Hand. 
Lond.,  1861.  —   G.  Lucae,  die  Hand  und  der  Fuss.  Frankf.,  1866. 


§.  156.   Literatur  der  Knochen-  und  Bänderlelire. 

A.  Knochenlehre. 

a)   Gesammte    Osteologie. 

Unter  allen  organischen  Systemen  wurden  die  Knochen  am 
frühesten  genau  bekannt.  Schon  die  älteste  osteologische  Litera- 
tur enthält  treffliche  Beschreibimgen  einzelner  Knochen,  und  das 
Galen' sehe  Werk  de  insu  paHium  wird,  selbst  in  unseren  Tagen, 
noch  immer  ab  Muster  classischen  Styls  und  geistreicher  Behand- 
lung dieses  Gegenstandes  gelesen,  obwohl  es,  wie  Vesal  bewies, 
sich  meist  auf  Affenknochen  bezieht  Nichts  desto  weniger  hat  selbst 
die  neueste  Zeit  noch  Manches  in  der  Osteologie  zu  entdecken  ge- 
funden, und  insbesondere  durch  genauere  Würdigung  der  Gelenk- 
flächen der  Knochen,  die  Mechanik  der  Gelenke  zum  Gegenstande 
streng  wissenschaftlicher  Untersuchungen  gemacht. 


§.  156.   LiUrator  der  Kno«hen-  and  B&nderlehre.  381 

Wenden  wir  unsere  Aufmerksamkeit  der  neueren  Zeit  zu,  so 
bewundem  wir  als  unerreicht:  B,  S.  Alhini,  tabulae  sceleti  et  mus- 
culorum  corp.  hum.  Lugd.  Bat.,  1747.  fol.  max.,  und  dessen  Tabulae 
ossium.  Leidae,  1753.  fol.  max.  Die  Genauigkeit  der  Beschrei- 
bungen, und  die  künstlerische  VoUendung  der  Zeichnungen  (von 
Wandelaer's  Meisterhand)  machen  diese  beiden  Werke  zum 
Hauptschatz  der  osteologischen  Literatur.   Hieran  schliessen  sich: 

iS^.  Th,  Sömmerring,  tab.  sceleti  feminini.  Traj.  ad  Moen.,  1797.  fol.,  ferner 
^die   osteologischen  Tafeln   in  den  Atlassen   von  Jtä,  Cloquei,  und  M,  «7*.   Weber 
(Skeletabbildungen    in    natürlicher  Grösse,  mit  dem  Schatten  der   Umrisse  der 
Weichtheile). 

Die  Leichtigkeit,  womit  man  sich  bei  jeder  anatomischen 
Anstalt  Elnochen  verschafft,  macht  heut  zu  Tage  das  Studium  der 
Knochen  nach  Originalen  viel  empfehlungswerther,  als  die  Be- 
nützung osteologischer  Abbildungen.  Die  besten  speciellen  Osteo- 
graphien  sind: 

J,  PaaWf  de  hum.  corp.  ossibns.  Lugd.  Bat.,  1616.  4.  Ich  würde  dieses  Bach 
nicht  anführen,  wenn  ich  es  nicht  sehr  unterhaltend  gefunden  hätte,  was  man 
von  anatomischen  Werken  nur  selten  sagen  kann,  deren  ausschliessliches  Vor- 
recht: langweilig  zu  sein,  starr  und  steif  aus  jeder  Zeile  spricht.  —  J.  F.  Blumen- 
back,  Geschichte  und  Beschreibung  der  Knochen.  Göttingen.  2.  Auflage.  1807.  8. 
Durch  die  vielen  eingeschalteten  comparativ-auatomischen  Bemerkungen  sehr  in- 
teressant. —  S,  Th,  Sömmerring,  Lehre  von  den  Knochen  und  Bändern,  mit  Er- 
gänzungen und  Zusätzen  herausgegeben  von  R,  Wagner,  Leipzig,  1839.  8.  Wird 
durch  Henle^s  Knochenlehre  weitaus  übertroffen.  —  L,  Holden^  Human  Osteology, 
with  Plates,  2.  edit.  Lond.  Die  Tafeln  sind  Originalien ;  der  Text  enthält  jedoch 
nichts  Neues.  —  G,  Murray  Humphry,  A  Treatise  on  the  Human  Skeleton.  Cam- 
bridge, 1858.  Sehr  ausführlich,  mit  praktischen  Anwendungen,  und  Berücksich- 
tigung der  Entwicklungsgeschichte  und  der  Bewegungsgesetze.  Zahlreiche  Ori- 
ginaltafeln, besonders  von  Durchschnitten,  sehr  correct,  wie  man  sonst  in  illustr. 
Handbüchern  nicht  zu  finden  gewohnt  ist  —  i2.  Owen^  on  the  Archetype  and 
Homologies  of  the  Yertebrate  Skeleton.  Lond.,  1848,  und  dessen:  On  the  Nature 
of  Limbs.  Lond.,  1849.  Ebenso  geistreiche  als  fassliche,  für  die  Deutung  der 
Knochen,  und  die  ZurückfÜhrung  ihrer  Formen  auf  eine  Grundidee,  höchst  werth- 
volle,  vergleichend  anatomisch  durchgeführte  Reflexionen.  —  Cuvier'g  „Ossemens 
fossiles**  bilden  noch  immer  das  unentbehrlichste  Hauptwerk  für  vergleichende 
OstQologie.  —  Für  Lehrer  und  Schüler  der  Anatomie  empfiehlt  sich  C  Lochoto, 
das  Skelet  des  Menschen  auf  14  lith.  Tafeln  dargestellt,  als  Grundlage  zum  Nach- 
zeichnen. Würzburg,  1865. 

b)  Schädelknochen. 

OL  Wormii,  epistolae,  medici,  anatomici,  botanici  argumenti.  Hafniae,  1728. 
Cura  •/.  RottgoMrd,  (lieber  die  Nahtknochen,  welche  seinen  Namen  führen,  Otn- 
cula  Wormii,  epist  29.  Sie  waren  jedoch,  nach  Worm^s  Zeugniss  selbst,  schon 
dem  Guintherus  Andernacensis,  geb.  1487,  bekannt)  —  C.  Q.  Jung^  Ani- 
madversiones  de  osaibus  generaüm,  -et  in  specie  de  ossibus  rapho-geminantibus 
(Nahtknochen).  BasiL,  1887.  i.  —  j&  HiOtmogm,  die  rergL  Osteologie  des  Schläfe- 
beins. Hannover,  1887.  4.  —  J*.  £  '^niMmii  flber  das  Zwischen- 


382  S-  U^  liUratar  d«r  KmcImb-  und  B&nderlehre. 

kietferbean  de«  MeDschen.  Btuttgart,  1840.  4.  —  P,  Lämmer»^  über  das  ZwiBchen- 
kieierbeiiu  und  sein  Verhiltniss  cur  Hasenscharte,  und  zum  Wolfsrachen.  Erlangen, 
185S.  —  Ewftif  über  den  Einfluss  der  Zahnbildung  auf  das  Kiefergerüst,  in  der 
Zeitschrift  der  Wiener  Aente.  6.  Jahrgang.  —  Dieteriehj  Beschreibung  einiger 
AbnormitJiten  des  Menschenschädels.  Basel,  1842. —  G.  J,  Schultz,  Bemerkungen 
über  den  Bau  der  normalen  Menschenschädel.  Petersb.,  1852.  Hält  eine,  oft  in 
Kleinigkeiten  abschweifende  Nachlese  über  bisher  unbeachtete  osteologische  Vor- 
kommnisse. —  L,  Fickf  über  die  Architektur  des  Schädels,  in  Müüer^s  Archiv. 
1853.  —  OL  G.  Lucae,  zur  Architektur  des  Menschenschädels,  mit  32  Tafeln. 
Frankf.  a.  BL,  1857.  —  H.  Wekker,  über  Wachsthum  und  Bau  des  menschlichen 
Schädels.  Leipzig,  1862.  —  W.  Gruher,  Beiträge  zur  Anatomie  des  Keilbeins  und 
Scbläfebeins.  Petersburg,  1859.  —  Reich  an  Beobachtungen  über  Kopfformen  und 
^vXarentan^L,  Barkauf M  Erläuterungen  zur  Skelet-  u.  Gehimlehre.  Breslau,  1865.  fol. 

c)  Deutung  und  Zurückführung  der  Schädelknochen  auf  die  all- 

gemeinen  Normen  der  WirbelbUdung. 

Nebst  R,  Owen*s  oben  citirten  Werken:  C  B.  Reichert,  über  die  Visceral- 
bogen  der  Wirbelthiere,  in  MüUer's  Archiv.  1837,  und  dessen  vergleichende  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Kopfes.  Königsb.,  1838.  —  Spöndli,  Über  die  Primordial- 
schädel der  Säugethiere  und  des  Menschen.  Zürich,  1846.  —  Bidder,  de  cranii 
conformatione.  Dorpati,  1847.  —  Köüiker,  Mittheil,  der  Zürcher  naturforschenden 
Gesellschaft,  1847,  und  dessen  Bericht  über  die  zootomische  Anstalt  in  Würzburg. 
Leipzig,  1849.  —  H.  MiUler,  über  das  Vorkommen  von  Resten  der  Chorda  dortalU 
nach  der  Geburt  Zeitschr.  für  rat  Med.  N.  F.  H.  Bd.  —  R.  Virchovo,  Über  die 
Entwicklung  des  Schädelgrundes,  etc.,  mit  6  Tafeln.  Berlin,  1857.  —  J.  Hai- 
herUma,  in  der  Nederlandsch  Tijdschrift  voor  €^neeskunde,  1862.  —  Die  Ent- 
wicklungsschriften von  Baer,  Rathke,  Bitchoff,  Dugh, 

d)  Schädelformen  und  Altersverschiedenheiten  des  Kopfes. 

J,  F,  Blumenbach,  collectiones  craniorum  diversarum  gentium.  Gottingae, 
1790 — 1828.  4.  —  S,  Th.  Sommering,  über  die  körperliche  Verschiedenheit  des 
Negers  vom  Europäer.  Frankf.  a.  M.,  1758.  8.  —  P,  Camper,  über  den  natür- 
lichen Unterschied  der  Gesichtszüge.  Aus  dem  Holland,  übersetzt  von  Sommer- 
ring,  Berlin,  1792.  4.  —  S.  G,  Morton,  crania  americana,  etc.  Philadelph.,  1839 
— 1842.  4.  —  R,  Froriep,  die  Charakteristik  des  Kopfes  nach  dem  Entwicklungs- 
gesetz desselben.  Berlin,  1845.  8.  —  J.  Engel,  Untersuchungen  über  Schädelfor- 
men. Prag,  1851.  —  Sehr  wichtige  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Alters-,  Geschlechts-, 
und  Racenunterschiede  des  Schädels  enthält  Hu9chke*s  ausgezeichnetes  Werk: 
Schädel,  Hirn  und  Seele  des  Menschen.  Jena,  1854.  —  Carus,  Über  altgriechische 
Schädel.  Breslau,  1857.  —  L,  Fick,  über  die  Ursachen  der  Knochenformen.  Gott, 
1857,  und  dessen  neue  Untersuchungen,  etc.  Marburg,  1859.  —  P,  Ifarting,  le 
c^phalographe.  Utrecht,  1861.  —  G,  Lucae,  zur  Morphologie  der  Racenschädel,  1861. 
—  Ch.  Athy,  eine  neue  Methode  zur  Bestimmung  der  Schädelform.  Braunschw., 
1862.  —  M,  J,  Weher,  die  Lehre  von  den  Ur-  und  Racenformen  der  Schädel  und 
Becken.  Düsseldorf,  1830.  4.  —  H,  Rathke,  über  die  Macrocephalie  in  der  Krimm. 
Malleres  Archiv.  1842.  p.  142.  —  K  v.  Beter,  die  Macrocephalen  im  Boden  der 
Krym  und  Oesterreichs.  M^m.  de  TAcad.  Imperiale  de  St.  P^tersbourg.  VH.  S^rie, 
T.  n.  Nr.  6.  —  Van  der  Hoeven,  über  die  Schädel  slavonischer  Völker,  in  Müller^» 
Archiv.  1844.  p.  433.  —  Ä,  Retziut,  über  die  Schädel  der  Nordbewohner,  in 
Müüet^M  Archiv.  1845,  —  über  Schädel  der  Iberier,  1847,  —  über  verschiedene 


S.  156.   Literatur  der  Knoehen-  und  B&nderlehre.  383 

Völker,  1848  und  1849,  —  über  Griechen  und  Finnen,  1848,  —  über  Peruaner, 
1849,  —  über  künfitlich  geformte  Schädel,  1854,  —  über  Pampas-Indianer,  1855. 

—  V.  Baer,  Crania  selecta,  etc.,  cum  16  tab.  in  den  Mem.  der  Petersburger 
Akademie.  Tom.  Vlll.  1859.  —  2>at>y  und  Thumamf  crania  britannica.  Lond. 
1856  begonnen.  —  Van  der  Hoeven,  catalogus  craniorum  diy.  gent  L.  B.,  1860. 

—  A.  Ecker,  Crania  Germaniae,  etc.  Frib.,  1868 — 1866,  und  dessen  Sch&del  nord- 
ost-afrik.  Völker.  Frankf.,  1866.  —  Rütimtyer  und  Hia,  Crania  Helvetica,  Basel, 
1864.  —  Nicoluceiy  di  un  antico  cranio  fenicio.  Torino,  1864.  —  Canettrini,  im 
Archivio  per  la  Zool.  1864.  —  Nicoluceiy  la  stirpe  ligure.  Nap.  1864.  —  Wei*- 
baehf  Schftdelformen  österr.  Völker,  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener 
Aerzte,  1864.  —  Q.  Osrti#,  Atlas  der  Cranioscopie.  Leip.  1864. 

e)   Wirbelsäule. 

E,  H,  Webetf  Über  einige  Einrichtungen  im  Mechanismus  der  menschlichen 
Wirbelsäule  y  in  MeekeVs  Archiv.  1828.  —  J.  Maller^  vergL  Anatomie  der  Mjxio- 
niden.  Erster  Theil:  Osteologie  und  Myologie.  Berlin,  1835.  fol.  Höchst  geist- 
reiche und  für  die  richtige  Auffassung  und  Deutung  der  Rückenmuskeln  unent- 
behrliche Reflexionen  über  die  Wirbelfortsätze.  —  Ä»  Betxiua  in  Miiüer^s  Archiv. 
1849.  6.  Heft.  —  F,  Homer^  über  die  Krümmung  der  Wirbelsäule  im  aufrechten 
Stehen.  Zürich,  1854.  —  Die  Arbeiten  von  H,  Meyer  in  MüUei^s  Archiv,  1853  und 
1861,  so  wie  jene  von  Parauj,  im  Arch.  für  path.  Anat  1864,  erörtern  die  phy- 
siologischen Schlüsse  der  Wirbelsäule. 


f)  Becken. 

F.  C.  Naegele,  das  weibl.  Becken,  betrachtet  in  Beziehung  seiner  Stellung 
und  die  Richtung  seiner  Höhe.  Carlsruhe,  1823.  4.  —  G.  Vrolik,  consid^rations 
sur  la  diversit^  des  bassins  des  races  humaines.  Amst.,  1826.  8.  —  Schwegel, 
Beitr.  zur  Anatomie  des  Beckens,  in  dem  Wochenblatt  der  Zeitschrift  der  ärztL 
Gesellschaft  in  Wien,  1855,  Nr.  37.  —  Weithach^  Becken  österr.  Völker,  Zeit- 
schrift der  Wiener  ärztl.  Gesellschaft,  1866. 

g)  Mechanik  der  Gelenke. 

W,  u.  E.  Weber,  Mechanik  der  menschl.  Gehwerkzeuge.  Götting.,  1836.  8. 
Ein  durch  Originalität  und  mathematische  Begründung  seiner  Lehrsätze  gleich 
ausgezeichnetes  Werk.  —  O.  B,  GHhUher,  das  Handgelenk  in  mechanischer,  ana- 
tomischer und  chirurgischer  Beziehung.  Hamb.,  1841.  8.  —  Ck.  Bell,  die  mensch- 
liche Hand.  Aus  dem  Engl,  von  Hauff.  Stuttgart,  1836.  8.  —  J.  HyrÜ^  Knie- 
gelenk. Oesterr.  medic.  Jahrb.  1839;  Hüftgelenk,  Zeitschrift  der  Wiener  Aente, 
1846.  —  Mehrere  kleinere  Abhandl.  von  H.  Mayer  u.  L,  Fick  in  Müllerei  Archiv, 
1853.  —  Bobertf  Anat  und  Mechanik  des  Kniegelenks.  Giessen,  1855.  —  Langer, 
über  das  Sprunggelenk  der  Säugethiere  und  des  Menschen,  im  12.  Bde.  der  Denk- 
schriften der  kais.  Akad.  Derselbe,  über  das  Kniegelenk,  in  den  Sitzungsberichten 
der  kais.  Akad.  32.  Bd.  p.  99.  —  Henke,  die  Bewegung  des  Beines  im  Sprung- 
gelenk, in  der  Zeitschrift  für  rat  Med.  8.  Bd.  p.  149;  über  die  Bewegungen  der 
Handwurzel,  ebenda,  7.  3d.  p.  27,  und  jene  des  Kopfes,  p.  49.  —  Henltfa  Ana- 
tomie (1.  u.  2.  AbtheiL  des  1.  Bandes)  ist  eine  reiche  Fundgniba  für  ICcehaitit 
der  Gelenke,  and  die  8.  Auflage  meiner  topogn^hiaeliii»  ^* 
praktischen  Anwendungen  derBeß>en. 


384  S*  1^>   Literatur  der  Knochen-  nnd  Binderlehre. 

A)  Altet^sverschiedenheiten  und  Spielarten  der  Knochen. 

J. «/.  Sue,  sur  les  propri^t^s  du  squelite  de  rhomme,  exAminS  depuis  Tage 
le  plus  tendre,  jusqu^li  celui  de  60  ans  et  au  del^  M4m.  pr^s.  k  TAkad.  royale 
des  Sciences.  Paris,  1756.  —  F,  Ue^ßamm,  brevis  descriptio  sceleti  humani  variis 
in  aetatibus.  Erlangae,  1796.  8.  —  F,  Chautsard,  recherches  sur  Torganisation 
des  viellards.  Paris,  1822.  —  J.  van  Döveren,  observ.  osteoL  varios  natorae 
lusus  in  ossibus  ezhibentes.  In  ejusdem  Specim.  observ.  acad.  Groning,  1766.  — 
Ch,  Ro9enmiMer ,  diss.  de  singularibus  et  nativis  ossium  varietatibus.  Lipsiae, 
1804.  4.  —  Theüe,  Beiträge  zur  Angio-  und  Osteologie  in  der  Zeitschr.  für  wiss. 
Med.  VI.  Bd.  2.  Heft  —  W,  Gruher,  Abhandl.  aus  der  menschl.  und  vergl.  Ana- 
tomie. Petersburg,  1862.  Eine  wahre  Fundgrube  interessanter  und  seltener  Ano- 
malien in  Thieren  und  Menschen.  (Osteolog.  Varietäten  als  Thierähnlichkeiten, 
Oa  inierparietaley  Abnorme  Nähte,  etc.)  —  ScJiwegelj  Knochenvarietäten,  in  der 
Zeitschrift  für  rat  Med.  3.  Reihe.  XI.  Bd.  —  Luschka^  über  Halsrippeu  und  0»sa 
ntpnutemaliat  im  16.  Bd.  der  Denkschriften  der  kais.  Akad.  —  Ghtrll,  Beiträge 
zur  path.  Anat  der  Gelenkskrankheiten.  Berlin,  1863.  —  Dürr^  Zeitschr.  fUr  wiss. 
Med.  1860,  und  Bockshammerj  die  angeborene  Synostose.  Tübing.,  1861,  handeln 
über  die  interessanten  Verschmelzungen  des  Atlas  mit  dem  Hinterhauptbein,  und 
des  fünften  Lendenwirbels  mit  dem  Kjreuzbein.  —  Syrtl,  über  die  Trochlearfort- 
sätze  menscht  Knochen.   Denkschriften  der  kais.  Akad.   18.  Bd. 

i)  Praktische  Anweisungen  zur  Skeletopoe, 

Nebst  den  allgemeinen  Schriften  über  Zergliederungskunst:  J,  Cloquet,  de 
la  sceletop^e,  ou  de  la  pr^paration  des  os,  des  articulations ,  et  de  la  construc- 
tion  des  sceUtes,  in  dessen  Concours  pour  la  place  de  chef  des  travaux  anatom. 
Paris,  1849.  4.  —  J.  A,  Bo^ros,  quelques  consid^rations  sur  la  sceletop^e.  Paris, 
1819.  4.  —  C  Hestelbach,  vollständige  Anleitung  zur  Zergliederungskunde.  Erster 
Band.    Arnstadt,  1806.   4. 

B.  Bänderlehre. 

Die  Syndesmologie  hat  eine  sehr  gründliche  Bearbeitung  ge- 
funden in  Henle's  Bänderlehre,  welche  die  zweite  Abtheilung  des 
ersten  Bandes  seines  anatomischen  Handbuchs  bildet.  Die  neuere 
Zeit  brachte  Luschlca*s  Ualbgelenke  des  menschlichen  Körpers,  mit 
6  Tafeln.  Berlin,  1858.  fol.,  W.  Henkels  Handbuch  der  Anat.  imd 
Mechanik  der  Gelenke,  Leipz.  1863,  so  wie  dessen:  Mechanismus 
der  Doppelgelenke  mit  Zwischenknorpel  (ebenda,  VIH.  Bd.),  und 
eine  Folge  gediegener  Arbeiten  von  C  Langer^  über  das  Knie-, 
Sprung-,  und  Kiefergelenk,  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Aka- 
demie. Von  älteren  Werken  kann  nur  genannt  werden: 

J.  WeitbrecJUy  Syndesmologia ,  sive  historia  ligamentorum  corporis  hum. 
Petropoli,  1742.  4.  Mit  26  Tafeln.  Deutsch  von  Loachge,  mit  besseren  Abbildun- 
gen als  im  Original.  2.  Auflage.  Erlangen,  1804.  foL  Es  verdient  dieses  Werk 
den  Namen  nicht  mehr,  welchen  es  bei  seinem  Erscheinen  hatte.  Weit  vollstän- 
diger und  gründlicher  ist:  U,  Barkow,  Syndesmologie,  oder  die  Lehre  von  den 
Bändern.   Breslau,  1841.   8. 


DRITTES  BUCH. 


Muskellehre,  mit  Fascien  und  topographischer 

Anatomie. 


Hjrtl,  L«lirbiicli  der  Anttomit. 


A.  Kopfmuskeln  *). 

§.  157.    Eintheiluiig  der  Kopfaxüskeln. 

Unter  Kopfmuskeln ;  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  ver- 
stehen wir  jene,  die  am  Kopfe  entspringen,  und  am  Kopfe  endigen. 
Die  vielen  Muskeln,  die  nur  am  Kopfe  endigen,  und  anderswo  ent- 
springen, werden  nicht  als  Kopftnuskeki,  sondern  als  Muskeln  jener 
Gegenden  beschrieben,  durch  welche  sie  verlaufen,  bevor  sie  zum 
Kopf  gelangen. 

Die  eigentlichen  Kopfmuskeln  zerfallen  in  zwei  Klassen.  Die 
erste  wird  durch  Muskeln  gebildet,  die  nur  mit  Einem  Ende  an 
einem  Kopfknochen  haften,  mit  dem  anderen  sich  in  Weichtheile, 
in  die  Haut,  oder  in  Fascien  des  Kopfes  verlieren.  Sie  sind  sämmt- 
lich  dünne,  und  vergleichungs weise  schwache  Muskeln,  da  die 
Theile,  die  sie  zu  bewegen  haben,  wenig  Widerstand  leisten.  Die 
zweite  Klasse  fasst  solche  Muskeln  in  sich,  welche  sich  mit  beiden 
Enden  an  Kopfknochen  inseriren,  und  dk  es  nur  Einen  beweg- 
lichen Knochen  (den  Unterkiefer)  am  Kopfe  giebt,  an  diesem  sich 
festsetzen  müssen. 

Bevor  man  zum  Studium  der  Muskeln  und  zur  praktischen  Bearbeitung 
derselben  an  der  Leiche  schreitet,  möge  man  die  Paragraphe  31 — 42  der  allge- 
meinen Anatomie  aufmerksam  durchgehen. 


*)  £ine  gute  praktische  Anleitung  zur  Bearbeitung  der  Muskeln  an  der  Leiche 
ist  für  jeden  Schüler  der  Anatomie  ein  onerläsaliches  Bedttrfhiss.    Um  diesem  Be- 
dürfhiss  zu  entsprechen,  habe  ich  mein  Handbuch  der  praktiaehea  Zenrliodenmffi- 
kunst,  Wien,  1860,  geschrieben.    £•   enthllft  Alles,  wai  n 
gehört,  und  ist.  für  das  praktische  Stodiiiiii  dv 
ein  descriptives  Lehrbuch  für  das  fhemretlic^ 


388  §•  1^*   Kopftnntkeln,  die  sich  an  Weichtheilen  inseriren. 


§.  158.  Kopfamskeln,  die  sich  an  Weichtheilen  inseriren. 

Die  Muskeln  dieser  Klasse  bewegen  entweder  die  behaarte 
Kopfhaut,  oder  bewirken  die  Erweiterung  und  Verengerung  der 
im  Gesichte  befindlichen  Oefinungen.  So  bedeutsam  diese  Muskeln 
ftlr  die  Mechanik  des  Mienenspiels  sind,  so  unwichtig  sind  die  mei- 
sten derselben  bisher  dem  praktischen  Arzte  geblieben. 

A.  Muskeln  der  behaarten  Kopfhaut. 

Sie  sind:  der  Musculus  frontalis  und  occipitalis,  Ersterer  ent- 
springt von  der  Glabella,  in  der  Gegend  der  Sutur  zwischen  Stim- 
und  Nasenbein,  femer  von  dem  inneren  Ende  des  Arcu>s  supercüia- 
m,  wohl  auch  vom  Margo  supraorbitalis,  läuft,  mit  dem  der  anderen 
Seite  divergirend,  über  den  Stimhöcker  nach  aufwärts,  breitet  sich 
zu  einer  flachen  und  dünnen  Muskelschichte  aus,  und  inserirt  sich 
mit  einem  massig^  convexen  Rande  an  den  vorderen  Rand  einer 
Aponeurose,  welche  der  Oberfläche  der  Hirnschale  wie  eine  Kappe 
genau  angefügt  ist  (die  Schädelhaube,  Galea  aponeurotica  cranii), 
zwischen  E[aut  und  Beinhaut  liegt,  und  sich  nach  rückwärts  bis 
zum  Hinterhaupte,  und  seitwärts  bis  zur  Schläfegegend  herab  aus- 
breitet An  den  hinteren  Rand  dieser  Aponeurose  inserirt  sich  der 
viereckige,  flache,  dünne  Musculus  occipitalis,  der  von  den  zwei 
äusseren  Dritteln  der  Linea  semicircularis  superior  des  Hinterhaupt- 
beins, und  der  angrenzenden  Pars  m/istoidea  des  Schläfebeins  ent- 
steht, und  mit  dem  der  anderen  Seite  etwas  convergirend  in  der 
Galea  sich  verliert.  Jedes  Muskelbündel  des  Frontalis  und  Occipi- 
talis setzt  sich  in  ein  breites  Sehnenbündel  fort,  welches,  besonders 
vom  Occipitalis  aus,  sich  weit  in  die  Galea  hinein  verfolgen  lässt. 
Gegen  die  Schläfe  zu  verliert  die  Galea  ihren  aponeurotischen 
Charakter,  und  nimmt  das  Ansehen  einer  Bindegewebsmembran 
an.  —  Die  beiden  Stimmuskeln  werden  die  Galea  nach  vom,  die 
beiden  Hinterhauptmnskeln  nach  hinten  ziehen,  imd  da  die  Galea 
sehr  fest  mit  der  behaarten  Haut  des  Schädels  zusammenhängt, 
wird  letztere  den  Bewegungen  der  Galea  folgen.  Wirken  die  Stim- 
und  Hinterhauptmuskeln  gleichzeitig,  so  wird  die  Galea  an  den 
Schädel  stärker  angepresst.  Wirkt  der  Musculus  frontalis  allein, 
so  wird  er,  zugleich  mit  der  Bewegung  der  Galea  nach  vom,  die 
Stimhaut  in  quere  Falten  legen,  welche,  wenn  sie  zu  bleibenden 
Runzeln  werden,  die  gefurchte  Stime  der  Greise  bilden.  Es  lassen 
sich  die  Stimmuskeln  als  der  vordere,  die  Hinterhauptmuskeln  als 
der  hintere  Bauch,  und  die  Galea  als  die  Sehne  eines  xmd  des- 
selben Muskels  betrachten,  der  dann  Musculus  epicranius  oder  ocd- 
pito-frontalis  zu  nennen  wäre. 


§.  158.  Kopfinuskeln,  di*  sich  an  Weiohtheilen  inseriren.  389 

Diese  Angaben  sind  den  anatomischen  Verhältnissen  des  Stimmoskels  ent- 
nommen. Cruveilhier  dagegen  stellt,  gestützt  auf  Keizungsversuche  des  Mus> 
kels,  die  Behauptung  auf,  dass  der  MiuaUus  frontalis  immer  seinen  fixen  Punkt 
an  der  Galea  nehme,  die  Stimhaut  und  die  Augenbrauen  nach  aufwärts  bewege, 
und  dem  Gesichte  jenen  Ausdruck  verleihe,  welchen  es  bei  heiteren  Affecten, 
und  freudiger  Ueberraschung  annimmt. 

Wemi  die  Galea  verschiebbar  ist,  so  kann  sie  mit  dem  unter  ihr  liegen- 
den Periost  des  Schädels  nur  eine  lockere,  fettlose,  und  dehnbare  Bindegewebs- 
verbindung  eingehen,  während  ihr  Zusammenhang  mit  der  behaarten  Kopfhaut 
durch  ein  sehr  kurzes,  straffes,  und  nur  sehr  wenig  Fett  einschliessendes  Binde- 
gewebe bewerkstelligt  wird,  lieber  einen  der  beiden  Stimmuskeln,  und  zwar 
häufiger  über  den  rechten  als  über  den  linken,  verläuft  die  bei  körperlichen  An- 
strengungen und  Gemüthsbewegungen  schwellende  Stimvene  (Vena  praeparata), 
„die  Ader  des  Zornes **,  aus  welcher  man  vor  Zeiten  zur  Ader  Hess. 

Zuweilen  findet  sich  unter  dem  M,  oecipüalü  noch  ein  kleiner,  federspulen- 
dicker  Muskelstreifen,  welcher  in  der  Gegend  der  Prottiherantia  ocdpUalia  externa 
von  der  oberflächlichen  Nackenfascie  entsp.  ingt,  den  Kopfursprung  des  Cucullaris 
in  querer  Richtung  überlagert,  und  sich  in  der  Gegend  der  Kopfinsertion  des 
Kophiickers,  entweder  in  der  Nackenfascie  oder  in  der  Fascia  parotidea  verliert 
Santorini  beschrieb  ihn  zuerst  als  Ocdpitalia  minor  oder  Corrugator  posticus. 

B.  Muskeln  um  die  Oeffnungen  des  Gesichts. 

Sie  bilden  so  viel  Gruppen,  als  Oeffiiungen  im  Gesichte  vor- 
kommen. 

1.  Muskeln  der  Augenlidspalte. 

Vom  inneren  Winkel  der  Augenlidspalte  geht  ein  kurzes,  aber 
breites  Bllndchen  {Ligamentum  palpd/raittm  intemum)  zum  Stirn- 
fortsatz  des  Oberkiefers,  welches  man,  ohne  Präparation,  sehen 
kann,  wenn  man  die  Augenlidspalte  durch  Zug  an  ihrem  äusseren 
Winkel  gegen  die  Schläfe  hindrängt.  Von  diesem  Bändchen,  und 
vom  Stirnfortsatz  des  Oberkiefers  selbst,  entspringt  der  Schliess- 
muskel  der  Augenlider,  Musculus  orbicularü  s.  sphincter  palpe- 
hrai'um,  welcher  eine  Eü'eisbewegung  um  den  Umfang  der  Orbita 
macht,  und  theils  an  demselben  Bändchen,  theils  am  inneren  Drittel 
des  Margo  infraorhitalis  endigt.  Man  braucht  den  Muskel  nur  ein- 
mal zu  sehen,  um  überzeugt  zu  sein,  dass  er  seinen  Namen  mit 
Unrecht  trägt,  indem  er  nur  die  Haut  um  die  Orbita  zusammen- 
schieben, und  in  strahlenförmige  Falten  legen  kann,  mit  den  Augen- 
lidern aber  nichts  zu  schaffen  hat  Es  wäre  deshalb  richtiger,  ihn 
Orhicalaris  whitae  zu  nennen.  Die  Schliessung  der  AugenUder  wird 
vielmehr  durch  ein  besonderes,  dünnes,  imter  der  Haut  der  Augen- 
lider dicht  am  freien  Lidrande  (wo  die  Wimpern,  CVita,  wurzeln) 
liegendes,  gelblich-röthliches  Muskelstratum  bewirkt,  welches  von 
Riolan  zuerst  als  Musculus  ciUaris  erwähnt  wurde.  Die  einzelnen 
Bündel  dieses  Muskektratums  sind  so  gekrümmt,  dass  jene  des 
oberen  und  unteren  Augenlides  ihre  Concavitäten  gegen  die  Lid- 
spalten kehren,  Sie  mü4»en  idbo  chiroh  "  ■"den.  während 


390  §•  1^'   Kopftnnskaln,  die  sich  an  Weichtbeilen  inseriren. 

ihrer  Contraction,  die  freien  Lidränder  bis  zur  Berührung  einander 
nähern.  Jene  Bündel,  welche  dicht  am  freien  Lidrande  lagern,  sind 
etwas  dicker,  und  dichter  zusammengedrängt,  als  die  übrigen. 

Eine  Partie  von  Fasern  des  Orbiatlari»  entspringt  von  der  äusseren  Wand 
des  Thränensacks  und  der  Crista  des  Thränenbeins,  als  ein  schmales,  viereckiges 
Fleischbündel.  Dieses  ist  der  schon  von  Duvernoy  gekannte,  von  Rosen- 
mttller  selbst  abgebildete,  von  Homer  neuerdings  angeregte  Muteulut  Homeri 
(Philadelphia  Journal,  1824,  Nov.).  Horner  betrachtete  ihn  aber  nicht  als  Theil 
des  OrbiaUariSy  sondern  liess  ihn,  in  zwei  Schenkel  gespalten,  an  den  inneren 
Endpunkten  der  beiden  Augenlidknorpel  endigen,  welche  er  nach  innen  spannen 
soll,  weshalb  er  denn  auch  sofort  als  Teiuor  tarn  benannt  wurde. 

Der  schmale  Augenbrauenrunzler,  Musculus  caiinigator 
supercilü,  zieht  die  obere  Augenbraue  gegen  die  Nasenwurzel  und 
zugleich  etwas  herab.  Vom  Stimmuskel  und  Orhictilaris  palpebra- 
rum bedeckt,  nimmt  er  von  der  Glabella  seinen  Ursprung,  geht 
über  den  Arcus  superciliaris  nach  aussen,  und  verwebt  sich,  bei- 
läufig in  der  Mitte  des  Margo  supram'hitalis  (also  auch  des  /Super- 
cilium)  mit  den  Fasern  des  Frontalis  und  Orhicularis,  Indem  er 
beide  Brauen  einander  nähert,  muss  sich  die  Haut  der  Glabella  in 
senkrechte  Falten  legen.  Er  ist  also  kein  Ctyi'^mgator  supercilü^  son- 
dern ein  Corrugator  frontis. 

2.  Muskeln  der  Nase. 

Der  Aufheber  des  Nasenflügels  und  der  Oberlippe, 
Levator  alae  nasi  et  hbii  superiorisy  entsteht  vom  Stimfortsatze  des 
Oberkiefers  unterhalb  der  Ansatzstelle  des  Ligamentum  palpebrale 
intemumj  und  hängt  mit  dem  Ursprünge  des  Musculus  frontalis  zu- 
sammen. Er  steigt  an  der, Seite  der  Nase  herab,  und  theilt  sich  in 
zwei  Schenkel,  deren  einer  zum  Nasenflügel,  der  andere,  breitere, 
zur  Oberlippe  herabläuft.  Er  rümpft  die  Nase,  und  erweitert  das 
Nasenloch.  (Santorini  nannte  ihn  Pyramidalis,  da  ihm  der  lange 
Name,  den  er  sonst  führt,  nicht  gefiel.)  —  Der  Zusammendrücker 
der  Nase,  Compressoi'  nasi,  entspringt  aus  der  Fossa  canina  des 
Oberkiefers,  wo  er  vom  vorhergehenden  bedeckt  wird.  Während 
er  zum  Rücken  der  knorpeligen  Nase  strebt,  verwandelt  er  sich  in 
eine  dünne  Fascie,  welche  mit  jener  der  anderen  Seite  über  dem 
Nasenrücken  zusammenfliesst.  Zu  dieser  Fascie  kommt  nicht  selten 
ein  schlankes  Muskelbündelchen  vom  Stimmuskel  herunter,  als 
Musculus  procei^us  Santorini.  (Neuere  Autoren  verwechseln  den 
Procerus  mit  dem  PyramidcUis,)  —  Der  Niederzieher  der  Nase, 
Depressor  alae  nasi  s.  Musculus  lateralis  nasi,  entspringt,  von  den 
beiden  früheren  bedeckt,  von  der  Alveolarzelle  des  Eckzahns  und 
äusseren  Schneidezahns,  krümmt  sich  nach  auf-  und  vorwärts,  und 
befestigt  sich  am  hinteren  Ende  des  Nasenflügelknorpels.  —  Der 
Levator  proprius  alae  nasi  anterior   und  posterior  entspringen,   der 


§.  158.   Kopfteutkeln,  die  sieh  an  Wdchtheilen  interiren.  391 

erstere  vom  Seitenrande  der  Indsura  pyriformisy  der  zweite  vom 
Nasenflügelknorpel,  in  dessen  Hautüberzug  beide  übergehen  sollen. 
—  Der  Niederzieher  der  Nasenscheidewand,  Depressor  septi 
mdbilis  nariuniy  besteht  aus  Fasern  des  Orhicularia  oris,  welche  sich 
in  der  Medianlinie  nach  oben  begeben,  um  am  unteren  Rande  des 
Nasenscheidewandknorpels  zu  enden. 

3.  Muskeln  d^r  Mundspalte. 

Bei  keinem  Thiere,  selbst  bei  den  menschenähnlichsten  Affen 
nicht,  besitzt  die  Mundspalte  eine  so  zahlreiche  Musculatur,  wie 
im  Menschen.  Der  Mund  der  Thiere  kann  deshalb  nie  jene  ver- 
schiedenen Formen  annehmen,  welche  ihn  im  Menschen  zu  einem 
so  wichtigen  und  sprechenden  Factor  der  Miene'  machen.  Das 
ganze  Spiel  der  Lippen  beschränkt  sich  bei  den  Thieren  auf  das 
Ergreifen  des  Futters,  auf  das  Fletschen  der  Zähne,  auf  die  Her- 
vorbringung einer  Grimasse,  welcher  man  es  oft  nicht  ankennt,  ob 
Freude  oder  Leid  ihre  Veranlassxmg  ist.  Die  grösste  Mehrzahl 
der  Muskeln  des  Mundes  liegt  beim  Menschen  in  der  Richtung 
der  verlängerten  Radien  der  Mundöffnung.  Nur  Einer  geht  im 
Kreise  um  die  Mundöffnung  herum.  Letzterer  ist  ein  Verengerer, 
erstere  aber  sind  Erweiterer  der  Mimdöffhung.  Von  der  Nasen- 
seite zum  Kinn  im  Bogen  herabgehend,  begegnet  man  folgenden 
Erweiterem  der  Mundspalte: 

1.  Der  Aufheber  der  Oberlippe,  Levator  labii  superiorü 
propritLs,  einen  Querfinger  breit,  entspringt  am  inneren  Abschnitte 
des  Margo  infraorbitalisy  und  geht  schräge  nach  innen  und  unten, 
zur  Substanz  der  OberUppe.  Er  deckt  das  Foramen  infraorbäale 
und  die  aus  ihm  hervortretenden  Gefässe  und  Nerven. 

2.  Der  Aufheber  des  Mundwinkels,  Levator  anguli  orisy 
kommt  aus  der  Grube  der  vorderen  Fläche  des  Oberkieferkörpers, 
und  verliert  sich,  fast  senkrecht  absteigend,  xmd  an  seinem  inneren 
Rande  vom  Levator  labii  bedeckt,  im  Mundwinkel.  Er  liegt  unter 
allen  Muskeln  der  Oberlippe  am  tiefsten. 

3.  xmd  4.  Der  kleine  und  grosse  Jochbeinmuskel,  Mus- 
cnhis  zygoniaticus  major  et  minor^  entspringen  von  der  Gesichtsfläche 
des  Jochbeins,  der  kleine  über  dem  grossen.  Sie  nehmen  vom  Or- 
hiciilnris  palpebrarum  häufig  Fasern  auf,  und  gehen  vom  Mund- 
winkel aus  in  die  Substanz  der  Ober-  und  Unterlippe  über,  wo  sie 
sich  mit  den  Fasern  des  Schliessmuskels  verweben. 

5.  Der  Lachmuskel,  Riaoriua  Santorini^  der  dünnste  dieser 
Muskelgruppe,  entspringt  in  der  Regel  von  der,  den  Kaumuskel 
und  die  Parotis  deckenden  Aponeurose  {Fascia  parotideo-masseteTnca), 
und  läuft  quer  zum  Mundwinkel,  welchen  er,  wie  beim  Lächeln, 
nach  aussen  zieht,    (Et  es  solllaalieh,  den  Risorius  Santorini 


392  §•  1^*   Kopfinnskeln,  die  sieh  an  WeichtheUtB  iuMrirta. 

als   das  oberste,   am  Kopfe  entspringende  Grenzbttndel   des  später 
(§.  163)  folgenden  Platysma  aufzufassen.) 

6.  Der  Niederzieher  des  Mundwinkels,  Depreasar  angtili 
oris  8,  TriangulariSj  entsteht  breit  am  unteren  Rande  des  Unter 
kiefers,  und  verwebt  sich,  spitzig  zulaufend,  mit  der  Ankunftsstelle 
des  Zygomaticus  major  am  Mundwinkel. 

7.  Der  Niederzieher  der  Unterlippe,  Defpu^essor  labü  inft- 
rioris  s.  Quadratus  menti,  entspringt  am  unteren  Kieferrande,  aber 
weiter  einwärts  als  der  vorige,  und  wird  von  ihm  theilweise  bedeckt 
Die  Muskeln  beider  Seiten  convergiren  miteinander  so,  dass  sich 
ihre  inneren  Faserbündel  wirklich  kreuzen.  Er  verliert  sich  theik 
in  der  Haut  des  Kinns,  theils  in  der  Substanz  der  Unterlippe. 

8.  Der  Aufheber  des  Kinns,   Levator  m^nti^   findet  sich  in 
dem   dreieckigen  Räume  zwischen  beiden  Quadrati,  entspringt  vom 
Alveolarfortsatz  des  Unterkiefers  nahe  am  Kinn,  und  verliert  sieb, 
herabsteigend,    theils    in    die    Haut    des    Kinns,    theils   soll  er  auch 
bogenförmig  in  denselben  Muskel  der  anderen  Seite  übergehen. 

9.  Die  Schneidezahnmuskeln,  Musctdi  incmvi  Cotvperiy  zwei 
obere  und  zwei  untere,   nehmen  ihren  schmalen  Ursprung  an  den 
AlveolarzcUen    der    seitlichen    Schneidezähne,    und    verlieren    sich 
als   gerade,   kurze,   aber  eben  nicht  schwache  Muskeln,  in  die  be- 
treffende Lippe.    Einige    erklärten   sie   für   die  Kieferursprünge  de» 
gleich  zu  erwähnenden  Sphinctefi*  oris.    Wenn  je  ein  Theil  der  Ana* 
tomie  einer  strengen  und  vorurtheilsfreien  Revision  bedarf,  so  ist  es 
die   Anatomie    der   Gesichtsmuskeln.     Man   redet  Anderen    zu    viel 
nach,   und    unterlässt    das    eigene    Nachsehen.     Warum?     Weil   die 
Zergliederung  der  Muskeln  der  Mundspalte  wirklich  die  schwierigste 
Partie   der   praktischen  Myotomie  genannt  zu  werden  verdient,  und 
als  solche  wenig  magnetische  Anziehungskraft  auf  hurtige  Scalpelle 
äussert. 

10.  Der  Backenmuskel,  Musculus  buccinator  s,  huccalis,  ent- 
springt von  der  äusseren  Fläche  des  Zahnfächerfortsatzes  beider 
Kiefer  hinter  dem  zweiten  Backenzahn,  und  vom  Hamultts  pteiy- 
goideus  des  Keilbeins,  läuft  mit  ziemhch  parallelen  Fasern  quer 
gegen  den  Mund,  wird  von  den  beiden  Zygomaticisj  dem  Risai'ius 
imd  Depressor  anguli  oris  überschritten,  und  verliert  sich  in  der 
Ober-  und  Unterlippe,  so  zwar,  dass  die  obersten  der  vom  Unter- 
kiefer entsprungenen  Bündel  in  die  Oberiippe,  und  die  untersten 
der  vom  Oberkiefer  kommenden  in  die  UnterUppe  übergehen.  An 
den  Mundwinkeln  muss  somit  eine  partielle  Kreuzung  der  mitt- 
leren Bündel  des  Buccinator  stattfinden.  Wirkt  er  allein,  so  erwei- 
tert er  die  Mundöffnung  in  die  Quere.  Wird  diese  Erweiterung 
durch  die  gleichzeitige  Thätigkeit  des  Schliessmuskels  des  Mundes 
aufgehoben,   so   drückt  er  die  Wange  an  die  Zähne  an,  oder  com- 


§.  158.   Kopfinaskeln,  die  sich  an  Weichtheilen  inseriren.  393 

primirt,  wenn  die  Mundhöhle  voll  ist,  den  Inhalt  derselben,  z.  B. 
die  Luft,  welche,  wenn  die  Lippen  sich  ein  wenig  öffnen,  mit  Ge- 
walt entweicht,  wie  beim  Spielen  von  Blasinstrumenten,  daher  der 
alte  Name  Trompetermuskel.  In  der  Nähe  des  zweiten  oberen 
Mahlzahnes,  wird  er  durch  dep  Ausftihrungsgang  der  Ohrspeichel- 
drüse durchbohrt.  —  Die  vielen  Muskeln,  welche  zu  den  beiden 
Mundwinkeln  treten,  sind  der  Grund,  warum  die  Mundöffnung 
eine  Querspalte,  und  nicht,  wie  der  After,  ein  faltig  zusammen- 
gezogenes Loch  bildet. 

Der  lateinische  Name  BuccincUor  stammt  von  Imccaj  d.  i.  die  durch 
Schreien  oder  Essen  aufgeblähte  Wange,  daher  bei  lateinischen  Classikem  bueco 
ebenso  Schwätzer,  als  Vielfrass  bedeutet  Die  nicht  aufgeblähte  Wange  heisst  gena. 

Dieser  Menge  von  Erweiterem  der  Mundöffnung  wirkt  nur 
Ein  Ring-  oder  Schliessmuskel  entgegen,  Sphinctej'  8,  Orbicu- 
laris  ori8.  Er  bildet  die  wulstige  Fleischlage  der  Lippen.  Zwischen 
der  äusseren  Haut  und  der  Mimdschleimhaut  eingeschaltet,  hängt 
er  mit  letzterer  weniger  fest  als  mit  ersterer  zusammen,  ja  es  ist 
selbst  durch  Langer  bewiesen  worden,  dass  eine  Summe  von  Fa- 
sern dieses  Muskels  wirklich  in  die  Haut  der  Lippen  eingeht,  und 
sich  in  ihr  verliert.  Man  Uess  ihn  daher  nur  mit  Unrecht  aus  einer 
Summe  von  concentrischen  Ringfasem  bestehen,  welche  nirgends 
am  Knochen  befestigt  sind,  und  sich  mit  den  übrigen,  zur  Mimd- 
spalte  ziehenden  Muskeln  so  innig  verkreuzen  und  verfilzen,  dass 
daraus  das  schwellende  Fleisch  der  Lippen  entsteht.  Reizungsver- 
suche einer  Hälfte  des  Muskels  (nach  Duchenne)  zeigten  auch, 
dass  die  Contraction  nur  auf  die  gereizte  Hälfte  sich  beschränkt, 
was  nicht  der  Fall  sein  könnte,  wenn  die  Muskelfasern  des  Sphinc- 
ter  aus  einer  Lippenhälfte  continuirUch  in  die  andere  fortUefen. 
Sharp ey  trennt  ihn  in  eine  Pars  labialis  und  facialis,  Erstere 
erstreckt  sich  so  weit,  als  das  Lippenroth  reicht,  und  besteht  aus 
wirklichen  Kreisfasem.  Letztere  umschliesst  erstere,  besteht  nicht 
aus  selbstständigen  Kreisfasern,  sondern  erborgt  ihre  Elemente 
theils  aus  den  übrigen  zur  Mundspalte  tretenden  Muskeln,  theils 
entspringen  sie  an  den  Zahnfächerfortsätzen  des  Ober-  und  Unter- 
kiefers in  der  Nähe  der  Eckzähne,  und  am  Nasenscheidewandknor- 
pel,  welche  Ursprünge  die  früher  erwähnten  Mtisculi  incisivi  Cowperi 
und  Depressor  septi  narium  bilden.  Der  Sphincter  oris  schliesst  den 
Mund,  spitzt  die  Lippen  zum  Pfeifen  und  Küssen  (Musculus  osculatorius 
der  Alten),  und  verlängert  sie  zu  einem  kurzen  Rüssel  beim  Saugen. 

Ueber  die  Faserung  des  Sphincter  oi'U  handelt  ausführlich  C.  Langer  in 
der  ZeiUchrift  der  ärztl.  Gesellschaft,  Wien,  1861. 

Durch  Combination  der  verschiedenen  Bewegungen  einzelner  Gesichtsmus- 
keln, besonders  jener  des  Mondes,  entsteht  der  eigenthümliche  Ausdruck  des 
Gesichts   —   die  Ml««*^  'i^bltigkeit  einer  gewissen  Gruppe  von  Ge- 

sichtBiinitk  o  bildet  fich   ein   vorwaltender 


394  §•  1^-    Maskeln  des  Unierkiefen. 

Gnindzug,  der  bleibend  wird.  Jede  Gemüthsbewegiing  hat  ihren  eigenthiimlichen 
Dialect  im  Gesichte,  dem  Spiegel  der  Seele.  Anch  der  schweigende  Mnnd  hat 
seine  verständliche  Sprache,  und  das  facundum  ort»  aüentium  ist  zuweilen  beredter 
als  die  Zunge.  —  Neugeborene  Kinder  und  leidenschaftslose  Menschen  haben 
keine  markirten  Zflge ;  Wihle  sehen  einander  ähnlich,  wie  die  Schafe  einer  Herde ; 
das  Mienenspiel  wird  bei  aufgeregten  Seel^zustanden  lebhaft  und  ausdrucksvoll, 
und  haben  die  Züge  einen  gewissen  bleibenden  Ausdruck  angenommen,  so  kann 
der  Physiognomiker  daraus  einen  Schluss  auf  Gemüth  und  Charakter  wagen. 
„Es  ist  ein  merkwürdiges  Gesetz  der  Weisheit, **  sagt  Schiller,  „dass  jeder  edle 
Affect  das  menschliche  Antlitz  verschönert,  jeder  gemeine  es  in  viehische  Formen 
zerreisst;**  und  in  der  That,  wer  inwendig  ein  Schurke  ist,  trägt  auch  äusserlich 
den  Fluch  Gottes  im  Gesichte  (Galgenphysiognomie).  Die  Physiognomik  ist  jeden- 
falls auf  wissenschaftlichere  Grundlagen  basirt,  als  die  brillante  Spielerei  der 
Schädellehre. 

4.  Muskeln  des   Ohres. 

Sie  bewegen  das  Ohr  als  Ganzes,  und  sind  vergleichungsweise 
sehr  wenig  entwickelt,  woran  weder  das  Tragen  der  Kinderhäub- 
chen, noch  der  Mangel  an  Uebung  Schuld  ist,  da  diese  Muskeln 
auch  bei  Wilden  nicht  stärker  erscheinen.  Nur  wenig  Menschen 
besitzen  das  Vermögen,  ihre  Ohren  willkürlich  zu  bewegen.  Ro- 
bespierre  soll  es  in  einem  sehr  auffallenden  Grade  besessen  haben, 
ebenso  der  berühmte  holländische  Anatom  AI  bin.  Man  zählt  fol- 
gende Muskeln  des  äusseren  Ohres: 

1.  Der  Aufheber  des  Ohres,  Musculus  attoUena  awiculae, 
platt,  dünn,  dreieckig.  Hegt  in  der  Schläfegegend  unmittelbar  unter 
der  Haut  auf  der  Fascia  temporalts,  entspringt  breit  vom  Schläfen- 
rande der  Galea  aponeurotica  craniij  und  tritt,  im  Abwärtssteigen 
sich  zuspitzend,  an  die  hervorragendste  Stelle  der  dem  Schädel 
zugekehrten  Fläche  des  Ohrknorpels. 

2.  Der  Anzieher  des  Ohres,  Musculus  attrahens  auriculae, 
liegt  über  dem  Jochbogen,  entspringt  dicht  über  ihm  von  der  Fascia 
temporalis,  und  geht  horizontal  zum  vorderen  Ende  des  Helix, 

3.  Die  Rückwärts  zieh  er  des  Ohres,  Musculi  retrahent^s 
auriculaej  zwei  oder  drei  ebenfalls  horizontale  kleine  Muskeln,  ent- 
springen vom  Processus  mastoideus  über  der  Anheftungsstelle  des 
Kopfnickers,  und  inseriren  sich  an  der  convexen  Fläche  der  Ohr- 
muschel. 

Die  kleinen  Muskeln,  welche  die  Gestalt  des  Ohrknorpels  zu  ändern  ver- 
mögen, da  sie  an  ihm  entspringen  und  an  ihm  auch  endigen,  werden  erst  bei 
der  Beschreibung  des  Gehörorgans  vorgenommen. 


§.  159.   Muskeln  des  Unterkiefers. 

Die    Einrichtung    des    Kiefergelenks    zielt    auf   eine    dreifache 
Bewegung  des  Unterkiefers  ab,  welcher  gehoben  und  gesenkt,  vor- 


§.  1^9.    Muskeln  des  Unterkiefers«.  395 

und  rftckwärts,  so  wie  nach  rechts  und  links  bewegt  werden  kann. 
Von  diesen  Bewegungen  muss  das^  Heben  mit  grosser  Kraft  aus- 
geführt werden,  um  die  Zähne  der  Kiefer  auf  die  Nahrungsmittel, 
deren  Zusammenhang  durch  das  Kauen  aufgehoben  werden  soll, 
mit  hinlänglicher  Stärke  einwirken  zu  lassen.  Die  Hebemuskeln, 
oder  eigentlichen  Beissmuskeln ,  werden  somit  die  kraftvollsten  Be- 
wegungsorgane des  Unterkiefers  sein.  Hieher  gehört  der  Mtisculus 
temporalU,  viasseter,  und  pterygoideus  internus.  Die  Senkung  des 
Kiefers,  welche  schon  durch  die  Schwere  des  Kiefers  allein  erfolgt, 
kann  durch  den  Muscuhis  biventei'  beschleunigt  werden.  Die  Vor- 
und  Rückwärtsbewegung  ist  nur  eine  Nebenwirkung  der  Hebemus- 
keln, weil  ihre  Richtung  zum  Unterkiefer  keine  senkrechte,  sondern 
eine  schiefe  ist,  welche  in  eine  vei*ticale  und  horizontale  Compo- 
nente  zerlegt  werden  kann.  Der  vertical  wirkende  Theil  der  Kraft 
hebt  den  Kiefer;  der  horizontale  verschiebt  ihn  nach  vom  oder 
hinten.  Die  Vorwärtsbewegung,  und  wohl  auch  die  Seitwärtsbe- 
wegung des  Unterkiefers  hängt  vorzugsweise  vom  Mtisculus  ptery- 
goideus extemus  ab.  Da  beim  Kauen  alle  drei  Bewegungen  des 
Kiefers  wechselnd  auftreten,  so  bezeichnet  man  die  Muskeln  des 
Unterkiefers  zusammen  als  Kaumuskeln. 

a)  Der  Schläfe muskel,  Musculus  teniporalis  s.  crotaphites 
(xporau),  pulsare,  weil  man  auf  ihm  die  Schläfenarterie  pids^ren 
fühlt,  und  bei  alten  Leuten  auch  häufig  pulsiren  sieht),  der  grösste, 
wenn  gleich  nicht  der  stärkste  Kaumuskel,  entspringt  vom  ganzen 
Umfange  der  Schläfenfläche  des  Schädels,  Planum  temporale,  und 
zum  Theil  von  der  inneren  Obei*fläche  einer  ihn  überziehenden, 
starken,  fibrösen  Scheide,  Fascia  temporalis,  welche  an  der  Linea 
semicirculai*is  teniporum  entsteht,  und  am  oberen  Rande  des  Joch- 
bogens  endigt.  Die  strahlig  zusammenlaufenden  Fleischbündel  des 
Schläfemuskels  werden  auf  halbem  Wege  tendinös,  und  vereinigen 
sich  zu  einer  breiten,  metallisch  schimmernden  Sehne,  welche  unter 
den  Jochbogen  tritt,  und  sich  am  Kronenfortsatze  des  Unterkiefers 
festsetzt.  Der  Schläfemuskel  hebt  den  gesenkten  Kiefer,  und  wirkt 
somit  beim  Bcisscn,  wie  der  gleich  folgende  Masseter.  War  der 
Kiefer  vorgestreckt,  so  wird  er  durch  ihn  wieder  zurückgezogen. 
Zwischen  der  Fascia  tempoi'alis  und  der  breiten  Sehne  des  Schläfe- 
muskels findet  sich  immer  Fett,  dessen  Schwinden  bei  auszehrenden 
Krankheiten  oder  im  decrepiden  Alter,  die  Schläfegegend  zu  einer 
Grube  einsinken  macht. 

b)  Der  Kaumuskel,  Musculus  masseter,  ein  kurzer,  dicker, 
länglich  viereckiger,  mit  zahlreichen  fibrösen  Streifen  durchzogener 
Muskel,  entsteht  vom  JacW»^««"  »»»t  swai  Portionen,  einer  starken 
vorderen,  oberfl***  *«ren,  tiefer  gele- 
genen,  diere»*  '"^re   schief 


396  §•  1^-   Muskeln  des  Unterkiefers. 

nach  unten  und  hinten,  die  hintere  schief  nach  unten  und  vom 
geht.  Die  Vordere,  ungleich  kräftigere,  und  mit  einer  starken  Ur- 
sprungssehne versehene  Portion,  deckt  die  hintere,  viel  schwächere, 
zum  grössten  Theile  zu,  und  beide  zusammen  befestigen  sich  an 
der  äusseren  Fläche  des  Unterkieferastes,  bis  zum  Kieferwinkel 
herab.  Er  hebt  den  Kiefer,  und  führt  ihn  durch  seine  vordere 
Portion  auch  nach  vom.  Ich  finde  keinen  Schleimbeutel  zwischen 
beiden  Portionen,  wie  ihn  Theile  erwähnt. 

c)  Der  innere  ¥ IVl g eljxin si. e\ ,  Mtistmliis pterygoideus  viternus, 
darum  so  genannt,  weil  er  aus  der  Fossa  pterygoidea  kommt,  be- 
festigt sich  an  der  unteren  Hälfte  der  inneren  Fläche  des  Unter- 
kieferastes bis  zum  Ajigulus  maxillae  herab.  Er  stimmt,  was  Rich- 
tung und  Form  betrifi%,  mit  der  vorderen  Masseterp  ortion  genau 
überein.  Er  wird  deshalb  den  Kiefer  nicht  blos  heben,  sondern 
ihn  zugleich  vorschieben,  wohl  auch,  wenn  er  nur  auf  einer  Seite 
wirkt,  nach  der  entgegengesetzten  Seite  bewegen.  Für  die  beiden 
letztgenannten   Actionen   hat   er   einen  gewaltigen  Helfershelfer  im 

d)  äusseren  Flügelmuskel,  Mtiacultia  pterygoideua  exteimus. 
Dieser  füllt  den  unteren  Theil  der  Schläfegrube  aus,  imd  entspringt 
seinem  Namen  zufolge  vorzugsweise  von  der  äusseren  Fläche  der 
Lamina  externa  des  Processus  pterygoideus.  Seine  obersten  Bündel 
vindiciren  sich  jedoch  auch  die  Wurzel  des  grossen  Keilbeinflügels, 
und  seine  untersten  den  Tuber  maxillae  superioris.  Das  am  Keil- 
beinflügel entspringende  Fleisch  dieses  Muskels  ist  von  dem  übrigen 
durch  eine  Spalte  getrennt,  welche  der  Nervus  huccinatorixis  passirt. 
Insofern  mag  man  von  zwei  Portionen  (Köpfen)  des  Muskels  reden. 
Seine  kurze  aber  starke  Sehne  inserirt  sich  an  der  vorderen  und 
inneren  Seite  des  Halses  des  Processus  condyloideusj  und  am  Innen- 
rande des  Zwischenknorpels  des  Kiefergelenks.  Würdigt  man  seine 
in  einer  horizontalen  Ebene  nach  rück-  und  auswärts  zum  Unter- 
kieferhalse gehende  Richtung,  so  ist  es  klar,  dass  er,  wenn  er  auf 
beiden  Seiten  wirkt,  die  Vorwärtsbewegung  des  Kiefers  ausführt, 
wenn  aber  nur  auf  Einer  Seite  thätig,  die  Seitwärtsbewegung  des 
Kiefers,  und  somit  die  durch  die  breiten  Kronen  der  Mahlzähne 
zu  leistenden  Reibbewegungen  vorzugsweise  vermitteln  wird.  Thiere, 
welche  der  Vor-  imd  Rückwärtsbewegung  des  Kiefers  ermangeln, 
wie  die  Fleischfresser,  werden  deshalb  des  Pterygoideus  exteiixus 
verlustig. 

Der  zweibäuchige  Niederzieher  des  Kiefers  folgt  bei  den  Hals- 
muskeln. 

Da  jede  Hälfte  des  Unterkiefers  einen  einarmigen  Winkelhebel  vorstellt, 
lind  die  Hebemuskeln  sich  nahe  am  Stützpunkte  dieses  Hebels  inserirün,  so 
werden    sie    nur    mit    grossem    Kraftaufwande    wirken    können,    und    die    vom 


§.  160.  FMd«n  des  Gesiehtes.  397 

AngriffspQnkte  der  bewegenden  Kraft  weit  entfernten  Schneidezähne,  überhaupt 
geringerer  Kraftänsserungen  fähig  sein,  als  die  Mahlzähne.  Man  beisst  eine  Birne 
mit  den  Schneidezähnen  an,  nnd  knackt  eine  Nnss  mit  den  Mahlz&hnen  auf.  — 
Um  die  Insertionsstelle  des  Schläfemuskels  zu  sehen,  muss  die  Jochbrücke  abge> 
tragen,  und  sammt  dem  Masseter  herabgeschlagen  werden.  l)er  äussere  Flügel- 
muskel wird  nur  nach  Wegnahme  des  Rronenfortsatzes  des  Unterkiefers  und  des 
daran  befestigten  Schläfemuskels  zugänglich. 


§.  160.  Fascien  des  Gresichtes. 

Es  sind  deren  zwei:  Fascia  temporalü  und  buccalü.  Die  Fascia 
temporalis  wurde  bereits  im  nächst  vorhergehenden  Paragraphe  er- 
wähnt. Es  harrt  somit  nur  mehr  die  Fascia  huxalis  einer  prompten 
Erledigung  durch  Folgendes.  Der  Masseter  und  Buccinator  sind 
mit  einer  Fascie  tiberzogen,  welche,  da  sie  die  Backengegend  des 
Gesichts  einnimmt,  Fascia  buccalis  genannt  werden  kann.  Ihr  hoch- 
liegendes Blatt  deckt  die  äussere  Fläche  des  Masseter,  und  die 
zwischen  diesen  Muskel  und  den  Warzenfortsatz  «ingeschobene 
Ohrspeicheldrüse,  Parotis,  daher  der  Name  Fascia  parotidea-masse- 
terica.  Dieses  Blatt  ist  mit  der  unter  der  Haut  liegenden  Fett- 
schichte des  Gesichtes  innig  verbunden,  setzt  sich  nach  vom  an 
die  äussere  Fläche  des  Mvscidvs  hnccinator  fort,  und  verschmilzt 
mit  dem,  diesen  Muskel  überziehenden,  tiefen  Blatte.  Nach  oben 
hängt  es  an  dem  Jochbogen,  nach  hinten  an  dem  knorpeligen  äusseren 
Gehörgang  an,  und  steigt  über  die  Insertion  des 'Kopfnickers  am 
Warzenfortsatze  nach  abwärts  zum  Halse,  um  in  das  hochliegende 
Blatt  der  Fascia  colli  überzugehen.  Ihr  tiefliegendes  Blatt, 
Fascia  hticco-pharyngea,  deckt  die  äussere  Fläche  des  Mttscultis  hncci- 
nator, läuft  nach  rückwärts,  um  an  der  inneren  Seite  des  Unter- 
kieferastes den  Muscuhis  pterygoideus  intemtts  einzuhüllen,  und  mit 
dem  Ligamentum  laterale  intemum  des  Kiefergelenks  zu  verschmel- 
zen, überzieht  hierauf  die  seitliche  und  hintere  Wand  des  Pharynx 
bis  zum  Schädelgrunde  hinauf,  und  identificirt  sich,  dieses  letzteren 
Verhaltens   wegen,    mit    dem    tiefliegenden    Blatte   der   Fascia   coUi 

(§•  167). 

Zwischen  beiden  Blättern  der  Fascia  btuxalis  bleibt  am  vor- 
deren Rande  des  Masseter  ein  Raum  übrig,  welcher  durch  einen 
rundlichen  Fettknollen  ausgefüllt  wird.  Diese  Fettmasse,  von  Bichat 
la  holde  graisseuse  de  la  jotie  genannt,  dringt  zwischen  der  Aussen- 
fläche  des  Buccinator  und  der  Innenfläche  des  Unterkieferastes  bis 
in  die  Fossa  temporalis  hinauf.  Schwindet  sie  bei  allgemeiner  Ab- 
magerung, so  fällt  die  Ba'ckenhaut  zu  einer  Grube  ein,  imd  bildet 
die  den  abgezehrten  Gesichtern  eigenthttmliche  hohle  Wange. 


398  §•  1^1-    E»>"8»  topographische  Beziehangen  des  ÜMseter  und  der  Pteiygoidei. 


§.  161.   Einige  topographische  Beziehungen  des  Masseter  und 

der  Pterygoidei. 

Dem  MtLscalus  mcLsseter  (ixowaoijuxt,  kauen)  gebührt,  wegen  seiner 
Constanten  Beziehungen  zu  gewissen  Gefilssen  und  Nerven  des 
Gesichts,  eine  besondere  topographische  Wichtigkeit.  Am  vorderen 
Rande  seiner  Befestigung  am  Eefer,  steigt  die  Arteria  maxillaris 
externa  vom  Halse  zum  Gesichte  empor,  und  pulsirt  unter  dem 
aufgelegten  Finger;  an  seinem  hinteren  Rande  liegt,  von  den  Kör- 
nern der  Parotis  umgeben,  die  Fortsetzung  der  Carotis  externa,  und 
der  Stamm  der  hinteren  Gesichtsvene ;  —  seine  äussere  Fläche  wird 
von  hinten  her  durch  die  Parotis  zugedeckt,  und  der  Quere  nach 
von  dem  Ausfilhrungsgange  dieser  Drüse  {Ductus  Stenonianus),  der 
queren  Gesichtsarterie,  und  den  Zweigen  des  Antlitznerven  {Nervus 
cammunicans  faciei)  gekreuzt,  und  am  oberen  Rayon  seiner  inneren 
Fläche  tritt  der  durch  die  Incisura  semilunaris  zwischen  Kronen- 
xmd  Gelenkfortsatz  des  Unterkiefers  zxmi  Vorschein  kommende 
Nervus  massetericus  in  ihn  ein.  So  oft  er  sich  zusammenzieht,  und 
dadurch  dicker  wird,  comprimirt  er  die  zwischen  ihm  und  der  un- 
nachgiebigen Fascia  parotideo-masseterica  eingeschaltete  Ohrspeichel- 
drüse und  befördert  dadurch  den  Speichelzufluss  während  des 
Kauens.  Es  erklärt  sich  hieraus,  warxmi  bei  der  Ohrspeichcldrüscn- 
entzündung  {Parotitis)  das  Kauen  gänzlich  aufgehoben,  und  das 
Sprechen  nur  lispelnd  möglich  ist.  Ruht  der  Muskel,  wie  im  Schlafe, 
so  strömt  kein  Speichel  in  die  Mundhöhle  zu,  und  ihre  Wände 
trocknen  gern  aus,  wenn  man  mit  offenem  Munde  schläft. 

Bevor  der  Pterygoideus  interntis  an  den  Unterkiefer  tritt,  steht 
seine  äussere  Fläche  mit  dem  inneren  Scitenbande  des  Kicfergclenks 
in  Contact,  und  wird  zugleich  von  der  Arteria  und  Vena  maxillaris 
interna  gekreuzt.  Da  die  Richtung  des  IHcrygoideus  inteimus  vom 
Flügelfortsatz  des  Keilbeins  schief  nach  hinten  und  unten,  jene  des 
extemus  dagegen  schief  nach  hinten  und  aussen  geht,  so  wird  zwi- 
schen beiden  Muskeln  eine  Spalte  gegeben  sein  müssen,  durch 
welche  die  Arteria  maxillaris  interna y  der  Zungennerv,  und  der 
Unterkiefemerv  zu  ihren  Bestimmungsorten  ziehen.  Der  motorische 
Nerv  des  Schläfemuskels  kreuzt  den  oberen  Rand  des  Pterygoideus 
internus,  um  sich  in  die  innere  Fläche  des  genannten  Muskels  ein- 
zusenken. 


§.  162.    Form,  Eintheilnng  nnd  ZuviimmenseUnng  des  Halses.  399 


B.  Muskeln  des  Halses. 

§.  162.  Form,  Eintheiliing  und  Zusammeiisetziiiig  des  Halses. 

Der  Hals,  Collum^  ist  der  Stiel  des  Kopfes.  Er  bildet  das 
Bindongsglied  zwischen  Kopf  und  Stamm,  und  stellt  eine  kurze, 
cylindrische  Säule  vor,  deren  knöcherne  Axe  nicht  in  ihrer  Mitte, 
sondern  der  hinteren  Gegend  näher  als  der  vorderen  liegt.  Wo  die 
Säule  sich  mit  dem  Kopfe  verbindet,  ist  sie  von  einer  Seite  zur 
anderen;  wp  sie  an  den  Brustkasten  grenzt  dagegen,  von  vom  nach 
hinten  comprimirt.  Die  Länge  und  Dicke  des  Halses  steht  nicht 
immer  mit  der  Grösse  des  Kopfes  im  Verhältniss.  Das  Missverhält- 
niss  eines  grossen  Kopfes  zu  einem  kurzen  und  schmalen  Halse 
fällt  bei  Neugeborenen  auf.  Bei  gedrungener,  vierschrötiger  Statur 
{Habitus  quadratua)  ist  der  Hals  kurz  und  dick,  und  der  Kopf 
steckt,  wie  man  sich  ausdrückt,  zwischen  den  Schultern.  Bei 
schmächtigem,  lungensüchtigem  Habitus,  ist  der  Hals  lang  und  dünn. 

Zieht  man  von  den  Warzenfortsätzen  eine  gerade  Linie  zur 
Schulterhöhe,  so  hat  man  die  vordere  Halsgegend  von  der  hinteren 
getrennt.  Die  hintere  wird,  als  dem  Rücken  angehörender  Nacken 
{Cermx,  Nttcha),  später  abgehandelt.  Hier  nur  von  der  vorderen 
Halsregion. 

Es  findet  sich  keine  Gegend  im  menschlichen  Leibe,  welche, 
in  so  kleinem  Räume,  so  viele  lebenswichtige  Organe  einschliesst, 
wie  die  vordere  Halsregion.  Verfolgt  man,  bei  gestrecktem  Halse, 
die  Mittellinie  derselben  vom  Kinne  bis  zum  oberen  Rande  des 
Brustbeins,  so  stösst  man,  ungefähr  drei  Querfinger  breit  unter  dem 
Kinne,  auf  das  Zungenbein.  Unter  diesem  folgt  ein  bei  Männern 
stark  vorragender,  stumpfwinkliger  Vorsprung  (der  Adamsapfel, 
Pomum  Adami  8.  Nodus  gtitturis),  welcher  dem  Kehlkopfe  (besser 
Kehlknopfe)  entspricht,  bei  weiblichen  Individuen  wenig  oder  gar 
nicht  auffällt,  und  auch  bei  Jünglingen  vor  der  Pubertätsperiode 
fehlt.  Unter  diesem  liegt  ein  weicher,  in  die  Quere  sich  ausdehnen- 
der, gerundeter  Wulst,  der  Schilddrüse  angehörend,  welche  an 
schönen  Hälsen  nur  wenig  sichtbar  und  fühlbar  ist,  bei  Dick-  und 
Blähhälsen  aber  auf  sehr  unschöne  Weise  aufteilt.  Unter  diesem 
Wulst  endet  die  mittlere  Halsregiori  über  dem  Manvhrium  stemi 
als  Drosselgrube  {Fossa  jugulains).  —  Seitwärts  am  Halse  liegen 
zwei  vom  Brustbeine  gegen  die  Warzenfortsätze  aufsteigende,  durch 
die  Kopfnicker  gebildete  Erhabenheiten,  hinter  welchen  über  den 
Schlüsselbeinen  die  seichten  Foveae  supraclaviculares  einsinken.  Bei 
starken  Anstrengungen   wird  an  der  Aussenfiäche  des  Kopfniekers 


400  §•  1^*    Sp«delle  Beschreibung  der  Halfunnskeln. 

eine  turgescirende  Vene  (die  VeTva  jugnlaris  externa)  bemerkbar, 
an  welcher  man  zur  Ader  lassen  kann.  An  mageren  Hälsen  be- 
jahrter oder  auszehrender  Individuen  sind  die  erwähnten  Erhaben- 
heiten und  Vertiefungen  sehr  scharf  gezeichnet.  An  vollen,  rimden 
Hälsen  ist  wenig  von  ihnen  zu  sehen. 

Die  Haut  des  Halses  ist  dünn,  verschiebbar,  lässt  sich  überall 
in  Falten  aufheben,  und  bildet  zuweilen  eine,  selbst  bei  der  gröss- 
ten  Streckung  des  Halses  nicht  auszugleichende  Querfiirche  unter 
dem  Kehlkopfe,  welche  die  Galanterie  der  französischen  Anatomen, 
wenn  sie  an  Frauenhälsen  vorkommt,  Collier  de  Venus  nennt.  Das 
subcutane  Bindegewebe  bleibt  in  der  Regel  fettarm,  und  verbindet 
die  Haut  mit  einem  darunter  liegenden  breiten  Hautmuskel,  dem 
Platysma  myoides.  Unter  diesem  folgt  das  hochliegende  Blatt  der 
Fascia  coUij  welches  den  Kopfhicker  einschliesst.  —  In  der  Mitte  des 
Halses  liegen,  von  oben  nach  unten,  das  Zungenbein,  der  Kehl- 
kopf, die  Schilddrüse,  die  Luftröhre,  die  Speiseröhre,  und  seitwärts 
von  ihnen  das  Bündel  der  grossen  Geftlsse  und  Nerven  des  Halses, 
welche  vom  tiefen  Blatte  der  Fascia  colli  eingehüllt  werden.  Hat 
man  diese  Theile  entfernt,  so  präsentirt  sich  die  vordere  Fläche 
der  Wirbelsäule,  mit  den  auf  ihr  liegenden  tiefen  Halsmuskeln.  — 
Das  über  dem  Zungenbeine  liegende  Revier  der  vorderen  Hals- 
gegend bildet  mit  dem  darunter  liegenden,  bei  gerader  Richtung 
des  Kopfes,  einen  einspringenden  rechten  Winkel,  und  entspricht 
dem  Boden  der  Mundhöhle,  weshalb  es  auch  zu  den  Kopfregionen 
gezählt  werden  kann. 


§.  163.   Specielle  Besclireibuiig  der  Halsmuskeln,  welche  den 

Kopf  und  den  Unterkiefer  bewegen. 

Der  Hautmuskel  des  Halses,  Platysma  myoides  (-icXaruffixa 
[jwoei^^?,  muskelartige  Ausbreitung),  auch  Subcutanetis  colli  und  La- 
tissimns  colli,  bei  französischen  Autoren  peaticier  benannt,  ist  das 
letzte  Ueberbleibsel  jenes  grossen,  subcutanen  Hautmuskels  vieler 
Thiere,  welcher  Paniculns  camosus  heisst,  und  durch  dessen  Besitz 
die  Thiere  befähigt  sind,  jede  Partie  ihrer  Haut  in  zuckende  Be- 
wegung zu  versetzen,  um,  wie  man  an  unseren  Hausthieren  sehen 
kann,  die  lästige  Plage  stechender  Fliegen  abzuwehren.  Das  Pla- 
tysma erscheint,  wenn  es  sorgfältig  präparirt  vorliegt,  im  Menschen 
als  ein  breiter,  dünner,  blasser,  viereckiger,  und  parallel  gcfaserter 
Muskel.  Er  entspringt  vom  subcutanen  Bindegewebe  der  Brust, 
und  von  der  Fascie  des  grossen  Brustmuskels  in  der  Gegend  der 
zweiten  Rippe,  und  steigt  über  das  Schlüsselbein  zur  seitlichen 
Halsgegend,   und   mit  dem    der   anderen   Seite    convergirend  zum 


$.  163.    Speoielle  Betchraibnng  der  Halsmoikeln.  401 

Unterkiefer  hinauf.  Seine  inneren  Bündel  befestigen  sich  am  unteren 
Rande  des  Unterkiefers,  während  die  übrigen  über  den  Unterkiefer 
hinüber  zum  Gesicht  gelangen,  und  im  Panniculus  adiposus  des- 
selben, im  Mundwinkel,  imd  in  der  Fascia  parotideo-masseterica 
endigen.  Der  Convergenz  wegen  kreuzen  sich  die  inneren  Fasern 
beider  Muskeln  unter  dem  Kinne.  Die  mittlere  Halsgegend  wird 
nicht  von  ihnen  bedeckt  Sehr  oft  geht  ein  Theil  der  hinteren 
Bündel  nicht  "zum  Gesichte,  sondern  zum  Winkel  des  Unterkiefers. 
Seltener  kommt  es  vor,  dass  einige  hintere  Bündel  des  Muskels 
um  das  Ohr  herum,  zur  Linea  semicircularis  superior  des  Hinter- 
hauptbeins, oder  zum  Warzenfortsatze  treten.  Er  zieht  den  Kiefer 
herab,  und  hebt,  wenn  dieser  fixirt  ist,  die  Haut  des  Halses  von 
den  tiefer  liegenden  Organen  empor,  indem  der  gebogene  Muskel, 
während  seiner  Contraction,  geradUnig  zu  werden  strebt.  Dieses 
Aufheben  der  Haut  erleichtert  die  während  des  Schlingens  statt- 
findende Hebebewegung  der  Organe  in  der  mittleren  Halsregion. 

Der  Kopfnicker,  Muscultis  sterno-cleido-rnastoideus,  hegt  unter 
dem  Platysma,  an  der  Seite  des  Halses,  zwischen  Brustbein  und 
Warzenfortsatz.  Er  entsteht  mit  zwei,  durch  eine  dreieckige  Spalte 
von  einander  getrennten  Köpfen,  von  der  vorderen  Fläche  der  Hand- 
habe des  /Stemum,  und  von  der  Exbremitas  stemalis  des  Schlüsselbeins. 
Beide  Köpfe  schieben  sich,  während  ihres  Zuges  zum  Warzenfortsatz, 
so  übereinander,  dass  die  Sternalportion  die  Schlüsselbeinportion  deckt. 
Sie  vereinigen  sich  über  ihrer  Trennungsspalte  zu  einem  einfachen 
Muskelkörper,  welcher  sich  am  Warzenfortsatze  und  an  dem  angren- 
zenden Stücke  der  Linea  semicircularis  superior  des  Hinterhauptes 
ansetzt.  Wirkt  er  imilateral,  so  dreht  er  das  Gesicht  nach  der 
entgegengesetzten  Seite,  imd  neigt  den  Kopf  gegen  die  Schulter 
seiner  Seite.  Bei  fixirtem  Kopfe  kann  er  wohl  den  Brustkasten 
heben,  und  somit  auch  bei  forcirter  Inspiration  mitwirken.  Dieses 
beweist  seine  oft  bedeutende  Massenzunahme  bei  chronischen  Lun- 
genleiden, besonders  Emphysema  und  Oedema  pulmonum.  Den  Namen 
Kopfnicker  führt  er  aber  mit  entschiedenem  Unrecht.  Seine  Inser- 
tion am  Kopfe  liegt  ja  hinter  der  queren,  durch  die  Mittelpimkte 
beider  CondyH  des  Hinterhauptbeins  gehenden  Drehungsaxe  für  die 
Nickbewegung.  Er  wäre,  in  Anbetracht  dieses  wichtigen  Umstandes, 
vielmehr  ein  Strecker  des  Kopfes.  Mir  scheint  es  plausibel,  den 
Kopfnicker  als  Sustentator  capitis,  als  Kopfh älter,  aufzufassen,  da 
er  bei  jeder  Stellung  des  Kopfes,  ihn  in  derselben  zu  erhalten  hat. 
Dieses  kann  man  mit  eigenen  Händen  am  Halse  greifen,  wenn  man 
den  Kopf  nach  verschiedenen  Richtungen  aus  seiner  Gleichgewichts- 
lage bringt.  Nur  in  so  fem  will  ich  sein  Anrecht  als  Kopfnicker 
nicht  bestreiten,  als  er  die  Habwirbelsäide  nach  vom  zu  beugen 
im  Stande  ist,  wodr  i  die  Brust  neigt  Bleibt 

Hyrtl,  Ubrbaö^  86 


403  t*  ^^  Sp«eie11e  Beictmibiing  der  flalsrnnskelii. 

aber  die  Halswirbelsäule  rohig;  wie  beim  Nieken,  so  sind  der 
AWm*  co/mYiV  anHeus  major  und  minor  die  wahren  Kopfnicker. 
Siehe  §.  165. 

D«  es  einmal  als  Gmndsatz  gilt,  von  den  beiden  Endpunkten  eines  Muskels 
jt'uen  tHr  den  Ursprung  zu  nehmen,  welcher  der  minder  bewegliche  ist,  so  kann 
ich  Si^m  nie  ring  und  T  heile  nicht  beipflichten,  welche  den  Warzenfortsatz 
als  den  l^rspning  des  Kopfnickers  annehmen.  Eben  so  wenig  möchte  ich  nach 
AUmu  und  Meckel  ihn  in  zwei  besondere  Muskeln  trennen,  und  einen  Stemo- 

■ 

mastohieus  und  Cleüdo-mattoideu»  unterscheiden.  Wenn  auch  die  beiden  Köpfe 
bei  vielen  Säugethieren  als  getrennte  Muskeln  bestehen,  so  wäre  ihre  Annahme 
beim  Menschen  eine  nutzlose  Vervielfältigung,  und  wir  würden,  um  consequent 
Bu  bleiben,  genöthig^  sein,  alle  übrigen  beim  Menschen  vereinigten,  bei  den 
Thieren  aber  getrennten  Muskelportionen,  als  selbstständige  Muskeln  zu  betrach- 
ten (s.  B.  die  drei  Portionen  des  Deltamuskels).  Ein  humoristischer  Anatom 
des   Mittelalters  zu  Nürnberg  nannte  den  Kopfnicker  den  Rathshermmuskel. 

Der  Kopfhicker  ist  zuweilen  dreiköpfig.  Der  überzählige  dritte,  gewöhn- 
lieh  sehr  schwache  Kopf,  liegt  entweder  zwischen  den  beiden  gewöhnlichen,  oder 
an  der  äusseren  Seite  der  Clavicularportion.  —  Als  Thierähnlichkeiten  sind  femer 
zwei  Abnormitäten  interessant.  1.  Es  löst  sich  vom  vorderen  Rande  des  Muskels 
ein  Bündel  ab,  um  zum  Winkel  des  Unterkiefers  zu  gehen  (beim  Pferde  setzt 
sich  die  ganze  Stemalportion  am  Unterkiefer  fest),  oder  es  verlängert  sich  2.  ein 
fleischiges  Bündel  der  Stemalportion,  über  den  Brustbeinursprung  des  Pectoralis 
major  nach  abwärts,  zur  vorderen  Fläche  des  Bmstbeins,  und  befestigt  sich 
entweder  am  6.,  6.  oder  7.  Kippenknorpel,  oder  reicht  selbst,  wie  ich  gesehen 
habe,  bis  zur  Scheide  des  geraden  Bauchmuskels  herab,  und  cursirt  als  Musculu* 
ttemalU  in  den  Ifandbüchem. 

Ueber  die  äussere  Fläche  des  Stemo -cUtdo-mcatoideua  läuft  die  Vena  jugu- 
lari»  externa  herab;  —  dieselbe  Fläche  wird  vom  schräg  nach  vom  aufsteigen- 
den Nervus  auricularU  magnusy  und  von  den  aus  dem  Plexus  cervicalis  entsprin- 
genden Hautnerven  des  Halses  gekreuzt;  —  am  hinteren  Bande  seines  oberen 
Drittels  zieht  der  Nervus  occipitalis  minor  zum  Hinterkopf  empor.  —  Die  Mitte 
des  vorderen  Randes  des  Muskels  dient  bei  der  Aufsuchung  und  Unterbindung 
der  Carotis  communis  zum  Anhaltspunkt  Die  Spalte  zwischen  seiner  Stcraal- 
und  Clavicularportion  entspricht  der  Vena  jugularis  interna.  Der  Nervus  accesso- 
rius   Willisii  durchbohrt  den  hinteren  Rand  seines  oberen  Endes. 

Der  zweibäuchigc  Unterkiefermuskel,  Biventer  s,  diga- 
stricus  maxillae  infeinoris,  entspringt  mit  seinem  hinteren  Bauch  aus 
der  Incisura  mastoidea.  Sein  vorderer  Bauch  entsteht  am  unteren 
Rande  des  Kinns.  Beide  Bäuche  werden  durch  eine  mittlere  rund- 
liche Sehne  verbunden,  welche  durch  ein  schmales  fibröses  Blatt 
an  das  Zungenbein  gehöftet  wird,  imd  deshalb  einen  nach  unten 
convexen  Bogen  bildet,  der,  wenn  man  das  Zungenbein  nach  unten 
zieht,  ein  spitziger  Winkel  wird.  Häufig  durchbohrt  die  Sehne  des 
Biventer  den  Griflfel- Zungenbeinmuskel  vor  seiner  Insertion  am 
Zungenbeine,  und  wird  in  diesem  Falle  von  einem  kleinen  Schleim- 
beutel umhüllt  Die  vorderen  Bäuche  beider  Digastrici  werden  oft 
durch  eine  fibröse  Querbinde  mit  einander  verbunden,  oder  tauschen 
gegenseitig  ihre  innersten  Fleischbündel  aus.  —  Er  zieht  den  Kiefer 
herab,  und  ()ffiiet  den  Mund. 


$.  164.  Muskeln  dM  Zungenbeins  und  der  Zange.  403 

Ist  der  Kiefer  durch  die  Hebemuskeln  fizirt,  so  gewinnt  auch  sein  vorderer 
Bauch  einen  festen  Punkt,  und  der  Muskel  wird,  wenn  er  sich  zusammenzieht, 
das  Zungenbein  heben.  Er  kann  auch  seine  Thätigkeit  umkehren,  und  den  War- 
zenfortsatz sammt  dem  Hinterkopf  herabziehen,  wodurch  der  Vorderkopf  in  die 
Hohe  geht,  und  der  Mund  durch  Bewegung  des  Oberkiefers  geöffnet  wird.  Man 
Überzeugt  sich  von  der  Richtigkeit  dieser  Angabe,  wenn  man  das  Kinn  auf  die 
Hand,  oder  auf  den  Rand  eines  Tisches  stemmt,  und  den  Mund  zu  öffiien  sucht 
Dass  die  am  Hinterhaupte  angreifenden  Nackenmuskeln  hiebei  mitwirken,  ver- 
steht sich  von  selbst,  wenn  man  die  Schwere  des  Kopfes  mit  der  Schwäche  des 
BiverUer  zusammenhält. 

§.  164.  Muskeln  des  Zungenbeins  und  der  Zunge. 

Die  Muskeln  des  Zungenbeins  bilden  zwei  Gruppen,  von 
welchen  die  eine  ttber,  die  andere  unter  dem  Zungenbeine  liegt. 
Die  Muskeln  der  Zunge  dagegen  liegen  blos  über  dem  Zungen- 
beine, und  schliessen  sich  an  die  obere  Gruppe  der  Zungenbein* 
muskeln  so  an,  dass  ihre  Beschreibungen  einander  folgen  können. 
Alle  Zungenbein-  und  Zimgenmuskeln  sind  paarig. 

A.  Zungenbeinmuskeln. 

a)  Gruppe  der  Zungenbeinmuskeln,  welche  unter  dem  Zungen- 
beine liegt. 

Sie  besteht  aus  folgenden  4  Muskeln,  welche  sämmtlich  Herab- 
zieher des  Zungenbeins  sein  müssen. 

1.  Der  Schulterblatt-Zungenbeinmuskel,  Musculus  omo- 
hyotdeus.  Er  entspringt  vom  oberen  Rande  der  Scapula,  nahe  am 
Ausschnitte,  oder  vom  Querbändchen  des  letzteren,  läuft  als  ein 
langer  und  dünner  Muskelstrang  schräg  mit  bogenförmiger  Krtlm- 
mung  nach  innen  und  oben,  kreuzt  sich  mit  dem  Kopfnicker,  der 
ihn  bedeckt,  ist  an  der  SteUe,  wo  er  über  die  grossen  Gefässe  des 
Halses  weggeht,  sehnig,  wird  dann  wieder  fleischig,  ist  somit  ein 
zweibäuchiger  Muskel,  und  setzt  sich  am  unteren  Rande  der  Basis 
des  Zungenbeins  fest.  Seine  mittlere  Sehne  und  sein  unterer  Bauch 
hängen  mit  dem  tiefliegenden  Blatte  der  Fascia  colli  innig  zusam- 
men, und  spannen  es  in  die  Quere. 

2.  Der  Brustbein-Zungenbeinmuskel,  Musculus  stenuh 
hyoideus,  entspringt  von  der  hinteren  Fläche  der  Handhabe  des 
Brustblattes,  steigt  senkrecht  zum  Zungenbeine  hinauf,  und  inserirt 
sich  einwärts  vom  Omo-hyoideus.  Efr  ist  daumenbreit,  senkrecht 
gefasert,  und  dem  der  anderen  Seite  fast  bis  zur  Berührung  nahe 
gerückt.  Zuweilen  findet  sich  in  seinem  unteren  Drittel  ein  quer 
eingeflochtener  Sehnenstreifen,  als  sogenannte  Inscriptio  tendinea. 
Hat  man  ihn  quer  durchschnitten,  so  findet  man  unter  ihm  zwei 
ähnliche  Muskeln,  welche  zusammengenommen  so  lang  eindi  wie 
der  StemO'hyaideus.    Diese  iind; 


404  §•  ^^  Muskeln  des  Zangenbeins  und  der  Zange. 

3.  Der  Brustbein-Schildknorpelmuskel,  Mxisculus  stemo- 
thyreoideus.  Er  ist  breiter  als  der  Brustbein -Zungenbeinmuskel,  und 
wird  deshalb  von  diesem  nur  zum  Theil  bedeckt,  entspringt  von 
der  hinteren  Fläche  der  Brustbeinhandhabe,  und  vom  oberen  Rande 
des  ersten  Rippenknorpels,  und  steigt  nicht  bis  zum  Zungenbeine 
hinauf,  sondern  endigt  schon  an  der  Seitenplatte  des  Schildknorpels. 
Er  gehört  somit  eigentlich  nicht  zu  den  Muskeln  des  Zungenbeins, 
sondern  zu  jenen  des  Kehlkopfes ;  kann  aber  immer  hier  aufgeführt 
werden,  da  er  durch  die  Herabbewegung  des  Kehlkopfes,  auch  das 
mit  letzterem  in  Verbindung  stehende  Zungenbein  herabzieht.  Die 
Länge  seiner  Muskelbündel  wird  regelmässig  durch  eine  quer  ein- 
gewebte Inscriptio  tendinea  unterbrochen.  Was  ihm  an  Länge  fehlt, 
um  das  Zungenbein  zu  erreichen,  ersetzt: 

4.  der  Schildknorpel-Zungenbeinmuskel,  Musculus  thy- 
reo'hyoideus y  welcher  dort  entspringt,  wo  der  Stemo- thyreoideus  en- 
digte, und  am  unteren  Rande  der  Basis  und  des  grossen  Hernes 
des  Zungenbeins  sich  festsetzt.  Der  Thyreo -hyoideus  kann,  wenn 
der  Schildknorpel  fixirt  ist,  das  Zungenbein  unmittelbar,  der  Stemo- 
ihyreoideus  nur  mittelbar  herabziehen. 

b)  Gruppe  der  Zungenbeinmuskeln,  welche  über  dem  Zungen- 
beine liegt: 

1.  Der  Griffel-Zungenbeinmuskel,  Musculus  stylo-hyoideus. 
Er  entspringt  an  der  Basis  des  Griffelfortsatzes,  bildet  einen  schlan- 
ken, spindelförmigen  Muskelstrang,  läuft  unter  dem  hinteren  Bauche 
des  Biventer  maxillae  nach  vorn  und  unten,  wird  zuweilen  von  der 
Sehne  des  letzteren  durchbohrt  (Schleimbeutel),  und  befestigt  sich 
gegenüber  der  Ansatzstelle  des  Omö-hyoideus  an  der  'Zungenbein- 
basis. Er  wird  häufig  doppelt  gesehen,  zu  welcher  Anomalie  seine 
Durchbohrung  durch  die  Sehne  des  Biventer  disponirt. 

2.  Der  Kiefer-  oder  Mahlzungenbeinmuskel,  Musculus 
mylo'hyoideus  ([X'jXy),  Kinnbacke).  Er  nimmt  seinen  Ursprung  an  der 
Linea  obliqua  interna  s.  mylo-hyoidea  des  Unterkiefers,  und  stellt  einen 
breiten,  dreieckigen  Muskel  dar,  dessen  äusserste  Fasern  an  der 
vorderen  Fläche  der  Zungenbeinbasis  endigen,  die  übrigen  dagegen 
in  denselben  Muskel  der  anderen  Seite  entweder  ununterbrochen, 
oder  durch  Vermittlung  einer  sehnigen  Zwischenliuie  (Kaj)he)  fort- 
laufen, und  streng  genommen  somit  nur  Ein  Mylo-hyoideus  für  beide 
Seiten  besteht,  der,  als  von  einer  Linea  ohliqua  interna  zur  anderen 
laufend,  Transversus  mandibulaej  oder  noch  bezeichnender  Dia- 
phragma oris  genannt  werden  könnte.  Dieser  Muskel  liegt  nicht 
in  einer  horizontalen,  sondern  in  einer  nach  unten  ausgekrümmten 
Ebene,  deren  tiefste  Stelle  am  Körper  des  Zungenbeins  adhärirt. 
Er  wird,  wenn  er  sich  zusammenzieht,  plan  werden,  dadurch  das 
Zungenbein   und   den    ganzen   Boden    der    Mundliöhle    heben.     Um 


§.  164.  Mnakeln  des  Zangenbeins  und  der  Znnge.  405 

ihn   in  seiner  ganzen  Grösse  zu  sehen,   muss  der  vordere   Bauch 
beider  Digastrici  weggenommen  werden. 

3.  Der  Kinn-Zungenbeinmuskel,  Musculus  gento-hyoideus 
(^eveiov,  Kinn),  liegt  über  dem  vorigen,  entspringt  schmal  von  der 
Spina  mentalis  intei^na,  läuft  gerade,  und  etwas  breiter  werdend,  zum 
Zungenbeine  herab,  und  befestigt  sich  an  der  Basis  desselben.  Er 
ist  an  denselben  Muskel  der  anderen  Seite  so  fest  angeschmiegt, 
dass  er  häufig  sich  mit  ihm  zu  einem  scheinbar  unpaaren  Muskel 
vereinigt. 

Da  das  Heben  nnd  Senken  des  Zungenbeins  eine  übereinstimmende  Be- 
wegung des  mit  ihm  zusammenhängenden  Kehlkopfes  bedingt,  das  Heben  und 
Senken  des  Kehlkopfes  aber  mit  Reibung  des  vorspringenden  Pomum  Ädami  an 
der  inneren  Fläche  der  Hautdecken  des  Halses  verbunden  sein  muss,  so  befindet 
sich  auf  und  über  dem  Pomum  ein  umfänglicher  Schleimbeutcl  vor,  welcher  sich 
unter  den  beiden  Thyreo-hyoidei  bis  zum  oberen  Rande  der  hinteren  Fläche  des 
Zungenbeinkörpers  erstreckt,  und  deshalb  Bursa  mucota  tubhyoidea  (Malgaigne) 
genannt  wird.  Wassersucht  desselben  kann,  wie  mir  ein  Fall  bekannt  wurde, 
für  Kropf  gehalten  werden. 

Unter  allen  hier  abgehandelten  Muskeln  variirt  der  Stylo-hyotdeus  am 
öftesten  durch  Zerfallen  in  zwei  kleinere.  Die  früher  erwähnte  Spaltung  des 
Muskels  durch  die  Sehne  des  Biventer  scheint,  wie  gesagt,  zu  dieser  Anomalie 
zu  disponiren.  Ich  habe  ihn  auch  dreifach,  Otto  dagegen  auf  beiden  Seiten 
fehlen  gesehen.  Fehlen  des  Omo-hyoideusy  und  Ersetztwerden  desselben  durch 
einen  breiten  Steimo-hyoideus  auf  beiden  Seiten  beobachtete  ich  zweimal.  Sein 
Ursprung  wird  zuweilen  auf  die  Basis  des  Processus  coracoideuSy  ja  sogar  auf  den 
oberen  Rand  der  ersten  Rippe  versetzt,  woher  die  Namen  CorcicO'  und  Costo- 
hyoideus.  Seine  mittlere  Sehne  wird  nicht  selten  durch  Fleischfasem  verdrängt 
—  Der  von  Krause  erwähnte,  anomale  Musculus  cortico-cervicaUs  entspringt  vom 
Rabenschnabelfortsatz ,  läuft,  bedeckt  vom  Ursprungsbauche  des  Omo-hyoideuSf 
nach  vom  und  oben  in  die  Fossa  suprciclavicularisj  und  endet  im  tiefliegenden 
Blatte  der  Fascia  colli  s,  cervicalis,  welches  er  anspannt. 

B.  Zungenmuskeln. 

Die  Zunge  besitzt  zweierlei  Muskeln.  Die  einen  entspringen 
an  Knochen  und  endigen  in  der  Zunge;  —  die  anderen  entsprin- 
gen und  endigen  in  der  Zunge  selbst  Nur  die  ersteren  werden 
hier  geschildert. 

1.  Der  Kinn-Zungenmuskel,  Musculus  genio-glossus,  über- 
trifft alle  übrigen  Muskeln  der  Zunge  an  Stärke.  Er  liegt  über  dem 
Genio-hyoideus,  entspringt  mit  einer  kurzen,  aber  starken  Sehne 
von  der  Spina  mentalis  interna^  und  läuft  nach  rückwärts  gegen 
die  untere  Fläche  der  Zunge,  in  welche  er  hinter  dem  Zungen- 
bändchen  mit  strahlig  auseinander  fahrenden  Faserbündeln  eindringt. 
Dicht  unter  der  Schleimhaut  der  Mundhöhle  hinziehend,  bildet  er 
vorzugsweise  den  Boden  der  letsteren.  Ein  Schleimbeatel  nfiBchen 
den   beiden    Genio-^Iossif   welche   mit  ilureii 


406  |.  165.    Tiefe  Halsmoskelii. 

aneinander  liegen,  wurde  von  mir  niemals  gesehen.  Er  zieht  die 
aufgehobene  Zunge  nieder,  und  nähert  ihren  Grund  dem  Kinn- 
stachel;  wodurch  die  Spitze  derselben  aus  der  Mundhöhle  heraus- 
tritt. Man  hat  ihn  deshalb  auch  Exsertor  oder  Protrvsor  linguae 
genannt. 

2.  Zungenbein-Zungenmuskel,  Musculus  hyo-glossus.  Nach 
Entfernung  des  Biventer,  Mylo-  und  Stylo-hyouleus ,  sieht  man  ihn 
vom  oberen  Rande  des  Mittelstücks  des  Zungenbeins,  so  wie  von 
dessen  grossem  und  kleinem  Ilorne  entspringen.  Er  wurde  dieses 
dreifachen  Ursprunges  wegen  sehr  überflüssig  in  drei  besondere 
Muskeln  getheilt:  Basio-,  Cei'ato-,  und  Chondroghastis,  von  welchen 
der  Cho7idroglo88U8  öfters  fehlt  Dünn  und  breit,  steigt  er  schief 
nach  vom  und  oben  zum  hinteren  Seitenrande  der  Zunge  empor, 
und  ist  ein  Depressor  linguae.  Seine  äussere  Fläche  wird  vom  Ner- 
vus hypoglossus  gekreuzt. 

3.  Der  Griffel-Zungenmuskel,  Muscuhts  stylo-glossus  ent- 
springt von  der  Spitze  des  Griflfelfortsatzes  und  vom  Ligamentum 
styh-maxillare ,  liegt  über  und  einwärts  vom  Stylo-hyoidem,  geht 
bogenförmig  zum  Seitenrande  der  Zunge,  wo  er  sich  mit  den  auf- 
steigenden  Fasern  des  Hyo-glossus  kreuzt,  und  theils  zwischen  den 
Bündeln  desselben  in  das  Zungengewebe  eindringt,  theils,  sich  all- 
mälig  verjüngend,  bis  zur  Spitze  der  Zunge  ausläuft.  Zieht,  wenn 
er  einseitig  wirkt,  die  Zunge  seitwärts;  wenn  er  auf  beiden  Seiten 
wirkt,  direct  nach  rückwärts.  —  Zuweilen  entspringt  ein  accesso- 
risches  Bündel  dieses  Muskels,  von  der  unteren  Wand  des  knor- 
peligen Gehörgangs. 

Die  in  der  Zung^o  selbst  entspringrenden  und  endigenden  Muskeln  (Binnen- 
muskeln) werden  erst  im  §.  255  erwähnt.  Der  von  mir  als  Musailus  stylo-auri- 
etdari»  beschriebene  Ohrmuskel  (Ocsterr.  med.  Jahrb.,  21.  Bd.)  wird  von  G ruber 
fttr  das  oben  erwähnte,  von  der  unteren  Wand  des  knorpeligen  Gehörganges 
zum  Sijjlo-glotnu  gehende  acccssorische  Bündel  angesehen,  welcher  Interpretation 
ich  meine  Zustimmung  verweigern  muss,  indem  die  Präj>arate,  nach  welchen  ich 
die  Zeichnung  des  Muskels  entwerfen  Hess  (Bemerkungen  über  die  Gesichtsmus- 
keln und  einen  neuen  Muskel  des  Ohres,  in  den  Oestorr.  med.  Jahrb.,  21.  Bd.), 
seine  Selbstständigkeit  unzweifelhaft  feststellen. 


§.  165.  Tiefe  Halsmuskeln. 

Nachdem  der  Unterkiefer  ausgelöst,  und  alle  Wciclithoile  des 
Halses  bis  zur  Wirbelsäule  entfernt  wurden,  gelangt  man  zur  An- 
sicht der  tiefliegenden  Halsmusculatur.  Sie  zerfällt  in  zwei  Grup- 
pen, deren  eine  die  Seitengegend  der  Wirbelsäule  einnimmt,  die 
andere  auf  der  vorderen  Fläche  der  Wirbelsäule  aufliegt. 


§.  165.   Tiefe  HftUmaakeln.  407 

1.  Muskeln  an  der  Seitengegend  der  Halswirbelsäule. 

Hier  liegen  die  drei  Rippenhalter,  Scaleiii  (<j>wtXY)vb<;,  un- 
gleich), welche  von  den  Querfortsätzen  gewisser  Halswirbel  zur  ersten 
und  zweiten  Rippe  herabziehen.  Sie  können  deshalb  als  Hebe- 
muskeln der  zwei  oberen  Rippen  apgesehen  werden,  vorausgesetzt, 
dass  der  Hals  durch  andere  Muskeln  fixirt  ist.  Sind  aber  die  Rip- 
pen fixirt  und  der  Hals  beweglich,  so  werden  die  Scaleni  den  Hdis 
drehen  (wenn  sie  nur  auf  Einer  Seite  agiren),  oder  ihn  vorwärts 
beugen,  (wenn  sie  simultan  auf  beiden  Seiten  wirken). 

Der  vordere  Rippenhalter,  Mtisculua  scalenus  antüms,  ent- 
springt vom  Querfortsatz  des  dritten  bis  sechsten  Halswirbels,  und 
läuft  an  der  äusseren  Seite  des  Longus  colli  zum  oberen  Rande  der 
ersten  Rippe  herab.  Der  Zwerchfellsnerv  kreuzt  seine  vordere 
Fläche  schief  von  aussen  und  oben,  nach  innen  und  unten. 

Der  mittlere  Rippenhalter,  Musculus  scalenus  medius,  folgt 
hinter  dem  vorderen,  welchen  er  an  Stärke  und  Länge  übertriflFt. 
Er  entspringt  mit  sieben  Zacken  an  den  hinteren  Höckern  der 
Querfortsätze  aller  Halswirbel,  und  befestigt  sich  am  oberen  Rande 
und  an  der  äusseren  Fläche  der  ersten  Rippe.  Zwischen  dem  Ur- 
sprünge des  vorderen  und  mittleren  Scalenus  bleibt  eine  dreieckige 
Spalte  mit  oberer  Spitze  offen,  durch  welche  die  im  folgenden 
Paragraph  bezeichneten  Nerven  und  Gefässe  der  oberen  Extremität 
passiren; 

Der  hintere  Rippenhalter,  Musculus  scalenus  posticus,  ist 
der  kleinste,  und  häufig  mit  dem  mittleren  verwachsen.  Er  geht 
von  den  hinteren  Höckern  der  Querfortsätze  des  fünften  bis  sieben- 
ten Halswirbels  zur  Aussenfläche  der  zweiten  Rippe. 

Ueberzählige  Scaleni  kommen  nur  als  selbstständig  gewordene  Fleischbün- 
del der  drei  normalen  vor.  Am  meisten  bekannt  ist  der  Scalenus  minimus  Alhiniy 
welcher  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  die  Arteria  subclavia,  nicht,  wie  es  im 
folgenden  Paragraph  heisst,  zwischen  Scalenus  anticus  und  medius  durchtritt,  son- 
dern den  anticus  so  .durchbohrt,  dass  der  schwächere,  hinter  der  Arteric  liegende 
Antheil  des  durchbohrten  Muskels,  das  Ansehen  eines  selbstständigen  Muskels 
gewinnt. 

2.  Muskeln  auf  der  vorderen  Fläche  der  Halswirbel- 
säule : 

Der  grosse  vordere  gerade  Kopfmuskel, -Mmäci/Zwä  rectus 
capitis  anticus  major^  entspringt  mit  vier  sehnigen  Zipfeln  dort,  wo 
der  früher  erwähnte  Scalenus  anticus  entspringt,  d.  i.  vom  vorderen 
Rande  des  dritten  bis  sechsten  Halswirbel-Querfortsatzes.  Er  steigt, 
etwas  nach  innen  gerichtet,  empor,  imd  heftet  sich  an  die  untere 
Fläche  der  Pars  basilaris  des  Hinterhauptbeins. 

Er   wirkt,   zugleich   mit   dem   folgenden,   als   Kopfniokeri  d»  h 
beugen  den  Kopf  nach  vorn,  und  protettiren  somil  gofoii  i 


408  I*  185.    Tiefs  Halamuskeln. 

alten  französischen  Zergliederem  (nach  Dupr6,  1698)   beigelegten  Namen:  ren- 
gorgeur»  (rengorger,  sich  brüsten,  den  Kopf  aufwerfen). 

Der  kleine  vordere  gerade  Kopfmuskel,  Musculus  rectus 
capitis  anticus  minor,  entsteht  am  vorderen  Bogen  des  Querfort- 
satzes des  Atlas,  geht  schief  nach  innen  und  oben,  wird  vom  vori- 
gen bedeckt,  hat  mit  ihm  dieselbe  Insertion,  und  somit  auch  dieselbe 
Wirkung. 

Der  seitliche  gerade  Kopfmuskel,  Musculus  rectus  capitis 
lateralisj  zieht  vom  Querfortsatz  des  Atlas  zum  Processus  jugularis 
des  Hinterhauptbeins.  Er  gehört,  genau  genommen,  zur  Gruppe 
der  in  §.  180  aufgeführten  Musculi  intei'transvei'sarii  antici  der  Wir- 
belsäule. 

Der  lange  Halsmuskel,  Musculus  longus  colli y  liegt  nach 
innen  vom  Rectus  capitis  anticus  majore  und  bedeckt  die  vordere 
Wirbelsäidenfläche  vom  ersten  Halswirbel  bis  zum  dritten  Brust- 
wirbel herab.  Er  hat  einen  sehr  complicirten  Bau,  und  besteht, 
nach  Luschka's  genauer  Untersuchung,  eigentlich  aus  drei  Mus- 
keln, welche  flighch  als  selbstständig  angesehen  werden  sollten. 
Der  erste  derselben,  der  Lage  nach  der  innerste,  ist  ein  gerader, 
gefiederter  Muskel,  der  sich  vom  Körper  des  dritten  Brustwirbels 
bis  zum  .Körper  des  Epistropheus  erstreckt.  Er  beugt  die  Hals- 
wirbelsäule. Der  zweite,  kleinere,  etwas  schräg  nach  aus-  und 
aufwärts  gerichtete  Muskel  entspringt  fleischig  von  der  Seite  des 
Körpers  des  zweiten  und  dritten  oberen  Brustwirbels,  und  inserirt 
sich  mit  zwei  oder  drei  kurzen  Sehnen,  am  vorderen  Rande  der 
zwei  oder  drei  letzten  Hals  wirb  el-Querfortsätzc.  Luschka  nennt 
ihn  Ohliquus  colli  (anticus)  inferior.  Sein  Ursprung  lässt  sich  von 
jenem  des  früheren  nicht  scharf  trennen.  Seiner  schrägen  Richtung 
wegen,  wird  er  die  Halswirbelsäule  drehen.  Der  dritte,  etwas  stär- 
kere, entspringt  mit  zwei  Zacken  von  den  vorderen  Rändern  der 
Querfortsätze  des  dritten  und  vierten  Halswirbels,  läuft  schief  nach 
innen  und  oben,  und  setzt  sich  an  das  Tuberculum  des  vorderen 
Halbringes  des  Atlas.  Er  beugt  die  Halswirbelsäule,  und  dreht  sie 
zugleich,  aber  in  entgegengesetzter  Richtung,  als  der  zweite.  Luschka 
nennt  ihn  Ohliquus  colli  (anticus)  superior. 

Vergleicht  man  die   obere  und  untere   schiefe    Portion   des  langen   Ilals- 

'    muskels   auf   beiden  Seiten,   so   bilden  sie   einen  langen  Rhombus,  durch  dessen 

Ebene  die  beiden  geraden  Portionen   aufsteigen.    —    Da  alle  drei  Portionen  des 

Muskels  auf  beiden   Seiten    gleichzeitig  wirken,   so   wird  ihre   Gesammtwirkung 

wohl  allein  auf  die  Beugung  des  Halses  abzielen. 

Luschka,  der  lange  Halsmuskel  des  Menschen,  in  MüUei^s  Archiv,  1S54. 


§.  166.  Topogntplusehe  Anfttomie  des  Halses.  409 


§.  166.   TopograpMscIie  Anatomie  des  Halses. 

Nachdem  der  Anfänger  die  bisher  abgehandelten  Muskeln  im 
Einzelnen  durchgegangen,  unterlasse  er  es  nicht,  das  Ensemble  der- 
selben, und  ihre  Beziehungen  zu  den  übrigen  Weichgebilden  am 
Halse,  zum  Gegenstand  einer  sorgfältigen  Zergliederungsarbeit  zu 
machea,  und  sich  in  der  topographisch-anatomischen  Präparirung 
des  Halses  zu  versuchen,  welche  jedenfalls  nützlicher  ist,  als  die 
isolirte  Darstellung  einzelner  Muskeln. 

Es  handelt  sich  hier  nicht  um  eine  erschöpfende  Detailschil- 
derung der  Lagerungsverhältnisse  sämmtHcher  am  Halse  angebrach- 
ter Weichtheile,  welche  für  Anfänger,  die  noch  nichts  als  das  Skelet 
kennen,  grossen  Theils  unverständlich  wäre,  sondern  um  die  Er- 
örterung des  Nebeneinanderseins  der  wichtigeren  Gefilsse  und  Ner- 
ven, welche  in  gewissen  constanten  Beziehungen  zu  den  Muskeln 
des  Halses  stehen.  Diese  Beziehungen  sind  so  sicher  und  verläss- 
lich, dass  sie  bei  dem  Aufsuchen  grösserer  Gefosse  und  Nerven 
die  besten  Führer  abgeben. 

Nach  Entfernung  der  Haut,  des  Platysma  myoides^  und  des 
hochliegenden  Blattes  der  Fascia  colli  (siehe  den  nächsten  Para- 
graph), bemerkt  man  vorerst,  dass  die  Richtungen  des  Stei^no-cleido- 
mastoideics  und  des  Omo-hyoideics  sich  kreuzen.  Ersterer  läuft  von 
innen  und  unten  nach  oben  und  aussen,  letzterer  in  entgegen- 
gesetzter Richtung.  Die  gekreuzten  Muskelrichtungen  beschreiben 
die  Seiten  zweier,  mit  den  Spitzen  aneinanderstossender  Dreiecke. 
Denkt  man  sich  die  Richtung  des  Omo-hyoüeua,  über  das  Zungen- 
bein hinaus,  bis  zum  Kinn  verlängert,  so  ist  die  Basis  des  oberen 
Dreiecks  der  untere  Rand  des  Kiefers;  die  des  unteren  der  obere 
Rand  des  Schlüsselbeins.  Wir  wollen  das  obere  Halsdreieck  des- 
halb Trigonum  inframaxillare,  und  das  untere  Trigonum  supraclam- 
cvlare  nennen.  Beiden  Dreiecken  .entsprechen  schon  bei  äusserer 
Ansicht  des  noch  mit  der  Haut  bedeckten  Halses  magerer  Indivi- 
duen, zwei  seichte  Gruben :  Fossa  inframaxillaris  und  supradam- 
cularis. 

Man  beginne  mit  der  Untersuchung  des  unteren  Halsdrei- 
eckes, und  trenne,  um  es  zugänglicher  zu  machen,  den  Schlüssel- 
beinursprung des  Kopfnickers.  Ist  dieses  geschehen,  so  findet  man 
die  Area  des  Dreieckes  durch  eine  lockere,  verschiebbare  Apo- 
neurose  —  tiefliegendes  Blatt  der  Fascia  colli  —  bedeckt,  welche 
mit  dem  MilscuIus  omo-hyoideus  verwachsen  ist,  und  durch  ihn  ge- 
spannt werden  kann.  Unter  dieser  Aponeurose  folgt  laxes,  grose- 
blättriges  Bindegewebe,  welches  die  DrtLsen  des  Pkam§  Ip«MfiiaiüMit 
^upraclavicularia  enthält^  und  vornchtig  aln 


410  §•  166.  Topographische  Anftiomie  des  Halsei. 

Grunde  der  Grube  liegenden  Weichtheile  zu  schonen.  Man  stösst 
nun  auf  die  seitliche  Gegend  der  Halswirbelsäule,  und  die  an  ihr 
haftenden  Scaleni,  Wird  nun  das  Schlüsselbein  weggenommen, 
oder  durch  starkes  Niederziehen  des  Armes  so  weit  gesenkt,  dass 
man  den  oberen  Rand  der  ersten  Rippe  erreichen  kann,  so  findet 
man  an  der  vorderen  Fläche  des  Scalenus  anterior  den  Zwerchfells- 
nerv, Nervus  phrenicus,  von  aussen  und  oben,  nach  innen  und  unten 
zur  oberen  Brustapertur  laufen.  Vor  der  Rippeninsertion  des  Scale- 
nvs  anticus  zieht  die  Vena  subclavia  über  die  erste  Rippe  weg  nach 
innen,  und  vereinigt  sich  hier  mit  der  Vena  jugularis  externa,  wenn 
diese  nicht  in  die  Vena  jugularis  intei*na  mündet.  Zwischen  dem 
Scalenus  anticus  et  medium  bleibt  eine  dreieckige  Spalte  frei,  durch 
welche  die  vier  imteren  Halsnerven  und  der  erste  Rückennerv  her- 
vortreten, um  sich  zum  Plexus  suhclaviusj  der  im  weiteren  Laufe 
zum  Plexus  axillaris  wird,  zu  verketten.  Unter  dem  ersten  Brust- 
nerv kommt  die  Arteria  subclavia  gleichfalls  aus  dieser  Spalte  her- 
vor, und  krümmt  sich,  dicht  an  der  ersten  Rippe  liegend,  über  sie 
nach  abwärts,  um  unter  dem  Schlilsselbeine  zur  Achselhöhle  zu 
laufen. 

Das  obere  Halsdreieck  ist  viel  grösser,  und  sein  Inhalt 
zahlreicher,  aber  auch  leichter  zugänglich.  Während  der  Stemo- 
cleido-nrnstoideus  noch  den  vorderen  Rand  des  unteren  Halsdreieckes 
bildete,  deckte  er  die  grossen  GefUsse  und  Nerven  zu,  welche  am 
Halse  gerade  auf-  und  absteigen:  Carotis  communis,  Vena  jugularis 
interna,  Nervus  vagus,  etc.  Durch  die  Richtung  des  Muskels  nach 
hinten  und  oben  werden  diese  Gefässe  imd  Nerven  im  oberen  Hals- 
dreiecke nicht  mehr  von  ihm,  sondern  nur  von  der  Fascia  colli, 
welche  sie  zwischen  ihre  beiden  Blätter  aufnimmt,  bedeckt  sein. 
Nach  Abtragung  des  oberflächlichen  Blattes  der  Halsbinde,  findet 
man  im  oberen  Halsdreieck  zuerst,  dicht  unter  dem  Unterkiefer, 
die  Glandula  submaxilla)nsy  in  deren  nächster  Nachbarschaft  einige 
Lymphdrüsen  von  Linsen-  bis  Erbsengrösse  vorkommen.  Isolirt 
man  die  Glandula  submaxillaris  von  dem  sie  in  ihrer  Lage  befesti- 
genden Bindegewebe  (wobei  man  am  vorderen  Rande  der  Drüse 
den  Ausführungsgang  derselben  zu  schonen  hat),  so  kann  man  sie 
aus  ihrer  Nische,  gegen  das  Kinn,  herausschlagen.  Man  überblickt 
sodann  den  Musculus  biventer,  stylo-hyoideus  und  mylo-hyoideus,  und 
sieht  den  Musculus  hyoghssus  vom  Zungenbein  heraufkommen,  und, 
gegen  den  Kiefer  hinauf,  vom  Musculus  styloglossus  gekreuzt  wer- 
den. Hat  man  den  Musculus  biventer  ganz  entfernt,  so  sieht  man, 
wie  der  Nervus  hypoglossus  das  Bündel  der  grossen  Blutgefässe 
von  aussen  umgreift,  erblickt  die  Theilung  der  Carotis  communis  in 
die  externa  und  interna y  die  Verästlung  der  Carotis  extemay  und 
die  Einmündung  jener  Veneu,  welche   den  Aesten  der  Carotis  ext. 


§.  167.   FMcie  des  Halses.  411 

entsprechen,  in  die  Vena  jugvlaris  interna.  Die  Aeste  der  Carotis  ex- 
terna lassen  sieh  ohne  Mühe  verfolgen,  und  es  sind  von  ihnen  die 
nach  vom  abgehenden  drei :  die  Arteria  thyreoidea  superior,  die 
Arteria  lingualisj  und  Arteria  maxillaris  externa^  in  praktischer  Be- 
ziehung besonders  wichtig.  —  Ist  man  bis  auf  den  Ursprung  des 
Mtiscuhis  stylo-hyoideus  eingedrungen,  so  wird  man  zugleich  des 
Nermis  lingualis  ansichtig,  welcher  ziemlich  der  Richtung  dieses 
Muskels  folgt.  —  Die  schichtenweise  Präparation  der  Muskeln 
zwischen  dem  Kinn  und  dem  Zungenbeine,  so  wie  die  Darstellung 
der  in  der  Medianlinie  des  Halses  angebrachten  Organe  (des  Kehl- 
kopfes, der  Schilddrüse,  der  Luftröhre,  und  links  von  letzterer  ge- 
legen der  Speiseröhre),  ist  ohne  besondere  Verhaltungsregeln  leicht 
ausführbar. 

£s  ift  dem  Anfänger  dringend  zu  empfehlen,  bevor  er  zur  praktischen 
Zergliederung  des  Halses  schreitet,  wenigstens  den  Stammbaum  der  hier  befind- 
lichen Blutgefässe,  und  die  Verlaufsweise  der  Nerven,  in  den  betreffenden  Para- 
gpraphen  der  Gefäss-  und  Nervenlehre  nachzusehen. 


§.  167.  Fascie  des  Halses. 

Die  Fascie  des  Halses  {Fascia  colli  8,  cervicalis)  ist  eine 
sehr  complicirte,  und  durch  anatomische  Präparation  als  ein  zu- 
sammenhängendes Ganzes  kaum  darzustellende  fibröse  Membran, 
welche  man  aus  einem  hoch-  imd  tiefliegenden  Blatte  bestehen 
lässt,  die  sich  selbst  wieder  in  untergeordnete  Blätter  spalten,  um 
Weichtheile  des  Halses  scheidenartig  zu  umfassen.  Den  Bedürf- 
nissen und  Wünschen  des  Anfängers  genügt  eine  schematische 
üebersicht  ihrer  verwickelten  Verhältnisse. 

Könnte  man  sich  alle  Weichtheile  des  Halses  wegdenken,  und 
nur  die  Fascia  colli  zurücklassen,  so  würde  sie  als  ein  System  von 
hohlen  Röhren  und  Schläuchen  erscheinen,  durch  welche  jene  Weich- 
theile durchgesteckt  waren.  Das  hochliegende  Blatt  liegt  unter 
dem  Platysma  myoideSy  hängt  nach  oben  mit  der  Fascia  parotideo- 
masseterica  und  mit  dem  unteren  Rande  des  Unterkiefers  zusam- 
men, deckt  das  Trigontim  inframaxillare,  hüllt  den  Kopfhicker  ein, 
setzt  sich  nach  unten  über  das  Trigonum  supra^claviculare  zum 
Schlüsselbeine  fort,  und  adhärirt  an  ihm.  Nach  hinten  geht  es  in 
die,  unter  dem  Musculus  cucullaris  liegende  Fascia  nuchae  über,  und 
nach  vom  bedeckt  es  den,  vom  Brustbein  heraufkommenden  Mus- 
culus stetmO'hyoideuSy  atemo-thyreoideus,  thyreo-hyoideus,  so  wie  den 
oberen  Bauch  des  Omo-hyoideusy  für  welche  Muskeln  es  Scheiden 
bildet,  und  hängt  in  der  Medianlinie  mit  demaeRiAn  Bl^^km  A^m 
anderen   Seite  zusammen*  .  £0  diia^  1^ 


412  §•  1^'  Aenssere  Ansicht  der  Tord€ren  nnd  seitlichen  Brastgegend. 

sondern  befestigt  sich  am  Manubrium  steml  und  am  Ligamentum  in" 
terdaviculare.  —  Das  tiefliegende  Blatt  entspringt  an  der  Linea 
obliqua  interna  des  Unterkiefers,  hängt  mit  dem  Ligamentum  stylo- 
maxillarey  und  mit  der  Fascia  bucco-pkaiyngea  (§.  160)  zusammen, 
bildet  den  Grund  des  Trigonum  inframaxillarey  geht  unter  dem  Kopf- 
nicker zum  Trigonum  sup'aclavicularej  dessen  Boden  es  ebenfalls 
bildet,  hängt  mit  dem  unteren  Bauche  des  Omo-hyoideuSj  welchen 
CS  umwächst,  innig  zusammen,  verschmilzt  nach  hinten  mit  der 
Fascia  nuchae,  dringt  nach  vorn  gegen  die  grossen  Qefässe  des 
Halses,  die  es  scheidenartig  umschliesst,  und  theilt  sich  einwärts 
von  ihnen  in  zwei  Blätter,  deren  eines  als  Fascia  praevertebralis 
hinter  dem  Pharynx  imd  der  Speiseröhre  die  tiefen  Halsmuskeln 
an  der  vorderen  und  seitlichen  Gegend  der  Halswirbelsäule  über- 
deckt, während  das  andere  vor  der  Schilddrüse  und  Luftr^ire  mit 
dem  entgegenkommenden  Blatte  der  anderen  Seite  verschmilzt,  und 
nach  abwärts  durch  die  obere  Brustapertur  in  den  Thorax  eindringt, 
um  sich  theils  an  die  Beinhaut  des  Manubrium  stemi  festzusetzen,  theils 
in  die  vordere  Fläche  des  fibrösen  Herzbeutels  überzugehen. 

Die  Fascia  colU  ist  bei  allen  blutigen,  chirurgischen  Eingriffen  am  Halse 
wohl  EU  berücksichtigen.  So  ist  z.  B.  die  Exstirpation  von  Geschwülsten  am 
Halse,  welche  extra  fasdam  liegen,  leicht  und  gefahrlos,  jene  der  intra  faaciam 
gelegenen  dagegen  schwieriger,  und  nicht  so  selten  wirklich  schwer.  Alle  irUra 
fatciam  gelegenen,  also  tiefsitzenden  Geschwülste  werden  durch  den  Widerstand 
der  wenig  nachgiebigen  Fascie  einer  ununterbrochenen  Compression  unterliegen, 
und  durch  ihr  Anwachsen  mit  einer  Menge  hochwichtiger  Organe  in  Contact 
gcrathcn,  dieselben  durch  Druck  anfeinden,  ja  selbst  umwachsen  können,  und 
somit  viel  gefährlichere  Zufälle  erregen,  als  die  oberflächlichen.  Einseitige  Ver- 
kürzung der  Fascia  kann  auch  Ursache  eines  schiefen  Halses,  caput  obatipum, 
sein.  —  L.  Dittel,  die  Topographie  der  Halsfascien.  Wien,  1867.  —  Legendre^  sur 
les  aponeuroses  du  cou.  Gaz.  mM.  1858.  N.  14. 


C.  Muskeln  der  Brust. 

§.  168.   Aeussere  Ansicht  der  vorderen  und  seitlichen 

Brastgegend. 

Die  vordere  Brustgegend  setzt  sich  nach  oben  und  aussen 
unmittelbar  in  die  convexen  Schultergegenden  fort,  und  wird  von 
diesen  nur  durch  eine  schwache  Depression  der  Haut  (Fossa  infra- 
clavicularis)  getrennt.  Nach  unten  trennt  sie  der  Umfang  der  unteren 
Brustapertur  vom  Bauche.  Die  seitliche  Brustgegend,  welche  von 
der  vorderen  und  hinteren  durch  keine  nattlrliche  scharfe  Grenze 
abgemarkt  wird,  geht  nach  oben  in  die  Achselgrube,  und  nach 
unten  in  die  Weichen  des  Bauches  über. 


$.  109.  Miukeln  an  der  Brost.  413 

In  der  Medianlinie  der  vorderen  Brustgegend,  bemerkt  man 
oben,  als  Grenze  zwischen  Brust  und  Hals,  die  Incisura  jugularis 
des  Brustbeins,  und  zu  beiden  Seiten  derselben  einen  zuweilen, 
besonders  bei  mageren  Individuen,  sehr  auffälligen  Vorsprung  — 
das  Stemalende  des  SchltLsselbeins.  Unter  der  Lmsura  jugularis 
läuft  bis  zum  Schwertknorpel  herab  eine  ebene,  schmale  Fläche, 
die  an  der  Vereinigungsstelle  der  Handhabe  des  Brustbeins  mit 
dem  Körper  einen  queren,  nicht  immer  deutlichen  Vorsprung  bildet, 
und  am  Schwertknorpel  plötzlich  zu  einer  Grube  einsinkt  —  Magen- 
oder Herzgrube,  Scrohiculua  cordis,  Rechts  und  links  von  der  Me- 
dianlinie, sind  bei  mageren  Individuen  die  Vorsprünge  der  Rippen 
und  ihrer  Knorpel  sichtbar  und  zählbar.  Am  äusseren  Theile  der 
vorderen  Gegend  bilden  bei  Weibern  die  Brüste  zwei  halbkugelige, 
und  mit  ihren  Saugwarzen  etwas  nach  aussen  gerichtete  Wölbun- 
gen, zwischen  welchen  die  Brustbeingegend  als  Busen  sich  vertieft 
Bei  Männern  und  bei  Eandem  beiderlei  Geschlechts  vor  dem  Er- 
wachen des  Geschlechtstriebes,  ist  diese  Gegend  mit  dem  übrigen 
Thorax  mehr  gleichförmig  gerundet,  und  sind  von  den  Brüsten  blos  die 
Warzen  sichtbar.  —  Die  Haut  ist  in  der  Mittellinie  dünn,  und  über 
dem  Brustbeine  wenig  verschiebbar.  Seitwärts  wird  sie  dicker,  und 
lässt  sich  in  Falten  aufziehen.  Das  subcutane  Bindegewebe  zeich- 
net sich  an  den  Seiten  des  Thorax,  besonders  aber  um  die  Brust- 
drüsen herum  durch  ansehnhchen  Fettgehalt  aus,  welcher  jedoch 
am  Brustbeine  selbst  fehlt,  so  dass  die  Sternalregion  um  so  tiefer 
wird,  je  fetter  ein  Mensch  ist.  Unter  dem  subcutanen  Bindegewebe 
folgt  der  grosse  Brustmuskel,  welchen  eine  dünne  Bindegewebs- 
Fascie  überzieht.  Unter  ihm  geräth  man  auf  die  der  seitlichen 
Brustgegend  eigene  Fascia  coraco-pectoralis,  und  auf  den  Musculus 
suhclavius,  pectwalis  minor j  und  seiTatus  anticus  major.  Die  Zwischen- 
rippenräume füllen  die  Musculi  inteixostales  aus. 

§.  169.  Muskelü  an  der  Brust. 

Es  werden  hier  nur  jene  Muskeln  abgehandelt,  welche  an  der 
vorderen  und  den  beiden  Seitengegenden  der  Brust  vorkommen; 
die  an  der  hinteren  Gegend  gelagerten  werden  mit  den  Rücken- 
muskeln beschrieben.  Die  Muskeln  an  der  vorderen  und  seitlichen 
Gegend  der  Brust  bilden  drei  über  einander  liegende  Schichten. 

A,  Erste  Schichte. 

Der  grosse  Brustmuskel,  Musculus  pectoralis  major  s.  Ad- 
ductor  h'achiiy  erstreckt  sich  von  der  vorderen  Brostgegend  zum 
Oberarm,   und   bildet  die  vordere  W«n' 


414  l  16d.   Matkeln  an  der  Bniti 

an  seiner  ganzen  vorderen  Fläche  von  einer  dünnen,  zellig-fibrösen 
Faseie  bedeckt,  welche  sich  in  die  Fascie  des  Oberarms  fortsetzt. 
Um  den  Muskel  durch  Ablösen  dieser  Fascie  gut  zu  präpariren, 
muss  der  Arm  vom  Stamme  abgezogen  und  die  Richtung  der 
Schnitte  parallel  mit  der  Faserungsrichtung  des  Muskels  geführt 
werden.  Er  hat  im  Ganzen  eine  dreieckige  Gestalt.  Die  convexe 
Basis  des  Dreiecks  entspricht  dem  Ursprünge  des  Muskels  am 
Thorax  imd  an  der  Clavicula,  die  Spitze  der  Insertion  am  Ober- 
arm. Er  entsteht  von  der  Sternalextremität  des  Schlüsselbeins  als 
Fw'tio  clavicularü,  von  der  vorderen  Fläche  des  Stemums  und  der 
Knorpel  der  6  oberen  wahren  Rippen  als  Portio  stemo-costaliSj  häufig 
noch  mittelst  eines  schmalen  Muskelbündels  von  der  Aponeurose 
des  äusseren  schiefen  Bauchmuskels.  Von  diesem  weit  ausgedehn- 
ten Ursprünge  schieben  sich  die  Fascikcln  des  Muskels  im  Laufe 
gegen  den  Oberarm  so  auf  einander  zu,  dass  in  der  Nähe  des  Ober- 
arms die  Clavicularportion  sich  vor  die  Stemocostalportion  legt,  und 
beide  sich  kreuzen.  Hierdurch  gewinnt  der  Muskel  an  Dicke,  was 
er  an  Breite  verliert.  Seine  kurze,  starke,  und  zwei  Zoll  breite 
Endsehne  befestigt  sich  an  der  Spina  tvherculi  majoris.  Die  Ge- 
sammtwirkung  des  Muskels  erzielt,  allgemein  ausgedrückt,  eine 
Näherung  der  oberen  Extremität  gegen  den  Stamm,  und  wird,  nach 
den  verschiedenen  Stellungen  derselben,  in  verschiedener  Art  er- 
folgen, was  durch  Versuche  am  eigenen  Arm  oder  am  Cadaver 
leicht  abzusehen  ist. 

Nichts  pflegt  die  Studirenden  bei  der  aufmerksamen  Präpa- 
ration dieses  Muskels  mehr  zu  überraschen,  als  das  Vorkommen 
der  beim  Kopfnicker  (§.  163)  als  iluscubis  sternalis  erwähnten  Mus- 
kelvarietät, welche  den  Stemalursprung  des  Pectoj-alis  major  über- 
lagert, und  von  sehr  verschiedener  Dicke,  Breite  und  Länge  gefun- 
den wird.  Oft  vergeht  ein  Jahr,  ohne  dass  wir  des  Musculus  sternalis 
im  Sccirsaal  ansichtig  werden. 

Zwischen  der  Portio  clavicularis  und  der  Portio  stemo-coHalut^  cxistirt  eine 
fast  horizontale  enge  Spalte,  durch  welche  die  Fascia  des  Pectoralinuskels 
eine  Fortsetzung  in  die  Tiefe  schickt.  —  Vom  Musadiis  dtUoideus  wird  der  Pec- 
toralis  major  durch  eine  dreieckige,  oben  breite,  unten  gegen  den  Oberarm  spitzig 
zulaufende  Furche  geschieden,  in  welcher,  nebst  vielem  Fette,  die  Vejia  cephalica 
liegt.  Nach  Herausnahme  des  Fettes  fühlt  man  oben  die  Spitze  des  Processus 
coracoideuSf  und  die  von  ihm  entspringende  Fascia  coraco-pec4oralis,  welche  den 
Grund  der  Furche  bildet.  —  Von  der  Sehne  des  Pectoraiis  major  werden  viele 
Faserbündel  zur  Verstärkung  der  Fascie  des  Oberarmes  verwendet.  —  Manch- 
mal krümmt  sich  sein  unterstes  Muskelbündel,  vor  der  Insertion  am  Oberarm, 
Über  die  Gefässe  und  Nerven  der  Achsel  brückenf^rmig  nach  innen  und  hinten, 
um  mit  der  Sehne  des  breiten  Rückenmuskels  sich  zu  verweben;  und  ein  von 
der  Insertionsstelle  seiner  Sehne  bis  zum  Condylus  humeri  internus  her<abziehen- 
der  fibröser,  selbst  muskulöser  Strang,  verdient  die  Beachtung  der  Chirurgen,  da 
er  während  seines  schief  nach  innen   absteigenden  Verlaufes   zu  dem  genannten 


8.  169.   Mukelil  an  der  Bratt.  415 

Condylus,  das  Bündel  der  grossen  GefKsse  und  Nerven  am  inneren  Rande  des 
Biceps  brachii  überkrenzen  muss.  —  Tiedemann  fand  zwischen  ihm  und  dem 
PeetoraUa  mtnor,  einen  eingeschobenen  überzilhligen  Brustmnskel,  der  von  der 
zweiten  bis  fünften  Rippe  entsprang,  und  an  das  Mehrfach  werden  des  Brust- 
muskels in  der  Classe  der  Vögel  erinnert. 

Die  verschiedenen  Wirkungsarten  des  Muskels,  welche  sich  nach  Verschie- 
denheit der  Stellung  des  Armes  richten,  können  im  mündlichen  Vortrage  umständ- 
licher entwickelt  werden.  Seine  Stemocostalportion  hat  bei  fixirtem  Ktm  die 
Bedeutung  eines  Inspirationsmuskels.  Man  sieht  deshalb  Kinder,  die  am  Keuch- 
husten leiden,  oder  Erwachsene,  die  von  einem  asthmatischen  Anfalle  heimgesucht 
werden,  unwillküriich  sich  mit  den  Armen  aufstemmen,  oder  einen  festen  Körper 
umklammem,  um  den  Arm  zum  fixen  Punkt  des  PeetoraUa  major  zu  machen, 
welcher  nun  mit  seiner  Stemocostalportion  die  vordere  Brustwand  hebt.  Bei 
veralteten  Verrenkungen  im  Schultergelenke  kann  seine  Verkürzung  ein  schwer 
zu  bewältigendes  Hinderaiss  der  Einrichtung  abgeben.  Die  Clavicularportion  sah 
Cruveilhier  auf  der  rechten  Seite  einer  hochbejahrten  Frau  fehlen.  Completer 
Mangel  der  Portio  atemo-coataUa  kam  mir  während  meiner  langen  anatomischen 
Praxis  nur  zweimal  vor. 

B,  Zweite  Schichte. 

Der  Schlüsselbeinmuskely  Musculus  svbclavms,  entspringt 
an  der  unteren  Seite  des  Schlüsselbeins  ^  sammelt  seine  Bündel  an 
einer;  an  seinem  unteren  Rande  verlaufenden  Sehne,  und  inserirt 
sich  mittelst  dieser  am  oberen  Rande  des  ersten  Rippenknorpels. 
Da  seine  Zugrichtung  mit  der  Richtung  des  Schlüsselbeins  überein- 
stimmt;  so  scheint  seine  Hauptverwendimg  darin  zu  bestehen,  das 
Schlüsselbein  bei  allen  Stellungen,  welche  es  annehmen  kann,  gegen 
das  Brustbein  zu  fixiren,  um  seinen  Verrenkungen  vorzubeugen 
(Retzius). 

Ich  nehme  hier  Anlass,  den  von  Luschka  entdeckten,  schmalen,  und 
spindelförmigen  Muaculua  stemo - clavicularis  zu  erwähnen,  welcher  vom  oberen 
Rande  der  inneren  Hälfte  des  Schlüsselbeins  zur  vorderen  Fläche  der  Brustbein- 
handhabc  zieht  Er  ist  nicht  constant.  Unter  83  Leichen  fand  ich  ihn  4  Mal  so, 
wie  ihn  Luschka  beschrieb  {Müller'a  Archiv,  1856,  p.  282),  2  Mal  dagegen  ab- 
weichend. (Ueber  zwei  Varianten  des  Musculus  stemo-davicularüf  in  den  Sitzungs- 
berichten der  kais.  Akad.  1858,  März.)  Siehe  ferner  Grub  er,  neue  supemume- 
rare  Schlüsselbeinmuskeln,  im  Archiv  für  Anat  und  Phys.  1865,  p.  703. 

Zwischen  dem  Musculus  subclavitu  und  der  ersten  Rippe,  sieht  man  die 
Gefässe  und  Nerven  der  oberen  Extremität  zur  Achselhöhle  laufen,  in  der  Ord- 
nung, dass  die  Vena  subclavia  nach  innen,  die  Nervenstänmie  nach  aussen,  und 
die  Arteria  subclavia  zwischen  beiden  in  der  Mitte  liegt 

Der  kleine  Brustmuskel,  Musculus  pectoralis  minoTj  ent- 
springt mit  drei  oder  vier  Zacken  von  der  äusseren  Fläche  der 
zweiten  oder  dritten  bis  ftlnften  Rippe,  imd  setzt  sich  mit  kurzer 
und  schmaler  Sehne  an  die  Spitze  des  Processus  coracoideus  fest. 
Zieht  die  Schulter  nieder,  oder  hebt  die  Rippen  als  Ingpirationfl- 
muskel.  Seines  zackigen  Ursprunges  wegen,  heiart 
culus  sefiTotus  arUicus  minor.         * 


416  S*  1^*   Maskeln  an  der  Brnst. 

Ueber  den  Pectoralü  minimus,  und  andere  überzählige  Bnutmuskeln  han- 
delt W,  Oruber,  in  den  Mdm.  de  TAcad^mie  de  St  P^tersbonrg,  1860. 

Der  Musculu*  »uhdavius  und  pectorcUit  minor  sind  von  einer  Fascie  bedeckt, 
welche  gleich  nach  Wegnahme  des  Pectoralis  major  zum  Vorschein  kommt  Sie 
entspringt  am  Rabenschnabelfortsatz ,  wo  ihre  Dicke  sehr  bedeutend  ist  Ihr 
äusserer  Abschnitt  verschmilzt  mit  jenem  Theile  der  Fascia  brachii,  welcher 
über  die  Achselgrube  wegläuft  (§.  186);  ihr  mittlerer  Abschnitt  fasst  den  kleinen 
Brustmuskel  zwischen  zwei  Blättern  ein;  ihr  innerer  und  oberer  Abschnitt  verhält 
sicli  ebenso  zum  Mtuculus  tubdavivf^  befestigt  sich  am  unteren  Rande  der  Clavi- 
cula,  und  übertrifft  die  beiden  anderen  an  Stärke.  Kr  verdient  deshalb  Vorzugs- 
-weise  den  Namen  der  Fa^da  coraco-clavieularisj  welchen  man  auch  der  Gesammt- 
heit  der  drei  erwähnten  Abschnitte  beilegt.  Die  Fatcia  coraco-elavicularis  begleitet 
and  schützt  die  unter  dem  Mtutculti»  nthclaviuM  hervortretenden  Oefasse  und  Ner- 
ven auf  ihrem  Wege  zur  Achsel.  Ihre  St4irke  und  ihre  Spannung  setzen  dem 
von  aussen  her  anter  das  Schlüsselbein  eingebohrten  Finger  ein  nicht  zu  bewäl- 
tigendes Hindemiss  entgegen. 

Der  grosse  sägeförmige  Muskel,  Musculus  serratus  anticus 
major,  nimmt  die  ganze  Seitenfläche  des  Thorax  bis  zur  achten 
oder  neunten  Rippe  herab  ein.  Er  entspringt  mit  acht  oder  neun 
Zacken  (daher  sein  Name  SeiTatus)  von  der  äusseren  Fläche  der 
genannten  Rippen.  Die  Zacken  associiren  sich  zu  einem  breiten 
und  flachen  Muskelkörper,  welcher  die  Seitenwand  der  Brust  um- 
greift, zwischen  das  Schulterblatt  und  die  Brustwand  eindringt,  und 
sich  an  die  ganze  Länge  des  inneren  Randes  der  Scapula  ansetzt. 
Hiebei  ist  Folgendes  zu  bemerken.  Die  erste  und  zweite  Zacke 
(von  oben  gezählt),  fleischiger  als  die  folgenden,  treten  an  den 
inneren  oberen  Winkel  des  Schulterblattes,  —  die  dritte  und  vierte, 
welche  den  dünnsten  Theil  des  Muskels  bilden,  nehmen  die  ganze 
Länge  des  inneren  Schulterblattrandes  für  sich  in  Besitz,  —  und 
die  vier  oder  fünf  übrigen  Zacken  drängen  sich  alle  gegen  den 
unteren  Schulterblattwinkel  zusammen.  Dieser  Muskel  zieht,  wenn 
die  Rippen  durch  tiefes  Einathmen  festgestellt  sind,  das  Schulter- 
blatt nach  vorn,  und  fixirt  es  am  Thorax.  In  dieser  Fixirung  des 
Schulterblattes  liegt  eine  conditio  sine  qiui  non,  für  den  richtigen 
Gebrauch  jener  Muskeln,  welche  am  Schulterblatt  entspringen  und 
am  Oberarm  oder  Vorderarm  angreifen.  Sie  würden,  im  Falle  eine 
schwere  Last  mit  den  Armen  zu  heben  ist,  Heber  das  leicht  beweg- 
liche Schulterblatt  aus  seiner  Stellung  bringen,  als  die  beabsichtigte 
Ilebewirkung  leisten.  Hieraus  wird  es  erklärlich,  warum  Lähmung 
des  Seiv'atus  die  Kraft  des  Armes  lähmt. 

Nicht  selten  kommt  es  vor,  dass  der  Muskel  mit  neun  Zacken  von  den 
acht  oberen  Kippen  entspringt,  wo  es  dann  die  zweite  Kippe  ist,  welche  zwei 
Zacken  desselben  auf  sich  nimmt. 

Um  diesen  schönen  Muskel  in  seiner  ganzen  Grösse  zu  sehen,  muss  das 
Schlüsselbein  entzweigesSgt,  und  der  MxiscnUut  suhclaviua  und  pectoralis  minor 
entfernt  werden,  so  dass  das  Schulterblatt  vom  Stamme  wegfällt,  und  nur  mehr 
durch  den  Serratus  anticus  major  mit  der  Brust  zusammenhängt. 


g.  169.  Mofkeln  an  der  Brnsi.  417 


C,   Dritte  Schichte, 

Sie  besteht  aus  den,  die  eilf  Zwischehrippenräume  ausfüllen- 
den äusseren  und  inneren  Intercostalmuskeln,  welche  zwei 
dünne,  reichlich  mit  Sehnenfasem  durchzogene  Muskellagen  bilden. 
Beide  entspringen  vom  unteren  Rande  einer  Rippe,  und  endigen 
am  oberen  der  nächst  darunter  liegenden.  Die  Richtung  des  äusse- 
ren geht  schräge  nach  vom  und  unten,  die  des  inneren  schräge 
nach  hinten  und  unten.  Die  Insertion  des  äusseren  erstreckt  sich 
blos  bis  zum  Anfange  des  Rippenknorpels,  die  des  inneren  bis  zum 
Seitenrande  des  Stemum.  Ersterer  ist  somit  um  die  Länge  eines 
Rippenknorpels  kürzer  als  letzterer,  und  ersetzt,  was  ihm  fehlt, 
durch  eine  dünne,  glänzende  Aponeurose,  das  sogenannte  Ligamen- 
tum coruscans.  Die  Ursprünge  beider  Intercostalmuskeln  fassen  den 
am  unteren  Rippenrande  befindlichen  Sulcusy  und  die  darin  laufen- 
den Gefässe  und  Nerven  zwischen  sich. 

Die  Inlercostfdes  extemi  und  intemi  sind  Einathmungsmnskeln.  Die  in 
neuester  Zeit  wieder  in  Aufnahme  gebrachte  ältere  Ansicht,  dass  die  Intercoatales 
intemi  Ausathmungsmuskeln  seien,  wurde  vonBudge  bestritten.  £r  zeigte,  dass 
nach  Durcbsohneidung  der  IntercoalaUs  extemi  in  einem  oder  mehreren  Zwischen- 
rippenräumen an  Kaninchen,  denpoch  inspiratorische  Verengerung  dieser  Zwi- 
schenrippenräume eintritt.  Wenn  auch  dieser  Versuch  nicht  in  dem  Grade  be- 
weiskräftig ist,  als  Budge  meinte,  so  ist  doch  gewiss,  dass  die  Hebung  der 
Rippen  beim  Einathmen  nicht  an  allen  Kippen  zugleich  in  die  Erscheinung  tritt. 
Die  erste  Rippe  wird  zuerst  durch  die  Scaleui  gehoben.  Die  ersten  Intercoatales 
extemi  et  intemi  stellen  nun  zwei  schiefe  Kraftrichtungen  vor,  deren  Resultirende 
die  zweite  Rippe  gegen  die  gehobene  erste  hebt,  und  so  fort  durch  die  folgenden 
Intercostalräume. 

Nach  Entfernung  beider  Intercostalmuskeln,  gelangt  man  noch  nicht  auf 
das  Rippenfell,  sondern  auf  eine  äusserst  dünne,  und  deshalb  bisher  übersehene 
Aponeurose,  welche  die  ganze  innere  Oberfläche  der  Brusthöhle  auskleidet,  und 
sich  zu  dieser,  wie  die  Faacia  ti-anaveraa  zur  Bauchhöhle  verhält.  Ich  nenne  sie 
Faacia  endothoracica.  Sie  verdickt  sich  bei  gewissen  krankhaften  Zuständen  der 
Lunge  und  des  Rippenfells,  mit  welch'  letzterem  sie  sehr  innig  zusammenhängt, 
und  fällt  dann  besser  in  die  Augen.  Zieht  man  in  einem  durch  Wegnahme  der 
vorderen  Wand  geöffneten  Thorax,  dessen  Inhalt  herausgenommen  ist,  das  Rippen- 
fell von  der  inneren  Oberfläche  der  Rippen  ab,  so  überzeugt  man  sich  ohne 
Schwierigkeit  von  dem  Dasein  dieser  Aponeurose,  welche  besonders  gegen  die 
Wirbelsäule  zu  als  ein  selbstständiges  fibröses  Blatt  mit  Vorsicht  in  grösserem 
Umfange  isolirt  werden  kann.  Luschka  hat  ihr  in  neuester  Zeit  eine  beson- 
dere Aufmerksamkeit  geschenkt,  und  ihre  Beziehungen  zum  fibrösen  Blatte  des 
Herzbeutels  einer  gründlichen  Untersuchung  unterworfen.  Siehe  dessen  Abhand- 
lung: der  Herzbeutel  und  die  Fcacia  endothoracica^  in  den  Denkschriften  der  kais. 
Akad.  17.  Bd. 

Sehr  oft  finden  sich  an  der  inneren  Oberfläche  der  seitlichen  Brustwand 
an  unbestimmten  SteHen  Mnskelbtlndel  Tor,  welehe  Tom  unteren  Bande  einer 
oberen  Rippe  nioht  cor  niolift  vattmaiuwQnätm,  Jl—  -Miggend,  mar  swelten 

ziehen,  zuweilen  die  fpaaamiaßft  ■• 


418  6-  ^^^'    Allgemeines  Aber  die  fiiachvrand. 

und  von  Kolch:  innerer  Sägemnskel,  von  Meckel:  Musculi  in/racottales, 
von  Vcrhoyen,  welcher  sie  entdeckte,  am  passendsten  Musculi  subcostaXet  ge- 
nannt wurden. 

An  der  hinteren  Fläche  des  Brustbeins  und  der  Rippenknorpel 
liegt  der  Musculus  triangularis  stemi  s.  stemo-costaltSy  eine  Succes- 
sion  von  breiten  und  flachen  Zacken,  welche  aponeurotisch  vom 
Körper  und  Schwertfortsatz  des  Brustbeins  entspringen,  und  sich 
dünnfleischig  an  die  hintere  Fläche  des  dritten  bis  sechsten  Rippen- 
knorpels inseriren.  Er  zieht  die  Rippenknorpel  bei  forcirtem  Aus- 
athmen  herab,  und  bietet  so  viele  Spielarten  dar,  dass  Meckel 
ihn  den  veränderlichsten  aller  Muskeln  nannte. 

He  nie  erkannte  in  ihm,  und  in  den  oben  erwähnten  Musculi  suhcostales^ 
eine  Wiederholung  dos  T^'onstersus  abdominis  an  der  Brust. 

Nach  Luschka  kommt  in  seltenen  Fällen  ein  besonderer  Muskel  hinter 
dem  Manubrium  stemi  vor,  welchen  er  als  Transversus  colli  bezeichnet.  Er  ent- 
springt etwas  unter  der  Mitte  des  oberen  Randes  des  ersten  Rippenknorpels,  be- 
steht aus  3—4  lose  lusammenhängenden  Bündeln,  welche  durch  Bindegewebe  an 
die  liintore  Fläche  des  Ursprungs  des  Stemo-ht/oideus  angeheftet  sind,  und  geht 
in  Schnenfaaem  über,  welche  mit  jenen  der  anderen  Seite  in  der  Medianlinie 
•usumnicutliesaen.  Er  kann  den  untersten  Theil  des  tiefen  Blattes  der  Feucia 
tfi^H  in  die  Quere  spannen,  und  ist  eine  Wiederholung  derjenigen  Muskelforma- 
liou»  welche  am  Bauche  als'  Transversus  abdominis,  und  in  der  vorderen  Brust- 
waitd  als  Triangularis  stemi  auftritt  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akad   1858,  Nov.). 


D.  Muskeln  des  Bauches. 

§.  170.  Allgemeines  über  die  Bauchwand. 

Bauch  oder  Unterleib  {Abdomen  s.  venter  s.  alvusj  den  der 
römische  Dichter  den  ingenii  morumque  largitor  nennt),  ist  jener 
Theil  des  Stammes,  der  zwischen  Brust  und  Becken  liegt.  Die 
grosse  Lücke,  welche  am  Skelete  zwischen  dem  unteren  Rande  des 
Thorax  imd  dem  oberen  Rande  des  Beckens  existirt,  wird  nur  durch 
fleischig  häutige  Decken  geschlossen,  welche  gemeinhin  den  Namen 
Bauchwand  führen,  und  eine  Höhle  umgürten,  welche  nach  unten 
unmittelbar  in  die  Beckenhöhle  sich  fortsetzt,  und  mit  ihr  nur  Ein 
grosses  Cavum  bildet  In  diesem  Cavum  sind  die  Organe  der  Ver- 
dauung, und  der  grösste  Theil  der  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge 
verpackt.  Der  Rauminhalt  desselben  ist  viel  grösser,  als  es  nach 
der  äusseren  Ansicht  der  Bauchwand  zu  vermuthen  wäre.  Indem 
sich  nämlich  die  Bauchhöhle  nach  abwärts  in  die  grosse  und  kleine 
Beckenhöhle  fortsetzt,  wird  auch  der  knöcherne  Beckenring  einen 
Theil  ihrer  Wandung  bilden,  und  die  weit  in  den  Thorax  hinauf- 
ragende Wölbung  des  Zwerchfells  vergrössert  sie  derart  nach  oben 


$.  170.   Allgememes  über  die  ßaachlrancl.  410 

« 

ZU,  dass  auch  die  unteren  Rippen  noch  an  der  Bildung  der  seit- 
lichen Bauchwand  Theil  nehmen  werden. 

Da  der  untere  Rand  des  Thorax  mit  dem  oberen  Rande  des 
Beckens  nicht  parallel  läuft,  so  muss  die  Länge  der  weichen  Bauch- 
wand an  verschiedenen  Stellen  des  Bauches  eine  verschiedene  sein. 
Zwischen  dem  Schwertknorpel  und  der  Schamfuge  hat  die  Bauch- 
wand die  grösste  Länge.  Diese  nimmt  nach  aus-  und  rückwärts 
gegen  die  Wirbelsäule  zu  bedeutend  ab.  Würde  man  die  Bauch- 
wand von  ihren  AnheftungsstcUen  ablösen,  und  in  eine  Fläche  aus- 
breiten, so  erhielte  man  ein  rautenförmiges  Viereck,  dessen  längste 
Diagonale  dem  Abstände  des  Schwertknorpels  von  der  Schamfuge 
entspricht,  und  dessen  scithche  abgestutzte  Winkel  an  die  Wirbel- 
säule zu  hegen  kommen. 

Da  die  Peripherie  des  grossen  Beckens  grösser  ist  als  die  der 
unteren  Brustapertur,  so  muss  die  weiche  Bauchwand  einem  stum- 
pfen Kegel  mit  unterer  Basis  gleichen.  Nur  beim  neugeborenen,  wo 
die  Entwicklung  des  Beckens  hinter  jener  des  Brustkorbes  zurück- 
steht, wird  das  Verhältniss  ein  umgekehrtes  sein.  —  Die  Wölbung 
der  Bauchwand  ist  bei  mageren  Personen  und  leerem  Bauch  nach 
innen,  bei  wohlgenährten  nach  aussen  gerichtet,  und  bei  aufrechter 
Stellung  an  der  unteren  Gegend  der  vorderen  Bauchwand  stärker, 
als  bei  horizontaler  Rückenlage.  Das  Einathmen  vermehrt,  das  Aus- 
athmen  vermindert  die  Wölbung. 

Der  grosse  Umfang  der  Bauchwand  wird  durch  willkürlich 
gezogene  Linien  in  kleinere  Felder  abgetheilt,  welche,  ihrer  Be- 
ziehung zu  den  Eingeweiden  wegen,  von  topographischer  Wichtig- 
keit sind.  Man  bezeichne  an  einer  Kindesleiche  den  unteren  Thorax- 
rand und  den  oberen  Beckenrand  mit  schwarzer  Farbe,  ziehe  von 
jeder  Articulatto  stemo-claviculmne  eine  gerade  Linie  zur  Spina  an- 
teinor  supei'ior  des  Darmbeins,  und  eine  andere  vom  imteren  Win- 
kel des  Schulterblattes  zum  hinteren  Drittheil  der  Orista  ossis  ilei, 
so  hat  man  die  Peripherie  der  Bauchwand  in  eine  vordere,  zwei 
scithche,  und  eine  hintere  Gegend  abgetheilt.  Die  beiden  seitUchen 
heissen  Bauchweichen  oder  Flanken;  die  hintere  zerfällt  durch 
die  Domen  der  Lendenwirbel  in  eine  rechte  und  hnke  Hälfte,  welche 
Lendengegenden,  Regionea  lumbales y  genannt  werden.  Führt  man 
nun  vom  zehnten  Rippenknorpel  einer  Seite  zu  demselben  der  an- 
deren Seite  eine  Querlinie,  welche  über  dem  Nabel  liegt,  und  ver- 
bindet durch  eine  ähnliche  die  beiden  vorderen  oberen  Darmbein- 
stacheln, so  hat  man  dadurch  die  vordere  Gegend  des  Bauches  in 
drei  Zonen  getheilt,  von  denen  die  obere  Regio  epigastrica^  die  mitt- 
lere Regio  mesogastrica,  und  die  untere  Regio  hypogcutrica  genannt 
wird.  Letztere  wird  durch  den,  bei  aoffesoffenem  Schenkel  beson- 
ders tiefen  Leistenbr'*  ^<A  getrennt. 


420  !•  170*   Allgemeines  über  die  Bauchwand. 

• 

Die  beiden  erwähnten  Querlinien  entsprechen  den  Falten,  in  welche 
sich  die  Bauchhaut  beim  Zusammenkrlimmen  des  Leibes  legt. 

Betrachtet  man  die  Oberfläche  der  Bauchwand  an  athletisch 
gebauten  Menschen,  oder  an  anatomisch-richtigen  Statuen,  so  sieht 
man  eine  breite  flache  Grube  in  der  Medianlinie  der  vorderen  Bauch- 
wand, vom  Schwertknorpel  an,  eine  Strecke  weit  herabziehen,  — 
die  Magengrube,  unrichtig  Herzgrube,  Scrohiculus  cordis.  Unter 
ihr  liegt  der  Nabel,  Umhilicus,  als  faltig  umrandete,  eingezogene 
Narbe  des  nach  der  Geburt  abgefallenen  Verbindungsstranges  zwi- 
schen Mutter  und  Kind.  Vom  Nabel  gegen  die  Schamfuge  wölbt 
sich  die  Bauchwand  durch  reichlich  angesammeltes  Fett,  woher  der 
veraltete  Name  dieser  Gegend:  Schmer  bauch  stammt.  Rechts 
und  links  von  der  Medianlinie  sieht  man  zwei  breite  Vorsprünge, 
durch  die  geraden  Bauchmuskeln  gebildet,  und  nach  aussen  von 
diesen  zwei  Längenfurchen  herablaufen,  welche  die  Uebergangs- 
stellen  der  breiten  Bauchmuskeln  in  ihre  Aponeurosen  andeuten. 
—  Die  Bauchweichen  sind  bei  schlanken  Individuen  concav  und 
leicht  eindrückbar,  so  dass  man  in  der  Richtung  nach  aufwärts  mit 
den  Fingern  bis  unter  die  Rippen  gelangen  kann,  weshalb  die  obere 
Gegend  der  Bauchweichen  als  Hypocho7idnum  (Owb  tcu;  /6v5po'j?, 
unter  den  Knorpeln)  benannt  wird,  während  die  untere  Gegend 
der  Bauchweichen,  welche  sich  gegen  den  Darmbeinkamm  ein- 
drücken lässt,  als  Darm  weiche  bezeichnet  wird.  Die  Bauchweichen 
gehen  hinten  ohne  scharfe  Grenze  in  die  prallen  dem  Rücken  an- 
gehörenden Lendengegenden  über. 

Die  Haut  des  Bauches  kann  bei  mageren  Leuten  leicht,  bei 
fetten  nur  schwer  oder  gar  nicht  in  eine  Falte  aufgehoben  werden, 
und  ist,  vom  Nabel  zur  Scham  herab,  mit  dichten,  mehr  weniger 
krausen  Haaren  besetzt,  —  während  die  Scham  der  Thiere,  bei 
noch  so  reichem  Haarwuchs  am  übrigen  Körper,  mehr  nackt  bleibt. 
Hat  die  Haut  einen  hohen  Grad  von  Ausdehnung  erlangt,  wie  bei 
wiederholten  Schwangerschaften,  so  gewinnt  sie  ihre  frühere  Span- 
nung nicht  wieder,  und  zeigt  eine  Menge  dichtgedrängter,  wie  seichte 
Pockennarben  aussehender  Flecken,  welche  auf  wirklicher  Verdün- 
nung des  Integuments  beruhen.  Dass  aus  ihrem  Dasein  nicht  un- 
bedingt auf  vorausgegangene  Geburten  zu  schliessen  ist,  beweisen 
die  Fälle,  wo  man  sie  nach  Entleerung  des  Wassers  bei  Bauch- 
wassersüchten, und  nach  schnellem  Verschwinden  grosser  Beleibtheit, 
auftreten  sah. 

Die  Fascia  supei'ßcialis  des  Bauches  zeigt,  besonders  in  der 
unteren  Bauchgegend,  zwei  deutlich  getrennte  Blätter.  Das  hoch- 
liegende allein  ist  fetthaltig.  Sein  Fettreichthum  wölbt  besonders 
bei  Weibern  die  Gegend  über  der  Scham  als  Mona  Veneria  hervor. 
Um  den  Nabel  herum  wird  sein  Fettgehalt  viel  spärlicher,  so  dass 


§.  171.   SpeeieHe  BeBchreibnn;  der  Bftaolimnskelii.  421 

die  Näbelgrube  in  demselben  Grade  tiefer  wird,  je  mehr  die  Fett- 
leibigkeit am  übrigen  Bauche  zunimmt.  In  diesem  Blatte  verlaufen 
die  subcutanen  Blutgefässe  des  Bauches.  —  Unter  der  Fascia  super- 
ßcialts  liegt  ein  aus  zwei  longitudinalen  und  drei  breiten  Muskeln 
zusammengesetztes  Stratum ,  welches  im  nächsten  Paragraph  be- 
schrieben wird,  und  dessen  innere  Oberfläche  durch  eine  dünne 
Fascie  (Fascia  transversa)  überzogen  wird.  Auf  die  Fascia  trans- 
versa  folgt  eine  stellenweise  sehr  zarte,  an  gewissen  Gegenden  aber 
durch  Aufnahme  von  Fettcysten  sich  verdickende  Bindegewebs- 
schicht,  welche  das  Bindungsmittel  zwischen  Fascia  transversa  und 
dem  letzten  oder  innersten  Bestandthfeil  der  weichen  Bauchwand 
—  dem  Bauchfelle,  Peritoneum  —  abgiebt. 


§.  171.   Specielle  Beschreibung  der  Bauchniuskelii. 

Die  musculöse  Bauchwand  wird  theils  durch  lange,  theils 
durch  breite  Muskeln  gebildet.  Die  langen  Muskeln  nehmen  die 
vordere  Gegend,  die  breiten  dagegen  die  Flanken  und  einen  Theil 
der  hinteren  Gegend  des  Bauches  ein. 

A.  Lange  Bauchmuskeln, 

1.  Der  gerade  Bauchmuskel,  Musculus  rectum  abdominisy 
entspringt  von  der  äusseren  Fläche  des  fünften,  sechsten,  und  sie- 
benten Rippcnknorpels,  und  des  Processus  xiphoideus  stemiy  und 
steigt,  sich  massig  vcrschmälemd,  zur  Schamfuge  herab,  um  am 
oberen  Rande  und  an  der  vorderen  Fläche  derselben  zu  endigen. 
Seine  longitudinalen  Bündel  werden  durch  3 — 5  quer  eingewebte 
Sehnenstreifen,  welche  den  Namen  der  Inscriptiones  tendineae  führen, 
unterbrochen.  Am  häufigsten  finden  sich  deren  vier,  zwei  über, 
eine  dritte  an  dem  Nabel,  und  eine  vierte  unter  demselben,  welche 
letztere  nicht  die  ganze  Breite  des  Muskels,  sondern  nur  die  äussere, 
oder  die  innere  Hälfte  desselben  durchsetzt.  In  der  Regel  greift 
eine  Insciiptio  tendinea  nicht  durch  die  ganze  Dicke  des  Muskels 
bis  auf  die  hintere  Fläche  desselben  durch.  —  Der  gerade  Bauch- 
muskel wird  von  einer  starken  fibrösen  Scheide  eingeschlossen, 
welche  durch  die  Aponeurosen  der  breiten  Bauchmuskeln  gebildet 
wird,  und  aus  einem  vorderen,  mit  den  Insa'iptionibus  tendineis  ver- 
wachsenen, und  cinepa  hinteren  Blatte  besteht,  welches  nur  zwei 
bis  drei  Querfinger  breit  unter  den  Nabel  herabreicht,  wo  es  mit 
einem  scharfen  halbmondförmigen  Rande  —  Linea  semicircularis 
Douglasii  —  aufhört. 


422  8*  171*  Speoielle  Beschreibung  der  Banchmaskeln. 

Die  Ausdehnung  des  Bauches  bei  Schwangeren  beruht  Torzüglich  auf  dem 
Auseinanderdrängen,  Breiterwerden  und  Verlängern  der  beiden  Recti.  Die  Ent- 
fernung der  inneren  Ränder  der  RecH  steigert  sich  bis  auf  4  Zoll,  —  die  Ver- 
längerung beträgt  noch  mehr. 

Zuweilen  reicht  der  Ursprung  des  Rectiu  weiter  als  bis  zur  fünften  Rippe 
hinauf,  wie  es  bei  gewissen  Säugethieren  der  Fall  ist  Man  bezeichnet  diese 
Anomalie,  und  die  beim  Kopfnicker  (§.  163)  angegebene,  gewöhnlich  als  Musctäut 
stemalis  brutorum^  obwohl  dieser  Name  nur  auf  die  Anomalie  des  Rectum  passt 
(Halbertsma,  Mnaculut  thoracicuSj  Amsterdam,  1861). 

2.  Der  pyramidenförmige  Muskel,  Musculus  pyramidalis. 
Siehe  §.  172. 

B.   Breite  Bauchmuskeln, 

1.  Der  äussere  schiefe  Bauchmuskel,  Musculus  ohliquus 
ahdominis  extemusy  der  Richtung  seiner  Fasern  wegen  auch  oblique 
descendens  genannt,  entspringt  vom  vorderen  Theile  der  äusseren 
Fläche  der  sieben  oder  acht  unteren  Rippen  mit  eben  so  vielen 
Zacken.  Die  vier  unteren  schieben  sich  zwischen  die  Rippen- 
ursprtlnge  des  Latissimus  dorsi  ein,  die  vier  oberen  interferiren  mit 
den  vier  unteren  Ursprungszacken  des  Serratus  anticus  major^  wo- 
durch eine  im  Zickzack  zwischen  beiden  Muskelpartien  laufende 
Zwischenlinie  entsteht,  welche  bei  kraftvoller  Attitüde  durch  die 
Haut  zu  erkennen  ist.  Die  hinteren  Bündel  steigen  fast  senkrecht 
zum  Lahium  exteimnm  des  Darmbeinkammes  herab,  wo  sie  sich 
festsetzen;  die  übrigen  alle  gehen  schief  zur  vorderen  Bauchwand, 
und  verheren  sich  in  eine  breite  Aponeurose,  welche  theils  über 
die  vordere  Fläche  des  geraden  Bauchmuskels  weg,  zur  Median- 
linie des  Bauches  läuft,  wo  sie  sich  mit  der  entgegenkommenden 
der  anderen  Seite  zur  weissen  Bauchlinie  —  Linea  alba  —  ver- 
filzt, theils  gegen  den  Leistenbug  herabsteigt,  um  mit  einem  nach 
hinten  rinnenfbrmig  umgebogenen  Rande  zu  endigen,  der  von  dem 
vorderen  oberen  Darmbcinstachel  zum  Höcker  des  Schambeins 
brückenfbrmig  ausgespannt  ist,  die  Grenze  zwischen  Bauch  und 
vorderer  Fläche  des  Schenkels  bezeichnet,  und  Ligamentum  Pau- 
partii  s,  FallopiaCy  oder  Arcus  cruralis  genannt  wird.  Will  man  das 
Poupart'sche  Band  nicht  als  unteren  Rand  der  Aponeurose  des 
äusseren  schiefen  Bauchmuskels  ansehen,  sondern  seiner  Dicke 
wegen  für  ein  selbstständiges  Band  halten,  so  müsste  man  sagen, 
dass  die  Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauchmuskcls  sich  am 
Poupart'schen  Bande   befestigt,   was  man  nach  Belieben  thun  kann. 

Das  Poupart'sche  Band  hat  drei  Adhäsionen  an  dem  Hüft- 
bein, —  1.  an  der  Spina  anteinor  superior  des  Darmbeins,  2.  am 
Tuberculum  des  Schambeins,  3.  mit  einer  dreieckigen,  schief  nach 
hinten  gerichteten  Ausbreitung  seines  inneren  Endes  am  Pecten  ossis 
pubis.  Diese  dritte  Insertion  führt  den  Namen  Ligamentum  Gimbernati. 


§.  171.  Speciell«  Beachrtibang  der  BMchrnnskeln.  423 

Einen  starken  Zoll  von  der  Schamfiige  entfernt,  zeigt  die 
Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauchmuskels  eine  dreieckige, 
schräge  nach  aussen  und  oben  geschlitzte  Oeffhung,  als  die  äussere 
Oeffnung  des  Leistenkanals  oder  den  Leistenring  (Apertura 
externa  canalis  inguinalia  s.  Annulus  ingumalü)^  deren  Basis  durch 
das  innere  Ende  des  horizontalen  Schambeinastes,  deren  unterer 
äusserer  Rand  oder  Schenkel  durch  das  Ligamentum  Povpartii  (des- 
halb auch  Crus  extemum  anntdi  inguinalis  genannt),  deren  oberer 
innerer  Rand  (Crua  internum  anntdi  inguinalis)  durch  jenen  Theil 
der  Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauchmuskels  gebildet  wird, 
der  nicht  zur  weissen  Bauchlinie,  sondern  zur  vorderen  Fläche  der 
Schamfuge  herabläuft,  wo  er  sich  mit  demselben  aponeurotischen 
Schenkel  der  anderen  Seite  kreuzt  (der  linke  deckt  den  rechten), 
und  mit  dem  Aufhängebande  des  männlichen  GUedes  sich  verwebt. 
—  Der  Leistenring  ist  die  äussere  Oeffnung  eines  Kanals,  wel- 
cher durch  die  ganze  Dicke  der  Bauchwand  durch,  schief  nach 
oben  und  aussen  aufsteigt,  um  nach  einem  Verlaufe  von  anderthalb 
Zoll  Länge,  durch  die  innere  Oeffnung  (siehe  §.  172)  in  die 
Bauchhöhle  einzumünden.  Man  nennt  deshalb  die  äussere  Oeffnung 
auch  die  Leistenöffnung,  und  die  innere  die  Bauchöffnung 
des  Leistenkauals.  Durch  den  Leistenkanal  tritt  bei  Männern  der 
Samenstrang,  bei  Weibern  das  rimde  Gebärmutterband  aus  der 
Bauchhöhle  hervor. 

2.  Der  innere  schiefe  Bauchmuskel,  Musculus  obliquus 
ahdominis  intemuSy  seiner  Faserung  wegen  oblique  ascendens  genannt, 
entspringt,  vom  vorigen  bedeckt,  von  der  mittleren  Lefze  des  Darm- 
beinkammes, von  der  8piiui  anterior  superiorj  und  von  der  äusseren 
Hälfte  des  Poupart'schen  Bandes.  Sein  hinterer  kürzester  Rand 
hängt  mit  dem  tiefen  oder  vorderen  Blatte  der  später  (Note  zu 
§.  179)  zu  erwähnenden  Scheide  der  langen  Rückenstrecker  (Fa-, 
gina  s.  Fascia  lumbo-dorsalis)  zusammen.  Die  Richtung  der  Bündel 
des  Muskels  geht,  fUr  die  hintersten,  aufwärts  zum  unteren  Rande 
der  drei  letzten  Rippen,  für  die  mittleren  strahlenförmig  nach 
innen  und  oben  zur  vorderen  Bauch  wand,  für  die  untersten, 
welche  vom  Poupart'schen  Bande  entspringen,  horizontal  nach  innen 
zum  Leistenringe,  zwischen  dessen  Schenkeln  sie  als  sogenannte 
Schenkel  fläche.  Superficies  intercruralis  y  gesehen  werden.  Die 
nicht  an  die  Rippen  gelangenden  mittleren  und  untersten  Bündel 
des  Muskels  bilden  eine  Aponeurose,  welche  sich  in  zwei  Blätter 
spaltet,  deren  vorderes  mit  der  Aponeurose  des  äusseren  schiefen 
Bauchmuskels  verschmilzt,  mit  ihm  die  vordere  Wand  der  Scheide 
des  geraden  Bauchmuskels  bildet,  und  in  der  ganzen  Länge  der 
weissen  BauchUnie  endigt,  während  das  hintere  kürzere  Blatt,  die 
hintere  Wand  der  Seh^Mades  Rectus  erzeugen  hilft,  welche,  wie 


424  8*  171*    Bpeefelle  BMebreibnn;  der  Banebmaskeln. 

früher  gesagt,  kürzer  als  die  vordere  ist,  indem  sie  2 — 3  Querfinger 
unter  dem  Nabel  mit  einem  bogenförmig  gekrümmten  Rande  {Lüiea 
semidrcularia  Doiiglaaii)  aufhört. 

Vom  unteren  Rande  des  inneren  schiefen  (und  queren)  Bauch- 
muskels stülpt  sich  eine  Anzahl  von  Muskelbündeln  schlingenförmig 
durch  dieLoistcnöffnung  des  Leistenkanals  hervor.  Diese  Muskelschlin- 
gen begleiten  den  Samenstrang  bis  in  den  Hodensack  herab,  und 
stellen  in  ihrer  Gesammtheit  den  Hebemuskel  des  Hodens  —  Mus- 
culus cieniastei'  (xpeji^w,  aufhängen)  dar.  Beim  weiblichen  Geschlechte 
finden  sich  nur  Spuren  des  Cremaster  am  runden  Gebärmutterbande. 
3.  Der  quere  Bauchmuskel,  Musculus  transvei'sns  abdominisj 
unter  den  inneren  schiefen  liegend,  entspringt  von  der  inneren 
Fläche  der  Knorpel  der  sechs  unteren  Rippen,  von  dem  tiefliegen- 
den oder  vorderen  Blatte  der  Fascia  Inmho-dorsalis  (Note  zu  §.  179), 
von  der  inneren  Lefze  des  Darmbeinkammes,  und,  mit  dem  obliquus 
inteimus  vereinigt,  von  der  äusseren  Hälfte  des  Poupart'schen  Ban- 
des. Seine  Fleischbündel  laufen  quer,  und  sind  nicht  alle  gleich 
lang.  Die  oberen  und  unteren  rücken  weiter  gegen  den  geraden 
Bauchmuskel  vor,  die  mittleren  weniger.  Der  üebergang  des  Mus- 
kels in  seine  Aponeurose  wird  somit  eine  bogenförmig  nach  aussen 
gekrümmte  Linie  bilden,  welche  als  Linea  semilunaris  Spigelii  in 
den  Handbüchern  cursirt.  Die  Aponeurose  selbst  theilt  sich  am 
äusseren  Rande  des  geraden  Bauchmuskels  durch  einen  Querschnitt 
in  zwei  Blätter,  welche  nicht  wie  jene  des  inneren  schiefen  Bauch- 
muskels hinter  einander,  sondern  über  einander  liegen  müssen.  Das 
obere  verstärkt  die  hintere,  nur  bis  zur  Linea  Douglasii  reichende 
Wand  der  Scheide  des  Rechts.  Das  untere  hilft  die  untere  Hälfte 
der  vorderen  Wand  dieser  Scheide  bilden.  Beide  endigen,  wie  die 
übrigen  Aponeurosen  der  breiten  Bauchmuskeln,  in  der  Linea  alba. 
Eine  genaue  Revision  der  Theilnahme  der  breiten  Bauchmus- 
keln an  der  Bildung  der  Scheide  des  geraden  Bauchmuskels,  wäre 
sehr  wünschenswerth.  Man  kann  sich  nicht  verhehlen,  dass  die 
gegebene  Darstellung,  welche  zwar  einer  allgemein  angenommenen 
Vorstellung  entspricht,  aber  kaum  durch  das  Messer  entstand,  etwas 
Gezwungenes,  selbst  Bizarres  an  sich  hat.  Dieses  gilt  besonders 
von  dem  Verhalten  der  Aponeurose  des  queren  Bauchmuskels. 

4.  Der  viereckige  Lendenmuskel,  Musculus  quadratus  htm- 
horum,  liegt  an  der  hinteren  Bauch  wand,  entspringt  am  hinteren 
Abschnitt  des  Darmbeinkammes,  wird  durch  accessorische  Bündel, 
welche  vom  fünften  Lendenwirbel  und  vom  Ligamentum  ileo-lumhale 
kommen,  verstärkt,  und  inserirt  sich  theils  mit  sehnigen  Zacken 
an  den  Querfortsätzen  der  vier  oberen  Lendenwirbel,  theils  mit 
einer  breiteren  Sehne  am  unteren  Rande  der  zwölften  Rippe. 


§.  172.    Scheide  des  Bectne,  nnd  weisse  Banchlime.  425 

§.  172.   Fasda  transversa.   Scheide  des  Rectus,  und  weisse 

BaucMinie. 

Die  innere  Oberfläche  des  Musculus  transversus  ist  mit  der 
Fascia  transversa  tiberzogen,  welche  an  den  fleischigen  Theil  des 
Muskels  durch  sehr  kurzes  und  fettloses  Zellgewebe  angeheftet 
wird,  mit  der  Aponeurose  desselben  dagegen  viel  inniger  zusam- 
menhängt. Sie  überzieht,  nebst  dem  queren  Bauchmuskel,  noch 
das  Zwerchfell,  und  den  Quadratus  lumhorum,  als  sehr  dünner, 
kaum  den  Namen  einer  Fascie  verdienender  Beleg,  verdickt  sich 
aber  gegen  das  Poupart'sche  Band  zu,  und  besitzt  hier  eine  kleine 
ovale  Oeffhung,  welche  die  Bauchöffnung  des  Leistenkanals 
oder  den  Bauchring  {Apei'tura  interna  s,  abdominalis  canalis  in- 
guinalis)  darstellt.  Die  Entfernung  dieser  Oeffhung  von  der  Scham- 
fuge ist  um  anderthalb  Zoll  grösser,  als  jene  der  Leistenöflhung 
des  Kanals.  Der  innere  Rand  der  Oeffnung  ist  faltenartig  aufge- 
worfen, der  äussere  verflacht  sich  ohne  merkliche  Erhebung.  Bei 
genauer  Untersuchung  ist  es  leicht,  sich  zu  überzeugen,  dass  die 
Oeffnung  nur  der  Anfang  einer  Ausstülpung  der  Fascia  transversa 
ist,  welche  durch  den  Leistenkanal  nach  aussen  dringt,  den  Samen- 
strang und  den  Hoden  als  Scheide  umhüllt,  und  die  sogenannte 
Tunica   vaginalis   communis    des   Samenstranges    und   Hodens  bildet. 

Die  Fascia  transversa  hängt  zwar  an  dem  Rand  des  Poupart'- 
schen  Bandes  fest  an,  endigt  aber  hier  noch  nicht,  sondern  setzt 
sich  bis  zur  Crista  des  horizontalen  Schambeinastes  fort,  wo  sie 
mit  den  später  bei  der  Beschreibung  des  Schenkelkanals  zu  erwäh- 
nenden Fascien  verschmilzt.  Weder  die  Fossa  iliaca,  noch  die  kleine 
Beckenhöhle,  werden  von  ihr  ausgekleidet,  sondern  erhalten  be- 
sondere, viel   stärkere,  selbstständige  Fascien. 

Die  Scheide  des  geraden  Bauchmuskels  ist  das  Erzeug- 
niss  der  gespaltenen  Aponeurosen  der  breiten  Bauchmuskeln,  welche, 
um  ihren  Vereinigungspunkt  —  die  weisse  Bauchlinie  —  zu  errei- 
chen, vor  oder  hinter  dem  Rectus  vorbeilaufen  müssen.  Sie  hält 
das  Fleisch  des  Muskels  fest  zusammen,  steigert  seine  Kraft,  und 
erlaubt  den  breiten  Bauchmuskeln,  durch  Spannung  der  Scheide, 
auf  die  Spannung  des  in  ihr  eingeschlossenen  Rectus  einzuwirken. 
Da  die  hintere  Wand  der  Scheide  nur  unvollkommen  durch  die 
Aponeurosen  der  breiten  Bauchmuskeln  gebildet  wird,  so  müsste 
die  hintere  Fläche  des  Rectus,  von  der  Linea  Douglasii  angefan- 
gen, bis  zur  Schamftige,  auf  dem  Bauchfelle  aufliegen,  wenn  nicht 
die  Fascia  transversa  das  Fehlende  der  Scheide  ersetzte. 

Prof.  Retcias  Iml  cUr»"^  ji*.^»».|mam  oemaeht,  dass  die  Lineae  «enitcir- 
cularei  DovffloiH  Mk  '''»ifitelle  des  Rectus 


426  8*  172'    Scheide  des  BeetiiB,  nnd  weisse  Banchlinie. 

an  der  Schamfuge  fortsetzen,  und  dass  sie  nicht  den  freien,  scharf  endigenden 
Rand  der  hinteren  Wand  der  Scheide  des  geraden  Bauchmuskels  darstellen,  son- 
dern Faltungsränder  sind,  von  welchen  aus  sich  die  Fascie  des  queren  Bauch- 
muskels auf  das  Bauchfell  umschlägt,  um  die  hintere  Wand  einer  Höhle  zu 
bilden,  deren  vordere  Wand  durch  die  unteren  Enden  der  geraden  Bauchmus- 
keln gegeben  ist.  In  diese  Höhle  steigt  die  Harnblase  im  vollkommen  gefüllten 
Zustande  mit  ihrem  Scheitel  auf,  welcher  sich  bis  zu  den  Lineia  gemicireulaf'ifnis 
erheben  kann.  (Hierüber  meine  Notiz  an  die  kais.  Akademie:  Sitzungsberichte, 
XXIX.  Bd.  Nr.  9.) 

So  wie  die  breiten  Bauchmuskeln  die  Scheide  der  Quere  nach 
spannen^  so  kann  sie  auch  ihrer  Länge  nach  gespannt  werden^ 
durch  den  in  die  Substanz  ihres  vorderen  Blattes  eingeschlossenen, 
kleinen  dreieckigen  Musculus  pyramidalis  ahdominis,  der  am  oberen 
Rande  der  Symphysis  pvhis  entspringt,  und  am  inneren,  mit  der 
weissen  Bauchlinie  verwachsenen  Rande  der  Scheide  endigt.  Er 
fehlt  zuweilen,  wenn  der  Rectus  unten  breiter  als  gewöhnlich  ist, 
oder  vervielfacht  sich  auf  einer  oder  auf  beiden  Seiten,  oder  wird 
bedeutend  länger  (wie  beim  Neger),  weshalb  ich  ihn  im  §.  171  als 
langen  Bauchmuskel  aufftlhrte.  —  Nach  oben  wird  die  Scheide  des 
Rectus  durch  die  von  der  Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauch- 
muskels entspringende  Portio  abdominalis  des  grossen  Brustmuskels, 
und  durch  den  selten  vorkommenden  Musculus  stemalis  bi*uiorum 
angespannt. 

Die  weisse  Bauchlinie,  das  Rendez-vous  aller  Aponeurosen 
des  Bauches,  ist  der  stärkste  Theil  der  Bauchwand,  und  stellt  einen 
festen,  sehnigen  Streifen  dar,  welcher  tlber  dem  Nabel  4 — 6  Linien 
breit  ist,  unter  dem  Nabel  sich  verschmälert,  zugleich  lockerer  wird, 
aber  von  vom  nach  hinten  an  Dicke  zunimmt,  und  sich  am  oberen 
Schamftigenrande  festsetzt. 

Nach  MeckeTs  Ideen  entspricht  die  Linea  alba  des  Bauches  dem  Ster- 
num  der  Brust,  die  Inscriptiones  tendineae  den  Rippen,  der  Musculus  obliquus 
abdominis  extemus  den  äusseren,  der  Obliquus  internus  den  inneren  Zwischen- 
rippenmuskeln  ;  eine  Ansicht,  die  in  der  Anatomie  gewisser  beschuppter  Amphibien, 
wo  ein  wirkliches  Stemum  abdominale  und  wahre  Bauchrippen  vorkommen,  eine 
Stütze  findet. 

Die  verschiedene,  sich  kreuzende  Faserungsrichtung  der  drei  breiten  Bauch- 
muskeln, ist  für  die  Festigkeit  der  Bauchwand  ganz  besonders  vorthcilliaft,  und 
erinnert  an  das  Geflecht  eines  Rohrsessels,  welches,  wenn  es  hinlänglich  stark 
und  tragfähig  sein  soll,  niemals  blos  aus  parallelen  Zügen  bestehen  darf.  Sie 
giebt  uns  zugleich  bei  der  Untersuchung  von  Schnittwunden  des  Bauches,  so 
wie  auch  bei  Operationen  daselbst,  ein  verlässliches  Mittel  an  die  Hand,  die  Tiefe 
zu  bestimmen,  bis  zu  welcher  das  verwundende  Werkzeug  oder  das  chirurgische 
Messer  eindrang,  was  nicht  unwichtig  ist,  da  die  SchnittfUbrung  um  so  vorsich- 
tiger geleitet  werden  soll,  je  näher  man  dem  Bauchfelle  kommt.  Die  Schich- 
tung der  Muskeln  erlaubt  auch,  sie  einzeln  auf  untergeschobenen  Hohlsonden 
zu  trennen. 

Sämmtliche  Bauchmuskeln  verengem  die  Bauchhöhle.  Sie  ziehen  auch, 
mit    Ausnahme    des    Transversus,    die    Rippen    nieder,   verengem    dadurch    den 


S.  178.  Leistenkan&l.  427 

Thorax,  und  wirken  als  Maflkeln  des  Ansathraens.  Bei  fortgesetzter  Wirkung  krüm- 
men sie  die  Wirbelsäule  nach  vom,  z.  B.  wenn  man  sich  niederkauert.  Bei 
letzterer  Bewegung  wird  die  Bauchwand  concav,  was,  wenn  der  Musculus  rectua 
allein  wirksam  ward,  nicht  geschehen  könnte.  Die  gleiclizeitigcn  Contractionen 
der  breiten  Muskeln,  deren  Aponeurosen  die  Scheide  des  Rectus  bilden,  krümmen 
letztere  nach  hinten  ein,  und  bedingen  dadurch  ein  noch  stärkeres  Annähern  der 
Brust  zum  Becken.  Man  könnte  dieses  so  ausdrücken :  die  breiten  Bauchmuskeln 
sind  der  langen  wegen  da,  —  ihre  Wirkung  steigert  jene  des  Rectus,  indem 
dieser  durch  die  breiten  Bauchmuskeln,  welche  seine  Scheide  bilden,  nicht  blos 
nach  hinten  gekrümmt,  sondern  auch  von  seinem  Gespan  abgezogen  wird.  Man 
wird  nun  begreifen,  warum  die  Scheide  des  Rectus  mit  den  Inscriptionen  dieses 
Muskels  verwachsen  ist,  weil  nur  auf  diese  Weise  eine  gleichförmige  Spannung 
des  .Muskels  in  seiner  ganzen  Breite,  ohne  Zusammenschieben  desselben,  möglich 
wurde.  —  Die  Bauchmuskeln  üben  auf  die  beweglichen  Unterleibsorgane  eine 
fortwährende  Compression,  daher  der  Name  Bauchpresse,  Prdum  abdominale 
«.  Cingulum  HaHei-iy  durch  welche  es  nie  zur  Entstehung  eines  leeren  Raumes  in 
der  Bauchhöhle  kommen  kann.  Wie  gross  diese  Compression  sei,  kann  man  aus 
der  Gewalt,  mit  welcher  die  Eingeweide  aus  Schnittwunden  des  Bauches  hervor- 
Btürzen,  und  aus  der  Kraft  entnehmen,  die  zuweilen  erforderlich  ist,  um  einen 
Leistenbruch  von  einiger  Grösse  zurückzubringen. 

Die  Präparation  der  Bauchmuskeln  erfordert  sehr  viel  Zeit  und  eine  ge- 
schickte Hand,  wenn  sie  ganz  tadellos  ausfallen  soll.  Die  Leichen  von  Men- 
schen, welche  durch  plötzliche  Todesarten,  oder  an  acuten  Krankheiten  starben, 
sind  zu  dieser  Arbeit  vorzuziehen.  Niemals  wird  man  die  Bauchmuskeln  an 
alten  Weibern,  welche  oft  schwanger  waren,  oder  überhaupt  an  Leichen,  deren 
Bauch  bereits  durch  Fäulniss  grün  geworden,  auch  nur  einigermassen  befriedi- 
gend untersuchen  können.  Da  man  aber  oft  nehmen  muss,  was  man  eben  be- 
kommt, so  ist  das  Gesagte  nur  für  jene  anatomischen  Anstalten  geltend,  denen 
keine  wohlthätigcn  Vereine  ihre  Lehr-  und  Lernmittel  schmälern.  Jedenfalls 
wäre  es  den  Verstorbenen  lieber  gewesen,  während  ihrer  Lebzeiten  werkthätige 
christliche  Nächstenliebe  genossen  zu  haben,  als  nach  ihrem  Tode  ein  Gratis- 
begräbniss  zu  erhalten. 

§.  173.  Leistenkanal. 

Es  verdient  der  Leistenkanal,  Canalis  ingiunalisj  eine  be- 
sondere Würdigung,  da  er  zu  einer  der  häufigsten  chirurgischen 
Krankheiten  —  den  Leistenbrüchen  —  Anlass  giebt,  deren  Dia- 
gnose und  richtige  Behandlung  die  genaue  anatomische  Kenntniss 
dieses  Kanals  voraussetzt. 

Der  Leistenkanal  hat  seine  äussere  Mündung,  seitwärts  von 
der  Sehamgegend,  in  der  sogenannten  Leistengegend  (Regio 
inguirialis).  Der  BegriflF  der  Leistengegend  ist  etwas  vag,  indem 
diese  Kegion  weder  durch  natürliche,  noch  künstlich  gezogene  Linien 
begrenzt  wird.  Dem  Wortlaute  zufolge  mag  sie  ursprünglich  wohl 
nur  auf  die  Gegend  des  Poupart'schen  Bandes  angewandt  worden 
sein,  welches  wie  eine  Leiste  zwischen  zwei  festen  Punkten  des 
Beckens  ausgespannt  ist.  Wir  verstehen  unter  Leistengegend  die 
***'  ^         '*"ni4r  der  tasseren  Leistenkanalsmündung. 


428  f*  17^   Leistengrnben. 

Die  äussere  oder  Leistenmündung  des  Kanals  entsteht  durch 
Spaltung  der  Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauchmuskels; 
welche  in  zwei  Schenkel  (Crura)  aus  einander  weicht.  Das  Crus 
inteimum  befestigt  sich,  wie  oben  gesagt,  an  der  vorderen  Seite  der 
Schamfuge;  das  Orua  extemum,  welches  so  innig  mit  den  Poupart*- 
schen  Bande  zusammenhängt,  dass  es  mit  ihm  Eins  zu  sein  scheint, 
am  Tubeixulum  ossis  pttbts.  Die  Oeffnung  zwischen  beiden  Schen- 
keln ist  dreieckig,  und  ihr  Mittelpunkt  von  jenem  des  oberen  Ran- 
des der  Symphyse,  bei  vollkommen  ausgewachsenen  Leuten,  bei- 
läufig 15  Linien  entfernt.  Der  von  der  Spitze  des  Dreiecks  gegen 
die  Basis  gezogene  Durchmesser  beträgt  im  Mittel  1  Zoll.  Die  Basis 
misst  6 — 8  Linien.  Die  Fascia  siiperßcialis  hängt  an  die  Ränder  der 
Oeflfhung  fest  an,  und  verlängert  sich  von  ihnen  als  bindegewebige 
HtÜle  des  Samenstrangs  nach  abwärts.  Von  der  äusseren  Oeffnung 
bis  zur  inneren  durchläuft  der  Leistenkanal  einen  Weg  von  1  ^/^  Zoll. 
Schräg  nach  aus-  und  aufwärtsgehend,  hebt  er  successive  die  un- 
teren Ränder  des  inneren  schiefen  und  queren  Bauchmuskels  auf, 
entfernt  sich  dadurch  mehr  und  mehr  von  der  Oberfläche,  imd 
endigt  an  der  inneren,  von  der  Fascia  transversa  gebildeten  Oeff- 
nung. Die  untere  Wand  des  Kanals  bildet  das  Poupart'sche  Band, 
welches  sich  nach  hinten  aufkrümmt,  und  dadurch  die  Form  einer 
Rinne  annimmt.  Die  obere  Wand  wird  durch  die  vereinigten  imte- 
ren  Ränder  des  inneren  schiefen  imd  queren  Bauchmuskels  erzeugt; 
die  vordere  Wand  wird  durch  das  allmäUg  tiefere  Eindringen  des 
Leistenkanals  in  die  Bauchwand  immer  dicker,  indem  sie  anfangs 
blos  aus  der  Aponeurose  des  äusseren  schiefen  Bauchmuskels,  — 
später,  wenn  der  Leistenkanal  unter  die  imteren  Ränder  des  inne- 
ren schiefen  und  des  queren  Bauchmuskels  eingedrungen  ist,  auch 
durch  diese  beiden  Muskeln  zusammengesetzt  wird.  Die  hintere 
Wand  verhält  sich  umgekehrt  wie  die  vordere,  indem  sie  in  der 
Ebene  der  äusseren  Leistenöffnung  durch  den  inneren  schiefen  und 
queren  Bauchmuskel,  und  durch  die  Fascia  transversa  gebildet  wird, 
in  der  Nähe  der  Bauchöffnung  dagegen  blos  aus  der  letztgenann- 
ten Fascie  besteht. 

Der  Leistcnkanal  ist  beim  Weibe  enger  und  länger  als  im  Manne.  Enger, 
weil  das  runde  Mutterband  dünner  als  der  Samenstrang  ist;  länger,  weil  der 
Abstand  der  Schamfuge  vom  vorderen  oberen  Darmbeinstachel  grösser  ist.  Bei 
Kindern  findet  man  seine  Richtung  weniger  schief. 


§.  174.   Leistengruben. 

Die  innere  Oberfläche  der  Bauchwand  zeigt  in  der  Nähe  der 
Bauchöffnung  des  Leistenkanals  folgende  Eigenthilmlichkeiten. 


§.  174.   Leistengruben.  429 

Hat  man  die  vordere  Bauchwand  herabgeschlagen,  um  ihre 
innere  Oberfläche  zu  besehen,  so  findet  man  dieselbe  mit  dem 
Bauchfelle  bekleidet,  welches  fiinf  longitudinale  Falten,  eine  unpaare 
und  zwei  paarige^  als  Ueberztige  nachzunennender  Bänder  und  Ge- 
fässe,  bildet. 

1.  Die  unpaare,  mediane  Falte  erstreckt  sich  vom  Scheitel 
der  Harnblase  zum  Nabel  hinauf,  als  Plica  vesico-umbillcaUs  media 
(Ueberzug  des  zu  einem  Bande  eingegangenen  embryonischen 
ürachus). 

2.  Die  darauffolgenden  seitlichen  Falten  convergiren  vom 
Seitenrande  der  Harnblase  gegen  die  innere  Falte,  und  verbinden 
sich  unterhalb  des  Nabels  mit  ihr.  Sie  heissen  Plicae  vesico-vmhili' 
cales  laterales,  und  sind  Ueberzüge  der  vertrockneten  Nabelarterien 
des  EmbryOy  welche  in  diesem  Zustande  auch  seitliche  Harn- 
blasenbänder heissen. 

3.  Die  aus s ersten  Falten  sind  die  kleinsten,  springen  nur 
sehr  wenig  vor,  und  man  muss  die  Bauchdecke  stark  anspannen, 
um  sie  zu  sehen.  Sie  heissen,  da  sie  die  Arteria  epigastrica  ein- 
schliessen,  Plicae  epigastiicae.  —  Es  ist  gut,  um  die  Falten  sich 
mehr  erheben  zu  machen,  die  Harnblase  von  der  Harnröhre  aus 
massig  aufzublasen.  Nichts  desto  weniger  hat  man  an  gewissen 
Leichen  seine  liebe  Noth,  sie  wahrzunehmen. 

An  der  äusseren  und  inneren  Seite  der  Plica  epigastrica  ist 
das  Peritoneum  grubig  vertieft,  wie  mit  dem  Finger  eingedrückt, 
und  bildet  so  die  beiden  Leistengruben,  Foveae  inguinales.  Die 
äussere  kleinere  entspricht  genau  der  Bauchöffnung  des  Leisten- 
kanals, und  dringt  zuweilen  in  den  Leistenkanal  als  blinderZipf 
ein,  von  dessen  Spitze  man  einen  dünnen  strangförmigen  Fortsatz 
eine  Strecke  weit  im  Samenstrange  fortlaufen  sieht.  Die  innere 
grössere,  zwischen  Plica  epigastrica  und  Plica  vesico-umhilicalis  laie- 
ralis  gelegen,  correspondirt  der  äusseren  Oeffnung  des  Leistenkanals, 
und  stellt  somit  einen  sehr  schwachen  Theil  der  Bauchwand  dar. 
Hat  man  das  Peritoneum  vorsichtig  von  der  darauf  folgenden  Fascia 
transversa  abgelöst,  so  sieht  man,  wie  die  Fascie  erstens  sich  in  die 
Bauchöffnung  des  Leistenkanals  trichterförmig  fortsetzt,  und  zwei- 
tens den  Grund  der  inneren  Leistengrube  bildet,  welcher  mit  dem 
Finger  durch  die  äussere  Oeffnung  des  Leistenkanals  hcrausgestaucht 
werden  kann.  Man  sieht  ferner,  dass  der  Samenstrang  nach  seinem 
Eintritte  in  die  Bauchhöhle  sich  in  zwei  Bündel  theilt,  deren  eines 
(Blutgefässe  des  Samenstrangs)  zur  Lumbairegion  aufsteigt,  während 
das  andere,  welches  blos  aus  dem  Ausführungsgange  des  Hodens 
{Vas  deferens)  besteht ,  sich  nach  innen  imd  imten  zur  kleinen 
Beckenhöhle  wendet,  und  dicht  am  inneren  Umfange  der  Bauch- 
öffiiung  des  Leuita:  "      Ton  aussen  nach  innen  und 


430  §•  176'    Einiges  znr  Anatomie  der  Leistenbrüche. 

oben  laufenden  Arteria  epigastrica  kreuzt.  Die  äussere  und  innere 
Leistengrube  sind  somit  nur  durch  die  Plica  epigastrica  von  ein- 
ander getrennt. 

Abweichend  von  dieser  Darstellung,  bezeichnen  einige  Anatomen  die  hier 
als  Fovea  ingninaUa  interna  angegebene  Grube  mit  dem  Namen  einer  media,  und 
nennen  die  zwischen  Plica  veaico-umbUiccUis  media  und  lateralis  befindliche  Grube 
(welche  ich  unberücksichtigt  Hess)  Fovea  inguinali»  interna.  Da  der  innere 
Leistenbruch,  wie  im  folgenden  Paragraph  gezeigt  wird,  in  der  Regel  nicht 
durch  die  Fottaa  inguinali»  interna  aiictorum,  sondern  durch  unsere  interna  her- 
austritt, so  kann  die  im  Texte  aufgestellte  Unterscheidung  der  Lcistongrube  als 
die  praktisch  brauchbarere  gelten. 

§.  175.  Einiges  zur  Anatomie  der  Leistenbrüche. 

Wenn  ein  Baucheingeweide  durch  irgend  eine  Oeffhung  des 
Bauches  nach  aussen  tritt,  und  eine  unter  der  Haut  liegende  Ge- 
schwulst bildet,  so  heisst  dieser  Zustand  Bruch  (ruptura  der  Alten) 
oder  Vorlagerung,  Hemia  (descente  der  Franzosen),  und  ftlhrt 
seinen  besonderen  Beinamen  von  der  Oeffnung  (Bruchpforte), 
durch  welche  er  hervorgetreten,  z.  B.  Leistenbruch,  Nabelbruch 
Schenkelbruch,  etc.  Jedes  Eingeweide,  welches  einen  Bruch  bil- 
den soll,  muss  die  natttrlichen  Verschlussmittel  der  OeflFnung,  also 
das  Bauchfell  und  die  Fascia  transversa,  vor  sich  hertreiben  oder 
ausstülpen,  so  dass  es  in  diesen  wie  in  einem  Sacke  (Bruchsack) 
eingeschlossen  liegt.  Der  Bruchsack  wird  uns,  seiner  birnförmigen 
Gestalt  wegen,  einen  in  der  Bruchpforte  liegenden  Hals,  und  einen, 
nach  Verschiedenheit  der  Grösse  des  Bruches  mehr  weniger  um- 
fänglichen Grund  unterscheiden  lassen.  Ein  Eingeweide  kann  die 
Grube  an  der  äusseren  oder  an  der  inneren  Seite  der  Plica  epi- 
gastrica zum  Anfangspunkte  seines  Austrittes  wählen.  Im  ersteren 
Falle  wird  es  sich  in  den  Leistenkanal  hineinschieben,  seine  schräge 
Richtung  annehmen,  und  seine  ganze  Länge  durchlaufen  müssen, 
bevor  es  nach  aussen  gelangt.  So  bilden  sich  die  äusseren  Lei- 
stenbrüche, Herniae  inguinales  externa^,  deren  Name  ihre  Ent- 
stehung in  der  äusseren  Leistengrube,  und  somit  an  der  äusseren 
Seite  der  Arteria  epigastrica  angiebt.  Im  zweiten  Falle  wird  das 
Eingeweide,  weil  die  innere  Leistengrube  der  äusseren  Oeffnung 
des  Leistenkanals  gegenüberliegt,  gerade  nach  vorn  treten,  und 
durch  die  äussere  Oeffnung  des  Leistenkanals  herauskommen,  ohne 
durch  die  innere  eingetreten  zu  sein.  Dies  sind  die  inneren  oder 
directen  Leistenbrüche,  Heimiae  ingtiinales  intemae,  welche  sich 
natürlich  durch  ihre  gerade  Richtung,  so  wie  durch  ihr  Verhältniss 
zur  Aiieria  epigastnca,  von  den  äusseren  unterscheiden. 

Da   der    äussere    Leistenbruch    nur    das    dünne  und   zuweilen 
schon   als   kleines  Blindsäckchen  in  den  Leistenkanal  etwas  hinein- 


§.  175.    Einiget  «ur  Anatomie  der  LeistenbrAche.  431 

gehende  Bauchfell  als  Bruchsack  vor  sich  herzuschieben  hat  (die 
Faacia  transvei-sa  ist  ohnedies  schon  als  gemeinschaftliche  Scheiden- 
haut des  Samenstranges  in  den  Leistenkanal  trichterförmig  hinein- 
gestülpt)^  so  wird  er  jedenfalls  leichter  entstehen,  als  der  innere, 
welcher  nebst  dem  Bauchfelle  auch  die  Fascia  traiisversay  welche 
den  Gnmd  der  inneren  Leistengrube  bildet,  herauszutreiben  hat. 
Wenn  man  jenen  Theil  der  Bruchgeschwidst,  welcher  in  der  be- 
treflFenden  OefFnung  der  Bauchwand  liegt,  Bruchhals  nennt,  so  muss 
der  äussere  Leistenbruch  einen  längeren  Hals  als  der  innere  oder 
directe  haben ;  und  da  die  Leichtigkeit  der  Zurückbringung  eines 
Bruches  mitunter  von  der  Kürze  und  Weite  seines  Halses  abhängt, 
so  wird  ein  beweglicher  innerer  Leistenbruch  leichter  zurückgehen 
als  ein  äusserer.  Ist  ein  äusserer  Leistenbruch  alt,  gross  und  schwer 
geworden,  so  ist  die  schräge  Richtung  des  Leistenkanals  durch  den 
Zug  der  Bruchgeschwulst  in  eine  gerade,  wie  beim  inneren  oder 
directen  Bruch,  übergegangen,  und  es  ist  in  solchen  Fällen  sehr 
schwer,  durch  äussere  Untersuchimg  zu  entscheiden,  ob  man  es  mit 
einem  äusseren  oder  inneren  Leistenbruche  zu  thun  hat 

Befindet  sich  ein  äusserer  Leistenbruch  in  seinem  ersten  Ent- 
wicklungsstadium, d.  h.  gerade  am  Eintritt  in  den  Leistenkanal,  so 
heisst  er  Hemia  incipiens;  ist  er  etwas  weiter  vorgerückt,  ohne 
durch  die  äussere  OeflFnung  herausgetreten  zu  sein,  so  bildet  er 
die  Heimia  interstitialis.  Beide  sind,  wegen  Fehlen  äusserer  Ge- 
schwulst, mit  Sicherheit  schwer  zu  diagnosticiren.  Ist  der  Bruch 
über  das  Niveau  der  LeistenöfFnung  getreten,  oder  bis  in  den  Ho- 
densack herabgestiegen,  so  nennt  man  ihn  Hemia  inguinalis  oder 
scrotalis.  Ist  endlich  der  grösste  Theil  des  Gedärmes  aus  der  Bauch- 
höhle in  den  Hodensack  versetzt,  der  zur  Grösse  eines  Mannskopfes 
aufgetrieben  werden  kann,  so  ist  dieses  die  Eventration,  —  der 
höchste  Punkt,  auf  den  es  eine  Hernie  bringen  kann. 

Die  grössere  Länge  und  Enge  des  weiblichen  Leistenkanals 
erklärt  das  seltene  Vorkommen  der  Leistenbrüche  bei  Weibern. 
Einer  Erhebung  der  Londoner  Bandagisten  zufolge,  waren  imter 
4060  Leistenbruchkranken,  nur  34  Weiber.  Wenn  die  von  Jobert 
angenommene  grössere  Weite  des  rechten  Leistenkanals  keine  Chi- 
märe wäre,  würde  sie  das  häufigere  Vorkommen  der  Hernien  auf 
der  rechten  Seite  erklären. 

Wird  nun  das  vorgefallene  Darmstück  von  der  OeflFnung,  durch 
welche  es  austrat,  so  eingeschnürt,  dass  ihm  die  Blutzufuhr  abge- 
schnitten, seine  Ernährung  sistirt,  und  seine  Function  aufgehoben 
wird,  so  heisst  dieser  Zustand:  Einklemmung,  Incarceratio.  Die 
Ursachen  der  Einklemmung,  deren  Erörterung  in  das  Gebiet  der 
praktischeH  Chirurgie  gehört,  können  sehr  verschieden  sein.  Vom 
anatomischen   Standpunkte  aus  ist  hier  nur  zu  erwähnen,  dass  die 


432  §•  175*    Einiges  xnr  Anatomie  der  Leistenbrüche. 

Möglichkeit  einer  krampfhaften  Einklemmung  eines  Leistenbruches 
nicht  zu  bezweifeln  ist,  da  die  obere  Wand  des  Leistenkanals  durch 
die  aufgehobenen,  und  dadurch  bogenförmig  gekrümmten  Ränder  des 
inneren  schiefen  und  queren  Bauchmuskels  erzeugt  wird.  Suchen 
diese  nach  oben  gebogenen  Muskelränder  ihre  normale,  mehr  ge- 
radlinige Richtung  wieder  anzunehmen,  so  drücken  sie  den  Hals 
des  Bruches  gegen  das  resistente  Ligamentum  Poupartü,  wodurch 
eine  Art  Zwinge  zu  Stande  kommt,  welche  die  Einklemmung  setzt. 
Da  die  Leisten-  und  die  BauchöfFnimg  des  Leistenkanals  nur  von 
aponeurotischen  Gebilden  begrenzt  werden,  so  kann  von  krampfiger 
Einschnürung  an  diesen  beiden  Punkten  keine  Rede  sein.  —  Die 
Einschnürung  muss„  wenn  sie  nicht  durch  gehndere  Mittel,  als 
warme  Bäder  und  Klystiere,  zweckmässige  manuelle  Hilfe  (Taxis) 
zu  beseitigen  ist,  durch  Erweitenmg  der  Bruchpforte  mittelst  des 
Bruchschnittes  (Hetmiotomia)  gehoben  werden.  Die  Richtung  des  Schnit- 
tes wird  beim  inneren  Leistenbruche  eine  andere,  als  beim  äusseren 
sein  müssen.  Die  Pforte  des  inneren  Leistenbruches  hat  die  Arteria 
epigastrica  an  ihrer  äusseren  Seite,  jene  des  äusseren  Leistenbruches 
dagegen  an  ihrer  inneren.  Um  die  Verwimdung  der  Arteria  epigastrica 
zu  vermeiden,  wird  also  der  Erweiterungsschnitt  beim  inneren  Lei- 
stenbruch nach  innen,  beim  äusseren  nach  aussen  gerichtet  sein 
müssen.  In  Fällen,  wo  man  nicht  ganz  entschieden  weiss,  ob  man 
es  mit  einem  äusseren  oder  inneren  Leistenbruch  zu  thun  hat,  wird 
der  Schnitt  nach  oben  gerichtet  werden  müssen. 

üeber  den  angeborenen  Leistenbruch  siehe  §.  300. 

Da  man  sich,  wenn  man  einmal  weiss,  was  ein  Bruch  ist,  selben  an  jedem 
Cadaver  erzeugen  kann,  so  hielt  ich  die  Aiifnahne  dieser  praktischen  Bemerkun- 
gen in  ein  anatomisches  Handbuch  nicht  für  nutzlos.  Es  wird  dieses  zugleich 
den  Anfängern,  welche  den  Wcrth  der  Anatomie  nur  vom  Hörensagen  kennen, 
eine  kleine  Probe  von  ihrer  Nützlichkeit  geben. 

Nebst  den  Handbüchern  über  chirurgische  Anatomie,  handeln  über  Bruch- 
anatomie  noch :  A.  Cooper,  The  Anatomy  and  Surgical  Trcatment  of  Inguinal  and 
Congenital  Hemia.  London,  1804.  fol.  Deutsch  von  Kiiittge.  Breslau,  1809.  — 
C  Hesstlbachy  über  Ursprung  und  Vorschreiten  der  Leisten-  und  Schenkelbrüche. 
Würzburg,  1814.  4.  —  J.  doquet^  recherches  anat  sur  les  hernies.  Paris,  1817 
— 1819.  4.  —  A.  Thomson,  sur  rauatonüe  du  bas  ventre  et  des  hernies.  Paris. 
1.  Livr.  —  J,  Morton,  Surgical  Anatomy  of  the  Groin.  London,  1837.  —  A,  Scarita, 
suir  emie.  Paris,  1821.  4.  Deutsch  von  Seüer,  Leipzig,  1822,  2  Bände.  —  E.  W. 
Tu9on,  Anatomy  of  Ing^uinal  and  Femoral  Hemia.  London,  1834.  fol.  —  Flood, 
On  the  Anatomy  and  Surgery  of  Inguinal  and  Femoral  Hemia.  Dublin,  fol.  Ein 
Prachtwerk  wie  das  vorige.  —  Th,  Morton^  Inguinal  Hemia,  Testis  and  Cove- 
rings.  London,  1840.  —  A.  Nuhn,  über  den  Bau  des  Leisteukanals,  in  dessen 
Beobachtungen  aus  dem  Gebiete  der  Anatomie,  etc.  Heidelberg,  1850.  fol.  — 
•  G.  Matihes,  Phantom  des  Leisten-  und  Schenkclkanals.  fol.  Leipzig,  1862.  — 
W.  Linharty  Untcrleibshemien.  Würzburg,  1866. 


g.   176.    Zwerch&ll.  433 


§.  176.   Zwerchfell. 

Das  Zwerchfell  {Diaphragma,  von  Bio^parreiv,  abgrenzen, 
Septum  transversum,  Musculus  phrenicus)  ist,  nebst  dem  Herzen,  der 
lebenswichtigste  Muskel  des  menschlichen  Körpers.  Sein  Stillstand 
bedingt,  wie  jener  des  Herzens,  unausbleiblich  schnellen  Tod. 
Spigelius  apostrophirt  das  Zwerchfell  als:  musculus  urms,  sane  om- 
nium  fama  celeherrimus !  \ 

Das  Zwerchfell  ist,  als  natürliche  Scheidewand  zwischen  Brust- 
und  Bauchhöhle,  so  in  der  unteren  Brustapertur  eingepasst,  dass 
es  eine  convexe  Fläche  nach  oben  und  etwas  nach  hinten,  eine  con- 
cave  Fläche  nach  unten  und  etwas  nach  vom  kehrt  Man  theilt  es 
in  den  musculösen  und  den  sehnigen  Theil  ein,  und  ersterer 
zerfällt,  nach  Verschiedenheit  seines  Ursprunges,  wieder  in  den 
Lenden-  und  Rippentheil.  Der  musculöse  Theil  schliesst  den 
sehnigen  ringsum  ein. 

a)  Der  Lendentheil  {Pars  lumhalis)  besteht  aus  drei  Schen- 
kelpaaren, welche  keineswegs  symmetrisch  vom  Lendensegment  der 
Wirbelsäule  heraufkommen.  1.  Das  innere  Schenkelpaar  ist 
das  längste  und  stärkste.  Seine  Schenkel  entspringen  sehnig  von 
der  vorderen  Fläche  des  dritten  und  vierten  Lendenwirbels,  steigen 
convergirend  aufwärts,  werden  fleischig,  kreuzen  sich  vor  dem  Kör- 
per des  ersten  Lendenwirbels,  und  bilden  mit  der  vorderen  Fläche 
der  Wirbelsäule  eine  dreieckige  Spalte  —  den  Aortenschlitz, 
Hiatus  aorticus  —  durch  welche  die  Aorta  aus  der  Brust-  in  die 
Bauchhöhle,  und  der  Ductus  thoracicus  aus  der  Bauchhöhle  in  die 
Brust  gelangt.  Nach  geschehener  Kreuzung  divergiren  die  Schen- 
kel, um  gleich  darauf  neuerdings  zu  convergiren,  und  sich  zum 
zweiten  Mal  zu  kreuzen,  wodurch  eine  zweite,  über  dem  Hiatus 
aorticus,  und  etwas  links  von  ihm  liegende,  ovale  Oeffnung  zu 
Stande  kommt,  durch  welche  die  Speiseröhre  und  die  sie  begleiten- 
den Nei'vi  Vagi  in  die  Bauchhöhle  treten  —  das  Speiseröhren- 
loch, Foramen  oesophageum.  Jenseits  dieses  Loches  treten  beide 
innere  Schenkel  an  den  hinteren  Rand  des  sehnigen  Theils.  2.  Das 
mittlere  Schenkelpaar  entspringt  mit  zwei  schlanken  Strängen 
von  der  seitlichen  Gegend  des  zweiten  Lendenwirbels,  und  3.  das 
äussere,  kurze  und  breite,  von  der  Seitenfläche  imd  dem  Quer- 
fortsatz des  ersten  Lendenwirbels.  Die  Schenkel  des  mittleren  und 
äusseren  Paares  kreuzen  sich  nicht,  sondern  gehen  direct  an  den 
hinteren  Rand  des  sehnigen  Theils.  Die  linken  Schenkel  sind 
meistens  etwas  schwächer,  und  entspringen  um  einen  Wirbel  tieferi 
als  die  rechten.  Die  ürsprungsweise;  die  Ereozung,  self««f 
der  Schenkel  variirt  so  oft,   dass  vorliegende  B«' 

Hjrtl,  L«hrbQc]i  der  AnAtomie. 


434  §•  l<(^-    /'Werchfull. 

für  alle  Fälle  gelten  kann^   und   nur  für  das  häufigere  Vorkommen 
passt. 

b)  Der  Ripp entheil  (Pars  costalis)  entspringt  beiderseits  von 
den  sechs  oder  sieben  unteren  Rippen,  vom  Schwertfortsatz,  so  wie 
auch  von  zwei  fibrösen  Bögen  {Ligamenta  arcuata  Halleri),  deren 
innerer  vom  Körper  des  ersten  Lendenwirbels,  über  den  Psoas  weg, 
zum  Querfortsatz  desselben  Wirbels  ausgespannt  ist,  während  der 
äussere,  auswärts  von  ersterem  gelegen,  vom  Querfortsatz  des  ereten 
Lenden^virbels,  über  den  Quadrat m  lumborum  weg,  zur  letzten  Rippe 
tritt.  Die  Ursprünge  der  Pars  costalis  erscheinen  als  Zacken,  welche 
in  die  Ursprungszacken  des  queren  Bauchmuskels  und  des  drei- 
eckigen Brustmuskels  eingreifen,  und  von  diesen  durch  eine  ähn- 
liche Zickzacklinie  getrennt  sind,  wie  sie  zwischen  den  Ursprtlngen 
des  Ohliquns  ahdominis  extetnius,  SeiTatiis  anticus  major  und  Latis- 
simvs  dorsi  erwähnt  wurde.  Sämmtliche  Zacken  convergiren  gegen 
den  Umfang  des  sehnigen  Theils,  an  welchem  sie  sich  festsetzen. 

c)  Der  sehnige  Theil  {Pars  tendinea  s,  Centrum  teudineum) 
nimmt  so  ziemlich  die  Mitte  des  Zwerchfells  ein,  und  liegt,  der 
kuppeiförmigen  Wölbung  des  Zwerchfells  wegen,  höher  als  der 
fleischige  Antheil  dieses  Muskels.  Sein  im  frischen  Zustande  über- 
raschend schöner,  metallischer  Schimmer,  verhalf  ihm  zu  dem  son- 
derbaren Namen:  Speculum  Helvxontü.  Seine  Gestalt  ähnelt  jener 
eines  Kleeblattes,  in  dessen  rechtem  Lappen,  unmittelbar  vor  der 
Wirbelsäule,  eine  viereckige  Oeffnung  mit  abgeiiindeten  Winkeln 
liegt,  durch  welche  die  untere  Hohlvene  in  die  Brusthöhle  aufsteigt, 
und  welche  desludb  Foramen  venosum  s,  quadrilatei*um  heisst. 

Nebst  den  genannten  drei  grossen  OefFnungen,  kommen  im 
Zwerchfelle  noch  mehrere  kleinere,  für  den  Verlauf  minder  umfang- 
reicher öefässe  und  Nerven  bestimmte  Spalten  vor,  welche  keine 
besonderen  Namen  ftlhren.  So  befindet  sich  zwischen  dem  inneren 
und  mittleren  Schenkel  eine  Spalte  zum  Durchgang  des  Nervus 
splanchniais  major  und  der  Vena  azygos  (linkerseits  hemiazygos).  Der 
mittlere  Schenkel  wird  häufig  durch  den  Nei^us  splanchnicus  minor 
durchbohrt.  Zwischen  dem  äusseren  und  mittleren  Schenkel  tritt 
der  Sympathicus  aus  der  Brust-  in  die  Bauchhöhle. 

Die  Wölbung  des  Zwerchfells  ragt  rechterseits ,  wegen  der  Lagerung  der 
voluminösen  Leber  im  rechten  Ilypochondrium,  höher  in  den  Thorax  hinauf,  als 
linkerseits.  —  Beim  Eiuathmcn  verflacht  sich  die  Wölbung  des  Zwerchfells,  in- 
dem das  bogenförmig  an  das  Centrum  tendineiim  tretende  Fleisch  der  Pars  costalis 
und  lumbalis  während  der  Contraction  mehr  geradlinig  wird.  Dadurch  muss  die 
Bauchhöhle  um  so  viel  verengert  werden,  als  die  Brusthöhle  vergrössert  wird. 
Das  Centrum  tendineum  steigt,  während  der  Contraction  des  Zwerchfells  nicht 
mit  seiner  ganzen  Ebene  herab,  sondern  neigt  sich  blos  so,  dass  sein  hinterer 
Rand  tiefer  zu  stehen  Kommt,  als  sein  vorderer.  Man  unterlasse  es  nicht,  um 
sich  von   dieser  wichtigen  Sache    zu   Überzeugen,   die  Stellung  des  Diaphragma 


t  176.    Zwerchfell.  435 

« 
an  zwei  Kindesleichen  zu  vergleichen,  an  deren  einer  die  Lunge  durch  die  Luft- 
röhre vollständig  aufgeblasen  wurde,  an  der  anderen  aber  nicht. 

Durch  den  Druck,  welchen  das  Zwerchfell  beim  Einathmen  von  oben  her 
auf  die  Baucheingeweide  ausübt,  bethätigt  es  die  Fortbewegung  der  Contenta 
des  Darmschlauches,  fördert  den  venösen  Kreislauf  im  Unterleibe,  und  unter- 
stützt mechanisch  die  Secretionen  und  Excretionen  der  drüsigen  Nebenorgane 
des  Verdauungssystems.  Da  die  von  oben  her  gedrückten  Eingeweide  dem  Drucke 
weichen  müssen,  so  drängen  sie  sich  gegen  die  nachgiebige  vordere  Bauchwand, 
und  wölben  sie  stärker.  Hört  beim  Ausathmen  der  Druck  des  Zwerchfells  zu 
wirken  auf,  so  schiebt  die  nun  beginnende  Zusaramenziehung  der  musculösen 
Bauchwand,  die  dislocirten  Eingeweide  wieder  in  ihre  frühere  Lage,  und  zwingt 
das  nun  relaxirte  Zwerchfell,  wieder  zu  seiner  früheren  Wölbung  zurückzukehren, 
wobei  die  in  den  Lungen  enthaltene  Luft  in  entsprechender  Menge  durch  die 
Luftröhre  und  Stimmritze  des  Kehlkopfes  entweicht.  Die  Eingeweide  befinden 
sich  sonach,  so  lange  das  Athmen  dauert,  fortwährend  in  einer  hin-  und  her- 
gehenden Bewegung,  welche  in  demselben  Maasse  gesteigert  wird,  als  der  Ath- 
mungsprocess  lebhafter  angeht.  Ist,  während  die  Bauchmuskeln  wirken,  die 
Stimmritze  geschlossen,  so  kann  die  Luft  aus  den  Lungen  nicht  entweichen, 
somit  auch  das  Zwerchfell  nicht  in  die  Höhe  steigen ,  und  die  Eingeweide 
des  Unterleibes  auch  nicht  ihre  Lage  verändern.  Sie  werden  nur  zusammen- 
gedrückt, und  enthalten  sie  Entleerbares,  so  wird  dieses  herausgeschafft.  Diese 
von  den  Bauchmuskeln  geleistete  Compression  der  Unterloibsorgane,  ist  die 
sogenannte  Bauchpresse  (Prelum  abdominale),  welche  bei  allen  heftigen  Anstren- 
gungen, beim  Drängen,  Erbrechen,  bei  harten  Stuhlentleerungen,  beim  Ver- 
arbeiten der  Wehen  der  Gebärenden,  etc.,  in  Thätigkeit  tritt,  und  unter  beson- 
deren disponirendcn  Umständen,  ein  lose  befestigtes  Eingeweide  durch  eine 
bestehende  Oeffnung  der  Bauchwand  (Nabel-,  Schenkel-,  Leistenring)  heraus- 
treiben, und  die  Entstehung  eines  Bruches  veranlassen  kann. 

Bei  Verwundungen  und  Zerreissungen  des  Zwerchfells,  bei  angeborenen 
Spalten  desselben,  kann  ein  Eingeweide  des  Bauches,  am  häufigsten  die  Milz,  das 
Netz,  oder  der  Magen,  in  die  Brusthöhle  schlüpfen,  und  eine  Hemia  diaphragmatica 
bilden.  Die  durch  Fall  und  Erschütterungen  entstandenen  Zwerchfellsrisse  finden 
sich  häufiger  auf  der  linken  Seite,  da  auf  der  rechten  die  Leber  das  Zwerchfell 
stützt.  —  Die  obere  Fläche  des  Zwerchfells  ist  mit  dem  Rippenfelle,  die  untere 
mit  dem  Bauchfelle  bekleidet.  Auf  der  oberen  Fläche  der  Pars  tendinea  ist  der 
Herzbeutel  angewachsen.  —  Zwischen  dem  Costalzacken,  welcher  vom  7.  Rippen- 
knorpel kommt,  und  jenem,  der  am  Processus  xiphoideus  entspringt,  existirt  eine 
dreieckige  Spalte^  durch  welche  Brustfell  und  Bauchfell  in  Contact  gerathen. 
Larrey  rieth,  durch  diese  Spalte  den  Herzbeutel  zu  punktiren.  —  Der  ver- 
änderliche Stand  des  Zwerchfells  erklärt  es,  warum  eine  und  dieselbe  penetri- 
rcnde  Wunde  ganz  andere  Theile  verletzt  haben  wird,  wenn  sie  im  Momente  des 
Ein-  oder  Ausathmens  beigebracht  wurde. 

Verhindern  grosse  Geschwülste  im  Unterleibe,  Bauchwassersucht,  oder 
Fettleibigkeit,  den  Descensus  diaphragmatis  beim  Einathmen,  so  wird  die  dadurch 
beschränkte  Raumvergrösserung  des  Thorax  durch  stärkeres  Heben  der  Rippen 
compensirt;  so  wie  umgekehrt  bei  behinderter  Rippenbewegung  durch  Verknö- 
cherung der  Knorpel,  durch  Wunden  des  Thorax,  oder  Entzündung  des  Rippen- 
felles, das  Diaphragma  allein  die  Einathmungsfunction  übernimmt  Hierauf  be- 
ruht der  Unterschied  zwichen  Respiralio  thoracica  und  abdominalis. 


436  §•  177'   Allgoin.  Betrachtung  des  Rückens,  und  Einiheilang  seiner  Muskeln. 


E.  Muskeln  des  Rückens. 

§.  177.  Allgemeine  Betrachtung  des  Rückens,  und  Eintheilung 

seiner  Muskeln. 

Wir  begreifen  unter  Rücken,  Dorsum  8.  Tergum,  die  hintere 
Seite  des  Stammes,  welche,  von  oben  nach  unten  gerechnet,  aus 
dem  Nacken  (hintere  Halsgegend),  dem  eigentlichen  Rücken  (hintere 
Thorax  wand),  den  Lenden  (hintere  Bauch  wand),  und  dem  Kreuze 
(hintere  Beckenwand)  besteht.  Die  Nackengegend  ist  von  oben 
nach  unten  leicht  concav,  von  einer  Seite  zur  anderen  convex,  und 
unten  durch  den  Vorsprung  des  siebenten  Halsdomes  vom  Rücken 
abgegrenzt.  Die  eigentliche  Rückengegend  ist  in  der  Längen-  und 
Querrichtung  convex,  und  längs  der  Mittellinie  durch  die  Spitzen 
der  Brustdornen  markirt.  An  ihrer  oberen  äusseren  Abtheilung 
liegen  die  beweglichen  Schulterblätter,  die  bei  musculösen  Körpern 
einen  mehr  gleichförmig  gerundeten,  bei  mageren  einen  durch  die 
Spina  scapulae  scharf  gezeichneten  Vorsprung  bilden.  Die  in  der 
Längsrichtung  massig  concave  Lendengegend  besitzt  in  der  Me- 
dianlinie eine  verticale  Rinne,  welche  den  zwischen  den  fleischigen 
Bäuchen  der  langen  Rückgratsstrecker  versenkten  Lendendornen 
entspricht.  Die  convexe  Kreuzgegend  wird  am  wenigsten  von  Weich- 
theilen  bedeckt,  und  ist  daher  im  ganzen  Umfange  hart. 

Die  Haut  des  Rückens  zeichnet  sich  durch  ihre  Dicke  und 
Derbheit  aus.  Die  Rückenhaut  der  Thiere  liefert  deshalb  das  beste 
Leder,  (auch  am  Menschen  bestätigt,  in  der  zur  französischen  Re- 
volutionszeit bestandenen  Menschenlederfabrik  zu  Mcudon).  Man 
findet  sie  an  den  Leichen  meist  blau-  oder  dunkelroth  gefleckt 
(Todtenflecke).  Auf  dem  Kreuzbeine,  und  anderen  am  Rücken 
fühl-  und  sichtbaren  Knochcnvorspiüngen  unterliegt  sie  bei  Kran- 
ken dem  Verbranden  durch  Aufliegen  {Decubitus).  —  Eine  Fascia 
supei'ficialis  existiii;  nur  als  äusserst  dünner  Bindegewebsüberzug 
der  ersten  Muskelschichte.  Den  ganzen  Raum  zwischen  Haut  und 
Knochen,  der  zu  den  Seiten  der  Domfortsätze  bedeutend  tief  ist, 
nehmen  Muskeln  ein,  deren  anatomische  Darstellung  einen  wahren 
Probirstein  für  die  Geduld  und  Geschicklichkeit  der  Studirenden 
abgiebt,  weshalb  sie  sich  keiner  grossen  Beliebtheit  zu  rühmen 
haben.  Ihrer  Gestalt  nach  bilden  die  Rückenmuskeln  drei  Grup- 
pen, die  breiten,  die  langen,  und  die  kurzen,  welche  in  den 
nächsten  Paragraphen  gesondert  zur  Sprache  kommen.  Functionen 
aufgefasst  zerfallen  sie  in  vier  Gruppen.  Die  erste  oder  hoch- 
liegende  dient   zur  Bewegung   der   oberen   Extremität,   die   zweite 


§.  178.   Breite  Rackenmaskeln.  437 

bewegt  die  Rippen,  die  dritte  den  Kopf,  die  vierte  die  Wirbelsäule. 
Weder  Ge&sse  noch  Nerven  von  grosser  praktischer  Wichtigkeit 
verzweigen  sich  auf  oder  zwischen  ihnen.  Daher  sind  Fleischwun- 
den des  Rückens  minder  gefahrvoll,  und  es  liegt  somit  eine  Art 
von  Rücksicht  in  der  Barbarei  gewisser  Körperstrafen. 

Die  Ursprünge  und  Enden  einzelner  Rückcnmuskeln  sind  in  verschie- 
denen Individuen  bei  weitem  nicht  dieselben.  Sie  können  sich  vermehren  oder 
vermindern,  höher  oder  tiefer  rücken,  und  bieten  dadurch  eine  so  grosse  Fülle 
von  Varietäten  dar,  dass  nicht  leicht  die  Beschreibung  eines  Autors  mit  der 
eines  anderen  stimmt.  Jede  Veränderung  der  Ursprünge  oder  Insertionen  Eines 
Muskels,  bedingt  nothwendig  eine  entsprechende  Verrückung  der  übrigen,  und  die 
Anomalie  erstreckt  sich  auf  viele  Nachbarn.  Unter  diesen  möglichen  Schwankungen 
giebt  es  jedoch  eine  gewisse  constante  Grösse,  und  auf  diese  ist  bei  der  folgenden 
Beschreibung  der   einzelnen   Rückcnmuskeln  vorzugsweise  Rücksicht  genommen. 


§.  178.  Breite  Eückenmuskelii. 

Sie  liegen  unter  allen  Rückenmuskeln  am  oberflächlichsten. 
Die  Mehrzahl  derselben,  imd  zwar  gerade  die  breitesten  und  stärk- 
sten unter  ihnen,  gehören  dem  Schulterblatte  und  dem  Oberarm 
an,  wie  der  Cticullaris,  Latissimus  dorsi,  die  beiden  Rhomhoidei  und 
der  Levator  scapulae.  Die  übrigen  bewegen  die  Rippen,  wie  die 
beiden  SeiTati  postici,  oder  den  Kopf  wie  die  Splenü. 

Der  Kappenmuskel,  Musculus  cucullaris  s,  trapezitis  {Muscu- 
lus mensalisy  Tischmuskel  der  älteren  Autoren),  entspringt  von  der 
Linea  semidrcularis  superior  und  der  Protuhei^antia  externa  des  Hin- 
terhauptbeins, vom  Ligamentum  niLchae,  den  Spitzen  der  Dornfort- 
sätze des  siebenten  Halswirbels  und  der  zehn  oberen  oder  aller 
Brustwirbel.  In  den  Zwischenräumen  je  zweier  Dornspitzen  dient 
das  Ligamentum  interspinale  den  Fasern  dieses  Muskels  zum  Ur- 
sprünge. Von  dieser  langen  Ursprungsbasis  laufen  die  einzelnen 
Bündel  convergirend  zur  Schulter,  wo  sich  die  oberen  an  den  hin- 
teren Rand  der  Spina  scapulae  in  seiner  ganzen  Länge,  femer  an 
den  inneren  Rand  des  Akromion,  und  ausserdem  noch  an  das 
Schulterende  des  Schlüsselbeins  befestigen,  während  die  unteren  nur 
von  der  inneren  Hälfte  der  Spina  scapulae  Besitz  nehmen.  Es  kann 
sonach  der  Muskel  die  äussere  Hälfte  der  Spina  heben,  und  die 
innere  senken,  was  zu  einer  Drehung  des  Schulterblattes  um  eine 
horizontal  von  vom  nach  hinten  gehende  Axe  führt.  Bei  dieser 
Drehung  geht  der  imtere  Schulterblattwinkel  nach  aussen,  der  obere 
äussere,  welcher  die  Gelenkfläche  trägt,  nach  oben. 

Die  Convergenz  seiner  Bündel  giebt  dem  Muskel  eine  dreieckige  Gestalt, 
und  hat  man  beide  CkicuUares  präparirt,  so  bilden  die  mit  ihren  langen  Bases 
an    einander    stossenden    Dreiecke,    ein   m  ir 


438  §•  ^78-    Breite  Rackeomaskeln. 

Galen'sche  Name  Muactdtis  trapeziu^  abzuleiten  ist,  welcher  Name  somit  nicht 
auf  einen,  sondern  auf  beide  CitcuUares  zusammen  genommen  passt.  —  Der 
lange,  untere,  spitzige  Winkel  dieses  Vierecks  ähnelt  einer  zurückgeschlagenen 
Mönchskappe  (CiiaiUvs),  weshalb  Sp  ige  Mus  die  Benennnng;.  Mnjtculua  cuaiUaru 
einführte,  damit  die  sündhaften  Sterblichen  sich,  wie  er  sagt,  erinnern  mögen: 
vitam  homini  reJigiosam  dncendam  esse. 

Der  Kopfurspning  des  CucullavUy  überlagert  den  von  F.  E.  Schulze 
(Rostock,  1866)  jüngst  entdeckten  Musculus  transvei'sus  nuchae.  Dieser  ent- 
springt von  dem  der  Pt-otuberantia  occipUalis  ext.  nächsten  Stück  der  Linea  semi- 
circulavis  sup.  und  bildet  eine,  circa  15  Linien  lange,  und  6  Linien  breite,  aber 
dünne  Fleischlage,  welche  quer  nach  aussen  zieht,  um  thcils  in  der  Mitte  der 
genannten  Hinterhauptlinie  zu  enden,  theils  mit  der  Kopfinsertion  des  Sietmo-cleido- 
mastoideus  zu  verschmelzen.     Funktion  räthselhaft. 

Der  breiteste  Rückenmuskel,  Muaadiis  lathsimus  dorsiy 
hat  unter  allen  Muskeln  die  grösstc  Flächenausdehnung.  Er  ent- 
springt mit  einer  breiten  Sehne  (welche  das  oberflächliche  oder 
hintere  Blatt  der  Fascia  lumho-dorsalis  bildet,  Note  zu  §.  179),  von 
den  Dornfortsätzen  der  4 — 6  unteren  Brustwirbel,  aller  Lenden- 
und  Kreuzwirbel,  und  von  dem  hinteren  Theile  des  Lahium  exter- 
num  der  Darmbeincrista.  Der  scharf  abgesetzte  Uebergang  dieser 
breiten  Sehne  in  Fleisch,  erfolgt  in  einer  gegen  die  Wirbelsäule  zu 
convexen  Linie.  Zu  diesem  sehnigen  Ursprünge  gesellen  sich  noch 
3  —  4  fleischige  Zacken,  die  von  den  untersten  Rippen  stammen, 
und  sich  an  den  äusseren  Rand  des  Muskels  anschmiegen.  Er 
läuft,  die  hintere  und  die  Seitenwand  der  Brust  umgreifend,  und 
zusehends  schmäler  werdend,  über  den  unteren  Winkel  des  Schulter- 
blattes zum  Oberarmknochen,  bildet  die  hintere  Wand  der  Achsel- 
höhle, und  inserirt  sich  mit  einer  ungefähr  zollbreiten,  platten  Sehne, 
an  die  Spina  tuherculi  mincnns.  Die  Endsehne  des  Mtiscuhis  tet*es 
major  legt  sich  an  jene  des  iMtissimu^  an,  und  es  wäre  gar  nicht 
unpassend,  den  Teiles  majoi',  der  vom  unteren  Winkel  des  Schulter- 
blattes entspringt,  als  die  Scapularportion  des  breitesten  Rücken- 
muskels anzusehen.  Die  Wirkung  des  Lathsimus  gestaltet  sich 
ebenso  mannigfaltig,  wie  jene  des  Pectoralis  majcn^,  und  hängt  von 
der  Stellung  des  Arms  ab.  Den  herabhängenden  Arm  zieht  er  nach 
rückwärts,  und  nähert  die  Hand  dem  Gesässe  zu  einem  gewissen 
Zweck,  welchen  man  anständigen  Lesern  nicht  nennen  darf,  woher 
sein  obscöner  älterer  Name  Tersor  s.  Scalptat-  ani  stammt. 

Seine  interessanteste  Varietät  besteht  in  einer  Verbindung  seiner  F^ndsehne 
mit  der  Sehne  des  grossen  Brustmuskels  durch  ein  über  die  Armnerven  und  Ge- 
fKsse  weglaufendes  Bündel,  —  eine  Einrichtung,  die  beim  Maulwurf  und  in  der 
Klasse  der  Vögel  Norm  ist.  Halbertsma  machte  eine  zweite,  und  zwar  con- 
stante  Verbindung  zwischen  der  Sehne  des  Latissimus  und  dem  langen  Kopfe 
des  Triceps  hrachii  bekannt.  Holl.  Beitr.  1857,  1.  Bd. 

Die  oberen  Ursprünge  des  Latissimus  werden  von  dem  unteren  Winkel 
des  Kappenmuskels  bedeckt  Ein  constanter  Schleimbeutel  liegt  zwischen  der 
Sehne  des  Latissimus  und  dem  Oberarmbein. 


§.  178.    Brejjle  Bückenmnskeln.  439 

Nach  Entfernung  der  beiden  eben  beschriebenen  Muskeln  er- 
scheinen : 

Der  grosse  und  kleine  rautenförmige  Muskel,  Musculus 
rhomboideus  majcn'  et  minor,  Sie  machen  eigentlich  nur  Einen  Muskel 
aus,  welcher  vom  Cucullaris  bedeckt  wird,  von  den  Domfortsätzen 
der  zwei  unteren  Halswirbel  und  der  vier  oberen  Brustwirbel  ent- 
springt, schräg  nach  ab-  und  auswärts  läuft,  und^  am  inneren  Rande 
des  Schulterblattes  endet.  Ist  die  von  den  Halswirbeln  entsprin- 
gende Portion  von  dem  Reste  des  Muskels  durch  eine  Spalte  ge- 
trennt, so  nennt  man  sie  Musculus  rhomboideus  minor  s,  superioTy  und 
was  übrig  bleibt,  Musculus  rhomboideus  major  s.  inferior,  Sie  nähern 
die  Schulter  der  Wirbelsäule,  und  drehen  das  Schulterblatt  in  einer 
der  Wirkungsweise  des  Cucullaris  entgegengesetzten  Richtung. 

Der  Aufheber  des  Schulterblattes,  Musculus  levator  sca- 
pulae  s.  Muscidus  angularis,  entspringt  mit  vier  sehnigen  Köpfen  von 
den  hinteren  Höckern  der  Querfortsätze  der  vier  oberen  Halswirbel, 
und  steigt  zum  inneren  oberen  Winkel  des  Schulterblattes  herab. 
Er  hebt  die  Schulter  (oder  eigentlich  den  inneren  oberen  Winkel 
des  Schulterblattes),  und  heisst  scherzweise  Musculus  patientiae.  Bei 
vielen  Säugethieren  ist  er  mit  dem  Sert^atus  anticus  major  zu  einem 
Muskel  verwachsen. 

Unter  dem  Muscidus  rhomboideus  findet  sich: 

Der  hintere  obere  sägeförmige  Muskel,  Musculus  serra- 
tus  posticns  supeinar,  Ursprung:  Dornfortsätze  der  zwei  unteren 
Hals-  und  zwei  oberen  Brustwirbel.  Ende:  mit  vier  Zacken  an  die 
2 — 5.  Rippe.   Wirkung:  Rippenheben.   Weit  entfernt  von  ihm  liegt: 

Der  hintere  untere  sägeförmige  Muskel,  Musculus  serra- 
tus  posticns  infeiior.  Er  wird  ganz  und  gar  vom  Latissimus  bedeckt, 
von  dessen  Ursprungssehnc  {Fascia  lumbodorsalis)  er  in  der  Ge- 
gend der  zwei  unteren  Brust-  und  oberen  Lendenwirbel  seine 
Entstehung  nimmt.  Er  befestigt  sich,  schräg  aus-  und  aufwärts 
laufend,  mit  breiten,  dünnen,  fleischigen  Zacken,  an  die  vier  letzten 
Rippen,  welche  er  niederzieht. 

Der  bauschähnliche  Muskel  des  Kopfes  und  Halses, 
Muscidus  splenius  capitis  et  colli,  liegt  unter  dem  Halstheil  des  Cu- 
cullaris, und  wird  an  seinem  Ursprünge  vom  Rhomboideus  und 
Serratus  posticus  superioi*  bedeckt.  Er  entspringt  von  den  Domfort- 
sätzen des  dritten  Halswirbels  bis  zum  vierten  Brustwirbel  herab, 
steigt  mit  schräg  aus-  und  aufwärts  gehenden  Fasern  zum  Hinter- 
haupt und  zur  Seite  der  Halswirbelsäule  empor,  und  befestigt  sich 
theils  an  der  Linea  semicircularis  superior  des  Hinterhauptes,  und 
am  hinteren  Rande   des  Warzenfortsatze«  p^"  la 

an  den   Querfortsätzen  der  zwei  od' 


440  §•  179*   liftDfi;«  BQcIcenTOiiilcelB. 

Splenius  colli.    Dreht  den  Kopf  und  Hals.     Seine  beiden  Portionen 
werden  auch  als  zwei  verschiedene  Muskeln  beschrieben. 


§.  179.  Lange  EüGkenmuskeln. 

Während   die  im   vorigen   Paragraphe  beschriebenen  Muskel^ 
durch   ihre   Breite  ^   und   ihre   schief  nach   unten   und   aussen,  od^^ 
nach  oben  und  aussen  gerichtete   Faserung  übereinkommen,  folg^^^ 
die  nim  zu  erwähnenden  mehr  der  Längenrichtung  der  WirbelsÄnl^^- 
Sie  liegen  in  den  zwei  langen  Furchen  eingebettet,  welche  zwiscke 
den    Dom-  und    Querfortsätzen   sämmtlicher  Wirbel  zu  ihrer  Aul 
nähme  bereit  gehalten  sind. 

Der  gemeinschaftliche  Rückgratstrccker,  Muscubt» 
tor  trunci  (bei  den  Alten  opistothenar)^  entspringt  mit  einem  dickei^. 
fleischigen  Bauche^  von   der  hinteren    Fläche  des  Kreuzbeins,   de 
Tubei'ositas    und   dem   hinteren  Theile  der  Oi'iata  ossis  ilei^  und  de 
Domfortsätzen    der  Lendenwirbel.     Dieser    Ursprung    des    Muskel 
wird   von   einer   starken,    aus   zwei   Blättern  bestehenden    Scheid« 
(Vagina  9,  Fascia  lumbo-dorsalis)  umschlossen,    deren  innere   Ober^  — 
fläche  selbst  einige  neue  Ursprungsfascikel  des  Muskels  erzeugt 

Das  hochliegende   oder  hintere   Blatt  der   FoMcia  lumbo-^UfnalU  bildi 
zugleich   die   Ursprungssehne   des   Latisnmus  dorai.     Es  erstreckt  sich   weit 
Kücken  hinauf,  dringt  unter  dem  Rhomboidens  bis  zum  Semitta  potticu»  auperii^ 
empor,  mit  dessen  Ursprungssehne  es  verschmilzt,  und  setzt  seinen  Weg 
ihn  hinaus,    also  zwischen  Cucullaris  und   Splenius   (wo  es  Faacia  nuehae 
bis  zum  Hinterhaupte   fort    Das  tiefliegende   oder  vordere  Blatt  ist  viel 
zer,   entspringt   an    den   Querfortsätzen   der  Lendenwirbel,   dient    den    mittlere  ' 
Fleischfasem    des    queren    Bauchmuskels,   ja    selbst    den    hintersten  Fasern   de 
inneren  schiefen  Bauchmuskels  zum  Ursprung,  und  füllt  den  Raum  swiachen  de 
letzten  Rippe,  und  dem  hinteren  Theile  der  Darmbeincrista  ans,  indem  es  dura 
Dedoublirung  zugleich   eine  Scheide  für  den  QuadrcUui  lumborum  ersengl    Dl 
die  Bauchfläche  des   Quadratus   deckende  Blatt  dieser  Scheide  bildet  mit  8ein< 
oberen  verdickten  Rande   das   bei  der   Par»  coHalis  des   Diaphragma   erwihnt^?  -r 
äussere  Ligamentum  arcuatum  Hallen  (§.  176). 

Während  des  Laufes  nach  aufwärts,  giebt  der  in  der  Vagin^:^ 
8.  Fascia  lumho-dorsalis  eingeschlossene  Bauch  des  gemeinschaft -^ 
liehen  Rtickenstreckers ,  Befestigungsbündel  an  die  Querfortsätz^ 
(besser  Processus  costarii)  und  die  Processus  accessorii  der  Lenden -^ 
wirbel,  und  theilt  sich,  am  ersten  Lendenwirbel  angekommen,  ir^- 
zwei  Portionen,  welche  über  den  Rücken  bis  zum  Halse  hinauf^ 
laufen,  und  als  Miiscultis  sacro-lumhalis  (äussere  Portion)  und  Mus^ 
culus  longissimus  dorsi  (innere  Portion)  unterschieden  werden. 

a)  Der  Sacro-lumhalis  heftet  sich  mit  12  sehnigen  Zackers. 
an  die  unteren  Ränder  aller  Rippen  in  der  Gegend  des  Angulus  *  — 
Cvbüus  costacy    und    schickt   zuweilen    eine    dreizehnte   Zacke    zunr» 


$.  179.   Lange  RflckenmuglMln.  441 

Querfortsatze    des  letzten   Halswirbels.     Während  diese  Zacken  zu 
ihren  respectiven   Insertionsstellen  aufsteigen,   erhält  der  Sacro-lum- 
haUs  von   den   sechs  oder  sieben  unteren  Rippen  Verstärkungsbün- 
del.   Die   von    den   fUnf   oder    sechs    oberen    Rippen   entstehenden 
Fleischbündel  vereinigen  sich  nicht  mit  dem  Saci^o-lumhalü,  sondern 
treten  zu   einem    besonderen,    länglichen   Muskelkörper  zusammen, 
der  sich   schief  nach   oben   und  aussen  zu  den  Querfortsätzen  des 
«echsten   bis    vierten   Halswirbels  begiebt,    wo   er  mit  drei  sehnigen 
Spitzen  endet.    Er   bildet   sonach  gewissermassen  eine  Zugabe  oder 
'^©riängenmg   des    Sacro-lumbalis ,    und    wird   auch    als    besonderer 
Muskel  unter   dem   Namen  Mxisculns  cervicalis  ascendens  genommen, 
b)  Der  Longissimus  dorsi  steigt  mit  dem  früheren  parallel 
**^   Rücken    hinauf,    bezieht   unconstante    Verstärkungsbündel    von 
*^n  oberen  Lenden-  und  unteren  Brustwirbeln  (welche  erst  gesehen 
^«rden,   wenn  man  den  Körper  des  Muskels  auf  die  Seite  drängt), 
^d  spaltet   sich   in    eine   Folge   kurzer,   fleischig-sehniger  Zacken, 
Welche  theils  an   die  hinteren  Enden   der  Rippen  zunächst  an  ihren 
S^berculis,   mit  Ausnahme   der   obersten   und  untersten,   theils   an 
^e  Brustwirbelquerfortsätze  sich  inseriren.  —  Das  obere  Ende  des 
t/mgissimua  dorsi   geht   in   den   Musculus   transversalis  ceroicis  über, 
Welcher  von  den  Querfortsätzen  der  vier  oberen  Rücken-  und  zwei 
tintei^n  Halswirbel,  zu   den    Querfortsätzen   der  fünf  oberen  Hals- 
wirbel läuft. 

Die  vereinigte  Thätigkeit  des  Sacro-lumbcdis  und  Longissimus 
dorn  auf  beiden  Seiten,  streckt  den  Rücken;  auf  einer  Seite  wir- 
kendy  krümmen  sie  die  Wirbelsäule  seithch.  Der  Sacro-lumbalis 
kann  auch  die  Rippen  beim  Ausathmen  herabziehen,  und  der  Cer- 
tnealia  cLScendens  und  Transversalis  cervicis  werden  die  Drehungen 
1er  Halswirbelsäule  unterstützen. 

Nach  T heile  bildet  der  MusetUus  sacro-lumhaXia  mit  dem  LongUsimtu  dorsi, 
keinen  gemeinschaftlichen,  als  Extensor  trund  communis  bezeichneten  Ursprungs- 
banch.  Es  geht  vielmehr  das  Fleisch  des  Sacrolumbalis  theils  von  der  Aussen- 
fl&che  der  Ursprongssehne  des  Longissimus  ab,  theils  entspringt  es  selbstständig 
mit  einer  schmalen  Sehne  an  der  äusseren  Lefze  des  hinteren  Endes  der  Crista 
099%»  ilei.  T  heile  hat  deshalb  den  alten  Namen  Sacro-lumhalis  in  lleo-costalis 
mngefonnt 

Eine  sorgfältige  Revision  dieser  Muskeln,  welche  zur  Aufstellung  eines 
ueaen  Musculus  costalis  dorsi  führte,  hat  Luschka  vorgenommen  (Afü^^'«  Archiv, 
1864).  —  Derselbe  vielverdiente  Autor  entdeckte  in  der  Sacralgegend  einen,  der 
Verbindungsstelle  der  Cornua  sacralia  mit  den  Comua  coccygea  entsprechenden, 
subcutanen  Schleimbeutel,  welcher,  wenn  auch  nicht  constant,  doch  auch  nicht 
SU  den  anomalen  Bildungen  gehört  (Zeitschrift  für  rat.  Med.  8.  Bd.). 

Nach  Entfernung  der  Rippeninsertionen  des  Sacrolumbalis 
kommt  man  zur  Ansicht  der  Rippenheber,  Levatores  costarum, 
welche  an  den  Spitzen  der  Querfortsätze,  vom  7.  Halswirbel  bis 
zum    11.   Brustwirbel    herab,    entspringen,    und   sich,    etwas   breiter 


442  §•  ^^^'    L&nge   RflckenrooRkeln. 

werdend,  an  der  nächst  unteren  Rippe,  auswärts  vom  Tuberculum, 
festsetzen.  Sie  heissen  Levatores  costarum  breves.  An  den  unteren 
Rippen  finden  sich  noch  die  Levatm^es  longij  welche  nicht  zur  nächst 
unteren  Rippe,  sondern  zur  zweit  folgenden  herabsteigen. 

Unter  dem  Splenius  capitis  et  colli,  zwischen  den  Domfort- 
sätzen der  Wirbelsäule  und  dem  Transversalis  cervicis,  liegen  drei, 
durch  eingewebte  Sehnenstreifen  gekennzeichnete  Muskeln:  der 
Zweibäuchige,  der  grosse  und  kleine  Durchflochtene. 

Der  zweibäuchige  Nackenmuskel^  Musculus  biventer  cer- 
vicisj  entspringt  mit  drei  oder  vier  tendinösen  Zacken  von  den 
Spitzen  der  Querfortsätze  eben  so  vieler  oberer  Rückenwirbel,  ein- 
wärts von  den  Insertionen  des  Longissimus  dorsij  wird  bald  nach 
seinem  Ursprünge  fleischig  (unterer  Bauch),  steigt  schief  nach  innen 
in  die  Höhe,  und  geht  in  eine  2 — 3  Zoll  lange  Sehne  tiber,  welche 
in  der  Gegend  des  sechsten  Halswirbels  vollkommen  fleischlos  ist. 
Sie  verwandelt  sich  tiber  dem  sechsten  Halswirbel  wieder  in  einen 
Muskelstrang  (oberer  Bauch),  welcher  häufig  eine  Insci*iptio  tendinea 
zeigt,  und  sich  zuletzt  unterhalb  der  Linea  seniicircularis  supeinor 
des  Hinterhauptes  ansetzt.  Zieht  den  Kopf  nach  hinten. 

Der  grosse  durchflochtene  Muskel,  Muscubis  complexus 
majoTy  liegt  neben  dem  vorigen  nach  aussen,  und  ist  oft  gänzlich 
mit  ihm  verwachsen.  Er  entspringt  gewöhnlich  mit  sieben  Bündeln 
von  den  Proce^sihtis  transversüt  der  vier  unteren  Halswirbel,  und 
der  drei  oberen  Brustwirbel,  so  wie  von  den  Gelenkfortsätzen  des 
dritten  bis  sechsten  Halswirbels,  und  endigt,  mit  mehreren  Sehnen- 
bttndeln  durchwirkt,  in  dem  Zwischenräume  der  oberen  und  unte- 
ren halbmondförmigen  Linie  des  Hinterhauptbeins.  Wirkt  wie  der 
^Zweibäuchige. 

Der  kleine  durchflochtene  Muskel,  auch  Nackenwar- 
zenmuskel, Musculus  cxmiplexus  min(yr  s.  trachelo-inastoUleus  (Tpoyr^Xo;, 
Nacken),  liegt  zwischen  Complexus  major  und  Transversalis  cervicisy 
und  ist  vom  letzteren  häufig  nicht  zu  trennen.  Er  entspringt  von 
den  Querfortsätzen  und  Gelenkfortsätzen  der  vier  unteren  Hals- 
wirbel, und  der  drei  oberen  Brustwirbel,  steigt  gerade  aufwärts,  und 
befestigt  sich  am  hinteren  Rande  des  Warzenfortsatzes.  Zieht  den 
Kopf  nach  hinten,  und  dreht  ihn  zugleich. 

Die  jetzt  an  die  Reihe  kommenden  Dorn-  und  Halbdornmus- 
keln des  Rückens  und  Nackens  sind  theils  unter  sich,  theils  mit 
ihren  angrenzenden  Nachbarn  mehr  weniger  innig  verschmolzen, 
und  können  deshalb  nur  mit  grosser  Präparirgewandtheit  nach  dem 
Texte  ihrer  Besclireibung  dargestellt  worden. 

Der  Dornmuskel  des  Rückens,  Musculus  spinalis  dorsi, 
liegt  zwischen  dem  Longissimus  dorsi  und  den  Wirbeldornen,  — 
dicht  an  letzteren.    Er  entspringt   von  den  Dornfortsätzen  der  zwei 


§.  180.   Karze  Rfickenmoskeln.  443 

oberen  Lendenwirbel  und  der  drei  unteren  Brustwirbel,  geht  am 
Dornfortsatz  des  neunten  Brustwirbels  vorbei,  und  setzt  sich  an 
die  darüber  folgenden  Domen  bis  zum  zweiten  Brustwirbel  hinauf 
fest.  Er  lässt  sich  gewöhnHch  nur  schwer  und  künstlich  vom  Lon- 
güsimus  dorsi,  und  vom  Multifidus  spinae  trennen,  welchen  er  be- 
deckt. Hilft  die  Wirbelsäule  strecken. 

Der  Halbdornmuskel  des  Rückens,  Musculus  seniispinalis 
dorsif  entspringt  mit  sechs  langen,  sehnigen  Fascikeln  von  den  Quer- 
fortsätzen des  sechsten  bis  eilften  Brustwirbels.  Die  ürsprungs- 
sehnen  sammeln  sich  zu  einem  £achen  Muskelbauch,  der  sich  nach 
oben  und  innen  in  sechs  Spitzen  auszieht,  welche  mit  platt  rund- 
lichen Sehnen  sich  an  den  Dornfortsätzen  des  letzten  Halswirbels 
und  der  fünf  oberen  Brustwirbel  inscriren.  Er  unterstüzt  die  Seit- 
wärtsbiegung und  vielleicht  die  Axendrehung  der  Wirbelsäule. 

Der  Dornmuskel  des  Nackens,  Musculus  spinalis  ce)'vicis, 
verhält  sich  durch  Lage  imd  Wirkung  zur  Hals  Wirbelsäule,  wie 
der  Spinalis  denkst  zur  Brustwirbelsäule.  Man  kann  seiner  häufigen 
Variationen  wegen  von  ihm  nur  ungefähr  sagen,  dass  er  von  den 
Dornen  der  unteren  Halswirbel,  und  einiger  oberer  Rückenwirbel 
entspringt,  um  sich  an  den  Dornen  der  oberen  Halswirbel  (ohne 
Atlas)  zu  befestigen.   Er  streckt  den  Halstheil  der  Wirbelsäule. 

Der  Halbdornmuskel  des  Nackens,  Musculus  seviispinalis 
cei'vicis,  zeigt  uns  eine  Wiederholung  des  Seniisplnalis  dorsi  am 
Halse.  Er  wird  vom  Biventer  cei'vicis  und  Complexus  major  bedeckt, 
und  deckt  selbst  den  Spinalis  ceivicis  und  den  Multifidus  spinae. 
Er  entspringt  von  den  Spitzen  der  Querfortsätze  der  oberen  Rücken- 
wirbel, läuft  schräge  nach  oben  und  innen,  und  befestigt  sich  mit 
vier  sehnigen  Zacken  an  die  Dornfortsätze  des  zweiten  bis  fünften 
Halswirbels. 

Da  die  Richtung  seiner  Fasern  mit  jener  des  SemUpinali»  (lorsi  ganz  über, 
einstimmt,  und  sich  sein  unterstes  Bündel  an  das  oberste  des  letzteren  anschmiegt ; 
(was  aber  nicht  immer  der  Fall  ist,  indem  Ein  Wirbel  zwischen  beiden  frei  blei- 
ben kann),  so  Hessen  sich  der  SemhpinalU  dorni  \uu\  cnrvkln  in  Einen  Muskel 
contrahiren. 

Ueber  die  Analogie  der  Rilckenmuskeln  an  verschiedc-nen  Htellen  des 
Rückens  siehe  J.  Müller,  vergleichende  Anatomie  «Icr  Myxinoiden.   1.  Tbl. 


§.  180.  Kurze  ßückenmuskeln. 

Den  Nachtrab  dieses  zahlreichen  Heeres  von  langen  Kücken- 
muskeln bilden  die  kurzen.  Ihre  Bearbeitung  an  der  Leiche  ist 
der  mühsamste  Theil  der  Anatomie  der  Kückenmuskeln.  Sie  liegen, 
bedeckt  von  den  langen  Rückenmoftkeln^  unmittelbar  auf  den  Wir- 
beln auf;  und  bilden  kun  oer,  welche 


444  §•  IKO.    Kane  Rflckenmnskeln. 

entweder  zwischen  je   zwei  Wirbeln  sich   wiederholen,   oder    einen 
Wirbel,  seltener  zwei,  überspringen. 

Der  vielgespaltcne  Rückenmuskel,  Musculus  multißdus 
Spinae,  ist  eigentlich  nur  eine  Reihenfolge  vieler  kurzer  und  schiefer 
Muskclbündel,  welche  von  den  Gelenk-  und  Querfortsätzen  unterer 
Wirbel,  zu  den  Dornfortsätzen  oberer  Wirbel  hinziehen.  Die  Ur- 
sprungsstellen dieser  zahlreichen  Bündel  sind  a.  am  Kreuzbeine: 
die  Cristae  sacraUs  laterales,  ß.  an  den  Lendenwirbeln:  die  Processus 
accessm-ü  und  obliqui,  y.  an  der  Brust:  die  oberen  Ränder  der  Quer- 
fortsätze, S.  am  Halse:  die  Gelenkfortsätze  der  vier  unteren  Hals- 
wirbel. Von  jedem  dieser  Punkte  entspringen  Muskelbündel,  welche 
theils  zum  nächst  darüber  liegenden  Dornfortsatze,  theils  zum  zwei- 
ten, auch  dritten  oberen  Dorne  (bis  ziun  zweiten  Halswirbel  liinauf), 
schräge  nach  innen  und  oben  gerichtet  sind. 

Jene  tiefgelegenen  Bündel  des  MuUifidtu  «pinae,  welche  fast  quer  von  ihren 
Ursprnngspunkten,  zum  unteren  Rand  des  Bogens  und  zur  Basis  des  Domfort- 
satzes des  nächst  darüber  liegenden  Wirbels  sich  erstrecken,  wurden  von  T heile 
als  Hotatores  dorsi  beschrieben.  Es  ist  klar,  dass,  je  mehr  die  Richtung  eines 
Bündels  sich  der  queren  nähert,  seine  Zusammenziehung  desto  leichter  eine 
Drehung  des  darüber  liegenden  Wirbels  auf  dem  darunter  liegenden  bewirken, 
und  dass,  je  schiefer  die  Bündel  aufsteigen,  ihre  Wirkung  desto  mehr  auf  ein 
Strecken  der  Wirbelsäule  abzielen  wird. 

Die  Zwischendornmuskeln,  Musculi  interspinales ^  finden 
sich,  mit  Ausnahme  des  dritten  bis  zehnten  Brustwirbels,  zwischen 
je  zwei  Domfortsätzen.  Sie  sind,  wo  sie  vorkommen,  immer  paarig, 
und  werden  durch  die  Zwischendombänder  von  einander  gehalten. 
An  den  Halswirbeln  lassen  sie  sich,  wegen  der  gabeligen  Spaltung 
der  Domfortsätze  in  zwei  Höcker,  am  besten  darstellen. 

Die  Zwischenquerfortsatzmuskeln,  Musculi  intertransver- 
sarii,  füllen  den  Zwischenraum  zweier  Querfortsätze  aus.  Am  Halse 
treten  sie  am  entwickeltsten  auf,  und  kommen  auf  beiden  Seiten 
doppelt  vor,  als  antici  und  posticiy  indem  sie  an  den  vorderen  und 
hinteren  Schenkeln  der  durchbohrten  Querfortsätze  entspringen  und 
endigen.  An  der  Brust  fehlen  sie  für  die  oberen  Brustwirbel  gänz- 
lich, und  treten  zwischen  den  unteren  nur  einfach  auf.  Am  Len- 
densegment der  Wirbelsäule  werden  sie  wieder  doppelt.  Die  vor- 
deren liegen  hier  zwischen  je  zwei  Querfortsätzen  [Processus  costani), 
die  hinteren  zwischen  je  zwei  Processihus  obliquis. 

In  einzelnen  Fällen  findet  sich,  zwischen  der  hinteren  Fläche  des  letzten 
Kreuzwirbels  und  dem  unteren  Steissbeinstückc,  ein  doppelter  sehniger  Muskcl- 
strang,  als  Wiederholung  des  bei  mehreren  Säugethieren  vorkommenden  Sacro- 
coccygetu  postictu  m.  Extensor  coccygit. 

Da  jene  Rückenmuskeln,  welche  sich  bis  an  den  Hals  hinauf 
erstrecken  (Semispinalis  et  Spinalis  colli,  Multißdus)  nicht  über  den 
Dorn  des  Epistropheus  hinausreichen,  somit  nicht  an  das  Hinterhaupt 


§.  180.    Karze  Kflckenmuskeln.  445 

treten^  so  wurde  ftlr  den  Raum  zwischen  EpUtropheus  und  Occiput 
eine  eigene  Muskulatur  noth wendig,  welche  in  die  drei  hinte- 
ren geraden,  und  zwei  hinteren  schiefen  Kopfmuskeln 
zerfällt. 

Der  grosse  hintere  gerade  Kopfmuskel^  Musculus  rectiis 
capitis  posticus  major y  entspringt  vom  Dorn  des  zweiten  Halswirbels, 
überschreitet  den  hinteren  Bogen  des  Atlas,  wird  im  Aufsteigen  brei- 
ter, grenzt  mit  dem  der  anderen  Seite,  und  befestigt  sich  an  der 
linea  semidrcvlains  infeinor  des  Hinterhauptbeins.  Er  entspricht  dem 
Spinalis  dorsi  und  colli.  Drängt  man  die  beiden  Recti  capitis  postici 
majores  auseinander,  so  findet  man  zwischen  ihnen  in  der  Tiefe  die 
beiden  kleinen  hinteren  geraden  Kopfmuskeln,  Musculi  recti 
capitis  postici  minores.  Diese,  mehr  sehnigen  als  fleischigen  Muskeln, 
gehen  vom  Tuherculum  posterius  atlantis  zur  selben  Insertionsstelle, 
wie  die  grossen.  Beide  strecken  den  Kopf,  und  sind  den  Zwischen- 
dommuskeln  des  Rtlckens  analog. 

Der  seitliche  hintere  gerade  Kopfmuskel,  Musculus  rectus 
capitis  posticus  lateralisy  entspringt  von  den  Seitentheilen  des  Atlas, 
und  befestigt  sich,  gerade  aufsteigend,  hinter  dem  Foi'ainen  jugulare 
an  den  Processus  jugularis  des  Hinterhauptbeins.  Er  lässt  sich  eben- 
sogut als  oberster  Intertransversuriu^  posticus  der  Wirbelsäule  auf- 
fassen, als  wir  im  Rectus  capitis  anticus  lateralis  (§.  165)  einen  Inter- 
transversarius  anticus  erkannt  haben. 

Der  obere  schiefe  Kopfmuskel,  Musculus  obliquus  capitis 
superior  s.  minor,  entsteht  an  der  Spitze  des  Querfortsatzes  des 
Atlas,  und  endigt,  schräge  nach  innen  und  oben  laufend,  an  der 
Linea  semicirculains  inferior  des  Hinterhauptes,  nach  aussen  von 
den  Rectis,  Streckt  den  Kopf,  und  kann  nicht,  wie  Theilc  anführt, 
als  eine  Wiederholung  der  Rotatores  dorsi  angeschen  werden,  da 
das  Hinterhauptbein  auf  dem  Atlas  keine  Drehbewegung  ausführen 
kann.  Er  entspricht  vielmehr  dem  Seniispinalis  der  Wirbelsäule, 
wobei  natürlich,  wie  bei  den  vorhergehenden  Vergleichungen,  die 
Protuberantia  occipitalis  externa^  mit  ihren  beiden  Lineis  semicircula- 
ribuSf  als  ein  Aequivalent  eines  Dornfortsatzes  des  Hinterhauptwir- 
bels angesehen  werden  muss. 

Der  untere  schiefe  Kopfmuskel,  Musculus  obliquus  capitis 
inferior  s,  major,  entspringt  seitUch  am  Dornfortsatz  des  Epistro- 
pheus,  und  endigt,  schräge  nach  aussen  und  oben  ziehend,  am  hin- 
teren Rande  des  Querfortsatzes  des  Atlas.  Dreht  den  Atlas,  und 
somit  auch  den  Kopf,  welcher  vom  Atlas  getragen  wird,  um  den 
Zahnfortsatz  des  Epistropheus,  —  er  ist  der  eigentliche  Ba^ 
pitisy  und  lässt  sich  mit  keinem  anderen  Mmkel  ^ 
gleichen. 


446  §•  1^1*   AUgeiutsiue  Belracbtang  der  Form  der  oberen  Exiremiiiit. 

Hat  mau  diese  zierlichen  Muskeln,  auf  beiden  Seiten  dargestellt,  so  bilden 
die  zwei  rechten  und  linken  Ohliqui  zusammen  einen  Rhombus,  in  dessen  senk- 
rechter Diagonale  die  Recti  so  aufsteigen,  wie  die  geraden  Portionen  der  beiden 
Longi  colli  in  dem  Khombus  der  schiefen  (§.  165). 


F.  Muskeln  der  oberen  Extremität. 

§.181.  Allgemeine  Betrachtung  derPonn  der  oberen  Extremität. 

Von  den  Knochen  der  Schulter  wird  das  Schlüsselbein  an 
seiner  vorderen  Seite  ^  gar  nicht,  und  an  seiner  oberen  nur  theil- 
weise  von  Muskeln  bedeckt,  während  das  Schulterblatt  so  allseitig 
von  Muskeln  eingehüllt  erscheint,  dass  nur  der  Rand  seiner  Spina, 
so  wie  das  Akromion  davon  frei  bleiben.  Es  lassen  sich  deshalb 
die  Clavicula  und  die  Spina  scapnlae  durch  die  Haut  hindurch  leicht 
mit  dem  Finger  fuhlen,  und'  bis  zu  ihrer  Verbindung  am  Akromion 
verfolgen.  Unter  dem  Akromion  folgt  die  durch  den  Oberarmkopf 
und  den  darauf  liegenden  Deltamuskel  bedingte  Wölbung  der  Schul- 
ter, an  deren  innerer,  dem  Stamme  zugekehrter  Seite,  eine  bei 
herabhängendem  Arme  tiefe,  bei  »aufgehobenem  seichter  werdende 
Grube  liegt  (Axüla  oder  Ala.  Ita  veatra  axilla,  afa  factu  est,  elisione 
syllahae  vastioris.  Cic).  Sie  wird  vorn  durch  den  Pectoralis  major 
und  minor,  hinten  durch  den  Latissimus  doi'ni  und  den  Tei'ea  major, 
innen  durch  die  Seitenwand  des  Thorax,  und  aussen  durch  das 
Schultergelcnk  begrenzt. 

Unter  der  Wölbung  des  Schultergelenks  erstreckt  sich  der 
Oberarm,  mehr  weniger  gleichförmig  gerundet,  zum  Ellbogen  herab, 
wo  er  etwas  breiter  und  flacher  wird,  an  seiner  vordc^ren  Seite  die 
seichte  Grube  der  Ellbogenbeuge,  an  seiner  hinteren  den  Vorsprung 
des  Olekranon,  aussen  und  innen  die  leicht  fühlbaren  Condyli  er- 
kennen lässt.  Der  Vorderarm,  welcher  am  Ellbogen  am  dicksten 
und  fleischigsten  ist,  verschmächtigt  sich  gegen  die  Handwurzel  zu, 
verliert  seine  Rundung,  indem  seine  Dicke  mehr  abnimmt,  als  seine 
Breite.  YjY  lässt  die  Ulna  ihrer  ganzen  Länge  nach,  den  Radius  nur 
an  seiner  unteren  Hälfte  durch  die  Haut  durch  fühlen,  und  geht 
mittelst  der  Handwurzel  in  den  Handteller  mit  seinen  bekannten 
Eigenthümlichkeiten  über. 

Die  Hautbedeckung  der  oberen  Extremität  schiebt  sich  von 
der  Brust  und  dem  Rücken  gegen  die  Schulter  hin,  bedeckt  das 
Schlüsselbein  nur  lose,  hängt  an  das  Akromion  fester  an,  und  lässt 
sich  von  ihm  nicht  als  Falte  aufheben.  Einem  für  die  oberen  und 
unteren  Gliedmassen  geltenden  Gesetze  zufolge,  ist  die  Haut  an  der 
Streckseite  sämmtlicher  Gelenke   derber  und  dicker,  an  den  Beuge- 


§.  181.   Allgemeino  Beiruuhtiing  der  Form  der  obereu  Extromitäi.  447 

Stellen  um  so  feiner  und  zarter,  je  tiefer  gehöhlt  diese  sind.  Sie 
wird  somit  in  der  Achselgrube  feiner,  als  im  Ellbogenbug,  und  in 
diesem  wieder  dünner,  als  an  der  Beugeseite  der  Handwurzel  sein. 
An  letzterer  Stelle  fällt  eine,  den  Vorderarm  von  der  Hand  tren- 
nende, nach  unten  convexe  Hautfurche  auf,  welche  bei  der  Beu- 
gung der  Hand  tiefer  wird,  und  selbst  bei  grösster  Streckung  der 
Hand  nie  ganz  verschwindet.  Bei  neugeborenen  Kindern,  so  wie 
an  fettreichen  oder  hydropischen  Armen,  erscheint  die  Furche  be- 
sonders tief,  und  die  Carpalgegend  bekommt  das  Ansehen,  als 
wenn  sie  mit  einem  Faden  umschnürt  wäre.  Diese  Furche  entspricht 
genau  der  Articidatioli  zwischen  Vorderarm  und  erster  Handwurzel- 
reihe. Unter  ihr  fühlt  man  die  harten  Vorsprünge  der  Eminentiae 
carpiy  auf  welche  die  musculösen  Wülste  des  äusseren  und  inneren 
Handballens  folgen,  welche  beim  Hohlmachen  der  Hand  die  seit- 
lichen Begrenzungen  einer  seichten  Vertiefung  bilden,  in  welcher 
mehrere,  auch  bei  flach  gemachter  Hand  fortbestehende  Furchen 
auffallen,  welche  dem  Aberglauben  das  Schicksal  des  Menschen 
verkünden,  dem  Anatomen  aber,  nur  ihrer  constantcn  Beziehung 
zu  gewissen  tief  liegenden  Gebilden  der  Hohlhand  wegen  kennens- 
werth  sind,  und  deshalb  Erwähnung  verdienen.  Die  Furchen  bilden 
sich  keineswegs  durch  Knickung  der  Haut  in  Folge  des  öfteren 
Hohlmachens  der  Hand,  denn  sie  sind  schon  im  Enibryoleben  mit 
derselben  Schärfe  gezeichnet,  wie  im  Erwachsenen.  Die  den  Fingern 
am  nächsten  gelegene  Hohlhandfurche  {Linea  Diensalls  der  Chiro- 
manten) entspringt  zwischen  Zeige-  und  Mittelfinger,  und  endet  am 
Ulnarrande  der  Hohlhand.  Sie  entspricht  der  Articulatio  metncarpo- 
2)halangea  der  drei  letzten  Finger.  Die  zweite  (Linea  vitalU)  ent- 
steht zwischen  Daumen  und  Zeigefinger,  und  zieht  durch  die  Hohl- 
hand nach  aufwärts,  um  in  der  früher  erwähnten  Grenzfurche 
zwischen  Vorderarm  und  Hand  (die  liasceta  der  Chiromanten)  zu 
endigen.  Sie  umkreist  den  Ursprung  des  Zuziehers  des  Daumens, 
und  führt,  wenn  man  an  ihrem  oberen  Ende  einschneidet,  auf  den 
Mediannerv.  Die  erste  und  zweite  Furche  kehren  siclr  wie  ein 
schiefes  )(  ihre  convexen  Seiten  zu,  welche  entweder  durch  zwei 
kleinere,  im  Winkel  zusammenlaufende  Furchen  vereinigt  werden, 
und  die  Gestalt  eines  M  annehmen,  oder  imvereinigt  bleiben,  und 
eine  dritte  Furche  zwischen  sich  aufnehmen,  welche  mit  der  zwei- 
ten gemeinschaftlichen  Ursprung  hat,  und  nicht  ganz  bis  zum  Ul- 
narrand  der  Hand  verläuft.  Wenn  man  in  ihr  einschneidet,  kommt 
man  präcis  auf  die  Ursprünge  der  Musculi  lumbricales. 

Die  Dorsidseite  der  Hand  lässt  bei  dürren  Händen  die  Sehnen 
sämmtlicher  Streckmuskeln   der  Finger  erkennen^  welche,  weim  «a 
sich    anspannen,    durch    Zwischengruben   getre**' 
schönen   Händen  muss  der  Ulnarrand  fr 


448  §•   1^1-    Allgemeine  Betrachtnng  der  Form  der  oberen  ExtremiUi. 

springendes  Capitulum  ossis  metacarpi  digiti  minimi  höckerig  auf- 
getrieben sein;  die  massig  konisch  zulaufenden  Finger  müssen,  wenn 
sie  aneinander  gelegt  werden,  mit  ihren  Spitzen  etwas  convergiren; 
man  darf  weder  Muskelsehnen,  noch  blaue  Venen  am  Handrücken 
sehen,  und  an  jeder  Articulatio  metacarpo-phalangea  soll  bei  Stre- 
ckung der  Finger  ein  kleines  Grübchen  einsinken.  —  Derlei  An- 
gaben interessiren  mehr  den  Maler,  als  den  Anatomen. 

Das  subcutane  Bindegewebe  ist  an  der  vorderen  und  hinteren 
Gegend  der  Schulter  gleich  lax,  und  adhärirt  fester  an  die  Haut, 
als  an  die  unter  ihm  liegende  Fascie.  Es  kann  sich  ziemlich  reich- 
lich mit  Fettcysten  füllen,  bleibt  jedoch  über  den  Knochenvor- 
sprüngen auch  bei  grosser  Wohlbcleibtheit  fettarm.  Am  Akromion 
nimmt  es  gerne  eine  subcutane  Bursa  mticosa  auf,  welche  nach 
meinen  Erfahrungen  bei  Individuen,  welche  häufig  Lasten  auf  den 
Schultern,  oder  mittelst  breiter  Schulterbänder  auf  dem  Rücken 
tragen,  nie  fehlt.  Am  Oberarme  ist  es  bei  Kindern  und  Weibern 
in  den  Furchen  zwischen  den  Muskeln  mächtiger,  und  rundet  da- 
durch die  Form  der  Gliedmasse.  Schwindet  es  durch  harte  Arbeit 
oder  colliquative  Krankheiten,  so  treten  die  Muskelstränge  deut- 
licher hervor,  was  besonders  vom  zweiköpfigen  Armnmskel  gilt,  an 
dessen  äusserer  und  innerer  Seite  ein  longitudinaler  Eindruck,  der 
Sulcus  bicipitalis  extemus  et  inteimtis,  entsteht.  In  der  Achsel  ver- 
schmilzt es  mit  der  Fascie,  und  bleibt  fettarm;  nimmt  dagegen 
Lymphdrüsen  auf.  In  seinen  tieferen  Schichten  verlaufen  die  sub- 
cutanen Gefässc  und  Nerven.  Von  diesen  sind  besonders  die  Venen 
bemcrkenswerth,  welche  bei  ungewohnter  Anstrengung,  und  bei 
Athmungshindernissen  turgescircn,  als  blaue  Wülste  ihren  Lauf 
durch  die  Haut  verrathen,  und  deshalb  allgemein  in  der  Ellbogen- 
beuge zur  Vornahme  der  Aderlasse  benützt  werden.  Am  Olekranon 
bleibt  es  fettlos,  und  zeigt  daselbst  einen  subcutanen  Schleimbeutel, 
der,  wenn  er  durch  Zunahme  seines  flüssigen  Inhalts  anschwillt, 
eine  äusserlich  sichtbare  Geschwulst  bildet,  die  unter  den  Arbeitern 
in  den  englischen  Kohlengruben  häufig  vorkommen  soll,  und  dort 
unter  dem  Namen  the  miners  elbow  bekannt  ist.  Gegen  den  Carpus 
vermindert  sich  der  Fettreichthum  des  subcutanen  Bindegewebes, 
und  ist  am  Rücken  der  Hand  immer  geringer,  als  in  der  Hohlhand. 
—  Unter  dem  subcutanen  Bindegewebe  folgt  eine  dünne,  fettlose 
Fascia  superficialis^  und  auf  diese  die  eigentliche  Fascie  der  oberen 
Extremität,  deren  Untersuchung  die  Kenntniss  der  Muskeln  voraus- 
setzt, und  deshalb  später  (§.  186)  folgt. 


$.  182.   Mnikeln  an  der  Schulter.  449 


§.  182.  Muskeln  an  der  Schulter. 

Um  die  Muskeln  der  oberen  Extremität  mit  Erfolg  an  der 
Leiche  zu  studiren,  muss  man  sich  die  Angaben  gegenwärtig  hal- 
ten, welche  in  §.  186  über  die  Fascie  der  oberen  Extremität  ent- 
halten sind. 

Die  Muskeln,  welche  die  fleischigen  Lager  um  und  auf  der 
Schulter  bilden,  dienen  entweder  dazu,  das  Schulterblatt,  oder  den 
Oberarm,  ja  selbst  den  Vorderarm,  zu  bewegen.  Erstere  {Cucul- 
h/i'is,  Rhomboideus,  Serratus  anticus  majore  und  Pectoralis  minor)  wur- 
den, da  sie  anderen  Gegenden  angehören,  so  wie  der  Latissimus 
darsi  und  Pectoralis  major^  schon  früher  geschildert. 

Das  Schnlterblatt,  welches,  mir  durch  die  sehr  kleine  Gelenkfläche  am 
Akromion,  mit  dem  Schlüsselbeine,  und  durch  dieses  mit  dem  Brustkasten  in 
Verbindung  steht,  bietet  die  ganze  Ausdehnung  seiner  Flächen,  seiner  Fortsätze, 
und  seinen  äusseren  Rand,  den  Muskeln  des  Armes  zum  Ursprünge  dar.  Seine 
grosse  Verschiebbarkeit  verändert  vielfältig  den  Standpunkt  des  Schultergelenkes, 
und  begünstigt  wesentlich  die  freie  Beweglichkeit  der  oberen  Extremität.  Wür- 
den die  hier  zu  erörternden  Muskeln  des  Armes  nicht  vom  beweglichen  Schul- 
terblatte, sondern  von  fixen  Punkten  des  Stammes  entspringen,  so  würden  sie  bei 
den  Stellungsveränderungen  der  oberen  Extremität  eine  Zerrung  erleiden  müssen, 
welche  mit  der  Freiheit  des  Schultorgelenkes  unvereinbar  ist 

Der  Deltamuskel,  Musculus  deltoides  (^-eiSrjq,  oder  besser 
^^-£iByj;),  auch  Attollens  humerum^  deckt  als  dreieckige,  im  Allgemei- 
nen aus  zahlreichen,  nach  unten  convergirenden  Fleischbündeln  be- 
stehende Muskelmasse,  den  kugeligen  Vorsprung  des  Schultergelenks. 
Er  entspringt  mit  breiter  Basis  vom  vorderen  concaven  Rande  der 
Extremitas  acromialis  des  Scldtisselbeins  als  Portio  clavicularis,  vom 
äusseren  Rfinde  der  Schulterhöhe  als  Portio  acromialis,  und  von  dem 
grösseren  Theile  der  Schulterblattgräte  als  Portio  scapularis  (also 
genau  an  denselben  Punkten,  an  welchen  der  CucuUaris  endigte), 
und  befestigt  sich,  indem  seine  Bündel  in  eine  kurze  aber  starke 
Endsehne  zusammenlaufen,  an  der  Rauhigkeit  in  der  Mitte  der 
äusseren  Fläche  des  Oberarmknochens.  Seine  Schlüsselbeinportion 
ist  von  der  Acromialportion  immer  durch  eine  Spalte  getrennt. 
Selten  existirt  eine  solche  auch  zwischen  der  Acromial-  und  Gräten- 
portion. Zwischen  ihm  und  der  Kapsel  des  Schultergelenks  liegt, 
sich  tief  unter  das  Akromion  hinein  erstreckend,  ein  ansehnlicher 
Schleimbeutel,  der  zuweilen  doppelt,  selten  selbst  mehrftlcherig 
wird.  Der  Deltamuskel  hebt  den  Arm.  Dass  hiebei  seine  mittlere 
Portion,  welche  vom  Akromion  entspringt,  besonders  thätig  isiy 
kann  man  an  der  eigenen  Schulter  mittelst  der  suf^ 
deutlich  fühlen. 

Hyril,  Lohrbucb  Jer  Anatomie. 


450  S-  182.    Maslteln  an  der  Schulter. 

Seine  äussere  und  innere  Fläche  sind  mit  einer  dünnen  Fascie  überzofjen, 
welche  durch  Dodoubliren  der  Fiiscie  des  Oberarms  gebildet  wird.  —  Zuweilen 
schliesst  sich  an  den  hinteren  Rand  des  Deltoides  ein  von  der,  den  JiifraJtpinatu» 
deckenden  Fascie  entsprinji^endes  Fleischbündel  «in.  T  heile  (in  Sömmei'rinyn 
Muskellehre,  pag.  230)  beobachtete  einen  zweiten,  tiefliegenden,  l'/^  Zoll  breiten 
Armheber,  welcher  von  der  Kapsel  des  Schultergelenks  entsprang,  und  ich  sah 
mehrmals  einen  vom  Akromion  entstehenden  Spanner  der  Schulterkapsel,  als  ein 
vom  Fleische  des  Deltoides  losgerissenes,  und  solbstständig  gewordenes  Bündel- 
chen auftreten.  —  Bei  jenen  Thieren,  welche  kein  Schlüsselbein  besitzen,  gehen 
die  Clavicularportionen  des  Deltoides  und  Cucullaris  unmittelbar  in  einander  über. 

Der  Obergräten niuskel,  Musciihts  supraspinatu^y  wird  von 
der  Gräteninsertion  des  Cucidlaris  bedeckt,  liegt  in  der  Fossa  snpra- 
apinatay  von  welcher  er  entspringt,  und  geht  unter  dem  Akromion 
zum  Tuherculum  majus  des  Oberarmknochens,  «an  dessen  obersten 
Muskeleindruck  er  sich  inserirt.  Hebt  den  Ann,  hilft  ihn  nach 
aussen  rollen,  und  schützt  gleiclizeitig  die  Kapsel  durch  Spannung 
vor  möglicher  Einklemmung. 

Der  Untergräten muskel,  Musculus  infraspinattiB,  entspringt, 
wie  sein  Name  ausdrückt,  von  der  Fossa  infraspinatay  wird  vom 
Grätenursprung  des  Deltoides  zum  Thcil  bedeckt,  und  geht  tlber 
die  hintere  Seite  des  Schultergelenks  (Schleimbeutel)  nach  aus-  und 
aufwärts  zum  mittleren  Eindruck  des  Tubercubim  majus.  Rollt  den 
Arm  nach  aussen,    und   zieht  ihn,  wenn  er  aufgehoben  war,  nieder. 

Der  kleine  runde  Arm  muskel,  Mnscnlns  teres  minor  ^  ent- 
springt vom  oberen  Theile  de»  äusseren  Schulterblattrandes,  ßchmi(»gt 
«ich  an  den  unteren  Rand  des  Infraspinatus  an,  mit  welchem  er 
sehr  oft  verschmilzt,  und  (^ndigt  am  unteren  Eindruck  des  Tvher- 
aUum  majus.  Wirkt  wie  der  Infraspinatus. 

Da  das  Tuhn-mlinn  mojvM  deu  drei  Auswärtsrfillorn  drs  Oberanns  zum 
Angritrspunkt  diont,  könnte  rs  als  Tiiheraihim  Aujßinafonnmy  —  und  das  Tuhrr- 
ntlnni  miiiuA,  welches  als  Hebel;inii  den  P'inwärtsrollern  gejiört,  als  Ttilnrmltim 
proiuttm'ium  be/.eiehuet  werden.  Die  zur  Läiigenaxe  des  Oberarmbeins  quen* 
Richtung  der  Kollmuskeln,  und  die  IFTthe  der  Tubercula,  sind  für  di«-  leielitr 
Ausführbarkeit  der  lv«>Iil»ewegungen  des  Armes  günstige  Momente. 

D<T  grosse  runde  Armmuskel,  Musculus  terrs-  major ,  wel- 
cher auch  als  Scapularursprung  des  l^ifissimus  dorsi  genommen 
werden  kcinntc^,  entsteht  ticf(*r  als  der  vorige,  bis  zum  unt(;reii  Winkel 
des  Schulterblattes  herab;  läuft  nach  auf-  und  vorwärt>5,  lässt  scuw 
platte  Sehne  sich  zwar  nicht  mit  der  breiten  Sehne  d(^s  J^aftssimus 
dorsi  vereinigen,  aber  doch  genau  an  sie  anlegen  (ein  Schleimbeutel 
zwischen  beiden),  und  l)ef(»stigt  sich,  wie  diese,  an  der  Spina  tuher- 
ndi  minoris.  Zieht  den  Arm  an  den  Stamm  und  etwas  rückwärts, 
dreht  ihn  zugleich  nach  innen. 

Der  grosse  und  kleine  ninde  Armmuskel  sind  durch  eine  Spalte  getrennt, 
durch  welche  der  lange  Kopf  des  Triceps  tritt. 


>; 


183.    Hnskeln  am  Oberarme.  451 


Der  Untcrschulterblattmuskel ,  Musculus  suhscapularis, 
nimmt  die  concave  vordere  Fläche  des  Schulterblattes  ein.  Er  ist 
deshalb,  so  lange  die  Extremität  noch  mit  dem  Stamme  zusammen- 
hängt, sehr  schwer  zugänglich,  wie  versenkt  zwischen  Schulterblatt 
und  Brustkasten  (daher  wohl  der  alte  Name  Musculus  immersus  bei 
Kiolan).  Er  steht  mit  dem  auf  der  Seitenwand  des  Brustkastens 
aufliegenden  Musculus  seiTutus  anticus  inajat'  in  Flächenberührung, 
von  welchem  er  durch  die  Fascia  suhscapularis ,  und  sehr  laxes,  ärm- 
liches Bindegewebe  getrennt  wird.  Er  entspringt  mit  spitzigen  sehni- 
gen Fascikeln  von  den  erhabenen  Leisten  an  der  vorderen  Schulter- 
blattfläche, und  mit  breiten  fleischigen  Bündeln  von  den  Feldern 
zwischen  den  Leisten.  Beide  Sorten  von  Bündeln  stecken  zwischen 
einander,  drängen  sich  im  Laufe  nach  auswärts  dichter  zusammen, 
und  heften  sich  an  eine  breite  Sehne,  welche  an  das  Tuhei^culum 
minus  und  die  von  ihm  herabsteigende  Spina  tritt.  Rollt  den  Arm 
nach  innen.  Zwischen  seiner  Sehne,  dem  H^lsc  der  Scapula,  und 
der  Basis  des  Processus  coracoideusj  liegt  ein  grosser  Schleimbeutel, 
wek'her  mit  der  Höhle  des  Schultergelenks  communicirt,  und  eine 
Ausstülpung  seiner  Synovialauskleidung  ist. 

Das  liusaerstc»  Bündel  de«  Sahscapvlaris  bleibt  bis  zu  seiner  Insertion  an 
der  Spina  tnhercnli  minoi'U  fleiscliij^,  und  wurde  von  Grub  er  als  Subscapitlaris 
minor  aufgefasst,  welcher  sich,  bezüglich  seiner  anatomischen  »Selbstständigkeit, 
zum  cigentlii'hcin  Suhscnpidaris  so  verhält,  wi(^  der  Teres  minor  zum  Infraitpinatun. 
Jlierüber,  uu<l  über  zahlreiche  andere  Anomalien  der  iSchultermuskeln,  handelt 
W.  Griiher^  die  Musculi  suhttcapularen  und  die  neuen  Schultermuskeln,  Peters- 
burg, 1857.  , 

Henke  hat  eine  sehr  wichtige  Action  der  hier  abgehandelten  Muskeln 
darin  constatirt,  dass  sie,  über  die  Schultergelenkskapsel  wegziehend,  der  mög- 
lii'hen  Kinknickung  der  Kapsel  durch  den  äusseren  Luftdruck  entgegenwirken,  und 
dadurch  den  Contact  der  Knochenflächen  im  Schultergelenk  aufrecht  erhalten. 


ij.   1S3.    Muskeln  am  Oberarme. 

Es  finden  sich  am  Oberarme,  an  seiner  vorderen  und  hinteren 
Seite,  Längenmuskeln  vor,  welche  entweder  an  ihm  entspringen,  wie 
der  Brachialis  intemms,  und  d(T  mittlere  und  kurze  Kopf  des  Trieeps, 
oder  an  ihm  endigen,  wie  der  Coracobrachialisy  oder,  von  der  Schul- 
ter kommend,  bh)s  über  ihn  weglaufen,  um  zum  Vorderarme  zu 
gelangen,  wie  der  Biceps,  und  der  lange  Kopf  des  Trieeps. 

A.  Muskeln  an  der  vorderen  Gegend  des  Oberarms, 

Der  zweiköpfige  Armmaskel,  Musculus  bieepa  traddL  lieirt 
an  der  vorderen  inneren  Seite  des  Obe*^ 


452 


§.  183.    Muskeln  am  Oberanne. 


sehnigen  Köpfen  vom  Schulterblatte,  und  endigt  an  der  Tuberositas 
radiu  Sein  kurzer  Kopf,  der  zugleich  der  schwächere  ist,  Cafut 
oreve  s.  Musculus  coraco-radialis,  entspringt,  mit  dem  Musculus  ctyraco- 
hrachialis  verwachsen,  vom  Processus  coi^acoideus.  Sein  langer  Kopf, 
Caput  longum  s.  Musculus  gleno-radialtSj  kommt  vom  oberen  Ende 
der  Gelenkfläche  des  Schulterblattes  her,  wo  er  eine  plattrundliche 
Sehne  bildet,  welche  innerhalb  der  Gelenkskapsel  sich  an  den  Ober- 
armkopf genau  anschmiegt,  in  der  Rinne  zwischen  den  beiden 
Tuberculis  des  Oberarms  die  Gelenkhöhle  verlässt,  und  noch  eine 
Strecke  weit  ausserhalb  der  Kapsel  durch  einen  scheidenartigen 
Fortsatz  der  Synovialhaut  des  Schultergelenks  umhüllt  wird.  Beide 
Köpfe  legen  sich  in  der  Mitte  des  Oberarms  zu  einem  gemein- 
schaftlichen Muskelbauch  aneinander,  welcher  über  dem  Ellbogen- 
gelenke in  eine  starke,  rundliche  Sehne  übergeht.  Diese  inserirt 
sich  in  der  Tiefe  der  Ellbogcnbeuge  an  die  Tuberositas  radn  (Schleim- 
beutel). Von  ihrem  inneren  Rande  geht,  bevor  sie  in  die  Beuge  des 
Ellbogens  tritt,  ein  plattes,  breites,  aponeurotisches  Fascikel  (Lacer- 
tus  fihrosus)j  schräg  nach  innen  ab,  um  die  fibröse  Scheide  des 
Vorderarms  zu  verstärken.  Dieses  Fascikel  lauft  brückenartig  über 
die  Plica  cubtti  hinweg.  —  Der  Biceps  dreht  im  ersten  Grade  seiner 
Wirkung  den  pronirten  Radius  nach  auswärts,  und  beugt  hierauf 
den  ganzen  Vorderarm. 

Eine  oftmals  vorkommendo  Abweichung  des  Muskels  liegt  in  der  Gegen- 
wart eines  dritten  Kopfes,  viel  schwächer  als  die  beiden  normalen,  und  von 
der  Mitte  der  inneren  Fläche  des  Oberarms,  über  dem  Brachialis  inteiniiut^  ent- 
stehend. Er  ist,  durch  Ursprung  und  Richtung  seiner  Fasern,  dem  Brarhialut 
internus  so  nahe  verwandt,  dass  ich  ilin  fiir  ein  von  diesem  Muskel  losgerissenes, 
und  dem  Biceps  zugetheiltes  Muskelbtindel  halte,  was  dadurch  bestätigt  wird, 
dass,  wenn  ein  dritter  Kopf  vorkommt,  der  BrachialU  internus  immer  schwächer, 
als  gewöhnlich,  erscheint.  Die  gleiche,  auf  Beugung  des  Vorderarms  berechnete 
Bestimmung  des  Biceps  und  Brachiali»  internus,  erlaubt  ihnen  diesen  Austausch 
ihrer  Fleischbündel.  Ich  habe  zugleich  gezeigt  (Oest.  Zeitschrift  für  prakt.  Heil- 
kunde, 18Ö9,  Nr.  28),  dass  das  Vorkommen  dieses  dritten  Bicepskopfes,  durch 
jene  Verlaufsauomalie  des  Nervus  cutaneus  extemus  bedungen  wird,  bei  welcher 
sich  dieser  Nerv,  statt  zwischen  Biceps  und  Brachialis  internus  durchzugehen,  in 
den  letzteren  einsenkt,  um  gleich  wieder  aus  ihm  aufzutinchen,  und  dadurch 
eine  Summe  Fasern  dieses  Muskels  von  den  übrigen  zu  isoliren,  welche  sofort 
dem  auf  ihnen  liegenden  Biceps  einverleibt  werden.  —  In  seltenen  Fällon  ver- 
mehrt sich  die  Zahl  der  Köpfe  sogar,  bis  auf  fünf  {Pietsrh  in  Roux  Journal  de 
m6d.  T.  31.  p.  245.)  Ich  sah  den  langen  Kopf  gänzlich  fehlen,  und  zweimal 
durch  eine  Sehnenachnur,  die  von  der  Kapsel  des  Schultergelenks  entsprang, 
ersetzt  werden. 

Unter  dem  Verstärkungsbündel,  welches  von  der  Endsehne  des  Biceps  zur 
fibrösen  Scheide  des  Vorderanns  abgelit,  liegt  die  Arteria  hrachialis^  und  einwärts 
von  ihr  der  Nervus  mediantu;  —  auf  demselben  befindet  sich  die  Vena  mediana 
hatilica^  welche  hier  von  den  Aesten  des  mittleren  Hautnerven  gekreuzt  wird, 
und  da  sie  zur  Vornahme  der  Aderlässe  gewählt  wird,  dieser  gefflhrlichen  Nach- 
barschaft wegen,  mit  besonderer  Vorsicht  geöffnet  werden  soll. 


§.  189.  Mnskeln  am  Oberanne.  453 

Im  Zustande  der  Contraction  bildet  der  Biceps  einen  prallen  Längonvor- 
sprang  (Eminentia  bidpüaUs),  an  dessen  Bändern  der  Sulcus  bicipitcUts  internus  et 
eoUentus  herabläuft.  In  der  Mitte  des  ersteren  schneidet  man  ein,  um  die  Arteria 
brachialia  zur  Unterbindung  aufzufinden.  Man  trifit  zuerst  auf  die  Vena  hanlicaj 
unter  ihr  auf  die  Faacia  brachiij  nach  deren  Spaltung  der  Nervus  medianua  zum 
Vorschein  kommt  Unter  diesem  liegt  die  Artena  brachialis,  zwischen  den  beiden 
Venae  brachiales^  welche  zuweilen  zu  einer  einzigen,  an  der  inneren  Seite  der 
Arterie  verlaufenden  Vene  verschmelzen.  —  Im  Sulcus  bicipilalis  extemusy  der 
sich  nach  oben  zwischen  Deltoides  und  Pectoralis  major  fortsetzt,  trifft  man  ausser- 
halb der  Fascie  die  Vena  cephalicay  und  in  der  unteren  Hälfte  des  Sulcus,  den 
Nervus  cutaneus  extemus,  innerhalb  der  Fascie  gelegen.  —  Die  alten  Anatomen 
nannten  den  Biceps  Pisciculusy  und  bei  italienischen  Anatomen  liest  man  heut  zu 
Tage  noch  öfters  Pescetto. 

Der  ßabenarmmuskel;  Musculus  coraco-hrackialis,  entspringt, 
mit  dem  kurzen  Kopfe  des  Biceps  verwachsen,  vom  Processus  cora- 
coldeusj  und  endigt  in  der  Mitte  des  Oberarmknochens,  am  unteren 
Ende  der  Spina  tuherculi  minoris.  Er  ist  durch  einen  längeren  oder 
kürzeren  Schlitz,  zum  Durchgang  des  Nervus  cutaneus  exteinius  ge- 
spalten, und  heisst  deshalb  auch  Musculus  perfat^atus  Casseini.  Nur 
selten  fehlt  diese  Perforation.  Er  zieht  den  Arm  nach  innen  und 
vom.  Man  überzeugt  sich  bei  sorgfältiger  Präparation  des  Muskels, 
dass  er  einen  spannenden  Einfluss  auf  das  später  zu  erwähnende 
Ligamentum  intermusculare  inteimum  ausübt  (§.  186). 

Er  hat  die  Gcfässe  und  Nerven  der  Achselhöhle  hinter  sich,  und  wird  vom 
Pectoralis  major  bedeckt.  Eine  höhere  Entwicklung  seines  Schlitzes  führt  zu  einer 
totalen  Längenspaltung  und  dadurch  zum  Doppeltwerden  des  Muskels,  wie  bei 
den  Affen.  Heule  lässt  den  Muskel  an  einem  Bandstreifen  endigen,  welcher 
vom  Tuherculuvi  intemum  zur  Mitte  der  inneren  Fläche  des  Oberarmbeins  herab- 
geht, und  unter  welchem  die  Arteria  circumflexa  hume?^  anterior  durchpassirt. 
Der  Muskel  soll  diesen  Bandstreifen  auflicben  und  spannen,  und  die  genannte 
Arterie  gegen  Compression  in  Schutz  nehmen  (Zeitschrift  für  rat.  Med.  8.  Bd. 
1.  Heft).  Ich  habe  diese  Insertion  öfters  gesehen,  halte  sie  aber  nicht  für 
die  Norm. 

Der  innere  Armmuskel,  Musculus  hrachialis  intei'nus,  ent- 
springt mit  seiner  äusseren  Zacke  von  der  äusseren  Fläche  des 
Oberarmknochens,  unterhalb  der  Insertionsstelle  des  Deltamuskels, 
und  mit  der  inneren,  von  der  inneren  Fläche  dieses  Knochens, 
unterhalb  dem  Ende  des  Coracobrachialis.  Er  liegt  unmittelbar 
auf  dem  Oberarmknochen  auf,  bedeckt  im  Herablaufen  die  Beuge- 
seitc  der  Ellbogenkapsel,  mit  welcher  er  durch  festes  Bindegewebe 
zusammenhängt,  bildet  den  Boden  der  Ellbogengrube,  und  inserirt 
sich  am  Processus  cwonoideu^  der  Ulna.  Beugt  den  Ellbogen,  und 
spannt  zugleich  die  Kapsel,  um  sie  während  der  Beugung  des  Ell- 
bogens vor  Einklemmung  zu  schützen. 

Ich    sah  an   muskelstarken  Armen   sein ,  äussentes  Bflndal 
ablösen,   um  mit  dorn  Supinator  tongus  xu  venehmelx 
zwischen  dem  Fleisch  dea  /^t^iwuiior  UmgmM  vai^ 


454  §•  1^*   Muskeln  am  Oberarme. 

scharf  bestimmt^  da  eine  mehr  weniger  ausgesprochene  Coalescenz  beider  Mus- 
keln stattfindet.  —  Die  Stelle,  wo  der  Deltamuskel  endigt,  und  die  äussere  Zacke 
des  Brachialvt  intemw<  beginnt,  ist  als  eine  leiclite  Dejircssion  schon  durch  dir. 
Haut  kennbar,  und  dient  als  gewöhnlicher  Applicationspunkt  der  Fontanellen  am 
Oberarm. 

B.    Muskeln  an  der  hinteren  Gegend  des  Oberarms, 

Der  dreiköpfige  Streckmuskel  des  Armes,  Musadus  tri- 
ceps  s.  Extenso^'  brachiiy  liegt  an  der  hinteren  und  äusseren  Seite 
des  Oberarms.  Die  alten  Anatomen  nannten  seine  3  Köpfe  An- 
conaei,  wegen  der  Insertion  am  Olekranon,  welches  von  ihnen  Pro- 
cessus anconaeus  genannt  wurde.  Ich  schiebe  diese  kurze  historische 
Bemerkung  hier  ein,  weil  sich  der  Schüler  ohne  sie  nicht  crklän.n 
könnte,  wie  so  auf  der  nächsten  Seite  auf  einmal  ein  Ancanaeus 
quartus  daher  kommt.  —  Der  lange  Kopf  des  Dreiköpfigen,  Caput 
longum  s,  Ancanaetis  longus,  entspringt  vom  äusseren  Schulterblatt- 
rande, gleich  unter  der  Cavitas  glenoidalis,  und  geht  zwischen  Teres 
viaj(yr  und  viinor  nach  abwärts,  um  sich  zu  dem  äusseren  Kopf, 
Caput  extemwn  s.  Anconaeus  exteiiius  zu  gesellen,  welcher  von  der 
Aussenseite  des  Oberarms  entspringt,  längs  einer  Linie,  die  unter- 
halb der  Insertion  des  kleinen  runden  Armmuskels  anfängt,  und 
bis  unter  die  Mitte  des  Knochens  herabreicht.  Der  kurze  oder 
innere  Kopf,  Caput  inteimum  s.  Ancanaeus  intennis  (nach  Cru- 
V eil  hier,  Vastus  internus),  beginnt  an  der  inneren  Seite  des  Ober- 
arms, hinter  dem  Ansätze  des  Teiles  major^  bis  zum  Condylus  in- 
ternus herab,  so  wie  von  der  hinteren  Fläche  und  der  äusseren 
Kante  der  unteren  Hälfte  des  Oberarms.  Alle  drei  Köpfe  bilden 
zusammen  einen  dicken  Muskelbauch,  dessen  platte  mäclitij^e  End- 
sehne weit  auf  der  hinteren  Fläche  des  Muskels  hinaufreicht,  und 
am  Olecranon  ulnae  endigt  (Sclileimbeutel).  Sie  schickt  Verstär- 
kungöbündel  zur  Scheide  des  Vorderarms. 

Nur  bei  der  Ansicht  des  Triceps  von  innen  ln-r,  sind  seine  droi  Kfiple 
deutlich  von  einander  zu  unterscheiden.  Hei  der  Ansieht  v«)n  hinten  daireiren 
ist  der  kurze  Kopf  €an  den  mittleren  so  dicht  angelegt,  «las.s  sie  nur  Kinen  KK'iseh- 
körper  bilden.  —  Die  von  Halbertsma  als  constant  erkannte  Verbindung  der 
Ursprungssehne  des  langen  Kopfes  des  Triceps  mit  der  Kndsehne  des  L(ttissinnts 
dorsi,  wurde   bei  letzterem  Muskel  schon  ang(>fülirt  (§.   178). 

In  der  »Spalte  zwischen  dem  mittleren  und  kurzen  Kopfe,  verläuft  «ler  Ka- 
dialnerv  von  der  Achsel  zur  Kadialseit«  des  Annes.  —  Da  bei  der  8lneUunu 
des  Ellhogengolenks  die  äussere  (hintere;  Kapselwand  sich  faltet,  und  zwiselien 
den  Knochen  eingeklemmt  werden  konnte,  so  befinden  sich,  unter  dem  unteren 
Knde  des  gemeinschaftlichen  liauches  des  Triceps,  zwei  ^kleine  Muskelhündel,  ein 
äusseres  und  inneres,  welche  von  den  entsprechenden  Kaution  des  Oberarnikno- 
chens  nach  abwärts  zur  Kapsel  gehen,  um  sie  in  demselben  Momente  zu  s|>annen, 
als  sie  durch  die  Streckbewegung  gefaltet  wird.  T  heile  entdeckte  sie,  und  gab 
ihnen  den  bezeichnenden  Namen  Siäjaiiconaei.  Ausführliches  Detail  über  die 
Faserung  des  Triceps  enthält  TUdU*9  Aufsatz  in  Müller'»  Archiv,  IH'Mi,  p.  4*20. 


t 


§.  IM.    Muskela  am  Vorderanne.  455 

Als  eine  Zugabc  des  Triceps  erscheint  der  kurze  Eilbog en- 
höckermuskel;  Anconaeus  quartiis,  welcher  mit  einer  runden,  am 
äusseren  Rande  des  Muskels  sich  fortsetzenden  Sehne,  vom  Con- 
dylu8  extemus  liumeri  entspringt  (Schleimbeutel),  und  sich  mit  einem 
breiten  Rande  an  den  hinteren  Winkel  und  die  äussere  Fläche  des 
oberen  Drittels  der  Ulna  inserirt.  Sein  oberer  Rand  legt  sich  an 
den  unteren  Rand  des  kurzen  Kopfes  des  Triceps  so  genau  an, 
dass  die  Grenze  zwischen  beiden  kaum  anzugeben  ist.  Wirkt  wie 
der  Triceps. 

Um  ihn  zu  scheu,  muss  die  Scheide  des  Vorderarms^  die  ihn  deckt,  und 
ihrer  Dicke  wegen  das  rothe  Fleisch  dos  Muskels  nicht  durchscheinen  lässt, 
durch  einen  Winkelsdmitt  gespalten  wurden,  dessen  horizontaler  Schenkel  vom 
Condylxui  extemus  humeri  zum  Olekranon,  dessen  verticaler  Schenkel  vom  Ole- 
kranon bis  zum  Beginn  des  mittleren  Drittels  der  Ulna  herabzuziehen  ist.  Der 
dadurch  umschriebene  dreieckige  Lappen  der  Vorderarmscheide  wird  von  seiner 
Spitze  gegen  seine  Basis  hin  abpräparirt,  und  der  Muskel  blossgelegt 

Vom  Condylwf  humeri  internus  (Epitrochlea)  zum  Olecranon  (Processus  an- 
conaeus) gelangende  Muskelbündel,  welche  theils  sclbstständig  auftreten,  theils 
sich  an  den  inneren  Kopf  des  Triceps  anschliessen,  wurden  von  Grub  er  als 
iW.  ei>Urochleo-anvonacus  beschrieben,  und  in  vielen  Ordnungen  der  Säugethiere 
als  normale  Vorkomumisse  niichgewicsen.  M<;m.  de  TAcad.  de  St  Petersbourg, 
VII.  Ser.  T.  X. 


§.  184.   Muskeln  am  Vorderarme. 

Je  näher  gt^geii  die  Hand  herab,  desto  zaldreicher  werden  die 
Muskeln  an  der  oberen  Extremität,  desto  coniplicii*ter  ihre  Verhält- 
nisse, aber  auch  desto  lohnender  ihre  Bearbeitung.  Die  Zunalune 
der  Knochen  an  Zahl,  und  die  mit  ihr  gegebene  Vermelirung  der 
Gelenke  der  oberen  Extremität  in  der  Richtimg  von  oben  nach 
unten,  bedingen  die  Vermehrung  der  Muskeln  in  derselben  Rich- 
tung, und  die  Wichtigkeit  der  Hand,  als  des  compKcirtesten  und 
gebrauchtesten  Theiles  der  obei'cn  Extremität,  erlKiht  ihre  functio- 
nelle  Bedeutung. 

Die  Vorderarmmuskeln  entspringen  grösstentheils  an  der  un- 
teren Extremität  des  Oberarmbeins  in  der  Gegend  der  beiden  Con- 
dyli,  in  dem  Verhältnisse,  dass  die  Beuger  und  einer  der  beiden 
Einwärtsdreher  vom  Condylus  internus ,  die  übrigen  vom  Condyhis 
(ixteiiiua  und  seiner  nächsten  Umgebung  entstehen.  Da  der  Ober- 
armknochen den  zaldreichen  Muskeln  des  Vorderarms  nicht  hin- 
längliche ürsprungspimkte  darbietet,  so  entspringen  viele  derselben 
mit  mehr  weniger  zaldreichen  Faserbilndeln  von  der  inneren  Fläche 
der  fibrösen  Vorderarmscheide,  und  von  den  Fortsätzen  derselben, 
welche  zwischen  einzelne  Muskelbäuche  in  die  Tiefe  e»"'' 
Die  fleischigen  Bäuche  der  Vorderarmmuskp" 


456  i.  184.   Muskeln  am  Yordenurme. 

Ellbogengelenk  herum  gruppirt,  und  setzen  sich,  gegen  die  Hcand 
zu,  in  verhältnissmässig  dünne  Sehnen  fort,  wodurch  die  Gestalt 
des  Vorderarms  einem  langen,  abgestutzten  Kegel  ähnlich  wird, 
dessen  grösste  Peripherie  um  den  Ellbogen,  dessen  kleinste  um 
die  Handwurzel  geht.  —  Die  einzelnen  Muskeln  des  Vorderarms 
befestigen  sich  entweder  am  Radius,  wie  die  Aus-  und  Einwärts- 
dreher, oder  überspringen  den  Vorderarm,  um  an  der  Handwurzel, 
der  Mittelhand,  oder  den  Gliedern  der  Finger  zu  endigen. 


A,  Muskeln  an  der  inneren  Seite  des  Vorderarms, 

Sie  bilden  drei  Schichten  oder  Lagen,  von  welchen  die  erste 
den  Pronator  tereSy  Radialis  internus,  Palmaris  longus,  und  Ulnaris 
irUemus  enthält.  Diese  vier  Muskeln,  welche  alle  vorwaltend  von 
Einem  Punkte,  dem  Condylus  humeri  internus^  ausgehen,  divergiren 
während  ihres  Laufes  nach  abwärts,  und  lassen,  zwischen  ihren 
Sehnen,  die  zweite  Lage  durchsehen,  welche  blos  vom  hochliegen- 
den Fingerbeuger  gebildet  wird.  Das  dritte  Stratum  besteht  aus 
dem  tiefliegenden  Fingerbeuger,  dem  langen  Beuger  des  Daumens, 
und  dem  viereckigen  Einwärtsdreher,  welch'  letzteren  einige  Autoren 
einem  vierten  Stratiun  zuweisen. 

a)   Erste  Schichte, 

Der  runde  Einwärtsdreher,  Mtisctilus  pronator  rotundus  s, 
teres  (von  Winslow  richtiger  Pronator  obliqvvs  benannt),  entspringt 
vom  Condylus  internus  des  Oberarmbeins,  und  geht  scliicf  nach  vorn 
und  unten  zur  inneren  Fläche  des  Radius,  in  deren  Mitte  er  an- 
greift. Die  Wirkung  sagt  der  Name.  Sein  Ursprung  erstreckt  sicli 
zuweilen  über  den  Condylus  internus  humeri  hinauf,  auf  die  innen». 
Kante  dieses  Knochens,  und  das  daselbst  adhärente  Ligamentiim 
in termuscu lare  in tei*n  um . 

Er  wird  viel  öfter  vom  Mediannerv  durchbohrt,  al«  nicht.  Im  ersten  Falle 
liegt  immer  mehr  Fleisch  über,  als  unter  dem  durchbohrenden  Nerv.  Der  kleine 
Durchbuhrungsflchlitz  kann  sich  zu  einer  durclipreifonden  Spaltunjj^  des  Muskels 
in  zwei  kleinere  entwickeln,  was  bei  vielen  Quadnimanc^n  Keprel  ist.  Ein  Sfsain- 
hein  in  seiner  Ursprung^sehne  habe  ich  nur  einmal  gesehen.  Wenn  ein  Pvocejtxmi 
tupracondyloiderui  am  Oberarmbein  vorkommt  (Note  zu  §.  l.'^T),  so  entspringt  in 
der  Regel  ein  accessorisches  Muskelbündel  des  Pronator  teres  von  ilim. 

Der  innere  Speichenmuskel,  Musculus  radialis  internus  s, 
Flexor  carpi  radialis^  liegt  einwärts  von  dem  vorhergehenden,  mit 
welchem  er  gleichen  Ursprimg  hat.  Kr  zieht  schief  zum  unteren 
Ende  des  Radius,  wo  seine  Sehne  das  Ligamentum  carpi  transvei'sum 
durchbricht,   und   in  der   Furche   des   Multangulum  majus  (Schleim- 


§.  184.  Maskeln  am  YoTderarme.  457 

beutel)    zur  Basis    des   Metacarpus  indicis   herabgleitet.     Beugt   die 
Handy  und  unterstützt  die  Pronation  derselben. 

Von  der  Insertionsstelle  des  Pronator  (eres  angefangen,  beginnt  der  Itadialis 
mteiiuu  sehnig  zu  werden,  und  hat  die  Sehne  des  Sirpinator  longns  nach  aussen 
neben  sich.  Zwischen  beiden  Sehnen  bleibt  ein  Zwischenraum,  in  welchem  die 
Arteria  radialis  verläuft,  deren  Pulsschlag  in  der  Nähe  des  Car|)us  leicht  zu 
fühlen  ist. 

Der  lange  Hohlhandmuskel,  Mmculus  palmans  longus,  ent- 
springt, wie  die  früheren,  mit  einem  schlanken,  spindelförmigen 
Muskelbauche,  und  verwandelt  sich  in  eine  lange  schmale  Sehne, 
welche  über  das  Ligamentum  carpi  transversum  wegzieht,  ausnahms- 
weise daselbst  einem  Bündel  des  Ahdticto^*  poUicis  hrevis  zum  Ur- 
sprung dient,  und  in  der  Hohlhand  sich  zur  Aponeurosis  palmaris 
ausbreitet,  welche  im  §.  186  zur  Sprache  kommt.  Spannt  die  Apo- 
neurose,  und  beugt  die  Hand. 

Kaum  hat  ein  anderer  Muskel  so  viele  Nuancen  seiner  Form,  wie  dieser. 
Er  fehlt  bei  Gegenwart  der  Hohlhand-Aponeurose ;  letztere  kann  somit  nicht,  wie 
Meckel  meinte,  aus  der  strahligen  Entfaltung  seiner  Sehne  hervorgehen.  Zu- 
weilen wird  sein  Abgang  durch  eine  Sehne  des  oberflächlichen  Fingerbeugers  er- 
setzt, oder  er  entspringt  nicht  vom  Condylua  intemtiSy  sondern  von  der  fibrösen 
Scheide  des  Vorderarms,  ja  selbst,  was  als  Affenbildung  vorkommt,  vom  Kronen- 
fortsatz der  Ulna.  Er  kann  umgekehrt  sein,  seine  Sehne  oben,  seinen  Fleisch- 
bauch unten  haben,  oder  er  wird  zweibäuchig  mit  mittlerer  Sehne,  oder  oben 
und  unten  sehnig  und  in  der  Mitte  fleischig,  oder  doppelt,  oder  inserirt  sich  nur 
an  das  quere  Handwurzelband,  ohne  zur  Aponeurosis  palmaris  zu  kommen.  Nicht 
selten  reicht  seine  Ursprungssehne  so  weit  an  dem  einen  Rande  seines  Fleisches 
hinab,  und  seine  Endsehne  so  weit  am  anderen  Rande  hinauf,  dass  die  schief 
zwischen  beiden  Sehnen  liegenden  Fleischbündel  an  ein  ähnliches  Verhalten  am 
Musculus  semimenibranosus  des  Oberschenkels  erinnern  (§.  193). 

Der  innere  Ellbogenmuskel,  Musculus  ulnaris  inteimus  s. 
Flexor  carpi  ulnaris^  liegt  unter  allen  Muskeln  der  ersten  Schichte 
am  meisten  nach  einwärts,  indem  er  mit  der  Ulna  parallel  läuft. 
Er  ist  halbgefiedert,  und  entspringt  theils  vom  Condylus  internus^ 
theils  von  der  inneren  Seite  des  Olekranon  und  der  oberen  Hälfte 
der  hinteren  Kante  der  Ulna,  um  mit  starker  rundlicher  Sehne  am 
Os  i)isiforme  sich  festzusetzen.  Ein  Faserzug  seiner  Endsehne  lässt 
sich  bis  zur  Basis  des  fünften  Metacarpusknochens  verfolgen.  Beugt 
die  Hand,  und  abducirt  sie. 

Sein  Ursprung  wird  vom  Nervus  ulnaris  durchbohrt,  welcher  Nerv,  mit 
der  Artei'ia  ulnaris  und  den  beiden  Venae  ulnares  in  eine  gemeinschaftliche  Scheide 
eingeschlossen,  zwischen  ihm  und  dem  hochliegenden  Fingerbeuger  gegen  die 
Hand  verläuft.  Cruveilhier  nannte  den  Ulnaris  internus  deshalb  le  muscle  sa- 
feinte  de  Vartere  cuhitale.  —  Alle  Muskeln  der  ersten  Scliichte  sind  an  ihren  Ur- 
sprüngen unter  sich,  und  mit  dem  hochliegenden  Fingerbeuger,  zu  einem  gemein- 
schaftlichen, durch  fibri)se  Septa  durchsetzten  Fleischkörper  so  verschmolzen,  dass 
sich  keiner  derselben  ohne  Gewalt  von  seinen  Nachbarn  vollkommen  isoliren  lässt. 

Man  versuche  es,  am  eigenen  Vorderarm,  die  durch  die  Haut  sichtbaren 
Sehnen  der  genannten  Maskeln  Aber  der  Handwurzelgegcnd  zu  bestimmen. 


458  §.  .184.    HoKkeln  am  Yordenurme. 

h)  Ziceite  Schichte. 

Der  hochlicgendc  Fingerbeuger,  Mmcidns  flexw  digito- 
rum  sublimls  s.  perforatusj  entsteht  vom  Condyhis  internus  hnmein, 
vom  inneren  Seitenbandc  des  Ellbogengelenks,  von  der  inneren 
Fläche  des  Kronenfortsatzes  der  Ulna,  und  vom  Radius,  unterhalb 
seiner  Tuberosität  bis  zur  Insertionsstelle  des  Pronator  teres  herab. 
Der  Fleischkörper  des  Muskels  theilt  sich  gegen  das  untere  Drittel 
des  Vorderarmes,  in  vier  spindelförmige  Stränge,  welche  in  ver- 
schiedener Höhe  sehnig  werden.  Die  Sehnen  schmiegen  sich  zu 
einem  Bündel  zusammen,  und  treten  unter  dem  queren  Handwurzel- 
bande in  die  Hohlhand  herab,  wo  sie  divergircnd  zum  zweiten  bis 
fUnften  Finger  laufen.  Am  ersten  Gliede  des  betreffenden  Fingers 
wird  jede  Sehne  durch  einen  Längenschlitz  gespalten,  zum  Durch- 
gang der  Sehne  des  tiefliegenden  Beugers.  Die  Spaltungsschenkel 
vereinigen  sich  am  zweiten  Gliede  so  mit  einander,  dass  ihre  inne- 
ren Fasern  sich  kreuzen  {Chiasma  Camperij  yj.i^My  kreuzen),  trennen 
sich  aber  neuerdings,  um  sich  am  Seitenrandc  des  zweiten  Gliedes 
zu  inseriren. 

Zuweilen  fehlt  die  Sehne  für  den  kleineu  Fiuf^er,  oder  befestigt  sich,  nicht 
gespalten,  am  Kadialrande  des  zweiten  Gliedes.  Ich  sah  die  fehlende  Sehne  für 
den  kleinen  Finger  durch  einen  kurzen,  wurmfÖrniigon,  vom  <iueren  Handwur/el- 
bando  entsprungenen  Muskel  ersetzt,  dessen  Sehne  durch  jene  des  tiefliegenden 
Beugers  des  kleinen  Fingers  perforirt  wurde.  Dieser  kleine  Muskel  wird  dadurch 
besonders  interessant,  weil  in  ihm  eine  Krinnorung  an  das  Vcrhältniss  des  hoch- 
und  tiefliegenden  (langen  und  kurzen)  Zehenbeugers  geboten  wird  (§.  IDOu.  1*.»7). 
Sehr  oft  schickt  das  Fleisch  des  liochliegenden  Fingerbeugers  jenem  des  tieflie- 
genden (oder  des  Flexor  poUicis  longus)  ein  Ih'indel  zu. 

Zwischen  dem  stärkeren  Ulnar-  und  schwächeren  Kadialur.sprung  des 
Muskels  passirt  der  Mediannerv  hindurch. 

c)  Dritte  öchic/itf. 

Der  t i t; fl i eg e n (l  <'  F i  ii ge r b c uge r ,  Musculus  Jlexitr  iliyitonim 
profundus  s,  perforansy  ist  stärker  als  der  vorige,  der  ihn  bedeckt, 
entspringt  von  den  zwei  oberen  Dritteln  der  inneren  Fläche  der 
Ulna,  so  wie  auch  vom  Ligamentum  interosseum.  Unbeständige 
Fleischbündel,  welche  von  der  inneren  Fläche  des  Radius  entstehen, 
gesellen  sich  diesem  Ursprünge  des  Muskels  bei.  Der  hiedureh 
gebildete  flache  und  breite  Fleischkörper  spaltet  sich,  etwas  tiefer 
als  der  hochliegende,  in  vier  Sehnen,  welche  auf  dieselbe  Weise, 
wie  die  Sehnen  des  hochliegenden  Beugers  verlaufen.  Die  Sehnen, 
welche  zum  Mitt(il-,  Ring-  und  kleinen  Finger  ziehen,  tauschen, 
während  des  Durchtritts  unter  dem  queren  Handwurzelbande,  ein- 
zelne Faserbttndel  gegen  einander  aus,  während  die  für  den  Zeige- 
finger bestimmte  Sohne  sich  in  diesen  Austausch  nicht  einlässt.  Am 


§.  184.   Mniiktfln  am  VonlerHrrae.  459 

ersten  Fingergliedc  schieben  sich  die  Sehnen  des  tiefliegenden  Beu- 
gers durch  die  Spalte  der  Sehnen  des  hochliegenden  Beugers  durch, 
und  endigen  am  dritten  GHedc,  welches  sie  beugen. 

Beim  Eintritt  in  die  Hohlhand  entspringen  vom  Radialrand  der 
Sehnen  des  tiefliegenden  Beugers  die  vier  spulenförmigen  Regen- 
wurm-Muskeln, Musculi  lumhncalesy  welche  zu  den  Radialrändem 
der  ersten  Fingerglieder  laufen,  und,  die  Hohlhand  verlassend,  in 
die  Rückenaponeurose  der  Finger  tibergehen.  Von  den  alten  Ana- 
tomen wurden  sie  Musculi  fidicinalesy  Geigermuskeln,  genannt.  Hat 
man  einen  derselben,  am  besten  jenen  des  Zeigefingers,  bis  in  die 
Rückenaponeurose  des  Fingers  verfolgt,  und  zieht  man  an  ihm,  so 
findet  man,  dass  die  Wirkung  dieses  kleinen  Muskels  in  einer  Beu- 
gung der  Phalanx  jn^imaj  und  in  gleichzeitiger  Streckung  der  Phalanx 
secunda  und  tertia  besteht,  eine  Bewegung,  die  der  Finger  bei  der 
Führung  der  Haarstriche  während  des  Schreibens,  und  beim  Aus- 
theilen  von  Nasenstübern  macht. 

Der  lange  Beuger  des  Daumens,  Musculus  flexor  pollicis 
longus  liegt  auswärts  von  dem  tiefen  Fingerbeuger,  wird  von  ihm 
durch  den  Neivus  interosseus  und  die  Artefina  intei'ossea  getrennt, 
entspringt  an  der  inneren  Fläche  des  Radius,  von  der  Insertions- 
stcUe  des  Biceps  angefangen  bis  zum  unteren  Drittel  des  Knochens 
herab,  nimmt  sehr  oft  vom  liochHegenden  Fingerbeuger  ein  Fleisch- 
btindel  auf,  und  geht,  nachdem  er  sehnig  geworden,  mit  den  übrigen 
Beugcschncn  unter  dem  Ligaviantum  caiyi  transvefi^sum  zum  ersten 
Daumeugelenke,  läuft  zwischen  beiden  Sesambeinchen  desselben  zur 
zweiten  Phalanx,  und  befestigt  sieh  daselbst.  —  Drängt  man  am 
unteren  Ende  des  Vorderarms  seine  Sehne  von  jenen  des  tiefliegen- 
den Beugers  weg,  so  findet  man : 

Den  viereckigen  Einwärtsdreher,  Musculus  lyronator  qua- 
dratus  {Pronator  transvei^sv^  von  Winsle w),  welcher  an  der  inneren 
und  hinteren  Fläche  der  Ulna  entspringt,  und  über  djis  Ligamen- 
tum interosseum  quer  zum  Radius  herüber  läuft,  an  dessen  innerer 
Fläche  er  endigt.  Man  muss  gestehen,  dass  die  Wirkungsweise  des 
Muskels,  welche  durch  seinen  Namen  ausgedrückt  wird,  nichts 
weniger  als  einleuchtend  erscheint.  Der  Muskel  erscheint  nicht  um 
das  untere  Ende  des  Radius  henimg<^krünimt,  wie  es  bei  einem 
Pronator  der  Fall  sein  müsste,  sondern  um  jenes  der  Ulna,  welche 
nicht  drehbar  ist. 

d)   Fibröse  mul  Synovialscheidim  der  Sehnen  der  Fingerheuger, 

Das  Convolut  der  Fingerbeugesehnen  wird,  während  sein(»s 
Durchganges  unter  dem  Ligamentum  carjn  transversum,  von  einer 
weiten,   mehrfach  gefalteten  Synoviabcheide   eingehtült,  welche  ftlr 


460  §•  ^^'  Maskeln  am  Yordonurme. 

jede  einzelne  Sehne  einen  besonderen  Ueberzug  bildet,  und  bis 
zum  Ursprünge  der  Lumbricalmuskeln  herabreieht.  —  Die  Sehnen 
des  Flexor  perforans  und  perforatus  eines  Fingers,  werden  durch 
eine  starke  fibröse  Scheide  an  die  untere  Fläche  des  Fingers  an- 
gedrückt erhalten.  Diese  Scheide  ist  an  die  Radial-  und  Ulnar- 
ränder  der  einzelnen  Phalangen  angeheftet,  und  schafft  mit  der  un- 
teren Fläche  dieser  Phalangen  einen  Kanal,  durch  welchen  die 
Beugesehnen  an  die  Volarfläche  der  Fingerglieder  niedergehalten 
werden.  Jede  solche  fibröse  Scheide  darf  aber  keinen  ununterbro- 
chen fortlaufenden  Halbkanal  bilden,  sondern  muss  durch  Querspal- 
ten in  mehrere  Stücke  getheilt  sein,  welche  sich  bei  der  Beugung 
einander  nähern,  und  bei  der  Streckung  von  einander  entfernen. 
Ein  ununterbrochener  Halbkanal  hätte  nur  durch  stellenweises  Ein- 
knicken gebeugt  werden  können.  Diese  einzelnen  Stücke  nehmen 
nach  der  Richtung  ihrer  Fasern  den  Namen  der  Querbänder  xmd 
Kreuzbänder  an.  Fehlt  an  einem  Kreuzband  einer  der  beiden 
Schenkel,  so  heisst  der  noch  übrigbleibende:  schiefes  Band. 

Die  innere  Oberfläche  des  theils  knöchernen,  theils  fibrösen 
Kanals,  welcher  an  der  Volarfläche  der  Finger  die  beiden  Beuge- 
sehnen aufnimmt,  ist  mit  einer  Synovialmcmbran  ausgekleidet,  welche 
faltenförmige  Verlängerungen  {Vincula  tendmum  accessoria  ».  lietina- 
culd)  zu  den  eingeschlossenen  Beugesehnen  hinschickt,  um  auch 
diese  zu  umhüllen.  Längs  der  Retinacula  ziehen  feine  Blutgefässe 
von  der  Beinhaut  zu  den  Sehnen. 

Die  Retinacula  sind  Ueberresto  einer  in  den  ersten  Entwicklungfszeiträn- 
inen  stattgefunden en  Kinstülpnng  der  Synovialhaut  der  Scheide  durch  die  Beuge- 
sehnen. Sie  finden  sich  regelmässig  vor,  sind  am  ersten  Fingcrgliedc  besonders 
lang  und  stark,  und  enthalten  immer  sehnige  Fasern  (auch  elastische),  welche 
vom  Periost  des  Fingorgliedes  zur  Sehne  treten,  oder  umgekehrt. 

Specicllen  Untersuchungen  zufolge  (Cazette  med.  1839.  N.  18),  setzt  sich 
der  Synovialsack ,  welcher  sämmtliche  I^engesehnen  unter  dem  queren  Hand- 
wurzelbande einhüllt,  in  die  Synovialauskleidung  der  fibrösen  Scheiden  der 
Beugesehnen  des  Daumens  und  kleinen  Fingers,  nicht  aber  der  übrigen  Finger, 
ununterbrochen  fort,  indem,  wenn  man  die  dritten  Phalangen  aller  fünf  Finger 
einer  Leiche  amputirt,  und  Wasser  in  den  Synovialsack  unter  dem  (jueren  Iland- 
wurzelbande  einsprizt,  dieses  nur  «aus  den  Stümpfen  des  kleinen  Fingers  und 
des  Daumens,  nicht  aber  aus  denen  der  drei  mittleren  Finger  ausströmt.  Gilt 
meinen  Erfahrungen  nach  nicht  als  allgemeine  Kegel.  Ebensowenig  allgemeine 
Geltnng  hat  es,  dass  die  Sehne  des  langen  Beugers  des  Daumens  nicht  in  dem 
Synovialsack  der  übrigen  Beugesehnen  liegt,  sondern  eine  besondere  Synovial- 
scheide  besitzt. 

B.  Muskeln  an  der  äusseren  und  Radialseite  des  Vorderarms. 

Sie  sind  vorzugsweise  Strecker  der  Hand  oder  der  Finger,  und 
Auswärtsdreher.  Ihre  Richtung  geht  theils  mit  der  Vordrrarmaxe 
parallel;  theils  kreuzt  sie  diese,  wie  es  für  die  drei  auf  der  Aussen- 


§.  184.  Haskeln  am  Yorderarme.  461 

Seite  des  Vorderarms  gelegenen  langen  Muskeln  des  Daumens  der 
Fall  ist,  welche  sich  schief  zwischen  den  Längenmuskeln  gegen  die 
Radialseite  des  Vorderarms  hervordrängen.  —  An  der  Dorsalgegend 
des  Carpus  gehen  ihre  Sehnen  unter  dem  Ligamentum  carpi  com- 
mune dorsale  durch,  welches  für  einzelne  oder  mehrere  derselben 
besondere  Fächer  bildet,  indem  es  Fortsätze  zwischen  sie  einschiebt. 
Der  lange  Auswar tsdrehcr,  Musculus  supinator  longus,  ent- 
springt vom  unteren  Dritttheilc  der  äusseren  Kante  des  Oberarm- 
beins und  dem  daran  befestigten  Ligamentum  intermnsculare  exter- 
num,  läuft  an  der  Radialseite  des  Vorderarms  herab,  und  inserirt 
sich  am  unteren  Ende  der  Armspindel  über  dem  Processus  styloidevs. 
Indem  die  Auswärtsdrehung  des  Vorderarms  den  Handteller  nach 
oben  richtet,  wie  beim  sogenannten  Handaufhalten  der  Bettler, 
fiihrte  der  Muskel  vor  Alters  den  nicht  unpassenden  Namen  Mus- 
culus pauperum  s,  meiidicantium.  Sein  Hauptgeschäft  wird  nicht  in 
der  Supination,  sondern  vorzugsweise  in  der  Mitwirkung  bei  der 
Beugung  des  Vorderarmes  bestehen,  für  welche  Action  seine,  vom 
Drehpunkt  der  Vorderarmknochen  weit  entfernt  liegende  Befesti- 
gungsstelle, einen  sehr  günstigen  Umstand  bildet. 

Da  die  Arteria  radialis  sehr  constant  VAn^n  ilos  inneren  Rnndcfl  des  Supi- 
nator longiis  verläuft,  nannte  Cruveilhier  diesen  Muskol:  Mimndn»  »atellet  ar- 
teriae  radialis,  —  Der  innere  Rand  des  Supinaior  lonyii^  bildot,  mit  dorn  oberen 
Rande  des  Pronator  teres^  die  Seiten  einer  nach  unten  spitzijj  /.iilnufcnden,  drei- 
eckigen Grube,  Fovea  .9.  Plica  aihiti^  deren  (*rniid  den  IiificrtionHstcnnii  de«  liicejy» 
und  Brachialis  internus  entspricht  Sie  wird  durch  die  Fasrin  nn/i/trarhii  (iber- 
deckt,  und  scliliesst  die  Arteria  hrachialis,  nebst  ihren  beiden  be^^h'itenden  Venen 
und  dem  Nei-vus  medianus  ein.  Die  Artevia  brachialis  lit'j^t  am  inneren  Knnd(> 
der  Sehne  des  Biceps  auf  dem  Brachialis  inteimus,  und  tlmilt  siclj  hier  in  die 
Arteria  radialis,  und  den  kurzen  gemeinschaftlichen  Staunn  der  Ulnar-  und 
Zwischcnknochenarteric.  Der  Ncrcus  medianus  liegt  an  der  innigen  Seite  der 
Arteria  brachialis. 

Der  kurze  Auswärtsdreher,  Musculus  supinator  b)'evis,  wird 
vom  Supinator  longns  und  den  beiden  äusseren  Spcichenmuskeln 
bedeckt,  entspringt  vom  Condylus  extemus  hracM)  und  dem  Ring- 
bandc  des  Radius,  schlägt  sich  mit  oberen  queren  und  unteren 
schiefen  Fasern  um  das  obere  Ende  des  Radius  herum,  und  be- 
festigt sich  an  der  inneren  Fläche  desselben,  unter  der  Tuberositas. 
Er  umgi-eift,  wenn  der  Arm  sich  in  der  Pronationsstellung  befindet, 
drei  Viertheile  der  Peripherie  des  Radius,  und  ist  deshalb  der  ein- 
flussreichste und  am  günstigsten  wirkende  Auswärtsdreher  desselben. 

Er  wird,  wie  so  viele  andere  Muskeln  der  oberen  Extremität, 
von  einem  Nerven,  dem  Ramus  profundus  nein)i  radialis,  durchbohrt, 
und  kann  ])ei  stärkerer  Entwicklung  der  Durchbohrungsspalte  auch 
doppelt  werden.  Wirkt  jedenfalls  kräftiger  als  der  Supinator  longus, 
da  seinA  A^«f««  ü^o-Am  fast  senkrecht  auf  die  Richtung  des  Radius 

f- 


462  )i-  1^«    Mankeln  am  Vorderarme. 

Der  lange  und  kurze  äussere  Spcichenmuskel,  Muscu- 
lus radialis  extei'iius  longus  et  brevis,  s.  Exteiisor  cai^^i  radialis  longus 
et  hrevisy  liegen  neben  dein  vorigen  nach  aussen,  und  haben  mit 
ihm  gleiche  Richtung.  Der  lange  entspringt,  über  dem  Condyhis 
exteimus  h'achiiy  von  der  äusseren  Kante  dieses  Knochens,  unmittel- 
bar unter  dem  Ursprünge  des  Supinator  longus;  der  kurze  kommt 
vom  Condylns  exteriius  selbst,  und  vom  Ringbande  des  Radius.  Beiden 
gehen,  parallel  mit  dem  Radius,  auf  der  Aussenfläche  des  Vorder- 
arms herab,  wobei  der  lange  den  kurzen  bedeckt,  passiren  durch 
ein  ihnen  gemeinschaftliches  Fach  unter  dem  Ligamentum  carpi  dor- 
sale, und  befestigen  sich,  der  lange  an  der  Basis  des  Matncai'pus 
indicis,  der  kurze  an  derselben  Stelle  des  Metacarpus  digiti  medii. 
Sie  strecken  die  Hand  und  adduciren  sie;  letzteres  besonders,  wenn 
sie  mit  dem  Radialis  internus  gleichzeitig  wirken. 

Der  gemeinschaftliche  Fing  erstreck  er,  Musculus  exten- 
sor  digitorum  communis ,  entsteht,  mit  dem  kurzen  Speichenmuskel 
verwachsen,  vom  Condylus  extenius  humeri  und  der  Fascia  antilmichii, 
trennt  sich  in  der  Mitte  des  Vorderarms  in  vier  Bäuche,  welche 
bald  plattsehnig  werden,  bis  über  die  Handwurzel  hinaus  mit  ein- 
ander parallel  laufen,  ein  ftir  sie  allein  bereitgehaltenes  Fach  des 
Ligamentum  catyi  dorsah  passiren,  am  Handrücken  divergiren,  durch 
platte  fibr(>se  Zwischenbänder  unter  sich  zusammenhängen,  und  am 
Rücken  des  ei^sten  Fingergliedes  in  eine  breite  Aponeurose  über- 
gehen. Diese  ist  mit  der  Streckseite  der  Kapseln  der  Avticulntiones 
metacarpO'phalangeae  innig  verwachsen,  wird  durch  die  seitlich  an 
sie  herantretenden  Sehnen  der  Musculi  interossei  et  lumbrictdes  ver- 
stärkt, und  spaltet  sich  auf  dem  Rücken  der  ersten  Phalanx  in 
drei  Schenkel,  deren  mittlerer  und  zugleich  schwächster,  am  oberen 
Ende  der  zweiten  Phalanx,  die  b<*iden  seitlichen  erst  an  den  Seilten 
der  dritten  Phalanx  sich  befestigen.  Der  Muskel  streckt  alle  drri 
Fingerglieder,  vorzugsweise  jedoch  das  erste  und  zweite. 

Die  ZwiflclieiibHiidor  der  S«'Iineii  dos  jjciiKMnscli.iftlicIion  Fiiijjorfltrrrkcrs  am 
Handnickeii  vaniron  in  IliiiHicIit  iliror  Tjap:»',  Brritc,  und  Stärko,  Ani  stnrkstiMi 
und  constantoston  ist  dir«  Verbindnnjr  d<'r  Strocksolin«^  d«*.s  KMnj^Hnjjns  mit  jrnrr 
des  kleinen  und  des  Mittelfinjjers.  l)ies<'s  erklärt  uns.  wnnim  man,  Wiwu  all<» 
Finper  zur  Faust  «•in<r(d»o};en  sind,  den  Kinjjlinjijer  allein  ni<'lit  vollkommen 
strecken  kann.  Die  Streckselme  des  Zeijjefinjrers  ist  in  der  Ke<(el  mit  ihrer 
Naeliharin  nicht  verbunden. 

Dieselben  Zwischenbander  der  Strecksehnen  der  einzelnen  Finirer  am 
Rücken  der  Hand  erklären  auch  die  Sehwierijjfkrit,  die  Finn^rr  der  auf  eine 
Tischplatte  flach  aufgelegten  Hände,  einzeln  nach  einander  zu  strecken.  Uobunt; 
und  CJoduld  führen  erst  nach  vielen  misslun;renen  Versuehm  /um  Ziele. 

Der  eigene  Strecker  des  kleinen  Fingers,  Musruhift  r.r- 
fei}80)'  digiti  minimi,  ist  an  seinem  Ursprünge  mit  dem  geni(»insehafl- 
liclien   Fingerstreekcr,    an    dessen    IJlnars(»ite    or   liegt,    verwachsen, 


§.  184.    MuMkeln  am  Yorderamie.  463 

und  geht  am  unteren  Ende  des  Vorderarms  in  eine  dünne  Sehne 
über^  welche  ein  eigenes  Fach  des  Ligamentum  carpi  dorsale  für 
sich  in  Anspruch  nimmt,  und  längs  des  Metacaij>its  digiti  minimi 
zur  vierten  Sehne  des  Extensw*  communis  tritt,  um  mit  ihr  mehr 
weniger  vollkommen  zu  verschmelzen.  Er  fehlt  zuweilen,  wo  dann 
die  vom  Ext^nsor  communis  stammende  Strecksehne  des  kleinen 
Fingers  doppelt  wird.  Seine  Sehne  kann  sich  auch  in  zwei  Schnüre 
theilen,  welche  an  den  Ring-  und  kleinen  Finger  treten  (Säuge- 
thierbildung). 

Man  sollte  glauben,  dass  der  Besitz  eines  Exlensor  proprium,  dem  kleinen 
Finger  eine  gewisse  Selbstständigkeit  in  der  Ausführung  seiner  Streckbewegung 
giebt.  Allein  die  Verschmelzung  der  Sehne  dos  Extensor  propritis  digiti  minimi 
mit  der  Kleinfingersehne  des  Kjctenxor  communis  digifovumy  stellt  die  Streckung 
des  kleinen  Fingers  unter  die  Herrschaft  des  Rrtensor  commumaj  und  beschränkt 
seine  Unabhängigkeit. 

Der  äussere  Ellbogenmuskel,  Musculus  ulnari^  exteimus  s. 
Extensat*  carpi  idnaris,  entspringt  vom  Condylus  extemus  humeri,  und 
von  der  Fascia  antibrachiij  ist  mit  dem  Ursprung  des  Extensor  com- 
munis digitoi^nn  innig  verschmolzen,  liegt  im  grössten  Tlieile  seiner 
Länge  an  dem  Extensor  digiti  minimi  genau  an,  folgt  der  Längs- 
richtung der  Ulna,  wird  im  unteren  Vorderarmdrittel  sehnig,  und 
befestigt  sich  an  der  Basis  des  Metacarpus  digiti  minimi.  Streckt 
und  abducirt  die  Hand.  Oftmals  geht  von  seiner  Sehne  eine  faden- 
förmige Verlängerung  zur  Rückenaponcurose  des  kleinen  Fingers. 
Zwischen  seinem  Ursprungsbauchc  und  dem  Capitulum  radii  liegt 
ein  Schleimbeutel. 

Die  hier  aufgezählten  Muskeln  der  äusseren  Seite  des  Vorder- 
arms folgen  in  der  Ordnung,  wie  sie  aufgeführt  wurden,  vom  Radius 
gegen  die  Ulna  zu,  auf  einander,  und  laufen  unter  einander  und 
mit  der  Vordcn'armaxe  parallel.  Die  nun  zu  beschreibenden  sind 
zwischen  sie  eingeschaltet,  drängen  sich  schief  zwischen  ihnen  aus 
der  Tiefe  empor,  und  kreuzen  somit  ihre  Richtung. 

Der  lange  Abzieher  des  Daumens,  Musculus  ahductor  pol- 
llcis  longifs,  platt  und  ziemlich  stark,  taucht  zwischen  Extensor  digi- 
tm^um  covnnunis  und  den  beiden  Radiales  externi  auf,  entspringt  vom 
mittleren  Theile  der  äusseren  Fläche  der  Ulna,  des  Ligamentum  in- 
teyosseum  und  des  Radius,  läuft,  nachdem  er  allmälig  sehnig  gewor- 
den, zugleich  mit  der  dicht  an  ihm  liegenden  Sehne  des  Extensm^ 
]>ffUicis  h'evis,  über  die  Sehnen  der  beiden  Radiales  e^rjerni  schief 
nach  vorn  und  unten,  und  befestigt  sich  an  der  Basis  des  Meta- 
carpus  des  Daumens.  Eine  Furche  an  der  Aussenfläche  des  unte- 
ren Radiusendes,  leitet  die  Sohne  dieses  Muskels  zu  dieser  Inser- 
tionsstelle. 

Seine    Sehne    teh^  •wutttm   tnq/ta 

(Fleischmanii),  mmt 


462  i-  ^^-    Mnskeln  am  Vorderarme. 

Der  lange  und  kurze  äussere  Speichenmuskel,  ilfiue«- 
lu8  radialis  extenius  longiis  et  hrevis,  s.  Ext^Jisor  carpt  radialis  hnjvg 
et  hvevisj  liegen  neben  dem  vorigen  nach  aussen,  und  haben  mit 
ihm  gleiche  Richtung.  Der  lange  entspringt,  über  dem  CondykM 
exteimiis  h'achii,  von  der  äusseren  Kante  dieses  Knochens,  unmittel- 
bar unter  dem  Ursprünge  des  Supinator  longus;  der  kurze  kommt 
vom  Condylus  extenius  selbst,  und  vom  Ringbande  des  Radius.  Beide 
gehen,  parallel  mit  dem  Radius,  auf  der  Aussenfläche  des  Vorder- 
arms herab,  wobei  der  lange  den  kurzen  bedeckt,  passiren  durch 
ein  ihnen  gemeinschaftliches  Fach  unter  dem  Ligamentum  carpi  dor- 
sale, und  befestigen  sich,  der  lange  an  der  Basis  des  Metacarpus 
indicis,  der  kurze  an  derselben  Stelle  des  Metacarpus  digiti  medii 
Sie  strecken  die  Hand  und  adduciren  sie;  letzteres  besonders,  wenn 
sie  mit  dem  Radialis  inte^mns  gleichzeitig  wirken. 

Der  gemeinschaftliche  Fingerstrecker,  Musculus  exUn- 
sor  digitorum  communis y  entsteht,  mit  dem  kurzen  Speichenmuskel 
verwachsen,  vom  Condylus  eoctemus  htimeii  und  der  Fascia  antibradui, 
trennt  sich  in  der  Mitte  des  Vorderarms  in  vier  Bäuche,  welche 
bald  plattsehnig  werden,  bis  über  die  Handwurzel  liinaus  mit  ein- 
ander parallel  laufen,  ein  ftlr  sie  allein  bereitgehaltcnes  Fach  de« 
Ligamentum  caipi  dorsale  passiren,  am  Handrücken  divergiren,  durch 
platte  fibr(')se  Zwischenbänder  unter  sich  zusammenhängen,  und  am 
Rücken  des  ersten  Fingerghedes  in  eine  breite  Aponeurose  über- 
gehen. Diese  ist  mit  der  Streckseite  der  Kapseln  der  ArticulaÜorm 
metacaipo-phalangeae  innig  verwachsen,  wird  durch  die  seitlich  an 
sie  herantretenden  Sehnen  der  Musculi  interossei  et  lumbriatles  ver- 
stärkt, und  spaltet  sieh  auf  dem  Rücken  der  ersten  Phalanx  in 
drei  Schenkel,  deren  mittlerer  und  zugleich  schwächster,  am  oberen 
Ende  der  zweiten  Phalanx,  die  bcnden  s(*itlichen  erst  an  den  Seiten 
der  dritten  Phalanx  sich  befestigen.  Der  Musktil  streckt  alle  drei 
Fingerglieder,  vorzugsweise  jedoch  das  erste  und  zweite. 

Die  Zwiflclionbnndor  dor  Sehnen  des  fjemeinsehaftlichen  Fin^erstrockcr»  »ni 
Handrücken  variiron  in  Hinsicht  ihrer  L.ip^e,  Breite,  nnd  Stärke.  Am  stärksten 
nnd  constantesten  ist  die  Verl)indun{j  der  Strecksehne  des  Kinpffingers  mit  jeu<*f 
des  kleinen  nnd  des  Mit.telfinp^ers.  Dieses  erklärt  nns,  warum  man,  wenn  ftH<< 
Finj^er  zur  Fjinst  einpjeboji^en  sind,  den  Rinjjffinpjer  allein  nicht  vollkownifn 
strecken  kann.  Die  Strecksehne  des  Zeipjefinji^ers  ist  in  der  Rep^l  mit  il'f*^^ 
Nachbarin  nicht  verbnnden. 

Dieselben    Zwischenbander    der    Strecksehnen    der    einzelnen    Finger  W* 
Rücken    der  Hand   erklären   auch   die   Sehwierijifkeit,    die    Finger    der   auf  ^'^^^ 
Tischplatte  flach  aufgelegten  Hände,  einzeln  nach  einander  zu  strecken.  Uebrt'^ß 
nnd  Geduld  führen  erst  nach  vielen  misslungenen  Versuchen  znm  Ziele. 

Der  eigene  Strecker  des  kleinen  Fingers,  Muscubis  ^^' 
tensm*  digiti  minimi,  ist  an  seinem  Ursprunge  mit  dem  genieinsch»**' 
liehen   Fingerstrecker,    an    dessen    ühiarseite    er    liegt,    verwaclis*^^? 


^^^^V  |,  IM.   MmiMii  un  Vsrdmrm«.  46S 

^^^^BEt  am  unteren  Ende  des  Vorderarms  in  eine  dünne  Sehne 
Hnw,  welche  ein  eigenes  Fach  des  Ligamentum  carpi  dorsale  ftlr 
HÜch  in  Anspruch  nimmt,  und  längs  des  Metacatiitcs  diijiti  minimi 
Hnr  vierten  Sehne  des  Exi-imsm-  communis  tritt,  um  mit  ihr  mehr 
Hveuiger  ▼oUkommen  zu  verschmelzen.  Er  fehlt  zuweilen,  wo  dann 
Bte  vi)m  Exteiiaor  communis  atummendc  Strecksuhnc  des  kleinen 
Blu)gt;rs  doppelt  wird.  Seine  8chne  kann  sieh  auch  in  zwei  Schndro 
BÄeilen,  welche  an  den  Rin;^-  und  kleinen  Finger  treten  (Säuge- 
Bnierbilduagi. 

K.  Hui  sallle  gtnulieu,  da»  der  Besitn  eines  Exteiuor  proprüu,  dem  kluinen 

^k.fiagcr  ein«  gewiiie  Setbitst&iidigkeit  io  der  AiufUhrang  «einer  Streckbeno^ng 
^■^bt.  Allein  die  VeTichmelKung  der  Seline  des  Bxieraor  prapHut  digiii  mintvü 
Hait  der  KleinlingerBelinc  des  Rxtenior  comHinni»  digitoi-nm,  glellt  die  Streckung 
^■ilea  kleinen  Fin^^era  nnCor  die  Herrschaft  des  Kjlen»or  rmmtmni»,  nnd  beschrHnkl 
^MÜne  llQabhXngij^kett. 

B       Der  äussere  Ellbogenmiiskel,   Mmculua  tdnaria  extei-mu  s. 

HtfMuor  carpi  tänari»,  entspringt  vom  Cfmdylva  extfimns  kumeri,  imd 

^RlD  der  Fasna  antihrachii,  ist  mit  dem  Urspi-ung  des  Extensor  com- 

Pmü  dlgitoriim  innig  verschmolzen,   liegt  im  griiesten  Theile  seiner 

IjLnge    an   dem    Exlensf»-  digiii  minimi  genau  an,   folgt  der  Längs- 

rirlitung  der  UIna,   wird  im  unteren  Vorderanndrittel   seimig,   und 

befestigt  sich   an   der  Basis    des  Metacarpiis  digiti  minimi.     Streckt 

td  abducirt  die  Hand.   Oftmals  geht  von  seiner  Sehne  eine  faden- 

hnige  Verlilngcnmg   zur   Rückcnaponeiu-ose    des  kleinen  Fingers. 

Fischen   seinem   Ursprungabauche   und  dem    C'apilvlum  radii  liegt 

Schleimbeutel. 

Die  hier  aufgezählten  Muskeln  der  äusseren  Seite  des  Vorder- 
9  folgen  in  der  Ordnung,  wie  sie  aufgeführt  wurden,  vom  Radius 
^n  die  Ulna  zu,  auf  einander,  und  laufen  unter  einander  und 
h  der  Vorderamiaxe  parallel.  Die  nun  ^u  beschreibenden  sind 
pBchen  sie  ein  gesell  altet,  drängen  sielt  schief  zwischen  ihnen  aus 
\f  Tiefe  empor,  und  kreuzen  somit  ihre  Richtung. 

Der  lange  Abzieher  des  Daumens,  Mimculus  abduclur  pol- 
i£r  hmgn»,  platt  und  ziemlich  stark,  taucht  zwischen  Extensor  dtgi- 
ffmimtinin  und  den  beiden  Radiale»  ext^iii  auf,  entspringt  vom 
jHtlcrpji  Theile  der  äusseren  Fläche  der  Ulna,  des  Llgammitmn  In- 
ntm  und  des  Radius,  läuft,  nachdem  er  nllmälig  sehnig  gewor- 
So,  «ngleich  mit  der  dicht  an  ihm  liegenden  Sehne  des  Extenaor 
t^idg  hrevin,  Ilber  die  Sehnen  der  beiden  liadiales  exiefi-m  schief 
ach  vom  und  unten,  und  befestigt  sich  an  der  Basis  des  Meta- 
RrpuH  des  Daumens,  Eine  Furche  an  der  Aussoufläche  des  nnte- 
ni  Radiusendes,  leitet   die  Sehne   dieses   Muskels  zu  dieser  Inser- 


6dne    Hehiip    ncliickt    hSiiti|;    ein    FAsciknl     zum     Ok    mtdlonipihmi    via 
(Pleiachmanit),     orlor    Kiim     Alduttor    palliät    breviM,     selliat    xum     6^011 


464  §•  ^^'    Muskeln  am  Yorderanne. 

(Meckel).  Zuweilen  ist  er  in  seiner  ganzen  Länge  in  zwei  Muskeln  getheilt, 
von  welchen  die  Sehne  des  schwächeren  sich  unmittelbar  in  das  Fleisch  des 
Ahductor  pollicis  brevis  fortsetzt. 

Der  kurze  Strecker  des  Daumens,  Musculus  extensor  polH- 
cis  brevis,  kürzer  und  schwächer,  spindelförmig,  liegt  an  der  Ulnar- 
seite  des  vorigen,  mit  welchem  er  gleichen  Ursprung  und  Verlauf 
hat.  Schickt  seine  platte  dünne  Sehne  zur  Aponeurose  auf  der  Dor- 
salfläche der  ersten  Phalanx  des  Daumens. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  er  und  sein  Vorgänger,  bei  der  Pronations- 
stellung der  Hand,  sich  um  das  untere  Ende  des  Radius  herumwinden,  und  so- 
mit durch  ihre  Action  die  Auswärtsdrehung  der  Hand  unterstfitzen  mfissen,  wenn 
diese  kräftig  ausgeführt  werden  soll,  wie  beim  Eintreiben  eines  Bohrers,  oder 
beim  Aufsperren  eines  verrosteten  Schlosses. 

Bei  sehr  kräftigen,  so  wie  bei  sehr  abgezehrten  Armen  lebender  Menschen 
sieht  man,  während  der  Daumen  kräftig  abducirt  wird,  den  schiefen  Verlauf  der 
dicht  an  einander  liegenden  Sehnen  beider  Muskeln  ganz  deutlich  am  unteren 
Ende  der  Radialseite  des  Vorderarms  durch  die  Haut  hindurch  markirt. 

Der  lange  Strecker  des  Daumens,  Musculus  extenscn*  polli- 
cis  longuSj  entspringt  von  der  Crlsta  ulnae  und  dem  Ligamentum 
interosseumj  wird  bis  in  die  Nähe  des  Handgelenks  vom  Extenscn* 
communis  digitorum  bedeckt,  kreuzt  mit  seiner  langen  und  starken 
Sehne  die  Sehnen  der  beiden  Radiales  externi  etwas  tiefer  unten 
als  es  die  beiden  vorhergehenden  gethan  haben,  verschmilzt  auf 
der  Dorsalseite  des  Metacarpus  pollicis  mit  der  Sehne  des  kurzen 
Streckers,  und  verliert  sich  mit  dieser  in  der  Rückenaponeurose 
des  Daumens. 

Streckt  und  abducirt  mtin  den  Daumen,  so  sieht  man  an  der  eigenen  Hand, 
zwischen  der  Sehne  dieses  Muskels,  und  jenen  des  Extensor  hrevU  und  Ahductor 
longtutf  eine  dreieckige  Grube  einsinken,  die  bei  älteren  französisclien  Anatomen 
la  tahatihre  du  ponce  genannt  wird. 

Der  eigene  Strecker  des  Zeigefingers,  Musculus  Indl- 
catoVy  liegt  an  der  Ulnarseite  des  vorigen,  und  bedeckt  ihn  zum 
Theil;  entspringt  von  der  Crista  und  der  äusseren  Fläche  der  Ulna, 
und  verschmilzt  am  Handrücken  mit  der  vom  Exfensm'  communis 
abgegebenen  Strecksehne  des  Zeigefingers. 

Er  bietet  sehr  zahlreiche  Spielarten,  als  Vorbereitungen  zum  Doppcltw«'r- 
den,  oder  zur  Bildung  eines  eigenen  Streckers  des  Mittelfingers,  dar.  Man  findet 
seine  Sehne,  oder  selbst  seinen  Ursprungsbauch,  dopi>elt.  Ein  Schenkel  der  ge- 
spaltenen Sehne  geht  zum  Mittelfinger  (AI bin),  oder  sendet  selbst  ein  Fascikel 
zum  ersten  Gliede  des  Ringfingers  (Meckel).  Der  Muskel  ktinn  auch  fehlen, 
und  wird  durch  einen  besonderen  kleinen  Muskel  ersetzt,  der  vom  Ligavientum 
earpi  dortaie  entspringt  (Moser).  Als  Thierähnlichkeiten  sind  diese  Variationoii 
nicht  uninteressant,  indem  bei  vielen  Quadrumanen,  der  Strecker  des  Zeige- 
fingers einen  Sehnenschenkel  zum  Mittelfinger  abgiebt,  oder,  wie  bei  Cehns^  ein 
besonderer  Strecker  des  Mittelfingers  vorkommt. 

Sftmmtliche  über  die  Streckseite  der  Handwurzel  herablaufende 
BH  der  eben  beschriebenen  Muskeln,  werden  durch  einen,  G — 8 


§.  185.   Maakela  an  der  Hand.  465 

Linien  breiten,  queren  Bandstreifen,  —  das  sogenannte  Rückenband 
der  Handwurzel,   Ligamentum   carpi  commune  dorsale  s.  armülare,  — 
an   die    Knochen    niedergehalten,   so    dass   sie   sich,   selbst  bei   der 
stärksten  Streckung,  nicht  von  ihm  entfernen  können.  Das  Ligamen- 
tum carpi  commune  dorsale   ist  eigentlich   nur  ein  durch  quereinge- 
webte Faserzüge,   welche  vom   Griffel  des  Radius  zum    dreieckigen 
und  Erbsenbeine   herübcrlaufen,   verstärkter   Theil   der  Fascia  anti- 
brachiiy    und  schickt   von   seiner   inneren    Oberfläche    fünf  Scheide- 
wände coulissenartig  gegen  das  untere  Ende  der  Vorderarmknochen, 
wodurch   sechs  isolirtc   Fächer  ftir  die  Aufnahme  einzelner  Sehnen 
entstehen.    Diese   Fächer  werden   vom  Radius  gegen  die  UIna  ge- 
zählt, und  enthalten,  das  erste:    den  langen  Abzieher  und  kurzen 
Strecker  des  Daumens,    das   zweite:   die  beiden  Speichenstrecker 
der  Hand,   das    dritte:   den  langen   Daumenstrecker,    das   vierte: 
den  gemeinschaftlichen   Fingerstrceker,  und   den   eigenen   Strecker 
des  Zeigefingers,    das   fünfte:   den   Strecker  des   kleinen  Fingers, 
und  das  sechste:    den   Ulnarstrecker  der  Hand.    Sie  bedingen  die 
unveränderliche   Verlaufsrichtung   der  Sluskeln,  und  erlauben  ihnen 
keine  Verrückung,  oder  gegenseitige  Beirrung  durch  Reibung.  Wird 
durch    eine    plötzliche     forcirte    Action    eines    Muskels,  sein    Fach 
zersprengt,  so  schnellt  er  sich   aus  seiner  Lage,  und  ist  verrenkt. 
Alle    Fächer   sind   innen   mit    Synovialmembranen   geglättet,   welche 
durch  ihr  schlüpfriges   Secret  die  Reibung  der  Sehnen  vermindern. 
Vermehrung  und  Verdickung   ihres  flüssigen  Inhalts  kann  nicht  die 
unter   dem   Namen    der    IJeb  erb  eine  bekannten   Geschwülste    am 
Handrücken   erzeugen,  weil   diese    immer   die  längliche  Gestalt  der 
betreffenden  Fächer  haben  müssten,  welche  ihnen  aber  niemals  zu- 
kommt.  Die  Ueberbeine  Hhrer  Härte  wegen  so  genannt)  sind  ganz 
gewiss  entweder  wirkliche  Neubildungen  (Cysten),  oder  abgeschnürte 
Aussackungen  der  Synovialmembran  der  Sehnenscheiden. 

Als  ^itc  praktische  Uebung  mag  es  dienen,  nachdem  man  die  Muskeln  der 
oberen  und  unteren  Extremität  studirt  hat,  die  Frage  zu  beantworten,  welche 
Muskeln  beim  Amputiren  an  verschiedenen  Stellen  dieser  Extremitäten  durchschnit- 
ten werden  müssen,  und  welche  ganz  bleiben.  Man  wird  daraus  die  Bewegungen 
entnehmen,  deren  der  Stumpf  noch  fähig  ist. 


§.  185.  Muskeln  an  der  Hand. 

An  der  Hand  ist  nur  mehr  für  kurze  Muskeln  Platz.  Sie  bil- 
den drei  natürliche  Gruppen,  deren  eine  die  den  Ballen  des  Dau- 
mens zusammensetzenden  Muskeln,  die  zweite  die  Muskeln  am 
Ballen  des  kleinen  Fingers,  imd  die  dritte  die  in  die  Zwischen- 
räiune  der  Metacarpusknoehen  eingesenkten  3fu«cu/t  m^OMei  begreift. 

Hjrtl,  L«hrbaeh  d«r  AnaloBi«.  80 


466  I-  186.   Moikeln  u  dor  Huid. 

Die  Spulmuskeln    wurden   schon    beim   tiefliegenden    Fingerbeuger 
geschildert.    , 

A  Muskeln  des  Daumenballens,  Thenar. 

Der  kurze  Abzieher  des  Daumens  ist  der  äusserste,  und 
zugleich  der  oberflächlichste  am  Ballen,  entspringt  vom  Ligamentum 
carpi  transver^um,  *und  endigt  am  Radialrande  der  Basis  des  ersten 
Gliedes  des  Daumens. 

Lupine  zei^,  dass  auf  dem  Äbductor  poUicis  brei>is  ein  bisher  unbekannt 
gebliebener  Hautmuskel  aufliegt,  welcher  von  der  Endsehne  des  Äbductor  ent- 
springt, und  rückläufig  in  der  Haut  des  Daumenballens  sich  verliert.  Seine  Länge 
beträgt  3—4  Centim.  Er  fehlt  nur  selten.  Wir  haben  ihn  oftmals,  und  von  an- 
sehnlicher Stärke  gesehen.  In  jeder  Form  seines  Vorkommens  macht  er  den  Ein- 
druck eines  zweiten,  aus  der  Haut  des  Daumenballens  entspringenden  Kopfes 
des  Äbductor  pollicia  brevia.  Im  Plattfuss  kommt  er  nicht  so  constant  vor,  und 
steht  in  derselben  Beziehung  zum  Äbductor  hcUlucU,  Dictionn.  arm,  de»  progrks 
des  sdenea  mid.  1864^  p,  35, 

Der  Gegensteller  des  Daumens  wird  vom  vorigen  bedeckt, 
hat  mit  ihm  gleichen  Ursprung,  und  heftet  sich  an  den  Radialrand 
und  das  Köpfchen  des  Metacarpus  jjollicis. 

Der  kurze  Beuger  ist  zweiköpfig.  Der  oberflächliche 
Kopf,  welcher  fast  immer  mit  dem  Gegensteller  mehr  weniger  ver- 
wachsen ist,  entsteht  vom  queren  Handwurzelbande ,  der  tiefe 
Kopf  vom  Os  multangulum  majus,  capitatum,  und  hamatum.  Beide 
Köpfe  fassen  eine  Rinne  zwischen  sich,  in  welcher  die  Sehne  des 
Flexor  polUcis  longus  sich  einbettet,  und  setzen  sich  an  beiden  Rän- 
dern der  Basis  des  ersten  Gliedes  des  Daumens  fest.  Die  beiden 
Ossa  sesamoid^a  sind  in  die  Endsehnen  beider  Köpfe  eingewachsen. 
Er  ist  dem  Flexor  digitcn-um  pet*f(/i'atiis  oder  sublimis  der  übrigen 
Finger  analog,  während  der  lange  Beuger  des  Daumens  dem  Flexor 
perforans  oder  profundus  entspricht. 

Der  Zuzieher  des  Daumens  liegt  tief  im  Grunde  der  Hohl- 
hand, bedeckt  von  den  Sehnen  der  Fingerbeuger,  ist  vom  tiefen 
Kopfe  des  kurzen  Beugers  oft  nicht  zu  trennen,  entspringt  breit 
vom  Metacarpus  des  Mittelfingers,  imd  heftet  sich  zugespitzt  an  das 
innere  Sesambein  des  ersten  Daumengelenks.  Der  freie  Rand  der 
Hautfalte,  welche  sich  spannt,  wenn  der  Daumen  stark  abducirt 
wird,  schliesst  den  freien  Rand  dieses  dreieckigen  Muskels  ein. 

B.   Muskeln  des  Klein fingerhallens,  Hypothenar. 

Bei  der  sorgfältigen  Präparation  der  Muskeln  am  Kleinfinger- 
ballen findet  man  zuerst  einen  im  subcutanen  Bindegewebe  einge- 
lagerten, viereckigen,  und  als  Palmaris  brevis  benannten  Muskel 
vor,  welcher  am  Ulnarrande  der  Aponeurosis  palmaris  entsteht,  mit 
drei  bis  vier  quergerichteten  Bündeln  die  Muskeln   des  öeinfinger- 


g.  185.  Muskeln  an  der  Hand.  467 

ballens  überkreuzt,  und  sich  in  der  Haut  am  Ulnarrande  der  Hand 
verliert.  Er  ist  es,  welcher  durch  seine  Contraction,  das  mehrfach 
grubige  Einsinken  der  Haut  am  Ulnarrande  der  Hand  bewirkt, 
wenn  diese  mit  Kraft  zur  Faust  geschlossen  wird.  Nach  seiner 
Entfernung  lassen  sich  am  Kleinfingerballen  folgende  drei  kleine 
Längenmuskeln  isoliren. 

Der  Abzieher  liegt  am  Ulnarrande  der  Hand,  entspringt  vom 
Os  pisifiyrmej  und  tritt  an  die  Basis  des  ersten  Gliedes  des  kleinen 
Fingers,  theilweise  auch  zur  Rückenaponeurose  dieses  Fingers. 

Der  kurze  Beuger  geht  vom  queren  Handwurzelbande  und 
vom  Haken  des  Hakenbeins  zur  selben  Ansatzstelle,  wie  der  vor- 
genannte, mit  welchem  er  sehr  häufig  verschmilzt.  Aber  selbst  in 
diesem  Falle  deutet  ein  kleiner  Schlitz,  durch  welchen  der  tief- 
liegende Hohlhandast  des  Nervus  ulnaris  und  der  gleichnamigen 
Arterie  hindurchtritt,  die  Trennung  beider  Muskeln  an. 

Der  Gegensteller  des  kleinen  Fingers,  unrichtig  auch  als 
Zuzieh  er  angeführt,  entspringt  wie  der  kurze  Beuger,  von  welchem 
er  bedeckt  wird,  ist  aber  mehr  gegen  die  Mitte  des  Handtellers 
gelagert,  und  endigt  am  Mittelstück  und  am  Köpfchen  des  Meta- 
carpus  digiti  minimi. 

C.    Die  Zwischenknochenmuskeln,  Musculi  interossei. 

Sie  zerfallen  in  innere  und  äussere.  Innere  finden  sich 
drei.  Sie  sind  nur  an  Eine  Seitenfläche  eines  IGttelhandbeins  ge- 
heftet, verschliessen  somit  das  Spatium  intei'osseum  nicht  vollständig, 
und  erlauben  dadurch  den  äusseren  Zwischenknochenmuskeln  sich 
bis  in  die  Hohlhand  vorzudrängen.  Der  erste  Interosseus  internus 
entspringt  von  der  Ulnarfläche  des  Metacarpus  i7idicis,  der  zweite 
und  dritte  von  der  Radialfläche  des  Metacarpus  des  Ring-  und 
kleinen  Fingers.  Ihre  Endsehnen  steigen  neben  den  Köpfchen  der 
betreffenden  Mittelhandknochen  zur  Rückenfläche  des  ersten  Finger- 
gliedes empor,  und  verlieren  sich  in  dessen  Rückenaponeurose.  Sie 
ziehen  die  ausgespreiteten  Finger  gegen  den  Mittelfinger  zu.  — 
Aeussere  finden  sich  vier,  in  jedem  Interstitium  interosseum  einer. 
Sie  sind  sämmtlich  zweiköpfig,  und  entspringen  von  den  einander 
/Algekehrten  Flächen  je  zweier  Ossa  metacarpi,  füllen  ihren  Zwi- 
schenraum ganz  aus,  und  lassen  vom  Handrücken  her  die  Interossei 
mterni  nicht  sehen.  Der  erste  geht  zur  Radialseite  der  Rücken- 
aponeurose des  Zeigefingers,  der  zweite  und  dritte  zur  Radial- 
und  Ulnarseite  der  Rückenaponeurose  des  Mittelfingers,  und  der 
vierte  zur  Ulnarseite  derselben  Aponeurose  des  Ringfingers.  Die 
beiden  Köpfe  des  ersten  bleiben  viel  länger  getrennt  als  jene  der 
übrigen,  ein  Grund,  warum  man  den  vom  Mittelhandknochen  des 
Daumens  entspringenden  Kopf  ^aa  am^a«  huarosBeus  extemus^  auch 


^A* 


468  §•  ^M*  FMdo  der  oboren  Extremit&t. 

als  Musculus  ahductor  indicis  beschrieb,  und  den  vom  Mittelhand- 
knochen des  Zeigefingers  kommenden  Kopf,  als  ersten  Interosseus 
internus  gelten  Hess,  wonach  somit  nur  drei  Exteimi,  aber  vier  In- 
temi  angenommen  wurden  (Alb in).  Die  Intet'ossei  extei^n  ziehen  die 
Finger  ab,  oder  spreiten  sie  aus. 

Die  Wirkunp^  der  MimntU  intero/t/tei  und  ihr  Zahlenverhältniss  wird  am 
besten  folgcndermassen  aufgefasst.  Jeder  Finger  muss  der  Mittellinie  der  ganzen 
Hand,  deren  Verlängerung  durch  den  Mittolfingor  geht,  genähert  oder  adducirt, 
und  von  ihr  entfernt  oder  abdiicirt  werden  können.  Da  nun  der  Daumen  bereits 
einen  besonderen  Abduetor  und  Adductor,  der  kleine  Finger  aber  nur  einen  Ab- 
duetor  besitzt,  so  waren  nur  noch  sieben  Zwischenknochenmus  kein  erforderlich, 
um  jeden  der  vier  Finger  ab-  und  zuziehbar  zu  machen.  Die  Interoaaei  extemi 
sind  sämmtlich  Abductores,  die  iiüenn  Adductoros.  Da  der  Interonapus  exlemwt 
primus  den  Zeigefinger  abducirt,  so  kann  sein  Z(>igefingerkopf  nicht  nach  Alb  in 
als  erster  IjiteroJtgeua  intemua  genommen  werden,  denn  alle  Interossei  intenii  ad- 
duciren. 


§.  186.   Fascie  der  oberen  Extremität. 

Die  fibröse  Fascie  oder  Binde  der  oberen  Extremität  zerfällt 
in  die  Schulterblatt-,  Oberarm-,  Vorderarm-  und  Handfascie,  welche 
ununterbrochen  in  einander  übergehen,  und  einerseits  eine  complete 
fibröse  Hülle  für  die  vier  Abtheilungen  der  oberen  Extremität  bil- 
den, so  wie  andererseits  durch  coulissenartig  in  die  Tiefe  eindrin- 
gende Fortsetzungen,  Scheidewände  zwischen  einzelnen  Muskel- 
gruppen der  Extremität  erzeugen.  Wenn  sich  das  Bindegewebe 
zwischen  Fascie  und  Haut  zu  einem  anatomisch  darstellbaren  Blatte 
verdichtet,  wie  dieses  z.  B.  an  der  Beugeseite  des  Ellbogens  ganz 
auffallend  geschieht^  so  lieisst  dieses  Blatt  Fascia  superficialis. 

Die  Fascie  des  Schulterblattes,  Fascia  scapidaris,  welche 
das  ganze  Schulterblatt  umhüllt,  verwandelt  die  Fossa  supra-  et  in- 
fraspinata,  und  die  Fossa  stihscapularis,  in  ebensovielc  Hohlräume, 
welche  durch  die  gleichnamigen  Muskeln  ausgefüllt  werden.  Man 
unterscheidet  somit  eine  Fascia  supraspinata,  iiifraspinata,  und  stJj- 
scapulnris.  Letztere  ist  viel  schwächer,  als  die  beiden  anderen.  Sie 
begleiten  die  von  ihnen  bedeckten  Muskeln  zu  ihren  respectiven 
Insertionen  am  Oberarm,  und  verlieren  sich  theils  in  die  Fascie 
des  Oberarms,  theils  aber  auch  in  die  fibröse  Kapsel  des  Schulter- 
gelenks. Die  Fa^scia  infraspinata  erzeugt  zwei  Fortsetzungen,  von 
welchen  die  stärkere  zwischen  den  Teres  nmjor  und  minore  die 
schwächere  zwischen   Teiles  mincn*  und  Infraspinatus  eindringt. 

Die  Fascie  des  Oberarms,  Fascia  brachii,  entspringt  an 
den  Ursprungspunkten  des  Deltamuskels,  und  hängt  vorn  mit  der 
dünnen  Fascie,  welche  den  grossen  Brustmuskel  überzieht,  hinten  mit 
der  Fascie,  welche   den  Muscubis  infraspinatus  bedeckt,  zusammen. 


§.  186.  Fasde  der  oberon  Eixtremit&t.  469 

Die  Fascie  dedoublirt  sich,  um  den  Deltamuskel  mit  einem  hoch-  und 
tiefliegenden  Blatte  zu  lunschliessen.  Vom  äusseren  Rande  des  grossen 
Brustmuskels  geht  sie  zu  demselben  Rande  des  Lattssimus  dorsi 
hinüber,  und  bildet  während  dieses  Ueberganges  einen  freien,  bogen- 
förmigen, den  Gefässen  und  Nerven  der  Achselhöhle  zugekehrten 
und  sie  überspannenden  Rand,  welchen  Langer  als  Achsel- 
bogen zuerst  beschrieb.  Sie  müsste  über  die  Achselgrube  quer  hin- 
tibergestreckt  sein,  so  dass  es  eigentlich  gar  nicht  zur  Bildung  einer 
von  aussen  sichtbaren  Grube  käme,  wenn  nicht  ein  Antheil  der 
Faada  coraco-pectoralis  sich  an  ihre  obere  Fläche  befestigte,  und  sie 
so  stark  in  die  Achselgrube  hineinzöge,  dass  die  mit  ihr  verbundene 
allgemeine  Decke  ihr  nachzufolgen  gezwungen  wird.  —  Unter  der 
Insertion  des  Deltamuskels  wird  die  Fascie  durch  Antheile  der  Seh- 
nen des  Deltoides,  Pectoralis  majw*,  Latüsimus  dorsi  verstärkt,  welche 
Muskeln  somit  einen  spannenden  Einfluss  auf  sie  ausüben.  Sie 
schickt  zur  äusseren  und  inneren  Kante  des  Oberarmknochens,  bis 
zu  den  Condylis  herab,  zwei  Fortsetzungen  in  die  Tiefe,  welche 
natürliche  Scheidewände  zwischen  den  Bezirken  der  Strecker  und 
Beuger  vorstellen,  imd  Ligamenta  intermusculariaf  ein  extet*num  und 
intemuM,  genannt  werden.  Das  externum  erstreckt  sich  von  der  In- 
sertionsstelle  des  Deltamuskels  bis  zum  Condylus  externus  herab;  — 
das  inteimum,  vom  Ansatzpunkte  des  Caracohrachialis  bis  zum  Con- 
dylus internus,  und  ist  breiter  und  stärker  als  das  externum.  Zwischen 
Biceps  und  Brachialis  inteimus  wird  ein  drittes  Blatt  quer  eingescho- 
ben, welches  mit  der  die  Gefässe  und  Nerven  im  Sulcus  bicipitalis 
iutetmus  umhüllenden  Bindegewebsscheide   im   Zusammenhang  steht. 

Die   Faser«,   aus    welchen  die  Fascia  brachii  gewebt  ist,  sind  vorwaltend 
Kreisfasern.  Spiral-  und  Längsfasern  treten  spärlicher  auf. 

Die  Fascie  des  Vorderarmes,  Fascia  antibrachiiy  wird  am 
Ellbogen  durch  Aufnahme  der  *von  den  Sehnen  des  Biceps  und  Tri- 
ceps  stammenden  Verstärkungsbündel,  und  durch  Ringfasern,  welche 
längs  des  hinteren  Winkels  der  Ulna  entspringen,  bedeutend  ver- 
stärkt. Sic  lässt  selbst  das  Fleisch  der  um  das  Ellbogengelenk  grup- 
pirten  Muskeln,  welche  am  Knochen  nicht  genug  Platz  zum  Ur- 
spnmg  fanden,  von  ihrer  inneren  Fläche  entspringen,  und  schiebt 
zwischen  ihre  Bäuche  zahlreiche  fibröse  Fortsätze  zu  demselben 
Zweck  ein.  Die  Abgangsstellen  dieser  Fortsätze  lassen  sich  schon 
bei  äusserer  Ansicht  einer  wohlpräparirten  Fascie  als  weisse  Streifen 
erkennen.  An  der  Aussenseite  des  Vorderarms  ist  sie  doppelt  so 
stark,  als  an  der  Innenseite.  In  der  Ellbogenbeuge  liegt  sie  nur  lose 
auf  den  Gefässen  und  Nerven  der  Plica  cubiti,  von  welchen  sie 
durch  fettreiches  Bindegewebe  getrennt  wird,  besitzt  hier  eine  grössere 
Oefihung,  durch  welche  die  tiefliegenden  Brachialvenen  mit  der 
extra  fasciam  gelegenen    Vena  mediana   durch   einen   «iDsehnlichen 


470  §•  1^'  FMcie  der  oberen  Extremität. 

Verbindungsast  communiciren,  und  adhärirt  fester  an  die  Muskeln, 
welche  die  Seiten  der  Ellbogengrube  bilden.  Fast  alle  Muskeln  des 
Vorderarms,  und  die  zwischen  ihnen  laufenden  Gefasse  imd  Nerven, 
erhalten  Scheiden  von  ihr.  —  Besondere  Erwähnung  verdient  ein 
zwischen  der  ersten  und  zweiten  Schichte  der  Muskeln  an  der  inne- 
ren Vorderarmseite  durchziehendes  Blatt  der  Fascia  antthrachii,  wel- 
ches um  so  stärker  erscheint,  je  näher  dem  Carpus  man  dasselbe 
untersucht.  —  In  der  Nähe  der  Articulatio  carpi  verdichtet  sie  sich 
zum  Ligamentum  caiyi  commune  dorsale  et  volare.  Das  dorsale  ver- 
Jiält  sich  zu  den  unter  ihm  durchgehenden  Streckmuskeln,  wie  im 
§.  184  schon  gesagt  wurde;  das  volare  liegt  auf  dem  Ligamentum 
carpi  transversum  seu  p^opHum  auf,  verschmilzt  theilweise  mit  ihm, 
und  wird  von  ihm,  gegen  den  Radius  zu,  durch  die  Sehne  des  Ra- 
dialis internus,  gegen  das  Erbsenbein  zu,  durch  den  Nervus  und  die 
Arteria  ulnaris,  und  in  der  Mitte  durch  die  Sehne  des  Palmaris  lon- 
gus  getrennt.  Das  Ligamentum  carpi  dorsale  setzt  sich  in  die  sehr 
zarte  Dorsalaponeurose  der  Hand  fort,  welche  ein  h  o  c  h  1  i  e  g  o  n  d  e  s, 
die  Strecksehnen  deckendes,  und  ein  tiefes,  etwas  stärkeres,  die 
Rückenfläche  der  Muscidi  inteivssei  überziehendes  Blatt  unterschei- 
den lässt. 

Das  Ligamentum  carpi  commune  volare  hängt  mit  der  A  p  oneu- 
rose  der  Hohl  band  (Apontutrosis  palmar  is)  zusammen,  welche  die 
Weichtheile  in  der  Hohlhand  zudeckt,  in  der  Mitte  des  Handtellers 
am  stärksten  ist,  auf  der  Slusculatur  des  äusseren  und  inneren  Bal- 
lens der  Hand  sich  verdünnt,  und  am  Ulnar-  und  Radial rande  der 
Hand  mit  der  Dorsalaponeurose  sich  in  Verbindung  setzt.  Ihr  mitt- 
lerer, starker,  die  Beugesehnen  der  Finger  deckender  Theil  hat  eine 
dreieckige  Gestalt,  kehrt  seine  Spitze  der  Sehne  des  Palmaris  lon- 
gus  zu,  welche  in  sie  übergeht,  und  divcrgirt,  gegen  die  ersten 
Fingergelenke  hin,  in  vier  durch  Querfasem  verbundene  Zi})fe, 
welche  theils  mit  den  fibrösen  Scheiden  der  Sehnen  der  Fingerbeu- 
ger zusammenfliessen,  theils  in  jene  prallen  Fettpolster  der  Haut 
übergehen,  welche  beim  Hohlmachen  der  Hand  an  den  Kröpfen  der 
Mittelhandknochen  bemerkbar  werden    (Monticuli  der  Chiromanten). 

Einzelne  Abthcilun^rcn  der  erwähnten  P'iiflcien  uniRchliesflen  als  Scheiden 
die  Muscnlatiir  so  fest,  dass,  wenn  sie  cinf^eschnitten  werden,  das  Muskeltloiseh 
über  die  Oeffnungf  der  Scheide  vorqnillt,  welches,  wenn  die  Oett'iuinp  der  ScluMde 
ein  zufällig  entstandener  Riss  ist,  von  den  Chirurp^en  Mnskelhruch  [Heniia 
musailarU)  p^enannt  wird,  und  namentlich  am  Supinatov  lontfuft  schon  mehrmals 
ffesehen  wurde.  —  Da  die  p^rossen  Gefässe  und  Nerven  innerhalb  der  Fascien 
liegen,  so  müssen  für  die  zur  Haut  gehenden,  oder  von  der  Haut  kommenden 
Aestc  derselben,  Oeflfnungen  vorhanden  sein,  welche  erst  in  der  Gefäss-  und 
Nervenlehre  näher  bezeichnet  werden  können.  —  Die  Festigkt^it  und  Unnach- 
gicbigkcit  der  Fascien  am  Ellbogen  und  in  der  Hohlhand,  erklärt  hinlänglich 
die  heftigen  Zufälle,  welche  gewisse  tiefliegende   Entzündungen    und    Eiterungen 


$.   187.  AUgemeino  BetracMung  der  nnteren  Extreinit&t.  471 

▼eranlasaeD,  und  rechtfertig  die  frühzeitige  Anwendung  des  Messers  bei  Abscesaen 
unter  diesen  Fascien. 

Die  vielen  Fortsätze,  welche  die  Fascie  der  oberen  Extremität  in  die 
Tiefe  sendet,  sind  der  Grund,  warum  man  sie  beim  Amputircn  nicht  zugleich 
mit  dem  Hautlappen  von  den  Muskeln  lospräparirt,  sondern  crsteren  allein  als 
Manschette  zurückschlägt. 


G.  Muskeln  der  unteren  Extremität. 

§.  187.  AUgemeine  Betrachtung  der  unteren  Extremität. 

Die  untere  Extremität,  welche  die  Last  des  Stammes  zu  stützen 
und  zu  tragen  hat,  ist  aus  diesem  Grunde  länger,  stärker,  mit  kraft- 
volleren Muskeln  versorgt,  und  auf  eine  viel  weniger  bewegliche 
Weise  mit  dem  Stamme  verbunden,  als  die  obere.  Ihre  Länge,  im 
Vergleich  zur  oberen,  ist  der  triftigste  Beweis  gegen  Moscati's 
possierliche,  aber  in  allem  Ernste  aufgestellte  Behauptung,  dass  der 
Gang  auf  allen  Vieren  der  naturgemässe,  und  jener  auf  zwei  Füssen 
nur  eine  üble  Angewohnheit  des  Menschen  sei.  Moscati  selbst  hat 
es  übrigens  bequemer  gefunden,  auf  zwei  Füssen  zu  gehen,  und  wie 
andere  Menschenkinder  zu  leben,  statt  auf  vieren  zu  kriechen,  und 
in  grüne  Krautköpfe  zu  beissen. 

Die  erste  Abtheilung  der  unteren  Extremität,  die  Hüfte,  ver- 
bindet sich  durch  eine  feste  Symphyse  mit  dem  Rückgrat.  Dadurch 
wird  der  ganze  Apparat  von  Muskeln,  welcher  an  der  oberen  Ex- 
tremität die  bewegliche  Schulter  fixiren  musste,  an  der  unteren  ent- 
behrlich. Dagegen  erreichen  die  vom  Darmbeine,  als  Analogen  des 
Schulterblattes,  zum  Obersehenkel  gehenden  Muskeln,  welche  das 
Becken  auf  den  Schenkelköpfen  beim  aufrechten  Gange  feststellen, 
eine  Stärke,  welche  mit  dem  zu  dieser  Thätigkeit  erforderlichen 
Kraftaufwande  im  Verhältnisse  steht,  und  sich  durch  die  starke 
Wölbung  der  Fleischmassen  der  Hinterbacken  (Gesäss),  die  nur 
dem  menschlichen  Geschlechte  eigen  ist,  äusserlich  kennbar  macht. 
(^Les  fe^ses  najypnrtienneiit  qiiä  l'esp^ce  humaine.  Buffon.)  —  Beide 
Hinterbacken  berühren  sich  in  der  Spalte  des  Gesässes,  welche  den 
After  birgt.  Vor  dem  After  liegt  das  Mittelfleisch,  Perineum^  wel- 
ches beim  Manne  sich  bis  zur  Basis  des  Hodensacks  erstreckt,  beim 
Weibe  aber  nur  bis  zum  hinteren  Winkel  der  Schamspalte  reicht. 
Bei  ausgezehrten  Individuen  schlottert  die  hängende  Hinterbacke, 
und  wird  vom  Oberschenkel  durch  eine  tiefe,  schief  vom  Steiss- 
beine  gegen  den  grossen  Trochanter  gerichtete  Furche,  den  Sulcus 
subischindkusy  getrennt,  welcher  bei  der  FüUe  und  Prallheit  eines 
vollen  und  harten  Gesässes  weniger  tief  erscheint. 


472  f«  1^-  AllfeaeiM  Betn^taBg  der  vatcreB  ExtiaüUt 

Die  mächtigen  Muskcllager  und  das  subcutane  fettreiche  Binde- 
gewebe des  GesässeS;  lassen  nur  die  Crista  des  Darmbeins,  und  bei 
zusammengekauertem  Stamme,  auch  das  Tuhei-  ossU  ischiiy  obwohl 
minder  deutlich,  fühlen.  Die  Haut  des  Gesässes  ist  dick,  bei  fetten 
Menschen  nicht  zu  falten,  verdünnt  sich  gegen  den  After,  wo  sie 
viele  Talgdrüsen  enthält,  und  wird  auf  dem  Mittelfleische  so  zart, 
dass  man  die  subcutanen  Venen  durchscheinen  sieht.  Das  Binde- 
gewebe unter  der  Haut  erreicht  durch  Fettablagerung  eine  bedeu- 
tende Dicke,  und  schliesst  zuweilen  auf  dem  Tuber  ischii,  so  wie 
an  der  Spina  ossis  ilei  anterlf/r  superiory  eine  Bursa  mucosa  subcu- 
tanea ein.  Bei  den  Frauen  der  Buschmänner,  sowie  bei  einigen 
Affengeschlechtem,  geht  die  Fettwucherung  in's  Monströse.  Cuvier 
hat  das  Gesäss  von  der  bekannten  Vejius  hottentottica  in  Paris  abgebildet. 

Das  dicke  Fleisch  des  Oberschenkels  hüllt  das  Femur  so  voll- 
kommen ein,  dass  nur  der  grosse  Trochanter,  und  die  beiden  Con- 
dylen  am  unteren  Ende,  der  Hand  zugänglich  sind,  und  ersterer 
deshalb  bei  der  Ausmittlung  von  Verrenkungen  des  Hüftgelenks, 
einen  verlässlichen  Orientirungspunkt  abgiebt.  —  Indem  die  Mus- 
keln am  Oberschenkel,  gegen  das  Knie  herab,  sämmtlich  sehnig 
werden,  so  vermindert  sich  der  Umfang  des  Schenkels  in  derselben 
Richtung,  und  man  kann  am  Knie  die  Enden  des  Ober-  und  Unter- 
schenkels, die  Kniescheibe,  die  Spina  tibiae,  das  Ligamentum  pa- 
tellae  proprium^  und  selbst  die  Seitenbänder  des  Kniegelenks,  bei 
manueller  Untersuchung  fühlen.  —  Man  findet  die  Haut  an  der 
äusseren  Seite  des  Oberschenkels  dicker,  und  minder  empfindlich, 
als  an  der  inneren,  wo  sie  sich,  besonders  gegen  das  Leistenband 
zu,  so  verdünnt,  dass  man  bei  mageren  Schenkeln  die  Leistendrü- 
sen, die  Hautvenen,  ja  selbst  den  Pulsschlag  der  Arteria  femoralis 
sehen  kann.  Auf  der  Kjiiescheibe  wird  sie  hart  und  rauh,  und  bei 
häufigem  Knieen  schwielig.  Das  Unterhautbindegewebe  ist  über  dem 
grossen  Trochanter  und  auf  der  Kniescheibe  immer  fettarm,  und 
enthält  an  beiden  Stellen  eine  Bursa  mucosa  subcutanea.  Unter  der 
Bursa  mucosa  patellaris  liegt  noch  eine  zweite,  tiefere,  von  Luschka 
in  12  Leichen  lOmal  beobachtete  (siehe  §.  190).  Diese  Schleim- 
beutel veranlassen,  durch  copiöse  Secretion  ihres  Inhaltes,  die  unter 
dem  Namen  des  Hygroma  cysticum  patellare  bekannte  chirurgische 
Krankheitsform,  welche,  da  sie  bei  Dienstboten,  welche  den  Fuss- 
boden  zu  scheuem  haben  und  dabei  auf  den  Knieen  hcrumnitschen, 
häufig  vorkommt,  in  England  y^the  housemaids  knee^  genannt  wird. 
—  An  der  hinteren  Gegend  des  Kniegelenks  fühlt  man  bei  den 
Beugebewegimgen,  die  Sehnen  der  Unterschenkclbeuger  sich  an- 
spannen, und  eine  dreieckige,  nach  oben  spitzige  Grube  begrenzen, 
welche  als  Wiederholung  der  Plica  cubiti,  Kniekehle,  Fossa  jyo- 
plitea  (bei  den  Engländern    y^tke  holloic   of  the   leg^)   genannt   wird. 


§.  188.  Maskeln  an  der  ITQfte.  473 

Der  Unterschenkel  gleicht  noch  viel  mehr,  als  der  Oberschen- 
kel,  einem  abgestumpften  Kegel,  dessen  Spitze  dem  Sprunggelenk«', 
dessen  Basis  dem  dicken  Fleische  der  Wade  entspricht.  Nur  8ein(j 
äussere  und  hintere  Seite  sind  von  Muskeln  eingenommen;  —  an 
der  inneren  deckt  nur  Haut  und  Fascie  das  leicht  zu  fühlende 
Schienbein. 

Der  Fuss  besitzt  an  seiner  Dorsalgegend  ein  dlUnufS  und  ver 
schiebbares  Integumeut,  durch  welches  die  Sehnen  der  Streckmus- 
keln, und  die  Vorsprünge  der  Knochen  dem  Gefühle  zugUnglich 
werden,  wenn  nicht,  wie  bei  Kindern  und  Frauen,  eine  stärkere 
subcutane  Fettschichte  die  Ungleichheit  des  Fussrückens  verschwin- 
den macht.  —  In  der  Fusssohle,  Planta,  treffen  wir  die  unverschieb- 
bare  Haut  an  der  Ferse  und  am  Ballen  der  Zehen  sehr  dick,  die 
Epidermis  über  2  Linien  Mächtigkeit  verhornt,  und  das  reichHch 
mit  tendinösen  Balken  durchzogene  Unterhautbindegewebe  lilsst  die 
tiefer  liegenden  Gebilde  nicht  durchfühlen.  Unter  der  TnherfßSitas 
calcaneij  und  den  Köpfen  des  ersten  und  fünften  Metatarsusknochens 
liegen  subcutane  Schleimbeutel,  deren  Entstehung  nicht  dem  Drucke 
zuzuschreiben  ist,  welchen  diese  drei  Punkte  beim  Gebrauche  de« 
Fusses  auszuhalten  haben,  indem  sie  schon  im  neugeborenen  Kinde 
vorkommen. 


§.  188.  Muskeln  an  der  lüfte. 

Es  werden  unter  dem  Namen  der  Hüftmunkeln  nur  jene  ver- 
standen, welche  die  äussere  und  innere  Fläche  den  Ffüftb^inH  rrin- 
nehmen,  und  am  oberen  Ende  des  Obersehenkr'ls  i-ndigf-n.  Viele 
der  vom  Hüftbeine  entspringenden  Musk^-in  gehen  wf!it«;r  am  Srhen- 
kelknochen  herab,  überspringen  sogar  (\ha  Kniegelenk,  um  am  (Tn- 
terschenkel  anzugreifen,  und  werden  deshalb  nicht  zu  (hu  Ifüft- 
muskeln  gezählt,  sondern  unter  den  Muskeln  an  df-r  vordenm  und 
hinteren  Seite  d^s  Oberschenkels  in  d^-n  fol^^enden  f'aragraphen 
beschrieben. 

A.    y\*  HH Hf'.rf.   M nkht'ln  flrr    llüfl.*'. 

\)<^r  ^'  r '»  1  ■":  G  /■  4 ;i  rtH  in  II  s k  e  I ,  MiiHfnhtH  *iluhirftH  maf/nHM  (-{lVj- 
t:;.  Hinr>rb;j'ke^,  kofnint,  /ur-rnt,  n?u-.li  KMtfrrniinj^  (\v.v  llaiit  am 
Gesa.-?.'!':  /!in.  V  '»r«  K'-m.  Kr  li;it,  *:ih''  v',\M\*'\\U'tru\\\r,f'  Gr,Kfalt,  und 
enr.-pr:r.:rt  V',if»  f.:ril'.r«  n  'Ih/ilr-,  /|/ r  ;iii.<.-i«r«ii  |)/irmb*;inlc.f/'* ,  von 
dem  '!:••  liir.rv:!"  V.vn/.\n\u\\]\.ohi'.  /|i/|<"ii/l'  n  WhiSU-  r|i-r  Fannn  hmiW 
dorna^'A  d'-ra  y,*'^u^^THu^\^^  Hz-k  Sf./lH^linn«,  iin/j  r|(.|n  I/Hjamt'.nfum 
tn}i^onf,-4nAfiim,  .'^rinr  /AhlrMK'hf-n,  |fnnillr|/'n ,  t.';rr»brn,  und  lofker 
sagamineiihAlt^AdAfk    ftHr^M^    MMen    K''W/fliiilir|i    ^^\^^^^    MuHkelrnasse 


474  S-  188.    Haskeln  an  der  Hflfle. 

von  1  Zoll  Dicke,  welche  schräge  nach  aussen  und  unten  herab- 
zieht, und  in  eine  breite  starke  Sehne  tibergeht,  welche  sich  theils 
an  dem  oberen  Theil  der  äusseren  Lefze  der  Linea  aspei'a  femoris 
festsetzt,  theils  in  die  Fascia  lata  übergeht.  Zwischen  seiner  End- 
sehne und  dem  grossen  Trochanter  liegt  ein  ansehnlicher,  einfacher 
oder  gefächerter  Schleimbeutel,  dem  im  weiteren  Laufe  der  Sehne 
noch  zwei  bis  drei  kleinere  folgen. 

Tiodcmann  {MeckeTs  Archiv  für  Physiologie,  4.  Bd.)  sah  ihn  auf  beiden 
Seiten  doppelt  bei  einem  Manne,  bei  welchem  auch  der  Cucullaris  und  Pectoralis 
doppelt  waren.  —  Bei  aufrechter  Stellung  decken  seine  unteren  Bündel  den  Sitz- 
knorren, und  gleiten  beim  Niedersitzen  von  ihm  ab,  so  dass  die  Last  des  Kör- 
pers den  Muskel  nicht  drückt.  Es  kann  deshalb  der  quere  Durchmesser  des 
Beckenausganges  am  Lebenden  nur  im  Liegen,  mit  gegen  den  Bauch  angezoge- 
nen Schenkeln,  aus^emittelt  werden. 

Der  mittlere  Gesässmuskel,  Musculvs  glu taens  m ech'ns,  liegt 
unter  dem  vorigen,  welcher  jedoch  nur  seine  hintere  Hälfte  bedeckt. 
Er  entspringt  vom  vorderen  Theile  der  äusseren  Darmbeinlefze, 
welche  der  Glutaeiis  magnus  frei  Hess,  so  wie  von  jener  Zone  der 
äusseren  Darmbeinfläche,  welche  zwischen  der  Crista  und  der  Linea 
semicircularis  exteima  liegt,  steigt  mit  convergenten  Faserbündeln 
gerade  abwärts,  und  setzt  sich  mit  einer  kurzen  stiirken  Sehne  an 
die  Spitze  und  die  äussere  Fläche  des  grossen  Trochanter  fest 
(Schleimbeutel). 

Der  kleine  Gesässmuskel,  Musculus  glutaetis  minivuts,  gleicht 
einem  entfalteten  Fächer.  Er  liegt,  vom  mittleren  bedeckt,  auf  der 
äusseren  Darmbeinfläche  auf,  von  welcher  er,  bis  zur  Linea  semi- 
circularis  externa  hinauf,  entspringt.  Er  zeigt,  wenn  er  rein  präpa- 
rirt  ist,  das  strahlige  Ansehen  des  Musculus  teniporalis,  und  be- 
festigt sich  an  die  innere  Fläche  der  Spitze  des  Trochanter  major 
(Schleimbeutcl). 

Der  Spanner  der  Schenkelbinde,  Musculus  tensor  fnsciae 
latae,  entspringt  vom  vorderen  oberen  Darmbcinstachel,  steigt  ge- 
rade vor  dem  grossen  Trochanter  herab,  und  geht  in  das  obere 
Dritttheil  der  Fascia  lata  tlber.  Er  grenzt  nach  hinten  an  den  vor- 
dc^ren  Rand  des  Glutaeus  medius.  Spannt  die  Fascie,  und  hilft  den 
Sehenkel  einwärts  rollen.  Er  gehört  streng  genommen  nicht  dem 
Gesässe,  sondern  der  äusseren  Seite  des   Oberschenkels  an. 

Alle  drei  (Uutaei  sind  Ahductoren  fernorvt.  Der  viagnii9  zieht  überdies  den 
Schenkel  nach  hinton;  die  vorderen  Fasern  des  medina  und  minimus  rotiren  ihn 
nach  innen.  Ist  der  Schenkel  fixirt,  so  bewegen  sie  das  Becken  auf  den  Schen- 
kelköpfen, oder  halten  es  auf  denselben  fest,  um  den  aufrechten  Stamm  beim 
Gehen  und  Stehen  zu  balanciren. 

Der  b  i  r  n  f ö  r  m  i  g  e  Muskel,  Muscuhis  pyrifomiis  s,  pyram  idalis, 
länglich  kegelförmig,  entspringt  in  der  kleinen  Beckenhöhle  von 
der  vorderen  Fläche  des  Kreuzbeins  in  der  Gegend  des  zweiten 
bis  vierten  vorderen  Foramen  sacrale,  und  vom   unteren  Theile  der 


§.  188.    Muskeln  an  der  Hflfle.  475 

Symphysis  sacro-ütaca:  tritt  qiiergerichtet  aus  der  Beckenhöhle  durch 
das  Foramen  ischiadicum  majus  heraus,  streift  an  der  hinteren  Fläche 
der  Hüftgelenkskapsel  vorbei,  und  befestigt  sich  mit  einer  kurzen 
runden  Sehne  unterhalb  des  Gbitaeus  minimus  (Schleimbeutel).  Rollt 
den  Schenkel  auswärts. 

Sein  oberer  Rand    grenzt    an    den    hinteren    des    Glutaeua   medxua.   Beide 
trennt  eine  Spalte,  durch  welche  einige  Aeste  der  V<ua  glutaea  passiren. 

An  ihn  schliesst  sich  nach  unten  an:  der  innere  Ver- 
stopfungs-  oder  besser  Hüftbeinlochrauskel,  Muscuhcs  obtu- 
rator  s.  obturatorius  inteimus  ^  welcher  gleichfalls  in  der  kleinen 
Beckenhöhle  vom  Umfange  des  Foramen  ohturatnm,  und  theilweise 
von  der  inneren  Fläche  des  Verstopfungsbandes  entspringt,  seine 
Fleischbündel  gegen  das  Foramen  ischiadictim  minus  zusammendrängt, 
und  hier  in  eine  platte  Sehne  übergeht,  welche,  während  sie  das 
genannte  Foramen  passirt,  sich  um  die  Incmtra  ischiadica  minor 
wie  um  eine  Rolle  herumschlägt,  imd  quer  nach  aussen,  über  die 
hintere  Wand  der  Hüftgelenkskapsel  wegziehend,  zur  Fossa  trochan- 
teris  majoris  ablenkt.  Nach  dem  Austritte  aus  dem  Foramen  ischia- 
dicum minus  erhält  diese  Sehne  ein  Paar  muscul()se  Zuwüchse,  — 
die  beiden  Zwillingsmuskeln,  Gemelli,  —  welche  ich  als  subal- 
terne, extra  pelvim  befindliche  Ursprungsköpfe  des  Obturator  be- 
trachte. Der  obere  kommt  von  der  Spinaj  der  untere  von  der 
Tuberositas  ossis  ischii,  Sie  hüllen  mit  ihrem  Fleische  die  Sehne  des 
Obturatorius  inteinius  vollständig  ein,  und  verschmelzen  mit  ihr,  be- 
vor sie  ihren  Insertionspunkt  in  der  Fossa  trochanterica  erreicht. 
Rollt  nach  aussen. 

Da  die  Direction  dieses  Muskels  keine  geradlinige,   sondern  eine  winklige 
ist,  so  muss  an    der   Spitze   dieses    Winkels,   welcher   in   der    IncUnra    Mchiadica 
minor  liegt,  die  Sehne  sich  am  Knochen  reiben,  welcher  doshalb  an  der  Keibungs- 
stelle  mit  einem  knorpeligen  Ueberzugo  versehen   wird,    auf  welchem   die   Sehne 
mittelst  eines  zwischenliegenden  Schleimbcutels  gleitet.     Häufig   ist  dioser    Knor- 
pelüberzug der  Incisitra  ischiadica  minor  durch  scharfe  Ritfe,  deren  Richtung  mit 
der  Richtungslinie  der  Sehne  übereinstimmt,  in  mehrere  Furchen  getheilt,  welchen 
entsprechend  die  Sehne  des  Obturator  internus   in    eben   so  viele   neben  einander 
liegende  Bündel  gespalten  erscheint  —  Der  obere  Zwillingsmuskel  fehlt  als  Affen- 
ähnlichkeit. Meckel  vermisste  sie  beide  einmal    (Regel   beim   Schnabelthier   und 
den  Fledermäusen).  —  Columbus  und   Spigelius  betrachteten   beide  Gemelli 
als  Einen  Muskel,  welcher  die  Sehne  des  Obturatorius   beutelartig   einhüllt,   und 
gaben  ihm  deshalb  den  Namen:  Marsupium  cameum  (fleischiger   Beutel).   Lieu- 
t  a  u  d  nannte  den  Muskel,  wahrscheinlich  seiner  gefurchten  Sehne  wegen,  le  Can- 
neU.  Da  der  fleischige  Ursprung  des  Obturatorius  internus  an   der  inneren  Seite 
des  Hüftbeins  liegt,  so  wird  seine  Präparation  unter  Einem  mit  jener  des  Psom 
und  Iliacus  internus  vorgenommen. 

An  den  Gemellus  infeii,&i*  schliesst  sich  der  viereckige 
Schenkelmuskel,  Muscidus  quadratus  femoris,  an,  welcher  vom 
Sitzknorren  entspringt,  und  quer  zur  rauhen  Linie  läuft,  welche 
vom  grossen   Trochanter    zur     OK-*-         ^  '    ^^rid^t^ieigL    Er  ist, 


476  §.  188.  Maskeln  an  der  Hflfte. 

seiner  wagrecht  zum  Femur  gehenden   Richtung  wegen,   gewiss  der 
kräftigste  Auswärtsroller. 

Er  deckt  den  Ohturator  extemus  zUy  welcher  aber  nicht  von  hinten  her, 
sondern  viel  bequemer  von  vorn  her  zu  präpariren  ist,  und  deshalb  erst  nach 
Bearbeitung  der  Muskeln  an  der  inneren  Seite  des  Schenkels  dargestellt  werden 
soll,  —  Kiolan  machte  aus  dem  Piriformis,  den  beiden  Oemelli,  und  dem  Qua- 
dratus,  einen  einzigen  Muskel,  welchen  er  QuadrigeminHS  nannte. 

Der  äussere  Hüftbeinlochmuskel,  Musculus  ohturatw  s. 
ohturato7'kis  extefiims,  platt,  dreiseitig,  entspringt  vom  inneren  und 
unteren  Umfange  des  Fm^ameii  ohturatum,  aber  nicht  von  der  Mem- 
brana obturatmnaj  welche  er  blos  bedeckt.  Seine  quer  laufenden 
und  nach  aussen  convergirenden  Faserbündel  gehen  dicht  an  der 
hinteren  Wand  der  Hüftgelenkskapsel  vorbei,  und  bilden  eine  runde, 
starke  Sehne,  welche  sich  am  Grunde  der  Fossa  trochanterica  inse- 
rirt.  Wirkt,  wie  seine  Vormänner,  auswärtsrollend  auf  den  Schen- 
kel, oder,  bei  fixirtem  Schenkel,  drehend  auf  das  Becken,  wenn 
man  auf  einem  Fusse  steht. 

B,  Innere  Muskeln  der  Hüfte, 

Der  grosse  Lendenmuskel,  Musculus  psoas  major  (f<  'i/6a, 
Lende),  entspringt  von  der  Seitenfläche  und  den  Querfortsätzen  des 
letzten  Brustwirbels,  und  der  vier  oberen  (öfters  aller)  Lendenwir- 
bel, so  wie  von  den  Intervcrtebralscheiben  derselben.  Dieser  flei- 
schige Urspning  bildet  einen  konischen,  nach  abwärts  sich  ver- 
schmächtigenden  MuskelkcJrper,  dessen  feinfaseriges,  zartes,  saftiges, 
von  keinen  Sehnenfasern  durchsetztes,  aber  von  mehreren  Aesten 
des  Plexus  nei*voruin  lumhalium  durchbohrtes  Fleisch,  den  Lenden- 
oder Lungenbraten  des  Rindes  {beefsteak),  so  beliebt  macht.  Ueber 
der  Syvipliysis  sacro-iliaca  wird  er  sehnig,  und  tritt  unter  dem  Pou- 
part*schen  Bande,  zwischen  der  Spina  anterior  inferior  und  dem 
Tuherculuvi  ileo-puhicumy  aus  der  Beckenhöhle  hervor,  krümmt  sich 
nun  nach  innen  und  unten,  und  setzt  sich  an  den  kleinen  Tro- 
chanter  fest,  welchen  er  nach  oben  und  vorn  zieht,  dadurch  den 
Schenkel  auswärts  rollt,  und  beugt. 

Zwischen  ihm  und  dem  nächstfolgenden  findet  sich  bisweilen  ein  kleinerer 
accessorischerLendenmuskel,  Psoas  parvus^  welcher  von  den  Querfort- 
sätzen der  oberen  Lendenwirbel  entsteht,  und  seine  schmale  Sehne  an  jene  des 
Psoas  major  treten  lässt. 

Der  innere  Darmbeinmuskel,  Musculus  iliacus  internus^ 
nimmt  die  ganze  concave  Fläche  des  Darmbeins  ein,  von  welcher 
er,  so  wie  vom  Luhitnn  internuin  der  Crista  entspringt,  wird  im 
Herabsteigen  gegen  das  Poupart'sche  Band  schmäler,  aber  dicker, 
imd  inserirt  sich,  ohne  eine  eigene  Endsehne  zu  besitzen,  an  die 
Sehne  des  Psoas  major.  Wirkt  wie  dieser.  In  der  Furche  zwischen 
Psoas  und  Iliacus  lagert  der  Nervus  cruralis. 


J.  189.  Wirkaag4wei«e   der  Haftmuäkeln,  und  topographische  YeihältniMse  etc.  477 

Die  den  Iliacus  internus  bedockende  Fascia  iliaca,  welche  am 
Jjobium  int^nmm  der  Darmbeincrista  entspringt,  kann  durch  einen 
schlanken,  vom  letzten  Rücken-  und  ersten  Lendenwirbel  entsprin- 
genden Muskel  —  den  kleinen  L enden muskel,  Psoas  minor  — 
angespannt  werden,  welcher  anfangs  auf  der  vorderen  Seite  des 
Psoas  major  aufliegt,  dann  sich  aber  an  dessen  inneren  Rand  legt, 
und  seine  lange,  platte  Sehne,  theils  an  die  Grenzlinie  des  gi'ossen 
und  kleinen  Beckens  schickt,  theils  si(;  mit  der  Fascia  iliaca  zu- 
sammenfliessen  lässt.  Fehlt  öfters. 

Es  wäre  einfacher,  den  Psoas  und  Iliacus,  aln  KöptVt  (iines  zwciköpiigcn 
Muskels  zu  beschreiben,  und  diesen  llco-psoaa  zu  nennen.  Bei  allen  Säu{>;ethieren, 
mit  Ausnahme  der  Fledermäuse,  bilden  sie  blos  Einen  Muskel.  —  Die  Richtung 
des  Ueo-ptotM  ist  nicht  geradlinig^,  sondern  winkelig.  Die  Spitze  des  Winkels 
liegt  am  Darmbein,  auswärts  vom  Tnhercvhim  ileo-puhicum,  unter  dem  Poupart'- 
scben  Bande.  Um  die  Reibung  an  dieser  Stelle  zu  eliminiren,  wird  hier  ein 
grosser  Schleimbeutel  —  der  grösstc  von  allen  —  zwischen  Muskel  und  Knochen 
eingeschaltet,  welcher  zuweilen,  und  wie  ich  gefunden  habe,  vorzugsweise  im 
höheren  Alter,  mit  der  Höhle  des  Hüftgelenks  communicirt.  Auf  den  luftdichten 
Verschluss  der  Pfanne  hat  diese  Communication  nicht  den  geringsten  nachthei- 
ligen Einfluss,  da  die  CommunicationsöiTnung  ausserhalb  des  Limhun  cartilagi- 
neus  liegt. 

Wir  wollen  hier  noch  den  Musculus  coccygeus  anreihen,  welcher 

vom  Sitzbeinstachel  entspringt,  imd   in  der   Richtung   des    Lujamen- 

tum  spinoso-saa'um  an  den  Seitenrand  des    Steissbeins   tritt,    welches 

er   nach    vom    ziehen    und    sofort    den    geraden    Diu'chmesser    des 

Beckenausganges  verkürzen  kann. 

Es  gelingt  kaum  je,  iliu,  als  etwas  vom  Liijamcutum  sylnofto-sacrum  Ver- 
schiedenes darzustellen,  so  innig  verwebt  sieh  sein  sj^ärliches  Fleisch  mit  den 
Faaem  dieses  Bandes.  Heber   sein    VerliältniHS   zum    Levator  aiii  spricht   §.  270. 


§.  189.  Wirkungsweise  der  Huf tmuskeln ,  und  topographische 
Yeihältnisse  der  &esässniuskeln  zu  den  wichtigsten  6-efässen 

und  Nerven. 

Die  zahlreichen  Muskeln  an  der  iiusseren  und  inneren  Seite 
der  Htlfte  sind,  ihrer  Richtung  und  Insertion  nach,  gnisstentheils 
AuBwärtsroller.  Die  Einwärtsroller  werden  nur  durch  den  Tensor* 
fasciaej  und  die  vorderen  Bündel  des  Glutaeus  medius  repräsentirt. 
Die  Trochanteren  werden  in  diesem  Falle  wie  Radspeichen  oder 
Hebelarme  dienen,  um  der  bewogenden  Kraft  ein  grösseres  Moment 
zu  geben.  Da  nun  aber  die  Auswärtsrollimg  nur  durch  Muskeln 
gemacht  zu  werden  braucht,  deren  Stärke  den  wenigen  Einwärts- 
rollern gleichkommt,  so  muss  wohl  die  zahlreiche  und  kraftvolle 
Gruppe  der  Auswärtsroller  eine  schwerer  zu  leistende  Nebenauf- 
gabe haben,  welche  darin  besteht,  dass  sie  das  Becken,  an  welchem 


478  8*  1^*  WirinmfffirttiBe  der  Hflflmaskeln,  nnd  topographische  Yerh&Unisse  etc. 

sie  entspringen,  und  durch  das  Becken  auch  die  Last  des  Ober- 
leibes, auf  den  Schenkelköpfen  balanciren,  eine  Aufgabe,  welche 
um  so  schwieriger  zu  erfüllen  ist,  als  der  Stamm  nicht  im  stabilen, 
sondern  im  labilen  Gleichgewichte  auf  den  Schenkelköpfen  ruht. 

Die  tiefHegenden  Muskeln  an  der  äusseren  Seite  der  Hüfte, 
haben  zu  gewissen,  aus  der  Beckenhöhle  kommenden  Geftlssen 
und  Nerven,  sehr  wichtige  Beziehungen.  Zwischen  dem  unteren 
Rande  des  Glutaeus  minimus  und  dem  oberen  des  Pyriformis,  tritt 
die  Artei'ia  und  Vena  glutaea  superior  sammt  dem  homonymen  Nerv 
aus  der  Beckenhöhle  heraus,  und  krümmt  sich  über  den  oberen 
Rand  des  grossen  Hüftloches  nach  auf-  und  vorwärts.  Zwischen 
Pyriformis  und  Gemellus  supeinor  verlässt  der  Net*vu8  ischiadicuSy 
und  zwei  seiner  Nebenäste  (Gbitaeu^  inferior  und  Cutaneus  femoris 
posticus)  die  Beckenhöhle.  Durch  dieselbe  Spalte  kommen  die  -4r- 
tena  ischiadica  und  die  Arteria  pudenda  communis  (vor  dem  Nervus 
ischiadicus  liegend)  aus  der  Beckenhöhle  hervor.  Erötere  begleitet 
den  Nerv,  letztere  schlingt  sich  um  die  Spina  ischii  herum,  um 
durch  das  Foramen  ischiadictim  minus  wieder  in  die  kleine  Becken- 
höhle einzutreten,  und  zu  den  Geschlechts theilen  zu  gehen.  Da 
sie  beim  Steinschnitt  im  ÄDttelfleisch  verletzt  werden,  und  gefähr- 
liche Blutung  veranlassen  kann,  so  ist  die  Stelle,  wo  sie  die  Spina 
ischii  von  aussen  umschlingt,  ein  geeigneter  Punkt,  sie  gegen  den 
Knochen  zu  comprimiren. 

Der  Nervus  ischiadicus  kreuzt,  nach  abwärts  laufend,  die  Ge- 
melli und  die  Sehne  des  Obturatorius  internus^  so  wie  den  Quadratus 
femoriSf  und  zieht  zwischen  Tnber  ossis  ischii  und  grossen  Tro- 
chanter  zur  hinteren  Seite  des  Oberschenkels.  Man  würde,  wenn 
man  während  der  Supinationsstellung  der  unteren  Extremität,  etwas 
einwärts  von  der  Mitte  des  unteren  Randes  des  Glutaeus  magnus 
einschnitte,  sicher  auf  ihn  kommen.  —  Da  der  grosse  Trochanter 
sich  dem  Sitzknorren  nähert,  wenn  das  Bein  nach  aussen  gerollt 
wird,  und  sich  von  ihm  bei  entgegengesetzter  Drehung  entfernt,  so 
kann  die  Lage  des  Nervus  ischiadicus  zwischen  beiden  Knoclien- 
punkten  keine  unveränderliche  sein.  Er  muss  vielmehr  sich  auf 
dem  Quadratus  femoris  bei  jeder  Rollbewegung  verschieben,  und 
die  damit  verbundene  Reibimg  ist  der  Grund  der  unerträglichen 
Schmerzen,  welche  bei  Rheumatismus  und  entzündlichem  Ischias 
jede  Bewegung  des  Schenkels  begleiten.  Der  Druck,  den  dieser 
Nerv  beim  Sitzen  auf  Einer  Hinterbacke  erleidet,  erklärt  das  all- 
gemein gekannte  Einschlafen  und  Prickeln  des  Fusses  in  dieser 
Stellung. 

Die  Stärke  der  Muskclu,  welche  vom  Darmbeiue  zum  grossen  Trochanter 
(2^ehen,  nShert  den  verrenkten  Schenkelkopf  der  Darmbeincrista,  und  setzt  den 
Eiurichtungsversucheu  oin  schwer  zu  bewältigendes  Hinderuiss  entgegen.  —  Dass 


(.  190.  Mnikeln  ta  der  Torderan  Peripherie  des  Obertelienkele.  479 

die  Fusaspitzen,  wenn  man  horizontal  liegt,  nicht  gerade  nach  oben,  sondern 
nach  aussen  stehen,  ist  nicht  Folge  von  Muskelzug,  sondern  wird  durch  die 
ungleiche  Vertheilung  der  Muskelmasse  um  die  imaginäre  Drehungsaxe  des 
Oberschenkels  verständlich,  welche  nicht  im  Knochen  liegt,  sondern,  wegen  des 
Winkels  zwischen  Hals  und  MittelstUck,  an  seine  innere  Seite  fällt,  somit  mehr 
Masse  des  Schenkels  an  der  äusseren  als  an  der  inneren  Seite  dieser  Drehungs- 
axe gelegen  sein  muss,  wodurch  eben  die  Drehung  des  Schenkels  nach  aussen 
erfolgt 


§.  190.  Muskeln  an  der  vorderen  Peripherie  des  Oberschenkels. 

Sie  gehen  entweder  vom  Becken  zum  Oberschenkelbein,  oder 
überspringen  dieses,  um  zu  den  Knochen  des  Unterschenkels  herab- 
zusteigen, oder  entspringen  am  Oberschenkelbein,  um  am  Unter- 
schenkel zu  endigen. 

Von  aussen  nach  innen  gehend,  trifft  man  sie  in  folgender 
Ordnung: 

Der  längste  Schenkelmuskel  oder  Schneidermuskel, 
Musculus  sartoi'iusj  der  längste  aller  Muskeln,  platt,  einen  Zoll  breit, 
entspringt  vor  dem  Tensor  fnacide  Uttae^  von  der  Spina  anterior 
superior  des  Darmbeins,  läuft  schräge  nach  innen  und  unten,  kreuzt 
somit  die  übrigen  der  Schenkelaxe  parallelen  Muskeln,  und  kommt 
an  die  innere  Seite  der  Kniegelenksgegend,  wo  er  sehnig  zu  wer- 
den beginnt.  Seine  Endsehne  steigt  anfangs  über  den  hinteren 
Theil  der  Innenfläche  des  Condylus  internus  femoris  herab,  krümmt 
sich  aber  am  inneren  Condylns  tibiae  nach  vom,  wird  zusehends 
breiter,  überlagert  die  Endsehnen  des  Gracilis  und  Semitendinosus 
(Schleimbeutel  dazwischen),  und  inserirt  sich  an  imd  unter  dem 
Schienbeinstachel  (Schleimbeutel).  Er  hilft  das  Bein  zuziehen,  und 
den  Unterschenkel  beugen,  dreht  ihn  auch  um  seine  Axe  nach 
innen,  wenn  er  schon  gebogen  ist. 

Die  humoristische  Benennung  Sarloriutj  welche  ihm  von  Adr.  Spigelins 
(De  hum.  corp.  fabrica.  Cap.  23;  zuerst  gegeben  wurde  (Sutortut  Yon  Riolan), 
ist  einer  irrigen  Vorstellung  über  die  Thätigkeit  dieses  Muskels  entsprossen.  8o 
sagt  Spigelius:  „quem  ego  Sartorium  vocare  »oleo,  quod  »artore»  eo  maxime 
utantuTy  dum  eru»  cruri  inier  conntendum  impommL'*  Vergleicht  man  aber  seine 
geringe  Starke  mit  dem  Gewichte  der  ganzen  unteren  Extremität^  so  ist  er  wohl 
zu  ohnmächtig,  ein  Bein  über  das  andere  zu  schlagen,  wie  Schneider  und  Schuster 
es  thun  bei  ihrer  sitzenden  Arbeit  Dass  er  Tielmehr  den  gebogenen  Unterschen- 
kel um  seine  Axe  nach  innen  dreht,  f&hlt  man  mit  der  aufgelegten  Hand,  wenn 
man  sitzend  die  Spitze  des  Fasses  durch  die  Ferse  des  andern  fixirt,  und  Dreh- 
bewegungen mit  dem  Unterschenkel  auszuführen  versucht. 

Zuweilen  wird  er  darch  eine  quere  Intcriptio  tendinea  gezeichnet.  Meckel 
sah  ihn  fehlen,  und  Kelch  fand  ihn  durch  eine  V/^  Zoll  lange  Zwischensehne 
zweibinchig.  —  Die  AHen  nannten  den  Sartorins  auch  MtuetUtu  fa§eiidU,  wml 
er  lang,  dfinn  und  schmal   ist,  wie  eine  Aderiassbinde   {Fateia).   Es  ist  sonaefa 


480  8*  190*  Moikeln  m  der  Torderen  Peripherie  des  OberschenkeU . 

ein    Missgrif!',    wenn    T heile    den   Mtuculua  tenttor  foutcicui   latae  auch   Mxttcuhu 
fascicdis  nennt. 

Der  vierköpfige  Unterschenkelstrecker,  Extensor  cruris 
quadriceps.  So  nenne  ich  den  an  der  vorderen  Seite  des  Ober- 
schenkels gelegenen,  aus  vier  Ursprungsköpfen  gebildeten,  kraft- 
vollen und  schönen  Muskel,  welcher  mit  grossem  Unrecht  von  den 
meisten  Autoren  in  vier  besondere  Muskeln  zerrissen  wird.  Nur 
sein  langer  Kopf,  welcher  sonst  Musculus  rectus  ciniris  genannt 
wird,  entspringt  vom  Darmbein,  an  der  Spnia  anterior  infeinory  und 
aus  einer  seichten,  rauhen  Grube  über  dem  Pfannenrande.  Die 
übrigen  drei  Köpfe  nehmen  die  drei  Seiten  des  Schcnkelbeins  ein, 
und  entspringen:  der  äussere,  als  Vastus  externus,  von  der  Basis 
des  grossen  Rollhügels,  und  der  oberen  Hälfte  der  äusseren  Lefze 
der  Linea  aspera  fenio7'is]  —  der  innere,  als  Vastus  internuSy  von 
der  inneren  Lefze  der  Linea  aspera  bis  zum  unteren  Viertel  der- 
selben herab;  —  der  mittlere,  als  Cmralis  s.  Vastus  mediuSy  von 
der  Linea  intertrochanterica  anterior ,  und  dem  oberen  Theile  der 
vorderen  Fläche  des  Schcnkelbeins,  und  ist  sehr  gewöhnlich  von 
dem  Vastus  externus  durch  keine  merkliche  Trennungsspur  geschie- 
den. —  Der  lange  Kopf  des  Extensor  quadriceps  ist  doppelt  gefiedert, 
der  äussere  und  innere  besteht  aus  schief  absteigenden  Fleisch- 
bündeln, deren  Richtung  sich  um  so  mehr  der  horizontalen  nähert, 
je  tiefer  unten  am  Schenkel  sie  entspringen.  Diese  vier  Köpfe  ver- 
einigen sich  über  der  Kniescheibe  zu  einer  gemeinschaftlichen  Sehne, 
welche  in  der  verlängerten  Richtung  des  Rectus  cruris  liegt,  sich 
an  der  Basis  und  den  Seitenrändern  der  Patclla  festsetzt,  diese  in 
die  Höhe  zieht,  und  weil  sie  mit  der  Tibia  durch  das  Ligamentum 
patellae  proprium  zusammenhängt,  den  Unterschenkel  streckt. 

Es  inseriren  sich  jedoch  nicht  alle  Fasern  dieser  Sehne  nn  der  Knie- 
scheibe. Die  obcrHächlichstcn  von  ihnen  ziehen  atih  forma  einer  breiten  Aponeu- 
rose,  welche  vorzugsweise  dein  äusseren  und  inneren  Vastus  angehören,  über  die 
Kniescheibe  weg,  um  in  die  Fascie  des  Unterschenkels  überzugehen.  Zwischen 
dieser  Aponeurose  und  der  Haut  liegt,  entsprechend  dein  Umfange  der  Knie- 
scheibe, die  grosse  Ihirva  mucoaa  patdlaris  suhculanea;  —  zwischen  der  Aponeu- 
rose und  der  Beinhaut  der  Kniescheibe,  Luschka's  Bursa  patellaris  profunda 
(§.  187).  Oefters  communiciren  beide  Schleimbcutel  durch  eine  umfängliche  Oeff- 
nung.  Die  tiefe  Bursa  ist  zuweilen  mehrfacherig.  Luschka^  über  die  Bursa  patel- 
laris profunda,  in  MüUer's  Archiv,  1850.  —  Sehr  ausführlich  flbcr  die  Schleim- 
beutel des  Knies  handelt  Gruber:  Die  Bursae  mucosae  praepatdlares,  im  Bulletin 
de  VAcad.  Imperiale  de  St.  Petershourg,  Tom.  XV.  No.  10  ii.  11.  und  in  seiner 
Monographie  der  Knieschleimbeutel.  Prag,  1857. 

Will  man  das  Ligamentum  patellae  proprium  als  Fortsetzung  der  Sehne  des 
Extensor  quadriceps  betrachten,  so  ist  die  Kniescheibe  ein  Sesambein,  als  welches 
sie  schon  von  Tarin  {J,'os  sesamoide  de  la  Jambe)  angesehen  wurde. 

Zwischen  diesem  Bande  und  der  Tibia  liegt  eine  constante  Bursa  viucosa, 
welche  nie  mit  der  Kapselhöhlc  in  Verbindung  steht  Ein  unter  der  Ansatzstelle 
des    Extensor   cruris    quadriceps    au    der    Kniescheibe    befindlicher^    umfänglicher 


§.  191.    MoBkeln  an  der  inneren  Peripherie  des  Oberschenkels.  481 

Schleimbontel  steht  gewöhnlich  mit  der  Synovialkapsel   des   Kniegelenks  im   Zu- 
sammenhang, und  wird  deshalb  als  eine  Ausstülpung  derselben  angenommen. 

Die  Spanner  der  Kniegelenkkapsel,  Musculi  suha-urales 
8,  articulares  geiiu,  sind  zwei  dünne,  platte,  vom  Cruralis  bedeckte 
Muskelstreifen,  welche  von  der  vorderen  Fläche  der  unteren  Extre- 
mität des  Schenkelbeins  entspringen,  und  sich  in  die  obere  Wand 
der  Kniegelenkkapsel  verlieren. 

Alb  in  hat  sich  die  Ehre  ihrer  Entdeckung  zugeschrieben  (Annot.  acad. 
Lib.  IV).  Der  eigentliche  Entdecker  jedoch  war  Dupr^,  Wundarzt  am  Hötel- 
Dieu  zu  Paris,  der  sie  in  seinem  Werkchen:  „Los  sources  de  la  synovie.  Paris, 
1699.  12.'*,  als  Souscrurattx  anführte. 

§.  191.  Muskeln  an  der  inneren  Peripherie  des  Oberschenkels. 

Der  schlanke  Schenkelmuskel,  Musculus  gracilis  s.  rectus 
internus,  entspringt  mit  breiter,  dünner  Sehne  von  der  Schamfuge, 
dicht  neben  dem  Aufhängeband  des  männlichen  GHedes,  liegt  auf 
dem  gleich  zu  erwähnenden  langen  und  kurzen  Zuzieher  auf,  und 
hört  schon  unter  der  Mitte  des  Schenkels  auf,  fleischig  zu  sein.  Seine  ' 
lange  Endsehne  windet  sich,  hinter  und  unter  jener  des  Sartorius, 
um  die  inneren  Condyli  des  Schenkel-  und  Schienbeins  nach  vom 
herum,  und  setzt  sich  mittelst  einer  dreieckigen,  von  der  aufliegen- 
den Sartoriussehne  durch  einen  Schleimbeutel  getrennten  Ausbrei- 
tung, welche  bei  älteren  Anatomen  den  Namen  des  Gänse fusses 
fuhrt,  an  der  inneren  Fläche  und  der  vorderen  Kante  des  Schien- 
beins unter  der  Spina  tihiae  fest  (Schleimbeutel).  Er  zieht  das 
Bein  zu,  und  dreht,  wenn  das  Knie  gebeugt  ist,  den  Unterschenkel 
nach  innen. 

Die  Zuzieh  er  des  Schenkels,  Musculi  adductores  femoris. 
Es  finden  sich  deren  vier.  Sie  liegen  sämmtlich  an  der  inneren 
Seite  des  Schenkels.  Drei  davon  wurden  von  der  älteren  Anatomie 
als  Ein  selbstständiger  Muskel,  Adductor  tricepSy  beschrieben.  Da 
sie  jedoch  nicht  an  eine  gemeinschaftliche  Endsehne  treten,  so 
können  sie  auch  nicht  als  Köpfe  Eines  Muskels,  sondern  müssen 
als  drei  verschiedene  Muskel-Individuen  aufgestellt  werden.  Wollte 
man  sie  blos  als  drei  Urspiningsköpfe  Eines  Muskels  gelten  lassen, 
so  müsste  man  den  vierten  Zuzieher,  der  als  Kammmuskel,  Mus- 
culus pectineus,  neben  dem  Triceps  beschrieben  wird,  als  vierten 
Kopf  eines  Adductor  quadriceps  nehmen,  da  sein  Ursprung,  seine 
Richtung  und  seine  Insertion,  somit  auch  seine  Wirkung,  mit  den 
Köpfen  cies  Triceps  übereinstimmt.  Es  ist  nichtsdestoweniger  noch 
immer  üblich,  der  Kürze  wegen,  die  Bezeichnung  Triceps  zu  ge- 
brauchen. 

Der  lange  Zuzieher,  Musculus  adductor  longus  (firüher  Caput 
long  um  tricipitis\  entspringt  kurzsehnig  auBWärts  vom   ^ 

Hyrtl,  Lehrbneli  dtr  ABstomto. 


482  8*  l^l*  Uaskeln  an  der  inner«i&  Peripherie  des  Obersohenkela. 

Schambeine  unter  dem  Höcker  desselben,  nimmt  im  Herabsteigen 
an  Breite  zu,  und  heftet  sich  an  das  mittlere  Drittel  der  inneren 
Lefze  der  Linea  aspera  femoris,  hinter  dem  Ursprung  des  Vastus 
internus. 

Der  kurze  Zuzieher,  Musculus  adductor  brevis  (Caput  h'eve 
tridpitisjj  wird  vom  langen  Zuzieher  und  vom  Kammmuskel  be- 
deckt. Er  nimmt  seinen  Ursprung  vom  Beginn  des  absteigenden 
Schambeinastes,  und  endigt  an  der  inneren  Lefze  der  Linea  aspera 
femoris,  über  dem  langen  Zuzieher,  bis  zum  kleinen  Trochanter 
hinauf. 

Der  grosse  Zuzieher,  Musculus  adductor  magnus  {Caput 
magnum  tricipitis),  entspringt  breit  am  absteigenden  Schambein-  und 
aufsteigenden  Sitzbeinaste,  so  wie  vom  Tuher  ischii,  deckt  den  Oh- 
turator  exteimus,  und  grenzt  nach  hinten  an  den  Semitendinosus  und 
Semimembranosus.  Seine  oberen  Bündel  laufen  fast  quer,  und  wer- 
den von  dem  unteren  Rand  des  Quadratus  femai*is  durch  eine  nicht 
immer  sehr  scharf  markirtc  Spalte  getrennt.  Die  übrigen  treten 
schief  nach  aussen  und  unten  zum  Oberschenkel.  Die  lange  und 
breite  Endsehne,  an  welche  sich  alle  Fleischbündel  des  Muskels 
einpflanzen,  befestigt  sich  längs  der  Linea  aspera  fenioris,  vom  Ende 
der  Insertion  des  Quadratus  femoids  bis  zum  Condylus  internus  herab. 
Denkt  man  sich  diese  Endsehne  ihrer  Länge  nach  in  drei  Theile 
getheilt,  so  wird  sie,  wo  das  mittlere  Dritttheil  an  das  untere  grenzt, 
durch  einen  Schlitz  unterbrochen,  durch  welchen  die  Schenkel- 
gefitese,  Arteria  und  Vena  cruraliSj  zur  Kniekehle  treten.  Nebst  dieser 
grossen  Oeffnung  hat  die  Sehne  noch  mehrere  kleine,  zum  Durch- 
gang untergeordneter  Blutgefässe. 

Kräftige  Zuziehung,  wie  beim  Schenkelscliluss  des  Reiters,  ist  die  Aufgabe 
der  Adduetores.  Ihr  alter  Name,  auf  welchen  sie  aber  nur  beim  weiblichen  Ge- 
schlechte, und  auch  da  nicht  allzulangen  Anspruch  haben,  ist:  Cuatos  virginnm. — 
Wirken  sie  gleichzeitig  mit  dem  Extensor  cntris  qtiadriceps,  so  folgt  der  Schenkel 
der  Diagonale  beider  rechtwinklig  auf  einander  stehenden  Bewegungsrichtungen, 
und  wird  über  den  anderen  geschlagen.  Die  Adduetores  und  Extensores  sind 
somit,  wenn  sie  simultan  wirken,  die  eigentlichen  Schneidermuskeln.  —  Der 
lange  Zuzieher  ist  zuweilen  in  zwei  Portionen  getheilt. 

Der  Kammmuskel,  Musadus  pectineus  s,  lividus,  entspringt 
von  der  ganzen  Länge  des  Schambeinkammes,  und  von  einem 
Bande,  welches  am  Darmbein  in  der  Gegend  der  Pfanne  entsteht, 
und  längs  des  Pecten  puhis  bis  zum  Tuberculum  puhis  verläuft  {Li- 
gamentum puhicnm  Cooperi).  Er  deckt  den  Ohturator  extemus  und 
den  kurzen  Kopf  des  Triceps,  und  befestigt  sich  an  die  innere 
Lefze  der  rauhen  SchenkeUinie  unter  dem  kleinen  Trochanter.  Zieht 
zu,  und  rollt  nach  aussen. 

Der  sonderbare  Name  Lividutj  welcher  ihm  von  alten  Myelogen  beigelegt 
wird,  stammt  wohl  davon  her,  dass  der  Muskel,   der  in  so  nahe  Berührung  mit 


S.  192.  Topograph.  Verfailtniss  der  Moskeln  and  Qef&sse  am  Oberschenkel.  483 

der  auf  ihm  aufliegenden  gössen  Vena  cruralia  tritt,  sich  mit  dorn  Blutserum 
tränkt,  welches  bei  beginnender  Fäulniss  durch  die  Venenvvand  dringt,  und  den 
zersetzten  Färbestoff  des  Blutes  aufgelöst  enthält.  Riolan,  Spigelius  und  Bar- 
tholin, welche  diesen  Namen  gebrauchten,   sagen  nichts   über  seinen   Ursprung. 


§.  192.  Topographisches  Terhältniss  der  Muskeln  und  öefässe 

am  vorderen  Umfang  des  Oberschenkels. 

Die  in  den  beiden  vorhergehenden  Paragraphen  abgehandel- 
ten Muskeln  stehen  mit  den  übrigen  Weichtheilen  des  Oberschen- 
kels in  so  praktisch-wichtigen  Verhältnissen,  dass  der  Anfönger  nie 
unterlassen  soll,  bei  der  Zergliederung  der  Muskeln  auch  auf  die 
Gefässe  und  Nerven  Rücksicht  zu  nehmen,  deren  Verlaufsgesetze 
von  der  Anordnung  der  Muskelstränge  abhängen. 

Hat  man  die  Fascia  lata  (deren  Verlauf  erst  am  Schlüsse  der 
Muskeln  der  unteren  Extremität  in  §.  199  geschildert  wird)  vom 
Ligamentum  Poupartii  losgetrennt,  und  sie  so  weit  abgelöst,  dass 
die  einzelnen  Muskelkörper,  welche  zwischen  der  Schamfuge  und 
dem  vorderen  oberen  Darmbeinstachel  liegen,  nett  und  rein  zu 
Tage  treten,  so  bemerkt  man  unter  dem  Poupart'schen  Bande  einen 
dreieckigen  Raum,  dessen  Basis  durch  dieses  Band,  dessen  Seiten 
nach  aussen  vom  Sartorius,  nach  innen  vom  Gracilis  und  den  Ad- 
ductoren  gebildet  werden.  Dieser  Raum,  von  Velpeau  Triangulus 
mguinalis,  von  mir  Triangtdus  s^ibinffninalis  genannt,  schliesst  ein 
zweites,  kleineres  Dreieck  ein,  welches  mit  ihm  gleiche  Basis  hat, 
dessen  Seitenränder  aber  auswärts  durch  den  vereinigten  Psoas 
und  Iliacus,  innen  durch  den  Pectineus  dargestellt  werden.  Der 
Raum  dieses  Dreiecks  vertieft  sich  konisch  gegen  den  kleinen  Tro- 
chanter  zu,  welcher  in  seinem  Grunde  zu  ftihlen  ist.  So  entsteht  die 
in  chirurgischer  Beziehung  hochwichtige  Fossa  ileo-pectinea.  Sie  wird 
von  abundantem  Fette,  und  den  tiefliegenden  Leistendrüsen  ausge- 
füllt, und  schliesst  die  grossen  Geftlsse  und  Nerven  ein,  welche  un- 
ter dem  Poupart'schen  Bande  zum  oder  vom  Becken  gehen.  Man 
kann  von  dieser  Grube  aus  (nachdem  ihr  Inhalt  rein  präparirt)  die 
Hand  in  die  Bauchhöhle  einfuhren,  durch  eine  grosse,  querovale 
OefFhung,  welche  vom  Ligamentum  Poupartii  überspannt  wird.  Durch 
diese  geräumige  Oeffnung  tritt  eine  mit  dem  Diacus  aus  der  Becken- 
höhle herabsteigende  Fascie  hervor,  welche  in  §.  188  als  Fascia 
iliaca  erwähnt  wurde.  Sie  lässt  ihren  oberen,  zugleich  äusseren  Rand 
mit  dem  Poupart'schen  Bande,  ihren  unteren,  zugleich  inneren  mit 
dem  Tuheixulum  ilecypectineam  verwachsen,  und  wird  deshalb  an  die- 
ser Stelle  Fascia  ileo-pecttnea  genannt.  Durch  die  Fascia  ileo-pectinea 
wird  die  grosse  Oeffnung  unter  dem  Poupart'schen  Bande  in  zwei 

seitliche  Lücken  abgetheiit   Die   äussere   Lücke  ist  die  Lacuna 

8i» 


484  S*  IM*  Topograph.  YeriiUtaiM  der  Mnakeln  und  Ghfltose  am  ObergchenkeL 

mu8cularis.  Sie  lässt  den  Psoas,  Iliacus,  und  zwischen  beiden  den 
Nervus  cruralts  heraustreten.  Die  innere  heisst  Lacuna  vasortim 
cruralium,  und  dient  zum  Durchgange  der  Arteria  und  Vena  cruralis, 
welche  sich  in  das  Fettlager  der  Fossa  ileo-pectinea  so  einhüllen, 
dass  wenig  Fett  auf  ihnen,  vieles  hinter  ihnen  liegen  bleibt.  Beide 
Geflässe  sind  in  eine  gemeinschaftliche,  durch  eine  Zwischenwand  in 
zwei  Fächer  abgetheilte,  fibröse  Scheide  eingeschlossen.  Sie  folgen, 
während  sie  blos  vom  hochliegenden  Blatte  der  Fascia  lata  bedeckt 
sind,  einer  Linie,  die  man  beiläufig  vom  Beginne  des  inneren  Drit- 
tels des  Poupart'schen  Bandes,  gegen  die  Spitze  des  Trianguhis  snb- 
inguinalis  herabzieht .  Die ,  Arteria  crtiralis  liegt  dicht  an  der  Fascia 
ile(hpectineaj  die  Vena  cruralis  neben  der  Arterie  nach  innen,  und 
nimmt  hier  die  Vena  saphetia  inteima  auf.  Beide  Gefässe  füllen  die 
Lacuna  va^orum  nicht  ganz  aus.  Zwischen  der  Vena  ciniralis  und 
der  dritten  Insertion  des  Poupart'schen  Bandes  am  Pecten  pubis, 
welche  als  Ligamentum  Gimbemati  benannt  wird,  bleibt  ein  Raum 
frei,  welcher  nur  von  der  Fascia  transversa  des  Bauches  und  dem 
Bauchfell  verschlossen  wird.  Da  durch  diesen,  nur  durch  zwei  dünne 
häutige  Wände  verschlossenen  Raum,  die  Eingeweide  aus  der  Bauch- 
höhle, so  gut  wie  durch  den  Leistenkanal,  oder  die  innere  Leisten- 
grube, austreten  können,  um  eine  Hemia  cruralis  zu  bilden,  so  nennt 
man  ihn:  Bauchöffnung  des  Schenkelkanals  —  Annuhis  cru- 
raiis.  Die  Schenkelöfihung  des  Schenkelkanals,  imd  die  Bildung  des 
Kanals  selbst  werden  im  §.  199  beschrieben. 

Vom  unteren  Winkel  des  Triangulus  snhinguinalis  angefangen, 
wird  die  Arteina  und  Vena  cruralis  vom  Musculus  sartorius  bedeckt, 
und  liegen  beide,  bis  zu  ihrem  Durchtritte  durch  die  OefFnung  der 
Sehne  des  grossen  Zuziehers,  in  einer  Rinne,  welche  durch  die  Ad- 
ductoren  und  den  Vastus  internus  gebildet  wird. 

Der  Nervus  cruralis  wird  im  Trianguhis  snhinguinalis  von  der 
Arteria  cruralis  durch  die  Fascia  ileo-pectinea  und  die  Sehne  des 
Psoas  getrennt,  liegt  also  nicht  an  sie  an,  und  theilt  sich  gleich  un- 
ter dem  Poupart'schen  Bande  in  hoch-  und  tiefliegende  Zweige. 
Erstere  sind  Hautäste,  letztere  Muskeläste.  Einer  von  den  Haut- 
ästen begleitet  die  Cruralarterie,  liegt  anfangs  an  ihrer  äusseren 
Seite,  kreuzt  sich  hierauf  mit  ihr,  um  an  ihre  innere  Seite  zu  kom- 
men, verlässt  sie  dann  bei  ihrem  Eintritte  in  den  Sclilitz  der  Ad- 
ductorensehne,  und  begleitet  von  nun  an  die  Vena  saphena  magna 
bis  zum  Fusse  hinab,  weshalb  er  Nervus  saphenus  genannt  wird. 

Es  erhellt  aus  diesen  Verhältnissen,  dass  die  Arieria  criiralU,  deren  Unter- 
bindung bei  gewissen  chirurgischen  Krankheiten  nothwendig  wird,  im  Triangulus 
tuhinguinalia,  wo  sie  nicht  von  Muskeln  bedeckt  wird,  am  leichtesten  zugänglich 
ist,  und  man  sie  hier,  wenn  die  Wahl  der  Unterbindungsstelle  frei  steht,  am 
liebsten  blosslegt  Da  sie  während  ihres  Laufes  durch  dieses  Dreieck,  die  meisten 
ihrer  Beitenäste  abgiebt  (Ton  denen  die  Profunda  femorit^  ^Vf-^  2ioll  unter  dem 


§.  198.  Haskeln  an  der  hinteren  Peripherie  des  Oberschenkels.  485 

Poupart'schen  Bande,  die  stärkste  ist),  und  man  so  weit  als  möglich  unter  dem 
letzten  Collateralast  die  Unterbindung  vornimmt,  so  ist  nach  Hodgson  die  beste 
Ligaturstelle  der  Arteria  cruralisy  am  unteren  Winkel  des  Triangulus  aubinguina- 
Im  gegeben,  welcher,  wenn  man  den  inneren  Rand  des  Sartorins  verfolgt,  leieht 
zu  finden  ist.  Die  sehr  veränderliche,  bald  höher,  bald  tiefer  gelegene,  Kreu- 
znngsstelle  der  Arteria  cruralia  mit  dem  Nervus  aaphenua  erheischt  Vorsicht  — 
Von  der  Spitze  des  THangulua  subinguincUia  bis  zum  Durchgang  durch  die  Spalte 
der  Adductorschne,  muss,  wenn  hier  die  Unterbindung  nach  dem  Hunte  raschen 
Verfahren  vorgenommen  werden  sollte,  der  Sartorius  durch  einen  Haken  nach 
aussen  gezogen  werden.  Unmittelbar  an  der  Eintrittsstelle  in  die  Sehne  des  Ad- 
ductor,  wäre  dem  Gefässe  vom  äusseren  Rande  des  Sartorius  her,  oder  durch 
eine  Längenspaltung  seines  Fleisches  leichter  beizukommen.  —  Das  Verhältniss 
der  Vena  cruralis  zur  Arterie,  welches  dem  Operateur  genau  bekannt  sein  soll, 
ist  so  beschafifen,  dass  am  horizontalen  Schambeinaste  die  Vene  an  der  inneren 
Seite  der  Arterie  liegt,  sich  aber  im  Herabsteigen  so  hinter  sie  schiebt,  dass 
über  der  Oeffnung  der  Sehne  des  Adductor,  die  Arterie  die  Vene  genau  deckt  — 
An  keiner  anderen  Stelle  des  Verlaufs  der  Arteria  cruralia  ist  eine  Compression 
derselben  leichter  zu  bewirken,  als  am  horizontalen  Schambeinaste,  wo  sie  durch 
den  Finger,  der  ihren  Pulsschlag  fühlt,  einfacher  und  sicherer  als  mit  künstlichen 
Vorrichtungen  ausgeführt  werden  kann. 

Wie  wohlthätig  anatomische  Kenntnisse  auch  dem  Nichtarzte  sein  könnten, 
beweist  folgender  Fall.  Ein  Prager  Student  schnitt  sich  auf  einem  Spaziergang^ 
einen  Weidenstock  zu.  Um  ihn  zu  schälen,  zog  er  ihn  unter  der  Schneide  eines 
Taschenmessers  durch,  welches  er  an  den  Schenkel  stemmte.  Einer  seiner  Ge- 
fährten stiess  ihn,  das  Messer  fuhr  in  den  Schenkel,  schnitt  die  Arteria  cruralis 
durch,  und,  bevor  Hilfe  kam,  war  er  —  eine  verblutete  Leiche.  Ein  Finger- 
druck auf  den  horizontalen  Schambeinast  hätte  ihn  höchst  wahrscheinlich  gerettet 


§.  193.  Muskeln  an  der  hinteren  Peripherie  des  Oberschenkels. 

Sie  sind  bei  weitem  weniger  zahlreich  als  jene  an  der  vor- 
deren und  inneren  Peripherie,  und  gehen  vom  Tuber  ischii  zum 
Unterschenkel,  welchen  sie  beugen.  Es  sind  ihrer  drei. 

Vom  Sitzknorren  entsprungen,  divergiren  sie  im  Herabsteigen 
so,  dass  der  eine  schief  gegen  die  äussere  Seite  des  Kniegelenks, 
die  beiden  anderen  gerade  gegen  dessen  innere  Seite  ziehen.  Der 
erste  nimmt  im  Herabsteigen  einen  von  der  äusseren  Lefze  der 
Linea  aspera  femorisy  unterhalb  der  Insertion  des  Glutaeus  magnus 
entspringenden  kurzen  Kopf  auf,  und  heisst  deshalb  der  Zwei- 
köpfige, Biceps  femoris.  Seine  Endschne  befestigt  sich  unter  dem 
Ligamentum  laterale  extemum  des  Kniegelenks,  wo  ein  Schleimbeu- 
tel vorkommt,  am  Wadenbeinköpfchen.  Die  beiden  anderen  sind 
der  halb  sehnige  und  halb  häutige  Muskel,  —  Musculus  semi- 
tendinosus  und  semimembranosus. 

Der  Halbsehnige  bedeckt  den  Halbhäutigen,  ist  an  sei- 
nem Ursprünge  mit  dem  langen  Kopf  des  Bictps  femoris  ebenso  ver- 
wachsen, wie  der  Coracobrao  Unprung 


486  §•   IM*    Topogr^hie  der  Kniekehle. 

des  kurzen  Bieepskopfes,  verschmäehtigt  sich  im  Herabsteigen  pfrie- 
menförmig,  und  geht  in  der  Mitte  des  Oberschenkels  in  eine  lange, 
schnurförmige  Sehne  über,  welche  sich  unter  dem  inneren  Knorren 
des  Schienbeins  nach  vom  krümmt,  und  unter  der  Sehne  des  Gra- 
cilis  zur  inneren  Schienbeinfläche  gelangt,  um  sich  neben  der  Spina 
tibiae  zu  befestigen  (Schleimbeutel). 

Da  seine  Sehne  so  lang  ist,  wie  sein  Fleisch,  so  ist  sein  Name:  Halb- 
sehniger, gerechtfertigt.  Sein  Bauch  wird  durch  eine,  die  ganze  Dicke  des  Mus- 
kels schräge  schneidende  fibröse  Einschubsmembran  (als  Inscriptio  tendinea  zu 
deuten)  durchsetzt,  an  welcher  die  Fleischfasem  der  oberen  Hälfte  endigen,  und 
die  der  unteren  beginnen. 

Der  Halbhäutige  liegt  zwischen  Seiniteivdinosiis  und  Adductoi- 
magmi^.  Seine  dreieckige  breite  Ursprungssehne  reicht  an  der  einen 
Seite  seines  Muskelfleisches  bis  zur  Mitte  des  Oberschenkels  herab, 
wo  zugleich  seine  Endsehne  an  der  anderen  Seite  des  Fleisches  be- 
ginnt. Das  Fleisch  des  Muskels  nimmt  von  oben  nach  unten  an 
Dicke  zu,  so  dass  es  drei  Querfinger  breit  über  dem  Knie,  einen 
runden  starken  Bauschen  bildet,  welcher  pliitzlich  mit  einem  schar- 
fen Absatz  wie  abgeschnitten  aufhört,  und  durch  eine  kurze,  aber 
sehr  kräftige  Sehne  sich  am  hinteren  Bezirk  der  inneren  Fläche  des 
oberen  Schienbeinendes  einpflanzt. 

Zwischen  dieser  Sehne,  und  dem  inneren  Seiteubande  des  Kniegelenks, 
welches  sie  an  ihrer  Insertionsstelle  bedeckt,  liegt  ein  Schleimbeutel.  Ein  eben- 
solcher findet  sich  zwischen  der  Sehne  und  dem  Ursprung  des  inneren  Kopfes 
des  Gastrocnemius.  Derselbe  steht  zuweilen  mit  der  Synovialkapsel  des  Kniege- 
lenks in  Verbindung. 

Ein  breites  Faserbündel  löst  sich  vom  äusseren  Rande  der  Endsehue  des 
Semimembranosus  ab,  geht  im  Gnmde  der  Kniekehle  gegen  den  Condylua  exter- 
nus  femoris  herüber,  verwebt  sich  mit  der  Kniegclcnkkapscl,  und  verschmilzt  mit 
der  Ursprungssehne  des  äusseren  Kopfes  des  später  zu  beschreibenden  Gastro- 
cnemius, Diese«  Faserbündel  ist  das  Ligamentum  popliteumy  welches,  als  sehnige 
Verbindungsbrticke  zweier  Muskeln,  in  der  Knochenlehre  nicht  berücksichtigt 
werden  konnte.  Da  die  Beugung  des  Unterschenkels  unter  Umständen  (z.  B. 
beim  Niedersetzen)  nicht  blos  durch  den  Semimembranosus  und  sein«  beiden 
Helfershelfer  (Biceps  und  Semitendinosus)  bewerkstelligt,  sondern  zugleich  durch 
Mithilfe  des  Gastrocnemius  vollzogen  wird,  so  rauss  sich,  wenn  der  Semimembra- 
nosus und  der  äussere  Kopf  des  zweiköpfigen  Wadenmuskels  sich  contrahireu, 
das  Ligamentum  popliteum  anspannen,  wodurch  die  mit  ilmi  verwachsene  hintere 
Wand  der  Kui(^gelenkkapsel  gleichfalls  gespannt,  aufgehoben,  und  vor  Einklem- 
mung geschützt  wird. 


§.  194.  Topographie  der  Kniekehle. 

Durch  die  nach  unten  jQ^crichtete  Divergenz  der  langen,  vom 
Sitzknorren  entspringenden  Muskeln,  wird  an  der  hintiireu  Seite 
des  Oberschenkels,  gegen  das  Kniegelenk  herab,  ein  dreieckiger 
Raum    zwischen    ihnen    entstehen    müssen,    dessen    äussere    Wand 


|.  194.    Topographie  der  Kniekehle.  487 

durch  den  Biceps^  dessen  innere  durch  den  SemitendinosuS;  Semi- 
membranosus  und  Gracilis  erzeugt  wird.  In  der  nach  unten  oflfenen 
Basis  dieses  Dreiecks  di'ängen  sich  die  beiden  convergirenden  Ur- 
sprungsköpfe des  zweiköpfigen  Wadenmuskels  (Gasti'ocnemiiLs)  aus 
der  Tiefe  hervor,  und  verwandeln  den  dreieckigen  Raum  in  ein 
ungleichseitiges  Viereck,  dessen  obere  Seitenränder  lang,  die  unteren 
viel  kürzer  sind.  Dies  ist  die  Fossa  poplitea,  Kniekehle.  Sie 
schliesst  die  grossen  Geisse  und  Nerven  dieser  Gegend  in  folgen- 
der Ordnung  ein. 

Nach  Abnahme  der  Haut  und  des  subcutanen  Bindegewebes, 
welches  sich  hier  zu  einer  wahren  Fascia  superficialis  verdichtet, 
und  an  der  inneren  Seite  des  Kniegelenks  die  vom  inneren  Knö- 
chel heraufsteigende  Vena  saphena  interna  einschliesst,  gelangt  man 
auf  die  Fascia  poplitea,  als  Fortsetzimg  der  Fascia  lata.  Sie  deckt 
die  Kniekehle,  und  schliesst  die  vom  äusseren  Knöchel  herauf- 
kommende Vena  saphena  posterior  s.  minor  in  sich  ein.  Unter  der 
Fascie  folgen  die  zwei  Theilungsäste  des  Nervus  ischiadicus,  dessen 
Stamm  unter  dem  Miisculvs  biceps  in  den  oberen  Winkel  der  Fossa 
poplitea  eintritt.  Der  äussere  (^Nervus  popliteus  extemus)^  wölcher 
im  weiteren  Verlaufe  zum  Nervus  peroneus  wird,  läuft  am  inneren 
Rande  der  Sehne  des  Biceps  zum  Wadenbeinköpfchen  herab.  Der 
innere,  stärkere  (Nervus  popliteus  internus ,  im  weiteren  Verlauf 
Nervus  tibialis  posticus  genannt),  bleibt  in  der  Mitte  der  Eoiiekehle, 
und  kann  bei  gestrecktem  Knie  sehr  leicht  durch  die  Haut  gefühlt 
werden. 

Um  die,  tief  im  Grunde  der  Kniekehle  lagernden  Blutgefässe 
aufzudecken,  geht  man  am  inneren  Rande  des  Nervus  popliteus  internus 
in  das  reiche  Fettlager  ein,  welches  die  ganze  Grube  auspolstert, 
und  findet  in  der  Tiefe  zuerst  die  Vena  poplitea^  welche  hier  ge- 
wöhnlich die  Vena  saphena  minai^  aufnimmt,  und  unter  ihr,  zugleich 
etwas  nach  innen,  durch  kurzes  festes  Bindegewebe  knapp  an  sie 
geheftet,  die  Forsetzung  der  Arteria  cruralis  als  Arteria  poplitea^ 
welche  unmittelbar  auf  dem  imteren  Ende  des  Schenkelbeins,  und 
der  hinteren  Wand  der  Kniegelenkkapsel  aufliegt. 

Der  leichteren  Fixirung  des  Lagerungsverhältnisses  der  durch 
die  Kniekehle  hindurchziehenden  Gefilsse  und  Nerven,  hilft  Herr 
Riebet  durch  den  mnemotechnischen  Ausdruck  NVA  (gesprochen 
Neva)  —  eine  anatomische  Wirkung  der  viel  gesuchten  und  noch 
immer  nicht  gefundenen  französisch-russischen  Allianz! 

Der  Raum  der  Kniekehle  ist  bei  activer  Beugebewegong  des  Knies  tiefer, 
als  im  gestreckten  Zustande,  indem  die  Muskeln,  welche  die  langen  Seitenwände 
derselben  bilden,  sich  während  ihrer  Contraction  anspannen  und  vom  Knochen 
erheben.  —  Da  die  Arieria  emroiM,  einem  aUgemein  gütigen  Oeaetie  infolge, 
die  Beugeseiten  der  Qelenke  an  der  unteren  fistnnMi* 


488  S«  ^^'  Mnikeln  an  der  yorderen  und  ftniseren  Seite  des  ünienclienkelB. 

Leistengegend  zur  Kniekehle  läuft,  auf  welchem  Zuge  ihr  die  Sehne  des  langen 
Adductor  im  Wege  steht,  so  folgt  hieraus  die  Nothwendigkeit  der  Durclihohrung 
der  letzteren.  —  Man  liest  es  häufig,  dass  die  ArteiHa  cntralU  sich  um  den 
Schcnkelknochcn  windet.  Man  braucht  jedoch  nur  einen  Schcnkelknochen  in 
jene  Lage  zu  bringen,  in  welcher  er  im  aufrecht  stehenden  Menschen  sich  be- 
findet, um  zu  sehen,  dass  eine  Arterie,  ohne  sich  im  Geringsten  zu  winden,  von 
der  Leistenbeuge  zur  Foaaa  poplitea  verlaufen  kann,  wenn  sie  die  innere  Fläche 
des  Knochens  einfach  kreuzt.  —  Die  tiefe  Lage  der  Arteria  popWea,  macht  ihre 
Unterbindung  sehr  schwer,  und  sie  ist  heut  zu  Tage  nur  mehr  ein  anatomisches 
Problem,  da  die  Wundärzte,  wenn  sie  die  Wahl  der  Untcrbindungsstelle  frei 
haben,  seit  Hunter  lieber  die  Arteria  cruralis  unterbinden.  —  Die  Häufigkeit 
des  Vorkommens  krankhafter  Erweiterungen  {Aneuri/amata)  an  der  Arteria  po- 
plitea ist  bekannt,  wenn  auch  nicht  genügend  erklärt.  Es  kam  schon  vor,  dass 
man  Abscesse  in  der  Kniekehle,  oder  Ausdehnungen  der  bei  den  Muskeln  er- 
wähnten Schleimbeutel,  deren  flüssiger  Inhalt  die  Pulsationen  der  Arteria  poplitea 
fortpflanzte,  für  Aneurysmen  gehalten  hat. 


§.  195.  Muskeln  an  der  vorderen  und  äusseren  Seite  des 

Unterschenkels. 

Sie  sind  sämmtlich  lange  Muskeln,  und  erscheinen  so  um  die 
Knochen  des  Unterschenkels  herumgelagert,  dass  nur  die  innere 
Schienbeinfläche,  die  vordere  Schienbeinkante,  und  die  beiden  Knö- 
chel von  ihnen  imbedeckt  bleiben.  Keiner  von  ihnen  entspringt  am 
Oberschenkel.  Sie  kommen  vielmehr  alle  von  den  Knochen  des 
Unterschenkels  her,  setzen  über  das  Sprunggelenk  weg,  imd  schicken 
ihre    Sehnen  theils   zu  den  Mittelfussknochen,    theils   zu  den  Zehen. 

A.     Vordere  Seite, 

Die  Muskeln  an  der  vorderen  Seite  des  Unterschenkels  haben 
den  Raum  zwischen  Schien-  und  Wadenbein  im  Besitz.  Von  innen 
nach  aussen  gehend,  findet  man  sie  in  folgender  Ordnung  gelagert: 

Der  vordere  Schienbeinmuskel,  Musculus  tUnalls  anticus 
s.  hippicusy  der  stärkste  unter  ihnen,  entspringt  vom  äusseren  Knor- 
ren und  der  äusseren  Fläche  des  Schienbeins,  vom  Zwischenknochen- 
bande, und  von  der  Fascia  crurisj  verwandelt  sich  am  unteren 
Drittel  des  Unterschenkels  in  eine  platte,  starke  Sehne,  welche  über 
das  imtere  Ende  des  Schienbeins  und  über  das  Sprunggelenk  schräge 
nach  innen  läuft,  um  am  ersten  Keilbeine,  und  an  der  Basis  des 
Os  juetatarsi  hallucis  zu  endigen  (Schleimbeutel).  Beugt  den  Fuss, 
und  dreht  ihn  zugleich  ein  wenig  so  um  seine  Längenaxe,  dass  der 
innere  Fussrand  nach  oben  sieht. 

S]Mgclius  nennt  ihn  den  Mtuculus  catenae^  y^quia  diaaecto  per  transveranm 
hujus  tendiney  catenam  aeyri^  cujua  heneficio  ambulante»  pedeni  flectani  eleventquCy 
portare  coifnntur,^  De  corp.  hum.  fahr.  Cap.  XXIV.  —  Wir  sahen  im  Jahre  1862 


§.  195.   MxiskelB  an  der  Torderen  nnd  toiseren  Seite  des  ünterechenkels.  489 

ein  tiefliegendes  Stratum  dieses  Maskeis  mit  breiter  Sehne  sich  am  Halse  des 
Sprungbeins  und  in  der  vorderen  Wand  der  Sprutiggelenkkapsel  inseriren. 

Der  lange  Strecker  der  grossen  Zehe,  Mtisculus  extensw 
hallucis  longus,  halbgefiedert,  entsteht  vom  Mittelstück  der  inneren 
Wadenbeinfläche,  und  vom  Zwischenknochenbande.  Seine  schrägen 
Fleischfasem  inseriren  sich  an  die  lange,  am  vorderen  Rande  des 
Muskels  befindliche  Sehne,  welche  über  das  Sprung-,  Kahn-  und 
erste  Keilbein  wegzieht,  und  über  die  Rückenfläche  des  Os  meta- 
tarsi  hallucis  zum  zweiten  Gliede  der  grossen  Zehe  geht. 

Nach   Grub  er  ist  die  bisher  als   Anomalie  betrachtete  Nebensehne   zur 
ersten  Phalanx,  ein  constantes  Vorkommniss. 

Der  lange  gemeinschaftliche  Strecker  der  Zehen,  Mus- 
cidus  extensor  digitorum  communis  longtASy  entspringt  von  dem  Köpf- 
chen und  der  vorderen  Kante  des  Wadenböins,  dem  Condylu^  ex- 
temus  tibiae,  und  dem  Ligamentum  interosseum.  Er  ist  halbgefiedert. 
Die  an  seinem  vorderen  Rande  befindliche  Sehne,  theilt  sich  über 
dem  Sprunggelenk  in  fünf  platte  Schnüre,  von  welchen  die  vier 
inneren,  zur  zweiten  bis  fünften  Zehe  laufen,  um  mit  den  Sehnen 
des  kurzen  gemeinschaftlichen  Streckers,  die  Rückenaponeurose  der 
Zehen  zu  bilden,  welche  sich  wie  jene  der  Finger  verhält.  Die 
fünfte  oder  äusserste  Sehne  setzt  sich  an  der  Rückenfläche  des 
fünften  Mittelfussknochens  fest,  nahe  an  dessen  Basis  (zuweilen 
auch  des  vierten,  oder  an  diesem  letzteren  allein)  und  schickt  ge- 
wöhnlich auch  eine  fadenförmige  Strecksehne  zur  kleinen  Zehe. 
Da  es  sich  oft  ereignet,  dass  das  Fleisch  des  Eoctensor  communis, 
welches  dieser  fünften  Sehne  den  Ursprung  giebt,  weit  hinauf  vom 
gemeinschaftlichen  Muskelbauche  des  Zehenstreckers  abgetrennt  er- 
scheint, so  ftihrt  es,  seit  Winslow  und  Albin,  den  Namen  Mus- 
culus peroneus  tertius. 

Da  die  Sehnen  der  Muskeln  an  der  vorderen  Seite  des  Unterschenkels 
über  die  Beugeseite  des  Sprunggelenks  laufen,  und  sich  bei  jeder  Spannung  von 
ihr  emporheben  würden,  so  müssen  sie  durch  starke,  in  die  Fascia  cruris  kreuz- 
weis eingewebte  Sehnenstreifen,  auf  dem  Fussrüste  niedergehalten  werden.  So 
ergiebt  sich  die  Nothwendigkeit  des  Ligamentum  cruciatum.  Es  besteht  dieses 
Band  aus  zwei,  sich  schief  kreuzenden  Schenkeln,  von  welchen  der  eine  vom 
inneren  Knöchel  zur  äusseren  Fläche  des  Fersenbeins  geht,  während  der  zweite 
vom  0»  navicul4ire  und  cuneiforme  primum  entspringt,  bis  zur  Kreuzungsstelle 
mit  dem  ersten  stark  ist,  und  von  hier  an  nur  selten  bis  zum  äusseren  Knöchel 
deutlich  ausgeprägt  erscheint.  Zwei  an  der  inneren  Oberfläche  des  Kreuzbandes 
entspringende  Scheidewände  schieben  sich  zwischen  die  Sehnen  des  Tibialit 
anticuSy  Extenaor  haüucis  longus,  und  Extensor  communis  digitorum  longvs  ein,  nnd 
bilden  gesonderte  Fächer,  welche  mit  Synovialhäuteu,  die  die  Sehnen  auch  über 
das  Kreuzband  hinaus  begleiten,  gefüttert  werden. 

Für  das  Bündel  der  Sehnen  des  langen  Zehenstreckers  steht  am  Rücken 
des  Sprunggelenks  noch  eine  besondere  Bandschlinge  bereit,  welche  von  Retzius 
als  Ligamentum  funt^forme  tarH,  Schleaderband,  b«ielirieb«ii  wurde  (iftito^t 


490  $.  i:^  ÜMketa  ui  der  Torderen  and  aasseien  Seite  des  Unterschenkels. 

Arrliiv»  Ijm^,  Man  sieht  dieses  Band,  Dach  vorsichtigem  Lospräpariren  des 
Kfvutha»de^^  als  ein  selbstständiges  Ligament,  aus  dem  Smut  tarn  herauskom- 
i»<^w»  und,  nachdem  es  das  erwähnte  Sehnenbündel  schUngenftSrmig  umgriffen, 
XTmW  dahin  luriick kehren.  Die  Innenaäche  der  Schlinge  oder  Schleuder  ist 
nk^l  s<»lt«n  in  solchem  Grade  verknorpelt,  dass  man  diese  Stelle  des  Bandes  bei 
mapc'if u  Füssen  durch  die  Haut  sehen,  und  mit  dem  Finger  fühlen  kann.  Das 
HJMid  verhindert  während  der  Zusammenziehung  des  Muskels  die  Entfernung  der 
St rtvk  Mahnen  vom  Fussrücken.  Einen  daselbst  gelagerten  Schleimbeutel,  welcher 
ausnalimsweise  mit  der  Höhle  des  Sprunggelenks  oder  des  Kahn-Sprungbeinge- 
l*wk»  conimunicirt,  entdeckte  Grub  er. 

Die  Arteria  tUnolia  antica^  ein  Zweig  der  Arteria  poplitea,  welcher  durch 
dio  obere  Ecke  des  Zwischenknochenraums  zur  vorderen  Seite  des  Unterschen- 
kels gelangt,  befindet  sich  zu  den  Muskeln  dieser  Gegend  in  folgendem  Verhält- 
nisse. Sic  läuft  auf  dem  Zwischenknochenbande  anfangs  zwischen  dem  Fleisch 
des  Tibialia  antiais  und  Extensor  digitorum  communit  (weiter  unten  Exteruor  hal- 
(ttds  hn^t9)  herab,  lagert  sich  unten  auf  die  äussere  Fläche  des  Schienbeins 
auf,  passirt  das  mittlere  Fach  unter  dem  Kreuzband  am  Fussrüst,  und  folgt  im 
Ganien  einer  geraden  Linie,  welche  von  der  Mitte  des  Abstandes  zwischen  Ca- 
pitnlum  ßbulae  und  Spina  tibiae^  zur  Mitte  einer,  beide  Knöchelspitzen  verbinden- 
den Linie  herabgezogen  wird.  Nebst  zwei  Venen  hat  sie  den  Nervus  tibiaUa  an- 
ticut  zum  Begleiter,  welcher  aus  dem  Nervus  popliteus  extemus  stammt,  unter 
dem  Wadenbeinköpfchen  sich  nach  vorn  krümmt,  indem  er  den  MusctUus  peroneus 
longus  und  Extensor  digitorum  communis  longus  durchbohrt,  und  anfänglich  an  der 
äusseren,  später  an  der  inneren  Seite  der  Arterie,  deren  vordere  Fläche  er  kreuzt, 
herabläuft.  —  Im  oberen  Dritttheil  ihres  Verlaufes  liegt  die  Arterie  so  tief,  und 
die  sie  bergenden  Muskeln  sind  unter  sich  und  mit  der  dicken  Fascia  cruris  so 
innig  verwachsen,  dass  man  ausser  der  oben  genannten  Linie  keinen  weiteren 
Führer  zum  gesuchten  Gefässe  hat,  und  die  Unterbindung  desselben  somit  eine 
schwere  ist.  In  den  beiden  unteren  Dritteln  des  Unterschenkels  leitet  die  Kennt- 
niss  der  Seimen  ganz  sicher  zur  Auffindung  dieser  Arterie.  Sie  giebt  keinen  Ast 
von  Bedeutung  ab,  und  kann  somit  an  jeder  Stelle  unterbunden  werden.  Am 
Fussrücken,  wo  sie  dicht  auf  dem  Tarsus  liegt,  wird  sie  zwischen  den  Sehnen 
des  Extensor  haUucis  longus  und  Extensor  digitorum  longus  weniger  dem  Finger 
zum  Pulsfühlen,  als  den  verwundenden  Werkzeugen  zugänglich  sein. 

B,  Aeussere  Seite, 

Die  hier  befindlichen  Muskeln,  zwei  an  Zahl,  folgen  der  Län- 
genrichtung des  Wadenbeins. 

Der  lange  Wadenbeinmuskel,  MilscuIus  jpei^oneus  longus^ 
entspringt  mit  zwei,  durch  den  Wadenbeinnerv  von  einander  ge- 
trennten Portionen,  mit  der  oberen  vom  Köpfchen  des  Waden- 
beins, mit  der  unteren  unter  dem  Köpfchen  bis  zum  letzten  Viertel 
der  Knochenlänge  herab.  Seine  Sehne  gleitet  in  der  Furche  an  der 
hinteren  Gegend  des  äusseren  Knöchels  herab,  tritt  hierauf  in  eine 
Rinne  an  der  äusseren  Fläche  des  Fersenbeins,  dann  über  den 
Höcker  des  Würfelbcins  in  die  Furche  an  der  Plantarfläche  dieses 
Knochens,  und  endigt  am  inneren  Fussrande  am  ersten  Keilbeine, 
imd  an  der  Basis  des  ersten  und  zweiten  Mittelfussknochens.  Streckt 
den  Fuss,  abducirt  ihn,  und  wendet  die  Sohle  etwas  nach  aussen. 


%.  196.   Muskeln  an  der  hinteren  Seite  des  Unterschenkels.  491 

In  der  Sehne  des  Peroneus  longus  finden  sich  an  jenen  Stellen^  wo  sie 
sich  während  ihrer  Verschiebungen  an  Knochen  reibt  (am  äusseren  Knöchel,  am 
Eintritt  in  den  Suletu  otsis  ctiboidei),  faserknorpelige  Stellen,  von  welchen  jene 
am  Würfelbeine  selbst  verknöchern .  kann,  und  dann  ein  wahres  Sesambein  vor- 
stellt. 

Der  kurze  Wadenbeinmuskel,  Musculus  peroneus  brevis  s, 
semißbularisj  entspringt,  vom  zweiten  Drittel  des  Wadenbeins  ange- 
fangen bis  zum  äusseren  Knöchel  herab,  und  wird  vom  vorigen, 
mit  welchem  er  parallel  liegt,  bedeckt.  Seine  Sehne  geht  hinter 
dem  Malleolus  extemus  zum  äusseren  Fussrande,  wo  sie  sich  an  die 
Tuherositas  ossis  metatarsi  quinti  befestigt,  und  gewöhnlich  noch  eine 
platte,  oder  fadenförmige  Sehnenschnur  zur  Strecksehne  der  kleinen 
Zehe  sendet.  Wirkt  wie  der  vorige. 

Diese  Sehnenschnur  ist  öfters  so  kurz,  dass  sie  sich  schon  in  der  Bein- 
haut des  fünften  Metatarsus  verliert,  ohne  die  Phalangen  der  kleinen  Zehe  zu 
erreichen.  Ich  habe  von  ihr  gezeigt,  dass  sie  immer  die  Insertionsstelle  des 
PeroneuB  tertius  an  der  Basis  des  fünften  Metatarsus,  oder,  wenn  dieser  Muskel 
sich  am  vierten  Metatarsus  inserirt,  ein  Band  durchbohrt,  welches  die  Basis  des 
fünften  Metatarsus  der  kleinen  Zehe  mit  jener  des  vierten  verbindet  {Ligamentum 
intermetatarseum  dorsale).  Sieh'  meinen  Aufsatz:  über  die  accessorischen  Streck- 
sehnen der  kleinen  Zehe,  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  1863. 

Um  das  Ausschlüpfen  der  Sehnen  beider  Peronei  aus  der  Furche  des 
äusseren  Knöchels  zu  verhüten,  verdickt  sich  die  fibröse  Scheide  des  Unter- 
schenkels hier  zu  einem  starken  Haltbando  —  Retinaculum  s.  Ligamentum  annu- 
lare  extemum  —  welches  sich  vom  äusseren  Knöchel  zur  äusseren  Fläche  des 
Fersenbeins  hcrabspannt,  und  zur  Aufnahme  beider  Sehnen,  in  zwei  Fächer  ge- 
theilt  wird. 


§.  196.  Muskeln  an  der  hinteren  Seite  des  Unterschenkels. 

Sie  werden  durch  ein,  zwischen  sie  eingeschobenes  Blatt  der 
Fascia  suracj  in  ein  hochliegendes  und  tiefliegendes  Stratum 
geschieden. 

Af,  Hochliegendes  Stratum. 

Es  enthält  die  Strecker  des  Fusses,  Gastrocnemius ,  Soleus 
und  Plantaris,  —  welche  Muskeln,  da  sie  eine  gemeinschaftliche, 
am  Höcker  des  Fersenbeins  inserirte,  ungefähr  6  Zoll  lange  End- 
sehne {Tendo  Achillis  s.  Chorda  Hippoa'atis)  besitzen,  besser  als 
Köpfe  Eines  Muskels,  denn  als  besondere  Muskelindividuen  zu 
nehmen  sind. 

Der  zweiköpfige  Wadenmuskel  oder  Zwillingsmuskel 
der  Wade,  Musculus  gemellus  surae  s,  gastrocnemius  (^aon^p  Bauch; 
x.vr,(Ar^,  Wade,  —  sunt  gemelli,  quia  moley  robore,  et  actione  pa/i*esy 
sagt  Riolan),  entspringt  mit  zwei  convergentMi  *"  v^ohe  den 


492  §•  1^*   Muskeln  an  der  hinteren  Seiie  dei  Unterschenkels. 

unteren  Winkel  der  Fossa  poplüea  bilden,  unmittelbar  über  den  bei- 
den Condyli  femcnns.  Der  äussere  Kopf  ist  schwächer,  und  reicht 
nicht  ganz  so  weit  herab,  wie  der  innere.  Beide  Köpfe  berühren 
sich  mit  ihren  einander  zugekehrten  Rändern,  welche  eine  Furche 
begrenzen,  sind  an  ihrer  hinteren  Fläche  mit  einer  schimmernden 
Fortsetzung  ihrer  Ursprungssehne  bedeckt,  und  gehen  jeder  durch 
eine  halbmondförmige,  nach  unten  convexe  Bogenlinie,  in  die  ge- 
meinschaftliche breite  und  platte  Sehne  über,  welche  sich  mit  jener 
des  Soleus  und  Plantaris  zur  Achillessehne  vereinigt. 

In  den  Ursprnngssehnen  beider  Köpfe  finden  sich  gar  nicht  selten  faser- 
knorpelige Kerne,  welche  aach  verknöchert  vorkommcni  als  VesaTsche  Se- 
sambeine. Camper  Hess  nur  das  Sesambeinchen  im  äusseren  Kopfe  zu.  Nach 
meinen  Beobachtungen  (Oesterr.  med.  Jahrbücher,  Bd.  26)  kommt  es  in  beiden 
Köpfen  vor,  obwohl  im  äusseren  ungleich  häufiger.  Bei  kletternden  und  sprin- 
genden Säugethieren  werden  sie  sehr  gross. 

Der  Schollenmuskel,  Musculus  soleus  (von  Spigelius  Ga- 
strocnemius  internus  genannt)  ist  weit  fleischiger,  und  somit  auch 
kräftiger  als  der  vorausgehende,  unter  welchem  er  liegt.  Er  ist  es, 
welcher  durch  seine  Masse  das  dicke  Wadenfleisch  vorzugsweise 
bildet.  Sein  Ursprung  haftet  am  hinteren  Umfange  des  Köpfchens, 
und  an  der  oberen  Hälfte  der  hinteren  Kante  des  Wadenbeins,  so 
wie  an  der  Linea  poplitea,  und  an  dem  oberen  Theile  des  inneren 
Randes  des  Schienbeins.  Man  könnte  sonach  von  einer  Fibular-  und 
einer  Tibialportion  des  Muskels  reden.  Der  Fibular-  und  Tibial- 
ursprung  sind  durch  eine  kleine  Spalte,  durch  welche  die  hintere 
Schienbeinarterie  mit  ihrem  Gefolge  tritt,  von  einander  getrennt. 
Ein  schmales  fibröses  Bündel,  welches  die  beiden  Ursprungsportionen 
des  Muskels  verbindet,  läuft  über  die  Spalte  weg.  Der  Muskelbauch 
ist  in  seiner  Mitte  am  dicksten,  und  geht  durch  eine  breite  und 
ungemein  starke  Endsehne,  welche  mit  der  Eudsehne  des  Gastro- 
cnemius  verschmilzt,  in  die  Achillessehne  über,  welche  von  oben  nach 
unten  schmäler  und  zugleich  dicker  wird,  und  sich  an  die  hintere 
Fläche  der  Tuherositas  calcanei  ansetzt,  woselbst  ein  Schleimbeutel 
zwischen  ihr  und  dem  Knochen  liegt. 

Der  Schollenmuskel  entlehnt  seinen  Namen  ans  der  Zoologie  (a  ^^wra 
piacia  denominatuSy  Veslingii  Syntagma  anat.  cap.  19),  indem  seine  länglich-ovale 
Gestalt  an  jene  der  Scholle,  eines  in  den  europäischen  Meeren  häufigen  Fisches 
{Pletironeclea  aoUa  Linn.,  Solea  vulgaris  Cuv.)  erinnert.  Die  in  die  anatomische 
Nomenclatur  allgemein  aufgenommene  Benennung  Sohlenmuskel  ist  somit  ah- 
surd,  da  der  Muandua  aolcus  mit  der  Sohle  par  nichts  zu  schaffen  hat. 

Der  lange  Wadenmuskel,  Musculus  planfnrisj  dem  Palmaris 
longus  der  Hand  ähnlich,  und  ebenso  wie  dieser  zuweilen  fehlend, 
ist  ein  kraftloser  Hilfsmuskel  der  beiden  vorausgegangenen,  zu 
denen   er   sich    beiläufig  wie    ein   Zwiinfaden   zu    einem   Ankertau 


§.  IM.   Maskeln  an  der  hinteren  Seite  des  üntersehenkelü.  493 

verhält.  (Nur  beim  Tiger  und  Leopard  kommt  er  dem  öastrocne- 
niius  an  Stärke  gleich,  und  verleiht  diesen  Thieren  die  Kraft  des 
Sprunges).  Er  entspringt,  dicht  am  äusseren  Kopfe  des  Gastrocne- 
mius,  vom  Condylus  externus  femoris^  wohl  auch  von  der  Kniege- 
lenkkapsel, und  verwandelt  sich  bald  in  eine  lange,  schmale  und 
flache  Sehnenschnur,  welche  zwichen  dem  Fleische  des  Gastro- 
cnemius  imd  Soleus  nach  abwärts  und  etwas  nach  einwärts  zieht, 
deshalb  an  den  inneren  Rand  der  Achillessehne  gelangt,  imd  theils 
mit  ihr  zusammenfliesst,  theils  mit  zerstreuten  Fasern  in  dem  fett- 
hältigen  Bindegewebe  zwischen  Achillessehne  und  Fersenbein,  be- 
sonders aber  in  der  hinteren  Wand  der  Sprunggelenkkapsel  endigt. 
Da  er  gar  nicht  in  die  Fusssohle  kommt,  so  wäre  sein  Name  Plan- 
taris mit  Gracilis  surae  zu  wechseln,  welchen  Winslow  zuerst  ge- 
brauchte {le  jamhier  grlle). 

Galen,  welcher  sich,  wie  aas  vielen  Stellen  seiner  Werke  erhellt,  Vor- 
zugs weise  der  Affenleichen  zu  seinen  Zergliederungen  bediente,  und  die  Ergebnisse 
derselben  auf  den  Menschen  übertrug,  Hess  den  Mtucuhu  plantaris,  welcher  nur 
bei  einigen  Säugethieren  in  die  Aponeuroaia  plantai'i»  übergeht,  auch  beim  Men- 
schen dahin  gelangen  (de  usu  partium,  lib.  2.  cap.  3).  Daher  der  absurde,  jedoch 
allgemein  angenommene  Name  Plantaris.  Douglas,  welcher  den  Gastrocnemius 
und  Soleus  zusammen  als  Extensor  tarsi  magnus  erwähnt,  nannte  den  Plantaris 
ganz  consequent  Extensor  tai'si  minor. 

Der  Name  Achillessehne  schreibt  sich  wohl  davon  her,  dass  der  griechische 
Held,  welchen  die  Mythe  nur  an  dieser  Stelle  verwundbar  sein  Hess,  an  den 
Folgen  eines  Pfeilschusses  in  die  Ferse  starb. 

Die  Aerzte  des  Alterthums  hielten  die  Wunden  und  Quetschungen  der 
Achillessehne  für  tödtlich  (cum  partihus  principibus  societatem  habet,  unde  eontttsus 
hie  tendo  et  sectus,  fehres  continuas  et  acutissimas  movet,  singidtus  excitai ,  mentem 
perturhat,  tandemque  mortem  accersit.  Hippocrates),  und  da  sich  der  Glaube 
an  die  Gefährlichkeit  der  Sehnenwunden  bis  auf  unsere  Zeit  vererbte,  so  mag 
dieses  wohl  die  Ursache  sein,  warum  die  Tenotomie  (ein  Operationsverfahren, 
durch  welches  die  Sehnen  jener  Muskeln  durchschnitten  werden,  deren  andau- 
ernde und  permanent  gewordene  Contraction,  Entstellung,  Steifheit  und  Unbrauch- 
barkeit  eines  Gliedes  veranlasst)  so  spät  in  Aufnahme  kam. 

ß.  Tiefliegendes  Stratum. 

Nach  Beseitigung  der  in  A.  beschriebenen  Muskeln  und  des 
tiefliegenden  Blattes  der  Vagina  surae^  kommt  man  hinter  und  imter 
dem  Kniegelenk  auf  den  kurzen,  dreieckigen  Musculus  popliteus, 
und  unterhalb  diesem,  auf  drei,  in  der  Rinne  zwischen  beiden  Un- 
terschenkelknochen eingebettete  Muskeln,  {Tihialis  posticus,  Flexor 
digitmnim  longus  und  Flexor  haüucis  hngus),  welche  als  Antagonisten 
der  an  der  vorderen  Seite  des  Unterschenkels  gelegenen  Muskeln 
functioniren,  und  ihre  Sehnen  hinter  dem  inneren  Knöchel  zum 
Plattfuss  treten  lassen,  um  die  Aasstreckung  des  Fasses  zu  unter- 
stützen, oder  die  Zehen  zu  beugen» 


494  {•  IM.  Mnnkeln  aa  der  hinteren  Seite  des  Unterschenkels. 

Der  Kniekehlenmuskel,  Miiscnltis  poplitetts,  wird  erst  in 
seinem  ganzen  Umfange  gesehen,  wenn  die  beiden  ürsprungsköpfe 
des  Gastroenemius  durchschnitten,  und  zurückgeschlagen  sind.  Er 
entspringt  starksehnig  an  der  äusseren  Fläche  des  Condylus  extemtis 
femorü,  und  von  dem  äusseren  Zwischenknorpel  des  Kniegelenks, 
wird  nach  innen  und  unten  ziehend  breiter,  und  befestigt  sich  am 
oberen  Ende  der  inneren  Kante  des  Schienbeins,  in  der  Länge  von 
ungefähr  zwei  Zollen.  Beugt,  den  Unterschenkel,  und  dreht  ihn 
nach  innen. 

£r  wird  von  einer  siemlich  starken  Fascie  bedeckt,  welche  mit  der  End- 
sehne  des  Semimembranosus  Zusammenhang  und  besitzt,  unter  seiner  Ursprungs- 
sehne, einen  Schlcimbeutel,  welcher  mit  der  Kniegelenkhöhle  communicirt 

Der  hintere  Schienbeinmuskel,  Musculus  tibialis  posticus, 
ist  ein  halbgefiederter  Muskel,  entspringt  zwischen  dem  Flexor  digi- 
tonim  communis  longus  und  Flexor  hallucis  longus^  von  der  hinteren 
Fläche  des  Schienbeins,  dem  Zwischenknochenbande,  und  dem  inne- 
ren Winkel  des  Wadenbeins.  Er  wird  von  den  beiden  genannten 
Muskeln  so  überlagert,  dass  wenigstens  der  erstere  von  ihnen  entfernt 
werden  muss,  um  sich  eine  volle  Ansicht  desselben  zu  verschaffen. 
Seine  rundlich  platte  Sehne  lagert  sich  in  die  Rinne  des  inneren 
Knöchels,  und  geht  von  hier  über  die  innere  Seite  des  Sprungbein- 
kopfes (wo  sie  durch  Aufnahme  von  Faserknorpelmasse  sich  ver- 
dickt) zur  Tuberositas  ossis  navicularis,  Nebenschenkel  dieser  Sehne 
begeben  sich  auch  zu  den  drei  Keilbeinen,  zum  Würfelbein,  und  zu 
den  Basen  des  zweiten  und  dritten  Mittelfussknochens.  Streckt  den 
Fuss,  hebt  seinen  inneren  Rand,  und  zieht  ihn  zu,  so  dass  man 
sitzend  mit  beiden  Füssen  eine  Last  zu  fassen  und  aufzuheben,  oder 
beim  Klettern  sich  mit  den  Füssen  zu  stützen  und  nachzuschieben 
vermag. 

Theile  nennt  ihn  Schwimmmnskel.  Diese  Benennung  ist  jedoch  eine 
unrichtige  Uebersetzung  des  alten  Namens  Mtuctdu»  nauticus,  indem  nauta  nicht 
Schwimmer,  sondern  Schiffer  bedeutet,  und  der  TibialU poaticus  beim  Schwim- 
men nicht  mehr  als  ein  anderer  Muskel  des  Fusscs  in  Anspruch  genommen  wird. 
Ebenso  unpassend  ist  es,  den  Namen  naulicus  von  der  Anheftung  an  das  Schiff- 
bein herleiten  zu  wollen.  Ich  finde  bei  Spigelius,  welcher  der  Erste  war,  der 
diese  sonderbare  Bezeichnung  gebrauchte,  folgende  ganz  treffende,  die  Benennung 
Musculus  natUiciu  erklärende  Stelle:  hie  a  nie  nautieus  vocan  tolet,  quod  eo 
nautae  poUtsimum  utujitur^  dum  mcUum  scandunt  (De  hum.  corp.  fahr,  Hb,  IV. 
cap.  XXI VJ  —  also  Matrosenmuskel,  weil  er  zum  Erklettern  der  Masten  hilft 

Der  lange  Beuger  der  Zehen,  Musculus  flexor  communis 
digitot*um  longus  s,  perfoi'ans,  entspringt  mit  seinem  langen  Kopfe 
an  der  hinteren  Fläche  des  Schienbeins,  und  geht  hinter  dem  inne- 
ren Knöchel  in  eine  lange  Sehne  über,  welche  jene  des  TihiaUs 
posticus  bedeckt,  sich  an  der  inneren  Seite  des  Sprungbeins  zur 
Fusssohle  wendet,  vom  Musculus  abductor  hallucis  und  vom  Musculus 


S*  1^'   Hnekeln  an  der  bint«ren  Seite  dea  ünierflchenkelB.  495 

flexor  digiUyimm  brevis  bedeckt  wird,  und  in  der  Mitte  der  Sohle  die 
Fleischfasem  eines  zweiten  accessorischen  Kopfes  aufnimmt, 
welcher  von  der  unteren  und  inneren  Fläche  des  Fersenbeins  ent- 
steht, und  gewöhnlich  Caro  quadrata  Sylvii  genannt  wird,  obwohl 
J.  Sylvius  ihn  als  Mcbsaa  s,  Moles  carnea  aufführt.  Hierauf  theilt 
die  Sehne  sich  in  vier  kleinere  Stränge,  für  die  vier  äusseren  Zehen, 
welche  sich  so  wie  jene  des  tiefliegenden  Fingerbeugers  verhalten, 
d.  h.  den  vier  Musculi  lumhricales  zum  Ursprünge  dienen,  an  der 
ersten  Phalanx  der  Zehen  die  Sehnen  des  Flexor  digitarum  brevis 
durchbohren,  und  am  dritten  Zehengliede  endigen.  Dieselben  Schei- 
den, wie  sie  an  den  Fingern  zur  Aufnahme  der  Beugesehnen  dien- 
ten, finden  sich  auch  an  den  Zehen. 

Er  bietet  häufig  Spielarten  dar.  Die  wichtigsten  sind:  1.  der  Ursprung 
des  kurzen  Kopfes  reicht  bis  zum  Schienbein  hinauf.  2.  Vom  unteren  Ende  des 
Wadenbeins  gesellt  sich  ein  Fleischbändel  zum  langen  Kopfe,  welches  auch 
isolirt  zum  Fersenbeine  herablKuft,  und  sich  im  Fette  zwischen  Achillessehne 
und  Sprunggelenk  verliert,  wo  dann  gewöhnlich  der  Plantaris  fehlt  Wir  habeit 
dieses  Bündel  ungewöhnlich  lang  werden,  und  in  der  Kniekehle  von  der  fibrösen 
Scheide  des  Musculus  popliteus  entspringen  gesehen.  KosenmüUer  (Hallische 
Lit.  Zeit  1808,  Nr.  153)  sah  dieses  abnorme  Fleischbündel  an  ein  besonderes 
accessorisches  Knöchelchen  am  Sprunggelenke  treten.  3.  Eine  oder  die  andere 
der  vier  Endsehnen  verschmilzt  mit  jener  des  kurzen  Beugers  mehr  weniger  voll- 
kommen (wie  es  bei  den  Affen  vorkommt).  4.  Die  Beugesehne  der  zweiten  Zehe 
entwickelt  sich,  wie  ich  öfter  sah,  nur  aus  einem  besonderen  Fascikel  der  Maaaa 
caimea  Sylvii. 

Der  lange  Beuger  der  grossen  Zehe,  Musculus  flexor  hal- 
lucis  hngusy  ist  der  stärkste  im  tiefen  Stratum  der  Wade,  und  liegt 
am  meisten  nach  aussen.  Er  entspringt  von  den  beiden  unteren 
Dritteln  des  Wadenbeins,  und  entwickelt  eine  runde  Sehne,  welche 
in  einer  an  der  hinteren  Seite  des  Sprungbeinkörpers  befindlichen 
Furche  herabsteigt,  und  unter  dem  Sustentaculum  tali  in  die  Sohle 
dringt,  sich  hier  gegen  den  inneren  Fussrand  wendet,  sieh  mit  der 
Sehne  des  langen  Zehenbeugers  kreuzt,  mit  ihr  durch  ein  tendi- 
nöses  Zwischenbündel  zusammenhängt,  und  endlich  zwischen  beiden 
Sesambeinen  an  der  Articulatio  metatarso-phalangea  hallucis  zum 
NagelgKede  der  grossen  Zehe  gelangt,  wo  sie  sich  inserirt. 

Die  Sehnen  der  drei  beschriebenen  laugen  Muskeln,  werden,  hinter  dem 
inneren  Knöchel,  durch  ein  von  diesem  entspringendes,  zum  Fersenbein  und  zur 
Ursprungssehne  des  Abductor  hallucit  herablaufendes  Band,  Ligamentum  ItKima- 
tum  a.  annullare  intemumf  in  ihrer  relativen  Lage  erhalten.  Ich  finde  häufig  nur 
Eine  fibröse  Scheidewand,  durch  welche  der  Raum  unter  dem  Bande  in  zwei 
Fächer  gctheilt  wird,  deren  vorderes  die  Sehnen  des  Tibialis  potticua  und  Flexor 
digitorum  communis  longuSy  deren  hinteres  jene  des  Flexor  hallucis  longus  enthält. 
Synovialscheiden  existiren  dagegen  immer  drei. 

Ueber  die  Verbindong  der  Sehne  des  Flexor  haUuaU  lotmM»  mH  Aar  8eline 
des  Flexor  digitorum  commume  in  der  FviSMbI* 
Daten  eingehend :  F.  £.  BchnUei  in  ^ 


496  8*  ^^'  Moakeln  ua  Fnue. 

Dor  Nervus  tilncUis  poaticuSj  welcher  längs  dec  Medianlinie  der  Kniekehle 
zum  unteren  Winkel  derselben  herabläuft,  birgt  sich  zwischen  den  beiden  Köpfen 
des  Gastrocnemius,  dringt  unter  dem  oberen  Rande  des  Soleus  in  die  Tiefe,  und 
gesellt  sich  zur  Arteria  tihicdis  postica^  welche  auf  dem  Mtuculua  popliteus  aus  der 
Kniekehle  herabkommt.  Beide  durchbohren  nun  das  tiefliegende  Blatt  der  Fasda 
nurae^  und  laufen  (die  Arterie  einwärts  vom  Nerven  liegend)  längs  einer  Linie 
herab,  welche  von  der  Mitte  der  Kniekehle  zur  Mitte  des  Raumes  zwischen 
Achillessehne  und  inneren  Knöchel  gezogen  wird,  in  welchem  man  die  Arterie 
pulsiren  fühlt.  Die  Arterie  ist  in  ihrer  oberen  Hälfte,  wo  sie  vom  Gastrocnemins 
und  Soleus  bedeckt  wird,  äusserst  schwer  der  Unterbindung  zugänglich.  £s 
müsste  einen  halben  Zoll  vom  inneren  Rande  der  Tibia  entfernt,  durch  Haut 
und  Fascie  ein  sechs  Zoll  langer  Einschnitt  gemacht,  der  innere  Rand  des  Gastro- 
cnemins aufgehoben,  der  Tibialursprung  des  Soleus  in  derselben  Ausdehnung  ge- 
trennt, das  tiefe  Blatt  der  Vagina  nirae  aufgeschlitzt,  und  das  Gefäss,  welches 
hier  noch  auf  dem  Mnaculua  tibialis  poaticu»  liegt,  mit  Umgehung  des  Nerven  und 
der  beiden  Begleitungsvenen  isolirt  werden.  In  der  Nähe  des  Knöchels  ist  die 
Unterbindung  leicht  und  einfach.  Ein  zwei  Zoll  langer  Haut-  und  Fascienschnitt, 
in  der  Mitte  zwischen  Tendo  Achülia  und  Malleolua  internus^  fällt  direct  auf  die 
Gefässscheide.  —  Die  Arteria  peronea^  die  schwächste  von  den  drei  Arterien  des 
Unterschenkels,  entspringt  von  der  Arteria  tibialia  postica^  zwei  Zoll  unter  dem 
unteren  Rande  des  Popliteus,  geht,  bedeckt  vom  Flexor  JiaUucis  longtu,  am  inneren 
Winkel  der  Fibula  herab,  und  theilt  sich,  am  unteren  Ende  des  Zwischenknochen- 
raumes, in  einen  vorderen  und  hinteren  Endzweig. 

§.  197.  Muskeln  am  Pusse. 

A.  Dorsalseite. 

Hier  findet  sich  nur  Ein  Muskel.  Es  ist  der  kurze  Strecker 
der  Zehen,  Musculus  extensor  digiiw^um  communis  Wevis.  Er  ent- 
springt, vor  dem  Eingange  des  Sinus  tarsi,  an  einem  Höcker  der 
oberen  Fläche  des  Fersenbeins,  wird  von  den  Sehnen  des  langen 
Zehenstreckers  bedeckt,  und  theilt  sich  in  vier  Zipfe,  welche  in  platte 
dünne  Sehnen  übergehen,  die  schief  nach  vorn  und  innen  über  den 
Fussrücken  laufen,  und,  mit  den  Sehnen  des  Extensor  communis 
longus  verschmelzend,  in  die  Dorsalaponeurose  der  vier  inneren 
Zehen  übergehen. 

Nur  selten  existirt  eine  fünfte  Endsehne  für  die  kleine  Zehe.  Häufig  da- 
gegen ist  die  zur  grossen  Zehe  gehende  Portion,  welche  allein  genommen,  so 
stark  ist,  wie  die  drei  übrigen,  ein  besonderer  Muskel. 

Die  Hauptschlagader  des  Fussrückcns,  Arteria  doraali«  pedis^  eine  Fort- 
setzung der  Arteria  tibialis  anticay  folgt  einer  Richtungslinie,  welche  von  der 
Mitte  des  Sprunggelenks  zum  ersten  Interstitium  interosseum  gedacht  wird.  Sie 
liegt  unmittelbar  auf  den  Fusswurzelknochcn,  zwischen  den  Sehnen  des  Extensor 
hallucis  und  Extensor  digitorum  communis  longus,  und  wird,  bevor  sie  zum  be- 
zeichneten Zwischenknochenraum  gelangt  (durch  welchen  sie  sich  in  den  Platt- 
fuss  krümmt),  von  der  zur  grossen  Zehe  gehenden  Strecksehne  des  EoUensor  digi- 
torum communis  brtvis  gekreuzt.  Die  chirurgische  Unterbindung  derselben  wird 
durch  die  leichte  Ausführbarkeit  einer  anhaltenden  Compression  entbehrlich 
'  gemacht 


g.  197.  Muskeln  am  FuHse.  497 


B,  Plantarseite, 

Die  Muskelu  der  Plantarseite  zerfallen  in  vier  Gruppen,  deren 
eine  längs  des  inneren,  deren  zweite  längs  des  äusseren  Fussrandes 
liegt,  die  dritte  zwischen  diese  beiden,  und  die  vierte  in  den  Zwi- 
schenräumen je  zweier  Ossa  metatarsi  eingeschaltet  ist. 

1 .  Längs  des  inneren  Fussrandes  finden  sich  die  eigenen  Mus- 
keln der  grossen  Zehe.  Diese  sind: 

Der  Abzieher  der  grossen  Zehe.  Er  entspringt  vom  Tu- 
ber und  von  der  inneren  Fläche  des  Fersenbeins,  so  wie  vom 
Ligamentum  laciniatum  des  inneren  Knöchels,  und  endigt  am  ersten 
Gliede  des  Hallux  und  dem  inneren  Sesambein  der  Articulatio 
metatarso-phalangea  der  grossen  Zehe. 

Der  kurze  Beuger  der  grossen  Zehe  entspringt  von  den 
Keilbeinen,  und  zum  Theile  auch  von  den  Bändern,  welche  in  der 
Fusssohle  die  Verbindung  zwischen  Tarsus  und  Metatarsus  unter- 
halten. Er  theilt  sich  in  zwei  Portionen,  welche  sich  an  die  beiden 
Ossa  sesamoidea  der  grossen  Zehe  anheften.  Zwischen  beiden  pas- 
sirt  die  Sehne  des  Flexor  kallucis  longus  durch.  Jene  Portion,  welche 
an  das  innere  Sesambein  tritt,  verschmilzt  mit  dem  gleichfalls  dahin 
gelangenden  Ahductor  kallucis ^  und  wird  von  einigen  Autoren  als 
ein  zweiter  Kopf  des  Ahductor  hallucis  angesehen. 

Der  Anzieher  der  grossen  Zehe  besitzt  zwei  Köpfe.  Der 
eine  entspringt,  auswärts  vom  kurzen  Beuger  liegend,  von  der  Basis 
des  zweiten,  dritten,  und  vierten  Metatarsusknochens,  auch  von 
der  fibrösen  Scheide,  welche  die  Sehne  des  Peroneus  longus  ein- 
schliesst,  und  geht  zum  äusseren  Sesambein  des  ersten  Gelenkes 
der  grossen  Zehe,  wo  er  mit  dem  anderen  Kopfe  verschmilzt,  wel- 
cher von  der  unteren  Wand  der  Kapsel  der  Articulatio  metatarso- 
phalangea  des  vierten,  selten  auch  des  fünften  Metatarsusknochens 
entspringt,  imd  quer  hinter  den  Köpfen  des  vierten,  dritten  und 
zweiten  Metatarsusknochens,  zur  selben  Stelle  zieht. 

Casserius  entdeckte  diesen  zweiten  Kopf  des  Anziehers  der  grossen 
,  Zehe,  betrachtete  ihn  aber  nicht  als  einen  zweiten  Kopf  des  Anziehers,  sondern 
als  selbstständig,  und  nannte  ihn,  seiner  Richtung  wegen,  Tramversalis  pedit. 
Waltor  (Myolog.  Handbuch,  pag.  94)  bezeichnete  ihn  zuerst  hU  Adductor  hreviä, 
and  da  man  glaubte,  er  könne  durch  seine  Zusammenziehung  die  Sohle  hohl 
machen,  und  ein  festeres  Stemmen  derselben  auf  unebenem  Boden  oder  schiefen 
Ebenen  bewirken,  so  heisst  er  bei  älteren  französischen  Anatomen  auch  le  cou' 
vreur  (Muskel  der  Ziegeidecker). 

2.  Längs  des  äusseren  Fussrandes  lagert  die  Musculatur  der 
kleinen  Zehe.  Sie  besteht: 

a.  Aus  dem  Abzieher  der  kleinen  Zehe.  Dieser  entsprinr* 
von  der  unteren  Fläche  des  Fersenbeins  und  von  der  Fa$cia  ^ 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  ^ 


4d8  S-  ld7.    Muskeln  am  PuHae. 

und    inserirt   sich  an    der    äusseren    Seite    des    ersten    Gliedes    der 
kleinen  Zehe. 

ß.  Aus  dem  Beuger  der  kleinen  Zehe.  Derselbe  ist  viel 
schwächer  als  der  vorige,  entspringt  vom  Ligamentum  calcatieo- 
cuhoideum,  und  von  der  Basis  des  fünften  Mittelfussknochens,  und 
befestigt  sich  an  der  durch  Faserknorpel  verdickten  unteren  Wand 
der  Kapsel  des  ersten  Gelenks  der  kleinen  Zehe. 

3.  Zwischen  den  kurzen  Muskeln  der  grossen  und  kleinen 
Zehe  Hegt  im  Plattfuss,  der  Medianlinie  desselben  folgend,  der 
kurze  gemeinschaftliche  Zehenbeuger,  welcher  die  in  die 
Sohle  herabkommenden  Sehnen  der  an  der  hinteren  Seite  des  Unter- 
schenkels gelegenen  Muskeln  bedeckt.  Der  kurze  gemeinschaftliche 
Zehenbeuger  liegt  unmittelbar  unter  der  Aponeurosis  plant^irts.  Er 
entspringt  von  ihr,  und  vom  Tuhei*  calcanei^  und  theilt  sich  in  vier 
fleischige,  später  sehnige  Portionen,  für  die  vier  kleineren  Zehen. 
Jede  Sehne  spaltet  sich  am  ersten  Zehengliede,  lässt  die  Sehne  des 
Flexor  communis  Imigus  durch  sich  durchgehen,  und  befestigt  sich, 
in  allen  übrigen  Punkten  dem  Flexen'  pei-foratas  der  Finger  ent- 
sprechend, am  zweiten  GHede. 

4.  Die  Zwischenknochenmuskeln. 

Es  dürfen  nicht  vier  äussere  und  drei  innere  (wie  bei  der 
Hand),  sondern  es  müssen  umgekehrt  drei  äussere  und  vier  innere 
gezählt  werden.  Nimmt  man,  abweichend  vom  Verhältnisse  der 
Hand  (deren  Längenachse  durch  den  Mittelfinger  gedacht  wurde), 
aber  harmonirend  mit  der  Grösse  der  Zehen,  die  Axe  des  Fusses 
durch  die  grosse  Zehe  gehend  an,  so  wird  für  die  vier  kleineren 
Zehen  die  Adduction  in  einer  Annäherung  zur  grossen,  und  die  Ab- 
duction  in  einer  Entfernung  von  ihr  bestehen.  Die  Adductionsmus- 
keln  liegen  in  den  Interstitien  der  Metatarsusknochen  gegen  die 
Sohle  zu,  die  Abductoren  gegen  den  Rücken  des  Fusses.  Erstere 
sind  die  Intei'ossei  interni,  vier  an  der  Zahl,  —  letztere  die  Interossei 
externi,  deren  nur  drei  vorhanden  zu  sein  brauchen,  da  die  kleine 
Zehe  schon  einen  besonderen  Abductor  besitzt.  —  Die  drei  externi 
entspringen  zweiköpfig  von  den  beiden  neben  einander  liegenden 
Mittelfussknochen  des  zweiten,  dritten,  und  vierten  Zwischenknochen- 
raums, und  befestigen  sich  an  der  äusseren  Seite  des  ersten  Ge- 
lenks der  zweiten,  dritten,  und  vierten  Zehe  in  der  Faserknorpel- 
rolle desselben.  Die  vier  inteinii  nehmen  alle  vier  Interstitia  interos- 
sea  ein,  entspringen  jedoch  nur  an  der  inneren  Seite  Eines  Mittel- 
fussknochens, und  endigen  an  derselben  Seite  des  zugehörigen 
ersten  Zehengliedes. 


$.  198.  Pascie  dor  unteren  Exireniität.    —  §.  199.  SchenkelbindB  and  Schenkelkanal.         499 


§.  198.  Pascie  der  unteren  Extremität.  Eintheilung  derselben. 

Das  fibröse  Uluhüllungsgebilde  der  unteren  Extremität  besteht, 
wie  jenes  der  oberen,  aus  einer  subcutanen,  mehr  weniger  fetthal- 
tigen Bindegewebsschichte,  als  Fa^cia  superficialis,  und,  unter  dieser, 
aus  einer  wahren,  fibrösen  Binde,  deren  Stärke  mit  jener  der  von 
ihr  umgebenen  Muskeln  im  geraden  Verhältnisse  steht. 

Die  Fascia  supeificixdis  ist  an  der  vorderen  und  inneren  Seite 
der  oberen  Hälfte  des  Oberschenkels  und  an  der  Wade  am  besten 
entwackelt,  enthält  gewisse  oberflächlich  verlaufende  Gefässe  und 
Nerven  in  sich  eingeschlossen,  und  kann,  wo  diese  zahlreich  auftre- 
ten, selbst  wieder  in  zwei  Blätter,  ein  hochliegendes  fetthaltiges,  und 
ein  tiefes,  fettloses  getrennt  werden.  Beide  sind  Fortsetzungen  der 
gleichnamigen  Gebilde  des  Unterleibes;  —  das  tiefliegende  Blatt 
geht  unter  dem  Poupart'schen  Bande  eine  völlige  Verschmelzung 
mit  der  eigentlichen  fibrösen  Fascie  der  unteren  Extremität  ein, 
welche  eine  vollkommen  geschlossene  Scheide  für  die  ganze  Mus- 
eulatur  der  unteren  Gliedmasse  bildet,  und,  der  leichteren  Ueber- 
sicht  wegen,  in  eine  Fascia  femoris  (Fascia  lata),  Fascia  cruris,  und 
Fascia  pedis  abgetheilt  wird.  Jede  dieser  Abtheilungen  sendet  Blät- 
ter zwischen  einzelne  Muskeln  oder  Muskelgruppen  ab,  wodurch 
Scheiden'  entstehen,  welche  die  Richtung  der  in  ihnen  enthaltenen 
Muskeln  bestimmen. 

§.  199.  Schenkelbinde  und  Schenkelkanal. 

Die  Schenkelbinde,  Fascia  femoris  s.  Fascia  lata,  entspringt 
theils  vom  Labium  extemum  der  Darmbeincrista  und  dem  Kreuz- 
bein, theils  von  den  Aesten  des  Sitz-  und  Schambeins.  Man  kann 
sie  deshalb  in  eine  Portio  ileo-sacralis  und  ischio-pubica  abtheilen. 

Die  Portio  ileo-saci'alis  spaltet  sich  in  zwei  Blätter,  welche 
den  Musculus  glutaeus  magnus  zwischen  sich  fassen.  Das  Blatt, 
welches  die  äussere  Fläche  dieses  Muskels  deckt,  ist  so  schwach, 
dass  es  kaum  den  Namen  einer  Fascie  verdient,  das  innere  dagegen 
sehr  stark,  und  dient  zugleich  einer  Btindelschichte  des  Musculus 
glutaeus  niedins  zum  Ursprünge.  Haben  sich  die  beiden  Blätter,  nach- 
dem sie  den  Glutaeus  magnus  umhüllten,  wieder  vereinigt,  so  über- 
ziehen sie  die  vordere  und  äussere  Seite  des  Oberschenkels,  indem 
sie  die  hier  gelagerten  Muskeln  mit  Scheiden  versehen.  Zwischen 
Rectuß  femoris  und  Tensor  fasciae  dringt  ein  starker  Fortsatz  bis 
auf  das  Hüftgelenk  und  den  Oberschenkelknochen  ein.  An  der 
äusseren  Seite  des  Oberschenkels  läuft  die  Fascie  ^^*^  ^Anirrossen 
Trochanter  (Schleimbeutel)  nach  ajbvi 


500  $•  li^-  Schenkelbinde  und  Scbenkclkanal. 

sendet  zwischen  den  Streckern  des  Unterschenkels  und  dem  Biceps 
femwns  einen  Fortsatz  als  Ligamentum  tntermusculare  extenium  zur 
äusseren  Lefze  der  Linea  aspera  femoris. 

Die  Poi'tio  ischio-pvbica,  welche  schwächer  als  die  Portio  xleo- 
sacralis  ist,  hüllt  den  Gracilis  ein,  und  schickt  zwischen  dem  Vastus 
internus  und  den  Adductoren,  das  Ligamentum  intermusculare  inter- 
num  zur  inneren  Lefze  der  Linea  aspera  femorisy  welches  erst  in 
der  unteren  Hälfte  des  Oberschenkels  deutlich  wird,  und  in  der 
oberen,  bis  ziun  kleinen  Trochanter  hinauf,  zu  fehlen  scheint. 

Das  Verhalten  der  Fascia  lata  in  der  Fossa  ilea-pectinea  ver- 
dient, seiner  Beziehung  zum  Schenkelkanale  wegen,  eine  aus- 
führlichere Behandlung.  Es  ist  bekannt,  das  in  der  Fossa  ileo- 
pectinea  die  Aii^a  und  Vena  cruralis  liegen,  nachdem  sie  durch 
die  Lacuna  vasorum  unter  dem  Poupart'schen  Bande  aus  dem  Becken 
hervortraten.  Eine  gemeinschaftliche  Scheide  umhüllt  beide  Gefksse 
als  Vagina  vasorum  cruralium.  Sie  wird  an  ihrer  äusseren  Peripherie 
durch  eine  Fortsetzung  der  Fascia  iliaca^  welche  bei  ihrem  Aus- 
tritte unter  dem  Poupart'schen  Bande  Fascia  ileo-pectinea  heisst, 
an  ihrer  inneren  Peripherie  durch  eine  Verlängerung  der  bei  den 
Bauchmuskeln  als  Fascia  transversa  berührten  Aponeurose  gebildet. 
Mit  dieser  Gef&ssscheide  verbindet  sich  die  Fascia  lata  auf  folgende, 
ftir  die  Anatomie  der  Schenkelbrüche  (Hemiae  crurales)  höchst  wich- 
tige Weise.  Ein  Stück  der  Portio  ischio-pubica  der  Fascia  lata  ent- 
springt längs  des  Pecten  ossis  puhis,  mag  somit  Fascia  pectinea  heissen, 
deckt  den  Musculus  pectineus,  geht  hinter  der  Schenkelgefässscheide 
nach  aussen,  und  verbindet  sich  mit  dem  tiefliegenden  Blatte  der 
Portio  ileO'Sacralis,  Der  vordere  Abschnitt  der  Fascia  ileo-sacralis 
nämlich  hängt,  einwärts  vom  Sartorius,  am  Poupart'schen  Bande 
fest,  und  theilt  sich  in  zwei  Blätter,  von  denen  das  tiefliegende 
über  die  Vereinigungsstelle  des  Psoas  und  Iliacus  internus  hinüber 
nach  innen  zu  läuft,  um  theils  mit  der  Fascia  ileo-pectinea  zu  ver- 
schmelzen, theils  an  die  Schenkelgefässscheide  zu  treten.  Das  hoch- 
liegende Blatt  dagegen  legt  sich  blos  oberflächlich  auf  die  Gefiiss- 
scheidc,  von  welcher  es  durch  Fett  und  Bindegewebe  getrennt  wird, 
und  hört  mit  einem  freien  halbmondförmig  ausgeschnittenen  Rande 
auf.  Dieser  Hand  ist  die  Plica  falcifoiifnis  von  Allan  Bums.  Das 
obere  Hörn  der  Plica  falciformis  hängt  an  das  Poupart^sche  Band 
an;  das  untere  Hörn  geht  ununterbrochen  in  die  Portio  ischio-pubica 
über.  Der  Raum,  welcher  zwischen  der  Plica  falciformis  und  der 
Portio  ischio-pubica  übrig  bleibt,  hat  eine  länglich  ovale  Form,  imd 
wurde  von  Scarpa  Fossa  ovalis  genannt.  Diese  i^o^^a  (n;a^2«  benützt 
die  extra  fasciam  verlaufende  Vena  saphena  magna^  um  durch  sie 
zur  Schenkelgefässscheide  zu  gelangen,  welche  sie  durchbohrt,  und 
in   die    Vena  rrftralis  einmündet.    Hebt   man    die   Plica  falciformis 


§.  200.  Einigt«  zar  Anatomie  d«r  Schenkelbrüche.  501 

auf,  SO  kann  man  mit  dem  Finger  die  SchenkelgefUssscheide  nach 
oben  verfolgen,  und  gelangt  an  ihrer  inneren  Seite  zu  jener,  zwi- 
schen dem  Gimbemat'schen  Bande  und  den  SchenkelgefUssen  übrig 
bleibenden  Lücke  (Anntdus  ontralis,  siehe  §.  192),  welche  blos  durch 
die  Ftzscia  b-an^versa,  bevor  sie  zur  Gefiässscheide  tritt,  und  hinter 
ihr  vom  Bauchfelle  verschlossen  wird.  Hat  eine  Darm«chlinge, 
welche  einen  Schenkelbruch  bilden  soll,  das  ■  Bauchfell  und  die 
Fascia  traiwversa  hervorgestülpt,  und  sich  dadurch  einen  Bruchsack 
gebildet,  so  wird  dieser,  wenn  der  Bruch  an  Grösse  zunimmt,  sich 
auf  demselben  Wege  nach  abwärts  begeben,  durch  welchen  der 
Finger  nach  aufwärts  geschoben  wurde,  und  endlich  in  der  Ebene 
der  Fossa  ovalis  zum  Vorschein  kommen.  Der  Bruch  hat  dann 
einen  Kanal  durchwandelt,  dessen  äussere  OeiFnung  die  Fossa  ovalisy 
dessen  innere  Oeffnung  der  Annulus  cruralis  ist,  und  dessen  Län- 
genaxe  mit  der  Richtung  der  Schenkelgefässe  parallel  geht,  aber 
etwas  einwärts  von  ihr  liegt.  Die  Fossa  ovalis  kann  in  diesem  Falle 
auch  Schenkel  Öffnung  des  Schenkelkanals  genannt  werden,  so 
wie  der  Annultis  cruralis  im  §.192,  als  Bauch  Öffnung  des  Schen- 
kelkanals bezeichnet  wurde. 

Es  fiiesst  aus  dieser  Darstellung,  welche  dem  wahren  Sach- 
verhalte an  Leichen  mit  und  ohne  Schenkelhemien  entnommen  ist, 
dass  ein  Mensch,  der  keinen  Schenkelbruch  hat,  eo  ipso  keinen 
Canalis  cruralis  hat,  und  dass,  wenn  ein  solcher  durch  das  Erschei- 
nen einer  Schenkelhemie  entsteht,  seine  hintere  Wand  durch  die 
Fascia  pectinea^  und  die  Vagina  vasorum  cruraliumy  seine  vordere 
Wand  durch  das  am  Poupart'schen  Bande  befestigte  obere  Hom 
der  PUca  gebUdet  werden  wird. 


§.  200.  Einiges  zur  Anatomie  der  Schenkelbrüehe. 

Man  war  lange  der  Meinung,  dass  der  zwischen  den  Schenkel- 
gefässen  und  der  Insertion  des  Poupart'schen  Bandes  am  Tuher- 
cvlum  OSSIS  pubis  befindliche  Raum,  d.  i.  der  Annulus  cruralis y  blos 
durch  Bindegewebe  verschlossen  wäre.  Im  Jahre  1783  bewies  der 
spanische  Wimdarzt,  Ant.  de  Gimbernat  (Nuevo  metodo  de 
operar  en  la  hemia  crural,  Madrid),  die  Existenz  eines  kräftigeren 
Verschlussmittels,  indem  er  die  Anheftung  eines  breiten,  dreieckigen 
Fortsatzes  des  Poupart'schen  Bandes  am  Pecien  ossis  pubis  ent- 
deckte, und  die  Beziehungen  dieses  Fortsatzes,  der  seitdem  als 
Ligamentum  Gimbematij  oder  dritte  Insertion  des  Poupart'schen 
Bandes,  einen  bleibenden  Platz  in  der  descriptiven  Anatomie 
behauptet,  zu  den  Schenkelhemien  bestimmte.  Das  Ligamentum 
Gimbemati  ist  eine  fibröse  Platte,   welche  vom  id»««     ~  »■ 


502  §•  2^-  Einiges  znr  Anatomio  «ler  Schenkelbrüche. 

Poupart'schen  Bandes  zum  Pecten  piihü  läuft,  beim  aufrecht  stehenden 
Menschen  fast  horizontal  liegt,  seine  Spitze  gegen  das  Tuberculum 
puhisj  und  seine  concave  Basis  gegen  die  Schenkelvene  richtet, 
jedoch  ohne  sie  zu  erreichen.  Was  dem  Ligamentum  Gimbeniatt 
hiezu  an  Länge  fehlt,  wird  durch  ein  Stück  der  Fascia  transversa 
ersetzt,  welches  den  Annxdus  cruralis^  d.  i.  die  OefFnung  zwischen 
Gimbemat^s  Bande  nach  innen,  Vena  antralis  nach  aussen,  Pou- 
part's  Band  nach  vom,  horizontalem  Schambeinast  nach  hinten, 
verschliesst ,  und  deshalb  von  J.  Cloquet  Septum  crurale,  von 
AstleyCooper  sher  Fascia  p7'opria  kei-niae  cruralis  g'^nannt  wurde, 
weil  sie  mit  dem  Bauchfelle  zugleich  als  Bruchsack  sie  .  ausstülpt. 
Schon  J.  Cloquet  bemerkte,  dass  die  Hemia  cruratis  entweder 
das  ganze  Septum  anirale  ausstülpt,  oder  nur  durch  eine  Oeff- 
nung  desselben  hervortritt.  Das  Septum  crurah  hat  nämlich  meh- 
rere kleine  Löcher,  durch  welche  die  an  der  inneren  Seite  der 
Cruralvene  heraufsteigenden  tiefliegenden  Lymphgefässe  des  Schen- 
kels in  die  Beckenhöhle  eindringen.  Diese  Löcher  werden  zuweilen 
so  zahlreich,  dass  das  Septum  die  Gestalt  eines  grossmaschigen 
Gitters  annimmt,  imd  eine  oder  die  andere  seiner  OefFnungen  hin- 
reicht, wenn  sie  gehörig  ausgedehnt  wird,  eine  Darmschlinge  aus 
der  Bauchhöhle  austreten  zu  lassen,  in  welchem  Falle  die  Hemia 
cruralis  keinen  Ueberzug  von  der  Fascia  transversa ,  imd  somit  auch 
keine  Fascia  propria  Coopein  haben  wird.  Man  kann  diesen  ganz 
richtigen  und  erfahrungsmässigen  Ansichten,  noch  eine  dritte  Va- 
rietät des  Ursprungs  der  Schenkelhemie  hinzufügen.  Die  Scheide 
der  Schenkelgeftsse  nämhch  ist  unter  dem  Poupart'schen  Bande 
weiter,  als  im  ferneren  Verlaufe  durch  die  Fossa  ileo-pectinea*  Sie 
bildet  also  eine  Art  Trichter,  welchen  die  französischen  Autoren 
über  Hernienanatomie  schon  lange  als  entonnoir  anführen,  und  wel- 
chen die  englischen  Autoren  über  chirurgische  Anatomie  als  funnel- 
shaped  cavity  beschrieben  und  trefflich  abgebildet  haben.  Es  ist 
möglich,  und  gewiss  nicht  selten,  dass  «ine  Darmschlinge  sich  in 
diesen  Trichter  einsenkt,  ihn  allmälig  von  den  Geftlssen  lospräpa- 
rirt,  und  somit  ihre  Hülle,  statt  vom  Septum  crurale,  von  der 
Gefässscheide  erhält.*  Die  englischen  Anatomen  sprechen  nur  von 
dieser  Form  der  Hernien.  In  der  Regel  füllt  eine  Lymphdrüse 
jenen  Raum  des  breiten  Trichtereingangs  aus,  den  die  Gefilsse 
frei  lassen. 

Die  Fossa  ovalis,  als  äussere  Mündung  des  Schenkelkanals, 
setzt  dem  Vordringen  einer  Hernie  insofern  ein  Hinderniss  ent- 
gegen, als  sie  durch  eine  fibröse,  mit  vielen  OefFnungen  für  die 
hochliegenden  Lymphgefässe  und  die  Vena  saphena  interna  durch- 
brochene Platte,  unvollkommen  verschlossen  wird,  welche  an  den 
Umfang  der  OefFnung  fest  anhängt,  und  von  Hesselbach  zuerst 
nachgewiesen,  von  Thomson   aber  Fascia  cribrosa  benannt  wurde. 


$.  200.  Einiges  zur  Anatomio  der  Schenkelbrüche.  503 

Diese  Platte  ist,  streng  genommen,  nichts  Anderes,  als  ein  Stück 
der  Fascia  supei^ficialis,  welches  die  Fossa  ovalis  deckt,  und  mit  dem 
Rande  derselben  verwachsen  ist. .  Der  Schenkelbruch  tritt  gewöhn- 
lich durch  jene  OefFnung  der  Fasda  cribroaa  aus,  durch  welche 
die  Vena  saphena  zur  Schenkelvene  gelangt,  imd  da  diese  Eintritts- 
stelle bald  höher,  bald  tiefer  liegt,  so  wird  die  Länge  des  Schen- 
kelkanals von  sechs  Linien  bis  fünfzehn  Linien  variiren.  Es  kann 
auch  geschehen,  dass  der  Bruch  durch  mehrere  OefFnungen  der 
Fascia  crilnosa  zugleich  austritt,  oder,  durch  keine  derselben  gehend, 
sie  in  ihrer  ganzen  Breite  in  die  Höhe  hebt.  Combinirt  man  diese 
Verschiedenheiten  mit  jenen  am  Annulus  cruralis,  so  begreift  man, 
dass  die  Hüllen  des  Bruches  in  verschiedenen  Fällen  verschieden 
sein  können,  und  dass  ein  Fall  denkbar  ist,  wo  die  den  Schenkel- 
bruch bildende  Darmschlinge  keine  andere  Hülle  als  das  Bauchfell 
haben  wird,  weil  sie  durch  ein  Loch  des  Septum  ctnirale  und  durch 
ein  Loch  der  Fascia  crihrosa  herausging. 

Der  Versuch  am  Cadaver  lehrt,  dass,  wenn  man  den  Finger  durch  den 
Schenkelkanal  in  das  Becken  einführt,  der  Druck,  den  er  durch  die  fibrösen 
Gebilde  erfährt,  bei  verschiedenen  Stellungen  der  Oliedmasse  ein  verschiedener  ist. 
Er  vermehrt  sich  bei  gestrecktem  und  abducirtem  Schenkel ,  und  wird  kleiner  bei 
dessen  Zuziehung  und  halber  Beugung  in  Hüfte  und  Knie.  Letztere  Stellung  soll 
der  Schenkel  haben,  wenn  man  eine  Schenkelhernie  zu  reducircn  sucht,  und  da  die 
Richtung  des  Bruches  beim  Eintritte  in  den  Schenkelkanal  {Anmilus  cruralis)^  und 
beim  Austritte  (Loch  in  der  Fascta  a-ibrosa)  einen  Winkel  bildet,  so  muss  auch 
die  Ilichtung  des  Reductionsdruckes  darnach  modificirt  werden. 

Die  Einklemmungen  des  Schenkelbruchs,  welche  durch  das 
Messer  gehoben  werden  müssen,  und  welche  niemals  krampfhaften 
Ursprungs  sein  können,  da  die  betreffenden  OeflFnungen  nur  von 
fibrösen,  nicht  von  musculösen  Gebilden  erzeugt  werden,  kommen 
am  Anfange  oder  am  Ende  des  Schenkelkanals  vor.  In  letzterem 
Falle,  wo  die  Einklemmung  durch  eine  Lücke  der  Fascia  crihrosa 
bedingt  wird,  ist  die  Hebung  derselben  leicht,  und  ohne  Gefahr 
einer  Verletzung  wichtiger  Geftlsse  auszuführen.  Sitzt  die  Ein- 
klemmung hingegen  im  Annultis  cruralis,  so  würde  durch  einen 
nach  aussen  gerichteten  Erweiterungsschnitt  die  Arteria  epi^astrica 
verletzt  werden,  weshalb  in  dieser  Richtung  nie  erweitert  werden 
darf.  Die  Erweiterung  nach  innen,  durch  Einschneidung  des  Gim- 
bemat'schen  Bandes,  und  die  nach  oben  durch  Einschneidung  des 
Poupart'schen  Bandes,  sind  nur  in  jenen  Fällen  gefahrlos,  wo  die 
Artei'ia  obtnratoria  aus  der  Arteria  hypogastrica ,  also  normal ,  ent- 
springt, und,  ohne  mit  dem  Annulus  cruralis  in  nähere  Berührung 
zu  kommen,  an  der  Seitenwand  des  kleinen  Beckens  zum  Canalis 
obturatw*ius  verläuft.  Entspringt  sie  dagegen  aus  der  Arteria  cru- 
ralis, oder  aus  der  Arteria  epiga^trica,  imter .  dem  Poupart'schen 
Bande    (was   nach  Scarpa.  unter  zehn  Fällen,    nach  J-  ^^' 


504  §•  ^l>  Fascie  dos  Unierachenlcels  und  dos  Fnsies. 

unter  vier  Fällen  einmal  geschieht);  so  schlingt  sie  sich  um  die 
obere  und  innere  Seite  des  Bruchsackhalses  herum,  und  die  Schnitte 
nach  oben  und  nach  innen  können  sie  treffen.  Nur  durch  grosse 
Vorsicht,  oder  durch  mehrere  kleinere  Einschnitte,  statt  eines  tie- 
feren, und  durch  deren  unblutige  Erweiterung,  ist  die  Gefahr  zu 
umgehen.  Verpillat's  Vorschlag,  in  keiner  der  genannten  Rich- 
tungen, sondern  direct  nach  unten,  durch  Einschneiden  des  Liga- 
mentum  ptibicum  Cooperi,  die  Einklemmung  des  Schenkelbruchhalses 
zu  heben,  verdient  um  so  mehr  Beachtung,  als  das  Ligamentum 
pubicum  mit  dem  Gimbemat'schen  Bande  ununterbrochen  zusam- 
menhängt, und  eine  Trennung  des  ersteren,  welche  durch  keine 
Gefkssanomalie  gefährdet  wird,  eine  Abspannung  des  letzteren,  tmd 
somit  Lösung  der  Einklemmung,  herbeiführen  wird. 

Die  Literatur  über  die  Anatomie  der  Schenkelbemien  ist  theils  in  jener 
über  die  Leistenhernien  (§.  175)  enthalten,  theils  in  folgenden  Specialabhand- 
langen  zu  suchen:  R.  Liston,  On  the  Formation  and  Connexions  of  the  Crural 
Arch.  Edinb.,  1819.  4.  —  W.  Lawrence^  Abhandlung  von  den  Brüchen,  nach  der 
dritten  englischen  Originalausgabe  übersetzt  von  Busch,  Bremen,  1818.  —  G. 
Breschety  sur  la  hemie  fämorale.  Paris,  1819.  4.  —  W.  Linhart,  über  die  Sehen« 
kelhemie.  Erlangen,  1862. 


§.  201.  Fascie  des  TJüterschenkels  und  des  Fusses. 

Die  Faacia  lata  wird  in  der  Gegend  des  Knies  durch  Auf- 
nahme ringförmiger  Sehnenfasem,  welche  vom  Ligamentum  inter- 
muscvlare  extemum  stammen,  bedeutend  verstärkt,  deckt  hinten  die 
Fossa  Poplitea,  und  adhärirt  vom  an  die  Kniegelenkkapsel  und  die 
Seitenbänder  des  Knies.  Von  den  Sehnen  der  ünterschenkelbeuger 
erhält  sie  gleichfalls  verstärkende  Zuzüge,  und  wird  unter  dem 
Knie  zur  Fascie  des  Unterschenkels.  Der  die  Wadeumuskeln 
umhtLllende  Theil  der  Fascie  heisst  Fascta  surae.  Man  unterscheidet 
an  ihr  ein  hoch-  und  tiefliegendes  Blatt.  Das  letzere  geht,  straff 
gespannt,  vom  inneren  Winkel  des  Schienbeins  zum  hinteren  Win- 
kel des  Wadenbeins,  und  bildet  dip  Scheidewand  zwischen  der  hoch- 
und  tiefliegenden  Musculatur  der  Wade  (§.  196).  An  der  vorderen 
Seite  des  Unterschenkels  werden  der  Tihialis  anticus,  Extensor  hal- 
lucis  und  Extensor  digit<ynim  longus,  von  den  beiden  Wadcnbein- 
muskeln  durch  die  Anheftung  der  Fascie  an  der  vorderen  Waden- 
beinkante getrennt.  Die  Fascie  zeichnet  sich  in  der  ganzen  Länge 
dieser  Gegend  durcli  ihre  Stärke  aus,  und  dient  in  ihrer  oberen 
Hälfte  selbst  dem  Muskelfleische  zum  Ursprung.  Eine  Hand  breit 
über  dem  Sprunggelenk  wird  sie  durch  Querfasern,  welche  von 
der  Crista  tibiae  zur  Crwta  ßbulae  laufen,  gekräftigt,  und  nimmt 
den  Namen  Ligamentum   annulare   anteinu^    an.     Am  Sprimggelenke 


-  ••  »i.» 


$.  202.    Literatur  der  Mnskellehre.  505 

selbst  bildet  sie  vom  das  Ligamentum  crticiatum,  innen  das  Liga- 
mentum ladniatum  s.  annulare  intemum,  und  aussen  das  Retina/m- 
lum  tendinum  peroneorum  s,  annulare  extemumj  —  deren  Verhältniss 
zu  den  Sehnen  der  über  das  Sprunggelenk  zum  Fusse  weglaufen- 
den Muskelti  schon  in  §.  195  geschildert  wurde,  und  geht  in  die 
Fascie  des  Fusses  über,  welche  in  eine  Fussrücken-  und 
Sohlenbinde  zerßlllt.  Erstere  (Fascia  dorsalis  pedis)  ist  dünn  und 
schwach,  heftet  sich  an  die  Seitenränder  des  Fusses,  und  bildet  drei 
Blätter,  welche  auf,  zwischen,  und  unter  den  Sehnen  der  Zehenstrecker 
sich  verbreiten;  letztere  dagegen  (Fascia  plantaris)  kann  unbedingt 
für  den  stärksten  Theil  der  gesammten  Fascie  der  unteren  Extre- 
mität erklärt  werden.  Sie  ist  in  der  Mitte  der  Sohle  am  dicksten, 
und  an  der  Tuberositas  calcaneiy  wo  sie  fest  adl)ärirt,  eine  Linie  und 
darüber  stark.  Die  Seitentheile  derselben  verdünnen  sich,  und  heft;en 
sich  an  die  Ränder  des  Fusses,  wo  sich  auch  die  Fussrückenfascie 
befestigte.  Zwei  Scheidewände,  welche  in  die  Tiefe  der  Sohle  ein- 
dringen, theilen  die  Muskeln  des  Plattfusses  in  die,  in  §.  197,  B,  er- 
wähnten drei  Gruppen,  und  verweben  sich  mit  einem  fibrösen  Blatte, 
welches  die  untere  Fläche  der  Musculi  in^o^^et  überzieht.  Gegen  die 
Zehen  zu  wird  die  Fascia  plantaris  breiter  und  dünner,  und  spaltet 
sich  vor  den  Capitulis  ossium  metatarsi  in  ftlnf  Schenkel,  welche 
theils  an  die  Scheiden  der  Sehnen  der  Zehenbeuger  treten,  theils 
mit  den  Querbändern  der  Köpfchen  der  Mittelfiissknochen  sich 
verweben. 

Die  Stärke  und  Unnachgiebigkeit  der  fibrösen  Hülle  der  unteren  Extre- 
mität erklärt  die  heftigen  Schmerzen,  welche  bei  entzündlicher  Anschwellung 
tief  gelegener  Organe  nothwendig  entstehen  müssen,  macht  die  grossen  Zerstö- 
rungen begreiflich,  welche  tiefliegende  Abscesse  veranlassen,  und  rechtfertigt  den 
Mhzeitigen  Gebrauch  des  Messers  zur  Eröffnung  derselben.  Die  Fctscia  plan- 
tarit  wirkt,  ausser  dass  sie  die  tiefen  GefSsse  und  Muskeln  der  Sohle  beim  Gehen 
gegen  Druck  in  Schutz  nimmt,  zugleich  als  Band,  um  die  Wölbung  des  Fusses 
aufrecht  zu  erhalten,  und  kann,  wenn  sie  in  Folge  ursprünglicher  Bildungsfehler 
zu  kurz  ist,  abnorme  Krümmung  des  Fusses  bedingen,  deren  Beseitigung  eine 
subcutane  Trennung  der  Fascia  erheischt. 


§.  202.  Literatur  der  Muskellelire. 

Nach  Galen's  Berichten  hat  Lycus  zuerst  über  die  Muskeln 
geschrieben,  und  eine  grosse  Anzahl  derselben  entdeckt.  Rufus 
von  Ephesus  belegte  einige  Muskeln  mit  besonderen  Namen,  wäh- 
rend die  meisten  von  Galen  und  seinen  Nachfolgern  blos  durch 
Zahlen  von  einander  unterschieden  wurden.  Jacob  Sylvius,  Pro- 
fessor der  Medicin  am  College  royal  de, France  (1550),  gebrauchte 
zuerst  jene  griechischen  Muskelnamen,  welche  jetzt  noch  üblich  sind. 


i)06  §.  202.   LiUratiir  der  Muskellehre. 

Die  gesammte  Miiskellchre  behandeln: 

B,  S.  AlfnntMj  liistoria  musculoriim  hominis.  Lu^d.  Bat.,  1784 — 1736.  4.  — 
Ejusdem  tabnlac  sceleti  et  iimsculorum  liom.  Lugd.  Bat.,  1747.  fol.  —  K  Saudi- 
fort,  descriptio  musculorum  hom.  Luj»d.  Bat.,  1781.  4.  —  J.  O.  Waltei-,  myolo- 
gisclies  Handbucli  zum  Gelirauch  derjenigen,  die  sich  in  der  Zergliederungskunst 
üben.  2.  Aufl.  Berlin,  1784.  8.  —  J.  Quain,  The  Muscles  of  the  Human  Body. 
London,  1836.  fol.  —  ./.  O.  M.  Langenheckt  icones  anat.  Gott.,  1838.  fol.  Sehr 
c'orrect.  —  ,/.  B,  Günther  und  J,  Milde,  die  chirurgische  Muskellchre  in  Ab- 
bildungen. Hamburg,  1839.  4.  —  S.  T.  Sömmei-ring,  Lehre  von  den  Muskeln 
und  Geflissen.  Herausgegeben  von  Theile,  Leipzig,'  1841.  8.;  durchaus  genaue, 
und  auf  eigene  Untersuchungen  gestützte  Beschreibungen,  mit  zahlreichen  An- 
gaben über  Muskelvarietäten.  —  E.  Durty,  die  Muskellehre  in  Abbildungen. 
Tüb ,  1856.  4.  —  J.  Ilenle,  Handbuch  der  syst.  Anat.  1.  Bd.  3.  Abtheilung. 
Entliiilt  zugleich  die  genauesten  Angaben  über  den  Ursprung  und  die  Eintritts- 
stellen der  einzelnen  Muskelnerven. 

lieber  die  Muskeln  einzelner  Gegenden  handeln,  nebst  den  im 
Texte  der  Myologie  angegebenen: 

1).  C.  CowceUe»,  icones  musculorum  capitis.  Lugd.  Bat.,  1743.  4.  Ejus- 
dem icones  musculorum  plantae  pedis.  Amstel.,  1760.  4.  —  D.  Saniorini,  observ. 
anat.  Venet,  1714.  4.  Keich  an  sorgfHltigen  Beobachtungen  über  die  kleineren 
Muskeln  des  Gesichts,  des  Kehlkopfes,  und  der  Genitalien.  —  J,  Ueilenheck,  de 
musculis  cervicis  et  dorsi  comparatis.  Berol.,  1836.  —  A.  Fr.  Waltery  anatome 
musculorum  teneriorum  corporis  hnm.  Lipsiae,  1731.  4.  —  F.  W.  TheiUy  de 
musculis  rotatoribus  dorsi.  Bernae,  1838.  4.  —  Desselben:  lieber  den  Tricept 
hrachii  und  den  Flexor  digit.  suhliviin.  Müller' 8  Archiv.  1839.  pag.  420.  —  R.  B. 
Sahatier,  sur  le  mouvement  des  cotes,  et  sur  Taction  des  muscles  intercostaux, 
in  den  M^m.  de  Tacad.  de  scienc.  Paris,  1778.  —  A.  Haller,  de  musculis  dia- 
phragmatis,  in  dessen  Opp.  minor.  Vol.  1.  —  P.  Camper,  de  fabrica  brachii,  in 
dessen  Dcmonstr.  anat.  jiathol.  Amstel.,  1760.  fol.  —  J.  B.  Winslow,  observa- 
tions  sur  la  rotation,  la  pronation,  la  supination,  etc.  in  den  Mem.  de  Tacad.  de 
Paris,  1729.  —  Desselben,  remarques  sur  le  muscle  grand  dorsal,  et  ceux  du  bas 
venire,  in  den  Mem.  de  Tacad.  de  Paris,  1726.  —  A,  Thonuony  sur  Tanatomie 
du  bas  veirtre.  1.  livr.  Paris.  —  G.  Rons,  die  Extremitäten  des  menschlichen 
Körpers,  ein  chirurg.  anat.  Versuch,  in  Oppenheim*»  Zeitschrift  26.  und  31.  Bd. 
—  Langer,  über  die  Achselbinde  und  ihr  Verhältniss  zmn  Lnfissimtift  dorsi,  in 
der  österr.  med.  Wochenschrift,  1846.  '—  E.  Dur»y,  Beiträge  zur  Kenutniss  der 
Muskeln,  Bänder,  und  Fascien  der  Hand.  Heidelb.,  1852.  —  Derselbe  über  die 
Fascien  und  Öchleimbeutel  der  Fusssohle,  in  der  Zeitschrift  für  rat.  Med.  N.  F. 
B.  6.  Heft  3.  —  Duchenne  de  Bonlogne,  recherches  electro-physiologi4|ues  sur 
les  muscles,  qui  mcuvent  le  pied.  Paris,  1856.  —  J.  Budge,  über  die  Musculi 
intercostales,  im  Archiv  für  physiol.  Heilkunde,  1857,  pag.  63.  —  Luschka,  über 
den  Kippenursprung  des  Zwerchfells,  in  Müller's  Archiv,  1857,  S.  333.  —  C.  Lan- 
ger, die  Bewegung  der  Gliedmassen,  etc.  in  der  Wiener  med.  Wochenschrift, 
1859,  11.  —  Ch.  Aehy,  die  Muskeln  des  Vorderarms  und  der  Hand,  in  der  Zeit- 
schrift für  wiss.  Zool.  10.  Bd.  1.  Heft. 

Unter  den  Gesammtwerken  über  Anatomie,  welche  der  Muskellehre  eine 
besondere  Aufmerksamkeit  widmen,  zeichnet  sich  vor  allen :  Winslow's  Exposition 
anatomique  de  la  structure  du  corps  humain.  Amstelod.,  1752.  4.,  aus,  wo  dem 
Mechanismus   der   Muskeln  ein   eigener  sehr   lehrreicher   Abschnitt  gewidmet  ist. 

Ueber  Muskelvarietäten  schrieben: 

A.  Fr.  Walter,  observ&tiones  novae  de  musculis.  Lips.,  1733.  4.  —  A, 
Hauer,  observationes  myolo^c^e.  Götting.,  1742.  4.  —    /.  F.  Isenflamm,  de  mus- 


$.  202.    Literatur  der  Mnakellehre.  507 

culorum  varietatibiis.  Erlang.,  1765.  4.  —  J,  G.  RoaenmiÜler,  de  nonnullis  mas- 
culorum  varietatibus.  Lips.,  1804.  4.,  und  in  Isenßamm'i  und  Roaenmüüer^a  Bei- 
trägen für  die  Zergliederungskunst  Leipzig,  1800.  1.  Bd.  —  F,  L.  Oanlzer^ 
diss.  musculorum  varietates  sistens.  Berol.,  1813.  4.  —  W.  O.  Kelch,  Beiträge 
zur  pathol.  Anatomie.  Berlin,  1813.  8.  —  //.  J,  Sel9,  diss.  musculorum  varie- 
tates sistens.  Berol.,  181ö.  8.  —  G.  FUiachmann,  anat.  Wahrnehmungen  über 
noch  unbemerkte  Varietäten  der  Muskeln,  in  den  Abhandlungen  der  phys.  med. 
Societät  in  Erlangen.  1.  Bd.  Frankfurt  a.  M.,  1810.  —  Moser,  Beschreibung 
mehrerer  Muskelvariotäten.  In  MeckeVt  Archiv.  VII.  Bd.  —  Benedek,  dissertatio 
de    lusibus  naturae   praecipuis   in  disponendis   musculis   faciei.  Vindob.,  1836.  8. 

—  C.  IL  Haüetty  An  Account  of  the  Anomalies  of  the  Muscular  System,  etc. 
Edinb.,  1847.  —  W,  Gruher,  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  med.  chir.  Ana- 
tomie. Berlin,  1847  {Otnohyoideu*,  Stemocleidomastoideus,  CucuUai-U),  und  in  seinen 
anat  Abhandlungen.  Petersburg,  1852.  pag.  121.  —  A.  Nuhn,  Beobachtungen 
aus  dem  Gebiete  der  Anatomie,  etc.  Heidelberg,  1850.  fol.  (Anomalien  von 
Muskeln  und  Gefässen).  —  W.  Gruher,  die  Musculi  aubscapularea,  und  die  neuen 
supernumerären  Schultermuskeln.  Petersburg,  1857.  —  Gegenbauer,  im  Archiv 
für  path.  Anat.  21.  Bd.  —  Schwegel,  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad., 
1859.  —  In  F.  MeckeTa  pathol.  Anatomie,  und  dessen  Handbuch  der  menschlichen 
Anatomie,  2.  Band,  finden  sich  zahlreiche  Angaben  über  Muskelspielarten. 

Ueber  Schleimbeutel  und  Schleimseheiden: 

Ch.  M,  Koch,  diss.  de  bursis  tendinum  mucosis.  Lips.,  1789.  4.  —  A, 
Monro,  A  Description  of  all  the  Bursae  Mucosae  of  the  Human  Body.  Edinb., 
1788.  fol.  Deutsch  von  Roaenmüller.  Leipzig,  1799.  fol.  —  E,  Gerlach,  de 
bursis   tendinum   mucosis  in   capite   et  collo  reperiundis.    c.   tab.  Viteb.,  1793.  4. 

—  N.  G.  Schreger,  de  bursis  mucosis  subcutaneis.  Erlang.,  1825.  fol.  —  Duray, 
über  Fascien  und  Schleirabeutel  der  Fusssohle,  in  der  Zeitschrift  für  wiss.  Me- 
dicin.  VI.  Bd.  3.  Heft.  —  W.  Grtiber'a  im  Texte  citirte  Abhandlungen,  und  die 
jüngste  derselben:  die  Buraae  mucoaae  der  Spatia  intei^ietacarpo-phtUangea ,  et 
intermetatarao-phalangea,  Petersburg,  1858.  —  A.  Bouchard,  sur  les  gaines  syno- 
viales du  pied.  Strasbourg,  1856. 

Ueber  Fascien  und  topographische  Anatomie  han- 
deln die  in  der  allgemeinen  Literatur  angeflilirten  Werke  über 
chirurgische  Anatomie,  und  über  die  Beziehungen  der  äusse- 
ren Form  zum  Muskelsystem  die  Werke  über  plastische  Ana- 
tomie, von  welchen  ich  nur  die  besten  anführe : 

</.  H,  Lavater,  Anleitung  zur  anatom.  Kenntniss  des  menschlichen  Kffrpers 
für  Zeichner  und  Bildhauer.  Zürich,  1790.  8.  —  J.  G.  SeUvage,  anatomie  du 
gladiateur  combattant.  Paris,  1812.  fol.  —  P.  Maacagni,  anatomia  per  uso  degli 
Studiosi  di  scultura  e  pittura.  Firenze,  1816.  fol.  Prachtwerk. 


VIERTES  BUCH. 


Sinnenlehre. 


§.  203.  Begriff  der  Sinneswerkzeuge  und  Eintheilung  derselben. 

Organe  oder  zusammengesetzte  Apparate,  welche  nur  eine 
bestimmte  Art  äusserer  Reize  aufnehmen,  und  vermittelst  der  Em- 
pfindung, die  sie  veranlassen,  zum  Bewusstsein  bringen,  heissen 
Sinneswerkzeuge.  Jener  Zweig  der  Anatomie,  der  sich  mit  ihrer 
Untersuchung  beschäftigt,  ist  die  Sinnenlehre,  Aesthesiologia,  Em- 
pfindungen, und  durch  diese,  Vorstellungen  anzuregen,  ist  die  ge- 
meinsame physiologische  Tendenz  aller  Sinneswerkzeuge;  —  die 
Art  der  Empfindung  dagegen  in  jedem  einzelnen  Sinnes  Werkzeuge 
eine  verschiedene.  Da  die  Empfindung  blos  ein  zum  Bewusstsein 
gelangter  Erregungszustand  eines  Nerven  ist,  so  wird  die  anato- 
mische Grundbedingung  aller  Sinnesorgane,  in  einer  für  die  Auf- 
nahme eines  äusseren  Eindruckes  zweckmässig  organisirten  Nerven- 
ausbreitung gegeben  sein  mtlssen.  Dem  Wesen  nach  ist  somit  jedes 
Sinneswerkzeug  nur  eine  besonders  modificirte  Nervenendigung,  und 
die  Sinnenlehre  somit  ein  Theil  der  Nervenlehre.  Da  jedoch  die 
organischen  Vorrichtungen,  durch  welche  die  äusseren  Eindrücke 
auf  das  peripherische  Ende  eines  Sinnesnerven  geleitet  werden,  bei 
gewissen  Sinnen  sehr  complicirt  erscheinen,  und  eine  eigene  Dar- 
stellung erfordern,  so  bilden  die  Sinneswerkzeuge  mit  Recht  das 
Object  einer  besonderen  Lehre  der  beschreibenden  Anatomie.  Sie 
als  sensitive  Eingeweide  in  die  Splanchnologie  aufzunehmen, 
erlauben  die  anatomischen  Verhältnisse  des  Tastorgans  nicht,  wel- 
ches, als  an  der  äusseren  Oberfläche  des  Leibes  gelegen,  unmöglich 
den  Eingeweiden  einverleibt  werden  kann. 

Die  Sinneswerkzeuge  werden  in  einfache  und  zusammen- 
gesetzte eingetheilt.  Erstere  sind  das  Tast-,  Geruchs-  und  Ge- 
schmacksprgan;  letztere  das  Seh-  und  Hörorgan.  Bei  jenen  trifft 
der   äussere    Eindruck   die    sensitive   Nervenausbreitung  direct;    — 


512  S*  ^^-    Begriff  des  Tastsinnes. 

bei  diesen  kann  er  nur  durch  die  Vermitdung  besonderer  Vorrich- 
tungen^  die  ihn  leiten,  schwächen,  oder  verstärken,  auf  sie  wirken. — 
Alle  Sinneswerkzeuge  sind  paarig,  oder  wenigstens  symmetrisch 
unpaar  (Zunge  als  Geschmackswerkzeug),  und  nehmen,  mit  Aus- 
nahme des  Tastorgans,  die  am  Gesichtstheil  des  Kopfes  ßir  sie 
bereiteten  Höhlen  ein,  um,  wie  der  Geruchs-  und  Geschmackssinn, 
über  den  Eingängen  des  Leibes  zu  wachen,  oder,  wie  der  Gehörs- 
und Gesichtssinn,  möglichst  freien  Spielraum,  und  leichte  Zugäng- 
lichkeit zu  gewinnen. 

lu  den  Sinneswerkzeugeu  ist  das  Band  gegeben,  welches  die  Seele  des 
Menschen  an  die  körperliche  Welt  knüpft.  Von  ihnen  gehen  die  ersten  Impulse 
zu  seiner  intellectnellen  Entwicklung  aus,  sie  erregen  seineu  Geist,  und  berei- 
chem ihn  mit  Vorstellungen  und  Begriffen.  Nihil  est  in  inteütctUy  quod  non  pritit 
fiierit  in  sensu.  Wir  erfahren  durch  die  Sinne  zunächst  nur  einen  gewissen  Er- 
regungszustand gewisser  Nerven,  nicht  die  Qualit&t  eines  äusseren  Einflusses. 
Da  jedoch  derselbe  Erregungszustand  des  Sinnesnerven  sich  so  oft  wiederholt, 
so  oft  derselbe  äussere  Einfluss  wiederkehrt,  so  sind  wir  durch  Gewohnheit 
dahin  gelangt,  die  durch  die  Siqne  zum  Bewusstsein  gebrachten  Eindrücke,  als 
Attribute  der  Körper  ausser  uns  zu  nehmen,  und  Farbe,  Ton,  Geruch,  als 
etwas  Objectives  aufzufassen,  obwohl  diese  Worte  nur  das  Bewusstsein  eines 
subjectiven  Zustandes  ausdrücken.  —  Der  Geschmackssinn  wird  nicht  hier,  son- 
dern in  der  Eingeweidelehre  §.  252  abgehandelt. 


A.  Tastorgan. 

§.  204.   Begriff  des  Tastsinnes. 

Das  allen  organischen  Gebilden,  mit  Ausnahme  der  Homge- 
webe  und  Epithelien,  in  verschiedenem  Grade  zukommende,  durch 
die  Gegenwart  sensitiver  Nerven  vermittelte  Empfindungsvermögen, 
entwickelt  sich  in  der  Haut  zum  Tastsinn.  Dieser  belehrt  uns 
über  die  mechanischen  Eigenschaften  der  Körper  der  Aussenwelt, 
—  Gestalt,  Schwere,  Härte,  Weichheit,  Temperatur,  etc.  derselben. 
Die  Haut  tritt  somit  in  die  Reihe  der  Sinnesorgane,  obwohl  ihr 
noch  eine  Menge  Nebendienste  zukommen.  Das  Vermögen  der  Haut 
zu  empfinden,  hängt  von  der  Menge  und  Feinheit  ihrer  sensitiven 
Nerven  ab,  deren  durch  verschiedene  äussere  Einflüsse  hervorge- 
rufener Erregungszustand,  die  grosse  Verschiedenheit  von  Gefühlen 
bedingt,  welche  zwischen  Schmerz  und  Wollust  liegen.  Dieses  Em- 
pfindungsvermögen ist  jedoch  noch  kein  Tastsinn.  Um  zu  letzterem 
zu  werden,  wird  die  Muskelthätigkeit  in  Anspruch  genommen.  Die 
blosse  Berührung  eines  äusseren  Körpers  erregt  kein  Tastgefühl, 
und  verschafft  uns  höchstens  eine  Vorstellimg  von  der  Grösse  des 
Druckes,  welchen   ein   schwerer  Körper  auf  die  Haut  ausübt.    Zur 


§.  205.   Structnr  der  Haut.  513 

Bestimmung  der  Ausdehnung,  Form,  Härte,  und  Beschaffenheit  der 
Oberfläche  eines  Körpers,  muss  eine  mit  hoher  Empfindungsfähigkeit 
begabte  Hautpartie  —  wie  am  tastenden  Finger  —  durch  Muskel- 
wirkung an  der  Oberfläche  des  zu  betastenden  Körpers  herum- 
geführt, und  an  ihn  angedrtickt  werden.  Wir  werden  der  Grösse 
der  Muskclanstrengung,  welche  hiezu  erforderUch  ist,  bewusst,  com- 
biniren  dieses  Bewusstsein  mit  der  durch  die  einfache  Berührung 
entstandenen  Gefühlsperception,  und  gelangen  auf  diese  Weise  zu 
einer  sehr  genauen  Vorstellung  über  die  mechanischen  Eigenschaf- 
ten eines  Körpers.  Der  Tastsinn  bildet  mithin  den  natüi*lichen 
Uebergang  von  der  Muskel-  zur  Sinnenlehre. 


^.  205.  Structur  der  Haut. 

Die  Haut  des  menschliclien  Leibes  (Integumentum  commune) 
besteht  aus  drei  in  anatomischer  und  vitaler  Beziehung  sehr  ver- 
schiedenen Schichten,  welche  von  aussen  nach  innen  als  Oberhaut, 
Lederhaut,  und  subcutanes  Bindegewebe  auf  einander  folgen. 
Nur  die  mittlere  —  die  Lederhaut,  Det'maj  Cvtis,  —  erscheint 
als  Träger  und  Vermittler  der  Tastempfindungen,  imd  wird  deshalb 
vor  den  übrigen  abgehandelt. 

Man  Hess  bisher  die  Haut  aus  einem  Filze  von  Bindegewebs- 
fasern bestehen,  welche  so  dicht  mit  einander  verstrickt  sind,  dass 
der  Schnittrand  der  Haut,  mit  freiem  Auge  gesehen,  vollkommen 
glatt  und  homogen  erscheint.  Durch  Längeres  schöne  Unter- 
suchungen wurde  gezeigt,  dass  dieser  vermeintHche  Filz  eigentlich 
ein  Gitterwerk  von  Faserbündeln  mit  diagonal  verlängerten  Maschen 
ist.  Je  enger  die  Maschen,  desto  mehr  bekommen  die  Faserbündel 
eine  parallele  Anordnung,  und  gruppiren  sich  zu  Zügen,  welche 
theils  gürtelförmig,  theils  in  Spiraltouren  den  Rumpf  und  die  Ghed- 
massen  umspinnen.  Wo  immer  die  Haut  durch  das  Volumen  der 
von  ihr  umschlossenen  Organe,  oder  durch  die  Bewegung  der  Ge- 
lenke  eine  Spannimg  zu  erleiden  hat,  kreuzt  sich  die  Faserungs- 
richtung der  Haut  mit  der  Dehnungsrichtung  derselben. 

Werden  die  Bindegewebsbündel  eines  Stückchens  Cutis  mit 
Essigsäure  durchsichtig  gemacht,  so  tritt  ein  zweites  faseriges  Ele- 
ment der  Haut  hervor  —  elastische  Fasern  —  auch  zu  Netzen  ver- 
strickt, welche  um  so  feinmaschiger  erscheinen,  je  näher  sie  der 
freien  Fläche  der  Cutis  liegen  (He nie).  Glatte  Muskelfasern  finden 
sich  ebenfalls  in  ihr  vor,  und  zwar  entweder  als  subcutane  Muskel- 
schichten, wie  im  Hodensack  und  im  Hofe  der  Brustwarze,  oder  im 
Gewebe  der  Haut  selbst,  jedoch  nur  an  solchen  Hautstellen,  welche 
behaart  sind.  Diesen  Muskelfasern  verdankt  die  Haut  ihre  lebendige 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  33 


Znsammenziehungsfkhigkeit,  welche  durch  Einwirkung  von  Kälte, 
und  bei  gewissen  Verstimmungen  des  Nervensystems,  als  sogenannte 
Gänsehaut,  Cutis  anseiina,  in  die  Erscheinung  tritt.  Man  kann  die 
Cutis  afis^*ina  auch  künstlich  hervorrufen,  wenn  man  die  Pole  eines 
magneto-elektrischen  Apparates  auf  die  befeuchtete  Haut  eines  leben- 
den Menschen  applicirt.  Der  eigentliche  Vorgang  bei  der  Entstehung 
der  Cntis  anset'ina  ist  der,  dass  die  von  den  obersten  Schichten  der 
Haut  in  tiefere  eindringenden  glatten  Muskelfasern,  welche  sich  an 
dio  Hajfirtaschen  befestigen,  diese  gegen  die  freie  Fläche  der  Haut 
iMwporhoben,  wodurch  ihre  Mündungsstellen  vorspringender  werden, 
niig^fiüir  wie  die  zahlreichen  kleinen  Hügel,  welche  man  an  der 
H«ut  gt^rupfter  Gänse  sieht.  Daher  der  Name  Gänsehaut. 

Die  Haut  hängt  mit  den  unter  ihr  befindlichen  Gebilden  durch 
»ohr  Kahlreiche  Faserbündel  bindegewebiger  Natur  zusammen,  deren 
Dehnbarkeit,  Länge  und  Dicke,  mit  der  Faltbarkeit  und  Verschieb- 
Imrkoit  der  Haut  im  geraden  Verhältnisse  steht.  Diese  Bündel  bilden 
gt^rHumige  Maschen  von  verschiedener  Grösse,  in  welchen  Fettcysten 
<*i«g08ohaltet  werden.  Faserbündel  und  Fett  zusammen  geben  den 
Uoj^^riff  des  subcutanen  Bindegewebes,  als  Panniculus  adiposus  der 
alton  anatomischen  Schulen.  Jedes  Bindegewebsbündel  functionirt  wie 
oino  Art  Haltband  für  die  Haut.  Wo  die  Haut  nicht  in  Falten  auf- 
(;^>hoben  werden  kann,  nehmen  diese  Bündel  einen  fast  tendinösen 
Charakter  an,  wie  am  Handteller,  im  Plattfuss,  in  der  behaarten 
Kopfhaut.  An  gewissen  Stellen  der  Haut  erscheinen  sie  kurz,  straff, 
und  mehrere  neben  einander  liegende  verschmelzen  zu  breiten  Streifen, 
welche  die  Haut  noch  inniger  an  die  tieferen  Fascien  heften,  und 
durch  den  Zug,  welchen  sie  auf  jene  ausüben,  rinnenförmige  Ver- 
tiefungen oder  Furchen  erzeugen,  welche  in  der  Hohlhand,  am 
Carpus,  an  den  Beug-  und  Streckseiten  der  Finger  und  Zehengelenke, 
und  bei  fettleibigen  Personen  (besonders  Kindern)  an  der  inneren 
und  hinteren  Seite  des  Knies  sehr  markirt  erscheinen.  Diese  Furchen 
glätten  sich  während  der  Streckung  einer  Hautpartic  etwas  aus,  ver- 
schwinden aber  niemals  gänzlich.  Sie  verhüten  zugleich  beim  Beugen 
der  Gelenke  eine  zufälhge,  mit  Knickung  und  Einklemmung  verbun- 
dene Faltung  der  Haut.  Von  diesen  Furchen  sind  jene  zu  unter- 
scheiden, welche  temporär  durch  die  Wirkimg  der  unter  der  Haut 
vorhandenen  Muskeln  entstehen.  Hieher  gehören  die  Furchen  an  der 
Stime,  im  Gesichte,  am  Hodensack,  am  Ballen  des  kleinen  Fingers. 
Sie  gleichen  sich  während  der  Ruhe  der  Muskeln  wieder  aus,  und 
werden  erst  mit  den  Jahren  zu  bleibenden  Runzeln.  Ueberdies  ist 
die  ganze  äussere  Fläche  der  Haut  durch  unregelmässig  gekreuzte, 
kleinere  Furchen  oder  Einschnitte  wie  facettirt,  und  verliert  dieses 
fein  gewürfelte  Ansehen  nur  durch  hohe  Ausdehnungsgrade  bei 
Wassersuchten,  wo  sie  glatt,  weiss,  und  glänzend  wird. 


g.    205.  Structur  der  Haut.  515 

Die  Dicke  der  Lederhaut  unterliegt  an  verschiedenen  Körperstellen  ver- 
schiedenen Abstufungen.  Es  kann  als  Gesetz  gelten,  dass  die  behaarte  Kopfhaut, 
die  Haut  an  der  Streckscite  des  Stammes  und  der  Gliedmassen,  derber  und  dicker 
ist,  als  am  Gesichte  und  an  den  Beugeseiten  der  Gelenke,  wo  sie  sich  so  ver- 
dünnt, dass  subcutane  Gofässe  durch  sie  durchscheinen,  wie  in  der  Leisten- 
gegend, an  den  Brüsten,  am  Hodensack,  an  den  Wangen  und  Augenlidern.  Wo 
sie  Gruben  bildet,  wie  in  der  Achsel,  am  Mittelfleisch,  in  der  Afterspalte,  wird 
sie  durch  Wärme  und  Hautausdünstung  fortwährend  gebäht,  und  erhält  dadurch 
einen  Grad  von  Empfindlichkeit,  welcher  den  durch  häufigen  Druck  abgestumpften 
Hautpartien  des  Gesässes  und  des  Kückens  abgeht. 

Zartheit  des  Gewebes  und  feinere  Behaarung  zeichnet  die  weibliche  Haut 
vor  der  männlichen  aus.  In  der  Lederfabrik  von  Meudon  wurde  zur  Zeit  der 
französischen  Revolution  die  Haut  von  Guillotinirten  verarbeitet,  um  wohlfeiles 
Leder  zu  erzeugen.  Das  männliche  Leder  wurde  in  y^consistance^  besser  befun- 
den, als  Gemsenleder;  —  das  weibliche  war  nur  zu  Hosenträgern  und  Suspen- 
sorien zu  gebrauchen  (Montgailliard.  IV.  p.  290). 

Die  in  einer  bestimmten  Kichtung  gegebene  Spannung  der  Cutis,  und 
ihre  Elasticität,  erklären  die  bedeutende  Zurückziehung  der  Haut  bei  Amputa- 
tionen, so  dass  es  dem  Wundarzt  Regel  geworden,  die  Haut  tiefer  als  die  Mus- 
keln zu  durchschneiden,  um  den  zur  Deckung  der  Wunde  nöthigen  Hautlappen 
zu  ersparen.  Das  Klaffen  der  Wundränder  überhaupt,  und  die  Nothwendigkeit 
der  Anlegung  der  Nähte,  ergiebt  sich  ebenfalls  aus  der  elastischen  Spannung 
der  Haut,  welche  auch  an  der  Leiche  nicht  verloren  geht,  indem  ein  kreisförmiges, 
an  der  Leiche  ausgeschnittenes  Hautstück,  die  Lücke  nicht  mehr  ausfüllt,  die 
durch  seine  Wegnahme  entstand.  Da,  wie  oben  bemerkt,  die  Richtung  der 
Faserbündel  der  Haut  mit  der  Dehnungsrichtung  des  Integuments  sich  kreuzt, 
so  müssen  die  zwischen  den  Faserbündeln  bestehenden  Maschenräume  bei  zu- 
nehmender Dehnung  breiter  werden.  War  die  Dehnung  eine  sehr  intensive,  so 
kann  es  geschehen,  dass  nach  dem  Aufhören  derselben,  die  FaserbUndel  nicht 
mehr  zu  ihrer  früheren  Annäherung  zurückkehren.  Das  Gewebe  der  Haut  wird 
deshalb  an*den,  den  Maschen  räumen  entsprechenden  Stellen  rarcficirt  erscheinen, 
und  weil  die  Epidermis  über  diesen  verdünnten  Stellen  grubig  einsinkt,  wird  es 
zur  Entstehung  von  narbenähnlichen  Stellen  an  der  Haut  kommen  müssen.  So 
werden  die  bekannten  flachen,  den  Pockennarben  ähnlichen  Streifen  und  Striemen 
am  Bauche  von  Frauen,  welche  öfter  schwanger  waren,  zum  Vorschein  kommen. 

Grössere  Hautverluste  ersetzen  sich  nie  durch  Regeneration  der  Haut  Sie 
werden  nur  durch  die  allmälig  von  Statten  gehende  Zusammenziehung  der  Wund- 
ränder, und  durch  das  neugebildete  Narbe ngewebe  ersetzt,  welches  in  anato- 
mischer und  physiologischer  Beziehung  vom  normalen  Hautgewebe  verschieden 
ist,  indem  es  zwar  wie  die  Haut  aus  Bindegewebsfasern  in  verschiedenen  Ent- 
wicklungsstadien besteht,  aber  weder  Schweiss-  noch  Talgdrüsen  enthält,  und 
niemals  Tastwärzchen  erzeugt. 

Ueber  die  mikroskopischen  Verhältnisse  des  Bindegewebes  in  der  Haut 
handelt  ausführlich  Rollet  (Untersuchungen  über  die  Structur  des  Bindegewebes, 
in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  XXX.  Bd.  p.  45),  und  über  die  Fase- 
rung der  Haut,  so  wie  über  alle  durch  sie  bedingten  physiologischen  und  ana- 
tomischen Verhältnisse,  C.  Langer  (Anatomie  und  Physiologie  der  Haut,  eben- 
dort.  XLV.  Bd.   p.  171). 

Um  die  Anatomie  der  Haut  und  aller  zugehörigen  Gebilde  (Haare,  Nä- 
gel, etc.)  einem  grösseren  Kreise  von  Zuhörern  vor  die  Augen  zu  führen,  dienen 
die  Wachspräparate  des  Herrn  Dr.  Ziegler  in  Freiburg  im  Breisgau.  Schön- 
heit, Naturtreue,  und  Billigkeit,  empfehlen  sie  allen  anatomischen  Lehranstalten 
und  Museen. 

83* 


516  l    2*m;.    Tastwarnhen. 


§.  206.  Tastwärzchen. 

Zahlreiche  Gefässe  und  Nerven  dringen  durch  die  Maschen 
des  Fasergewebes  der  Haut  gegen  die  freie  Oberfläche  der  Cutis 
vor,  bilden  im  Gewebe  derselben  Netze,  von  welchen  sich  jene 
der  Capillargefilsse  an  verschiedenen  Hautgegenden  durch  höchst 
charakteristische  Formen  auszeichnen,  und  gehen  zuletzt  in  den 
Bau  der  Tastwärzchen,  PapiUae  tactns^  ein,  mit  welchen  die 
Haut  wie  besäet  ist.  Die  Summe  der  Tastwärzchen  wird  als  eine 
eigene  Schichte  (Corp^is  s.  Stratum  papilläre)  der  Haut  genommen. 
Die  Tastwärzchen  sind  jedoch  kein  eigenthümliches  Attribut  der 
äusseren  Haut,  sondern  finden  sich  auch  an  gewissen  Schleimhäu- 
ten, welche  dadurch  ftlr  Tastgefiihle  emp&nglich  werden,  wie  an 
der  Schleimhaut  der  Augenlieder,  der  Zunge,  der  grossen  und  klei- 
nen Schamlefzen,  des  Scheideneinganges,  und  des  Gebärmutter- 
mundes. Ihre  Verbreitung  ist  keine  gleichförmige.  An  den  Lippen, 
an  der  Eicliel,  an  den  kleinen  Schamlefzen  der  Woiber,  sind  sie 
dicht  gedrängt,  und  erscheinen  länger,  als  an  minder  empfindlichen 
Stellen.  An  der  Brustwarze  und  Eichel  gesellen  sie  sich  in  Grup- 
pen oder  Inselchen  von  4 — 10  zusammen.  An  der  Volarseite  der 
Hand  und  der  Finger  stehen  sie  in  gekrümmten,  conccntrisch  ver- 
laufenden Linien  oder  Riffen,  welche  an  den  Fingerspitzen  voll- 
ständige Ellipsen  bilden  (die  sogenannten  Tastrosetten),  deren  lange 
Axe  am  Daumen  und  Zeigefinger  mit  der  Längenaxt^  des  Fingers 
tiberoinstimmt,  an  den  übrigen  Fingern  aber  gegen  den  UlnaiTand 
derselben  abweicht.  Jedes  solche  UifF  enthält  eine  doppelte  Reihe 
von  Tastwärzehen.  In  der  Allue  zwischen  den  bcidiin  Warzenreihen 
eines  Riffes  münden  die  gleich  zu  erwähnenden  Sehweissdrüsen  der 
Haut  mit  feinsten  Oeffnungen  aus. 

Dk'  Grosso  dar  TastwHr/cheu  variirt  vom  kaum  inerkbanjii  Höckcrclicn 
(Haut,  dos  Rückens)  bis  zu  oiiiein  eine  halbe  Linie  und  darüber  liolien  Kegel 
mit  abgerundeter  Spitze  (Hallen  der  Ferse).  Ich  habe  gefunden,  dass  die  Tast- 
wärzehen an  der  Ferse  von  Leuten,  welche  immer  blossfüssig  einh«.'rgingen,  un- 
gleich länger  und  dicker  sind,  als  an  beschiUit  gewesenen  Füssen.  So  sind  sie 
an  einem  Ilautinjections-Präparatc  aus  der  Ferse  eines  Zigeuners  doppelt  so 
hoch  und  <lick,  als  an  einem  gleichen  Präparate  aus  der  Ferse  eines  Mädchens 
aus  besserem  Stande.  Spaltet  sich  eine  dickere  Tastwar/e  gegen  ihre  Spitze  hin 
in  mehrere  stumpfe  Ausläufer,  so  wird  eine  solche  Wiirze  als  zusammen- 
gesetzt, von  den  übrigen  einfachen  unterschieden. 

Jede  Tastwarze  besteht  aus  demselben  faserigen  Grundgewebe, 
wie  die  Cutis,  nur  nehmen  die  Bindegewebsbündel  mehr  parallele 
und  zugleich  longitudinale  Richtung  an,  und  werden,  gegen  die  Axe 
der    Tastwarze  zu,    von    elastischen  Fasern    in  verschiedenen  Ent- 


S.  806.    TMtwinchen.  517 

Wicklungsstufen  gekreuzt.  An  vielen  Tastwärzchen  bemerkt  man 
noch  als  äussere  Hülle  derselben  einen  structurlosen  Saum. 

Zu  jeder  kleineren  oder  einfachen  Papille  tritt  eine  capillare 
Arterie,  welche  imverästelt  in  ihr  aufsteigt,  um  als  Vene  zurück- 
zukehren —  Gefässschlinge  der  Warze.  Nur  an  grösseren 
«  oder  zusammengesetzten  Wärzchen  treten  mehrere  Arterien  in  die 
Basis  derselben  ein,  um  in  eine  einfache  oder  doppelte  Vene  über- 
zugehen. In  den  Tastwärzchen  (Geschmackswärzchen)  an  der  inne- 
ren Fläche  der  Backen,  besonders  in  der  Umgebung  der  Insertions- 
stelle  des  Ductus  StenonianuSy  bilden  die  einfachen  Arterien  derselben 
einen  sehr  schön  entwickelten  Knäuel,  wie  ich  ihn  durch  Injections- 
präparate  an  Bindern  und  Erwachsenen  sichergestellt  habe.  Nach 
Teich  mann  senden  die  in  der  Cutis  eingetragenen  Lymphgeftlss- 
netze  blinde  Ausläufer  in  die  Tastwärzchen  ab. 

üeber  die  Nerven  der  Tastwärzchen  diffcriren  die  Angaben 
der  gewandtesten  Beobachter.  Wagner  spricht  nur  jenen  Tast- 
wärzchen Nerven  zu,  welche  die  von  ihm  und  Meissner  aufgefun- 
denen Tastkörperchen  enthalten  (§.  70).  Die  übrigen  sollen  nur 
Oefiissschlingcn  besitzen.  Kölliker  dagegen  beruft  sich  auf  die 
allbekannte  Schwierigkeit  der  mikroskopischen  Untersuchung  der 
feinsten  Tastnerven,  und  hält  es  bei  dem  gegenwärtigen  Standpunkte 
der  Mikrotomie  der  Haut  nicht  an  der  Zeit,  den  Papillen,  welche 
keine  Tastkörperchen  enthalten,  die  Nerven  abzusprechen.  Ueber 
die  eigentliche  Endigungsweise  der  Nerven  in  den  Papillen  ist  man 
bis  jetzt  noch  zu  keinem  allgemeinen  und  unbestrittenen  Resultate 
gekommen.  Viel  Rauch,  wenig  Braten.  W.  Krause  sah  die  pri- 
mitiven Nervenfasern  in  den  Tastwärzchen  der  Lippen  mit  freien 
Endkolben  aufhören.  Ausser  dieser  kenne  ich  keine  bestimmte 
Angabe  über  den  fraglichen  Gegenstand.  Ueber  die  Endigungs- 
weise der  sensitiven  Nerven  in  den  Tastkörperchen  wurde  schon 
§.  70  gesprochen. 

Die  PapiUae  tctctus  werden  durch  Entfernung  der  Epidermis  mittelst  Ab- 
brühen, der  Beobachtung  zugänglich.  Zur  mikroskopischen  Untersuchung  ihres 
Baues  müssen  feine  Durchschnitte  der  Haut  mit  Essigsäure  befeuchtet,  oder  mit 
conccntrirter  Natronlösung  behandelt  werden.  —  Ein  merkwürdiges  Verhalten 
zeigen  die  Gefässe  der  unter  dem  Nagel  in  Längenreihen  gelagerten  Tastwärz- 
chen. Das  arterielle  Gefäss,  welches  zu  der  ersten  Papille  einer  Warzenreihe 
tritt,  geht,  nachdem  es  eine  einfache  Änaa  gebildet,  zur  zweiten,  zur  dritten  und 
so  fort,  und  es  ist  somit  der  absteigende  Schenkel  einer  Ansa  nicht  als  Vene  zu 
nehmen.  —  Die  auf  den  Fingern  und  auf  dem  Rücken  der  Hände  bei  jungen 
Individuen  häufig  vorkommenden,  und  oft  von  selbst  wieder  vergehenden  Warzen 
(Verrucae)^  enthalten  mehrere,  3 — 4  Mal  verlängerte,  und  an  ihrem  Ende  kolbig 
verdickte  Tastwärzchen. 

Eslässtsich  in  der  Haut  ein  System  von  Linien  verzeichnen,  welche  die  Grenzen 
der  einzelnen  Hauptverästluugsgebiete  der  Hautnerven  abmarken,  und  in  welchen 
das  Gefühl  und  die  Feinheit  des  Raumsiunes  der  Haut  am  wenigsten  entwickelt 


518  §•  207.   Drüsen  der  Uaat. 

ist.  Diese  Linien  ziehen  durch  jene  Punkte  der  Hautoberfläche,  auf  welche  beiih 
Sitzen,  Liegen,  Knieen,  Stemmen,  und  bei  den  verschiedenen  Arten  des  Last- 
tragens,  der  jjrösste  Druck  hinfällt.  (Voigt,  Denkschriften  der  kais.  Akademie, 
XXIL  Band.) 


§.  207.  Drüsen  der  Haut. 

Die  Haut  besitzt  zweierlei  Arten  von  Drüsen. 

a)  Talgdrüsen,  Glandulae  sebaceae.  Sie  zählen  zu  den  ein- 
fach aeinöscn  Drüsen  (§.  90).  Um  den  als  Epidermis  später  zu 
beschreibenden  hornigen  Ueberzug  der  Haut,  und  die  in  der  Haut 
wurzelnden  Homfäden  (Haare)  gegen  die  Einwirkung  der  äusseren 
Luft  und  des  Schweisses  zu  schützen ,  sie  geschmeidig  zu  machen, 
und  ihre  Dauerhaftigkeit  zu  vermehren,  werden  diese  Gebilde  mit 
einer  fetten  Salbe  beölt,  welche  in  den  Talgdrüsen  der  Haut  be- 
reitet, und  durch  deren  Ausfiihrungsgänge  als  sogenannte  Haut- 
schmiero  oder  Hauttalg,  Sebum  s.  Sttiegma  cutaneum,  an  die  Ober- 
fläche des  Integuments  geschafft  wird.  Nur  der  Handteller,  die 
Sohle,  die  Dorsalfläche  der  zweiten  und  dritten  Phalangen,  und 
die  Haut  des  männlichen  Gliedes  Coline  dessen  Wurzelj  entbehren 
der  Talgdrüsen.  Ihre  Gestalt  geht  vom  einfachen  keulen-  oder 
bimfiirmigen  Schlauche  (wie  am  Rückenj  in  eine  mehrfach  zellig 
ausgebuchtete  Höhle  über  (an  der  Nase,  den  Lippen,  am  Umfange 
des  Afters),  welche  sich  nur  selten,  über  das  Fasergewebe  der  Cutis 
hinaus,  bis  in  das  darauf  folgende  Unterhautbindegewebe  erstreckt. 
Ihre  kurzen  und  verhältnissmässig  weiten  AusführungsgUnge  münden 
entweder  frei  an  der  Oberfläche  der  Epidermis,  wie  am  Hodensack, 
an  den  kleinen  Schamlefzen,  an  der  hinteren  Kante  des  Augenlid- 
randes, oder  senken  sich  in  einen  Haarbalg  ein,  welcher  zwei  bis 
fünf  solcher  Ausfühningsgänge  aufnehmen  kann.  Jene  Stellen  der 
Haut,  die  häufiger  mit  scharfen  Feuchtigkeiten  in  Herührung  kom- 
men, also  die  Umrandung  aller  KörperöfTnungen,  so  wie  die  Achsel- 
gruben, Leistenfurchen,  und  die  Afterspalte,  sind  mit  zahlreichen 
und  grossen  Drüsen  dieser  Art  versehen,  welche  wohl  auch  beson- 
dere Namen  ftlhren,  und  an  den  betreff'enden  Gegenden  besonders 
erwähnt  werden.  Im  Ausführungsgange  der  Talgdrüsen  findet  sich 
ein  mehrschichtiges,  in  den  blinden  Enden  {Achii)  ein  einfaches, 
aus  rundlichen  Zellen  gebildetes  Epithel.  In  diesen  Zellen  wird  das 
Fett  des  Hauttalges  erzeugt;  —  sie  sind  also  Secretionszellen. 

Werden  die  trichterförmigen  Ausmündungsstellen  einzelner  T«"ilgdrüson  durch 
Staub  und  Schmutz,  oder  durch  ein  dickeres  Smegma  verstopft,  so  sammelt  sich 
der  Talg  im  Inneren  der  Drüse  an,  dehnt  die  Wand  derselben  zu  einem  grösseren 
Beutel  aus,  welcher,  wenn  er  comprimirt  wird,  seinen  Inhalt  als  weissen  geschlän- 
gelten Faden    mit   schwarzem  Kopfe    herausschiesst.    Er   wird    denn    auch  Vom 


f.  207.   Drfli»en  der  Haut.  519 

gemeinen  Manne  flir  einen  Wurm  (Mitesseri  Comedo)  gehalten.  Mündete  die 
Talgdrüse  in  einen  Haarbalg  ein,  so  kann  auch  dieser  durch  die  Ansammlung 
des  eingedickten  Smegma  erweitert  werden,  und  zuletzt  mit  der  erweiterten  Talg- 
drüse zu  Einer  Höhle  verschmelzen,  in  welcher  man  einen  Rest  des  abgestor- 
benen Haares,  häutig  auch  ein  neugebildetes  Haar,  welches  durch  die  verklei- 
sterte Oeffnung  des  Haarbalges  nicht  mehr  heraus  konnte,  als  zusamriiengebogenea 
Härchen  antrifft.  —  Simon  entdeckte  eine,  in  dem  Inhalte  der  Mitesser  und 
gesunder  Talgdrüsen,  parasitisch  lebende,  winzige  Milbe,  den  Acanu  folliculorumj 
und  Er  dl  eine  zweite  Art  derselben;  abgebildet  in  VogeTs  Erläuterungstafeln 
zur  patholog.  Histologie,  Tab.  XH.  Die  Jagd  auf  den  Acarut  foUiculorum  des 
Menschen  wird  am  besten  angestellt,  wenn  man  sich  die  Talgdrüsen  des  eigenen 
Nasenflügels  mit  den  Fingernägeln  ausdrückt,  das  weisse,  dickliche  Sebum  mit 
etwas  Olivenöl  zwischen  zwei  dünne  Glasplättchen  bringt,  und  dieselben  einige 
Mal  auf  einander  verschiebt,  wodurch  das  Sebum  auf  eine  grössere  Fläche  ver- 
theilt,  und  die  sicher  in  ihm  hausenden  Acari  bei  einer  Vergrösserung  von  200 
ganz  leicht  aufgefunden  werden.  Die  anfangs  schnappende  Bewegung  ihrer 
Krallenfüsse  erlahmt  sehr  rasch  in  dem  ungewohnten  Medium. 

b)  Schweissdrüsen,  Glandulae  sudoriferae.  Sie  gehören  zu 
den  im  §.  90  angeführten  tubulösen  Drüsen,  und  können  nicht, 
wie  die  Talgdrüsen,  mit  freiem  Auge  gesehen  werden.  Nur  ihre 
Mündungen  sind,  z.  B.  an  den  HautrifFen  der  Hohlhand,  ohne  Ver- 
grösserungsglas  wahrzunehmen,  waren  deshalb  schon  älteren  Ana- 
tomen bekannt,  wurden  aber  seit  Hall  er  für  die  Endöffnungen 
fingirter  aushauchender  Gefässe  gehalten.  Purkinje's  und  Bre- 
sche t's  fast  gleichzeitigen  Forschungen  verdanken  wir  die  Kennt- 
niss  des  schweissbereitenden  Drüsenapparates  der  Haut,  der  eine 
so  reiche  Entwicklung  darbietet,  dass  approximativ  dritthalb  Mil- 
lionen solcher  Drüsen  in  der  menschlichen  Haut  angenommen  wer- 
den können.  Die  Verbreitung  dieser  Drüsen  ist  nichts  weniger  als 
gleichförmig,  denn  in  der  Hohlhand  kommen  2800,  und  am  Gesäss 
nicht  ganz  400  auf  einen  Quadratzoll  Haut.  Jede  Schweissdrüse 
hat  die  Gestalt  eines  knäuelformig  zusammengewundenen,  feinen, 
und  structurlosen  Drüsenschlauches,  welcher  bis  in  das  Unterhaut- 
bindegewebe hineinragt,  und  in  einen  korkzieherartig  gewimdenen 
Ausführungsgang  übergeht,  dessen  Lumen  0,05'"— 0,08'"  Durch- 
messer zeigt.  Die  Spirale  des  Ausführungsganges  ist  auf  der  rech- 
ten wie  auf  der  linken  Körperseite  eine  rechts  gewundene  (Welcker), 
findet  sich  jedoch  nur  an  jenem  Stücke  des  Ausführungsganges, 
welches  die  Epidermis  durchsetzt.  Je  dicker  also  die  Epidermis, 
desto  mehr  spirale  Windungen  des  Ganges.  Bei  schwieliger  Ver- 
dickung der  Epidermis  wird  die  Spirale  in  eine  mehr  gerade  Linie 
ausgezogen.  Die  concave  Seite  der  Ohrmuschel,  der  äussere  Gehör- 
gang, und  die  Eichel  besitzen  keine  Schweissdrüsen. 

Der  Schlauch  einer  Schweissdrüse  besteht  aus  einer  zarten 
Bindegewebsmembran  mit  deckendem  einfachen  Pflasterepithel.  Eine 
Btructurlose,    glashelle    Zwischenschicht    bekommt   man   nur    selten 


520  §•  208.    Oberhaut. 

zur  Ansicht.  An  den  Schweissdrüsen  der  Achsel  lassen  sich  deut- 
liche glatte  Muskelfasern  erkennen,  welche  der  Längsrichtung  der 
Drüse  folgen. 

Ob  ihre  Function  ihrem  Namen  entspricht,    d.  h.   in   der  Ab- 
sonderung von   Schweiss   besteht,   unterliegt   mancherlei  Bedenken. 
Man  hat  Drüsen  von  ganz    gleicher  Structur   an   Stellen  gefunden, 
wo  ganz  gewiss  kein   Schweiss    secernirt   wird,  wie  z.  B.  am  unte- 
ren inneren   Coniealrande    des    Rindsauges.     Meissner   behauptete 
zuerst,  dass  die  Schweissdrüsen  keinen  Schweiss,  sondern  ein  fettes 
Secret  liefern,   und   erhob    seine  Behauptung   zur  Thatsache  durch 
Nachweis    von  Fettablagerung  in   den  grossen   Schweissdrüsen  der 
Achsel,  und   von  Fettmolekülen  im  Inhalte  der   übrigen^   kleineren. 
Es  mag  deshalb  hingehen,  die  Schweissdrüsen  in  „Knäueldrüsen** 
umzutaufen. 

Zur  Untersuchung  der   Schweissdrüsen  genfigt   es,   einen  aus   freier  Hud 
oder    mit    dem    Valentin'schen    Doppelmesser    gemachten    feinen    senkrecbten 
Hautschnitt,  mit   dem    Compressorium   flachzudrfickcn,    und  bei   einer  Linearver- 
grösserung  von  CO   zu   betrachten.   Die   grösstcn    Schweissdrüsen  werden   in  der 
Fusssohle  und  Achselhöhle  gefunden. —  Der  Schweiss,  Sudor,  der  nur  bei groiser 
äusserer  Ilitzo,  bei  Anstrengungen,  oder  Krankheiten,  in   Tropfenform   smn  Vor- 
schein kommt,  sonst  in    der   Regel   gleich   nach    seiner   Absonderung  verdunstet, 
und    seine  fixen  ßestandtheilc  an  der   Hautobertläche  zurücklässt,  ist  eine  klare, 
wässerige,    sauer    reagirende    (besonders    der    Fussschwciss,    der  zuweilen  blaue 
Strümpfe  roth  färbt),  oder  neutrale  Flüssigkeit,  von  specifischem  Gerache,  welebe 
nur  in   der   Achsel   und   am   Plattfuss   weisse   Wäsche   gelblich    färbt  und  steift 
Das    quantitative    Verhältniss    der    fixen    Bostandtheile    des    Schweisses    (Chlor- 
natrium, 8chwef«*l8anre  Salze,  nach  Landerer  Spuren  von  Harnstoff,  freie  Milch- 
säure, milchsaure  Salze,  etc.)  ist  durch  die  Monge  innerer  und    äusserer  auf  die 
Ilautabsonderung  einwirkender  Momente  ein  sehr  veränderliches,    und  überhanpt 
im  gesunden  und  kranken  Zustande  nur  wenig  bekannt. 


§.  208.  Oberhaut. 

Man  kann  an  jedem  beliebigen  Punkte  der  Körperoberfläche, 
dureh  verschiedene  Mittel,  ein  feines,  trockenes  Iläutchen  ablösen, 
welches  weder  schmerzt,  noch  blutet,  somit  weder  Nerven  noch 
GefUsse  enthält,  gelblichweiss,  durchscheinend,  und  pergamentartig 
zähe  ist,  und  Oberhaut  genannt  wird,  {EpuJermia  s.  Cuticnld).  Bei 
den  alten  Anatomen  führte  sie  den  sonderbaren  Namen  Heideu- 
haut,  wahrscheinlich  weil  sie  sich  nach  dem  kalten  Bade  der  Taufe 
abschuppt. 

Man  hat  die  Oberhaut  lange  für  einen  vertrockneten  und  ver- 
hornten Auswurföstoff  der  Haut,  für  thierische  Schlacke  gehalten, 
und  weiter  keine  lebendige  Bedeutung,  als  die  Leistung  mechani- 
schen Schutzes  für  das  empKndliche  Ilautorgan,  in  ihr  gesucht. 
Henle's    umfassenden    Untersuchungen    verdanken    wir    eine  rieh- 


S.  SOS.   Oberhaut.  521 

tigere  Ansieht  über  die  organische  Bedeutung,  so  wie  über  die 
Lebens-  und  Ernährungsweise  der  Epidermis.  Wird  die  lebende 
Cutis  ihrer  Oberhaut  durch  was  immer  für  Mittel  beraubt,  so  schei- 
det sie  an  ihrer  äusseren  Fläche  eine  dünne  Schichte  eines  halb- 
fltlssigen,  durchsichtigen,  structurlosen  Stoffes  aus,  der  nicht  über 
0,005'"  mächtig  wird,  und  das  Plasma  vorstellt,  aus  welchem  sich 
durch  einen  bestimmten  Organisationsact  die  Epidermis  bildet.  Es 
entstehen  nämlich,  in  und  aus  diesem  halbflüssigen  Plasma,  solide 
Kerne,  welche  sich  später  mit  einer  Hüllungsmembran  umgeben, 
somit  zu  kernhaltigen  Zellen  werden.  Diese  kommen  in  dem 
Maasse  oberflächlicher  zu  liegen,  als  sie  durch  neue  Kembildungen 
unter  ihnen  in  die  Höhe  gedrängt  werden.  Die  oberflächlich  ge- 
wordenen Zellen  lagern  sich  neben  einander,  werden  eckig,  und 
platten  sich  ab,  verlieren  durch  Austrocknen  ihren  Gehalt  an 
Flüssigkeit,  und  werden  endlich  zu  feinen,  trockenen,  hornigen 
Schüppchen  oder  Blättchen,  welche  in  ihrer  Juxta-  und  Supra- 
position  die  eigentliche  Epidermis  bilden.  Was  die  Epidermis 
durch  die  fortwährende  Abschuppung  ihrer  oberflächlichsten  Blätt- 
chen an  Dicke  verliert,  wird  durch  neuen  Nachschub  von  unten 
her  wieder  ersetzt,  und  sie  befindet  sich  somit  in  einem  fortwähren- 
den Umwandlungspro cess,  wie  alle  übrigen  organischen  Gebilde. 
Nur  jene  Schichte  der  Epidermis,  welche  aus  verhärteten  Zellen 
besteht,  wird  als  Oberhaut  benannt;  die  tiefste  Schichte,  welche 
aus  Protoplasmakernen  und  saftigen  Zellen  besteht^,  heisst  Mucus 
Malpighiiy  der,  weil  er  nach  Entfernung  der  eigentlichen  Oberhaut 
zurückbleibt,  und  eine  netzförmige,  weiche  Masse  bildet,  aus  deren 
Maschen  die  Spitzen  der  Hautpapillen  hervorragen,  auch  Rete  Mal- 
pighii  genannt  wird. 

Eine  höchst  sonderbare  Verbindung  der  Zellen  des  Muni»  Malpighii  unter- 
einander, durch  stachelähnliche  Fortsätze  ihrer  Oberfläche,  mittelst  welcher  je 
zwei  Zellen  so  ineinander  greifen,  wie  zwei  mit  den  Borsten  gegeneinander  ge- 
drückte Bürsten  (Stachelzellen,  Riffzellen),  hat  M.  Schultze  nachgewiesen. 

Die  schwarze  Farbe  des  Negers  hat  ihren  Grund  einzig  und  allein  in  dem 
dunklen  Pigmentinhalt  der  tiefsten  Zellenlage  des  Muciis  Malpighii,  Die  Laus 
der  Neger,  welche  sich  vom  pigraentirten  Zelleninhalt  des  Mtiau  Malpighii  nährt, 
ist  doshalb  wie  ihr  Besitzer  schwarz.  Je  höher  die  tiefliegenden  Zellen,  durch 
das  Abfallen  der  obersten,  zu  liegen  kommen,  desto  mehr  entfärben  sie  sich, 
und  die  eigentliche  Oberhaut  des  Negers  ist  nicht  schwarz,  sondern  graulich- 
weiss.  Dieselbe  Farbe  zeigen  die  Narben  nach  den  Brandwunden,  mit  welchen 
die  Humanität  der  weissen  Menschen,  trotz  so  viel  Moral  und  Religion,  ihre 
schwarzen  Brüder  zeichnet,  wie  der  Viehhändler  seine  Hammel.  Dunkle  Haut- 
stcllen  der  weissen  Menschenrace  (Warzenhof,  Hodensack,  Umgebung  des  Afters) 
enthalten  keine  pigmenthaltigen  Epidermiszellen ,  wohl  aber  Pigmentmolekülo 
zwischen  den  Kernen  des  Mucus  Malpighii,  Uebrigens  erscheint  die  Cutis,  nach 
Abstreifen  des  Rete  Malpighii,  bei  allen  farbigen  Raceu  so  weiss,  wie  die  der 
weissen. 


522  8*  ^^'  Physikalische  and  physiologische  Eifenschaflen  der  OberhAvt. 

Die  Epidermis  schmiegt  sich  an  alle  Unebenheiten  und  HeryoiragnsgCQ 
der  Cutis  genau  an,  zeigt  also  an  ihrer  inneren  Oberfläche  einen  Abdruck  der 
Tastwärzchen  und  deren  Aggregationslinien.  Ihre  Dicke  variirt  von  0,04'"— 1'" 
und  darüber.  Der  Unterschied  der  Dicke  hängt  nicht  allein  von  der  Einwirkoog 
äusseren  Druckes  ab,  wie  man  nach  der  Dicke  der  Epidermis  in  der  FnsiioUi 
und  an  den  Handballen  der  Grobschmiede  schliessen  könnte,  sondern  wird  p- 
wiss  auch  von  besonderen  Entwicklungsgesetzen  bedingt,  da  die  geninnta 
Stellen  schon  im  Embryoleben  eine  doppelt  bis  dreifach  so  dicke  Epidermii  h*- 
ben,  als  andere. 


§.  209.  Physikalische  und  physiologische  Eigenschaften 

der  Oberhaut. 

Die  Epidermis  theilt  mit  allen  Homgebilden  das  Vorrecht,  ein 
schlechter  Wärme-  und  Elektricitätsleiter  zu  sein.  Sie  beschränkt 
die  Absorptionsthätigkeit  der  Haut,  und  hindert  die  zu  rasche  Ver- 
dampfung der  Hautfeuchtigkeit.  Von  letzterer  Wirkung  kann  man 
sich  an  Leichen  tiberzeugen,  an  denen  die  Epidermis  durch  An- 
wendung von  Vesicatorcn  während  des  Lebens  entfernt,  oder  durch 
mechanische  Einwirkungen  abgestreift  wurde.  Die  der  Epidermia 
beraubten  Stellen  der  Haut,  vertrocknen  in  diesem  Falle  sehr  schnell 
zu  pergamentartigen,  harten  Flecken.  So  lange  die  Haut  noch  Le- 
ben hat,  also  neue  Feuchtigkeit  absondert,  tritt  dieses  Vertrock- 
nen an  epidcrmislosen  Stellen  nicht  ein.  Man  kann,  auf  diese  Be- 
obachtung hin,  ttber  wirklichen  oder  Scheintod  ein  Urtheil  abgeben. 
—  Durch  anhaltenden  Druck  verdickt  sie  sich  zu  hornigen  Schwie- 
len, welche  in  h()herein  Entwicklungsgrade,  an  den  Zehen  den  tri- 
vialen Namen  der  Hühneraugen,  besser  Leichdorne   (Clavi)  führen. 

Solche  Schwielen  können  iihcrall  entetehen,  wo  der  zu  ihrer  ErzeugODg 
nothwendige  Dnick  wirkt.  Ich  hal>e  sie  bei  Lastträgern  am  Kücken,  auf  dem 
Dornfortsatze  des  siebenten  Halswirbels,  und  auch  an  der  Darmbeinspina  b« 
Frauen,  welche  feste,  bis  über  die  Hüften  reichende  Mieder  trugen,  beob*chtet 
Da  icli  meine  Feder  hart  führe,  entsteht,  wenn  ich  viel  zu  schreiben  habe,  am 
Innenrandc  des  Nagclgliedes  meines  Mittelfingers,  durch  den  Druck  der  Feder, 
und  an  der  Streckseite  des  Gelenkes  zwischen  zweiter  und  dritter  Phalanx  dei 
Ringfingers,  auf  welche  ich  die  Hand  b(>im  Schreiben  stütze,  regelmäasig  ^^^ 
artiges  Hühnerauge. 

Das  If ühncrauge  hat  seinen  Namen  von  dorn  dunklen  Fleck,  welcher  sic" 
in  seiner  Mitte  an  der  Schnittfläche  findet,  und  dadurch  entsteht,   dass  sich  »^^' 
sehen  der  Basis  des   Hühnerauges   und   der   Cutis   ein   Tröpfchen   Blut   ergoB»^^ 
hat,  welches,  zwischen  den  sich  fortwährend  von  unten   auf  neu   bildenden  EP** 
dermisschichten  eingeschlossen,  allmälig  gegen    die   Oberfläche   des   Hühner*«ge* 
gehoben  wird,    wobei   der  Blutfärbestoff  eine   Umwandlung   in   dunkles  Pigf***^ 
erleidet.     Oft   umschliesst    das  Hühnerauge    einen  weissen  Kern,    welcher     *^ 
phosphorsaurcr  Kalkerde  besteht,    und  durch  seine  Härte  die  Beschwerden  l»**® 
Diucke  auf   das  Hühnerauge   steigert.     Die    vielfach    geHihmte  Anwendung      '^^^ 
verdünnter  Schw(;felsäure,  oder  vegetabilischen  Säuren  (z.  B.  im  Safte  der  ^^^' 
nannten  Hauswurzcl,  Sedum  acre),  löst   diesen  Kern,   und  schafft  oft  anhiU^^'* 


8.  210.  Nagel.  523 

Linderung.  —  Unter  alten  Hühneraugen  entwickelt  sich  regelmässig  ein  kleiner 
Schleimbeutel.  Das  sogenannte  Ausschneiden  der  Hühneraugen  ist  keine  radicale 
Exstirpation,  sondern  eine  palliative  schichtweise  Abtragung  derselben,  welche 
nur  für  kurze  Zeit  hilft,  da  das  Entfernte  bald  wieder  nachwuchert.  Leute, 
welche  diesen  Zweig  der  „niederen  Chirurgie'*  ausüben,  benöthigen  mehr  Vor- 
sicht, als  chirurgische  Geschicklichkeit  Es  sind  Fälle  bekannt,  wo  auch  diese 
harmloseste  aller  wundärztlichen  Verrichtungen,  durch  phlegmonösen  Rothlauf  zum 
Tode  führte  (P.  Frank,  Opusc,  posthuma). 

Die  oberflächlichsten,  vertrockneten  Epidermiszellen,  schwellen  in  Wasser 
oder  Wasserdunst  auf,  erweichen  sich,  und  werden  in  diesem  Zustande  leicht 
durch  Reiben  entfernt,  wonach  die  Hautansdünstung  leichter  von  Statten  geht, 
und  die  heilsame  Wirkung  der  Dampf-  und  Wannenbäder  zum  Theil  erklärlich 
wird.  Erstere  aber  Schwitzbäder  zu  nennen,  ist  barer  Unsinn,  da  der  heisse 
Wasserdampf  sich  auf  die  kältere  Haut  niederschlägt,  und  die  Nässe  der  Haut 
somit  gewiss  kein  Schweiss  ist.  Noch  schneller  erweichen  sich  die  Epidermis- 
zellen in  Kalilösung,  weshalb  man  sich  zum  Waschen  der  Hände  allgemein  der 
Seife  bedient.  —  Die  hygroskopische  Eigenschaft  der  Epidermis  bedingt  das 
Anschwellen,  und  dadurch  das  jeden  Witterungswechsel  begleitende  Schmerzen 
der  Leichdorne,  und  lehrt  es  verstehen,  warum  bei  Leuten,  die  an  den  Füssen 
schwitzen,  zur  Sommerzeit  die  Qualen  der  Hühneraugen  viel  heftiger  zu  sein 
pflegen,  als  im  Winter. 

Die  gesprenkelte  Färbung  der  Haut  bei  Sommersprossen  und 
Leberflecken,  beruht,  wie  die  Racenfärbung  der  Haut,  auf  dunklerer 
Pigmentirung  der  Zellen  und  Zellenkerne  der  Epidermis.  Die  auf 
den  inneren  Gebrauch  von  Höllenstein  sich  einstellende  schwarze 
Hautftrbung,  welche  auf  einer  durch  den  Lichteinfluss  bewirkten 
Zersetzung  des  in  der  Haut  abgelagerten  Silbersalzes  beruht,  ist 
durch  alte  und  neue  Erfahrungen  hinreichend  constatirt.  —  Alle 
reizenden  und  Entzündung  veranlassenden  Schädlichkeiten,  trennen 
im  Leben  die  Epidermis  von  der  Cutis,  durch  Blasenbildung 
(Verbrennung,  Zugpflaster),  viele  Ausschlagskrankheiten  heben  sie 
als  Bläschen  oder  Pusteln  auf,  selbst  Erschütterungen,  wie  bei 
Knochenbrüchen,  oder  faulige  Zersetzung  der  Säfte  beim  Brande, 
bewirken  diese  Ablösung  mit  Blasenbildung.  An  der  Leiche  wird 
die  Epidermis  durch  Fäulniss  oder  Abbrühen  so  gelockert,  dass  sie, 
bei  vorsichtiger  Behandlung,  von  den  Extremitäten  wie  ein  Hand- 
schuh abgestreift  werden  kann. 

Die  Epidermis  senkt  sich  in  alle  Hantöffnungen,  kleine  wie  grosse,  ein, 
und  geräth  dadurch  in  unmittelhare  Verbindung  mit  jenem,  ebenfalls  aus  Zellen 
gebildeten  Ueberzugc  der  Eingeweide  —  dem  Epithelium. 


§.  210.  Mgel. 

Die  Nägel,  UngtieSy  sind  harte,  elastische,  viereckige,  durch- 
scheinende, convex-concave  Hornplatten,  welche  die  Rückenseite 
der  letzten  Finger-  und  Zehenphalangen  einnehmen,  der  pulpösen, 
tastenden  Fläche  der  Fingerspitze  Halt  und  Festigkeit  geben^  die 


524  .§.  210.   NÄgel. 

Gewalt  des  Fingerdruckes  steigern,  und  insofern  zunächst  dem  Tast- 
sinne zu  Gute  kommen.  Der  hintere  und  die  beiden  Seitenränder 
des  Nagels  stecken  in  einer  tiefen  Hautfurche  —  dem  Nagelfalz, 
Matrix  unguis.  —  Die  untere  Fläche  steht  mit  der  papillenreichen 
Haut  (Nagelbett)  im  innigen  Contact,  und  vermehrt  durch  Gegen- 
druck die  Schärfe  der  Tastempfindungen.  Die  Papillen  des  Nagel- 
bettes finden  sich  sowohl  im  hintersten  Bezirk  des  Nagelbettes  als 
auch  an  der  vorderen  Grenze  desselben.  In  der  ganzen  übrigen, 
vom  Nagel  bedeckten  Fläche  des  Nagelbettes  verschmelzen  sie  zu 
Längsriffen  oder  Leisten,  von  welchen  60 — 90  auf  die  Breite  des 
Nagelbettes  kommen.  —  Der  hintere  weiche  Thcil  des  Nagels, 
welcher  in  der  über  2"'  tiefen  Hautfurche  des  Nagelfalzes  steckt, 
heisst  Radix  unguis,  und  ist  der  jüngste  Theil  des  Nagels,  welcher, 
bei  dem  nach  vorne  strebenden  Wachsthum  des  Nagels,  allmälig 
dem  freien  Rande  näher  rückt,  bis  auch  ihn  das  Loos  trifft,  be- 
schnitten zu  werden.  Ein  weisses  Kreissegment  —  die  Lunula  — 
ziert  zuweilen  die  Wurzel  schöner  Nägel. 

Der  Nagel  besteht  aus  denselben  Zellenelementen,  wie  die 
Oberhaut,  und  ist  eigentlich  nur  eine  verdickte  Stelle  derselben. 
Die  tiefgelegenen,  mit  der  Haut  in  Berührung  stehenden  Zellen 
sind  weich  und  saftig,  und  bilden  ähnliche  Reihen  oder  Leisten, 
wie  sie  soeben  im  Nagelbette  erwähnt  wurden.  Beiderlei  Leisten 
greifen  ineinander,  um  bessere  Haft  des  Nagels  zu  erzielen.  Die 
oberflächlichen  Zellenschichten  des  Nagels  sind  verhornt  und  zu 
compacten  Platten  verschmolzen,  welche,  wenn  sie  trocken  sind, 
beim  Durchschneiden  zersplittern.  Durch  Kochen  in  kaustischem 
Natron  lassen  sich  die  kernhaltigen  Zellen  der  obersten,  verhorn- 
ten Nagelschichte,  wieder  darstellen.  Nur  die  äusserste  Epidermis- 
schichte  setzt  sich,  vom  Fingerrücken  kommend,  an  der  Dorsal- 
fläche, —  und  von  der  Volarseite  kommend,  an  der  unteren  Fläche 
des  Nagels,  ungefähr  eine  Linie  hinter  seinem  freien  Rande  fest, 
wodurch,  wenn  die  Epidermis  vom  Finger  abgezogen  wird,  der 
Nagel  mitgehen  muss. 

Wird  der  Nagel  nicht  beschnitten,  so  wächst  er  bis  auf  ein 
gewisses  Maximum  der  Länge  fort,  und  nimmt  hiebei  die  Form 
einer  Kralle  an.  Einem  indischen  Fakir,  welcher  das  Gelübde  ge- 
macht hatte,  seine  Hand  immer  geschlossen  zu  halten,  wuchsen  die 
Nägel  durch  die  S2)atia  interossea  der  Mittelhand  hindurch  auf  den 
Handrücken  hinaus. 

Ich  beobachtete  einen  Fall,  wo,  bei  «ler  Häutung  nach  Scharlach,  mit  d«" 
Epidermis  anch  die  Näjjel  der  zwei  letzten  Finger  abgestossen  wurden-  Nw« 
Vcrbrennunj^en  und  Krfriernngen  der  Hand  ist  das  Abfallen  der  NSgel  kw"* 
Seltenheit.  —  Dass  der  Nagel  nicht  blos  in  der  Matrix  gebildet,  und  von  ww 
aus  vorgeschoben   wird,   bemerkt  man,   wenn  ein  nach   Qaetschiing  de«  Fing*" 


§.  211.     Haare.  525 

abgegatigoiier  Naji^el  regetiorirt  wird.  Es  bedeckt  sich  liiebei  die  ganze,  soust 
vom  Nagel  bedeckte  Hautfläche  mit  weichen  Hornblättchen,  welche  nach  und 
nach  verhärten,  und  zu  einem  grösseren  Nagelblatte  zusammenfliessen.  Audi 
spricht  das  Dickerwerden  des  Nagels  nach  vorn  zu,  für  einen  von  unten  her 
stattfindenden  Anschuss  von  Nagelzellen.  Das  kann  aber  nicht  gcläugnot  werden, 
dass  die  Bildung  des  Nagels  vorzugsweise  von  dem  Nagelfalze  ausgeht.  — 
Der  grosse  Nervonreichthum  der  Nagel  furche  und  des  Nagelbettes  erklärt  die 
Schmerzhaftigkeit  des  zur  Heilung  gewisser  Knmkheiten  der  Nagelfurchc  noth- 
wendigen  Ausreissens  des  Nagels.  Da  das  Nagelbett,  als  Secretionsorgan  des 
Nagelstoffes ,  sehr  gefiissreich  ist ,  so  erscheinen  dünne  Nägel  röthlich ,  er- 
blassen bei  Ohnmächten  und  Blutungen,  und  werden  blau  bei  venösen  Stasen, 
beim  iferannahen  eines  Fiebcranfalls,  und  an  der  Leiche.  —  Man  will  bemerkt 
haben,  dass,  während  der  Heilung  von  Knochenbrüchen,  das  Wachsthum  der 
Nägel  stille  steht. 

Der  Nagel  theilt  die  physikalischen  und  Lebenseigenschaften  der  Epider- 
mis. Er  ist  unempfindlich,  gefäss-  und  nervenlos,  nützt  dem  Organismus  nur 
durch  seine  mechanischen  Eigenschaften,  wird  spröde,  wenn  er  vertrocknet,  und 
erweicht  sich  durch  Baden,  so  wie  durch  Saugen  oder  Kauen  an  den  Fingern. 
Wenn  er  beschnitten  wird,  wächst  er  rasch  nach.  Hat  man  ihn  auf  eine  gewisse 
Grösse  wachsen  lassen,  so  verändert  er  sich  nicht  weiter,  wie  der  Huf  der  Thiere, 
der  bei  Pferden,  welche  bescliL'igen  werden,  fortwährend  nachwäch.st,  bei  den 
Wiederkäuern  dagegen,  welche  nicht  beschlagen  werden,  wenn  er  einmal  gebildet 
ist,  stationär  bleibt,  und  nur  so  viel  StofTzuwachs  erhält,  als  durch  Abnützung 
oberflächlich  verloren  geht  Interessant  sind  die  von  Pauli,  de  vultifnim  sana- 
HonCf  pag.  98,  gesammelten  Fälle,  wo  nach  Verlust  des  letzten,  oder  der  zwei 
letzten  Fingerglieder,  ein  Nagelrudiment  am  Stumpfe  des  Fingers  entstand.  Mir 
ist  ein  Fall  bekannt,  wo  nach  Amputation  des  Nagelgliedes  des  Daumens  wegen 
Caries,  ein  2'*'  langer  und  3"'  breiter  Nagel,  am  ersten  Oliede  sich  bildete.  — 
Mandelförmige  Nägel,  mit  weit  über  die  Fingerspitzen  hinausrtigenden  Schaufel- 
rändern, werden  für  schön  gehalten.  Die  Zeit,  welche  zum  Putzen  derselben 
täglich  erforderlich  ist,  könnte  zu  etwas  Nützlicherem  verwendet  werden,  Sie 
sind  ein  sehr  beliebtes  und  wohl  gepflegtes  Attribut  des  reichen  Müssigganges. 
An  arbeitenden  Händen  braucht  man  kurzgeschnittene  Nägel. 

Als  Curiosum  sei  erwähnt,  dass  die  Nägel  in  der  Jugend,  im  Sommer,  und 
au  der  rechten  Hand  schneller  wachsen,  als  im  Alter,  im  Winter,  und  an  der 
linken  Hand,  dass  der  Nagel  des  Mittelfingers  unter  allen  am  schnellsten  wäch.st 
(Berthold),  und  dass  in  der  Schwangerschaft  das  W\ichstlium  des  Nagels  zu- 
sehends abnimmt. 


§.  211.  Haare. 

Die  Haare,  Pili,  entspriessen  der  Haut,  als  geschmeidige 
Hornfäden,  deren  Erzeugung  und  Wachsthum,  wie  bei  der  Ober- 
haut imd  den  Nägeln,  auf  dcjr  Zellenmetamorphose  beruht.  Jedes 
Haar  wird  in  die  Wurzel,  Radix,  und  den  Schaft,  Scapnsy  ein- 
getheilt.  Haarwurzel  heisst  der  in  die  Cutis  eingesenkte  Ursprung 
des  Haares;  Haarschaft  der  freie  Theil  des  Haares,  welcher  an 
den  Kopfhaaren  cylindrisch,  an  den  Bart-,  Achsel-,  Schamhaaren 
beim  Querschnitt  oval  oder  bohnenförmig  erscheint.    Krause  Haare 


526  S-  211.  HaAre. 

sind  in  der  Regel  nicht  cylindrisch,  sondern  platt  gedrückt,  und 
schwarze  häufig  an  der  Spitze  gespalten.  Einzelne  Unebenheiten  am 
Haarschaft  entstehen  zuweilen  durch  Splitterung  des  Haares  beim 
'Knicken  desselben,  durch  Zerkltiften  und  Rissigwerden  trockener 
Haare,  durch  Ankleben  von  Epidermisfragmenten  oder  Schmutz. 
Die  Haarwurzel  steckt  in  einer  taschenförmigen  Höhle  der  Haut. 
Diese  heisst  Haar  balg,  FolUculus.  pilL  Sie  wird  als  eine  Einstül- 
pung der  obersten  Lage  des  Corium  aufgefasst,  und  besitzt  einen 
kleinen  niedlichen  Apparat  organischer  Muskelfasern,  welche  von 
der  Mündungsstelle  des  Balges  zu  seinem  Grunde  streben,  und 
letzteren  gegen  die  Hautoberfläche  zu  heben  vermögen.  Bei  den 
feinen  und  kurzen  Wollhaaren,  iMnugo,  welche  die  ganze  Leibes- 
oberfläche, mit  Ausnahme  der  Hohlhand  und  Fusssohle,  so  wie  der 
Beugeseiten  der  Finger-  und  Zehengelenke,  einnehmen,  reichen  die 
Haarbälge  nicht  in  die  Tiefe  über  das  Corium  hinaus.  Bei  den 
übrigen  Haaren  dagegen  dringen  sie  bis  in  das  Unterhautbinde- 
gewebe ein,  und  bei  den  Spürhaaren  der  Thiere  oft  bis  in  die  sub- 
cutanen Muskeln.  In  jeden  Haarbalg  münden  benachbarte  Talg- 
drüsen der  Haut  ein.  Der  Glanz  der  Haare  beruht  einzig  und 
allein  auf  ihrer  Beölung  durch  Hauttalg.  Vielgebrauchte  Haarbür- 
sten und  Kämme  sind  deshalb  immer  fett,  und  kein  Thcil  unserer 
Wäsche  wird  so  schnell  schmutzig,  wie  die  Nachtmützen. 

Am  Grunde  des  Haarbalges  sitzt  ein  kleines,  gefäss-  und 
nervenreiches  Wärzchen,  Papula  jnli  (unrichtig  Haarkeim,  Pulpa 
8.  Blastema  pili  genannt).  Auf  dieser,  meist  kegelförmig  zugespitzten 
Warze,  haftet  der  breite  Theil  der  Haarwurzel,  von  Henle  Haar- 
knopf, sonst  Haarzwiebel  genannt.  Er  besteht  an  seinem  un- 
tersten, von  der  Haarwarze  napfförmig  eingedrückten  Ende,  aus 
einer  Schichte  frischer,  kernhaltiger  Zellen,  von  welchen  die  äusser- 
sten  sich  spindelförmig  verlängern,  und  der  Länge  des  Haares  nach 
zu  Fasern  an  einander  reihen,  welche  die  Rinde  des  Haarschaftes 
bilden,  während  die  inneren  Zellen  durch  ihre  Uebereinanderlage- 
rung,  die  bis  gegen  die  Spitze  des  Schaftes  aufsteigt,  das  soge- 
nannte Haar  mark  erzeugen.  Das  Haarmark  vindicirt  sich  ungefähr 
den  vierten  Theil  der  Dicke  des  Haarschaftes,  lässt  sich  jedoch 
nicht  an  allen  Haaren  mikroskopisch  erkennen.  Es  fehlt  an  den 
Wollhaaren,  an  den  Haaren  der  Kinder  bis  zum  sechsten  Lebens- 
jahre (Falck),  und  an  der  Spitze  aller  Haare  überhaupt.  Die  Zellen 
des  Markes  werden  jedoch  erst  nach  Behandlung  mit  caustischem 
Natron  sichtbar.  Ohne  diese  erscheint  das  Mark  als  ein  bei  auffal- 
lendem Lichte  glänzender,  bei  durchgehendem  Lichte  dunkler  und 
kömiger  Streifen.  Das  Mark  enthält  immer  Luft,  welche  sich  so- 
wohl in  den  Zellen  des  Markes,  neben  dem  Fett  und  Pigment  des- 
selben, als  auch  zwischen  denselben  aufhält.  Duixh  Einweichen  und 


g.  Jll.    Haare.  527 

Kochen  lässt  sich  der  Luftgehalt  des  Haai*markes  austreiben.  —  Die 
Oberfläche  des  Haarschaftes  ist  mit  einem  zarten  Oberhäutchen  um- 
geben, welches  sich  durch  Behandlung  mit  Alkalien  in  grösseren 
oder  kleineren  Lamellen  ablöst,  und  in  seine  Elemente  zerßlllt,  welche 
platte,  viereckige,  kernlose  Schüppchen  darstellen. 

Die  Rinde  des  Haarschaftes  zeigt  bei  passender  Vergrösserung  eine  Menge 
dunkler  Fleckchen  und  Streifen,  deren  Gegenwart  die  Untersuchung  des  Haar- 
markes sehr  erschwert.  Sie  rühren  theils  von  kömigem  Pigment  her,  welches 
in  den  spindelförmigen  Zellen  der  Binde  abgelagert  wird,  theils  sind  sie  luft- 
erfUllte  Hohlräume  oder  Ritzen  zwischen  den  Zellen. 

Die  tiefe  und  die  oberflächliche  Schichte  der  Epidermis  stülpt  sich  durch 
die  AustrittsöflTnung  des  Haares  in  den  Haarbalg  hinein,  und  bildet  sofort  eine 
doppelte  Scheide  für  die  Wurzel.  Die  tiefe  Epidermisschichte,  in  ihrer  Bezie- 
hung zur  Haarwurzel,  äussere  Wurzclscheide  genannt,  setzt  sich  in  die,  die 
Haarwarze  unmittelbar  deckende  ZoUcuschichte  des  Haarkuopfes  fort.  Die  ober- 
flächliche Epidermisschichte,  oder  innere  Wurzelscheide  des  Haares,  reicht 
nicht  so  weit  herab,  und  liegt  dicht  an  der  Haarwurzel  an,  an  welcher  sie  beim 
Ausreissen  des  Haares  in  Stückchen  hängen  bleiben  kann.  —  Kölliker  hat  im 
Haarbalge  selbst  zwei  Faserschichten  nachgewiesen,  deren  äussere  aus  longitudi- 
nalen,  deren  innere  aus  queren  Fasern  mit  spindelförmigen  Kernen  besteht.  Nur 
die  äussere  Faserschicht  enthält  Blutgefässe  und  Nerven.  Letztere  lassen  deut- 
liche Theilungen  ihrer  Primitivfasem  erkennen. 

Die  Schüppchen  der  Oberhaut  des  Haarschaftes  decken  sich  einander 
dachziegelförmig  so,  dass  die  der  Wurzel  näheren  Schüppchen  sich  über  die  ent- 
fernteren legen.  Sie  kehren  sich  bei  Befeuchten  des  Haares  mit  Schwefelsäure 
vom  Haarschaft  ab,  wodurch  dieser  ästig  oder  filzig  wird.  Auch  durch  Streichen 
eines  Haares  von  der  Spitze  gegen  die  Wurzel,  werden  die  Schüppchen  des 
Haarschaftes  stärker  abstehend,  und  durch  Schaben  in  dieser  Richtung  völlig 
abgestreift 

Der  Durchmesser  des  Haarschaftes  vergrössert  sich  von  0,005'"  (feines 
Wollhaar  aus  dem  Gesichte  eines  Mädchens)  bis  0,06'"  (Basis  eines  Wimper- 
haares des  Augenlides).  Die  Richtung  des  Haares  steht  nie  senkrecht  auf  der 
Hautoberfläche.  An  feinen  Durchschnitten  gehärteter  Cutis  sieht  man,  dass  auch 
die  Haarbälge  schief  gegen  die  Cutis  streben.  Im  Allgemeinen  sind  die  Haare 
einer  Gegend  gegen  die  stärkeren  Knochenvorragungen  gerichtet  (Olekranon, 
Orista  tifAae,  Rückgrat),  und  stehen  in  Linien,  welche  nie  gerade,  sondern  ge- 
bogen, und  auf  beiden  Körperseiten  symmetrisch  verlaufen,  und  zusammen  jene 
Figuren  bilden,  welche  von  Esc  bricht  {Müller' 8  Archiv,  1837)  als  Haarströme 
oder  Haarwirbel  beschrieben  wurden.  Man  unterscheidet,  nach  der  Richtung 
der  Haare,  convergirende  und  divergirende  Haarwirbel.  Nach  Withof 
standen  bei  einem  massig  behaarten  Manne  auf  Vi  Quadratzoll  Haut,  am  Scheitel 
293,  am  Kinne  39,  an  der  Scham  34,  am  Vorderarme  23,  an  der  vorderen 
Seite   des  Schenkels  nur  13  Haare. 

Die  Menscheuhaare  scheinen  einem  ähnlichen,  wenn  auch  nicht  so  regel- 
mässig erfolgenden,  periodischen  Wechsel  zu  unterliegen,  wie  er  bei  Thieren  als 
Hären  und  Mausern  bekannt  ist  Die  Wahrschoinlichkeitsgründe  dafür   liegen 

1.  in  der  Gegenwart  junger  Ersatzhaare  zwischen  den  reifen  und  abzustossenden, 

2.  in  dem  nie  fehlenden  Vorkommen  ausgefallener  Haare  zwischen  den  noch  fest- 
stehenden, 3.  in  dem  Umstände,  dass  zwischen  Haaren,  welche  man  regelmässig 
und  in  kurzen  Zwischenräumen  zu  stutzen  pflegt  (militärischer  Backen-  und 
Schnurbart)  und  welche  deshalb  die  Spuren  der  Scheerenwirkung  an  ihren  Spitzen 


f)28  §•  212-  Phy^ikaIische  und  physiologische  Kigcnschafton  dor  Haare. 

zci<;eii,  iiiimur  einzelne  dünnere  Ifnare  vorkommen,  deren  Spitzen  vollkomineii 
unversehrt  sind.  Die  KrA<itzlia«irc  entstehen  in  den  Taschen  der  ausj^ehendeii, 
aber  niclit  der  aiisgcj^angcnen.  Kasiren  nimmt  zwar  den  Bart,  befördert  aber  auch 
zugleich  sein  Wachsthum.  Ein  Mensch,  welcher  sich  täglich  rasirt,  hat  bin- 
nen Jahresfrist  das  Doppelte  der  Haarlänge  eines  anderen  erzeugt,  welcher  sich 
nur  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  rasirte. 

lieber  den  Haarwechsel  bei  Mensch^'u  und  Thieren  handelt  ausführlich 
und  gründlich  C  Lainjcr^  im  1.  Band  der  Denkschriften  der  kais.  Akad.  der 
Wissensch.  Wien,  1849. 

Zur  mikroskopischen  Untersuchung  der  Haare  wählt  man  am  zweckmässig- 
steu  weisse  Haare.  Längenschnittc  derselben  bereitet  man  sich  durch  vorsich- 
tiges Schaben  des  Haares.  Querschnitte  der  eigenen  Haare  erhält  man  am 
schönsten,  wenn  man  sich  in  kurzer  Zeit  zweimal  rasirt.  Befeuchtung  der  Haar- 
schnitte mit  verdünnten  Alkalien  oder  Säuren  erleichtert  wesentlich  die  Erkennt- 
niss  der  Structur  der  verhornten  Haarbestandtlieile. 


§.  212.  Physikalische  und  physiologische  Eigenschaften 

der  Haare. 

Die  Suhötaijz  des  Haares  stin^int  uiit  jener  (h^r  Epidermis 
tiberein,  und  besitzt  dieselben  physiselien  Eigensehaften.  Dfis  Haar 
vereinigt  einen  holien  Grad  von  Festigkeit  mit  Biegsamkeit  und 
Elastieität,  und  nimmt,  wie  immer  gebogen,  seine  normale  Richtung 
leicht  wieder  an.  Ein  dickes  Haupthaar  trägt  ein  Gewicht  von  drei 
bis  fünf  Loth,  ohne  zu  zerreissen,  und  lässt  sich,  bevor  es  entzwei 
geht,  um  ein  Drittel  seiner  Länge  ausdehnen.  Trock-ene  Haare 
werden  durch  Reiben  elektrisch,  und  können  selbst  Funken  sprühen. 
Von  Katzen  und  Rappen  ist  dieses  vielfältig  bekannt  geworden, 
und  die  Entwicklung  der  P^lektrieität  im  Harzkueben,  der  mit  einem 
Fuchsschwänze  gepeitscht  wird,  gehört  auch  hieher.  Die  hygro- 
skopische Eigenschaft  der  Haare  wurde  in  der  Physik  zu  Feuch- 
tigkeitsmessern benutzt,  und  Saussure  fand  selbst  das  Mumien- 
haar noch  hygroskopisch.  Das  fette  Oel,  welches  die  Haare  von 
den  Talgdrüsen  erhalten,  und  welches  ihnen  ihren  Glanz  und  ihre 
Geschmeidigkeit  giebt,  beeinträchtigt  die  Empfänglichkeit  der  Haare 
gegen  Feuchtigkeitsänderungen,  und  muss  durch  Kochen  in  Lauge 
oder  durch  Aethcr  entfernt  werden,  um  ein  Hiuir  als  Hygrometer 
zu  verwenden.  Das  Haar  widersteht,  wie  die  übrigen  Horngebilde 
der  Haut,  der  Fäulniss  ausserordentlich  lange,  löst  sich  aber  im 
Papinianischen  Digestor  auf,  schmilzt  beim  Erhitzen,  verbrennt  mit 
Horngeruch,  und  hinterlässt  eine  Asche,  welche  Eisen-  und  Man- 
ganoxyd, Kiesel-  und  Kalksalze  enthält. 

Die  Farbe  des  Haares  durchläuft  alle  Nuancen  vom  Schuecweiss  bis  Pech- 
schwarz. Bei  Arbeitern  in  Kupfergruben  hat  man  grüne  Haare  gesehen.  Die 
Haarfarbe  steht  mit  der  Farbe  der  Haut  in  einer,  wenn  auch  nicht  absoluten 
Beziehung,  und  erhält  nur  bei  einem  Säugethiere  —  dem  Cap*schen  Maulwurf  — 


$.  212.   Physikaliscbe  und  physiologische  Eigenschaften  der  Haare.  529 

metallischen  Irisschimmer.  Die  Pigmentirung  der  Zellen  und  Zellonkerne  im 
Haare  bedingt  die  Haarfarbe.  Gelblich  weiss  erscheinen  die  Haare  bei  den 
Kakerlaken  (Leucaelhiopes^  Dondos,  Bla/ards)  wegen  Mangel  des  Pigments.  Rothe 
Haare  enthalten  m,ehr  Schwefel,  als  andere,  und  ändern  deshalb  ilire  Farbe  durch 
Bleisalben,  selbst  durch  den  Gebrauch  bleierner  Kämme.  —  Dass  das  Haar,  so 
wenig  wie  Oberhaut  und  Nagel,  als  ein  abgestorbener  Ejectionsstoff  der  Haut 
angesehen  werden  könne,  beweisen  die  mit  der  Vitalität  der  Haut  übereinstim- 
menden und  durch  sie  bedingten  Lebenszustände  des  Haares.  He  nie  bemerkt: 
„das  Verhalten  der  Haare  ist  ein  Hilfsmittel  der  Diagnose;  —  sie  sind  weich 
und  glänzend  bei  turgescirender,  duftender  Haut;  trocken,  spröde,  und  struppig 
bei  Collapsus  der  Körperoberfläche. "  Das  plötzliche,  in  wenig  Stunden  erfolgte 
Ergrauen  der  Haare  durch  Angst,  Schreck,  oder  Verzweiflung  (Thom.  Morus, 
Marie  Antoinette),  kann  durch  eine  Umstimmung  der  lebendigen  Thätigkeit 
im  Haare,  vielleicht  auch  durch  die  chemische  Einwirkung  eines  in  der  Haut- 
transpiration enthaltenen  unbekannten  Stoffes  bewirkt  werden.  Auch  das  Fest- 
werden mit  der  Wurzel  ausgezogener  und  auf  ein  zweites  Individuum  verpflanz- 
ter Haare  spricht  für  eine  lebendige  Thätigkeit  im  Haare.  Das  Fortwachsen  der 
Haare  an  Leichen  erklärt  sich  vielleicht  nur  aus  dem  Einfallen  und  Schrumpfen 
der  Hautdecken,  wodurch  die  Haarstoppel  vorragender  werden,  oder  aus  dem 
Rigor  der  organischen  Muskelfasern  der  Haarbälge,  welcher  den  Haartaschen- 
boden hebt,  und  somit  die  Spitze  des  rasirten  Haares  aus  der  Cutis  hervordrän- 
gen wird.  —  Bei  Operationen  an  behaarten  Stellen,  müssen  die  Haare  vorläufig 
abrasirt  werden,  da  ihre  Gegenwart  die  reine  Schnittführung  erschwert,  einzelne 
Haare,  welche  zwischen  den  Wundrändern  liegen,  ihre  schnelle  Vereinigung  hin- 
dern, und  die  Verklebung  der  Haare  mit  den  ange\vandten  Heftpflastern,  das 
Wechseln  des  Verbandes  schmerzhaft  macht. 

Die  physiologische  Bedeutung  der  Haare  ist  nichts  weniger  als  klar.  Als 
mechanisches  Schutzmittel  können  sie  nur  bei  den  Thieren  gelten,  deren  obere 
Körperseito  in  der  Regel  stärker  behaart  ist  als  die  untere.  Der  Nutzen  der 
Borsten-  und  Wollhaare  ist  nicht  zu  verkennen.  Die  Spürhaaro  übernehmen  die 
Rolle  von  Tastorganen,  und  auch  der  Mensch  fühlt  die  Bewegungen  eines  feinen 
Körpers,  z.  B.  einer  Nadelspitze,  welche,  ohne  die  Haut  zu  berühren,  blos  an 
den  Flaumenhaareu  der  Wange  vorbeistreift.  Als  natürliches  Schönheitsmittel 
erfreuen  sich  die  Haare  einer  besonderen  Pflege  bei  allen  gebildeten  und  unge- 
bildeten Nationen,  insonderheit  den  Frauen,  und  man  ist  darauf  bedacht,  den 
Verlust  derselben  durch  die  Kunst  zu  verbergen.  Der  buschige  Reiz  eines  wohl- 
bestellten Backenbartes,  die  Bürste  des  Schnurbartes,  der  Vollbart  des  Capu- 
ciners  und  des  Demokraten  haben  auch  im  starken  Geschlechte  enthusiastische 
Verehrer,  weil  sie  seU)st  nichtssagenden  Gesichtern  einen  gewissen  Ausdnick  geben. 
Ein  schönes  Haar  ist  eine  wahre  Zierde  des  menschlichen  Hauptes,  wenn  dieses 
nicht  hässlich  ist.  Scheren  des  Kopfes  war  im  Mittelalter  mitunter  Strafe  der 
Prostitution,  und  bei  den  alten  Deutschen  wurde  nach  Tacitus  den  Ehebreche- 
rinnen das  Haupthaar  abgeschnitten;  eine  jedenfalls  mildere  Strafe,  als  das  in 
Scandinavien  über  beide  Schuldige  verhängte  Zusammenpfählen  auf  einem  Haufen 
von  Dorngestrüpp.  —  Das  Keimen  der  Scham-  und  Antlitzhaare  kündiget  als 
Vorbote  den  erwachenden  Geschlechtstrieb  an.  Warum  die  Frauen  keinen  Bart 
bekämen,  erklärt  das  Alterthum:  „J/arcw  omal  Larha,  quam  oh  gravitatem  natura 
conceasit  /  feniinis  eam  negavit,  qucu  ad  auavitatem  magis,  quam  ad  gravitatem  fac- 
tos  esse  voluit.* 


Ryrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  34 


530  t  ^13*  Unterhautbinclegewebe. 


§.  213.  TJnterhautbindegewebe. 

Das  Unterhautbindegewebe  —  Textur  cellulosus subcutanetis 
—  ist  eine  dehnbare,  aus  Bindegewebsfaserbündeln  und  elastischen 
Fasern  gebildete  Unterlage  der  Haut,  welche  die  Verbindung  der 
Haut  mit  den  unterliegenden  Gebilden  vermittelt.  Es  geleitet  die 
Geßlsse  und  Nerven  von  der  Tiefe  aus  zur  inneren  Hautoberfläche, 
und  gestattet  der  Haut  eine  gewisse  Verschiebbarkeit,  die  mit  sei- 
ner Dichtheit  im  umgekehrten  Verhältnisse  steht.  Seine  faserigen 
Elemente  kreuzen  sich,  bilden  eckige  Maschen  oder  Lücken,  welche 
unter  einander  communiciren.  Diese  Maschen  nehmen  unter  beson- 
deren Umständen  Fettcysten  auf,  wodurch  das  subcutane  Binde- 
gewebe sich  zu  einer  mächtigen  Schichte  auftreibt,  und  bei  grossem 
Embonpoint  eine  Höhe  von  1" — 2"  und  darüber  erreicht.  In  diesem 
mit  Fett  geschwängerten  Zustande  wird  das  subcutane  Bindegewebe 
auch  Fett  haut  {Panniculus  adiposus)  genannt. 

Die  Structur  des  Fettes  (§.  25)  bleibt  sich  an  den  verschiedensten  Körper- 
steilen  gleich.  Wo  immer  Bindegewebe  in  grösseren  Lagern  vorkommt,  kann 
Fettentwicklung  stattfinden,  welche  durch  fettreiche  Nahrung  bei  Körper-  und 
GemÜthsruhe  begünstigt  wird,  bei  Weibern  und  Kindern  häufiger  als  bei  Män- 
nern vorkommt,  und  so  überhand  nehmen  kann,  dass  das  Fett  andere  organische 
Gewebe,  besonders  Muskeln,  verdrängt,  sie  durch  fettige  Umwandlung  zum 
Schwinden  bringt,  und  jene  üppige  Beleibtheit  erzeugt,  die  man  bei  den  Thieren 
absichtlich  durch  Mästung  erzielt,  beim  Menschen  als  Krankheit  ansieht.  —  Bei 
den  Mauren  gilt  grosse  Fettleibigkeit  einer  Frau  für  grosse  Schönheit,  und  bei 
den  Kelowi,  im  Lande  Air  in  Centralafrica,  muss  eine  tadellose  Frauenschönlieit 
das  Gewicht  und  den  Umfang  eines  Kameeis  besitzen,  welches  denn  auch  durch 
einen  mit  grosser  Beharrlichkeit  durchgeführten  Mästungsprocess  angestrebt  wird 
(Ule,  neueste  Entdeckungsreisen). 

Das  Unterhautbindegewebe  des  männlichen  Gliedes,  des  Hodensackes,  der 
Augenlider,  der  Nase  und  der  Ohrmuschel,  bleibt  immer  fettlos. 

Es  muss  befremden,  dass  das  weiche  Fett  an  jenen  Stellen,  welche  star- 
ken und  anhaltenden  Druck  aushalten,  wie  das  Gesäss  und  die  Fusssohle,  nicht 
zum  Weichen  gebracht,  oder  aus  seinen  Bläschen  herausgedrückt  wird.  Die 
Stärke  der  Wand  der  Fettcysten  und  der  sie  umschli^ssenden  Bindogewebs- 
maschen,  so  wie  der  Umstand,  dass  Fett,  in  feuchte  Häute  eingeschlossen,  selbst 
bei  hohem  Drucke  nicht  durch  die  Poren  derselben  entweicht,  erklärt  dieses 
Verhalten.  Ob,  wenn  das  Fett  bei  Abmagerung  schwindet,  auch  die  Fettbläschon 
resorbirt  werden,  ist  noch  nicht  entschieden.  Nach  meinen  Erfahrungen  bleibt 
das  leere  Häutchen  der  Fettbläschen  zurück.  —  Die  Armuth  an  Blutgefässen, 
der  Nervenmangel,  und  die  dadurch  gegebene  geringe  Vitalität  des  Fettes  sind 
der  Grund,  warum  Operationen  im  Panniculu«  ctdipomis  wenig  schmerzhaft  sind, 
Wunden  desselben  wenig  Tendenz  zur  schnellen  Vereinigung  haben,  und  die 
Vernarbung  äusserst  träge  erfolgt.  Die  unglücklichen  Resultate  des  Steinschnittes 
und  der  Amputationen  bei  fetten  Personen  sind  allen  Wundärzten  bekannt,  und 
die  Beobachtung  am  Krankenbette  lehrt,  dass  bei  allen  grösseren  Wunden 
das  Fett  der  Schnittflächen  früher  resorbirt  werden  muss,  bevor  die  Vernarbung 
erfolgt. 


|.  214.   Aenssere  Nase.  531 

Die  CommuDication  der  Bindegewebsräume  im  Textus  cellulosits  subcutaneusj 
erklärt  die  leichte  Verbreitung  von  Luft  im  Bindegewebe  bei  Emphysemen,  von 
Blut-)  Eiter-  und  Jaucheergüssen,  und  das  Zuströmen  des  Wassers  zu  den  tiefsten 
Körperstellen  bei  allgemeiner  Wassersucht. 


B.  Geruchorgan. 

§.  214.  Aeussere  Nase. 

Die  äussere  Nase  bildet  das  Vorhaus  des  Geruchorgans,  und 
besteht,  nebst  seiner  unbeweglichen,  durch  die  Nasenbeine  und  die 
Stimfortsätze  der  Oberkiefer  gebildeten  Grundlage,  aus  einem  un- 
paaren  und  unbeweglichen,  und  zwei  paarigen,  beweglichen  Knor- 
peln, welche  durch  ihre,  bei  verschiedenen  Menschen  sehr  ver- 
schiedene Form,  die  zahllosen  individuellen  Verschiedenheiten  des 
Nasenvorsprungs,  vom  Stumpfnäschen  bis  zur  Pfundnase,  begründen, 
deren  Werth  für  die  Physiognomik  grösser  sein  mag,  als  für  die  Ver- 
richtungen dieses  Sinnesorganes.  Alle  Nasenknorpel  sind  keine 
echten  Hyalinknorpel,  sondern  Faserknorpel. 

Der  unpaare  Nasenscheidewandknorpel,  Septum  cartt- 
lagineum  8.  Cartilago  quadrangularis ,  bildet  den  vorderen  Theil  der 
Nasenscheidewand,  deren  hinterer,  knöcherner,  durch  das  Pflug- 
scharbein und  die  senkrechte  Siebbeinplatte  gegeben  ist.  Er  hat 
eine  ungleich  vierseitige  Gestalt,  und  ist  mit  seinem  hinteren  Win- 
kel in  den  zwischen  der  senkrechten  Siebbeinplatte  und  dem  Vomer 
übriggelassenen  einspringenden  Winkel  fest  eingelassen.  Sein  hin- 
terer oberer  Rand  passt  somit  auf  den  unteren  Rand  der  senk- 
rechten Siebbeinplatte,  sein  hinterer  unterer  an  den  vorderen  Rand 
des  Vomer.  Sein  vorderer  oberer  Rand  liegt  in  der  Verlängerung 
des  knöchernen  Nasenrückens,  und  sein  vorderer  unterer  ist  frei, 
geht  aber  nicht  bis  zum  unteren  Rande  der  die  beiden  Nasenlöcher 
trennenden ,  und  blos  durch  das  Integument  gebildeten  Scheide- 
wand (Septum  membranaceum)  herab.  Wenn  man  Daumen  und 
Zeigefinger  einer  Hand  in  beide  Nasenlöcher  einführt,  und  das 
Septum  membranaceum  nach  rechts  und  links  biegt,  fühlt  man  den 
freien  Rand  des  Scheidewandknorpels  ganz  deutlich. 

Im  Embryo  ist  die  ganze  Nasenscheidewand  knorpelig.  Das  Pflugschar- 
bein entsteht  zu  beiden  Seiten  des  hinteren  Abschnittes  dieses  Knorpels ,  und 
wird  somit  aus  zwei  Platten  bestehen,  zwischen  welchen  der  ursprüngliche  Nasen- 
scheidewandknorpel  noch  existirt  Dieser  Knorpel  schwindet  erst  spät  mit  der 
vollständigen  Entwicklung  des  Pflugscharbeins.  So  lange  er  existirt,  findet  sich 
zwischen  dem  oberen  Rande  des  Vomer  und  der  unteren  Fläche  des  Keilbeins 
ein  Loch,  durch  welches  ein  Ast  der  Arieria  pharyngea  zum  Knorpel  gelangt,  um 
ihm  die  zu  seinem  W*a1  iiem.  Der  Nasenschelde- 


532  $•  Sl^-    AottBsere  Vase. 

wandknorpo]  des  Erwachsenen  muss  somit  als  der  nicht  verknöchernde  Hest  der 
embryonischen  knorpeligen  Nasenscheidewand  angesehen  werden. 

Die  paarigen  dreieckigen  oder  Seitenwandknorpel 
der  Nase,  Cartilagines  trianguläres  s.  laterales j  liegen  in  den  ver- 
längerten Ebenen  beider  Nasenbeine.  Sie  grenzen  mit  ihren  oberen 
Rändern  aneinander,  und  verschmelzen  am  Nasenrücken  mit  dem 
Nasenscheidewandknorpel  so  innig,  dass  sie  mit  vollem  Rechte  als 
integrirende  Bestandtheile   desselben  genommen    werden    können. 

Die  paarigen  Nasenfltigelknorpel,  Cartilagines  alares  s, 
pinnales,  liegen  in  der  Substanz  der  oberen  Hälfte  der  Nasenflügel, 
deren  Form  sie  bestimmen.  Sie  reichen  also  nicht  bis  zum  Rande 
der  Nasenlöcher  herab,  welcher  blos  durch  das  verdickte  Integu- 
ment  gebildet  wird.  Sie  gehen  bis  zur  Nasenspitze  vor,  biegen 
sich  von  hier  nach  einwärts  um,  werden  schmäler  und  enden  im 
Septum  membranacetim  j  gewöhnlich  mit  einer  massigen  Verdickung. 
Sie  bilden  demnach  die  äussere,  und  den  vorderen  Theil  der  inneren 
Umrandung  der  Nasenlöcher,  welche  sie  offen  erhalten,  und  hängen 
mit  dem  unteren  Rande  der  dreieckigen  Nasenknorpel,  und  mit 
dem  Seitenrande  der  Incisnra  pyriformis  imriavi  durch  Bandmasse 
zusammen,  in  welcher  häufig  mehrere  kleinere,  rundliche,  oder 
eckige  Knorpelinseln,  die  Cartilagines  sesainoideae,  einge8j)rengt  liegen. 
Schneidet  man  zwischen  den  beiden  nach  innen  umgeschlagenen 
Theilen  der  Nasenflügelknorpel  senkrecht  ein,  so  kommt  man  auf 
den  vorderen,  unteren,  freien  Rand  des  viereckigen  Nasenscheide- 
wandknorpels. 

Die  äussere  Oberfläche  der  knorpeligen  Nase  wird  von  der 
allgemeinen  Decke  überzogen ,  welche  ziemlich  fest  durch  fettloses 
Bindegewebe  an  die  Knorpel  anhängt,  und  nicht  gefaltet  werden 
kann,  was  doch  auf  der  knöchernen  Nase  sehr  leicht  geschieht. 
Die  Haut  der  Nase  ist  reich  an  Talgdrüsen,  deren  gi'össte  Exem- 
plare, von  1,200'"  Länge,  in  der  Furche  hinter  dem  Nasenflügel 
münden.  Die  in  den  Nasenöffnungen  sichtbaren  Haare  (Vibrissae) 
sind  theils  nach  abwärts  gegen  die  Oberlippe,  theils  direct  gegen 
die  Nasenscheidewand  gerichtet,  und  werden  im  Alter  und  bei 
Männern  überhaupt  länger  als  bei  Weibern  gefunden.  Sie  wachsen 
sehr  rasch  nach,  wenn  sie  ausgezogen  werden.  Das  Thränen  der 
Augen  beim  Auszupfen  derselben  ist  ein  sprechender  Beleg  für  die 
Sympathie  der  Nasenschleimhaut  mit  der  Bindehaut  des  Auges. 

Die  Muskeln,  welche  auf  die  Bewegung  der  Nasenknorpel  Kinfluss  nehmen, 
wurden  schon  in  §.  158  abgehandelt 

Aeusserst  selten  steht  die  Nase  vollkomnien  symmetrisch-mcdian ;  —  eine 
Beobachtung,  die  von  jedem  Porträtmaler  bestätigt  werden  kann.  Am  öftesten 
weicht  sie  nach  links  ab.  Auch  das  Septum  iiarium  osaeum  et  cartilaginenm  biegt 
sich  nach  der  einen  oder  anderen  Seite,  wo  dann  die,  der  concaven  Fläche  der 
Krfimmung  entsprechende  Nasenmuschel,  sich  durch  Grösse  auszeichnet.  —  Sehr 


§.  215.    Nasenhöhle  and  Nasensohleimhant.  Ö33 

selten  kommt  ein  angeborenes  Loch  im  Scheidewandknorpel  vor,  welches  ich  nur 
dreimal,  von  der  Grösse  eines  Pfennigs,  beobachtete.  Es  wird  leicht  sein,  eine 
angeborene  Oeffnung  von  einem  vernarbten,  durchbohrenden,  syphilitischen  Ge- 
schwür, durch  die  im  ersteren  Falle  glatte  und  nicht  gezackte  Beschaffenheit  des 
Randes  zu  unterscheiden.  —  Huschke  beschrieb  zwei  neue  Nasenknorpel,  als 
%  Zoll  lange,  paarige,  knorpelige  Streifen,  welche  den  untersten  Theil  der  knor- 
peligen Scheidewand  ausmachen,  und  sich  vom  vorderen  Ende  des  Vomer  bis 
zur  Spina  nasalis  anterior  erstrecken.  Er  nannte  sie  Vomer  cartilagineus  dexter 
et  sinister  (Sömmerring^s  Eingeweidelehre). 


§.  215.  Uasenliölile  und'^Iaseiisclileiinhaut. 

Die  Nasenhöhle  wurde  bereits  in  der  Osteologie  abgehandelt. 
Es  erübrigt  somit  blos  die  anatomische  Betrachtung  der  Nasen- 
schleimhaut. 

Als  eigentliches  Organ  des  Geruchsinnes  functionirt  die  Schleim- 
haut der  Nasenhöhle,  Riechhaut,  Membrana  pituitaria  narium  s. 
Schneidein.  Sie  ist  eine  an  verschiedenen  Stellen  der  Nasenhöhle  ver- 
schieden dicke,  nerven-  und  geftlssrciche ,  aus  Bindegewebsfasern, 
mit  eingestreuten  zahlreichen  Kernen,  jedoch  ohne  irgend  eine  Bei- 
mischung elastischer  Fasern  bestehende  Membran,  welche  die  innere 
oder  freie  Oberfläche  der  die  Nasenhöhle  bildenden  Knochen  tiber- 
zieht, an  den  vorderen  Nasenlöchern  mit  der  Cutis  im  Zusammen- 
hange steht,  durch  die  hinteren  Nasenöffnungen  in  die  Schleimhaut 
des  Rachens  übergeht,  und  in  alle  Nebenhöhlen  eindringt,  welche 
mit  der  Nasenhöhle  in  Verbindung  stehen.  Die  in  ihr  eingetragenen 
Endigungen  der  Nervi  olfactorii  vermitteln  die  Geruchsempfindungen, 
während  die  gleichfalls  ihr  angehörenden  Nasaläste  des  Trigeminus 
blos  Tastgefühle  veranlassen.  Ihre  Dicke ,  ihr  Reichthum  an 
Drüsen,  Blutgefässen  und  Nerven,  ist  nur  in  der  eigentlichen  Nasen- 
höhle bedeutend.  In  den  Nebenhöhlen  verdünnt  sie  sich  auffallend, 
und  nimmt  vergleichungsweise  mehr  das  Ansehen  einer  serösen 
Haut  an,  behält  aber  noch  immer  eine  gewisse,  wenn  auch  unbe- 
deutende Anzahl  kleiner  Schleimdrüsen. 

Die  Nasenschleimhaut  besitzt  zwei  verschiedene  Arten  von  Drü- 
sen. In  der  unteren  Partie  der  Nasenhöhle,  wo  sich  der  Trigeminus 
verästelt  (Regio  respiratoria) j  finden  sich  acinöse  Schleimdrüschen; 
in  der  oberen  Partie,  wo  sich  der  Geruchnerv  verzweigt  (Regio 
olfactoria),  treten  lange,  gerade,  oder  an  ihren  Enden  leicht  gewun- 
dene, tubulöse  Drüsen  auf,  welche  von  Todd  und  Bowmann  ge- 
nauer untersucht  wurden. 

Die  Dicke  der  Nasenschleimhaat  verengt  den  Raum  der  knöchernen  Nasen- 
höhle bedeutend,   und  es  ist   leicht  möglich,    das«  bei  krankhafter   Loekemnip 
und  Aufschwellung  derselben,  wie  beim  Sehnapfen,  die  Waduu^^ 
höhle  für  die  zu  inspirirende  Luft  gansE   und  gwr  mir 


534  §•  815.   Nasenhöhle  und  Nftsensehleimhant. 

den  oberen  Regionen  der  Nasenhöhle,  im  Siebbeinlabyrinth,  so  wie  am  Boden 
der  Nasenhöhle  und  in  den  Nasengängen  dünner  angetroffen,  als  auf  der  mitt- 
leren und  untoron  Nasenmnschel  und  auf  der  Nasenscheidowand.  Am  dicksten 
aber  findet  man  die  Nasenschleimhaut  am  unteren  freien  Kand  der  unteren 
Nasenmuschel,  wo  sie  einen  weichen  und  schlotternden  Wulst  bildet. 

Die  Nasenschleimhaut  filhrt  in  der  Regio  olfactoi-ia  Cylinder- 
epithel,  in  der  Regio  rejipiratoria  Flimmerepithcl.  Letzteres  beginnt 
aber  erst  an  der  Incisura  pgnfoi'rtiis  narium.  An  der  inneren  Fläche 
der  paarigen  Nasenknorpel  findet  sich  nur  flimmerloses  Platten- 
epithel.  Das  Epithel  der  Nasenhöhle  hat  in  neuester  Zeit  sehr  sorg- 
fältige Untersuchungen  angeregt.  M.  Schnitze  behauptet,  gewisse 
Zellen  dieses  Epitheliums  mit  den  peripherischen  Enden  der  Geruch- 
nerven in  Zusammenhang  gesehen  zu  haben.  Es  soll  nämlich  das 
Epithel  der  Regio  olfactoria  aus  zwei  Arten  von  Zellen  bestehen. 
Die  eine  Art  erscheint  in  der  Form  von  langgestreckten  Oylinder- 
zellen,  welche  am  freien  Ende  keine  Flimmerhaare  tragen  und 
am  Basalende  in  feine  Fortsätze  auslaufen,  welche  in  keiner  Be- 
ziehung zu  den  Fasern  des  Riechnerven  stehen.  Sie  sind  wahre 
Epithelialzellen.  Die  zweite  Art  von  Zellen  ist  rundlich,  mit  zwei  in 
entgegengesetzten  Richtungen  abgehenden  Ausläufern.  Der  eine  endigt 
in  gleicher  Höhe  mit  dem  freien  Ende  der  übrigen  Epithelialzellen, 
mittelst  eines  (bei  Amphibien  und  Vögeln  wenigstens)  bewimperten 
Knöpfchens.'  Der  andere  setzt  sich  mit  den  Primitivfasem  des  Net*vus 
olfactoriua  in  Verbindung.  Mikroskopisches  und  chemisches  Ver- 
halten soll  diese  zweite  Art  von  Zellen  des  Nasenepithels  zu  wahren 
Nervenzellen  erheben,  und  in  ihnen  das  letzte  Ende  der  Riech- 
nervenfasern erkennen  lassen,  welches  sonach  mit  dem  eingeathmeten 
Luftstrom  in  unmittelbare  Berührung  kommt.  In  allen  Klassen  der 
Wirbelthiere  und  im  Menschen  sollen  übereinstimmende  Verhältnisse 
dieser  Zellen  sich  wiederholen,  welchen  Schnitze  den  Namen 
Riechzellen  beilegt.  Wie  aber  im  Gebiete  der  mikroskopischen 
Anatomie  des  Widerspruchs  kein  Ende  ist,  so  stiess  auch  die  Neu- 
heit dieser  Lehre  auf  mehr  Zweifel   als  Glauben,   und  erwartet  wie 

alles  Irdische  von  der  Zukunft  ihr  Schicksal.     Sene^cunt  rumores. 

Um  das  Gebiet  der  Nasenschleimhaut  als  Ganzes  zu  überschauen,  mö^e 
man  sich  die  in  §.  116  geschilderten  knöchernen  Wandungen  der  Nasenhöhle  in*s 
Gedächtniss  zurückrufen.  Da  nun  diese  Wandungen  als  bekannt  vorausgesetzt 
werdcUf  so  ist  über  die  Verbreitung  der  Nasenschicimhaut  nichts  weiter  zu  sagen. 
Die  Venennetze  der  Nasenschicimhaut  sind  sehr  ansehnlich,  besonders  am 
hinteren  Umfang  der  Muscheln.  Die  profusen  Nasenblutungen,  und  die  beim 
fliessenden  Schnupfen  so  copiösen  Absonderungsmengen,  werden  hiedurch  ver- 
stfindlich.  Auch  Iftsst  sich  aus  dem  Anschwellen  dieser  Netze  durch  Blutanhän- 
fung  erklären,  warum  man  häufig  durch  das  Nasenloch  jener  Seite,  auf  welcher 
man  im  Bette  liegt,  keine  Luft  hat  Stellenweise,  besonders  in  der  Regio  rtttpi- 
rcUoria,  sowie  an  der  Einmündung,  und  in  der  ganzen  Länge  des  Thränen- 
Nasenganges,  nehmen  diese  Veueunetzo  den  Charakter  eines  cavernösen  Gewebes 
zwischen  Schleim-  und  Beinhaut  an. 


$.  815.  Nasenhöhle  nnd  Nasenschleimhant.  535 

Die  Communication8ÖffDung:en  der  Nasenhöhle  für  die  Nebenhöhlen  werden, 
der  theil weise  über  sie  wegstreifenden  Schleimhaut  wegen,  im  frischen  Zustande 
bedeutend  kleiner  gefunden,  als  am  macerirten  Schädel.  Besonders  auffallend 
ist  dieses  bei  dem  Eingange  in  die  High  morshöhle,  welcher  in  der  Leiche  nur 
als  eine  V"  bis  V/2'"  weite  Spalte,  in  der  Mitte  des  Meatus  narium  medius  ge- 
sehen wird,  während  er  am  skeletirten  Kopfe  eine  weite,  zackige  Oeffnung  bildet 
—  Die  Nasenmündung  des  Thränen-Nasenganges  liegt  im  Meatus  narium  inferior 
in  einer  Bucht,  welche  dem  Ansätze  des  vorderen  Endes  der  unteren  Nasen- 
muschel an  die  Crista  des  Nasenfortsatzes  des  Oberkiefers  entsprfcht.  Die  Ent- 
fernung der  Nasenmündung  des  Thränennasengahges  vom  äusseren  Nasenloch 
beträgt  9  Linien.  Sie  bildet  eine  V/^"*  lange,  schmale,  fast  senkrecht  stehende 
Spalte. —  Hasner  (Prager  Vierteljahrsschrift  H.  Bd.  pag.  136,  sqq.)  hat  die,  von 
Morgagni  erwähnte,  halbmondförmige  Schleimhautfalte  an  der  Mündung  des 
Thränennasenganges  wieder  in  Anregung  gebracht.  Diese  Klappe  ist  so  gestellt, 
dass  sie  sich  durch  die  beim  Ausathmen  an  die  Wände  obiger  Bucht  anprallende 
Luft,  auf  die  Oeffnung  legen,  und  die  Thränenwege  luftdicht  von  der  Nasenhöhle 
absperren  soll.  Sie  erklärt  uns,  warum  man  durch  heftige  Ausathmensanstrengung 
bei  geschlossenen  Mund-  und  Nasenöffnnngen,  keine  Luft  aus  der  Nasenhöhle 
in  die  Thränenwege  treiben  kann.  Henle  läugnet,  gewiss  mit  Recht,  diese 
mechanische  Verwendung  der  Klappe. 

Nil  Stenson  (de  musculis  et  glandulis.  Amstcl.,  lCß4.  p.  37)  entdeckte 
eine  Commuiiication  der  Nasen-  mit  der  Mundschleimhaut,  in  Form  zweier  enger, 
häutiger  Gänjre,  welche  durch  die  knöchernen  Canalee  naso-palatinif  vom  Boden 
der  Nasenhöhle  zum  Gaumen  verlaufen.  Jacobson  (Annales  du  mus.  d'hist. 
nat.  Tom.  18)  und  Rosenthal  (Tiedemann  und  Trevivawi»^  Zeitschr.  für  Phvsiol. 
Tom.  H)  entrissen  diese  Entdecknng  der  Vergessenheit.  Nach  meinen  Beobach- 
tungen verhalten  sich  die  Stenson^schen  Kanäle  wie  folgt:  Einen  Zoll  hinter  der 
Spina  nasalis  anterior  liegt  beiderseits  von  der  Crista  naaalia  inferior  eine  läng- 
liche, mit  einem  Borstenhaar  zu  sondirende,  geschlitzte  Oeffnung,  welche  in  einen 
häutigen  Schlauch  geleitet,  der  schräg  nach  vom  läuft,  sich  durch  knorpel- 
artige Verdickung  seiner  Wand  trichterförmig  verengt,  durch  den  Canalis  naao- 
palatinu»  zum  harten  Gaumen  tritt,  und  sich  bald  mit  dem  der  anderen  Seite 
vereinigt,  bald  neben  ihm  auf  einer  Schleimhautpapille  ausmündet,  welche 
unmittelbar  hinter  den  oberen  Schneidezähnen  in  der  Medianlinie  des  harten 
Gaumens  steht.  Die  Weite  des  Kanals  ist  sehr  veränderlich,  und  nicht  durch 
seine  ganze  Länge,  welche  ungefähr  5'''  misst,  gleichbleibend.  Zuweilen  erweitert 
er  sich  vor  seiner  Ausmündung.  Der  Kanal  hat  keine  besondere  physiologische 
Bedeutung,  und  man  mag  es  als  sichergestellt  hinnehmen,  dass  er  die  auf  ein 
Minimum  reducirte  grosse  Communicationsöffnung  der  embryonischen  Nasen-  und 
Mundhöhle  sei.  Der  Kanal  wird  öfters  auch  als  Jacob son'sch es  Organ  er- 
wähnt, welche  Benennung  ihm  durchaus  nicht  zukommt,  da  das  von  Jacobson 
bei  mehreren  Säugethierordnungen  beschriebene,  räthselhafte  Organ,  beim  Men- 
schen spurlos  fehlt.  Es  besteht  aus  einem  paarigen,  am  Boden  der  Nasenhöhle, 
neben  der  Scheidewand  gelegenen,  langgezogen  birnförmigen,  von  einer  knorpe- 
ligen Kapsel  umschlossenen  Schleimhautsack,  der  sich  mit  feiner  Oeffnung  in  den 
Stenson'schen  Gang  seiner  Seite  öffnet  Beim  Schafe  mündet  das  Organ  neben 
den  Gaumenöffnungen  dieser  Gänge. 

Feuchtigkeit  der  Nasenschleimhaut  ist  ein  unerlässliches  Erforderniss  für 
die  Geruchswahrnehmung.  Hieraus  erklärt  sich  der  Reichthum  an  Blutgefässen 
und  Drüsen  in  dieser  Membran.  Nur  ein  krankhaftes  Uebermaass  von  Sohleim- 
absonderung  veranlasst  das  den  Thieren  and  Wilden  uobekaantet  ekakr  t« 

Schneuzen,  welches  weit  mehr  ttble  Gewohnbeiti  «la 


g36  i*  '^^   Ang^alider  und  Anfenbraaen. 

Bei  trockener  Naseii»chleimhaat,  wie  beim  Stockschnupfen,  geht  der  Geruch  ver- 
loren, und  Tiole  KC^rper  riechen  nur,  wenn  sie  befeuchtet  oder  angehaucht 
werden.  Da  d:^^  Riev'hstoÄe  nur  durch  das  Einathmen  in  die  Nasenhöhle  gebracht 
werden.  5v>  di<^n:  da»  i^rachorgan  zugleich  als  Atrium  reapircUionis,  und  giebt 
nn5  waru^mie  Kttndi^  über  mephitische  und  irrespirable  Gasarten.  Es  wäre  in- 
soti^m  iitcbt  utttKiut$«Qd,  die  Nasenhöhle  die  Athmungshöhle  des  Kopfes  zu  nennen. 
—  Verjtuvb^  bciSrn  e»  hinlünglich  constatirt,  dass  die  Schleimhaut  der  Neben- 
h^ShIea  tUr  i%ie'Hlch<^  unempfindlich  ist  Ich  habe  selbst  bei  einem  MKdchen, 
wvtchifd  an  it^ir^nf  amiri  Highmori  litt,  4  Tage  nach  gemachter  Function  der 
H^>hW^  durvk  tO  Tropfen  Acei.  arom,y  welche  durch  eine  Canüle  in  die  Höhle 
<Ntt^*^j^iu^h  wurden,  keine  Geruchsempfindung  entstehen  gesehen.  Deschamps 
d^  .V  )tab«r«i  iii«««lb«  Erfahrung  an  der  Stirnhöhle  gemacht.  —  Nur  in  der  Luft 
!»«,»(Hf«Uii:f«^  Ki«HrbstofFe  werden  gerochen.  Füllt  man  seine  eigene  Nasenhöhle  bei 
^«/<r^:«\^«itaWr  KQckenlage  mit  Wasser,  welches  mit  Eau  de  Cologne  versetzt  ist, 
*t^  «ml»l«^Kl  k«me  Geruchsempfindung. 


C  Sehorgan. 

I.  Schutz-  und  Hilfsapparate. 
§.  216.  Augenlider  und  Augenbrauen. 

Das  Wesentliche  am  Sehorgan  sind  die  beiden  Augäpfel, 
wolohe  beim  Sehen  wie  Ein  Organ  zusammenwirken.  Sie  werden 
nur  Aufreclithaltung  ihrer  so  oftmal  zufällig  von  aussen  bedrohten 
Kxistenz,  mit  Schutz-  und  Hilfsapparaten  umgeben,  welche  sie  theils 
pogon  äussere  mechanische  Beleidigungen  bis  auf  einen  gewissen 
Orad  hin  schirmen,  theils  ihrer  durch  allzu  grelles  Licht  bewirkten 
Ueberreizung  vorbauen:  Augenlider  und  Brauen,  —  oder  ihre  der 
Aussenwelt  zugewendete  durchsichtige  Vorderseite  abwaschen  und 
reinigen:  Thränenorgan,  —  oder  sie  in  die,  zum  Fixiren  der 
äusseren  Gesichtsobjecte  zweckmässige  Stellung  bringen:  Augen- 
muskeln. 

Zum  Abfegen  und  Reinigen  der  Augen  dienen  die  Augen- 
lider, Palpetn^de,  —  zwei  bewegliche,  durch  Faltung  des  Integu- 
ments  gebildete,  und  durch  einen  eingelagerten  Knorpel  gestützte 
Deckel  oder  Klappen,  welche  sich  vor  dem  Auge  bis  zum  Schlüsse 
der  Lidspalte  einander  nähern,  und  wieder  von  einander  entfc^rnen, 
das  Auge  dadurch  gewissermassen  abstreifen,  und  dadurch  zufällige, 
mechanische  Impedimrmfa  visujf  wegfegen,  aber  auch  die  für  den 
Glanz  und  die  Durchsichtigkeit  des  Aug(*s  nothwendige  Feuchtig- 
keit (Thränen)  gleichmässig  über  dasselbe  verbreiten.  Ihre  will- 
kürliche Bewegung  setzt  das  Sehen  unter  den  Einfluss  des  Willens. 
Die  zwischen  ihren  freien,  glatten  Rändern  offene  Querspalte,  Fis- 
ifura  8,  liima  palpebranim,  bildet  mit  ihren  beiden  Enden  die  Augen- 


§.  216.  Augenlider  and  Angenbranen.  537 

Winkel,  Canthij  von  welchen  der  äussere  spitzig  zuläuft,  der 
innere  abgerundet  oder  gebuchtet  erscheint.  Sogenannte  grosse 
Augen  sind  eigentlich  nur  grosse  Augenlidspalten,  durch  welche  man 
einen  grösseren  Theil  der  Augäpfel  übersieht,  und  letztere  deshalb 
für  grösser  hält,  als  sie  bei  kleinen  Lidspalten  erscheinen. 

Der  freie  Rand  des  oberen  Augenlids  ist  der  Länge  nach 
etwas  convex,  jener  des  unteren  entsprechend  concav.  Jeder  Rand 
hat  eine  gewisse  Breite,  und  zeigt  deshalb  eine  vordere  scharfe 
Kante,  wo  die  Wimperhaare  stehen,  und.  eine  hintere  stumpfere, 
mehr  abgerundete,  an  welcher  die  OefFnungen  der  Meibom'schen 
Drüsen  liegen.  Die  Wimperhaare  (Cäia)  sind  kurze,  steife,  im  obe- 
ren Augenlide  nach  oben,  im  unteren  nach  unten  gekrümmte  Haare, 
von  2'"  bis  4'"  Länge.  Am  oberen  Augenlid  sind  sie  länger  als 
am  unteren,  und  an  beiden  in  der  Mitte  der  Ränder  länger  als 
gegen  die  Enden  zu.  An  der  Bucht  des  inneren  Augenwinkels  fehlen 
sie.  Ihre  Wurzeln  liegen  längs  des  Saumes  der  Lidränder,  und 
werden  von  den  der  Lidspalte  nächsten  Bündeln  des  Musculus  dliaria 
überlagert.  Sie  unterliegen  einem  gewissen  Wechsel  durch  Ausfallen 
und  Wiedererzeugung,  und  man  findet  in  dem  Haarbalge  einer  alten 
Cilie,  die  junge  schon  bereit,  die  Stelle  derselben  einzunehmen, 
wenn  sie  durch  Ausfallen  erledigt  sein  wird. 

Die  Grundlage  jedes  Augenlids  bildet  ein  zellenarmer  Faser- 
knorpel (TarsiLs)j  welcher  der  vorderen  Augapfelfläche  entsprechend 
gewölbt  ist,  gegen  den  freien  Rand  des  Augenlids  sich  bis  0,6'" 
verdickt,  und  die  Form  und  Festigkeit  des  Lids  bestimmt.  Der 
Knorpel  des  oberen  Augenlids  übertrifft  jenen  des  unteren  an  Breite 
und  Steifheit.  Sie  werden  an  den  oberen  und  unteren  Margo  orhi- 
talis  durch  starke  fibröse  Membranen  befestigt  {Ligamentum  tarsi 
8tcperio7*i8  et  inferioins).  —  Der  innere  Augenwinkel  wird  überdies 
noch  durch  das  kurze  und  dicke  Ligamentum  canthi  intemum  an  den 
Stirnfortsatz  des  Oberkiefers,  —  der  äussere  Augenwinkel  durch 
das  viel  schwächere,  aber  breitere  Ligamentum  canthi  extemum  an 
die  Augenhöhlenfläche  des  Stimfortsatzes  des  Jochbeins  angeheftet 
Auf  der  vorderen  convexen  Fläche  des  Knorpels  liegt,  durch  eine 
dünne  Bindegewebsschichte  von  ihr  getrennt,  der  Musculus  ciliaris 
(§.  158.  B),  als  eigentlicher  Schliesser  der  Augenlider.  —  Das 
subcutane  Bindegewebe  der  Augenlider  ist  fettlos,  spärlich,  und  lax; 
die  Haut  selbst  dünn,  und  leicht  in  eine  Falte  aufzuheben. 

Auf  der  hinteren  concaven  Fläche  der  Augenlidknori^el  finden 
sich,  in  Grübchen  des  Knorpels  eingesenkt,  wohl  auch  ganz  von 
ihm  umschlossen,  die  Meibom 'sehen  Drüsen,  als  eine  besondere 
Art  von  Talgdrüsen.  Man  sieht  nämlich  an  der  hinteren  Kante  des 
freien  Lidrandes  (am  oberen  30—40,  am  unteren  25 — 35)  feine 
Oeffnungen^   welche  in  dünne^  durch  die  Bind        ■«  «»Uilidi  durch- 


I 

•< 


538  f.  217.  ConjnnetiTA. 

Bcheinonde  Drtisenscbläuche  von  verschiedener  Länge  fiihren,  auf 
welchen  längliche  Bläschen  (Acini)  in  »ziemlicher  Anzahl  aufsitzen. 
Drückt  man  ein  abgelöstes  oberes  Augenlid,  an  welchem  die  Drü- 
sen  grösser  sind  als  am  unteren,  am  Rande  mit  den  Fingernägeln, 
so  presst  man  den  Inhalt  der  Drüsen  als  einen  feinen  Talgfaden 
hervor.  Dieser  Talg  ist  das  Sehum  palpeh*ale  «.  Lemay  welches  im 
lebenden  Auge  den  Udrand  beölt,  um  das  Ueberfliessen  der  Thrä- 
ncn  zu  verhindern.  Lässt  man  ein  Augenlid  trocknen,  so  wird  das 
Sebum  der  Meibom'schen  Drüsen,  durch  das  Einschrumpfen  des 
Knorpels,  in  Fadenfomi  aus  den  betreffenden  Drüsen  Öffnungen  her- 
vorgopresst. 

Die  für  nb^cftcliIossiMi  gclialtcnc  Aiiatumie  der  Augenlider  hat  jünj^st  durch 
H.  Müller  eiiK»  hr»c]iflt  intere»8aiite  IJereicheninj?  erlebt,  indem  von  dem  ge- 
nannten, nni  die  mikroskopinehe  Anatomie  des  Auges  hoch  verdienten  und  einem 
thatenreicheu  Lehen  so  früh  entrissenen  Korscher  an  beiden  Augenlidern  ein 
System  organischer  Muskelfasern  entdeckt  wurde,  welche  sich  mit  longitudinaler 
Kichtung  an  die  Lidknorpel  inseriren,  und  die  Lidspalte  offen  erhalten.  Eino 
nwiflsenhafte  Anhäufung  organischer  Muskelfasern  füllt,  nach  Müller,  auch  die 
Fifuntra  orhital'ut  inferior  aus,  und  erinnert  an  die  Membrana  muscttlo-elaittica^ 
welche  bei  Säug(>.t}iier(;n  diese  Spalte  verschliesst  (Zeitschrift  für  wias.  Zool., 
und  Würzburger  Verhandlungen,  IX.  Rd.). 

Die  Augenbrauen,  SupercUta,  bilden  als  mehr  oder  weniger 
buschigbehaarte,  nach  oben  convexe  liegen,  die  Grenze  zwischen 
Stirn-  und  Augengegend.  Sie  erstrecken  sich  längs  dem  Margo 
Orbitalls  aupei-ior,  und  bestehen  aus  dicken,  kurzen,  schräg  nach 
aussen  gerichteten  Haaren,  welche  am  letzten  ergrauen.  Sie  be- 
schatten das  Auge,  und  dämmen  den  Stirnsch weiss  ab.  In  Japan 
ist  es  ein  Vorrecht  verheiratheter  Frauen,  sich  die  Brauen  auszu- 
nipfen,  und  die  Zähne  schwarz  zu  beizen.  Die  Aegyptier  rasirten 
ihre  Brauen  ab,  wenn  ihre  Hauskatze  starb. 

Die  äussere  Haut  der  Augenlider  ist,  ihrer  Zartheit  und  ihres  lockeren, 
immer  fettlosen  subcutanen  Bindegewebes  wegen,  sehr  zu  krankhaften  Ausdeh- 
nungen geneigt,  welche  durch  subcutane  Ergüsse  beim  Rothlauf,  bei  Wasser- 
suchten, und  nach  mechanischen  Verletzungen  durch  Blut  so  bedeutend  werden 
können,  dass  die  Augenlidspalte  dadurch  verschlossen  wird.  Selbst  bei  sonst  ge- 
sunden Individuen  höheren  Alters  bildet  die  Haut  des  unteren  Lides  zuweilen 
einen  mit  seröser  Flüssigkeit  inültrirten,  bläulich  gefärbten  Beutel,  der  durch 
eine  tiefe  Furche  von  der  Wange  abgegrenzt  wird. 

§.  217.  Conjimctiva. 

Die  allgemeine  Decke  schlägt  sich,  einer  gewöhnlich  üblichen 
Ausdrucksweise  zufolge,  mit  Umwandlung  ihrer  histologischen  Eigen- 
schaften, von  der  vorderen  Fläche  der  AugenUder  zur  hinteren  um, 
läuft  an  ihr,  den  Tarsusknorpel  überziehend,  bis  in  die  Nähe  des 
oberen  und  unteren  Margo  orbitalis,  und  biegt  sich  von  hier  neuer- 


§.  217.    ConjancÜTa.  539 

dings  zur  vorderen  Fläche  des  Augapfels  hin,  welcher  sie  sich  ge- 
nau anschmiegt.  Dieser  durch  die  Lidspalte  eingedrungene  Fortsatz 
der  Haut,  heisst  Bindehaut  (Ccnijunctiva) j  welche,  dem  Gesagten 
zufolge,  in  die  Conjunctiva  palpebrarum  und  Conjunctiva  bullt  unter- 
schieden wird.  Letztere  zerfilllt  wieder  in  die  Conjunctiva  sclerottcae 
und  Conjunctiva  corneae.  Die  Umschlagsstelle  der  Conjunctiva  pal- 
pebrae  zur  Conjunctiva  bulbi  nennt  man  Fmmix  coirfuncfivae.  Begreif- 
licher Weise  wird  jedes  Augenlid  seinen  eigenen  Foi^nix  conjunctivae 
besitzen. 

Die  Conjunctiva  palpebrarum  besitzt  ein  mehrfach  geschichtetes 
Epithelium,  so  wie  auch  an  der  Umbeugungsstelle  in  die  Conjunctiva 
bulbi  einfache,  und  traubig  aggregirte  Schleimdrüsen.  Unter  dem 
Epithelium  findet  sich  eine  dünne  structurlose  Schichte,  und  unter 
dieser  folgt  die  eigentliche  (^onjunctiva,  deren  histologische  Elemente 
dem  Bindegewebe  angehören..  Sie  hängt  an  die  innere  Fläche  der 
Tarsusknorpel  so  fest  an,  dass  sie  nicht  gefaltet  werden  kann,  imd 
besitzt,  vom  freien  Rande  des  Lids  bis  zum  Fornix  hin,  eine  Anzahl 
sehr  kleiner  Papillen  (Tastwärzchen),  welche  bei  gewissen  katarr- 
halischen Zuständen  der  Bindehaut  schon  mit  freiem  Auge  bemerk- 
bar sind,  und  theils  einzeln,  theils  in  Reihen  geordnet  stehen.  Man 
fasst  sie  zusammen  als   Corpus  papilläre  conjunctivae  auf. 

Die  Conjunctiva  bulbi  besteht  aus  denselben  histologischen  Ele- 
menten, wie  die  Conjunctiva  palpebrarum.  Sie  adhärirt  aber  nur  lose 
an  die  Sclerotica  des  Augapfels.  Sie  verliert  ihren  Geftissreichthum 
bis  auf  wenige,  von  den  Augenwinkeln  gegen  die  Hornhaut  strebende 
Gefässbüschel,  die  Schleimdrüsen  und  Papillen  schwinden,  und  auf 
der  Cornea  bleibt  nur  das  Epithel  der  Conjunctiva  und  die  unter 
diesem  befindliche  structurlose  Membran,  als  Bowmann's  anterior 
elastic  lamina,  übrig.  —  Bevor  die  Conjunctiva  scleroticae  in  die 
Conjunctiva  corneae  übergeht,  intumescirt  sie  zu  einem  V2'" — 1'" 
breiten,  mehr  weniger  erhabenen  Wulst,  den  sogenannten  Annulus 
conjunctivae. 

Am  inneren  Augenwinkel  faltet  sich  die  Conjunctiva  zu  einer 
senkrecht  gestellten,  mit  der  Concavität  nach  aussen  gerichteten 
Duplicatur,  der  Plica  aemilunaris  8.  Palpebra  tertia^  einer  Erinnerung 
an  die  Nick-  oder  Blinzhaut,  Membi^ana  nictitans,  der  Thiere.  Auf 
ihrer  vorderen  Fläche  liegt,  in  die  Bucht  des  inneren  Augenwinkels 
hineinragend,  ein  pyramidales  Häufchen  von  Talgdrüsen,  —  die 
Caruncula  laaymalis.  Das  Secret  derselben  ist  mit  jenem  der  Mei- 
bom'schen  Drüsen  identisch,  und  wird  zuweilen  in  solchen  Mengen 
abgesondert,  dass  es  die  Nacht  über  mit  dem  Schleim  der  Lider 
zu  einem  bröcklichen  Klümpchen  verhärtet,  welches  des  MorgenB 
mit  dem  Finger  aus  dem  inneren  Augenwinkel  weggeschiiffi^  ' 
Aus  den  Oeffnungen   der  TalgdrOsen  der  Canmenla  ▼* 


540  §.  218.  Thrinenorgane. 

kurze  und  feine,  immer  blonde  Härchen  hervor,  welche  nur  mit  der 
Lupe  gut  zu  sehen  sind. 

Das  geschichtete  Epithelium  der  ConjuncHva  palpebralü  besteht  in  der 
Tiefe  aus  Cylinderzellen ,  auf  welchen  eine  mittlere  Schichte  runder,  und  auf 
dieser  eine  oberflächliche  Schichte  polygonaler  Zellen  aufliegt.  An  der  Con- 
juUctiva  acUroticae  finden  sich  vorwaltend  polygonaTe  Zellen,  welche  auf  der 
Cornea  ein  dickes  facettirtes  Pflasterepithelium  bilden,  dessen  tiefere  Lagen  aus 
länglichen,  auf  der  Cornea  senkrechten,  die  oberflächlichen  aus  runden  und 
flachen  Zellen  zusammengesetzt  sind.  Nach  dem  Tode  fallen  die  Epithelialzellen 
der  Hornhaut  ab  (vielleicht  schon  im  Sterben  beim  Brechen  der  Augen),  die 
Hornhaut  verliert  ihren  Glanz,  und  wird  matt.  Auch  bei  gewissen  Augenkrank- 
heiten, wo  die  Cornea  wie  bestäubt  erscheint,  fallen  einzelne  Zellen  aus. 

Ueber  die  traubenförmigen  Drüsen  der  Conjunctiva,  welche  sich  im  Fomix 
eoiyunciivae  zu  8—20  vorfinden,  siehe  W,  Krause  in  Herders  und  Pfeuffei^a  Zeit- 
schrift, 1854.  p.  337.  Geschlossene  Follikel,  den  Peyer'schen  Drüsen  ähnlich, 
wurden  zuerst  von  Bruch  in  der  Conjunctiva  des  unteren  Augenlides  des  Rindes 
beobachtet,  von  Krause  auch  in  der  menschlichen  Conjunctiva  aufgefunden,  und 
von  Heule  Trachomdrüsen  benannt  (iCraiMe,  anatom.  Untersuchungen.  Han- 
nover, 1861.  p.  133). 

Die  Tast  Wärzchen  der  Conjunctiva  palpehrarum  vermitteln  das  Tast- 
gefühl der  Lider,  welches  durch  die  kleinsten  Staubtheilchen,  die  zwischen  Auge 
und  Augenlid  gerathen,  so  schmerzvoll  aufgeregt  wird.  —  Die  Umschlagsstellen 
der  Conjunctiva  paipebrae  zur  Conjunctiva  bulbi  schliessen  in  der  Regel  zwischen 
den  Vorragungen  ihrer  Wärzchen  die  fremden  Körper  ein,  welche  zufällig,  z.  B. 
bei  Schmieden  und  Steinmetzen  während  ihrer  Arbeit,  in*s  Auge  springen.  Lässt 
man  das  Auge  nach  auf-  oder  abwärt«  richten,  und  hebt  man  mittelst  der  Cilien 
das  untere  oder  obere  Lid  auf,  um  es  umzustürzen,  und  seine  innere  Fläche 
nach  aussen  zu  kehren,  so  kann  die  Umschlagsstelle  der  Conjunctiva  paipebrae 
zur  Conjunctiva  bulbi  leicht  gesehen  werden. 


§.  218.   Thränenorgane. 

Der  Thränenapparat  besteht  aus  den  Thränendrilsen,  und  aus 
complicirten  Ableitungswegen  der  Thränen  vom  Sehorgan  weg  in 
die  Nasenhöhle. 

Es  finden  sich  in  jeder  Augenhöhle  zwei  Thränendrüsen, 
Glandulae  lacrymales.  Beide  sind  jedoch  kaum  so  scharf  von  ein- 
ander abgegrenzt,  dass  man  sie  nicht  als  Einen  Drüsenkörper  be- 
trachten könnte.  Die  grössere  Thränendrüse  (Glandula  innominatn 
Galeni  der  Alten)  liegt  in  der  Grube  des  Processus  zygomaticus  des 
Stirnbeins,  wo  sie  durch  ein  kurzes,  aber  breites  fibröses  ßändchen 
suspendirt  wird;  —  die  untere  kleinere  (Glandula  laaynialis  acces- 
soria  Monroi)  liegt  dicht  vor  und  unter  ihr.  Beide  bestehen  aus 
rundlichen  Drüsenkörnem  {Achn),  welche  durch  Bindegewebe  zu 
einem  ziemlich  festen  Kuchen  zusammengehalten,  und  durch  eine 
gemeinschaftliche  I^indegewebshlllle  oberflächlich  überzogen  werden. 
Die   dem  Augapfel   zugewendete   Fläche   beider  Thränendrüsen   ist 


§.  SI6.    Thränenorgsoe.  541 

concav,  die  äussere  convex.  Die  obere  Thränendrüsc  überragt 
den  Augenhöhlenrand  gar  nicht;  —  die  untere  aber  so  wenig,  dass 
nach  Abtragung  des  Augenlids  nur  ihr  vorderer  Rand  gesehen 
wird.  Die  nicht  eben  leicht  zu  findenden  Ausführungsgänge  beider 
Thränendrüsen,  10  an  Zahl,  laufen  schräg  nach  innen  und  abwärts, 
durchbohren  über  dem  äusseren  Augenwinkel  die  Umbeugungs- 
stelle  der  Conjunctiva  des  oberen  Lids  {Fcnniix  conjunctivae  8upet*ior), 
wo  ihre  feinen  Oeffnungen  in  einer  nach  innen  concaven  Bogen- 
linie  stehen,  und  verbreiten  ihren  Inhalt  bei  den  Bewegungen  des 
Lids  an  der  vorderen  Fläche  des  Bulbus.  Einer  oder  zwei  von  den 
Ausführungsgängen  der  unteren  Thränendrüsc,  münden  in  den  Fomix 
conjunctivae  inferior ,  unterhalb  des  äusseren  Augenwinkels,  wodurch 
auch  die  vom  unteren  Augenlide  bedeckte  Fläche  des  Augapfels 
ihre  Befeuchtung  erhält. 

Die  über  die  vordere  Fläche  des  Augapfels  durch  die  Bewe- 
gungen der  Augenlider  verbreitete  Thränenflüssigkeit ,  wird  bei 
jedem  Schliessen  der  Lidspalte  gegen  den  inneren  Augenwinkel 
gedrängt.  Der  Weg,  welchen  sie  hierbei  nimmt,  soll  nach  veralteten 
Vorstellungen  ein  Kanal  sein,  welcher  im  Momente  des  Augen- 
schlusses zwischen  den  Lidrändern  und  der  vorderen  Fläche  des 
Bulbus  gebildet  wird,  —  der  Thränenbach  der  älteren  Autoren, 
Rivus  lacrymarum.  Dieser  Kanal  existirt  nicht.  Die  Thränen  wer- 
den vielmehr  durch  die  Fomices  conjunctivae  gegen  den  inneren 
Augenwinkel  geleitet.  Die  Fornices  werden  nämlich  beim  SchHessen 
der  Lider  so  gespannt,  dass  die  in  sie  ergossenen  Thränen  einen 
Druck  erleiden.  Die  Lidspalte  wird  aber  nicht  an  allen  Punkten 
ihrer  Länge  zugleich  geschlossen,  sondern  fortschreitend  vom  äusseren 
Augenwinkel  gegen  den  inneren.  Dadurch  werden  die  Thränen  be- 
stimmt, gegen  den  inneren  Augenwinkel,  als  das  punctum  minwis 
resistentiae,  zu  strömen.  Es  giebt  somit  zwei  Thränenbäche.  —  Der 
im  inneren  Augenwinkel,  zwischen  der  Bucht  des  Winkels,  der 
Plica  semilunaris  und  Cai-uncula  lacryinalia  befindliche  Raum,  heisst 
Thränensee,  Locus  laxyrymarum.  In  ihm  sammeln  sich  die  durch 
die  Thränenbäche  hieher  geleiteten  Thränen.  Nur  wenn  sie  im  Ueber- 
schusse  zuströmen,  kann  er  sie  nicht  halten,  und  lässt  sie  über  die 
Wange  ablaufen.  Bei  gewöhnlichen  Absonderungsmengen  aber  werden 
sie  durch  die  am  inneren  Ende  der  hinteren  Kante  des  Lidrandes 
liegenden,  kleinen,  etwas  traterförmig  aufgeworfenen  Oefi^nungen  — 
Thränenpunkte,  Puncta  lacrymalia  —  aufgesaugt.  Jedes  Augenlid 
hat  nur  ein  Punctum  lacrymale.  Beide  sind  am  eigenen  Auge  im 
Spiegel  leicht  zu  sehen,  wenn  man  die  Lider  vom  Augapfel  etwas 
abstehen  macht.  Das  untere  ist  meistens  grösser  als  das  obere. 
Beide  tauchen  sich  während  des  Schliessens  dei:  Aogenlide«*  " 
Thränensee    ein,  und   absorbiren   durch   einen   no<i 


542  §•  SIS*    Thr&nenorgtnfl. 

erforschten  Mechanismus  die  Thränenfeuchtigkeit.  Die  Thränenponkte 
geleiten  in   die   Thränenröhrchen    {Canaliculi  lacrymalea,  Corrm 
limacum).  Diese  ziemlich  dickhäutigen,  beim  Durchschnitt  klaffenden, 
nicht    zusammenfallenden,    durch    eine   in    die   Thränenpunkte  ein- 
dringende Fortsetzung   der   Conjunctiva   ausgekleideten   KanÜchen, 
zeigen  in  ihrem  Anfangsstück  noch  das  Lumen  der  Thränenpunkte, 
erweitem  sich  aber  dann,  und  ziehen  in  flachen  Eüreisbogen^  deren 
Mittelpunkt  in  der  Caruncula  liegt,  gegen  den  inneren  Augenwinkel, 
wo  sie  sich  in  die  äussere  Wand  des  Thränensacks  entweder  isolirt, 
oder  selten  zu  einem  kurzen  gemeinschaftUchen  Röhrchen  vereinigt, 
einsenken. 

Der  Thränensack,  Saccus  lacrymalis  8,  Dacryocyatis j  liegt  in 
der  Fossa  laci'ymalis  der  inneren  Augenhöhlenwand,  wird  vom  Liga- 
meiüum  paljyehrale  intermim  quer  gekreuzt,  und  an   seiner  äusseren , 
dem  Bulbus  zugekehrton  Fläche,  von  einer  fibrösen  Haut,  als  Fort- 
setzung der  Pei'imhitay  überzogen.     IY2  Linie   unter   seinem  oberen 
blindsackförmigen  Ende  münden  die  Canaliculi  lacrymales  ein.  Naeli 
abwärts  geht  er  in  den  häutigen  Thr^änennasengang  über,  wel- 
cher kaum  merklich  enger  als  der  Thränensack  ist,  und,  wie  beimn 
Geruchorgan  (§.  215)  bemerkt  wurde,  an  der  Seitenwand  des  unte- 
ren Nasenganges,  unter  dem  vorderen  zugespitzten  Ende  der  unte- 
ren Nasenmuschel,  ausmündet.     An  der  Grenze   zwischen  Thränex^- 
sack    und    Thränennasenkanal    erwähnen   Lecat    und   Malgaigim^ 
einer  niedrigen,   halbmondförmigen,    zuweilen   kreisrunden  Sehleincf 
hautfalte.     Thränensack    und    Thränennasengang    haben    zusammexi 
beiläufig  fünf  Viertel  Zoll  Länge. 

Der    untorc  Thräiienpiinkt    wird    seiner    grösseren    VV'eite    wegen    zu  Ei«»' 
sprit/iingcn  dem  oberen  vorgezogen.  —    Dass   bei  alten  Leuten  der  obere  Thri^'' 
uenpunkt  verwachse,  und  dadurch  Thraneuträufeln  entstehe,  glaabt  kein  AnatorO-- 
—  Die  in  älteren  Kupferwerken  geradlinig  convergent  abgebildeten  ThrÄnenröh «"" 
chcn,  veranlassten  den  sonderbaren  Namen  derselben,    als  Schnee  kenhörne  *"▼ 
Comna  /imacuvi.  —  Die  das  ganze  System  der  Thräncnwege  auskleidende  Schleiff'  ' 
haut,    welche  von  der  Conjunctiva   stammt,    und  in  die  NasenschltMmhant  übet^"* 
geht,  vermitttdt  eine  im  gesunden  und  kranken  Zustande  häufig  zu  heobAchtenc3>^ 
Sympathie  zwischen  der  Nasensclilcimhaut  und  der  Conjunctiva,  z.  B.  das  Ueb^  *" 
gehen   der  Augen  bei  scharfen  (»«'rüclien,    oder    bei   den  Erstlings  versuchen   d  ^^^ 
Tabakschnupfer.     In    allen    Thränenwcgen    findet    sich    nach  R.  Mayer  nur  ^ —  "** 
schichtetos  Cyliuderepithel. 

Den  sogenannten  Mu.9ciilii»  I/omcri  am  Thränensack  (Philadelphia  Joum^  ' *' 
1824.  Nov.  p.  9H),  betrachte  ich  als  einen  Autheil  des  Orhicufarijt  pafpebraru —  ■=* 
welcher  an  dt.r  ( 'rista  des  Thräncnbeins  und  zum  Theil  «luch  an  der  ausser 
Wand  des  Thränensacks  entspringt,  «juer  über  den  Thränensack  nach  vom  gel 
und  sich  in  zwei  IJündel  theilt,  weiche  die  zwei  Thränenröhrchen  einhüUf 
und  in  die  am  Augonlidrande  verlaufenden  Fasern  des  Sphincter  palpef*t 
übergehen.  Anden;  Autoren  lassen  seine  beiden  l^ündel  am  inneren  Ende  bci( 
Lidknorpel  enden,  welche  er  dieser  Vorstellung  zufolge  anspannt,  und  sonach 
Tensor  tarsi  Amt  und  Würde  erhält. 


$.  Sl9.  Angenmaskela.  543 


§.  219.  Augenmuskeln. 

Mit  Uebergehung  des  Schliessmuskels  der  Augenlider,  welcher 
bei  den  Gesichtsmuskeln  abgehandelt  wurde,  kommen  hier  nur  jene 
Muskeln  in  Betrachtung,  welche  in  der  Augenhöhle  liegen. 

Es  finden  sich  in  der  Augenhöhle  sieben  Muskeln.  Sechs 
davon  bewegen  den  Bulbus,  —  einer  das  obere  Augenlid.  Sechs 
Muskeln  des  Bulbus  genügen,  um  dem  Auge  die  Möglichkeit  zu 
gewähren,  sich  auf  jeden  Punkt  des  äusseren  Gesichtskreises  zu 
richten.  Je  zwei  gegenüber  liegende  Augenmuskeln  bewegen  das 
Auge  um  Eine  Axe.  Solcher  Axen  giebt  es  somit  drei.  Sie  stehen 
senkrecht  aufeinander.  Da,  wie  die  Mechanik  lehrt,  ein  um  drei 
aufeinander  senkrechte  Axen  drehbarer  Körper,  nach  jeder  Rich- 
tung gedreht  werden  kann,  so  müssen  wir  gestehen,  dass  die  all- 
seitige Beweglichkeit  des  Augapfels,  welche  zur  Beherrschung  des 
ausgedehntesten  Gesichtsfeldes  unerlässlich  wird,  durch  die  einfach- 
sten Mittel  erreicht  wurde. 

Hat  man  an  einem  Kopfe,  an  welchem  bereits  die  Schädel- 
höhle geöffiiet  und  entleert  wurde,  die  obere  Wand  der  Augen- 
höhle durch  zwei,  gegen  das  Sehloch  convergirende  Schnitte  ab- 
getragen, so  findet  sich  unter  der  Periorbita  zunächst: 

Der  Aufheber  des  oberen  Augenlids,  Levator  palpebrae 
superiorü,  welcher  von  der  oberen  Peripherie  der  Scheide  des  Seh- 
nerven, dicht  vor  dem  Foramen  opticum,  entspringt,  und  gerade 
nach  vorn  laufend,  imter  dem  Margo  orhitalis  aupeinw,  und  hinter 
dem  Ligamentum  tarn  superioris  aus  der  Augenhöhle  tritt,  um  mit 
einer  platten,  fächerförmig  breiter  werdenden  Sehne,  sich  an  den 
oberen  Rand  des  oberen  Lidknorpels  zu  inseriren. 

Nach  Trennung  des  Aufhebers,  und  sorgfältiger  Entfernung 
des  die  Augenhöhle  reichlich  ausfüllenden  Fettes,  sieht  man  noch 
flinf  Muskehl,  rings  um  die  Eintrittsstelle  des  Nei'mis  opticus  in  die 
Orbita,  von  der  Scheide  des  Sehnerven  entspringen.  Vier  davon 
verlaufen  geradlinig,  aber  divergent  zur  oberen,  unteren,  äusseren, 
und  inneren  Peripherie  des  Augapfels.  Sie  werden  ihrer  Richtung 
wegen  Beetz  genannt,  und  wir  zählen  einen  Rectus  internus,  exter- 
nus,  stipeinor,  und  inferior.  Sie  haben  alle  vier  die  Richtung  von 
Tangenten  zur  Augenkugel,  endigen  aber  nicht  an  der  grössten 
Peripherie  derselben,  sondern  verlängern  sich  über  dieselbe  hinaus, 
gegen  die  Cornea  hin,  indem  sie  sich  der  Convexität  des  vorderen 
Augapfelsegments  genau  anschmiegen,  und  sich  zuletzt  mit  dtlnneOi 
aber  breiten  Sehnen,  an  der  äussersten  fibrösen.  Haut  (ßclerc  ^ 
des  Augapfels,  2 — 3  Linien  entfernt  vom  Bande  der  Cc 
seriren.    Der   obere   Rectus  ist   der   schwttohste;   dm 


544  §•  210*   AogeninaBkeln. 

stärkste.  Letzterer  entspringt,  nicht  wie  die  übrigen  einfach^  son- 
dern mit  zwei  Portionen,  zwischen  welchen  das  3.  und  6.  Nerven- 
paar, und  der  Eamus  naso-ciliaris  des  ersten  Astes  des  fünften 
Paares  hindurchziehen. 

Der  fünfte,  vom  Foi-amen  opticum  herkommende  Muskel,  ge- 
langt nur  auf  Umwegen  zum  Augapfel.  Er  verläuft,  den  oberen 
inneren  Winkel  der  Orbita  entlang,  nach  vorn,  und  lässt  seine 
dünne  rundhche  Sehne  durch  eine  knorpelige  Rolle  (Trochlea)  lau- 
fen, welche  durch  zwei  von  ihren  Rändern  entspringende  Bändchen, 
an  die  Fovea  oder  den  llamnlns  trochleatns  des  Stirnbeins  aufgehängt 
ist.  Jenseits  der  Rolle  ändert  die  Sehne  plötzlich  ihre  Richtung, 
geht  breiter  werdend  nach  aus-  und  rückwärts,  und  tritt  unter  der 
Insertionsstelle  des  oberen  Rectus,  an  die  Sclerotica.  Die  scliiefo 
Richtung  seiner  Sehne  zum  Augapfel  giebt  ihm  den  Namen  des 
oberen  schiefen  Km ^(^niavi%\m\^j  Musculus  ohliquus  auperiovy  sein 
Verhältniss  zur  Rolle  den  des  Rollmuskels,  Musculus  trochlearls, 
und  seine  supponirte  Wirkung  bei  GemüthsafFecten  jenen  des  Mtis- 
culus  patheticus.  An  der  Stelle,  wo  die  Sehne  des  Ohliquus  supenor 
die  Rolle  passirt,  schwächt  ein   kleiner  Schleimbeutel    die   Reibung. 

Budge  findet  fast  culistant  vom  Levator  jmlpehi'ae  eine  '/arte  l'ortion 
nach  innen  abgehen,  und  sich  mittelst  zweier  Schenkel  an  der  Rolle  befestigen 
(Zeitschrift  für  rat.  Med.  18ö9.  p.  273). 

Der  letzte  Muskel  des  Augapfels,  der  untere  schiefe,  Mus- 
culus obliqutis  inferioTj  entspringt  nicht  hinten  am  Fwamen  opficum, 
sondern  vom  inneren  Ende  des  unteren  Augenhühlenrandes.  Er 
geht  unter  der  Endsehne  des  Rectus  infeiuor  nach  oben  und  hinten 
zur  äusseren  Peripherie  des  Bulbus,  und  inscrirt  sieh  an  die  Scle- 
rotica, zwischen  dem  Sehnerveneintritt  und  der  Sehne  des  Rectus 
exterjins. 

Da  die  zwei  Ohliqui  schief  von  vorn  her,  und  di<^  vier  Recti 
gerade  von  hinten  her  zum  Bulbus  treten,  so  werden  beide  Muskel- 
gruppen in  einem  antagonistischen  Verhältniss  zu  einanrler  stehen. 
Die  schiefe  Richtung  jedes  Obliquus  lässt  sieh  in  eine  quere  und 
gerade  aufhisen.  —  Nur  die  quere  Componente  macht  die  Obliqui 
zu  Drehern  des  Bulbus;  —  die  gerade  Componente  zieht  den  Bul- 
bus nach  vorn,  wirkt  jener  der  Recti  direct  entgegen,  und  man 
kann  somit  sagen:  der  Bulbus  wird  durch  die  Recti  und  Obliqui 
äquilibrirt. 

Die  vier  geradi-n  und  die  beiden  schiefen  Augenmuskeln  drehen  den  Bul- 
bus um  drei  auf  einander  senkrechte  Axen.  Diese  Drehungen  werden  ohne  eine 
OrtsverÄndening  des  Bulbus  ausgeführt.  Die  Drohungsaxc  für  die  Bewegung 
des  Bulbus  durch  den  oberen  und  unteren  Rectus,  liegt  (nahezu)  horizontal  von 
aussen  nach  innen,  —  für  den  äusseren  und  inneren  Rectus  senkrecht,  —  für 
die  beiden  schiefen  horizontal  von  vom  nach  hinten.  Alle  drei  Axcn  schneiden 
tich  in  einem  Punkte,  welcher  innerhalb  des  Bulbu«  liegt,   und   das   unverrück- 


§.  220.  Allgemeine«  Aber  den  Angapfel.  545 

bare  Centruin  aller  Bewegunjcen  vorstellt.  Er  liegt  ungefähr  6'" — 6"'  hinter  dem 
convexesten  Punkte  der  Hornhaut.  Von  Aufheben,  Niederziehen,  Aus-  oder  Ein- 
wärtsbewegungen des  Augapfels  kann  nichts  vorkommen,  da  die  Recti  in  der 
Richtung  der  Tangenten  der  Augenkugel  verlaufen,  und  ihre  Wirkung  somit  nur 
eine  drehende  ist  Es  scheint  nicht  znlässlich,  der  gemeinschaftlichen  Wirkung 
der  vier  geraden  Augenmuskeln  eine  irgendwie  erhebliche  Retractionsbewegung 
des  Bulbus  zuzuschreiben.  Das  Fett  der  Augenhöhle  hindert  mechanisch  diese 
Bewegung,  welche  durch  die  Erfahrung,  am  Menschen  wenigstens,  nicht  festge- 
stellt ist.  Dagegen  besitzt  das  Auge  vieler  Säugethiere  einen  besonderen  Retrac- 
tor  hulbi,  w^elcher  hinten  am  Sehloch  entspringt,  den  Sehnerv  trichterförmig  ein- 
schliesst,  und  an  der  hinteren  Peripherie  des  Bulbus  sich  ansetzt.  —  Durch  Los- 
präpariren  der  Conjunctiva  scleroiicae  können  die  Insertionsstellen  der  Sehnen  aller 
Augenmuskeln  blossgelegt,  ihre  fleischigen  Bäuche  durch  Haken  hervorgezogen, 
und  durchgeschnitten  werden,  worauf  das  in  neuerer  Zeit  in  Schwung  gebrachte 
Operationsverfahren  zur  Heilung  des  auf  Verkürzung  eines  Augenmuskels  be- 
ruhenden Schielens  gegründet  ist 

Die  Fcada  Tenoni  oder  Tuniea  vaginalu  bulhi  verdient  noch  kurze  Er- 
wähnung. Sie  tritt  als  eine  den  Bulbus  umhüllende  Bindegewebsmembran  auf, 
welche  nur  lose  mit  der  Sclerotica  zusammenhängt,  und  deshalb  eine  Art  Kapsel 
bildet,  in  welcher  sich  der  Bulbus  nach  jeder  Richtung  drehen  kann.  Sie  ent- 
springt an  der  Umrandung  der  Orbita,  geht  hinter  der  Conjunctiva  bis  zum  Hom- 
hautrand,  schlägt  sich  von  hier  als  Kapsel  um  den  ganzen  Bulbus  herum,  und 
endet  am  Eintritt  des  Sehnerven  in  den  AugapfeL  Sie  wird  von  den  Sehnen  der 
Augenmuskeln  durchbohrt,  und  schlägt  sich  an  den  Durchbohrungsstellen  auf 
jeden  Muskel  nach  rückwärts  um,  wodurch  eben  so  viele  Scheiden  als  Muskeln 
gebildet  werden.  Sie  isolirt  gewissermassen  den  Bulbus  von  dem  hinter  ihm  ge- 
legenen übrigen  Inhalt  der  Augenhöhle.  Siehe  Tenorif  M^moires  et  observations 
sur  Tanatomie,  pag.  200.  —  Unvollkommen  war  diese  Membran  schon  lange  vor 
Tenon  bekannt,  und  von  Reald.  Columbus  (de  re  anatomica.  Lib.  X)  als 
Tuniea  innominata  erwähnt  Selbst  Galen  scheint  sie  nicht  übersehen  zuhaben: 
„Sexta  quaedam  tuniea  extrintecua  prope  aceedit,  in  duram  tunieam  inserta,*^  De 
usu  part  cap.  2. 


II.  Aug'apfel. 

§.  220.  Allgemeines  über  den  AugapfeL 

Im  menschlichen  Augapfel  (Bulbus  ocidi)  bewundem  wir  ein 
nach  den  optischen  Gesetzen  einer  Camera  obscura  gebautes  Seh- 
werkzeug, von  höchster  Vollkommenheit.  Im  Profil  gesehen  hat  er 
die  Gestalt  eines  Ellipsoids,  an  dessen  vorderer  Seite  ein  kleines 
Kugelsegment  eingesetzt  ist.  Er  besteht  aus  concentrisch  in  ein- 
ander geschachtelten  Häuten,  welche  einen,  mit  den  durchsichtigen 
Medien  des  Auges  geftlUten  Raum  umschliessen.  Diese  Häute  lassen 
sich  wie  die  Schalen  einef  Zwiebel  ablösen,  —  daher  der  lateinv«^« 
Name  Bulbus  ocuiu  Die  Häute,  welche  die  vordere,  der 
weit   zugekehrte,  kugelig-convexe  Gegend  dei  BoQyw 

Hyril,  Lehrbneli  der  Aattomi«. 


546  S*  ^^-    Scleroiica  und  Cornea. 

sind  entweder  durchsichtig   {Cornea),   oder   durchbrochen    (/m),  um 
dem  Lichte  Zutritt  zu  gestatten. 

Der  Augapfel  nimmt  nicht  die  Mitte  der  Orbita  ein,  sondern 
steht  der  inneren  Augenhöhlen  wand  etwas  näher  als  der  äusseren, 
welches  wahrscheinlich  durch  die  Tendenz  beider  Augäpfel  zu  con- 
vergiren,  bedingt  wird.  Sein  vorderer  Abschnitt  ragt  mehr  weniger 
über  die  Ebene  der  Orbitalöfihung  hervor,  ein  Umstand,  welcher 
auf  die  leichtere  oder  schwierigere  Ausführbarkeit  gewisser  Augen- 
operationen Einfluss  hat.  Da  ferner  die  Ebene  der  OrbitalöfFnung 
so  gestellt  ist,  dass  ihr  äusserer  Rand  gegen  den  inneren  nicht 
unbedeutend  zurücksteht,  so  musste  die  äussere  Peripherie  des 
Augapfels  weniger  durch  knöcherne  Wand  geschützt  sein,  als  die 
innere,  deren  Zugänglichkeit  überdies  noch  durch  den  Vorsprung 
des  Nasenrückens  beeinträchtigt  wird.  Bei  Verminderung  des  Fet- 
tes in  der  Augenhöhle  tritt  der  Bulbus  in  die  Orbita  etwas  zurück, 
die  Augenlider  folgen  ihm  nach,  grenzen  sich  von  den  Orbitalrän- 
dem  durch  tiefe  Furchen  ab,  und  es  entsteht  das  sogenannte  hohle 
Auge,  welches  ein  nie  fehlender  Begleiter  aller  auszehrenden  Krank- 
heiten ist.  Volumen  und  Gewicht  des  Augapfels  unterliegen  vielen, 
obwohl  nicht  bedeutenden,  individuellen  Schwankungen,  und  sind 
überhaupt  grösser  bei  Bewohnern  südlicher  Zonen. 

Alle  organischen  Gewebe  haben  im  Auge  ihre  Repräsentanten,  und  die 
den  Natnrphilosophcn  geläufigen  Ausdrücke  über  das  Auge:  Organismus  im  Or- 
ganismus, Microcosmut  in  ntacrocotmo,  haben  in  sofern  einigen  Sinn.  Die  Durch- 
sichtigkeit der  Augenmedien  lässt  die  Blicke  des  Arztes  in  das  Innere  dieses 
herrlichen  Baues  dringen,  und  macht  die  verborgensten  Krankheiten  desselben, 
insbesondere  unter  Anwendung  des  Augenspiegels,  der  Beobachtung  zugänglich. 


§.  221.  Sclerotica  und  Cornea. 

Die  weisse  oder  harte  Augenhaut,  Sclerotica  (besser  Sclera, 
von  fjrXr^^oq^  hart),  und  die  durchsichtige  Hornhaut,  Cornea, 
bilden  zusammen  die  äussere  Hautschichte  des  Bulbus. 

a,  Sclerotica. 

Die  Sclerotica,  auch  Albu/finea,  und  vor  Alters  Cornea  opaca 
genannt,  hat  keine  optischen  Zwecke  zu  erfüllen.  Sie  bestimmt  die 
Grösse  und  Form  des  Augapfels,  und  zählt  zu  den  fibrösen  Mem- 
branen. An  ihrer  hinteren  Peripherie  besitzt  sie  eine  kleine  OefF- 
nung  zum  Eintritte  des  Sehnerven  in  den  Bulbus,  und  an  ihrer 
vorderen,  eine  ungleich  grössere  Oeffnung,  in  welche  die  durch- 
sichtige Hornhaut  eingepflanzt  ist. 

Die  Gestalt  dieser  beiden  Oeffnungen  bietet  bemerkenswerthe  Verschieden- 
dten  dar.  Es  mass  Torerst  festgehalten  werden,   dass  die  Dicke  der  Sclerotica 


§.  281.    Seleroiica  und  C^ornaa.  547 

au  ibrcr  grösstuu  Periplicrio .  am  geriugsten,  vom  und  rückwärts  dagegen  bedeu- 
tender ist  Beide  Oeffnungen  Bind  also,  da  sie  die  dicksten  Theile  der  Sderotica 
durchbohren,  eigentlich  kurze  Kanäle,  welche  aber  nicht  cylindrisch  sind,  son- 
dern etwas  konisch  oder  trichterförmig  zulaufen.  Die  Oeffhnng  für  den  Seh- 
nerven ist  an  der  äusseren  Oberfläche  der  Sclerotica  um  eine  halbe  Linie  weiter 
als  an  der  inneren ;  die  ComealöfTnung  dagegen  an  der  äusseren  Oberfläehe  enger, 
als  an  der  inneren. 

Die  Sehnerven  Öffnung  liegt  nicht  im  Mittelpunkt  des  hinteren 
Augapfelsegments,  sondern  circa  1'"  einwärts  von  ihm.  Der  Seh- 
nerv giebt,  bevor  er  in  den  Bulbus  eintritt,  sein  Neurilemmay  wel- 
ches er  von  der  harten  Hirnhaut  entlehnte,  an  die  Sclerotica  ab. 
Schneidet  man  den  Sehnerv  im  Niveau  der  Sclerotica  quer  durch, 
so  sieht'  man  sein  Mark  durch  ein  feines  Fasersieb  in  die  Höhle 
des  Bulbus  vordringen.  Zerstört  man  das  Mark  durch  Maceration, 
so  bleibt  das  feine  Sieb  zurück,  und  gab  Veranlassung,  in  der 
Sehnervenöffnung  der  Sclerotica  eine  besondere  Lamina  cribrosa 
anzunehmen,  welche  jedoch,  dem  Gesagten  zufolge,  nur  die  An- 
sicht des  Querschnittes  der  die  einzelnen  Fäden  des  .Sehnerven 
umhüllenden  Scheiden  sein  kann.  —  Die  Comealöffnung  der  Scle- 
rotica umfasst  die  Cornea,  wie  der  Rand  eines  Uhrgehäuses  das 
Glas,  d.  h.  der  Rand  der  Sclerotica  schiebt  sich  etwas  über  den 
Rand  der  Cornea  hinauf.  —  Zwischen  der  inneren  Oberfläche  der 
Sclerotica  und  der  äusseren  der  nächst  nach  innen  folgenden  Augen- 
schichte, verkehren  zarte  Bindegewebsbündel,  welche  besonders 
rückwärts  zahlreiche,  aber  vereinzelt  stehende,  schwarzbraune  Pig- 
mentzellen enthalten.  Dieses  Bindegewebe  wird  als  Lamina  fusca 
benannt. 

Das  Mikroskop  zeigt  in  der  Sclerotica  flache  Bündel  von  Bindegewebs- 
fasern, vielfach  gemengt  mit  elastischen  Fasern.  Die  äusseren  Lagen  von  Bün- 
deln laufen  nach  der  Richtung  der  Meridiane  der  Kugel,  die  inneren  nach  den 
Parallelkreisen  derselben,  kreuzen  und  verweben  sich,  und  nehmen  in  ihren  Zwi- 
schenräumen die  von  Huschke  gefundenen,  mit  strabligen  Aestchen  versehenen 
Körperchen  auf,  welche  an  den  dicken  Stellen  der  Sclerotica  zahlreicher,  als  an 
dünnen  vorkommen.  Man  hält  jedoch  diese  Körperchen  richtiger  fUr  Spalträume 
zwischen  den  Faserbündeln  der  Sclerotica,  welche,  weil  sie  an  getrockneten 
Präparaten  der  Sclerotica  Luft  enthalten,  unter  dem  Mikroskope  bei  Beleuchtung 
von  oben  weiss  erscheinen.  —  Die  Sehnen  der  Augenmuskeln  verweben  ihre 
fibrösen  Elemente  mit  den  Faserzügen  der  Sclerotica  so,  dass  die  Sehnenfasem 
der  Recti  in  die  Meridianfasem  der  Sclerotica  übergehen,  jene  der  Obliqui  da- 
gegen in  die  Fasern  der  Parallelkreise.  —  Die  Fasern  der  Sclerotica  gelangen 
nicht  alle  bis  zum  Uornhautrande.  Sie  biegen  sich  haufenweise  in  verschiedener 
Entfernung  von  diesem  nach  hinten  um,  wodurch  die  grössere  Dicke  der  binte* 
ren  Partie  erklärlich  wird.  Die  Dicke  des  vorderen  Abschnittes  der  Sclerotica 
hängt  von  der  Verwebung  der  Augenmuskelsehnen  mit  der  Sclerotica  ab.  — 
Die  Gefässarmuth  der  Sclerotica  bedingt  ihre  Weisse.  Selbst  bei  Entsttndiiii- 
gen  steigt  ihre  Färbung  nicht  über  das  Bosenroth,  und  bei  TenOien 
in  der  zweiten  Augenschichte,  erscheint  sie  bllnlichweUp.  Höre  ^ 
geringe   Ausdehnbarkeit  erklärt   die    wütlieiidein 


548  8*  Ml*    Selerotiea  und  Gornea. 

zttndimgen  der   von  ihr  umfichlossenen  inneren  Gebilde  des  Auges  vorzukommen 
pflegen. 

Prof.  Bochdalek  hat  im  Auge  des  Menschen,  des  Rindes,  und  des 
Kaninchens  nachgewiesen,  dass  die  Nervi  cUiarety  welche  den  hinteren  Abschnitt 
der  Selerotiea  durchbohren,  um  zu  den  Häuten  der  zweiten  Augenschichte  zu 
g^langeb,  während  des  Durchgangs  durch  die  Selerotiea,  der  letzteren  feine 
Zweigchen  abgeben,  und  nach  dem  Durchgange,  in  der  Lamina  fusea,  mittelst 
Abgabe  feinster  Seitenästchen,  Netze  bilden,  welche  zum  Theil  in  Furchen  an 
der  inneren  Fläche  der  Selerotiea  eingesenkt  liegen. 

b)    Co rnea. 

Die  Hornhaut;  Cornea,  dient  der  Camera  obscura  des  Auges 
gleichsam  als  Objectivglas.  Sie  bildet  den  vordersten,  durchsich- 
tigen, kugelig-  (richtiger  eUiptisch-)  convexen  Aufsatz  des  Bulbus, 
mit  5"'  Querdurchmesser  an  der  Basis.  Ihr  grösster  Umfang  kann 
keine  Kreislinie  sein,  sondern  erscheint  vielmehr  als  ein  quer- 
gestelltes Oval,  indem  die  Selerotiea  sich  oben  und  unten  weiter 
über  die  Oomea  vorschiebt,  als  aussen  und  innen. 

Es  giebt  keine  Periode  im  Embryoleben,  wo  Selerotiea  und 
Cornea  von  einander  getrennt  wären,  —  es  kann  somit  auch  nicht 
von  einer  Verbindung  derselben  unter  einander  gesprochen  werden. 
Die  Selerotiea  setzt  sich  vielmehr  unmittelbar  in  die  Cornea  fort, 
und  ist  mit  ihr  Eins,  weil  sie  gleichzeitig  mit  ihr  entsteht.  Der 
sogenannte  Rand  der  Selerotiea,  welcher  die  Cornea  umfasst,  ist 
nur  die  Marke,  von  wo  aus  die  Selerotiea  ihre  histologischen  und 
chemischen  Eigenschaften  aufgiebt,  um  andere  anzunehmen,  und 
zur  Cornea  zu  werden. 

Im  Inneren  der  Uebergangsstelle  der  Selerotiea  in  die  Cornea 
findest  sich  ein  kreisförmiger  venöser  Sinus  (Canalis  Schlemmii),  wel- 
cher öfters,  und  zwar  namentlich  bei  Erstickten,  von  Blut  strotzt, 
und  hinreichend  weit  ist,  um  eine  Borste  in  ihn  einführen  zu  kön- 
nen. —  Die  vordere  Fläche  der  Cornea  wird  vom  Epithel  und  der 
structurlosen  Schichte  der  Conjunctiva  corneae,  die  hintere,  von  der 
gleichfalls  structurlosen  Membrana  Descemetii  8.  Demoursii  überzogen. 
Beide  structurlose  Grenzgebilde  der  Cornea  sind  .  dem  elastischen 
Gewebe  verwandt,  wo  nicht  mit  ihm  identisch,  wie  Bowman  zuerst 
erkannte,  und  durch  die  Benennung:  anterior  et  posterior  elastic 
membrane  ausdrückte. 

Eine  am  Rande  der  Cornea  im  Greisenauge  häufig  vorkom- 
mende, und  als  Greisenbogen  (Gerotitoxon)  bezeichnete  Trübung, 
beruht  auf  fettiger  Infiltration  des  Homhautgewebes  (Wedl). 

Die  Hornhaut,  welche,  ihrer  Gl&tte  und  Klarheit  wegen,  dem  Auge  seinen 
spiegelnden  Olanz  giebt,  besteht  aus  Fasern,  welche  den  Bindegewebsfasern  sehr 
nahe  stehen,  sich  aber  Ton  ihnen  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  beim  Kochen 
keinen  Leim,  sondern  Chondrin  geben.  Am  Rande  der  Cornea  gehen  diese  Fasern 


§.  8S2.    ChoroidM  and  Iris.  549 

in  jene  der  Sclerotica  über.  In  der  Substanz  der  Cornea  selbst  yerbinden  sie 
sieb  zu  platten  StrSngen,  deren  Flächen  den  Flächen  der  Cornea  entsprechen. 
Die  Stränge  kreuzen  sieb  wohl  mannigfaltig,  verflechten  sich  aber  mehr  nach 
der  Breite,  als  nach  der  Tiefe,  indem  es  leicht  gelingt,  mehrere  Lagen  dieser 
platten  Faserstränge  als  Blätter  von  der  Cornea  abzuziehen.  Pathologische  Ver- 
hältnisse der  Cornea  sprechen  laut  zu  Gunsten  der  lamellösen  Structur.  —  Nebst 
den  Fasern  enthält  die  Cornea  zwischen  den  Faserbttndeln  eingestreut,  eine 
grosse  Anzahl  spindel-  und  sternförmiger,  kernhaltiger  Zellen  (Homhautkörper- 
chen,  wahre  Zankäpfel  der  Mikroskopiker) ,  deren  Aeste  unter  einander  netz- 
förmig anastomosiren.  Vielleicht  stehen  sie  zu  den  Emährungsrorgängen  in  der 
Cornea  in  demselben  Verhältniss,  wie  die  sogenannten  Knochenkörperchen  zur 
Ernährung  der  Knochen.  Holzessig  und  Höllensteinlösung  machen  sie  sichtbar, 
und  unter  Anwendung  von  Schwefelsäure  isoliren  sie  sich  von  der  sie  umgeben- 
den Corneasubstanz  (His).  Sie  zeigen,  wie  die  Protoplasmakörperchen,  spontane 
Bewegungen  (Kühn). 

Die  Membrana  Descemetii  (Descemet,  an  sola  lens  crystallina  cata- 
ractae  sedes.  Paris,  1768)  führt  ihren  Namen  mit  Unrecht,  da  sie  schon  1729 
von  E.  Duddel  (Treatise  on  the  Diseases  of  the  Homy  Coat  of  the  Eye.  Lond.) 
beschrieben  wurde.  An  mehrere  Tage  lang  macerirten,  oder  an  gekochten  Horn- 
häuten, lässt  sie  sich  als  continuirliche  Membran  abziehen.  Sie  besteht  aus  einer 
unmittelbar  an  die  Cornea  anliegenden,  structurlosen  Grundsubstanz,  und  einem 
darauf  folgenden  einfachen  EpithelialÜberzuge,  bestehend  aus  sehr  flachen,  polygona- 
len, kernhaltigen  Zellen.  Nur  dieses  Epithelium,  nicht  aber  die  Membrana  Deacemetii 
selbst,  setzt  sich  auf  die  vordere  Irisfläche  fort.  Das  Epithel  auf  der  vorderen 
Fläche  der  Cornea  zeigt  den  Charakter  eines  mehrfach  geschichteten  Pflaster- 
epithels. 

Blutgefässe  besitzt  die  Cornea  im  gesunden  Zustande  nicht  Nur  an  ihrem 
äussersten  Saume  gelingt  es,  besonders  an  embryonischen  Augen,  niedliche 
Schlingen  von  Capillargefässen  zu  füllen.  Im  entzündeten  Auge  dagegen,  bei 
Geschwürsbildung,  und  bei  der  als  Pannua  bekannten  Krankheit  der  Cornea, 
treten  neugebildete  Gefässe,  selbst  in  bedeutender  Anzahl  auf,  wie  an  dem,  in 
der  anatomischen  Sammlung  des  Josefinums  befindlichen  Präparate  Bömer*s, 
(abgebildet  in  AmmovCa  Zeitschrift  V.  21.  Tab.  I.  Fig.  9  u.  11). 

Die  von  Schlemm  an  Thieraugen  aufgefundenen  Nerven  der  Cornea  (aus 
den  Ciliamerven  stammend)  wurden  von  Bochdalek  (Bericht  Über  die  Ver- 
sammlung der  Naturforscher  in  Prag,  1837.  pag.  182)  auch  im  menschliehen  Auge 
entdeckt  Sie  bilden  in  der  Faserschichte  der  Hornhaut  Netze.  Nach  Hoyer, 
Conheim,  und  Kölliker,  dringen  letzte  Ausläufer  dieser^Nervennetze  (Axen- 
cylinder)  zwischen  die  Zellen  des  Homhautepithels  ein  (Arch.  für  Anat  und 
PhysioL  1866),  um  in  der  oberflächlichsten  Lage  dieses  Epithels  mit  freien  Enden 
aufzuhören. 

§.  222.  Ghoroidea  und  Iris. 

Die  zweite  Augenschichte  bilden  zwei  geftssreiche  Membra- 
nen, —  die  Aderhaut  (Choraidea)  und  die  Regenbogenhaut 
(/m).  Erstere  stellt,  wie  die  Sclerotica,  eine  hohle  Kugel  dar, 
deren  vordere  Oefihung  durch  die  Iris  ausgefüllt  wird,  welche  nicht 
mehr  mit  der  Cornea  parallel  ist,  sondern  als  ebene  Membran  sich 
von  ihr  entfernt,  wodurch  ein  als  vordere  Augenkammer  benannter 
Raum  zwischen  beiden  Hiiito» 


\!l|)  §.  t92.    Choroidea  and  Iris. 

d)    Choroidea. 

nie  Choroidea  (richtiger  Chorioidea,  von  y.spiov  und  etSog, 
hiiularti^y  obwohl  sie  bei  den  griechischen  Autoren  durchweg  als 
X5f-5i:>,;  )^iTu)v  erscheint),  ist  eine  mit  der  Sclerotica  concentrisch 
voriaufende,  sehr  geßlssreiche  Membran,  daher  sie  auch  Vasculosa 
kkhU  heisst.  Es  lassen  sich  an  ihr  drei  Schichten  unterscheiden.  Die 
Hu  SS  erste  filhrt  in  einer  schwach  fibrillären  Bindegewebschichte 
ijüilroiche  verästelte  Pigmentzellen,  und  wurde  schon  bei  der  Scle- 
ivfiVti  als  Ijamina  fuaca  erwähnt.  Die  mittlere  Schichte  schliesst  in 
ihrer  fast  homogenen  Grundlage  die  Blutgefässe  der  Choroidea  ein, 
uud  ist  die  eigentliche  Gef^sschichte  derselben.  Diese  Blutgefässe 
bilden  an  ihrer  inneren  Oberfläche  ein  Capillargefässnetz,  als  Lor 
mma  Buyschii  {^in  patris  honorem^  vom  Sohne  Ruysch's  also  ge- 
nannt), imd  an  ihrer  äusseren  Oberfläche  erzeugen  die  grösseren 
Venenstämmchen,  durch  ihre  eigenthümliche,  quirlähnliche  Vereini- 
gung zu  4 — 5  Hauptstämmchen,  die  Vasa  vovticosa  Stenosis  (Stru- 
dclvenen).  Die  innere  Schichte  der  Choroidea  besteht  blos  aus 
einer  continuirUchen  Lage  sechseckiger,  einen  schwarzbraunen  Farbe- 
stoff enthaltender  Pigmentzellen.  Sie  heisst  Tapetum  niyrtim,  (Zwi- 
schen der  zweiten  und  dritten  Schichte  wird  noch  eine  gefäss-  und 
structurlose,  glashelle  Zwischenlage,  als  Tunica  elastica  choroideaej 
erwähnt). 

Die  Choroidea  besitzt  an  ihrer  hinteren  Peripherie  eine  Oeff- 
nung  für  den  Eintritt  des  Sehnervenmarks,  und  verwandelt  sich, 
bevor  sie  den  vorderen  Rand  der  Sclerotica  erreicht,  in  den 
Strahlenkörper,  Coipiis  ciliare  s,  Orhiculus  ciliaris j  welcher  aus 
zwei,  einander  deckenden  Lagen  besteht.  Die  oberflächliche 
Lage  bildet  einen  graulicliweissen ,  über  1'"  breiten  Ring  —  das 
Strahlenband  der  älteren  Anatomen  {Ligamentum  ciliare).  Man 
weiss  gegenwärtig,  dass  dieses  sogenannte  Strahlenband  ein  organi- 
scher Muskel  ist:  Musculus  ciliaris,  auch  Tensor  choroideae.  Er  be- 
steht aus  organischen,  von  der  inneren  Wand  des  Canalis  Schlemmii 
zum  vordersten  Abschnitt  der  Choroidea  laufenden,  geradlinigen 
Muskelfasern,  zwischen  welchen,  namentlich  in  den  tieferen  Schichten, 
Kreisfasem  auftreten.  —  Die  tiefe  Lage  des  Corpus  ciliare  besteht 
aus  einem  Kranze  von  70 — 80  Falten  {Corona  ciliaris),  welche  ihre 
freien  Ränder  gegen  die  Axe  des  Auges  kehren.  Sie  gleichen,  als 
Ganzes  gesehen,  den  Blättchen  einer  Corolla  radiata.  Jede  einzelne 
Falte  heisst  Ciliarfortsatz,  Processus  ciliaris.  Die  vorderen,  keulen- 
förmig verdickten  Enden  der  einzelnen  Ciharfortsätze  liegen  hinter 
dem  äusseren  Rande  der  Iris.  Der  festonirte  oder  zackige  Saum, 
durch  welchen  dieser  gefaltete  Theil  der  Choroidea  sich  als  Corpus 
ciliare,   von    der   übrigen   schlichten    und  ebenen  Choroidea  absetzt. 


§.  822.     Choroidea  nnd  Iris.  551 

heisst  Ora  serrata.  —  Das  Pigmentum  mgrum  überzieht  auch^  und 
zwar  in  mehrfachen  Zellenlagen^  die  Falten  des  Corpus  ciliarey  und 
ihre  Zwischenräume. 

Das  Pigmentum  rdgrum^  welches  die  Choroidea,  die  Falten  des  Corptc« 
ciliare  and  die  hintere  Irisfläche  überzieht,  dient,  wie  die  Schwärzung  an  der 
inneren  Oberfläche  aller  optischen  Instrumente,  zur  Absorption  des  falschen 
Lichtes.  Die  Zellen  dieses  Pigments  sind,  wie  die  Stücke  eines  Mosaikbodens, 
in  der  Fläche  neben  einander  gelagert,  wobei  ihr  dunkler  Inhalt  durch  weisse, 
helle  Begrenzungslinien  umsäumt  erscheint,  welche  Linien  der  Dicke  der  Zellen- 
wände entsprechen.  Sie  enthalten  kleinste,  mikroskopisch  nicht  mehr  messbare 
Pigmcntmoleküle  und  einen  hellen  Kern,  sammt  Kemkörperchen.  Der  Kern  wird 
aber  von  der  moleculären  Pigmentmasse  so  umlagert,  dass  er  nur  zufällig  zur 
Anschauung  kommt,  wenn  die  Zelle  platzt,  und  ihren  Inhalt  entleert  Selbst  an 
den  pigmentlosen  Augen  der  Albinos  (Kakerlaken)  finden  sich  die  PigmentzeUen, 
aber  ohne  moleculären  färbenden  Inhalt  (Wharton  Jones).  — H.  Müller  hat 
auch  in  der  Choroidea^  und  zwar  in  Begleitung  der  grösseren  Arterien  yerlaufende, 
organische  Muskelfasern  entdeckt 

Ueber  den  von  Chesterfield  entdeckten,  von  Wallace  beschriebenen, 
und  von  Brücke  irriger  Weise  als  Tensor  chorioideae  aufgeführten  Muskel,  wel- 
chen die  Anatomie  als  Mttaculua  ciUaria  seit  lange  kennt,  handeln  umständlich: 
J7.  Müller^  anatom.  Beiträge  zur  Ophthalmologie,  im  Archiv  für  Ophth.  Bd.  m. 
1.  AbtheiL,  und  Arltj  ebenda,  Bd.  I.  Abtheil.  2. 

b)  Iris. 

Die  Regenbogenhaut  oder  Blendung  (/m)  ist  eine  ring- 
förmige, in  ihrer  Mitte  durch  das  Sehloch  (Pupüla)  durchbrochene, 
sehr  gefässreiche  Membran,  deren  Ebene  senkrecht  auf  der  Augen- 
axe  steht.  Sie  schliesst  in  ihrer  bindegewebigen,  faserigen  Grrundlage, 
zweierlei  organische  Muskelfasern,  radiäre  xmd  kreisförmige,  ein, 
und  wird  dadurch  zu  einer  eminent  contractilen  Membran.  Sie  ver- 
tritt im  Auge  die  Stelle  des  in  allen  dioptrischen  Instrumenten  zur 
Abhaltung  der  Randstrahlen  angebrachten  Diaphragma,  imd  lässt 
durch  die  mit  der  Ab-  imd  Zunahme  des  Lichtes  unwillkürlich  er- 
folgende Erweiterung  und  Verengerung  der  Pupille,  gei*ade  nur  die 
zum  deutlichen  Sehen  nöthige  Lichtmenge  in  die  hinteren  Räume 
des  Auges  fallen.  Sie  hat  vor  sich  die  Cornea,  hinter  sich  die  Kry- 
stalllinse.  Zwischen  Cornea  und  Iris  befindet  sich  die  vordere 
Augenkammer,  zwischen  Iris  und  Linsenkapsel  die  hintere. 
Beide  sind  mit  einer  wasserklaren  Fltlssigkeit  (Humor  aqueiis)  gefüllt. 
Die  hintere  Augenkammer  wird  nicht  so  allgemein  zugegeben  wie 
die  vordere.  Neueren  Ansichten  zufolge  soll  nämlich  die  hintere 
Fläche  der  Iris  auf  der  vorderen  der  KrystalUinsenkapsel  aufliegen, 
wodiu-ch  die  Existenz  einer  hinteren  Augenkammer  wegfällt.  Dieses 
muss  Jedem  etwas  unwahrscheinlich  vorkommen,  welcher  die  un- 
mittelbar hinter  der  Iris  gelegenen  Theile  des  Auges  kennt,  und 
weiss,  dass  sich  die  dicken  vorderen  Enden  der  Ciliarfortsätze  eine 


552  §•  ^^-    ChoroidM  nnd  Irii. 

Strecke  weit  hinter  der  Iris,  gegen  die  Axe  des  Auges  zu,  vor- 
schieben, und  einen  genauen  Flächencontact  zwischen  Iris  und 
Linsenkapsel  verhindern.  Es  kann  demzufolge  nicht  die  ganze  hintere 
Irisfläche  auf  der  Linsenkapsel  aufliegen,  sondern  nur  der  innere 
Rand  derselben,  und  muss  somit  zwischen  Iris  und  Kapsel  der  Linse 
ein  mit  Humor  aqueus  gefüllter  kreisrunder  Raum  als  hintere  Augen- 
kammer erübrigen.  Dass  ein  solcher  mit  Humor  aqueus  gefiülter 
Raum  wirklich  existirt,  sieht  man  an  gefromen  Augen,  an  welchen 
man  zwischen  Iris  und  Linsenkapsel  Eissttickchen  des  gefrorenen 
Humor  aqueus  hervorholen  kann. 

Der  äussere  Rand  der  Iris,  Margo  dliaris,  haftet  an  dem 
vorderen  Rande  des  Orbiculus  cüiarisj  und  hängt  überdies  mit  der 
Membrana  Descemetii  dadurch  zusammen,  dass  diese  Membran  sich 
an  ihrer  äussersten  Peripherie  in  Fasern  zersplittert,  welche  in  die 
vordere  Fläche  der  Iris  als  sogenanntes  Ligamentum  pectinatum 
iridis  übergehen.  Reisst  man  die  Iris  von  der  Descemet'schen  Haut 
los,  so  bilden  die  zerrissenen  Fasern  am  Rande  der  letzteren  eine 
zackige  Contour,  welche  ehen,  die  Benewnxmg  Ligamentum  pectinatum 
veranlasst  zu  haben  scheint.  Ihr  innerer  Rand,  Margo  pupülaris, 
»  umgiebt  die  Pupille,  welche  nicht  genau  der  Mitte  der  Iris  ent- 
spricht, sondern  etwas  nach  innen  und  tmten  (gegen  die  Nase)  ab- 
weicht, wodurch  der  nach  aussen  von  der  Pupille  liegende  Theil 
der  Iris  etwas  breiter  als  der  innere  wird.  Die  vordere  glatte 
Fläche  der  Iris  wird  von  dem%Epithelium  der  Membrana  Descemetii 
bedeckt.  Ihre  verschiedene  Färbung  wird  durch  eingestreute,  helles 
oder  dunkles  Pigment  führende  Zellen,  so  wie  durch  freie  Pigment- 
moleküle bedingt.  Die  hintere  Fläche  überlagert  ein  Stratum 
schwarzen  Pigmentes  (Fortsetzung  des  Tapetum  nigrum),  welches 
ihr  das  sammtartig  glänzende  Ansehen  der  inneren  Fläche  einer 
schwarzblauen  Weinbeere  verleiht  —  wodurch  der  Name  Trau  ben- 
haut, Uvea  (^xYC£i5i(5;) ,  entstand,  unter  welchem  somit  nicht  eine 
besondere  Platte  der  Iris,  sondern  blos  ihre  hintere  pigmentirte 
Fläche  zu  verstehen  ist. 

Die  ^echischcn  Autoren  nannten  die  Iria  und  Choroidea  zusammen  Trau- 
benhaut: ^ayoeioii?  yiTtuv,  vermuthlich  weil  sie  zusammen  dem  Balge  einer  Wein- 
beere älinlich  sind,  deren  Stiel  am  Sehloch  ausgerissen  wurde. 

Im  Bindegewebsstroma  der  Iris  findet  sich  ein  doppeltes  Sy- 
stem glatter  Muskelfasern  vor,  als  Sphincter  und  Dilatator  pupillae. 
Letzterer  wird  nicht  so  allgemein  zugegeben,  wie  ersterer.  Die  Wir- 
kung beider  Muskeln  erfolgt  viel  rascher,  als  es  sonst  bei  glatten 
Muskelfasern  zu  geschehen  pflegt.  Der  Sphincter  umgiebt  in  Form 
eines  schmalen  Ringes  nur  den  Pupillarrand  der  Iris.  Der  Dilatator 
entspringt  am  Rande  der  Cornea  vom  Ligamentum  pectinatum ,  und 
besteht  aus  geraden,   hie  und  da  unter  spitzen  Winkeln  anastomo- 


§.  SSS.    Gef&sse  und  Nerrea  der  Choroidea  and  Iris.  553 

sirenden  Bündeln,  welche  bis  zum  Pupillarrand  ziehen,  wo  sie  mit 
dem  Sphineter  innigst  verschmelzen.  Die  Wirkung, der  Ereisfasem 
verengert  die  Pupille,  die  geraden  Fasern  erweitem  sie  nach  Ver- 
schiedenheit der  Lichtstärke.  Der  Sphineter  pupillae  soll  vom 
Nervus  oculomotorius,  der  Dilatator  dagegen  vom  Sympathicus  inner- 
virt  werden. 

Ich  hielt  den  Dilatator  nicht  für  musculös,  sondern  für  ein  System  elasti- 
scher Fasern,  indem  es  mir  unwahrscheinlich  dünkte,  dass  der  Sphineter  sich 
durch  Lichtreiz,  der  Dilatator  durch  Dunkelheit,  also  Mangel  an  Reiz,  zusammen- 
ziehe. Besteht  aher  der  sogenannte  Dilatator  nicht  aus  musculösen,  sondern  aus 
elastischen  Fasern,  so  braucht  nur  der  Sphineter  durch  Lichtmangel  zu  erlahmen, 
um  den  elastischen  Fasern  die  Erweiterung  der  Pupille  zu  überlassen.  Dieser 
Ansicht  trat  A.  Kölliker  (Zeitschrift  für  wiss.  Zoologie,  Bd.  L  6.  Heft)  durch 
ein,  wenigstens  am  Kaninchenauge  sehr  schlagendes  Experiment  entgegen.  Es 
wurde,  nach  yorläufiger  Abtragung  der  Cornea,  der  Pupillarrand  der  Iris,  welcher 
den  Sphineter  enthält,  ausgeschnitten,  und  der  Rest  der  Iris  hierauf  durch  einen 
schwachen  Strom  des  Du bois* sehen  Apparates  gereizt  Bei  wiederholten  Ver- 
suchen ergab  sich  jedesmal  eine  Dilatation  der  Pupille.  Der  Dilatator  pupillae 
musB  also  ein  Muskel  sein,  da,  wenn  er  ein  elastisches  Gebilde  wäre,  auf  seine 
Reizung  keine  Bewegung  erfolgen  könnte.  Ist  demnach  (versteht  sich  beim 
Kaninchen)  der  Dilatator  pupillae  ein  musculöses ,  und  kein  elastisches  Gebilde, 
so  bleibt  es  unerklärt,  warum  Einträufeln  von  narkotischen  Lösungen  auf  das 
menschliche  Auge,  die  Pupille  erweitert.  Die  Narcotica  sollten  ja  beide  Muskeln 
der  Iris  lähmen,  und  dadurch  an  der  Weite  der  Pupille  nichts  ändern. 

Dass  auch  das  Pigment  der  Uvea  auf  die  Färbung  der  Iris  Einfluss 
nimmt,  zeigt  der  Umstand,  dass  beim  Fehlen  dieses  Pigments,  die  Iris  ihres  Blut- 
reichthums  wegen  roth  erscheint  Bei  jüngeren  Individuen  finden  wir  sie  gewöhn- 
lich lichter  als  bei  älteren. 

Da  das  auf  der  hinteren  Fläche  der  Iris  lagernde  Pigment  bei  den  Be- 
wegungen der  Iris  leicht  lose  werden  und  abfallen  könnte,  lassen  es  Einige  von 
einem  durchsichtigen,  wasserhellen  Häutchen  bedeckt  sein,  welches  die  hinterste 
Irisschichte  bildet,  und  für  eine  Fortsetzung  der  später  (§.  226)  als  Membrana 
limUans  Pacini  zu  erwähnenden,  structurlosen  Schichte  der  Netzhaut  g^lt. 


§.  223.  öefässe  und  ITerveii  der  Choroidea  und  Iris. 

a)  Arterien  der  Choroidea. 

Die  Choroidea  erhält  ihr  Blut  aus  den  Arterias  ciliares  posticae 
breves.  Diese  verlaufen  als  3 — 4  feine  Aeste  der  Arteria  ophthal- 
mica  rankenförmig  geschlängelt  zum  hinteren  Abschnitt  der  Scle- 
rotica,  welche  sie  in  der  Nähe  des  Sehnerveneintrittes  durchbohren. 
Ihre  Verzweigungen  in  der  Choroidea  lassen  sich  in  drei  Abthei- 
lungen bringen:  die  äusseren,  inneren,  und  vorderen.  Die  äusse- 
ren gehen,  nach  öfterer  Theilung,  jedoch  ohne  ganz  capillär  zu 
werden,  in  die  gleich  zu  erwähnenden  Venae  vorticosas  über.  Die 
inneren  bilden  das  feine  Capillargeflässnetz  an  der  inneren  Fläche 
der  Choroidea  (Lamina  RujfsAn).    Die  vorderen   dringen  in  den 


554  §•  ^3.    Gef&sse  und  Nerven  der  Choroidea  and  Iris 

freien  Rand  der  einzelnen  Ciliarfortsätze  ein^  in  welchen  sie  lang- 
und  engmaschige  Netze  bilden.  Einige  von  ihnen  gelangen  selbst 
in  den  Furchen  zwischen  den  Ciliarfortsätzen  bis  zur  Iris. 

b)  Venen  der  Choroidea. 

Die  früher  erwähnten  äusseren  Verzweigungen  der  Arteriae 
ciliares  posticae  breves  gehen ,  nachdem  sie  sich  nur  wenige  Male 
getheilt  haben,  bogenförmig  in  Venen  über.  Eine  Anzahl  solcher 
Bogen  fliesst  zu  Stämmchen  zusammen,  welche  zuletzt  nur  in  Eine 
grössere  Vene  gesammelt  werden.  Auf  diese  Weise  treten  auf  der 
Aussenfläche  der  Choroidea  4 — 5  zierliche,  venöse,  wirbelformige  Ge- 
fässfiguren  hervor,  welche,  um  einen  passenden  Vergleich  zu  machen, 
das  Bild  eben  so  vieler  Springbrunnen  darstellen,  die  ihr  Wasser 
in  Bogen  nach  allen  Seiten  auswerfen.  Diese  Figuren  wurden  von 
ihrem  Entdecker  N.  Stenson  (1669)  Vasa  vorticosa  genannt  — 
Die  Vdsa  vorticosa  nehmen  auch  das  Blut  auf,  welches  ihnen  direct 
aus  der  Lamina  Ruysckii  imd  theilweise  auch  aus  der  Iris  zuströmt. 
Die  vier  Stämme  der  Vasa  vorticosa  durchbohren  die  Sclerotica, 
gewöhnlich  in  der  Mitte  zwischen  Hornhaut  imd  Sehnerveneintritt, 
imd  entleeren  sich  in  die  Vena  ophthalmica  cerebraiis, 

c)  Arterien  der  Iris. 

Die  Iris  erhält  ihr  Blut  aus  den  Arteriae  ciliares  posticae  Ion- 
gae,  und  aus  den  Arteriae  ciliares  anticas.  • 

Als  Arteriae  ciliares  posticae  longae  bezeichnet  man  zwei,  gleich- 
falls stark  geschlängelte  Aeste  der  Arteria  ophthalmica,  welche,  nach- 
dem sie  die  Sclerotica  zu  beiden  Seiten  des  Sehnerveneintrittes 
durchbohrten,  zwischen  Sclerotica  und  Choroidea  nach  vorn  laufen. 
Während  dieses  Laufes  liegt  die  eine  an  der  Schläfeseite,  die  an- 
dere an  der  Nasenseite,  beide  somit  ziemlich  genau  in  der  hori- 
zontalen Ebene  des  Augapfels.  Bevor  sie  den  äusseren  Rand  der 
Iris  erreichen,  —  nicht  aber  wie  allgemein  geglaubt  wird,  in  der 
Iris  selbst  —  spaltet  sich  jede  in  zwei  Aeste,  welche  in  entgegen- 
gesetzten Richtungen,  auf-  und  absteigend,  von  beiden  Seiten  her 
mit  einander  zu  einem  Kranze  zusammenfliessen ,  Circulus  iridis 
arteriosus  majoi*,  welcher  dem  äusseren  Rande  des  Irisringes  ent- 
spricht, und  aus  welchem  kleine  Aestchen  für  den  Ciliarmuskel, 
und  20 — 30  etwas  geschlängelte  Zweigchen  flir  die  Iris  selbst  ent- 
stehen, welche  nahe  am  Pupillarrande  der  Iris  einen  zweiten,  aber 
kleineren,  und  nicht  immer  geschlossenen  Kranz  (Circulus  iridis  arte- 
riosus minor)  bilden  sollen,  von  dessen  Existenz  ich  mich  bisher 
nicht  überzeugen  konnte.  Jene,  welche  ihn  mit  Recht  oder  Unrecht 
annehmen,  lassen  aus  ihm  die  Irisvenen  hervorgehen. 

Die  an  Zahl  und  Grösse  variirenden  Arteriae  ciliares  anticae 
stammen  aus  den,  als  Arteria  lacrymalis  imd  Arteriae  musculares 
benannten  Zweigen  der   Arteria  ophthalmica.     Sie   durchbohren   die 


.i 


V  §.  224.   R«iinft.  556 

Sclerotica  an  ihrem  vorderen  Segment^  d.  i.  im  Umkreise  der  Cor- 
nea^  und  treten  in  den  Musculus  cilians  ein,  dem  sie  Zweige  geben, 
worauf  sie  theils  in  den  Circulus  iridis  arteriosus  major  einmünden, 
theils  mit  den  Aesten  des  Circulus  major  gegen  den  Pupillarrand 
der  Iris  ziehen,  um  daselbst  an  der  Bildung  des  Circulus  iridis 
arteriosus  minor  Theil  zu  nehmen. 

d)  Venen  der  Iris. 

Die  Venen  der  Iris  gehen  theils  direct  zu  den  vordersten 
Bögen  der  Vasa  vorticosa,  theils  sammeln  sie  sich  zu  zwei  grösse- 
ren Stämmchen,  welche  die  Arteriae  ciliares  posticae  longae  rück- 
läufig begleiten,  theils  entleeren  sie  sich  in  den  Ganalis  Sddemmii, 
aus  welchem  die  den  vordersten  Abschnitt  der  Sclerotica  durch- 
bohrenden Venae  ciliares  anticae  hervorgehen,  welche  sich  in  benach- 
barte Augenmuskelvenen  entleeren. 

e)  Nerven  der  Iris  und  Choroidea. 

Die  animalen  Irisnerven  stammen  aus  den  Nervi  ciliares^  welche 
die  Sclerotica  an  ihrem  hinteren  Umfange  durchbohren,  und  zwi- 
schen ihr  und  Choroidea  nach  vom  zum  Musculus  ciliaris  ziehen, 
auf  welchem  Wege  sie,  durch  abtretende  Aestchen,  in  der  äusseren 
Schichte  der  Choroidea  Netze  bilden.  In  den  Ciliarmuskel  eingetre- 
ten, lösen  sie  sich  in  ihre  Primitivfasem  auf,  welche  von  einge- 
streuten Ganglienzellen  begleitet  werden,  imd  theils  im  Muskel 
bleiben,  theils  in  die  Cornea  und  Iris  übertreten.  In  der  Iris  theilen 
sich  die  Primitivfasem,  werden  marklos,  und  bilden  zuletzt  mit  ihren 
Axencylindem  geschlossene  Endnetze.  Sympathische  Nervenfasern 
werden  gleichfalls  in  der  Iris  angenommen,  obwohl  der  anatomische 
Nachweis  über  ihr  Vorhandensein  noch  fehlt.  Sie  sollen  den  Dila- 
iator  pupiUae  innerviren. 

Ueber  die  Naroi  ciliares  handelt  umständlich  Bochdalek.  (Prager  Viertel- 
jahrschrift 18Ö0.  1.  Bd.).       . 


§.  224.  Retina. 

Die  Netzhaut  {Retina  s,  Tunica  nervea)  ist  das  Gehirn  des 
Auges.  Sie  folgt  auf  die  Choroidea,  wie  diese  auf  die  Sclerotica. 
Sie  umhüllt  zunächst  den  durchsichtigen  Kern  des  Auges,  und  er- 
streckt sich  mit  der  Mehrzahl  ihrer  gleich  zu  erwähnenden  Schich- 
ten von  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  bis  zu  jener  Stelle,  wo 
die  Choroidea  ihre  Processus  ciliares  zu  bilden  beginnt  {Ora  serrata). 
Am  todten  Auge  ist  sie  milchweiss.  Im  lebenden  Zustande  mit 
dem  Augenspiegel  gesehen,  erscheint  sie  heller.  —  Der  Sehnerv 
ragt,  nachdem  er  die  Sclerotica  und  Choroidea  durchbohrte,  als 
flacher,  in   der  Mitte  etwas  vertiefier  Markhügel,  CoUiculus  nervi 


556  {•  SM-  B«tiB». 

optici,  in  den  Hohlraum  des  Auges  vor,  und  entfaltet  sich  hierauf 
zur  becherförmigen  Retina.  In  der  Vertiefung  des  Markhttgels  taucht 
die  in  der  Axe  des  Sehnerven  verlaufende  Emährungsschlagader 
der  Retina  (Arteria  centralis  retinae)  mit  der  begleitenden  Vene  auf. 
Die  Unfähigkeit  des  Markhügels  zur  Vermittlung  von  Gesichts- 
Wahrnehmungen  begründet  seinen  Namen:  blinder  Fleck  der 
Netzhaut  Neben  dem  Markhügcl  nach  aussen  bildet  die  Retina  zwei 
querlaufende;  lippenähnliche  Wülstchen ,  Plicae  centralesy  zwischen 
welchen  eine  durchsichtige,  rundliche;  und  etwas  vertiefte  Stelle 
eingeschlossen  wird;  welche  das  schwarze  Pigment  der  Choroidea 
durchscheinen  lässt;  und  deshalb  ftlr  ein  Loch  gehalten  wurde,  Fo- 
ramen  centrale  Soemmerringii  (richtiger  Fovea  centralis).  Die  Ränder 
der  Plicae  und  ihre  nächste  Umgebung  sind  gelb  gefilrbt  —  Macula 
lutea.  Der  Colliculus  und  die  Plicae  centrales  kommen  jedoch  nur  im 
Leichenauge  vor,  dessen  welker  Zustand  die  Spannung  der  Retina 
vermindert;  und  Faltungen  derselben  bedingt,  welche  am  lebenden; 
vollen  AugC;  wie  dessen  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  lehrt, 
nicht  existiren. 

Während  die  Retina  sich  nach  vom  erstreckt,  wird  sie  dünner, 
und  ihre  milchig  weisse  Farbe  klärt  sich.  Von  der  Ora  serrata  ange- 
fangen, wird  sie  selbst  ganz  durchsichtig,  indem  von  allen  ihren, 
im  folgenden  Paragraph  geschilderten  Schichten  nur  die  wasserhelle 
Membrana  limitans  übrig  bleibt,  welche,  wie  früher  bemerkt,  sich 
unter  der  Corona  ciliaris  auf  die  hintere  Fläche  der  Iris  bis  zu 
ihrem  Pupillarrand  fortsetzt. 

Die  Blutgefässe  der  RetiDa  yerkehren  nar  mit  jenen  des  yertms  opticus, 
Sie  stehen  mit  keiner  anderen  Hautschichte  des  Bulbus  in  Verbindung. 

Meinen  Beobachtungen  zufolge  (Med.  Jahrb.  Oest.,  28.  Bd.  p.  14)  besitzt 
der  Sehnerv  dreierlei  Arterien  :  1.  Die  Vaginalarterie  versorgt  sein  Neurilemm, 
2.  die  Interstitialarterie  liegt  zwischen  dem  leicht  abziehbaren  Neurilemm  und 
dem  Mark  des  Nerven,  3.  die  eigentliche  Centralarterie ,  welche  mit  der  zuge- 
hörigen Vene  im  Porus  opticus  (Axenkanal  des  Sehnerven,  schon  von  Galen 
gekannt)  in  das  Auge  eindringt,  und  beim  geborenen  Menschen  nur  die  Retina, 
nicht  aber,  wie  es  hie  und  da  noch  geäussert  wird,  auch  den  Glaskörper  und  die 
Linseukapsel  versieht  Sie  löst  sich  nämlich  in  der  Retina  in  ein  feines  und  nur 
sehr  schwer  durch  Injection  darstellbares  Gcfässnctz  auf,  welches  niemals  Zweige 
in  den  Glaskörper  abgiebt,  sondern  am  Beginne  der  Zonula  Zinnii  in  ein  kreis- 
förmiges, aber  nicht  ganz  zu  einem  Ringe  abgeschlossenes  Gefäss  übergeht  (Sinus 
eirctdaris  venosus  retincte),  aus  welchem  die  rückführenden  Venen  auftauchen.  Nur 
beim  Embryo  verlängert  sich  die  Centralarterie  des  Sehnerven  zur  Arteria  cen- 
tralia  corporis  vitrei,  welche  durch  die  Axe  des  Glaskörpers  bis  zur  hinteren 
Wand  der  Linsenkapsel  gelangt  —  Die  Macula  lutea  wurde  bisher  für  eine  nur 
dem  Menschen- und  Affenauge  zukommende  Eigenthümlichkeit  gehalten.  H.Mül- 
ler hat  sie  jedoch  (oder  wenigstens  ihre  Fovea  centralis)  im  Auge  verschiedener 
Wirbelthiere  der  drei  hohem  Classen  aufgefunden. 


§.  SSft.   Bau  der  B«tina.  557 


§.  225.  Bau  der  Eetina. 

So  gleichartig  die  Retina  dem  unbewaffneten  Auge  zu  sein 
scheint,  so  complicirt  gestaltet  sich  ihr  Bau  unter  dem  Mikroskop. 
Die  Anatomie  hat  zur  Aufklärung  dieses  Baues  ihr  Bestes  gethan, 
ohne  jedoch  zu  einem  definitiven  Abschluss  gekommen  zu  sein, 
welcher,  allem  Anscheine  nach,  noch  lange  auf  sich  warten  lassen 
dürfte.  Sie  hat  selbst  mehr  geleistet,  als  die  Physiologie  des  Auges 
zu  verwerthen  im  Stande  ist  Denn  welche  Betheiligung  am  opti- 
schen Vorgänge  des  Sehens  den  einzelnen  Schichten  der  Retina 
zukommt,  ist  noch  nicht  erkannt  worden. 

Die  Netzhaut  besteht  aus  mehreren  Schichten,  von  denen  nur 
eine  (die  Faserschicht)  dieselben  mikroskopischen  Elemente  wie 
der  Sehnerv  führt  Diese  Schichten  sind,  von  aussen  nach  innen 
gezählt:  1.  die  Stabschichte,  2.  die  Eörnerschichte,  3.  die 
Zellenschichte,  4.  die  Faserschichte,  5.  die  structurlose  Mem- 
brana limitans. 

Die  charakteristischen  Formelemente  der  ersten  4  Schichten 
hegen  in  einem  gemeinsamen  Gerüste  feinster,  unmessbarer  Stütz- 
fasern  eingetragen,  deren  Bindegewebsnatur  theils  zugestanden, 
theils  bestritten  wird.  Die  Fasern  gehen  in  grosser  Menge  von  der 
5.  Schichte  aus,  und  durchsetzen  unter  imzähligen  Begegnungen 
und  Kreuzungen  die  übrigen  bis  zur  Stabschichte  hin,  wo  sie  in 
eine  structurlose  Haut  {Memh^ana  limitans  externa)  übergehen  sollen. 
Sie  mögen  nach  ihrem  Entdecker,  H.  Müller,  Müller 'sehe  Fasern, 
oder  ihrer  Richtung  wegen  Radiärfasern  genannt  werden. 

1.  Die  Stabschichte  besitzt  eine  Dicke  von  0,02'"  bis  0,03'", 
imd  wird  leicht  gesehen,  wenn  man  ein  frisch  präparirtes  Auge, 
nach  Wegnahme  der  Sclerotica  und  Choroidea,  in  reines  Wasser 
legt,  und  ein  wenig  schüttelt.  Sie  löst  sich  hiebei  in  grösseren  oder 
kleineren  Lappen  von  der  äusseren  Fläche  der  Retina  los,  und 
schwebt  in  der  Flüssigkeit.  Unter  dem  Mikroskope  erscheint  sie 
aus  doppelten  Elementen:  Stäbchen  und  Zapfen,  zusammenge- 
setzt Stäbchen  (Bacilli)  nennt  man  schmale,  längliche,  cylin- 
drische  Körper,  welche  auf  der  Aussenfläche  der  Retina  wie  Palis- 
saden senkrecht  stehen,  und  an  ihrem  inneren  Ende  in  einen  zarten 
Faden  sich  verlängern.  Die  Substanz  der  Stäbchen  ist  homogen,  sie  be- 
sitzen matten  Fettglanz  und  einen  solchen  Grad  von  Zartheit  und  Ver- 
änderhchkeit,  dass  sie  schon  durch  blossen  Wasserzusatz  ihre  Form  imd 
ihre  sonstigen  Eigenschaften  bis  zur  Unkenntlichkeit  verlieren.  Die 
Zapfen  (Cbni)  sind  ebenfalls  Stäbchen,  aber  nicht  so  hell  wie  diese, 
und  an  ihrem  inneren  Ende  durch  Einlagerung  eines  ansehnlichen 
Kernes  bauchig  aufgetrieben»  mit  eiiier  ceij^n  die  nächstfolgende 


558  §•  2^-    Baa  der  KeiinH. 

KoUUHSohiohte  ziehenden  fadenförmigen  Verlängerung.  In  der  Mar 
cnU\  lutM  finden  sich  nur  Zapfen,  in  den  entfernteren  Zonen  der 
Kotina  dagegen  prävaliren  die  Stäbchen  über  die  Zapfen. 

Von  ihrem  ersten  Entdecker,  dem  Engländer  A.  Jacob  (1819)  führt  die 
$tab«chicht  heute  noch  öfters  den  Namen  Jacob'sche  Membran.  Ritter  erwähnt 
cin^s  Streifens  oder  Fadens  in  der  Axe  der  Stäbchen  (Ritter'sche  Faser).  Sie 
9oU  gegen  das  peripherische  Ende  der  Stäbchen  mit  einer  knopfförmigen  Anschwel- 
King  enden.  Auch  in  den  Zapfen  vermisst  man  diesen  centralen  Axenfaden  nicht. 
W.  Krause  machte  auf  eine  doppelt  contourirte  Querlinie  aufmerksam,  durch 
welche  die  Stäbchen  in  ein  Aussen-  und  Innenglied  gotheilt  werden. 

2.  Die  Körnerschichte  besteht  aus  rundlichen,  im  irischen 
Zustande  hellen,  aber  bald  sich  trübenden  und  ein  granolirtes  An- 
sehen gewinnenden  Körnern  von  0,002'"  bis  0,004'"  Durchmesser, 
in  denen  man  durch  Einwirkung  von  Wasser  meistens  einen  dunklen 
Korn  wahrnimmt.  In  dem  grösseren  hinteren  Abschnitt  der  Retina 
bilden  diese  Kömer  zwei,  durch  eine  helle,  gestreifte,  wahrscheinlich 
dem  Bindegewebsgerüste  der  Retina  angehörige  Lage  von  einander 
getrennte  Schichten,  und  gehen  erst  gegen  die  Ora  serrata  zu,  in 
eine  einfache  Schichte  über.  Von  den  Kömern  gehen,  nach  Art 
bipolarer  Ganglienzellen,  zwei  Fortsätze  ab,  —  einer  nach  innen, 
der  andere  nach  aussen.  Es  ist  unentschieden,  ob  diese  Kömer 
Zellenkeme  oder  wirkliche  Zellen  sind.  Kölliker  hält  sie  für  Zel- 
len, deren  Kerne  die  Zellenmembran  vollkommen  ausfüllen. 

3.  Die  Zellen  schichte  bildet  eine  0,008'"  bis  0,02'"  dicke 
Lage  runder,  bimförmiger  oder  eckiger  Bläschen,  welche  im  ganz 
frischen  Zustande  durchscheinend  sind,  bald  aber  einen  Kern  mit 
Kemkörperchen  erkennen  lassen.  Sie  sind  wahre  Ganglienzellen, 
wie  sie  in  der  grauen  Substanz  des  Gehirns  gefunden  werden. 
Bowman,  Corti,  und  Kölliker  entdeckten  an  ihnen  3 — 6  blasse 
Ausläufer  oder  Fortsätze,  welche  sich  wiederholt  theilen,  und  da- 
durch bis  zu  einer  Dünnheit  von  0,0004'"  verjüngen.  Die  Fort- 
sätze mehrerer  Zellen  anastomosiren  theils  unter  einander,  theils 
verbinden  sie  sich  mit  den  nach  innen  gerichteten  Fortsätzen  der 
Kömer  der  2.  Schichte,  theils  gehen  sie  in  die  Elemente  der  nächst 
folgenden  Faserschicht  unimterbrochen  über. 

4.  Die  Faserschichte  wird  durch  die  Ausbreitung  der  Seh- 
nervenfasem  in  der  Fläche  gegeben.  Diese  Fasern  sind  marklos, 
haben  die  Feinheit  der  zartesten  Gehirnfasern,  und  laufen  'in  flachen 
Bündeln  gegen  die  Ora  serrata  zu.  Wegen  successiven  Ablenkens 
ihrer  Fasern  in  die  nächst  äusseren  Schichten  der  Netzhaut,  muss 
die  Faserschichte  nach  vom  zu  dünner  sein,  als  in  der  Nähe  des 
Sehnerveneintritts. 

6.  Die  letzte  Schichte  der  Retina  nach  innen  ist  die  structur- 
lose  Membrana  limitans,  in  welcher  bisher  keine  geformten  Elemente 


§.  S86.    Kern  des  Anges.  Glaskörper.  559 

entdeckt  wurden.  Sie  setzt  sich  über  die  Ora  serrcUa  hinaus  fort, 
und  überzieht;  wie  früher  schon  bemerkt,  die  Ciliarfortsätze,  sowie 
die  hintere,  schwarz  pigmentirte  Fläche  der  Iris.  Sie  muss  als  Mem- 
brana Umitans  interna  bezeichnet  werden,  wenn  die  zwischen  Stab- 
und  Körnerschichte  von  M.  Schnitze  als  Membrana  Umitans  externa 
beschriebene  structurlose  Schichte  sich  bestätigt. 

üeber  den  Zusammenhang  der  verschiedenen  Schichten  der 
Retina  unter  einander  lässt  sich  vermuthungsweise  Folgendes  sagen. 
Die  nach  innen  gehenden  Fäden  der  Stäbchen  und  Zapfen  ver- 
binden sich  mit  den  nach  aussen  gerichteten  Fortsätzen  der  Kömer, 
so  zwar,  dass  die  Fäden  der  Stäbchen  mit  den  Kömern  der  äusse- 
ren Körnerschichte,  die  Fäden  der  Zapfen  mit  jenen  der  inneren 
Kömerschichte  zusammenhängen.  Die  nach  innen  gerichteten  Fort- 
sätze der  Kömer  verbinden  sich  mit  den  nach  aussen  gerichteten 
Fortsätzen  der  Zellen,  während  die  nach  innen  sehenden  Fortsätze 
der  Zellen  ganz  sicher  mit  den  Nervenfasern  der  Faserschicht  in 
Continuität  stehen.  Dieser  Anschauung  zufolge  existirt  ein  ununter- 
brochener Zusammenhang  zwischen  den  Retinalschichten  1,  2,  3,  4, 
und  wahrscheinlich  sind  die  in  der  Axe  der  Stäbchen  gefundenen 
Streifen  (Ritter'sche  Fasern)  mit  ihren  knopfförmigen  Anschwellun- 
gen, als  die  letzten  Enden  der  Sehnervenfasem  anzusehen.  Uebri- 
gens  fehlt  es  noch  an  entscheidenden  Anhaltdpunkten,  um  mit 
Sicherheit  sagen  zu  können,  welche  Ingredienzien  der  Retina  dem 
nervösen  Systeme,  und  welche  dem  Bindegewebsgerüste  derselben 
angehören. 

Am  gelben  Fleck  der  Retina  fehlt  die  Faser-  und  Körner- 
schicht, die  Zellenschicht  liegt  unmittelbar  auf  der  Membrana  Umi- 
tans auf,  in  der  Stabschicht  fehlen  die  eigentlichen  Stäbchen,  und 
werden  nur  durch  Zapfen  vertreten,  und  ein,  durch  Wasser  extra- 
hirbares  gelbes  Pigment  tränkt  die  ganze  Stelle. .  Da  nun  gerade 
die  auf  den  gelben  Fleck  fallenden  Bilder  äusserer  Sehobjecte  am 
schärfsten  gesehen  werden,  so  ergiebt  sich  wohl  von  selbst,  welche 
Elemente  der  Netzhaut  die  optisch  wichtigsten  sind  (Zellen  und 
Zapfen). 

Nur  die  Faser-  und  Zellenschichte  der  Netzhaut  enthalten  Blutgefässe;  — 
alle  übrigen  Strata  dieser  Membran  sind  gefässios.  —  Ich  habe  gezeigt,  dass  nur 
die  Retina  der  Säugethiere  und  des  Menschen  Blutgefässe  besitzt,  jene  der  Vögel, 
Amphibien  und  Fische  vollkommen  gefösslos  ist.  Ueber  anangische  Netzhäute,  in 
den  Sitzungsberichten' der  kais.  Akad.  XLIII.  Bd. 


§.  226.  Kern  des  Auges.  Glaskörper. 

Der  Kern  des  Auges,  um  welchen  sich  die  im  Vorigen  abge- 
handelten  Häute   wie   Schalen   herumlegen,  besteht   aus   zwei  voll- 


560  {■  M6.   Kern  des  Anges.  Olaskörper. 

kommen  durchsichtigen  imd  das  Licht  stark  brechenden  Organen. 
Diese  sind:  der  Glaskörper,  Corpus  vitreum,  und  die  Krystall- 
linse,  Lena  crystallina. 

Der  Glaskörper  fiillt  die  becherförmige  Höhlung  der  Retina 
aus,  und  ist  eine  Kugel  von  wasserklarer,  sulziger  Masse,  welche 
in  einer  structurlosen  und  vollkommen  durchsichtigen  Hüllxmgsmem- 
bran  —  Glashaut,  Hyahidea  —  eingeschlossen  ist.  Die  Kugel 
hat  vom  eine  tellerfönnige  Vertiefimg  (Fossa  patellaris  s.  lenticularisjy 
welche  von  der  Krystalllinse  occupirt  wird.  In  der  Gegend  der 
Ora  serrata  theilt  sich  die  Hyaloidea  in,  zwei  Blätter,  von  denen  das 
vordere  {Zonula  Zinnii)  faserigen  Bau  annimmt,  und  zum  Rande  der 
Linsenkapsel  geht,  um  sie  in  ihrer  Lage  zu  halten,  während  das 
hintere  zur  tellerförmigen  Grube  einsinkt.  Da  die  Processus  ciliares 
sich  in  die  Zonula  hineinsenken,  und  jeder  einzelne  Processus  cilia- 
ris  die  Zonula  faltig  einstülpt,  so  geschieht  es  in  der  Regel,  dass, 
wenn  man  die  Corona  ciliaris  vom  Kerne  des  Auges  abzieht,  das 
Pigment  derselben  in  den  Falten  der  Zonula  haften  bleibt,  wodurch 
ein  Kranz  schwarzer  Strahlen,  um  die  Linse  herum,  zum  Vorschein 
kommt,  der  wohl  zuerst  Corona  ciliaris  genannt  wurde,  —  ein  Be- 
griff, den  man  später  erst  auf  die  Summe  aller  Falten  des  Corpus 
ciliare  übertrug.  —  Durch  die  Divergenz  beider  Blätter  der  Hyaloi- 
dea entsteht  rings  um  den  Rand  der  Linsenkapsel  ein  ringförmiger  ' 
Kanal  {Canalis  Petiti),  der  ein  kleines  Quantum  seröser  Flüssigkeit 
enthält,  und  durch  Anstich  seiner  vorderen  Wand  (Zonula)  aufge- 
blasen werden  kann,  wobei  sich  die  Falten  seiner  vorderen  Wand, 
die  durch  die  Einsenkung  der  Processus  ciliares  entstanden,  hervor- 
wölben, und  dadurch  ein  Kranz  von  Buckeln  entsteht,  welcher  den 
von  Petit  anfangs  gewählten  Namen  des  Kanals:  canal  godronncy 
erklärt.  —  An  der  äusseren  Fläche  der  Hyaloidea  soll,  nach  Henle 
und  Ritter,  Plattenepithel  lagern. 

Was  den  Bau  des  Glaskörpers  anbelangt,  so  Hess  man  ihn  lange  Zeit  aas 
einem  Aggregate  vieler,  unter  einander  nicht  communicircnder,  mit  einer  klaren, 
eiweissartigon  Flüssigkeit  gefüllter  Räume  oder  Zellen  bestehen.  Dieser  Glaube 
war  durch  die  Wahrnehmung  entstanden,  dass  ein  angestochener  Glaskörper  nicht 
gXnzlich  ausläuft-  Brücke  (Müller^t  Archiv.  1813.  pag.  345)  glaubte  gefunden 
zu  haben,  dass  sich  im  Glaskörper  von  Schafen  und  Rindern  concentrische,  ge- 
schichtete Membranen  vorfinden,  von  welchen  die  äussersten  der  Retina,  die 
innersten  der  hinteren  Linsenfläche  näherungsweise  parallel  verlaufen  sollen,  wo- 
durch die  Schnittfläche  eines  mit  essigsaurer  Bleioxydlösung  behandelten  Glas- 
körpers das  Ansehen  eines  fein  gestreiften  Bandachates  erhält.  Das  essigsaure 
Blei  soll  sich  nämlich  beim  Tränken  des  Glaskörpers  mit  der  Auflösung,  auf 
den  concentrischen  Membranen  desselben  niederschlagen,  und  dieselben  sichtbar 
machen.  A.  Hannover  beschrieb  hierauf  (Miäler^t  Archiv.  1845.  p.  467)  im 
Menschenauge  eine  grosse  Menge  häutiger  Septa,  welche  durch  die  Axe  des 
Glaskörpers  gehen,  und  seinen  Raum,  wie  die  Meridianebenen  einer  Kugel,  in 
eine  grosse  Anzahl  von  Sectoren  theilen,   ungefähr  wie  die  häutigen  Fächer  an 


§.  827.   Linse.  561 

der  QuerschnittflSche  einer  Orange.  Diese  Septa  sollen  so  dünn,  und  so  schwach 
lichtbrechend  sein,  dass  sie  durch  chemische  Mittel  (Chromsänre)  sichtbar  ge- 
macht werden  müssen.  B r  ü c k e * s  concentrische  Membranen  konnte  Hannover 
im  Menschenauge  nicht  wiederfinden.  Später  gab  Brücke  selbst  zu,  dass  er 
bei  wiederholter  Untersuchung  von  Menschenaugen  nicht  deutliche  concentrische 
Membranen,  wohl  aber  in  der  oberflächlichen  Schichte  des  Glaskörpers  parallele 
Streifen  gefunden  habe,  welche  sich  mit  Hannover's  Septa  kreuzten.  Brücke^s 
Angaben  wurden  durch  Bowman  widerlegt  (Lectures  on  the  Parts  concemed 
in  the  Operations  on  the  Eje.  London,  1849.  pag.  97),  indem  er  zeigte,  dass  die 
concentrirte  Bleioxydlösung  nicht  nur  von  der  Oberfläche  des  Glaskörpers,  son- 
dern von  jeder  beliebigen  Schnittfläche  desselben  aus,  den  Anschein  einer  Schich- 
tung im  Glaskörper  erzeugt  Nach  demselben  Autor  besitzt  der  Glaskörper  des 
Embryo  und  des  Neugeborenen  eine  netzförmig  faserige  Grundlage.  Die  Maschen 
der  Fasern  erfüllt  gallertartiger  Schleim,  welcher  der  Wharton'schen  Sulze  des 
Nabelstranges  gleicht,  und  als  eine  unvollkommene  Entwicklungsstufe  des  Binde- 
gewebes aufgefasst  wird  (Virchow^s  Schleimgewebe).  An  den  Kreuzungspunkten 
der  Fasemetze  kommen  Kembildungen  vor.  Die  an  der  inneren  Oberfläche  der 
Hyaloidea  auch  im  Auge  des  Erwachsenen  aufsitzenden  Kerne  sind  gewiss  nur 
Ueberreste  derselben. 

Da  im  Embryo  eine  in  der  Axe  des  Nervus  opticus  liegende  Arterie,  sich 
durch  den  Glaskörper  durch  bis  zur  Linsenkapsel  erstreckt,  so  rouss  die  Hya- 
loidea dieses  GefUss  scheidenartig  umgeben,  und  einen  Kanal  bilden,  der  von 
Cloquet:  Canalis  hyaloideus  genannt  wurde,  und  an  die  Einstülpung  erinnert, 
welche  die  Hyaloidea  beim  Yogelauge  durch  das  Marmpium  s,  Peeten  (eine  ge- 
faltete, in  den  Glaskörper  eindringende  Fortsetzung  der  Choroidea)  erleidet.  Der 
trichterförmige  Anfang  dieses  Kanals  ist  die  Area  Martegiani.  Im  Erwachsenen 
ist  vom  Kanal  und  vom  Martegianischen  Trichter  keine  Spur  zu  sehen. 


§.  227.  Linse. 

In  der  Kry  st  all  linse  besitzt  das  Auge  sein  stärkstes,  licht- 
brechendes  optisches  Medium.  Nur  ihre  äusseren  anatomischen 
Eigenschaften  sind  zur  Genüge  bekannt.  Sie  liegt,  von  einer  voll- 
kommen durchsichtigen,  structurlosen,  0,01'"  dicken,  häutigen  Kap- 
sel eingeschlossen,  in  der  tellerförmigen  Grube  des  Glaskörpers. 
Die  vordere  Wand  der  Kapsel  ist  frei,  und  wird  nur  vom  Pupillar- 
rande  der  Iris  berührt.  Die  hintere  Kapselwand  verschmilzt  mit  der 
Glashaut  der  tellerförmigen  Grube.  Hiedurch  wird  bewirkt,  dass 
die  Linse  mit  ihrer  Kapsel  nicht  vom  Posten  weichen  kann,  wozu 
noch  die  als  Zonula  Zinnii  früher  angeführte  Lamelle  der  Hyaloidea, 
welche  sich  an  die  grösste  Peripherie  der  Kapsel  ansetzt,  beiträgt. 
Die  Linsenkapsel  hat  durchaus  keine  Verbindung  irgend  einer  Art 
mit  der  Linse,  welche  in  ihr,  wie  der  Kern  in  der  Schale,  frei 
liegt.  An  der  inneren  Oberfläche  der  vorderen  Linsenkapselwand 
lagert  eine  einfache  Schichte  heller,  polygonaler,  kernhaltiger  Epi- 
thelialzellen,  —  an  der  hinteren  fehlt  sie. 

Die  Linse  füllt  ihre  Kapsel  nicht  genau  aus.  Der  Rand  der 
Linse  ist  nämlich  nicht  in  dem  Grade  scharf,  dass  er  ganz   genau 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  36 


562  §•  n?.   Linse. 

in  den  durch  die  Divergenz  der  vorderen  und  hinteren  Kapselwand 
gebildeten  spitzen  Winkel  einpasste.  Es  muss  somit  in  der  Kapsel 
drinnen,  ein  um  den  Rand  der  Linse  herumgehender,  wenn  auch 
noch  so  unbeträchtlicher  Raum  erübrigen.  Dieser  Raum  enthält 
den  wasserklaren  Humor  Morgagni^  welcher  aus  der  angestochenen 
Kapsel  aufgefangen  werden  kann,  und  meistens  losgerissene  Zellen 
des  Kapselepitheliums  enthält.  Die  Linse  selbst  hat  eine  vordere, 
elliptische,  und  eine  hintere,  viel  stärker  gekrümmte,  parabolische 
Fläche.  Als  man  die  Flächen  noch  für  sphärisch  gekrümmt  hielt, 
Hess  man  den  Halbmesser  der  vorderen  zu  dem  der  hinteren  sich 
wie  ()  :  1  verhalten,  was  beiläufig  genügt,  um  über  die  Verschieden- 
heit der  Krümmungen  eine  Vorstellung  zu  bekommen.  Die  Mittel- 
punkte der  vorderen  und  hinteren  Linsenfläche  heissenPole,  — 
der  grösste  Umfang  der  Linse:  Aequator. 

Quetschen  der  Linse  zwischen  den  Fingern  belehrt  uns,  dass 
die  Dichtigkeit  des  Linsenmaterials  von  der  Peripherie  gegen  das 
Centrum  zunimmt. 

Das  histologiscbo  Element  der  Linse  besteht  in  feinsten,  sechsseitig-pris- 
matischen Fasern,  deren  zwei  gegenüberliegende  Seiten  doppelt  so  breit  sind, 
als  die  übrigen.  Die  Fasern  der  oberflächlichen  Linsenstrata  lassen  an  ihren 
Riss-  oder  Schnittstellen  einen  albuminöscn  zähen  Inhalt  sich  hervordrängen,  und 
wurden  deshalb  von  Kölliker  für  Bohren  erklärt.  Sie  legen  sich  durch  Flächen- 
bcrUhrung  oder  durch  zackige  Ränder  (letzteres  besonders  schön  bei  Fischen)  an 
einander,  und  bilden  dadurch  Blätter.  Diese  lassen  sich  an  gehärteten  Linsen, 
wenn  auch  nicht  gleichförmig  um  die  ganze  Linse  herum,  doch  in  Form  von 
SohalenstUcken  ablösen.  Nur  die  äusscrsten  Schalen  haben  die  Form  der  Linse. 
Je  näher  dem  Centrum  der  Linse,  desto  mehr  geht  die  Form  der  Schalen  in  die 
kugelige  über.  Diese  kugeligen  Schalen  liegen  auch  viel  dichter  an  einander,  als 
die  äusseren,  und  bilden  den  harten  Kern  der  Linse. 

Nicht  an  frischen,  wohl  aber  an  etwas  macerirten,  oder  in  Chromsäure 
gehärteten  Linsen,  sieht  man  an  der  vorderen  und  hinteren  Fläche,  vom  Mittel- 
punkt aus,  drei  Linien  wie  Strahlen  gegen  die  Peripherie  der  Linse  laufen,  durch 
welche  drei  Winkel,  jeder  von  120  Grad,  gebildet  werden.  Die  drei  Linien  der 
hinteren  Fläche  correspondiren  nicht  mit  jenen  der  vorderen;  —  je  eine  hintere 
Linie  entspricht  vielmehr  der  Mitte  des  Abstandes  je  zweier  vorderer.  Gegen 
die  Peripherie  der  Linse  hin  theilen  sich  diese  Linien  gabelförmig,  wodurch  die 
Figur  eines  verzweigten  Sternes  entsteht.  Die  Strahlen  dieses  Sternes  müssen 
etwas  anderes  sein  als  faserige  Linsensubstanz.  Man  ist  geneigt,  diese  Linien 
für  die  Kanten  von  structurlosen  oder  leicht  granulirton  Klättem  anzusehen, 
welche  die  Linsensubstanz  durchsetzen,  senkrecht  auf  den  betreffenden  Flächen 
der  Linse  stehen,  und  die  Ausgangs-  und  Endpunkte  der  Linsenfasern  entlialten. 
Es  ist  unmöglich,  dass  bei  dem  Nichtübereinstimmen  der  vorderen  und  hinteren 
Strahlenzcichnnng  der  Linse  und  der  sie  veranlassenden  Centrallam eilen,  die 
Linsenfasem  wie  Meridiane  um  die  ganze  Linse  herumlaufen  können,  um  Pol 
mit  Pol  zu  verbinden.  Die  Fasern  müssen  vielmehr  kleinere  Curvensysteme  (deren 
Complexe  Linsen wirbel  genannt  werden)  bilden,  indem  die  vom  vorderen 
Linsenpol  ausstrahlenden  Fasern  an  den  Schenkeln  des  hinteren  Linsensterns 
enden   (und  umgekehrt),   während    die    von    den    Schenkeln    des    vorderen    oder 


§.  228.  Humor  tnjw.tu.  Augenkammern.   Besondere  Membranen  des  embryonischen  Auges .       563 

hiDteren  Linsenstemes  auslaufenden  Fasern,  an  die  Schenkel  dos  hinteren  oder 
vorderen  Sternes  treten  müssen.  Ich  will  nicht  sagen:  dass  durch  diesen  Ver- 
lauf der  Linsenfasem  der  Bau  der  Linse  in  allen  Tiefen  besonders  klar  gewor- 
den ist. 

Die  Lage  der  Linse  im  Auge  kann  keine  constante,  sondern  muss  eine 
veränderliche  sein.  Die  Linse  erzeugt  nftmlich  ein  verkehrtes  Bild,  welches  auf 
die  Retina  fallen  muss,  um  gesehen  zu  worden.  Da  nun  das  Bild  von  nahen 
und  fernen  Objecten  nicht  in  derselben  Entfernung  hinter  der  Linse  liegt,  son- 
dern bei  nahen  Gegenständen  weiter  von  der  Linse,  bei  fernen  näher  an  der 
Linse,  so  müssen  im  Auge  Veränderungen  geschehen,  welche  die  Linse  der  Re- 
tina nähern  oder  von  ihr  entfernen,  damit  von  fernen,  wie  von  nahen  Objecten 
das  Bild  jedesmal  auf  die  Retina  fallen  kOnno.  Die  Fähigkeit  des  Auges,  den 
Stand  der  Linse  durch  einen  unbewussten  Vorgang  zu  ändern,  heisst  Accom- 
modationsvermögen.  Der  Mtuculut  eiliarü,  und  die  Elasticität  der  Zonula, 
scheinen  die  wichtigsten  und  thätigsten  Vermittler  der  Accommodation  zu  sein, 
über  welche  um  so  mehr  gestritten  wird,  ]e  weniger  man  von  ihr  weiss.  —  Hat 
das  Auge  sein  Accommodationsvermögen  für  nahe  Gegenstände  verloren,  so  ist 
es  weitsichtig,  im  entgegengesetzten  Falle  kurzsichtig. 

Verbindet  man  den  Mittelpunkt  der  Cornea  mit  dem  der  Linse,  und  ver- 
längert diese  Linie,  bis  sie  die  Retina  trifft,  so  hat  man  die  optische  Axe 
construirt  In  ihr  liegt  der  Drehungspunkt  des  Augapfels.  Er  fällt  genau  an  jene 
Stelle,  wo  die  verlängert  gedachte  Sehnervenaze  die  optische  Axe  unter  einem 
Winkel  von  29  Graden  schneidet. 

Bei  alten  Leuten  findet  man  die  Linse,  ohne  Beeinträchtigung  des  Seh- 
vermögens, fast  regelmässig  bernsteingelb.  Undurchsichtigwerden  der  Linse  be- 
dingt den  grauen  Staar;  Lähmung  der  Netzhaut  den  schwarzen. 


§.  228.  Humor  aqueus.  Augenkammem.  Besondere  Membranen 

des  embryonischen  Auges. 

Der  Raum  zwischen  Cornea  und  Linse  enthält  wässerige 
Feuchtigkeit,  Humor  aqueus.  Die  grössere  Menge  dieser  Feuch- 
tigkeit befindet  sich  zwischen  Cornea  und  Iris  in  der  vorderen 
Augenkammer.  Ein  kleinerer  Antheil  derselben  nimmt  den  Raum 
zwischen  Iris  und  Linse  ein.  Man  hat  diesen  Raum  als  hintere 
Augenkammer  benannt.  In  neuester  Zeit  bestreitet  man  die  Exi- 
stenz dieser  hinteren  Augenkammer,  indem  man  die  Linse  an  die 
Iris  sich  anlegen  liess.  Es  wurde  früher  (§.  222,  b)  gesagt,  was 
der  Anatom  von  dieser  physiologischen  Neuerung  zu  denken  hat. 
Nur  der  Pupillarrand  der  Iris  liegt  auf  der  Linsenkapsel  auf,  aus- 
wärts vom  Pupillarrande  der  Iris  dagegen,  zwischen  der  planen 
hinteren  Irisfläche  imd  der  vorderen  convexen  Linsenkapselwand, 
lässt  sich  ein  mit  Humor  aqtveus  geflültes  Spatium,  als  ringförmige 
hintere  Augenkammer  nicht  par  hon  plaisir  wegläugnen. 

Der  Humor  aqueus  hält  die  Linse  in  gehöriger  Entfernung  von 

der   Cornea.     Wird    er  bei  Augenoperationen   entleert,  so  legt  sich 

die  Iris  und  die  Linse  an   die  Cornea  an,  und  die  Augenkammem 

86» 


664  8«  SS9>  EintbeUimg  des  Gehörorgans. 

sind  verschwunden.  Verschiebt  sich  die  Linse,  bei  der  Accommo- 
dation  für  nahe  Gegenstände,  nach  vom,  so  muss  die  Cornea  con- 
vexer  werden,  was  durch  Beobachtung  constatirt  ist.  Kehrt  diese 
Accommodationsform  oft  wieder,  und  wird  sie  lange  Zeit  unter- 
halten, wie  bei  der  Anstrengung  der  Augen  in  gewissen  Gewerben 
und  Beschäftigungen,  so  kann  die  Convexität  der  Hornhaut  eine 
bleibende  werden,  und  dadurch  erworbene  Kurzsichtigkeit  ent- 
stehen. 

Durch  Wachendorff  (Commercium  lit  Noricum.  1740.)  wurde  eine  feine 
geflUsreiche  Haut  im  Auge  des  menschlichen  Embryo  bekannt,  welche  die  Pu- 
pille verschliesst,  und  deshalb  Membrana  pupUlarU  heisst.  Sie  existirt  nur  bis 
zum  achten  Embryomonat  in  voller  Entwicklung,  beginnt  hierauf  zu  schwinden, 
indem  sich  zuerst  ihre  GefSsse  vom  Centrum  der  Pupille  gegen  die  Peripherie 
derselben  zurückziehen,  und  sie  selbst  so  durchlöchert  wird,  dass,  wenn  man 
das  Auge  mit  feinen  gefKrbten  Flüssigkeiten  injicirt,  einzelne  Gefässchen  in  der 
Ebene  der  Pupille  frei  ausgespannt,  oder  als  Schlingen  flottirend  angetroffen 
werden.  Selbst  in  den  Augen  Neugeborener  lassen  sich  die  Gefässreste  der 
Membrana  pupillari*  in  der  Pupille  noch  durch  Injection  nachweisen.  Die  Blut- 
gefässe dieser  Membran  sind  Verlängerungen  der  Irisgefässe,  welche,  so  lange 
die  Membrana  pupUlaria  existirt,  keinen  Circtdiu  arterio»us  minor  bilden,  sondern 
sich  bis  gegen  das  Centrum  dieser  Membran  verlängern,  um  daselbst  schlingen- 
fttrmig  umzulenken.  Sie  hängen  noch  mit  den  Gefässen  einer  anderen  embryo- 
nalen Haut  des  Auges  zusammen,  welche  von  Hunt  er  zuerst  aufgefunden,  durch 
Müller  und  He  nie  der  Vergessenheit  entrissen  und  genauer  untersucht  wurde. 
Diese  ist  die  Membrana  capnUo-pupillarUy  welche  sich  von  der  grössten  Peripherie 
der  Linsenkapsel,  durch  die  hintere  Augenkammer  hindurch,  bis  zur  Iris  und 
der  Membrana  pupiUarU  erstreckt  (Henle,  de  membrana  pupillari.  Bonnae,  1832). 
Die  Entwicklungsgeschichte  des  Auges  lehrt,  dass  die  Membrana  pupiUaris  nur 
der  vordere,  die  Pupille  ausfüllende  Theil  der  Membrana  capstdo-pupiüarig  ist 


D.  Gehörorgan. 

§.  229.  Eintheilung  des  Gehörorgans. 

Das  Gehörorgan  ist  unter  allen  Sinneswerkzeugen  am  meisten 
von  der  Vorderfläche  des  Antlitzes  weggerückt,  und  an  die  Seiten- 
gegend des  Schädels  verwiesen.  Es  besteht,  wie  das  Sehorgan, 
aus  einem  wesentlichen  Theile,  dem  Gehörnerv,  der  mit  einer 
specifischen  Empfindlichkeit  fttr  mechanische  Erschtttterungen,  die 
er  als  Töne  wahrnimmt,  ausgerüstet  ist,  und  einer  Menge  acces- 
sorischer  Gebilde,  welche  die  Schallwellen  aufnehmen,  leiten,  imd 
verdichten,  oder,  wenn  sie  zu  intensiv  werden,  dieselben  abschwä- 
chen und  dämpfen.  Nur  ein  kleiner  und  ziemlich  unwichtiger  Theil 
dieses  complicirten  Sinnesorgans  ist  an  der  Aussenseite  des  Kopfes 
als  äusseres   Ohr  sichtbar.    Alles   Uebrige   liegt  in  der  knöchernen 


§.  SSO.  OlunnnBchel.  565 

Schädelwand,  und  in  den  Höhlen  des  Schläfebeins  verborgen.  Man 
kann  deshalb  ein  äusseres  und  inneres  Gehörorgan  unterscheiden. 
Das  innere  besteht  selbst  wieder  aus  zwei  auf  einander  folgenden, 
deutlich  geschiedenen  Abtheilungen,  so  dass  es  zur  leichteren  lieber- 
sieht  des  Ganzen  zweckmässiger  ist,  eine  äussere  Sphäre  (Ohr- 
muschel), eine  mittlere  (Paukenhöhle),  imd  eine  innere  (Labyrinth) 
zu  unterscheiden.  Die  mittlere  und  innere  Sphäre  sind  der  Beob- 
achtung im  lebenden  Menschen  so  gut  als  unzugänglich,  und  die 
anatomische  Untersuchung  derselben  ist  eine  der  schwierigsten. 
Obwohl  wir  ihren  Bau  so  genau  als  den  irgend  eines  anderen 
Sinneswerkzeuges  kennen,  ist  dennoch  die  Pathologie  der  Gehör- 
krankheiten ein  ebenso  unbekanntes  Feld,  als  die  Kunst,  sie  zu 
heilen,  bisher  arm  an  Mitteln  und  Erfolgen  war. 


I.  Aeussere  Sphäre. 

§.  230.  Ohrmuschel. 

Die  Ohrmuschel  (Auriculd)  verdankt  ihre  so  charakteristische 
Form  einem  elastischen  Faserknorpel,  welcher  im  Ganzen  die  Form 
eines  weiten  Trichters  hat,  der  seine  Concavität  vom  Schädel  ab-, 
seine  Convexität  dem  Schädel  zukehrt.  Sein  äusserster,  gekrümm- 
ter, und  leistenförmig  aufgekrempter  Rand  —  die  Leiste,  Helix 
—  entspringt  an  der  concaven  Fläche  des  Elnorpels,  ttber  dem 
Anfang  des  Meatus  attditorius  extemu8y  als  Spina  8,  Orista  helicia. 
Verfolgt  man  am  hinteren  Rande  der  Ohrmuschel  die  Leiste  des 
Ohrknorpels  mit  den  Fingern  nach  abwärts,  so  fühlt  man,  dass  sie 
nicht  in  das  Ohrläppchen  übergeht,  welches  letztere  blos  durch  die 
Haut  gebildet  wird.  Fehlen  der  Leiste  bedingt  jene  unangenehme 
Ohrform,  welche  häufig  in  der  mongolischen  Race,  als  unschöne 
Seltenheit  auch  bei  ims,  als  Stutzohr  vorkommt.  Mit  der  Leiste 
mehr  weniger  parallel,  und  durch  die  schiff  form  ige  Grube  von 
ihr  getrennt,  verläuft  die  Gegenleiste  (Antüielix),  welche  über 
der  Spina  helicis  mit  zwei  convergirenden  Schenkeln  (Orura  für- 
cata)  beginnt.  Vor  dem  Eingange  in  den  äusseren  Gehörgang, 
verdickt  sich  der  Ohrknorpel  zur  Ecke  {Tragus),  welche,  wie  eine 
offene  Klappe,  den  Anfang  des  äusseren  Gehörgangs  nach  hinten 
überragt,  und  von  der  ihr  gegenüberstehenden  Gegenecke  {Anti- 
tragtui),  durch  die  Incisura  intertragica  getrennt  wird.  Die  vertiefteste 
Stelle  der  Ohrmuschel  zieht  sich  als  eigentUche  Concha  trichter- 
förmig in  den  äusseren  Gehörgang  hinein.  —  Der  Ohrknorpel  besitzt 
ein  sehr  fest  adhärirendes  Perichondrium.  Elastisch-fibröse  Bänder, 
vom  Jochfortsatz  und  Warzenfortsatz  entspringend,  befestigen  ihn  in 


566  §•  SSI.  Aensserer  Geh&rgang. 

seiner  Lage^  und  erlauben  eine  gewisse  Beweglichkeit  desselben. 
Die  Haut  hängt  an  der  concaven  Fläche  des  Knorpels  fester,  als 
an  der  convexen  an,  und  bildet  unter  der  Incisura  intertragica  einen, 
mit  faserigem,  fettlosem,  blut-  imd  nervenarmen  Gewebe  geflillten 
Beutel  —  das  Ohrläppchen,  Lohulus  aunculae  —  der,  wie  die 
Ohrzierrathen  der  Wilden  beweisen,  eine  ungeheure  Ausdehnbarkeit 
besitzt,  und  beim  Ohrenstechen,  dem  ersten  Opfer  weiblicher  Eitel- 
keit, weder  erheblich  schmerzt,  noch  blutet.  —  Kein  Ohr  eines 
Thieres  besitzt  ein  Ohrläppchen,  und  kein  im  Wasser  lebendes 
Säugethier  besitzt  eine  Ohrmuschel. 

Der  Ohrknorpel  hat  ausser  den  Muskeln,  welche  ihn- als  Gan- 
zes bewegen  {Levator,  Attrahens,  BetrahenSy  §.  158,  4),  auch  einige 
ihm  eigenthümliche,  auf  Veränderung  seiner  Form  berechnete  Mus- 
keln, welche,  da  sie  an  ihm  entspringen  und  endigen,  bei  den  Ge- 
sichtsmuskeln nicht  berücksichtigt  wurden.  Der  Musculus  helicis 
major  entsteht  in  der  Concavität  des  Ohrknorpels  an  der  Spina 
helicis,  geht  nach  vor-  und  aufwärts,  und  inserirt  sich  an  der  Um- 
beugimgsstelle  des  Helix  nach  hinten.  —  Der  Musculus  helicis  minor 
liegt  auf  dem  Anfange  der  Spina  helicis;  —  der  Musculus  tragicus 
auf  der  vorderen  Fläche  des  Tragus;  —  der  Musculus  antitragicus 
geht  vom  unteren  Ende  des  Antihelix  zum  Antitragus;  —  der 
Musculus  transversus  auriculae  besteht  aus  mehreren  blassröthUchen 
Bündeln,  welche  an  der  convexen  Seite  des  Ohrknorpels  die  beiden 
Erhabenheiten  verbinden,  welche  der  Concha  und  der  scliiffförmigen 
Grube  entsprechen.  Ihre  praktische  Unwichtigkeit  entschuldigt  diese 
kurze  Abfertigung  derselben. 

Zuweileu  findet  sich  ein  Muskel  am  Tragus,  welcher  von  Öantorini, 
MusctUus  incisurae  majoris  auriculae^  von  Theile:  Dilatator  conchae  genannt  wird. 
Ich  sah  ihn  vom  vorderen  Umfange  des  Äusseren  Gehörganges  entspringen,  von 
wo  er  nach  ab-  und  auswärts  zum  unteren  Rande  des  Tragus  verlief,  welchen 
er  nach  vom  zieht,  und  den  Raum  der  Concha  dadurch  vergrössort. 

Mir  ist  kein  Beispiel  bekannt,  von  sichergestellter  willkürlicher  Gestalt- 
veränderung der  Ohrmuschel  durch  das  Spiel  dieser  kleinen  Muskelchen.  Da- 
gegen kommt  willkürliches  Bewegen  der  Ohrmuschel  als  Ganzes  durch  die  in 
§.  158  angeführten  Ohrmuskeln,  welche  am  Schädel  entspringen,  und  an  der 
Ohrmuschel  endigen,  nicht  so  selten  vor.  Hall  er  führt  (Elem.  phys.  Tom.  V. 
pag.  190)  viele  hieher  gehörige  Fälle  auf,  und  B.  8.  Albin,  der  grösste  Anatom 
des  vorigen  Jahrhunderts,  nahm,  wenn  er  über  die  Ohrmuskeln  vortrug,  jedes- 
mal die  Perücke  ab,  um  seinen  Schülern  zu  zeigen,  wie  sehr  er  die« Bewegungen 
der  Ohrmuschel  in  seiner  Macht  hatte. 


§.  231.  Aeusserer  Gtehörgang. 

Der  äussere  Gehörgang  besteht  aus  einer  knorpeligen 
Röhre,  als  Fortsetzung  des  Ohrknorpels,  und  einer  an  sie  ange- 
stückelten knöchernen  Röhre,   und    wird   somit   in  den  Meatus  nufH- 


§.  2S1.  AeQBserer  GehArgang.  567 

torius  cartilagineua  und  osseus  unterschieden.  Der  osseua  übertriflFt 
den  cartilagineus  etwas  an  Länge.  Die  Continuität  der  unteren 
Wand  des  knorpeligen  Gehörgangs  wird  durch  2 — 3  Einschnitte 
(Incisurae  Santorinianae)  unterbrochen.  Der  knöcherne  Gehörgang 
gehört  als  integrirender  Bestandtheil  dem  Schläfebein  zu  eigen, 
und  besitzt  an  seinem  inneren  Ende  einen  Falz  flir  die  Aufnahm« 
der  Trommelhaut  (Sulcus  pro  membrana  tympani).  —  Die  Länge 
beider  Gänge  zusammen  variirt  von  9'" — 1"  und  darüber.  An  der 
oberen  Wand  muss  sie  geringer  ausfallen  als  an  der  unteren,  weil 
die  Ebene  des  Trommelfells  nicht  vertical  steht,  sondern  mit  ihrem 
unteren  Rande  nach  innen  abweicht.  Der  Winkel,  welchen  die 
obere  Wand  des  äusseren  Gehörganges  mit  dem  Trommelfell  bildet, 
wird  sonach  ein  stumpfer,  jener  zwischen  der  unteren  Gehörgangs- 
wand imd  Trommelfell  ein  spitziger  (45^)  sein.  Die  Weite  des 
Gehörgangs  bleibt  sich  nicht  an  jedem  Querschnitte  gleich.  Dass 
Anfang  und  Ende  des  Gangs  die  weitesten  Stellen  desselben  sind, 
wird  allgemein  zugegeben.  Die  engste  Stelle  des  Ganges  aber  ge- 
hört dem  Meattis  cartilagineus  an.  (Tröltsch).  Sie  liegt  der  äusse- 
ren Mündung  des  Ganges  nahe  genug,  um  gesehen  werden  zu 
können.  Die  Verlaufsrichtung  des  Ganges  lässt  sich  nur  schwer 
durch  Worte  anschauUch  machen.  Allgemein  ausgedrückt  bildet 
er  einen  nach  oben,  hinten,  imd  innen  gerichteten  Bogen.  Der 
knorpelige  Gang  lässt  sich  durch  Zug  am  Ohre  nach  rück-  und 
aufwärts  in  Eine  Richtung  mit  dem  knöchernen  bringen,  was  für 
die  ärztliche  Untersuchung  des  äusseren  Ohres  Wichtigkeit  hat. 
Eine  Sammlung  von  Wachsabgtissen  des  äusseren  Gehörganges 
macht  es  anschauUch,  wie  wenig  die  anatomischen  Verhältnisse 
desselben  in  verschiedenen  Individuen  sich  gleichen  (selbst  nicht 
einmal  auf  beiden  Ohren  desselben  Menschen). 

Eine  Fortsetzung  des  Integuments  kleidet  die  innere  Ober- 
fläche des  äusseren  Gehörgangs  aus.  Sie  verdünnt  sich  um  so 
mehr,  je  mehr  sie  sich  dem  Trommelfelle  nähert,  imd  bedeckt 
auch  als  dünnes  Häutchen  die  äussere  Oberfläche  desselben.  Sie 
besitzt,  so  weit  sie  den  knorpeligen  Gehörgang  auskleidet,  zahl- 
reiche tubulöse,  den  Schweissdrüsen  analog  gebaute  Drtlschen, 
deren  knäuelförmig  gewundenes  Ende  sich  in  den  Knorpel  selbst 
einbettet.  Sie  secemiren  kein  gewöhnliches  Seinem  cutaneum,  son- 
dern den  als  Ohrenschmalz  bekannten,  gelblichen,  an  der  Luft 
zu  Borken  erhärtenden,  bitter  schmeckenden  Stoff  {Cerumen,  viel- 
leicht von  cei^a  aurium),  und  heissen  deshalb  Glandulae  ceruminales. 
Auch  an  kleinsten  Tastwärzchen  und  Haaren  feldt  es  nicht,  welche 
letztere  besonders  am  Eingange  dicht  stehen,  und  zuweilen,  beson- 
ders bei  alten  Leuten,  die  aus  dem  Ohre  büschelförmig  herausra- 
genden sogenannten  Bockshaare  (Hirci)  darstellen. 


568  §.  SSS.  Trommelfell. 

Nach  Buchanan  finden  sich  in  Einem  Ohre  1000 — 2000  Glandulae  certk- 
minalea.  —  Durch  die  Incisurae  Santorini  des  knorpeligen  Gehörganges  kann  ein 
Abscess,  ifvelcher  in  der  Ohrendrtisengegend  entstand,  sich  Bahn  in  den  Mealus 
audUorius  brechen,  was  häufig  geschieht. 

Da  die  Querschnitte  des  Gehörganges  Ellipsen  und  keine  Kreise  geben, 
so  wird,  wenn  ein  runder  Körper,  z.  B.  eine  Erbse,  hineingefallen  ist,  und,  seines 
Anschwellens  wegen,  nicht  mehr  bei  seitlicher  Neigung  des  Kopfes  von  selbst 
herausgclangen  kann,  noch  etwas  Raum  vorhanden  sein,  um  ein  Instrument  hinter 
ihn  zu  schieben,  und  ihn  damit  herauszubringen.  Herr  Ohrenarzt  Krämer  in 
Berlin  hat  mich,  dieser  (und  anderer)  Bemerkungen  wegen,  arg  mitgenommen, 
und  mir  zu  GemÜthe  geführt,  dass  man  zwar  ein  guter  Anatom,  aber  zugleich 
ein  Fremdling  im  Gebiete  der  Ohreupraxis  sein  kann.  Ich  gebe  dem  artigen 
Herrn  sein  Compliment  zurück,  da  ich  in  ihm  einen  Mann  kennen  zu  lernen  die 
Ehre  hatte,  auf  welchen  das  von  ihm  Gesagte  im  umgekehrten  Sinne  passt 

Höchst  merkwürdig  sind  die  sympathischen  Zufälle  (Kratzen  im  Halse, 
Husten,  Würgen,  Erbrechen),  welche  bei  chirurgischen  Hilfeleistungen  im  äusse- 
ren Gehörgang,  selbst  wenn  sie  mit  nöthiger  Delicatesse  gemacht  werden,  nicht 
selten  vorkommen.  Ich  erwähne  dieses  Umstandes,  weil  die  Neurologie,  wie  später 
folgt,  ihn  ganz  befriedigend  aufzuklären  vermag. 


§.  232.  Trommelfell. 

Das  Trommelfell,  Trommelhaut  (Membt'ana  tympani)  ge- 
hört weder  der  äusseren  noch  inneren  Sphäre  an,  sondern  liegt 
als  Scheidewand  zwischen  beiden.  Da  man  jedoch  wenigstens  einen 
Theil  seiner  oberen  Contour,  bei  geschickter  Behandlung  des  Ohres 
und  richtiger  Stellung  des  Kopfes  gegen  das  Licht,  ttbersehen  kann, 
so  schhesse  ich  es  dem  äusseren  Qehörgange  an.  Es  vermittelt  die 
Uebertragimg  der  Schallwellen  vom  äusseren  Gehörgang  auf  die 
Kette  der  Gehörknöchelchen,  und  entspricht  durch  seine  Spannung 
und  Elasticität  vollkommen  dem  acustischen  Bedürfhiss,  welches,  um 
den  Uebergang  von  Luftwellen  auf  feste  Körper  zu  erleichtem, 
die  Intervention  einer  gespannten  Membran  in  Anspruch  nimmt. 
Der  Sulctts  pro  memhrana  tympani  am  inneren  Ende  des  knöcher- 
nen Meatus  auditorlus  nimmt  die  Umrandung  des  Trommelfells  wie 
in  einem  Rahmen  auf.  Die  äussere  Fläche  des  Trommelfells  er- 
scheint concav,  die  innere  convex.  Seine  Farbe  nannte  ich  grau, 
welchen  Fehler  Herr  Kram  er  durch  das  ganz  entgegengesetzte 
mattweiss  berichtigt,  —  tantaene  animis  coelestihus  iraef  —  Die 
tiefste  Stelle  der  äusseren  Concavität  heisst  Urnbo.  Nahe  am  oberen 
Rande  wird  die  Trommelhaut  durch  den  Processus  minor  des  Ham- 
mers, der  sich  an  sie  von  innen  her  anstemmt,  etwas  hervorgetrie- 
ben. Ihre  Form  ist  länglich  oval.  Trotz  ihrer  Dtlnnheit,  besteht  sie 
doch  aus  drei  darstellbaren  Schichten,  von  welchen  die  äussere 
der  Haut  des  Meatus  auditorius  und  ihrer  Epidermis,  die  innere 
dem  Epithel  der  Schleimhaut  der  Trommelhöhle,    als    eine   einfache 


§.  2SS.  Pankenli&hle  and  Ohrtrompet«.  569 

Zellenlage,  angehört,  die  mittlere  und  zugleich  mächtigste  aber 
eine  aus  bandartigen  Bindegewebsfasern  bestehende,  nicht  contrac- 
tile  Membran  ist,  an  welcher  sich  wieder  eine  äussere  radiäre,  und 
eine  innere  Kreisfaser-Schichte  unterscheiden  lässt. 

Die  Ebene  des  Trommelfells  steht  nicht  senkrecht  auf  der 
Achse  des  Gehörgangs,  sondern  streicht  schief  nach  innen  und  un- 
ten, so  dass,  wenn  man  beide  Trommelfelle  in  dieser  Richtung  nach 
einwärts  und  unten  verlängern  würde,  sie  sich  unter  einem  Winkel 
von  130^  schneiden.  Die  Dttnnheit  des  Trommelfells  lässt  den  mit 
ihm  verwachsenen  Hammergriff  nach  aussen  durchscheinen. 

Das  schon  lange  aufgegebene  Foramen  Rivini  (A»  Q,  Rivintu,  de  auditus 
vitiis.  Lipsiae,  1717),  wurde  neuester  Zeit  durch  Bochdalek  in  integrum  resti- 
tuirt.  Es  findet  sich  dasselbe,  einfach  oder  doppelt,  am  oberen  Rande  des  Pauken- 
fells, dicht  am  kurzen  Fortsatz  des  Hammers  (Prager  Vierteljahresschrift,  1866. 
1.  Bd.).  Mau  hat  es  bisher  nur  bei  jenen  Menschen  zugegeben,  welche,  ohne 
eine  Zerreissung  oder  geschwürige  Perforation  des  Trommelfells  erlitten  zu  haben, 
Tabakrauch  aus  den  Ohren  blasen  können. 

Die  Gefässe  und  Nerven  des  Trommelfells  gehören  vorzugsweise  der  äusse- 
ren, vom  Integument  des  äusseren  Gehörgangs  abgeleiteten  Lamelle  desselben  an, 
und  sind  nach  Tröltsch  Fortsetzungen  der  Gefässe  und  Nerven  der  oberen 
Wand  des  äusseren  Gehörgauges,  welche  sich  auf  die  äussere  Fläche  des  Trom- 
melfells herabschlagen.  ELieraus  kann  es  sich  erklären,  warum  krankhafte  Pro- 
cesse  in  der  äusseren  Schichte  des  Trommelfells  meistens  mit  Schmerzen  verbun- 
den sind,  während  bei  ihrem  Auftreten  in  der  inneren  Schichte,  wie  es  gewöhnlich 
bei  chronischem  Katarrh  der  Trommelhöhle  der  Fall  ist,  die  Kranken  nur  durch 
die  stetig  zunehmende  Schwerhörigkeit,  nicht  aber  durch  schmerzhafte  Gefühle, 
auf  ihr  Leiden  aufmerksam  gemacht  werden. 


II.  Mittlere  Sphäre. 
§.  233.  Faukenliölile  und  Ohrtrompete. 

Die  Pauken-  oder  Trommelhöhle  (Caimm  tympanf)  he&ndei 
sich  zwischen  dem  Meatus  auditorius  extemus  und  dem  Felsentheile 
des  Schläfebeins.  Sie  hängt  durch  die  Eustachische  Ohrtrompete 
mit  der  Rachenhöhle  zusammen,  wird  von  dieser  aus  mit  Luft  ge- 
füllt, imd  enthält  die  Gehörknöchelchen.  Die  äussere  Wand  der 
Trommelhöhle  bildet  die  Membrana  tyvipani,  —  die  hintere  Wand 
fuhrt  in  die  Zellen  der  Pars  mastoidea,  —  die  obere  ist  ein  dün- 
nes, massig  nach  oben  gebauchtes  Knochenblatt,  welches  unter  dem 
Namen  Tegmentum  tympani  als  eine  Verlängerung  der  vorderen 
oberen  Wand  der  Schläfebeinpyramide  beschrieben  wurde,  —  die 
untere  Wand  entspricht  der  unteren  Fläche  der  Pyramide,  —  die 


570  §*  S^'  Pavkenhöhle  und  Ohrtrompet«. 

vordere  ist  die  kleinste,  und  zeigt  die  Paukenmündung  der  Eu- 
stachischen Trompete,  und,  über  dieser,  den  Anfang  des  Halbkanals 
für  den  Paukenfellspanner  (Semicaiialü  tensoris  tympani).  Die  innere 
Wand  besitzt  die  zahlreichsten  Merkwürdigkeiten,  welche  sind: 

1.  Das  ovale  Fenster  (besser  das  b ohnenförmige,  ^ene«^a 
ovalis  8.  veatihuli),  zum  Vorhof  des  Labyrinthes  führend.  Es  wird 
durch  die  Fussplatte  des  Steigbügels  verschlossen. 

2.  Unter  dem  ovalen  Fenster  liegt  das  runde  Fenster  (bes- 
ser das  dreieckige,  Fenestra  rotunda  s.  triquetra^  s,  Cochleae) y  zur 
Schnecke  leitend,  imd  durch  ein  feines  Häutchen  geschlossen,  wel- 
ches seit  Scarpa  den  Namen  Membrana  tympani  secundaria  fiihrt. 
Die  Ebene  des  runden  Fensters  bildet  mit  jener  des  ovalen  fast 
einen  rechten  Winkel.  Man  sieht  deshalb  am  macerirten  Schläfe- 
bein  durch  den  äusseren  Gehörgang  nur  das  ovale  Fenster  gut, 
das  runde  aber  unvollkommen,  oder  gar  nicht.  Die  Membrana  tym- 
pani secundaria  besteht,  >vie  die  eigentliche  Trommelhaut,  aus  einer 
mittleren  fibrösen  Schichte,  an  welche  sich  aussen  und  innen  die 
häutigen  Ueberzüge  jener  Höhlen  anlegen,  welche  durch  sie  von 
einander  geschieden  werden. 

3.  Zwischen  beiden  Fenstern  beginnt  ein  unebener  und  rauher 
Knochenwulst  —  das  Vorgebirge,  Promontorium,  welches  einen 
grossen  Theil  der  inneren  Paukenhöhlenwand  einnimmt,  die  Lage 
der  Schnecke  im  Felsenbein  verräth,  und  mit  einer  senkrecht  über 
sie  weglaufenden  Rinne  (Sulcus  Jacobsoni!)  gefurcht  erscheint,  welche 
eine  Verlängerimg  des  beim  Schläfebein  erwähnten  Canaliculm  tym- 
panicus  ist.  Der  Anfang  des  Promontorium  überragt  das  runde 
Fenster. 

4.  Hinter  der  Fenestra  ovalis  eine  niedrige,  schmächtige  und 
hohle  Erhabenheit  (Eniinentia  pyramidalis),  mit  einer  OefFnung  an 
der  Spitze. 

5.  üeber  der  Fenestra  ovalis  die  in  die  Paukenhöhle  vorsprin- 
gende, dünne,  untere  Wand  des  Canalis  Fallopiae,  welcher  anfangs 
nach  hinten,  und  dann  nach  unten  läuft,  und  mit  der  Höhle  der 
Emrnentia  pyramidalis  durch  eine  Oeflnimg  communicirt. 

6.  Ueber  dem  Promontorium  ein  knöcherner  Halbkanal,  Semi- 
canalis  tensoris  tympani,  der  wagrecht  bis  zum  Foramen  ovale  streicht, 
und  hier  mit  einem  dünnen,  löfFelförmig  aufgekrümmten  Knochen- 
blättchen  (Rostrum  cochleare)  endigt.  Zuweilen  wird  dieser  Halb- 
kanal zu  einem  vollständigen  Kanal  zugewölbt  gesehen. 

Nebst  diesen  grossen  und  sonder  Mühe  bemerkbaren  Einzelnheiten  linden 
sich  noch  kleinere,  für  die  subtilere  Anatomie  der  Kopfnerven  wichtige  Oeflfnnngen, 


S.  284.    Gehörknöchelchen.  571 

an  den  Wänden  der  Trommelhöhle:  1.  Die  Jacohson'sche  Furche  führt,  nach 
oben  verfolg,  zu  einem  Eanälchen,  welches  unter  dem  Semicanalia  tensoria  tym- 
pani  zum  Hiatua  canalia  Faüopiae  geht,  2.  nach  unten  verfolgt,  zeigt  diese  Furche 
den  Weg  zur  Paukenmündung  des  in  der  Foasula  petrosa  beginnenden  CanaUculus 
tympanicus,  8.  an  der  vorderen  Wand  der  Trommelhöhle  die  Paukenmündungen 
der  zwei,  aus  dem  Canalia  caroticua  kommenden  Oanaliculi  carotico-tympaniciy 
4.  an  der  äusseren  Wand  und  am  hinteren  Umfange  des  für  die  Einrahmung  des 
Trommelfelles  bestimmten  Falzes  (Stäcus  pro  membrana  tympani)^  die  Pauken- 
öffhung  des  aus  dem  unteren  Stücke  des  Canalit  FaUopiae,  dicht  über  dem 
Foramen  atylo-mastoideum  entspringenden  Kanälchens  für  die  Chorda  tympani 
{CanaUculua  pro  chorda  tympani). 

Die  Eustachische  Ohrtrompete  (Tuba  EtLstachn)  ist  ein  in 
der  Paukenhöhle  unter  dem  Semicanalis  tensoris  tympani  mit  einer 
engen  Oelffhung,  Ostium  tympanicum,  beginnender,  und,  trichterför- 
mig sich  erweiternd,  gegen  die  Rachenhöhle  nach  vom,  innen  und 
imten  gerichteter  Kanal,  von  circa  1  ^2  Zoll  Länge.  Er  mtlndet  an 
der  Seitenwand  des  obersten  Raumes  des  Rachens  immittelbar  hin- 
ter den  Choanen  mit  einer  länghch  ovalen,  etwas  schräge  gestellten, 
wulstig  gerandeten  OefFnung,  Ostium  pharyngeum,  aus.  Das  Ostium 
pharyngeum  tuhae  steht  in  gleichem  Niveau  mit  dem  hinteren  Ende 
des  Meatv^  narium  inferior.  Man  kann  deshalb  von  letzterem  aus 
die  Tuba  mit  Instrumenten  erreichen.  Man  unterscheidet  an  der 
Tuba  wie  am  äusseren  Gehörgang,  einen  knöchernen  und  knorpe- 
ligen Antheil.  Der  enge,  knöcherne  Theil  der  Trompete  gehört  dem 
Schläfebein  an,^  und  liegt  am  vorderen  Rand  der  Pyramide.  Der 
knorpelige  Theil  bildet  die  Rachenöjffhung  der  Tuba,  und  besteht 
aus  einem  rinnenförmig  gehöhlten,  elastischen  Faserknorpel,  dessen 
auf  einander  zugebogene  Ränder  durch  eine  fibröse  Membran  zu 
einem  Kanäle  geschlossen  werden. 

Die  Schleimhaut  der  Eustachischen  Trompete  besitzt,  wie  der  Pharynx, 
Flimmerepithelium ;  ebenso  die  Paukenhöhle,  mit  Ausnahme  des  Uebcrzuges  der 
Gehörknöchelchen,  und  der  inneren  Oberfläche  der  Trommelhaut,  wo  Pflasterepi- 
thelium  vorkommt  (EöUiker).  Rü dinge r,  im  ärztl.  Intelligenzblatt,  1865,  Nr.  37. 


§.  234.  &eliörkiiöchelclieii. 

Die  drei  Gehörknöchelchen  (Ossicula  auditus)  bilden  eine 
gegliederte  Kette,  durch  welche  die  äussere  Wand  der  Trommel- 
höhle mit  der  inneren  in  Verbindung  gebracht,  und  die  Schwin- 
gungen  der  Trommelhaut   auf  das   Labyrinth  fortgepflanzt  werden. 

Ausser  der  Schallleitung  von  der  Trommelhaut  durch  die  Gehörknöchel- 
chen zum  Labyrinth,  giebt  es  noch  eine  zweite.  Die  Oscillationen  der  Trommel- 
haut werden  auch  durch  die  Luft  der  Trommelhöhle  auf  die  das  runde  Fenster 
Bchliessende  Membrana  tympani  secundaria,  und  durch  diese  auf  das  Labyrinth 
übertragen.     Es   existirt  sonach  eine  doppelte  Leitung,  durch  Knochen  und  Luft 


572  S*  SM.   06li5rkB5olieIcken. 

der  Trommelhöhle.  Erstere  wirkt,  wie  MüUer's  Versuche  zeigten,  angleich  kräf- 
tiger alB  letztere.  Pflanzt  man  nämlich  in  Ein  Ohr  einen  kleinen  hölzernen 
Trichter  ein,  dessen  Anfangs-  nnd  Endöffhung  dorch  eine  darübergebundene  Haut 
verschlossen  sind,  so  stellt  dieser  Trichter  ein  Oamtm  tympani,  und  die  beiden 
Häute  die  Membrana  tympani  prapria  und  Mecundaria  vor.  Hält  man  das  andere 
Ohr  zu,  so  hört  das  betrichterte  Ohr  sehr  schiecht.  Verbindet  man  aber  die 
beiden  Verschliessung^häute  des  Trichters  durch  ein  Holzstäbchen,  so  wird  der 
Trichter  zu  einer  Imitation  der  Trommelhöhle  mit  den  Gehörknöchelchen.  Die 
äussere  Verschliessungshaut  repräsentirt  das  Trommelfell,  die  innere  die  Fenettra 
ovaiitf  und  man  hört  bei  dieser  Modification  des  Apparates  viel  schärfer  als  früher. 

Da8  erste  und  grösste  Gehörknöchelchen  ist  der  Hammer^ 
Malleus.  Er  hat  eher  die  Gestalt  eines  Schlägels^  als  die  eines 
HammerS;  und  wird  in  den  Kopf;  Hals^  Handhabe^  und  in  zwei 
Fortsätze  eingetheilt  Kopf  heisst  sein  oberes,  dickes,  aufgetriebe- 
nes Ende,  an  dessen  hinterer  Fläche  eine,  zur  Articulation  mit  dem 
nächstanliegenden  Ambos  bestimmte,  aus  zwei  unter  einem  vor- 
springenden Winkel  vereinigten  Facetten  bestehende  Gelenkfläche 
vorkommt  Er  kann  durch  die  Trommelhaut  hindurch  nicht  gesehen 
werden,  da  er  sammt  dem  Halse,  auf  welchem  er  aufsitzt,  in  die 
Concavität  der  oberen  Wand  der  Paukenhöhle  hinaufragt  Griff 
oder  Handhabe  nennt  man  das  seitlich  zusammengedrückte,  an 
der  Spitze  etwas  abgeflachte  Knochenstielchen  des  Kopfes,  welches 
mit  der  Trommelhaut  fest  zusammenhängt,  indem  es  zwischen  die 
doppelte  Faserlage  der  mittleren  Lamelle  derselben  hineingewachsen 
ist  (Gerlach),  während  die  innere  und  äussere  darüber  weglaufen. 
Er  reicht  bis  über  die  Mitte  der  Trommelhaut  herab,  und  zieht 
diese  so  nach  innen,  dass  er  ihre  ebene  Spannung  in  eine  nach 
aussen  concave  (Umbo)  verändert.  Fortsätze  finden  sich  zwei:  der 
kurze  und  der  lange.  Der  kurze  Fortsatz  geht  vom  Halse  gegen 
die  Trommelhaut  zu,  stemmt  sich  an  sie,  und  drängt  sie  dadurch 
an  ihrem  oberen  Umfange  konisch  hervor.  Der  lange  Fortsatz 
(Processus  Folü  s,  Bavu)  geht  vom  Halse  nach  vom,  ist  dünn  und 
flach,  und  liegt  bei  Kindern  lose  in  der  Fissura  Glasen,  verwächst 
aber  bei  Erwachsenen  mit  der  unteren  Wand  derselben,  so  dass  er 
abbricht,  wenn  er  mit  Gewalt  herausgezogen  wird,  und  nur  ein 
kurzes  Stück  desselben  am  Hammer  bleibt,  welches  man  früher 
kannte  (seit  Folius),  als  die  flache,  spateiförmige,  mit  der  Glaser- 
spalte verwachsene  Fortsetzung  desselben  (seit  Ravius). 

Der  Ambos  {Incus\  kleiner  als  der  Hammer,  erinnert  an  die 
Gestalt  eines  zweiwurzeligen  Backenzahns,  dessen  Wurzeln  recht- 
winklig divergiren.  Sein  Körper  (Krone  des  Zahns)  hat  eine  nach 
vom  gekehrte,  winkelig  einspringende  Gelenkfläche  (Mahlfläche  des 
Zahns)  Air  die  hier  eingreifende  Gelenkfläche  des  Hammerkopfes. 
Seine  beiden  Fortsätze  zerfallen  in  den  langen,  welcher  mit  dem 
Griff  des  Hammers  parallel  nach  unten  und  innen  gerichtet  ist,  und 


§.  234.  0«hfirkn5chelchen.  573 

in  den  kurzen,  welcher  direct  nach  hinten  sieht,  und  an  die  hintere 
Wand  der  Trommelhöhle  durch  ein  kurzes  Bändchen  fest  adhärirt, 
oder  auch  in  einem  Grübchen  dieser  Wand  steckt.  Der  lange 
Fortsatz  trägt  an  seinem,  gegen  das  ovale  Fenster  etwas  einwärts 
gekrümmten  Ende,  das  linsenförmige  Beinchen,  Ossiculum  lentt- 
ciliare  Sylvü^  kein  selbstständiges  Gehörknöchelchen,  sondern  eine 
Apophyse  dieses  Fortsatzes.  Das  Linsenbeinchen  articulirt  mittelst 
einer  schwach  convexen  Gelenkfläche  mit  dem  Kopfe  des  Steig- 
bügels (Stapes),  der  seinen  Namen  von  seiner  Gestalt  fiihrt,  und 
mit  seiner  Fussplatte  das  ovale  Fenster  verschliesst,  in  welchem 
er  nicht  feststeckt,  sondern  durch  ein  fibröses  Häutchen,  welches 
den  ungemein  kleinen  Zwischenraum  zwischen  dem  Rande  der  Fuss- 
platte und  dem  Rande  des  Fensters  ausfüllt,  etwas  beweglich  ein- 
gepflanzt ist.  Die  beiden  Schenkel,  der  vordere  mehr,  der  hintere 
weniger  gekrümmt,  vereinigen  sich  am  Köpfchen,  und  lassen  zwi- 
schen sich  einen  schwibbogenartigen  Raum  frei,  der  durch  die 
fibröse  Membrana  propria  stapedis  verschlossen  wird.  Der  Steigbügel 
und  der  lange  Fortsatz  des  Ambosses  bilden  einen  rechten  Winkel. 
Das  Köpfchen  des  Steigbügels  ist  somit  gegen  die  Trommelhaut 
gerichtet,  und  empfllngt  jene  Stösse,  welche  durch  die  Schwingun- 
gen des  Trommelfelles  dem  Hammer,  von  diesem  dem  Amboss,  und 
von  diesem  dem  Steigbügel  mitgetheilt  werden,  von  dessen  Fuss- 
platte sie  in  das  Labyrinthwasser  übergehen. 

Die  Kette  der  Gehörknöchelchen  kann  durch  drei  animale 
Muskeln,  die  kleinsten  im  menschlichen  Körper,  bewegt  werden. 
Der  Spanner  des  Trommelfelles  {Musculus  tensor  tympani  8. 
Musculus  mallei  internus)  entspringt  ausserhalb  der  Trommelhöhle 
von  der  Tuba  Eustachü  und  dem  vorderen  Winkel  der  Felsen- 
pyramide, läuft  im  Semicanalis  tensoris  tympani  nach  innen,  und 
schickt  seine  feine  platte  Endsehne  um  das  Rostrum  cochkare  herum 
(wie  der  Musculus  trochlearis  oculi  um  den  Rollenknorpel)  zum  Halse 
des  Hammers.  Er  vermehrt  die  Concavität  des  Trommelfells,  und 
spannt  es  dadurch.  —  Der  Erschlaffer  des  Trommelfells 
{Musculus  laxator  tympani  s.  Musculus  mallei  extemus),  der  von  der 
Spina  angularis  des  Keilbeins  entspringt,  imd  durch  die  Glaser- 
spalte zum  langen  Fortsatz  des  Hammers  geht,  ist  ein  wahrer 
Muskel,  — kein  Band,  wofür  man  ihn  neuerer  Zeit  ausgiebt.  — 
Der  Steigbügelmuskel,  Musculus  stapedius,  nimmt  die  Höhle 
der  B^iinentia  pyramidalis  ein,  und  schickt  seine  fadenförmige  Sehne, 
durch  das  Löchelchen  an  der  Spitze  der  Pyramide,  zum  Köpfchen 
des  Steigbügels.  Seine  Wirkung  ist  unbekannt.  Alle  Muskeln  der 
Gehörknöchelchen  fiihren  quergestreifte  Primitivfasem.  —  Den  von 
Casserius  aufgestellten,  und  von  Sömmering  wieder  zur  Sprache 
gebrachten  Musctdus  laxat.or  tympani  minor,    habe  ich    nie   gesehen. 


574  §•  ««*•    Vorhof. 

Er  soll  vom  oberen  und  hinteren  Rande  des  Sulciis  pro  membrana 
iympani  entstehen,  und  zwischen  den  Blättern  des  Trommelfells  zum 
kleinen  Fortsatz  des  Hammers  ziehen. 

Ausftlhrliches  über  die  Gehörknöchelchen  enthalten  meine  Untersuchnngen 
über  das  innere  Gehörorgan,  Prag,  1845. 

Die  Schleimhaut  des  Rachens  setzt  sich  durch  die  Tuba  Eustaehn  in  die 
Trommelhöhle,  und  die  damit  zusammenhängenden  Ceüulae  mastoideae  fort,  fiber- 
zieht alle  Wände,  die  Gehörknöchelchen  und  ihre  Muskeln,  bildet  an  den  Ueber- 
gangsstellcn  von  den  Wänden  zu  den  Knöchelchen  Duplicaturen ,  welche  als 
Haltbänder  der  Ossicula  beschrieben  werden,  hüllt  den  Stapes  ein,  hilft  seine 
Fussplatte  im  ovalen  Fenster  befestigen,  und  überzieht  die  äussere  Fläche  der 
Membrana  tympani  secundaria,  sowie  auch  die  innere  der  eigentlichen  Trom- 
melhaut 


III.  Innere  Sphäre  oder  Labyrinth. 

§.  235.  Vorhof. 

Das  Labyrinth  besteht,  wie  schon  sein  Name  vermuthen 
lässt,  aus  mehreren  Räumen  und  Gängen  von  sonderbarer  Form, 
die  alle  unter  einander  in  Verbindung  stehen,  und  in  der  Felsen- 
masse der  Schläfebbinpyramide  eingeschlossen,  so  schwer  darstell- 
bar sind,  dass  die  an  Hilfsmitteln  und  Untersuchungsmethoden 
anften  Anatomen  der  Vorzeit,  sie  mit  dem  Worte  „Labyrinth" 
abfertigten.  Seine  Hauptabtheilungen  sind:  der  Vorhof,  die  drei 
Bogengänge,  und  die  Schnecke. 

Der  Vorhof  oder  Vors  aal  (Vestibuhim)  liegt  zwischen  den 
Bogengängen  und  der  Schnecke,  als  deren  Vereinigungs-  oder 
Ausgangspunkt  er  angesehen  werden  mag.  Er  grenzt  nach  aussen 
an  das  Cavvm  tympani,  und  würde  mit  ihm  in  offener  Verbindung 
stehen,  wenn  die  Fussplatte  des  Steigbllgels  nicht  das  ovale  Fenster 
verschliessen  würde.  Nach  innen  grenzt  er  an  den  Grund  des 
Meatus  auditoritis  intemusy  nach  vom  an  die  Schnecke,  nach  hinten 
an  die  drei  Bogengänge,  nach  oben  an  den  Anfang  des  vom  in- 
neren Gehörgang  entspringenden  Canalia  Fallopiae;  nach  unten  hat 
er  keinen  Nachbar  von  Wichtigkeit.  Er  besteht  aus  zwei  Abthei- 
lungen von  ungleichen  Dimensionen.  Die  vordere,  mehr  sphärische, 
wird  als  Becessus  hemisphaericua  von  dem  hinteren  länglich  ovalen 
Receasus  hemiellipHcus  unterschieden.  Eine  niedrige  Knochenleiste  der 
inneren  Wand  (Orista  vestihuli)  markt  beide  von  einander  ab.  Die 
Crista  endet  nach  oben  mit  einer  konischen  Hervorragung  {Pyramis 
vestibuliy  Scarpa),  deren  Spitze  man  am  macerirten  Felsenbein 
durch  die  Fenestra  ovalis,  hinter  ihrem  oberen  Rande  sehen  kann. 
Im   ßecessus  hemidUpticua   münden  die    drei   Bogengänge   mit   fünf 


§.  236.  Bogengänge.  575 

Oeffiiungen  aus.  Eine  dieser  OeflFnungen  entsteht  durch  die  Ver- 
schmelzung zweier,  liegt  an  der  inneren  Wand,  ist  etwas  grösser 
als  die  übrigen  vier,  und  hat  vor  sich  die  sehr  feine  Vorhof- 
öffnung  des  Aquaeductus  vestibulij  zu  welcher  eine  ritzförmige  Furche 
der  inneren  Wand  den  Weg  zeigt.  Im  Recessus  hemisphaericus  liegt, 
an  der  vorderen  Wand  desselben,  der  Eingang  zur  Vorhofstreppe 
der  Schnecke  —  so  gross  wie  eine  Bogengangsmündung. 

Ausser  diesen  grösseren  Oefinungen  finden  sich  an  der  Wand  des  Vor- 
hofes  noch  drei  Gruppen  haarfeiner  Löcherchen  —  die  sogenannten  Sieb- 
flecke, Maculae  cribrosae  —  welche  in  kurze  Röhrchen  führen,  die  im  Meatua 
auditoriua  internus  münden,  und  die  Fasern  des  Nervus  vestibuli  in  den  Vorsaal 
leiten.  Man  findet  regelmässig  eine  obere  (an  der  Pyramis  vestibuU)^  eine  mitt- 
lere (etwas  unter  dem  Centnim  des  Recessus  hemisphaericus),  und  eine  untere. 
Mit  der  Loupe  betrachtet,  gleicht  ihre  Ansicht  dem  Querschnitte  eines  spanischen 
Rohrs.  Auch  die  früher  erwähnte  Pyramis  Scarpae  ist  ein  System  feiner  paral- 
leler Knochenkanälchen,  welche,  wie  die  Maculae  cribrosae,  Fasern  des  Nervus 
vestibuli  in  den  Vorhof  gelangen  lassen. 


§.  236.  Bogengänge. 

Die  drei  Bogengänge  {Canales  semicirculares)  werden  in 
den  oberen,  unteren  oder  hinteren,  und  äusseren  eingetheilt. 
Sie  sind  so  gestellt,  dass  ihre  Ebenen  senkrecht  auf  einander 
stehen.  Jeder  hat  eine  Anfangs-  und  eine  Endmttndung  im  Ee- 
cessus  liemielli'pticua  des  Vorhofs.  Die  Anfangsmttndung  erweitert 
sich  zu  einer  ovalen,  einer  Feldflasche  im  Kleinen  ähnlichen  Höhle, 
welche  Ampulla  (ampla  hulla)  genannt  wird.  Es  finden  sich  drei 
solcher  Ampullenmündungen,  aber  nur  zwei  schlichte  Endmündun- 
gen, indem  die  Endschenkel  des  oberen  und  unteren  Bogenganges, 
kurz  vor  ihrer  Einmündung  in  den  Vorsaal,  in  eine  kurze  gemein- 
schaftliche Endröhre  tibergehen,  wodurch  die  Zahl  sämmtlicher 
OefiFnungen  der  Bogengänge,  welche  sechs  sein  sollte,  auf  fünf  ver- 
mindert wird. 

Die  Richtung  des  oberen  Bogenganges  kreuzt  sich  mit  der 
oberen  Kante  des  Felsenbeins,  jene  des  unteren  oder  hinteren 
streicht  mit  der  hinteren  Fläche  der  Pyramide  fast  parallel,  die 
des  äusseren  fUUt  schief  nach  aussen  und  unten  ab,  und  bildet, 
indem  sie  die  innere  Wand  der  Trommelhöhle  etwas  hervortreibt, 
einen  über  dem  Omalis  Fallopiae  befindlichen  Wulst.  Der  äussere 
Bogengang  ist  der  kürzeste,  der  hintere  der  längste.  Ihre  Quer- 
schnitte geben  Ovale.  Die  Grösse  ihrer  Krümmungen  beträgt, 
namentlich  beim  äusseren,  mehr  als  180^;  auch  bleibt  die  Richtung 
des  Kanals  nicht  in  einer  und  derselben  Ebene,  sondern  weicht 
durch   seitliche   Divergenz   seiner   beiden   Enden ,   wie    am   oberen 


576  5*  SS7.   Sohnecke. 

Bogengang,  oder   durch  Ausschweifung  seiner  Krümmung,  wie  am 
äusseren,  von  der  Kreisebene  ab. 

Vergebliche  M(lhe  ist's,  sich  von  dem  Baue  des  Labyrinths  und  den  Ver- 
hältnissen seiper  einzelnen  Abtheilungen  durch  Leetüre  anatomischer  Schriften  — 
seien  sie  die  umständlichsten  und  genauesten  —  einen  Begriff  zu  machen.  Um 
diesen  zu  erhalten,  muss  man  selbst  Hand  anlegen,  und  sich  in  der  technischen 
Bearbeitung  dieses  so  überraschend  schönen  Baues  versuchen.  An  Schläfe- 
knochen von  Kindern  wird  man,  da  die  hier  gegebene  praktische  Beschreibung 
das  Aufsuchen  der  Theile  erleichtert,  zuerst  die  Merkwürdigkeiten  der  Trommel- 
höhle ohne  Schwierigkeiten  auffinden,  und  kann  dann  zur  Präparation  des  La- 
byrinthes schreiten,  welche,  wenn  sie  noch  so  roh  ausfällt,  doch  eine  gewisse 
Sicherheit  der  Vorstellung  erzeugt,  welche  das  blosse  Memoriren  gelesener  Be- 
schreibungen nie  geben  kann.  Wer  mein  Handbuch  der  praktischen  Zergliede- 
rungskunst durchblättert,  wird  hoffentlich  mit  der  dort  gegebenen  Instruction 
zufrieden  sein.  Die  unter  Seiler's  Anleitung  von  Papaschy  in  Dresden  ver- 
fertigten kolossalen  Darstellungen  des  Gehörorgans  in  Gyps ,  die  Wachsarbeiten 
des  leider  zu  früh  verstorbenen  Künstlers  Heinemann  in  Braunschweig,  jene 
von  Dr.  Auzoux  in  Paris,  die  Darstellungen  von  dem  ehemaligen  akademi- 
schen Wachsbildner  P.  Zeiller  in  München,  und  von  Professor  Dursy  in  Tü- 
bingen, kommen  dem  theoretischen  Studium  trefflich  zu  Statten,  obwohl  sie  nie 
jene  Sicherheit  der  Vorstellung  erzengen  werden,  welche  nur  durch  eigene  Prä- 
parationsversuche zu  erlangen  ist 


§.  237.  Sclmecke. 

Die  Schnecke  (Cochlea)  gleicht,  als  ein  schraubenförmig 
2y2i^^^J  aufgewundener  Gang,  dem  Gehäuse  einer  Gartenschnecke. 
Sie  liegt  vor  dem  Vorhof  und  hinter  dem  carotischen  Kanal.  In- 
dem sie  die  Knochenmasse  des  Felsenbeins  gegen  die  Patikenhöhle 
vordrängt,  veranlasst  sie  die  Erhebung  des  Promontorium,  und 
grenzt  nach  innen  an  das  blinde  Ende  des  Meatus  aiiditorius  inter- 
nus. Die  Windungen  liegen  nicht  in  einer  Ebene,  sondern  erheben 
sich  über  einander,  und  werden  zugleich  kleiner.  Die  knöcherne 
Axe,  um  welche  sie  sich  drehen,  heisst  für  die  erste  Windung: 
^i^inAelj  Modiolus,  —  flir  die  zweite:  Säuich en,  Columella,  —  und  für 
die  letzte  halbe  Windung:  Spindelblatt,  Lamina  modioli,  welches 
letztere  aber  nicht  freisteht,  sondern  sich  in  die  Zwischenwand 
der  zweiten  und  letzten  halben  Windung  fortsetzt,  und  deshalb 
auch  als  der  senkrecht  aufgestellte  Endrand  dieser  Zwischenwand 
angesehen  werden  kann.  Der  Modiolus  muss,  weil  die  erste  Win- 
dung der  Schnecke  die  grösste  ist,  dicker  als  die  Columella  sein, 
und  diese  wieder  dicker  als  die  Lamina  modioli.  Die  Axe  der 
Schnecke  liegt  horizontal,  in  der  Richtung  des  Querdurchmessers 
des  Felsenbeins.  Die  breite  Basis  der  Schnecke  misst  4'",  ihre  Höhe, 
von  der  Mitte  der  Basis  bis  zum  blinden  Ende  des  Schneckengan- 
gea  (Kuppel,   Cvptila)  2,4'"-     Die  Zwischenwand  der  Gänge  wird 


§.  2S7.    Schnecke.  577 

gegen  die  Kuppel  dünner,  und  richtet  sich  während  der  letzten 
Schraubentour  zugleich  so  auf,  dass  sie  durch  ihre  Einrollung  einen 
konischen,  einer  nicht  ganz  geschlossenen  Papierdüte  ähnlichen 
Raum  umgreift,  dessen  nach  unten  gerichtete  Spitze,  das  Ende  der 
Columella,  und  dessen  nach  oben  gerichtete  Basis  die  Kuppel  der 
Schnecke  ist.  Dieser  Raum  heisst  Trichter,  Scyphus  Vieussenii, 

Die  Höhle  des  Schneckenganges  wird  durch  das  an  die  Axe 
befestigte,  dünne,  ebenfalls  spiral  gewundene,  knöcherne  Spiral- 
blatt, Lamina  spiralis  ossea^  in  zwei  Treppen  getheilt,  von  denen 
die  untere,  der  Basis  nähere,  durch  das  runde  Fenster  mit  der 
Paukenhöhle,  —  die  obere,  von  der  Basis  entferntere,  mit  dem  Re- 
cessus  hemisphaericus  des  Vorhofes  communicirt.  Erstere  heisst  des- 
halb SccUa  tympaniy  letztere  Scala  vestibulL  In  der  Scala  iympani 
liegt,  gleich  hinter  der,  das  runde  Fenster  verschliessenden  Mem- 
hrana  iympani  seciindaria,  die  Anfangsöffhung  des  Aquaedtu^iua  ad 
cochleam.  Die  Lamina  spiralia  ossea  hört  in  der  letzten  halben  Win- 
dung der  Schnecke  mit  einem  zugespitzten,  hakenförmig  gekrümm- 
ten Ende  (Hamubts)  auf,  welches  in  den  Scyphus  Vieussenii  hinein- 
sieht. Da  die  Lamina  spiralis  ossea  nur  bis  in  die  Mitte  des 
Schneckenganges  hineinreicht,  so  wird  die  vollkommen^  Trennung 
beider  ScaUie,  durch  die  Ijimina  spiralis  memlyranacea  bewerkstelligt, 
welche  aus  zwei  Blättern  besteht,  die  einen  Kanal  —  die  Scala 
media  oder  den  Canalis  Cochleae  —  zwischen  sich  fassen,  in  wel- 
chem der  terminale  Apparat  des  Schneckennerven  enthalten  ist.  Die 
Lamina  spiralis  membranacea  setzt  sicli  in  der  Kuppel  der  Schnecke 
über  den  Hamulus  hinaus  fort,  und  umgreift  mit  diesem  eine  OeflF- 
nung  (Helicotrema  Breschetij  sAi;,  Schnecke,  Tprjfxa,  Loch),  durch 
welche  Scala  tympani  und  Scala  vestibuli  unter  einander  in  Verbin- 
dung stehen. 

Der  Modiolus  und  die  Columella  sind  ein  System  paralleler  Knochen- 
röhrchen,  welche  im  inneren  Gehftrganf^e  mit  feinen,  in  einer  Spirallinie  gelege- 
nen Oeflfhungen  beginnen  (Trachu  »piralia  foravUnulenhu) .  Das  durch  die  Axe 
des  Modiolus  und  der  Columella  laufende  centrale  Röhrchen  übertrifft  die  übri- 
gen an  Stärke,  und  wird  als  Canalis  centralis  modioli  besonders  benannt.  Es 
mündet  an  dem  Ende  der  Columella  (Spitze  des  Scypkii»  Vieussenii),  Alle  übri- 
gen Röhrchen  des  Modiolus  und  der  Columella  lenken  in  die  Lamina  spirali» 
ossea  ab,  und  enden  am  Rande  derselben  in  einer  fortlaufenden  Reihe  feiner 
Oeffnungen,  welche  Zona  perforcUa  heisst.  Diese  Zona  perforaia  wird  von  einem 
wahrscheinlich  knorpeligen  Aufsatze  des  Randes  der  Lamina  spiralis  ossea  etwas 
Überragt.  Der  Aufsatz  führt  seines  Ansehens  wegen  den  Namen  Zona  denticulata. 
Von  diesem  Aufsatze  und  von  dem  Rande  der  Lamina  spiralis  ossea  entspringen 
die  beiden  Blätter  der  Lamina  spiralis  memhranaeea,  um  divergent  (deshalb  die 
Srala  media  cinschliessend)  zur  gegenüberliegenden  Wand  des  Schneckenganges 
zu  ziehen.  Das  untere  Blatt  heisst  Membrana  basilaris,  das  obere  die  Re iss- 
ner'sehe  Membran.  Auf  dem  unteren  Blatte  finden  sich  jene  zellenartigen  Ge- 
bilde, und  jene  elastischen  Stäbchen,  deren  Dentnng  und  physiologisches 
Hyrtl,  Lehrbnch  der  Anatomie.  37 


578  §•  <^-    H&Qtigea  Labyrinth. 

Verst&ndniBs    auf  de%  noch   unbekannten  Beziehungen  derselben  zu  den   letzten 
Ausläufern  des  Nei-vus  cochleete  beruht. 

II g  hat  zuerst  bewiesen,  dass  der  häufig  als  ein  selbstständiges  Gebilde 
betrachtete  Scyphun  Vieuaaeniiy  das  Gehäuse  der  letzten  halben  Schneckenwindung 
ist  (Anat.  Beob.  über  den  Bau  der  Schnecke.  Prag,  1821).  Da  der  Seyphtis 
Vieuasenü  den  Hamulus  tpiralis  enthält,  und  von  dem  convexen  Rande  dieses, 
die  Lamina  spiralw  men^anacea  gegen  die  innere  Oberfläche  des  Scjphus  schräg 
sich  erhebt,  so  muss  ein  kleinerer  Scyphus  in  dem  yieussen^schen  grösseren 
stecken,  und  dieser  wurde  von  Krause  als  Scyphulu»  zuerst  unterschieden. 
Seine  Spitze  ist  das  Helicotrema.  Er  kann  aber  eben  so  wenig  geschlossen  sein, 
wie  der  grössere  Scyphus,  und  ist  überhaupt  nur  das  Ende   der  Scala  veatibuli, 

Dass  der  Aquaeduokt»  Cochleae  und  Aquaeductus  vettifndi  venöse  Gefäss- 
kanäle  sind,  habe  ich  in  meinen  Untersuchungen  über  das  Gehörorgan,  Prag, 
1846,  §.  122  bewiesen. 

Mein  ehemaliger  Prosector,  Marcliese  Alfonso  Corti,  hat  das  Verdienst, 
eine  sehr  sorgfältige  und  genaue  mikroskopische  Untersuchung  über  den  Ban 
der  Lamina  »piralu  ottea  und  memhranaceay  so  wie  der  Nerven  und  Gefässe  der- 
selben vorgenommen  zu  haben,  deren  überraschende  und  complicirte  Ergebnisse 
in  dem  bei  der  Literatur  des  Gehörganges  (§.  240)  angeführten  Werke  nieder- 
gelegt wnrden,  und  allen  späteren  einschlägigen  Untersuchungen  zum  Ausgangs- 
punkte dienten.  Auf  dieses  Werk ,  sowie  auf  die  später  erschienenen  Abhandlun- 
gen von  Reissner,  Claudius,  Böttcher,  Deiters,  Kö II ik er  und  Reichert 
verweise  ich  Jene,  welche  mehr  über  diesen  Gegenstand  zu  erfahren  wünschen, 
als  in  einem  Lehrbuche  von  der  compendiösen  Form  des  vorliegenden,  füglich 
angeführt  werden  kann,  und  ohne  Abbildungen  auch  grösstentheils  unverständ- 
lich wäre. 

Das  Labyrinth  darf  nicht  als  ein  im  Felsenbeine  befindlicher,  und  zunächst 
von  dessen  Knochenmasse  umschlossener  Raum  angesehen  werden.  Veatibtdum^ 
CanaleM  senUcirculares,  und  Cochlea^  besitzen  vielmehr  eine  besondere,  glasartig 
spröde,  feine  Knochenlamelle  als  nächste  Hftlse,  welche  ich  als  Lamina  vitrea 
beschrieb,  und  auf  welche  sich  später  die  Knochenmasse  des  Felsenbeins  von 
aussen  ablagert  An  allen  Schnitten  des  Labyrinths  sieht  man  diese  gelblich 
graue  Lamelle  deutlich.  Ihre  mikroskopische  Untersuchung  würde  sich  lohnen. 
Zwischen  ihr  und  dem  eigentlichen  Felsenbeleg  lagert  bei  Kindern  eine  zellig 
spongiöse  Knochensubstanz,  welche  das  Präpariren  (Ausschälen  des  Labyrinths 
aus  seiner  Hülse)  sehr  erleichtert 


§.  238.  Häutiges  Labyrinth. 

Ein  zartes  Häutchen,  Periosteitm  intemumj  mit  einer  einfachen 
Epithelialschichte,  überzieht  die  innere  Oberfläche  des  knöchernen 
Labyrinths.  Es  sondert  an  seiner  freien  glatten  Fläche  eine  seröse 
Flüssigkeit  ab,  welche  die  häutigen  Säckchen  des  Labyrinths  und 
ihre  Verlängerungen,  als  Perilympha  s.  Aquula  Cotunni  bespült.  Die 
häutigen  Säckchen  liegen  nm  Recessus  hemisphctencus  und  hemi- 
eUipticua  des  Vorhofs,  und  werden  als  Saccultts  sphaericus  et  elUptwus 
unterschieden.  Sie  haben  keine  Verbindung  untereinander,  und  be- 
rOhren  sich  blos.  Ersterer  wurde  neuester  Zeit  von  Voltolini  ge- 
Iftugnet,  von  Rüdinger  aber  neuerdings  in  seine  Rechte  eingesetzt. 


§.  2S8.    Häutiges  Labyrinth.  579 

(Sitzungsberichte  der  Münchner  Akad.  1863.  2/ Bd.  1.  Abthl.).  Die 
Pyramis  vestibuli  ragt  zwischen  beide  Säckchen  hinein.  Die  Ge- 
staltungsmembran der  häutigen  Vorhofssäckchen  und  der  häutigen 
Bogenröhren,  besteht  aus  drei  Schichten,  wovon  die  äusserste  die 
Charaktere  einer  stellenweise  pigmentirten  .Bindegewebshaut,  die 
zweite  jene  einer  structurlosen  Membran  besitzt,  die  dritte,  in- 
nerste, eine  einfache  Schichte  cylindrischer  Zellen  (Epithel?)  dar- 
stellt. Vom  Saccvlus  eUipticus  gehen  als  dessen  Verlängerungen 
die  häutigen  Bogengänge  aus,  welche  die  knöchernen  nicht 
ganz  ausfüllen,  und  an  der  convexen  Seite*  der  letzteren  anliegen. 
An  einem  ihrer  Schenkel  bilden  sie,  entsprechend  den  Ampullen 
der  knöchernen  Bogengänge ,  eine  .  äaschenförmige  Erweiterung 
(Ampulla  membranacea).  Die  Säckchen  imd  die  häutigen  Bogen- 
röhrchen  sind  hohl,  und  enthalten  Flüssigkeit  (Endolympha).  An 
jenen  Stellen  der  Säckchen,  welche  den  drei  Maculae  cnbroaae,  und 
der  Pyramis  vestibuli,  somit  den  Eintrittsstellen  der  Fasern  des  Nervus 
acusticus  in  die  Säckchen  entsprechen,  bemerkt  man  kreideweisse, 
rundliche  Plättchen,  welche  aus  einer  Menge  mikroskopischer  Kry- 
stalle  von  kohlensaurem  Kalk  bestehen,  die  durch  ein  zähes  Cement 
zu  concav- convexen  Scheibchen  zusammengebacken  sind.  Zottige 
Bildung  an  der  inneren  Fläche  der  häutigen  Bogengänge  beschreibt 
Rüdinger. 

Der  Gehörnerv  theilt  sich  im  Meatus  auditorius  internus  in  den 
Nermis  vestibuli  und  Nervus  Cochleae.  Der  Nervus  vestibtili  passirt 
durch  die  Löcherchen  der  drei  Maculae  cribrosae,  und  muss  sich 
somit  in  so  viele  Filamente  auflösen,  als  Löcherchen  existiren. 
Diese  Filamente  betreten  die  Wand  der  häutigen  Säckchen,  und 
jene  der  drei  Ampullen,  ohne  in  die  Höhle  derselben  einzudringen, 
und  sich  in  die  lange  Zeit  angenommene  Pulpa  acustica  aufzulösen. 
Ea  scheint  vielmehr,  dass  sie  mit  entgegenkommenden  Ausläufern 
der  Zellen,  welche  die  innere  Oberfläche  der  Säckchen  bedecken, 
in  Verbindung  treten.  Des  Nervus  [Cochleae  wurde  bereits  früher 
gedacht. 

Jene  Fäden  des  Nervus  vesHbuH,  welche  direct  in  die  häutigen  Ampallfln 
der  Canalet  semieirculares  eindringen,  drängen  die  äussere  Wand  derselben  vor 
sich  her,  und  erzeugen  dadurch  änsserlich  eine  Furche,  und  innerlich  einen 
Vorsprung  von  0,2^''  Höhe.  So  entsteht  der  Sütcna  und  das  Saturn  ampuäae 
(Steifensand,  Miüler^s  Archiv.  1836).  —  In  den  häutigen  Bogenröhren  selbst 
fehlt,  mit  Ausnahme  der  Ampullen,  jede  Spur  von  Nerven,  obwohl  die  Dicke  der 
Köhrenmembran  das  Doppelte  von  der  Hapt  der  Säckchen  beträgt. 

Die  KalkkrystaUe  in  den  auf  der  inneren  Fläche  der  Vorhofssäckchen 
aufsitzenden  Plättchen  sind  sechsseitige  Prismen  mit  sechsseitigen  Zuspitzung»» 
Pyramiden.  Sie  kommen  übrigens  auch  frei  in  der  Endolympha  und  in  dem 
Serum,  welches  die  Schneckenhöhle  ausfüllt,  vor.  Bei  den  Sepien  und  den  nie- 
deren Wirbelthieren  (Fischen)  werden  diese  Scheibchen  sehr  hart  und  gross,  und 
bilden  die  sogenannten  GTehÖrsteine  oder  Otolithen. 

87* 


580  9-  8^-    Innerer  6«h6rgang  nnd  Fallopistcber  Kanal. 

Ueber  die  Endigung^sweiae  des  Hömerven  im  Labyrinth  sieh'  M.  SchulUe 
in  MiÜler's  Archiv.  1868,  und  Böttcher,  de  ratione  qua  nervus  Cochleae  terminatur, 
Dorp.  1866.  —  Für  Fische  and  Amphibien  sieh'  die  Aufsätze  von  E.  Schulze 
und  R.  Hartniann  in  MiiUer's  Arch.  1862. 


§.  239.   Innerer  Grehörgang  und  Fallopischer  Kanal. 

Zwei  Kanäle  des  Felsenbeins^  die  mit  dem  Gehörorgane  in 
näherer  Beziehung  stehen,  müssen  hier  noch  erwähnt  werden:  der 
innere  Gehörgang,  und  der  Fallopische  Kanal. 

Der  innere  Gehörgang  beginnt  an  der  hinteren  Fläche 
der  Felsenpyramide,  und  dringt  so  weit  in  die  Masse  derselben 
ein,  dass  er  vom  Vestihulum  nur  durch  eine  dünne  Knochenla- 
melle getrennt  wird.  Sein  blindsackähnliches  Ende  wird  durch  eine 
quervorspringende  Knochenleiste  in  eine  obere  und  untere  Grube 
getrennt.  Erstere  vertieft  sich  wieder  in  zwei  kleinere  Grübchen, 
wovon  das  vordere  sich  zum  Fallopischen  Kanäle  verlängert,  das 
hintere  aber  mehrere  feine  OefFnungen  besitzt,  welche  zur  Macula 
cribrosa  supeinor  des  Vestihulum  führen.  Die  untere  Grube  enthält 
den  Tractus  spiralü  foraminuleniusj  und  hinter  diesem,  einige  klei- 
nere Oeflfhungen,  welche  zur  Macula  cribrosa  media  führen,  und  eine 
grössere,  welche  zur  inferior  geleitet.  Der  innere  Gehörgang  ent- 
hält den  Nervus  acusticus,  den  Nervus  facialis,  und  die  Artei^ia  audi- 
tiva inteima^  aber  keine  Vene. 

Der  Fallopische  Kanal  läuft,  von  seinem  Ursprung  im  in- 
neren Gehörgang,  durch  die  Knochenmasse  des  Felsenbeins  anfangs 
nach  aussen,  dann  über  dem  ovalen  Fenster  nach  hinten,  und  zu- 
letzt nach  unten  zum  Foramen  stylo-inastoideum.  Er  besteht  somit 
aus  drei,  unter  Winkeln  zusammengestückelten  Abschnitten.  Die 
Winkel  heissen  Genicula,  Das  erste  Knie  ist  scharf  geknickt,  fast 
rechtwinklig;  das  zweite  erscheint  mehr  als  bogenförmige  Krüm- 
mung. Am  ersten  Knie  zeigt  der  Fallopische  Kanal  die  an  der 
vorderen  oberen  Fläche  der  Pyramide  bemerkte  Seitenöffnung 
{Hiatus  s,  Apert^ira  spuria  canalis  FalL)j  zu  welcher  der  Sulciis  pe- 
trosus  superficialis  hinführte.  Im  Hiatus  mündet  der  in  der  Fossida 
petrosa  entsprungene,  in  der  Pauke  über  das  Promontorium  nur 
als  Furche  aufsteigende,  und  unter  dem  Semicanalis  tensot^is  tym- 
pani  zum  Fallopischen  Kanäle  führende  CanaUculus  tympanicus. 
Zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Knie  liegt  der  Canalis  Falhpiae 
«wischen  Fenestra  ovalis  und  Cniialis  semicircularis  externus,  wo  er 
in  die  Paukenhöhle  bauchig  vorspringt.  Vom  zweiten  Knie  an  steigt 
er  hinter  der  Eminent ia  pyramidalis  herab,  mit  deren  Höhle  er  durch 
eine  OefFnung  zusammenhängt.  Auch  mit  dem  CanaUculus  mnstoid^ix 


f.  840.   Literatar  der  gosammtoB  Sinnenlahra.  581 

hat  dieser  letzte  Abschnitt  des  Fallopischen  Kanals  eine  Communi- 
cation.  Bevor  er  am  Oriffelwarzenloch  endigt,  schickt  er  den  kurzen 
Canaliculus  chordae  zur  Paukenhöhle. 


§.  240.    Literatur  der  gesammten  Siimeiileliie. 

/.   Tastorgan. 

J,  Purkinje,  coinment.  de  exam.  physiol.  organi  visus  et  systematis  cutaneL 
Vratisl.,  1823.  8.  —  O.  Brechet  et  Raused  de  Vauakme,  nouvelles  recherches  aar 
la  stmcture  de  la  peau.  Paris,  1836.  8.  —  G.  Simon,  Beschreibuog  der  norma- 
len Haut,  in  dessen:  Hautkrankheiten,  durch  anat  Untersuchungen  erläutert. 
Berlin,  1848.  —  Bärensprung,  Beiträge  zur  Anatomie  und  Pathologie  der  menschl. 
Haut  1848.  —  lieber  Epidermis,  Bete  Malpighii,  Haare,  Nägel,  findet  man  alles 
Wissenswerthe  in  den  Oeweblehren  von  Henle  und  Kölliker,  und  kleinere  Auf- 
sätze in  MUller^s  Archiv,  von  Bidier,  O.  Simon,  Kohlrausch,  etc.,  femer  von 
Kölliker,  über  den  Bau  der  Haarbälge  und  Haare,  in  den  Mittheilungen  der 
Zürcher  Gesellschaft.  1847,  so  wie  von  E.  Beissner,  nonnulla  de  hominis  mam- 
maliumque  pilis.  Dorpat,  1863.  Sehr  wichtig  für  das  Studium  des  Nagels  ist 
Virchow,  zur  normalen  und  pathol.  Anatomie  der  Nägel,  in  den  Würzb.  Verh. 
1864.  6.  Bd.  Ueber  die  Epidermis  der  Hohlhand  handelt  speciell  E,  0hl,  in 
den  Annali  universali  di  medicina,  1867. 

Eine  umfassende  Zusammenstellung  eigener  und  fremder  Beobachtungen 
über  die  Structur  der  Haut  und  ihrer  Annexa,  enthält  Krause^s,  Artikel  „Haut** 
in  Wagner^s  Handwörterbuch  der  Physiologie.  —  Die  an  interessanten  That- 
sachen  reiche  Entwicklungsgeschichte  der  Haut,  gab  Kölliker  im  2.  Bande  der 
Zeitschrift  fUr  wissenschaftliche  Zoologie.  —  Ueber  die  glatten  Muskelfasern  der 
Haut  siehe:  Eylandt,  de  musculis  organicis  in  cute  humana.  Dorpat,  1860. 

//.   Gertichorgan. 

Die  besten  Abbildungen  finden  sich  in :  A.  Searpa,  disquisitiones  anat.  de 
auditu  et  olfactu,  und  dessen  Annot.  acad.  lib.  IL  de  organo  olfactus.  Ticini, 
1786.  4.,  so  wie  bei  S.  Th.  Sömmerring,  Abbildungen  der  menschl.  Organe  des 
Geruches.  Frankfurt  a.  M.,  1809.  fol.,  und  Arnold,  Organa  sensnum. 

Die  mikroskopischen  Structurverhältnisse  der  Nasenschleirahaut  behandeln, 
ausser  den  oft  citirten  histologischen  Schriften,  noch  folgende:  C.  Eckhard,  Bei- 
träge zur  Anat.  u.  Physiol.  Giess.  1.  Bd.  pag.  77.  —  A,  Ecker,  in  der  Zeit- 
schrift für  wiss.  Zoologie.  VIH.  pag.  203.  —  B,  Seeberg,  Disquis.  microsc.  de 
textura  membranae  pituitariae  nasi.  Dorpat,  t866.  —  Die  Entdeckung  der 
Riechzellen  durch  M.  SchuUxe  haben  die  Monatsberichte  der  Berliner  Akademie, 
Nov.  1856,  gebracht  —  Neuestes:  Hoyer,  über  die  mikroskop.  Verhältnisse  der 
Nasenschleimhaut,  in  Beichert^»  und  Du  Boia  BaymoncTs  Archiv,  1860,  p.  60,  and 
L.  Clarke,  über  den  Bau  des  Bulbus  olfactorius  und  der  Geruchschleimhaut 
(handelt  nur  von  Thieren),  in  der  Zeitschrift  för  wiss.  Zoologie.  11.  Band.  — 
M.  Schultze,  Untersuchungen  über  den  Bau  der  Nasenschleimhaut  Halle,  1862. 
K.  Hoffmann,  Membrana  olfactoria,  etc.  Amsterd.  1866. 

///.  Sehorgan. 

Da  die  Entdeckungen  über  das  Gewebe  der  AugenhUate  iwd 
des  Augenkems  ganz   der  neueren  Anatomie  aogehOren^  ^ 


582  §•  ^0*  Iiiteratiir  der  gesammten  Sinnenlehre. 

ältere  Literatur  so  ziemlich  entbehrlich  geworden^  und  hat  grössten- 
theils  nur  historischen  Werth. 

lieber  den  ganzen  Augapfel  handeln:  J,  O»  Zirm,  descriptio  anat  ocnli 
hnmani  icon.  illustr.  Gottingae,  1765.  4.,  und  1780.  4.  —  S.  TA.  Sömrnerring, 
Abbildungen  des  menschlichen  Auges.  Frankfurt  a.  M.,  1801.  fol.  —  D.  W. 
Sömmerring^  de  oculorum  hominis  animaliumque  sectione  horizontal!.  Cum  lY 
tab.  Gott,  1818.  fol.  —  F,  Arnold,  anat  und  physiol.  Untersuchungen  über  das 
Auge  des  Menschen.  Heidelberg,  1832.  4.,  und  dessen  Tab.  anat  Fase.  II.  — 
(7.  Valentin,  feinere  Anatomie  der  Sinnesorgane,  in  dessen  Kepertorium,  1836, 
1837,  und  als  Anhang  des  Artikels  „Gewebe^  im  TFo^er'schen  Handwörterbuche 
der  Physiologie.  —  Th,  Ruete,  Lehrbuch  der  Ophthalmologie.  1.  Lieferung. 
Braunschweig,  1845.  8.  —  S,  Pajipenheim,  die  specielle  Gewebslehre  des  menschL 
Auges  mit  Rücksicht  auf  Entwicklungsgeschichte  und  Augenpraxis.  Berlin,  1842. 
8.  —  E,  Brücke,  anat.  Beschreibung  des  menschl.  Augapfels.  Berlin,  1847.  4. 
Die  Abbildungen  sind  in  der  Darstellung  der  Form  des  Bulbus,  der  Dicke  der 
Membranen,  der  Insertionsstellcn  der  Augonmuskeln,  ^er  Anheftung  der  Iris,  der 
Form  der  Ciliarfortsätze  und  der  Linse,  unrichtig.  —  W.  Boxcman,  Lectures  on 
the  Parts  concemed  in  the  Operations  of  the  Eye.  London,  1849.  —  A,  Hanno- 
ver, das  Auge.  Leipzig,  1852.  —  In  iconographischer  Hinsicht  bieten  Arnold' a 
Organa  sensuum  das  Beste  für  das  Auge  und  die  übrigen  Sinnesorgane.  —  Die 
Entwicklungsgeschichte  des  Auges  von  A,  v.  Amnion,  Berlin,  1858,  enthält  den 
Schlüssel  zur  Erklärung  der  angebornen  Formfehler  des  Sehorgans. 

Augenlider,  Bindehaut,  und  Thränenwerkzeuge. 

H,  Meibom,  de  vasis  palpebrarum  novis.  Helmstadii,  1666.  4.  —  J.  Th. 
Ro^enmiüler,  partium  cxtemarum  oculi,  inprimis  organorum  lacrymalium  descriptio. 
Lips.,  1797.  4.  —  Gosselin,  über  die  Ausfuhrungsgänge  der  Thräneudrüse,  im 
Archiv  g6n6r.  de  m^dicine.  Paris,  1843,  Octob.  —  //.  Heiiüiard,  diss.  de  viarura 
lacrymalium  in  homine  cctcrisque  animalibus  anatomia  et  physiolopa.  Lips.,  1840. 

—  jR.  Mayer,  über  den  Bau  der  Thränenorgaue.  Freiburg,  1859.  —  Arlt,  über 
den  Thränenschlauch,  im  Arch.  für  Ophthalmologie.  1.  Bd.  2.  Abthl.  —  W.  Manz, 
über  eigenthUmliche  Drüsen  am  Cornealrandc.  Zeitschrift  für  rat.  Med.  5.  Bd.  — 
J,  Arnold,  die  Bindehaut  der  Hornhaut,  etc.  Heidelberg,  1860. 

Hornhaut  und  Sclerotica. 

Bochdalek,  über  die  Nerven  der  Sclerotica,  in  der  Prager  Vierteljahrs- 
schrift, 1849.  —  Ueber  Lamina  fusca,  OrbictdM  cUiaris,  etc.  in  derselben  Zeit- 
schrift, 1850.  —  Aufsätze  über  die  Nerven  der  Cornea  von  KÖlUker  und  Rahn^ 
in  den  Mittheihmgen  der  Zürther  Gesellschaft  1848  und  1850.  —  Fr.  Dornhlüth, 
über  den  Bau  der  Cornea,  in  der  Zeit^chr.  für  wiss.  Med.,  1855,  und  Fortsetzung 
1856.  —  W.  Miss,  Beiträge  zur  Histologie  der  Cornea.  Basel,  1856.  —  A.  Win- 
ther^  zur  Gewebslehre  der  Hornhaut.  Arch.  für  path.  Anat.  10.  Bd.  —  //.  Hol- 
länder, de  corneae  et  scleroticae  conjunctione.  Vratisl.  1856.  —  Th,  Lanyhau«, 
über  das  Gewebe  der  Cornea.  Zeitschrift  für  rat.  Med.  XII.  Bd. 

Choroidea,  Iris  und  Pigment 

J,  LenhoMek,  diss.  de  iride.  Budae,  1841.  —  J,  Cloquel,  mem.  siir  la 
membrane  pupillaire  *et  sur  la  formation  du  pefit  cercle  de  l'iris.  Paris,  1818.  8. 

—  C.  Krause  in  MeckeCs  Archiv,  1832,  und  in  MülUr's  Archiv,  1837,  Jahres- 
bericht —  L,  Kobtlt,  über  den  Sphincter  der  Pupille,  in  JFVoriep'*' Notizen.  1840. 
Bd.  XIV.  —  G,  Britch,  Untersuchungen  zur  Kennthiss  des  körnigen  Pigments,  etc. 


§.  S40.  Litentni  der  geaammten  Sinnenlehie.  583 

Zürich,  1844.  4.  —  H,  Müller,  und  P.  Arlt,  im  Archiv  für  Ophthalmologie 
(I.  m.  Bd.)  über  den  Muscuiu*  ciliaria,  —■  H.  Müller,  glatte  Muskeln  und  Ner- 
vengeflechte der  Choroidea.  Würzb.  VerhandL  1869.  —  W,  Krause,  Ganglien- 
zellen im  Orbiculus  ciliaris,  in  dessen  anat.  Untersuch.  Hannover,  1861.  p.  91.  — 
TJl  Leber,  Über  die  Blutgefässe  des  menschl.  Auges,  in  den  Denkschriften  der 
kais.  Akad.  24.  Bd. 

Netshaut 

Die  Literatur  über  den  Bau  der  Netzhaut  wächst  so  massenhaft,  dass 
sie  kaum  mehr  zu  bewältigen  scheint.  Wer  sich  von  ihr  angezogen  findet,  mag 
das  Wichtigste  aus  folgenden  Abhandlungen  entnehmen:  J.Bidder,  zur  Anatomie 
der  Retina,  in  Müüer's  Archiv.  1839  und  1841.  —  A.  Hannover,  über  die  Netz- 
haut, etc.,  in  MüÜer^B  Archiv.  1840  und  1843.  —  A.  Burovo,  über  den  Bau  der 
Macula  lutea,  in  Müüer^s  Archiv,  1840.  —  F.  Pacini,  sulla  testura  intima  della 
retina.  Nuovi  annali  di  Bologna.  Luglio  e  Agosto  (enthält  gewaltige  mikrosko- 
pische Beobachtungsfehler,  z.  B.  eine  Schichte  grauer  Nervenfasern  und  schlin- 
genförmige  Umbeugungen).  —  H,  Müller,  zur  Histologie  der  Netzhaut  Zeitschrift 
für  wissenschaftl.  Zoologie.  1861.  Weitere  Mittheilungen  im  3.  und  4.  Bande  der 
Verhandlungen  der  phys.-med.  Gesellschaft  zu  Würzburg,  und  im  YHI.  Bde.  der 
Zeitschrift  fdr  wiss.  Zool.  —  M.  Corti,  Beitrag  zur  Anatomie  der  Retina.  MÜl- 
lei't  Archiv.  1860.  —  A,  Hannover,  zur  Anat  und  Phys.  der  Retina,  in  der  Zeit- 
schrift für  wissenschaftl.  Zoologie.  6.  Bd.  1.  Heft,  und  Köüiker,  in  den  Ver- 
handlungen der  Würzburger  phjs.-med.  Gesellschaft.  3.  Bd.  p.  216.  —  Bitter, 
im  Archiv  für  Ophthalmologie,  Bd.  V.  —  M,  SchuUze,  de  retinae  structura  peni- 
tiori.  Bonn,  1869,  und  dessen  Aufsatz:  zur  Kenntniss  des  gelben  Fleckes  und 
der  Fovea  centralis  des  Menschen,  im  Archiv  für  Anat  und  Physioll  1861.  — 
W,  Kraute,  Retinastäbchen,  Zeitschrift  für  rat  Med.  XL  Bd.  —  C.  BUter,  Structur 
der  Retina,  nach  Untersuchungen  am  Walfischauge.  Berlin,  1864. 

Glaskörper  und  Linse. 

E,  Brücke,  über  den  inneren  Bau  des  Glaskörpers,  in  MüJUer'»  Archiv,  1843. 
—  Meyer  Ahrena,  Bemerkungen  über  die  Structur  der  Linse,  in  MüUer's,  Archiv, 
1838.  —  A,  Hannover,  in  MüUer^t  Archiv,  1846.  p.  467,  seqq.  —  W.  Wemeek, 
mikroskop.  Untersuchungen  über  die  Wasserhaut  und  das  Linsensjstem,  in  Am- 
inon*8  Zeitschrift,  IV.  und  V.  Bd.  —  W,  Bowman,  Observations  on  the  Structure 
of  the  Vitreous  Humour,  in  Dubl.  Quart.  Joum.  Aug.  pag.  102  (gegen  Brücke^s 
irrige  Angaben  concentrischer  Membranen).  —  Virchow,  Notiz  über  den  Glas- 
körper, Archiv  für  pathol.  Anat  IV.  Bd.,  und  C,  0,  Weber,  über  den  Bau  des 
Glaskörpers,  ebenda,  XVI.  und  XIX.  Bd. 

Ueber  die  Zergliederung  des  Auges  handelt:  A.  K,  Heaaelhach,  Bericht  von 
der  königlich  anatomischen  Anstalt  zu  Würzburg,  mit  einer  Beschreibung  des 
menschlichen  Auges  und  Anleitung  zur  Zergliederung  desselben.  Würzburg,  1810, 
und  mein  Handbuch  der  prakt.  Zergliederungskunst  Wien,  1860. 

IV.    Gehörorgan* 

Ueber  das  Gehörorgan  sind  auch  die  älteren  Schriften  von 
VaUalva  (1704),  Caaaehohm  (1754),  Vieussens  (1714)  noch  immer 
brauchbar.  Die  Beschreibungen  der  beiden  ersteren  gehen  selbst 
in  die  Subtilitäten  ein;  nur  sind  die  Abbildungen  roh  und  man- 
gelhaft. 

Hauptwerke  bleiben  für  alle  Zeit:  A.  Seoßrpa,  disquisitiones  anat  de  au- 
ditu    et   olfactu.   Ticin.,  1789,   1792,   fol.,    und   Sommerrim^e   Abbildungen   des 


Ö84  §•  '^-   Literatnr  der  gesauinaten  Sinnonlehre. 

menschl.  Gehörorgans.  Frankfurt  am  M.,  1806,  fol.,  empfehlen  sich  durch  die 
Schönheit  und  Correctheit  der  Tafeln.  —  Th,  Buchanauy  Physiological  Illustra- 
tions  of  the  Organ  of  Hearing.  London,  1828.  Auszüge  davon  in  Meckel's  Archiv, 
1828.  —  O,  Breschely  recherches  anat  et  physiol.  sur  Torgan  de  Touie,  etc.  Paris, 
1836.  4.,  und  J.  Hyrtiy  vergleichende  anat.  Untersuchungen  über  das  innere  (und 
mittlere)  Gehörorgan  des  Menschen  und  der  Säugethiere.  Prag,  1845,  mit  neun 
Kupfertafeln.  Fol.  —  Rüdinger,  Atlas  des  menschl.  Gehörorgans  (photograpliisch). 
München,  1866. 

Einzelne  Theile  des  Gehörorgans : 

Aeusseres  Ohr,  Trommelfell  und  Gehörknöchelehen. 

A,  Hannover,  de  cartilaginibus,  musculis  et  nervis  auris  ext.  Hafn.,  1839. 
4.  (grösstentheils  vergleichend).  —  Jwig,  vom  äusseren  Ohre,  und  seinen  Mus- 
keln beim  Menschen,  in  den  Verhandlungen  der  naturforsehendeu  Gesellschaft 
in  Basel.  1849.  pag.  64  seqq.  —  E.  Home,  On  the  Structure  and  Uses  of  the 
Membrana  Tympani,  Philos.  Transact.  1800.  P.  I.  -  //.  /.  Skrapnell,  On  the 
Structure  of  the  Membrana  Tympani,  in  Lond.  Med.  Gazette.  April.  1832.  — 
«/.  Toynbee,  On  structure  of  the  Membrana  Tympani,  in  den  Phil.  Transact.  1861. 
P.  I.  —  V.  Tr'ölUch,  Beiträge  zur  Anatomie  des  Trommelfells,  in  der  Zeitschrift 
für  wiss.  Zool.  9.  Bd.  pag.  91.  und  dessen  Anat.  des  Ohres  in  ihrer  Anwendung 
auf  Praxis.  Wtirzburg,  1861.  —  Gerlach,  Mikroskop.  Studien.  Erlangen,  1858. 
pag.  53  seqq.  —  A,  Carlith,  The  Physiology  of  the  Stapes.  Philos.  Transact, 
1805.  —  F,  Tiedemann,  Varietäten  des  Steigbügels,  in  MeckeÜa  Archiv.  5.  Bd.  — 
H.  J.  Shrajmell,  On  the  Structure  of  the  Incus.  Lond.  Med.  Gaz.  June.  1838. 
(Sylvisches  Knöchelchen.)  —  F.  W.  Chevaüier,  On  the  Ligaments  of  the  Human 
Ossicula  Auditus,  in  Med.  Chir.  Transact.  1825.  Vol.  XIII.  P.  I.  —  E.  Hagen- 
back,  disquisitio  circa  musculos  auris  int  hom.  Basil.,  1833.  4.  —  W.  Oruher, 
der  Paukenknochen,  im  Bull,  de  TAcad.  Imp.  de  St.  Pötersb.  1858.  Tom.  17.  N.  21. 

Labyrinth. 

D.  Cotunniy  de  aquaeductibus  auris  hum.  Nap.,  1761.  —  J.  G.  Zinn,  ob- 
servationes  anat.  de  vasis  subtilioribus  oculi  et  Cochleae  auris  int  Gott.,  1753.  4. 

—  Bnignone,  observations  anat  et  phys.  sur  le  labyriutho  de  Toreille.  in  Mem. 
de  Turin,  1805  und  1808.  —  Ribe»,  sur  quelques  parties  de  Toreille  interne,  in 
Magendie,  Journal  de  physiol.  experimentale.  Vol.  II.  —  J,  H.  Ilg,  anat.  Beobach- 
tungen über  den  Bau  der  Schnecke.  Prag,  1821.  4.  —  Cfi.  Fr,  Meckel,  de  laby- 
rinthi  auris  contentis.  Argent,  1777.  4.  —  A,  Meckel,  Bemerkungen  über  die 
Höhle  des  knöch.  Labyrinths,  in  MeckeVt  Archiv,  1827.  —  Reissne?-,  de  auris  iii- 
temae  formatione.  Dorpat.,  1851.  —  A.  Corti,  Recherches  sur  l'organe  de  l'ouie, 
Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  lU.  —  A.  KölUker,  über  die  letzte  Endigung  des  Nervus 
Cochleae,  und  die  Function  der  Schnecke.  Würzb.,  1854.  —  E.  Reiasner,  zur  Kennt- 
niss  der  Schnecke,  in  Müller*»  Arch.  1854,  pag.  420  seqq.  —  M.  Claudius,  über 
den  Bau  der  haut  Spiralleiste,  in  der  Zeitschrift  für  wiss.    Zool.  Bd.  VII.  Hft  1. 

—  A.  Böttchet'f  de  ratione,  qua  nervus  Cochleae  mammalium  terminatur.  Dorpat, 
1856,  und  dessen  weitere  Beiträge  zur  Anat  der  Schnecke,  im  Arch.  für  path. 
Anat  17.  Bd.  1859.  —  0.  Deiters,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Lam.  spir.,  in  der 
Zeitschr.  für  wies.  Zoologie.  10.  Bd.  1.  Heft  —  KöUiker,  der  embryonale  Schnecken- 
kanal. Würzb.  Verhandl.  1861.  —  VoUoUni,  die  Zerlegung  und  Untersuchung 
des  Gehörorgans  an  der  Leiche.  Breslau,  1862,  und  dessen  Aufsatz  über  das 
häutige  Lab.  in  Virchow's  Archiv,  28.  Bd.  —  B.  Reichert,  zur  feineren  Anat.  der 
Gehörschnecke.  Berl,  1864.  —  V,  Hensen,  zur  Morphologie  der  Schnecke,  Zeitsch. 
für  wiss.  Zool.  XHI.  Bd.  —   .4.   Lncae,  in   Virchow's  Arch.  1866. 


FÜNFTES  BUCH. 


Singeweidelehre  und  Fragmente  aus  der 

Entwicklungsgeschichte. 


A.  Eingeweidelehre. 


§.  241.  Begriff  und  Eintheilimg  der  Eingeweideleliie. 

JJie  Eingeweidelehre,  Splanchnohgia  (oTrXaY/vov,  Eingeweide)» 
engeren  Sinne  des  Wortes,  befasst  sich  mit  dem  Studium  jener 
ammengesetzten  Organe,  durch  welche  der  materielle  Verkehr 
Organismus  mit  der  Aussenwelt  unterhalten,  und  jene  Stoffe 
iitet  werden,  welche  entweder  zur  Erhaltimg  des  Individuums, 
r  zur  Fortpflanzung  seiner  Species  nothwendig  sind.  Jedes  Or- 
r  welches  an  der  Ausführung  dieser  Verrichtungen  Antheil  hat, 
'in  Eingeweide  {Viscus),  Eine  Gruppe  oder  Folge  von  Ein- 
eiden,  welche  zur  Realisirung  eines  gemeinsamen  physiologi- 
H  Zweckes  sich  verbinden,  bildet  einen  Apparat  oder  ein 
tem,  dessen  Name  von  der  Wirkung  genommen  wird,  die  es 
'orbringt.  So  zählen  wir  ein  Verdauungssystem,  ein  Respi- 
Lonssystem,  ein  Harn-  imd  Geschlechtssystem.  Alle  Ein- 
eide  stehen  mittel-  oder  unmittelbar  mit  den  Leibesöffhungen  in 
Bindung. 

Da  die  Sinnesorgane  die  Entwicklung  des  Geistes  durch  die  Vorstellungen 
tes,  die  von  ihnen  vermittelt  werden,  so  können  sie  mit  den  eigentlichen  £in- 
ireiden,  die  dem  materiellen  Leben  angehören,  nicht  in  eine  Klasse  zusammen- 
•rorfen  werden,  um  so  weniger,  als  der  Sprachgebrauch  unter  Eingeweiden 
D  Inhalt  der  grossen  Körperhöhlen  versteht,  und  die  mehr  weniger  oberfläch- 
h  gelegenen  Sinnesorgane  wohl  nie  unter  dem  Collectivnamen  von  Eingewei- 
Q  begreift 

Es  sollte  allerdings,  unserem  Begriffe  zufolge,   auch  das  Herz 
das   Gehirn  in   der   Eingeweidelehre  Platz   finden.    Da  jedoch 
erstere  der  Vereinigungs-  oder  Ausgangspunkt   eines    besonde- 
Systems  —  des  Gefilsssystems  —  ist,   imd  das  letztere   in  der- 
ben Beziehung  zum  Nervensystem  steht,   so  werden  diese  beiden 


588  §•  ^8.  BegrifT  nnd  Eintheilnng  des  VerdaanngtorgaBa. 

Eingeweide    nicht   hier^    sondern   bei    ihren    betreffenden   Systema    B^'^  ^ 
näher  gewürdigt  werden.  f  ^^^ 

An  den  Rändern  der  Aufnahms-  oder  AusleerongBöffiiangai 
geht  das  Integument  in  die  Schleimhaut  der  verschiedenen  Einge- 
weidesysteme  über. 


J3 

1) 


I.  Verdauungsorg^an. 

§.  242.  Begriff  und  Eintlieiliiiig  des  Yerdauimgsorgans. 

Das    Verdauungsorgan,    Organon    digestionts,    bildet   einen,     ■  J" "^ 
vom  Munde  bis   zum   After,  durch  alle   Leibeshöhlen  verlaufenden     |=^*P 
Schlauch   (Canalis  s,   Tubus  alimentarius)    mit  veränderlicher  Wehe, 
welcher  die    Ausführuugsgänge   drüsiger  Nebengebilde   {Organa  oc- 
cesscnna)  aufnimmt.    Seine   lebendige   Thätigkeit,    die  nur  an  seinem 
Anfange    und  Ende   der   Willkür    unterworfen   ist,    zielt   dahin,  ans 
den   genossenen    Nahrungsmitteln   jene    Stoffe   auszuziehen^   welche 
im    Stande    sind,    die    Verluste    zu    ersetzen,   die    der    Organismtui 
durch  Ausscheidung  seiner  verbrauchten    und   zum    Leben   untaug- 
lichen Materien    fortwährend   erleidet.    Die   Theilchen,   aus   welchen 
der    thierische    Leib    besteht,    sind    während   des    Lebens  nicht  auf 
ein  ruhiges   Nebeneiiiandersein   angewiesen.    Sie  befinden  sich  vid^ 
mehr  in  einem  fortdauernden   Wechsel,   durch  welchen   die  ftltereiB^ 
aus  ihren  Verbindungen   treten,   und  jüngere    an   ihre    Stelle  kom-* 
men,  um  wieder  anderen  Platz  zu   machen.    Dieser  Umtausch  voi^- 
Stoff,  der  ein  Hauptmerkmal    des   thierischen    und   pflanzlichen  Le^' 
bens  ist,  und,  wie  man  sagte,  die  Pflanze  im  Thiere  vorstellt,  kaniP^ 
nur  dann    eine    Zeit    lang    ohne    Verzehrung    und    Aufreibung  dei^ 
Organismus   dauern,    wenn    der   Zuwachs   dem    Verluste    gleichartige 
und    proportionirt  ist.    Die    Materien,    aus    welchen    der    thierische 
Leib  besteht,  finden  sich,  als  solche,   auch  in   der   pflanzlichen  und 
thierischen    Nahrung.    Es    handelt   sich   nur  darum,    sie   aus  dieser 
auszuziehen,  und  rein  von  jeder  anderen  Zugabe  darzustellen.  Die- 
sen Act  hat  die  Natur  den  Verdauungsorganen  anvertraut.   Er  wird 
auf  chemische,  leider  nicht  immer  genau  bekannte    Weise   geleistet 
Wie  der  Chemiker,  wenn   er    einen   reinen   Stoff  aus  einem  zusam- 
mengesetzten  Körper   darzustellen   hätte,    diesen   in    kleine   Stücke 
zerschneidet  oder  zu   Pulver   zermalmt,    mit    Flüssigkeiten    digerirty 
mit   Säuren   behandelt,   von   einem   Gefässe   in  ein    anderes 
um    neue   Reagentien    anzuwenden,    und    den    Rückstand,   der  i 
nicht  mehr   interessirt,   wegschüttet,   so   ist   der  Verdauungsact  d 
Form  nach   eine    Reihe  ähnlicher  Verrichtungen,    die   als  Kauen_ 
Einspeicheln,  Schlingen,  Magen-  und  Darmverdauung,  un 


FÜNFTES  BUCH. 


Eingeweidelehre  und  Fragmente  aus  der 

Entwicklungsgeschichte. 


A.  Eingeweidelehre. 


§.  241.  Begriff  und  Eintheilung  der  Eingeweideleliie. 

Die  Eingeweidelehre,  Splanchnologia  (oTrXaYXvov,  Eingeweide)» 
im  engeren  Sinne  des  Wortes,  befasst  sich  mit  dem  Studium  jener 
zusammengesetzten  Organe,  durch  welche  der  materielle  Verkehr 
des  Organismus  mit  der  Aussenwelt  unterhalten,  und  jene  Stoffe 
bereitet  werden,  welche  entweder  zur  Erhaltung  des  Individuums, 
oder  zur  Fortpflanzung  seiner  Species  nothwendig  sind.  Jedes  Or- 
gan, welches  an  der  Ausführung  dieser  Verrichtungen  Antheil  hat, 
ist  ein  Eingeweide  (Viscus),  Eine  Gruppe  oder  Folge  von  Fin- 
ge weiden,  welche  zur  Realisirung  eines  gemeinsamen  physiologi- 
schen Zweckes  sich  verbinden,  bildet  einen  Apparat  oder  ein 
System,  dessen  Name  von  der  Wirkung  genommen  wird,  die  es 
hervorbringt.  So  zählen  wir  ein  Verdauungssystem,  ein  Respi- 
rationssystem, ein  Harn-  und  Geschlechtssystem.  Alle  Ein- 
geweide stehen  mittel-  oder  unmittelbar  mit  den  Leibesöfl&iungen  in 
Verbindung. 

Da  die  Sinnesorgane  die  Entwicklung  des  Geistes  durch  die  Vorstellungen 
leiten,  die  von  ihnen  vermittelt  werden,  so  können  sie  mit  den  eigentlichen  Ein- 
geweiden, die  dem  materiellen  Leben  angehören,  nicht  in  eine  Klasse  zusammen- 
geworfen werden,  um  so  weniger,  als  der  Sprachgebrauch  unter  Eingeweiden 
den  Inhalt  der  grossen  Körperhöhlen  versteht,  und  die  mehr  weniger  oberfläch- 
lich gelegenen  Sinnesorgane  wohl  nie  unter  dem  Collectivnamen  von  Eingewei- 
den begreift. 

Es  sollte  allerdings,  unserem  Begriffe  zufolge,  auch  das  Herz 
und  das  Gehirn  in  der  Eingeweidelehre  Platz  finden.  Da  jedoch 
das  erstere  der  Vereinigungs-  oder  Ausgangspunkt  eines  besonde- 
ren Systems  —  des  Gefkassystems  —  ist,  und  das  letztere  in  der- 
selben Beziehung  zum  NerveMvstiwn  •♦•l»*    qo  werden  diese  beiden 


590  8*  ^^-    Weicher  Oaamen,  i«(Amu«  /aueium,  ond  Mündeln. 

In  der  hinteren  Mundhöhle  überzieht  er  den  Boden  und  das  Dach 
derselben :  den  harten  Gaumen.  Vom  Boden  erhebt  er  sich  falten- 
fbrmigy  um  das  Zungenbändchen  {Frenulum  lmgtiae\  welches 
vorzugsweise  aus  elastischen  Fasern  besteht,  zu  überziehen,  und  so 
fort  die  ganze  freie  Oberfläche  dieses  Organs  einzuhüllen.  Rechts 
und  links  vom  Zungenbändchen  dringt  er  in  die  Mündungen  der 
Ausftlhrungsgänge  der  Unterkiefer-  und  Unterzungen-Speicheldrüse 
ein.  Am  harten  Gaumen  verdickt  er  sich  ansehnlich,  hängt  durch 
sehr  derbes  Bindegewebe  mit  der  Beinhaut  des  knöchernen  Gau- 
mens innig  zusammen,  und  bildet,  bevor  er  durch  die  hintere 
Oeffnung  der  Mundhöhle  in  die  Rachenhöhle  übergeht,  eine  vom 
hinteren  Rande  des  harten  Gaumens  gegen  die  Zungenbasis  herab- 
hängende Falte  —  den  weichen  Gaumen,  Palatum  molUy  8,  mo- 
hiUy  8.  pendulum. 

Die  Schleimhaut  der  Mundhöhle  besitzt,  ausser  den  sie  vorzugsweise  bil- 
denden Bindegewebsfasern,  einen  ziemlichen  Reichthnm  an  elastischen  Fasern. 
Ihre  freie  Oberfläche  ist  mit  einem  dicken  geschichteten  Pflasterepithel  über- 
zogen. Die  Zellen  der  obersten  Schichte  dieses  Epithels  sind  zu  Flittchen  ab- 
geflacht, während  die  tieferen  rundlicheckig,  und  die  tiefsten  länglich  rund  ge- 
staltet sind,  und  auf  der  Schleimhautoberfläche  senkrecht  aufstehen.  Eine  grosse 
Anzahl  kleiner,  den  Tastwärzchen  der  Haut  ähnlicher  Papillen,  ragt  von  der 
freien  Fläche  der  Mundschleimhaut  in  die  tieferen  Schichten  des  Epithels  hinein. 
Nebstdem  besitzt  die  Mundhöhlenschloimhaut  eine  Anzahl  acinöser  Schleim- 
drfischen,  welche  aus  einem  kurzen  Ansftthningsgange  und  aus  einer  variablen 
Menge  von  Acini  bestehen.  Sie  werden  in  die  Olandulae  lahiaU»^  hueeale», 
palatinae  und  iin<ptales,  cingetheilt.  Ihre  Grösse  und  Zahl  variirt  an  verschie- 
denen Stellen,  und  ist  an  der  vorderen  Fläche  des  weichen  Gaumens  am  an- 
sehnlichsten, wo  sie  eine  continuirliche ,  1^2*"  dicke  Drüsenschichte  bilden, 
welche  sich  auch  in  den  harten  Gaumen,  aber  mit  nach  vom  abnehmender 
Dicke,  fortsetzt. 


§.  244.  Weicher  öaumen,  hthmm  faucinin^  imd  Mandeln. 

Der  weiche  Gaumen,  auch  Gaumensegel,  erscheint  zu- 
nächst als  eine  bewegliche  und  quere  Grenzwand  zwischen  der 
Mund-  und  Rachenhr>hle,  welche  aber  nicht  vertical  herabhängt, 
sondern  schief  nach  hinten  und  unten  gerichtet  ist.  Er  zeigt  uns 
eine  vordere  und  hintere  Fläche,  einen  oberen,  am  hinteren  Rande 
des  harten  Gaumens  befestigten,  imd  einen  unteren  freien  Rand, 
welcher  nicht  bis  zur  Zunge  herabreicht,  und  in  seiner  Mitte  einen 
stumpf  kegelförmigen  Anhang  besitzt,  —  das  Zäpfchen,  Uvula, 
Staphyle,  —  durch  welchen  er  in  zwei  seitliche?  bogenfiirmige  Hälften 
zerfkllt.  Jede  dieser  Hälften  theilt  sich  in  zwei  divergirende  Schen- 
kel —  Gaumenbögen,  Arcu8 palatinu  Der  vordere  geht  zum  Seiten- 
rande der  Zunge  als  Gaumenzungenbogen,  Arcu8  palatO'glo88U8. 


{.  S44.  W«ioh6r  Oanmen,  Ittkmut  faucivm  nnd  Mandeln.  591 

Der  hintere  setzt  sich  in  die  Schleimhaut  der  Rachenhöhle  fort,  als 
Gaumenrachenbogen,  Arcus  palato-pharyngeus. 

Jeder  Schenkel  kehrt  seinen  concaven  oder  freien  Rand  der 
Axe  der  Mundhöhle  zu.  Zwischen  beiden  Schenkeln  Einer  Seite 
bleibt  ein  nach  oben  spitziger,  dreieckiger  Raum  übrig,  in  welchem 
ein  Aggregat  von  Balgdrüsen  —  die  Mandel,  Tonsilla  s,  Amyg- 
dala  —  liegt,  welches  über  die  inneren  Ränder  der  Schenkel  vor- 
springt, und  deshalb  von  der  Mundhöhle  her  gesehen  werden  kann. 
Der  zwischen  dem  unteren  Rande  des  weichen  Gaumens,  dem 
Zungengnmde,  und  den  beiden  Mandeln  übrig  bleibende  Raum  ist 
die  hintere  Oeffnung  der  Mundhöhle,  welche  zur  Rachenhöhle  Alhrt, 
und  deshalb  Racheneingang  oder  Rachenenge  (Isthmus  fau- 
cium)  benannt  wird. 

Die  Mandeln  sind  Conglomerate  einer  gewissen,  nicht  bei  allen 
Individuen  gleichen  Anzahl  von  Balgdrüsen  (§.  90).  Jede  dieser 
Balgdrüsen  ist  eine  dickwandige,  mehrfach  ausgebuchtete  und  mit 
der  Mundhöhle  durch  eine  relativ  kleine  Oeffnung  communicirende 
Kapsel,  von  bindegewebiger  Structur.  Sie  wird  an  ihrer  Innenfläche 
von  einer  Fortsetzung  der  Mundhöhlenschleimhaut  und  ihres  Epi- 
thels ausgekleidet  Gewöhnlich  münden  auch  acinöse  Schleimdrüsen 
in  die  Höhle  der  Kapsel,  welche  deshalb  immer  mehr  weniger  Schleim 
enthält.  In  dem  Bindegewebe  der  Kapsel  nun  findet  sich  eine  grössere 
oder  geringere  Anzahl  vollkommen  geschlossener  Follikel,  deren 
Höhle,  in  den  Zwischenräumen  eines  reticulären,  an  den  Knoten- 
punkten kernhaltigen  Bindegewebes,  eine  Unzahl  von  Lymphkörper- 
chen  enthält  (§.  58).  Die  Gegenwart  dieser  Follikel  (Bälge),  welche 
man  für  den  Lymphdrüsen  analoge  Gebilde  erklärt  hat,  reiht  die 
Mandel  in  die  Sippe  der  sogenannten  Balgdrüsen. 

Die  dem  Isthmus  faudum  zugewendete,  convex  vorspringende 
Fläche  der  Mandeln  ist  mit  15 — 20  Oeffnungen  versehen,  durch 
welche  die  Balgdrüsen  ihren  Inhalt,  während  des  Durchpassirens 
des  Bissens  durch  den  Isthmus,  fahren  lassen,  und  diese  enge  Pas- 
sage schlüpfrig  machen. 

So  lange  die  zu-  und  abführenden  Lymphgefässe  der  Follikel  (Bälge)  in 
der  Mandel  nicht  nachgewiesen  werden,  ist  auch  ihre  Natur  als  Lymphdrüsen 
sehr  problematisch.  Man  mass  gestehen,  dass  ein  unpassenderer  Ort  für  Lymph- 
drüsen kaum  zu  finden  gewesen  w&re,  als  die  Substanz  des  dicken  Balges  eines 
Secretionsorgans. 

Die  Mandeln  schwellen  bei  Entzündungen  so  bedeutend  an,  dass  sie  den 
Isthmus  und  selbst  den,  hinter  dem  Isthmus  liegenden  Bezirk  der  Rachenhühle 
ausfüllen,  und  Erstickungsgefahr  bedingen  {Angina  tonnllarit).  Eine  bleibende 
Vergrösserung  derselben  verursacht  beschwerliches  Schlingen,  genirt  die  Sprache, 
veranlasst  selbst  Schwerhörigkeit  wegen  der  Nähe  der  Rachenmündung  der  Ohr- 
trompete, und  erfordert  ihre  Ausrottung  mit  dem  Messer.  Bei  alten  Individuen, 
welche  oftmals  an  Entsündimgen  der  Mandeln  mit  partieller  Vereiterung  der- 
selben gelitten  haben,  findet  man  de  geechrompft,  theilweise  oder  vollkommen 


Ö92  §'  '^*^'  !)>•)  Hnskeln  des  weichen  Oaumens. 

geschwunden,    und   uor    ihre   Oeffnungen,    als  seichte   Grübchen    ohne    drüsiges 
Parenchym,  noch  sichtbar. 

Um  eine  belehrende  Anschauung  vom  I»thmn«  faucium  zu  erhalten,  bereite 
man  sich  zwei  senkrechte  Durchschnitte  eines  Schädels.  Der  eine  gehe  senk- 
recht durch  beide  Augenhöhlen  bis  in  die  Mundhöhle  und  lasse  Unterkiefer  und 
Zunge  unberührt  Man  bekommt  durch  ihn  eine  freie  Ansicht  des  weichen  Gaa- 
mens  von  vom  her,  seiner  Schenkel  und  der  Mandeln.  Der  andere,  ebenfalls 
senkrechte,  aber  mit  der  Nasenscheidewand  parallele,  theile  die  Mundhöhle  in 
zwei  seitliche  Hälften.  Er  g^ebt  die  Ansicht  des  weichen  Gaumens  und  seiner 
Beziehungen  zur  Mund-  und  Rachenhöhle  im  Aufriss. 


§.  245.  Die  Muskeln  des  weichen  Daumens. 

Der  weiche  Gaumen  wird  durch  Muskeln  bewegt,  welche  ent- 
weder ganz  oder  nur  mit  ihren  Enden  zwischen  seinen  beiden 
Schleimhautblättem  liegen,  ihn  heben,  senken,  oder  in  der  Quere 
spannen,  und  dadurch  die  Weite  und  Gestalt  des  Isthmus  favmum 
verändern. 

Die  Muskeln  des  weichen  Gaumens  werden  am  besten  nur  von  hinten- 
her  präparirt  werden.  Man  hat  somit  die  Wirbelsäule  abzutragen,  den  Rachen- 
sack  zu  öffnen,  und  findet  sie  leicht  nach  Entfernung  des  hinteren  Blattes  der 
Schleimhaut  des  weichen  Gaumens  bis  zur  Eustachischen  Trompete  hinauf. 

Nur  Ein  Gaumenmuskel  ist  scheinbar  unpaar,  die  übrigen  paarig. 

Der  unpaare  Azygos  uvulae  geht  von  der  Spina  palatina  (hin- 
terer Nasenstachel)  zum  Zäpfchen  herab.  Er  besteht  immer  aus 
zwei  ganz  gleichen,  bis  zur  innigsten  Berührung  genäherten  Hälften, 
und  ist  somit  kein  eigentlicher  Musculus  azygos,  d.  h.  ohne  Gespan. 

Der  paarige  Levator  veli  palatini  s.  Petro-salpingo-staphylinus 
(von  -sTpa,  Felsen,  joAtuiyS^  Trompete,  und  ora^uXr;,  Zäpfchen)  ent- 
springt vor  dem  carotischen  Kanal  an  der  unteren  Felsenbeinfläche, 
so  wie  auch  von  dem  Knorpel  der  Eustachischen  Ohrtrompete,  und 
verwebt  seine  Fasern  im  weichen  Gaumen  theils  mit  den  Fasern 
des  Azygos,  theils  fliessen  sie  in  einem  nach  abwärts  convexen 
Bogen  mit  jenen  des  gleichnamigen  Muskels  der  anderen  Seite  zu- 
sammen. 

Der  Tensor  palati  s.  Circtimfleams,  s.  Spheno-salpingo-staphylinuSy 
liegt  als  ein  platter  und  dünner  Muskel  an  der  äusseren  Seite  des 
vorigen,  zwischen  ihm  und  dem  Ursprünge  des  Pterygoideus  infeimus. 
Er  entsteht  an  der  Spina  angularis  des  Keilbeins  und  an  der  knor- 
peligen Ohrtrompete,  umschlingt  mit  seiner  breiten  Endsehne  den 
Haken  der  inneren  Lamelle  des  Flügelfortsatzes,  imd  lässt  seine 
Fasern  divergirond  im  weichen  Gaumen  ausstrahlen,  wo  sie  theils 
an  den  hinteren  Rand  des  harten  Gaumens  sich  inseriren,  theils  mit 
jenen  des  gegenständigen  Tensor  verschmelzend,  eine  Aponeurose 
erzeugen,   welche    als   die   feste   Ghiindlage   des   weichen   Gaumens 


{.  246.  Zihae.  Strnctnr  derselben.  593 

angesehen  werden  mag.  Der  Muskel  ist  somit  nicht,  wie  die  übrigen, 
geradlinig,  sondern  bildet  einen  Winkel,  dessen  Spitze  an  dem  Haken 
des  Flügelfortsatzes  liegt  (Sehleimbeutel). 

Der  Mu8Culu8'palai(hglosmL8  und  palato-phai'yngeus  liegen  in  den 
gleichnamigen  Schenkeln  des  weichen  Gaumens  eingeschlossen.  — 
Alle  Gaumenmuskel  sind  kürzer  als  ihre  griechischen  Namen. 

Der  schmale  Pcdato-gloaaut  führt  auch  den  Namen  Conatrictor  itthmi  faucUunj 
weil  er  unter  der  vorderen  drüsenreichen  Schleimhantplatte  des  weichen  Gaumens 
in  jenen  der  anderen  Seite  bogenförmig  (nach  oben  conyez)  übergeht,  somit  den 
weichen  Gaumen  niederzieht,  und  den  concaven  Rand  des  Arcus  palato-glosstu 
nach  einwärts  vorspringen  macht,  wodurch  der  Itthmua  faucium  von  oben  und 
von  den  Seiten  verengert  wird.  —  Der  Palato-pharyngeiUf  bei  weitem  umfäng- 
licher als  der  PakUo-glosstu,  hängt  mit  der  Aponenrose  des  Teruor  pcUaH  zusam- 
men, auf  welcher  auch  die  Fasern  der  beiderseitigen  Palato-pharyngei  bogenförmig 
in  einander  übergreifen.  Im  Areu»  palaUhpharyngeuB  herabsteigend,  befestigt  er 
sich  theils  am  hinteren  Rande  des  Schildknorpels,  theils  verliert  er  sich  in  der 
hinteren  Pharjnxwand,  deren  Längenmuskelfasem  er  vorzugsweise  zu  liefern 
scheint  Ein  befriedigendes  Präparat  des  PalaUhgloasu«  und  Paiato-pharyngeua 
und  ihrer  Bogen  im  weichen  Gaumen  ist  ein  wahres  Kunststück. 

Lässt  man  am  Lebenden,  dessen  Hals  untersucht  werden  soll,  bei  ge- 
öffnetem Munde  eine  tiefe  Inspiration  machen,  oder  den  Yocal  a  aussprechen, 
so  erhebt  sich  der  weiche  Gaumen,  der  Isthmus  wird  grösser,  und  man  kann 
durch  ihn  hindurch  einen  grossen  Theil  der  hinteren  Rachenwand  übersehen.  Lässt 
man  Schlingbewegungen  machen,  welche  ohnedies  häufig  unwillkürlich  eintreten, 
wenn  man  mit  der  Mundspatel  den  Zungengrund  nach  abwärts  drückt,  so  sieht 
man,  wie  sich  die  concaven  Ränder  der  Gaumenschenkel  gerade  strecken,  und 
sich  (namentlich  jene  der  vorderen)  so  weit  nähern,  dass  nur  eine  kleine  Spalte 
zwischen  ihnen  frei  bleibt,  die  durch  das  herabhängende  Zäpfchen  verschlossen 
wird.  Durch  diese  Spalte  muss  der  zu  verschlingende  Bissen  durchgepresst  wer- 
den. Auch  beim  Singen  hoher  Töne  nimmt  der  Isthmus  die  Gestalt  einer  senk- 
rechten Spalte  an. 


§.  246.  Zähne.  Stractui  derselben, 

Die  Zähne,  DenteSj  bilden  sammt  den  Kiefern  die  passiven 
Kauwerkzeuge.  Grosse  Zähne  kommen  deshalb  mit  weiten  Mund- 
spalten, starken  Kiefern,  und  kräftigen  Beissmuskeln  vor.  Sie  eignen 
sich  durch  ihre  Härte  sowohl  wie  durch  ihre  Form,  welche  Meissein, 
Keilen  oder  Stampfen  gleicht,  zu  mechanischen  Zertrümmemngs- 
mittein  der  Nahrung.  Jeder  Zahn  ragt  mit  eiqem  unbedeckten  nack- 
ten Theile  seines  Körpers  in  die  Mundhöhle  vor.  Dieser  ist  die 
Krone  {Corona).  Auf  ihn  folgt  der  vom  Zahnfleisch  umschlossene 
Hals  {Collum).  Der  in  die  Lücken  des  Alveolarfortsatzes,  wie  der 
Nagel  in  die  Wand  eingetriebene;  conische  und  mit  einem  Periost 
versehene  Endzapfen  des  Zahnes  heisst  Wurzel  {Radix  dentis). 

Hals  und  Krone  schliessen  zusammen  eine  HoUa  aw  f^T» 
dentis),  welche  mittelst  eines  feinen,  dnre^ 

Hyrtl,  Lthrbieh  dtr  Anstomi«. 


594  8-  2^-    Z&liiie.  Stnictar  derMlben. 

Wurzel  verlaufenden  Kanals  an  der  Spitze  der  letzteren  ausmündet 
{Canalü  radicis).  In  dieser  Höhle  liegt  der  sogenannte  Zahn  keim 
(Pulpa  8.  Blastema  dentis)^  ein  weicher,  aus  undeutlich  faserigem, 
kemfUhrendem  Bindegewebe  zusammengesetzter  Körper,  zu  welchem 
GefUsse  und  Ner\^en  durch  den  Wurzelkanal  eindringen.  Eine  mehr- 
fache Schichte  kernhaltiger  Zellen  überzieht  die  Oberfläche  des 
Zahnkeimes. 

Man  unterscheidet  an  jedem  Zahn  drei  Substanzen: 
1.  Der  Schmelz  oder  das  Email  (Substantia  vitrea  s,  ada- 
mantinaj  Encauston  dentis).  Er  bildet  die  äussere  Rinde  der  Krone, 
welche  an  der  Kaufläche  des  Zahnes  am  dicksten  ist,  und,  gegen 
den  Hals  zu  sich  verdünnend,  mit  scharf  gezeichnetem  Rande 
plötzlich  aufhört.  Er  deckt  somit  den  freien  Theil  des  Zahnes  wie 
eine  dicht  aufsitzende  Kappe.  Der  Schmelz  besteht  aus  kantigen, 
sechseckigen,  etwas  geschlängelten,  von  der  Oberfläche  der  Krone 
strahlenförmig  gegen  die  Zahnaxe  convergirenden ,  mikroskopisch 
feinen  und  soliden  Fasern,  welche  der  Bruchfläche  der  Krone  Sei- 
denglanz geben.  —  Eine  vollkommen  homogene,  verkalkte,  feine 
Schichte  deckt  die  freie  Oberfläche  des  Schmelzes  als  sogenanntes 
Schmelz  oberhäutchen. 

2.  Das  Zahnbein  oder  Dentin  (Ehur  s,  Suhstantia  propria 
dentis),  bildet  den  Körper  des  Zahnes,  und  umschliesst  zunächst 
die  Zahnhöhle  und  den  Wurzelkanal.  Es  besteht  aus  feinsten 
Kanälchen,  und  einer,  diese  unter  einander  verbindenden,  structur- 
losen,  harten  Grundmasse.  Die  Kanälchen  beginnen  mit  offenen 
Mündungen  in  der  Zahnhöhle  und  im  Wurzelkanal,  sind  schräg 
nach  aussen  gerichtet,  sanft  wellenförmig  gebogen  (nach  Welcker 
korkzieherartig  gewunden)  und  gegen  die  Oberfläche  zu  vielfach 
gabelförmig  getheilt.  Die  zahlreichen  Aeste  dieser  Kanälchen  endi- 
gen niemals  blind,  sondern  anastomosircn  entweder  noch  im  Zahn- 
beine mit  benachbarten,  oder  gehen  in  den  Schmelz  über,  wo  sie 
ebenfalls  mit  einander  anastomosiren,  oder  treten  in  die  gleich  zu 
erwähnende  Rinde  der  Zahnwurzel  (Cement)  über,  und  verbinden 
sich  mit  den  Aestchen  der  daselbst  befindlichen  Knochenkörperchen. 
Man  dachte  sich,  dass  diese  Kanälchen  des  Zahnbeins  eine,  zur 
Ernährung  des  Zahnes  dienende  Flüssigkeit,  den  Zahnsaft,  ent- 
halten, welcher  aus  den  Blutgefässen  der  Zalmpulpa  stammt.  Da 
deckte  Tom  es  das  Irrthümliche  dieser  Vorstellung  auf,  indem  er 
zeigte,  dass  die  Kanälchen  weiche,  durchsichtige,  und  sehr  feine 
Fasern  enthalten,  in  welchen  er  Fortsetzungen  der  die  Oberfläche 
des  Zahnkeims  überziehenden  Zellen  erkannte.  Ueber  die  Natur 
dieser  Fasern  (Einige  halten  sie  selbst  für  Nervenfasern)  weiss  ich 
keinen  Bescheid  zu  geben.  So  viel  aber  lässt  sich  wenigstens  ver- 
muthen,  dass  zwischen  diesen  Fasern,  und  den  Kanälchen  des  Zahn- 


{.  246.   Z&hne.    Strnctar  derselben.  595 

beins,  in  welchen  sie  liegen,  noch  Raum  fiir  die  ErnährungsflüBsigkeit 
des  Zahnes  erübrigen  mag.  Es  liesse  sich  sonst  nicht  begreifen, 
warum  die  letzten  Enden  der  Zahnbeinkanälchen  mit  den  Aesten 
der  Ejiochenkörperchen  der  Wurzehinde  (welche  Emährungsflüssig- 
keit  enthalten)  zusaromenmünden. 

Da  dem  Gesagten  zufolge  die  Structur  des  Zahnbeins  eine  röhrige  ist,  so 
ist  der  Name  Zahnbein  nicht  glücklich  gewählt.  Beine  (Knochen)  besitzen  ja 
blätterige  Structur.  —  Jener  Theil  des  Zahnbeines,  welcher  die  Höhle  des  Zahnes 
zunächst  umschliesst,  erscheint  uns  nicht  eben^  sondern  mit  rundlichen  tropfstein- 
artigen Vorsprüngen  besetzt,  welche  den  von  Czermak  entdeckten  Zahn- 
beinkugeln angehören.  Das  Wesentliche  von  Czermak's  Beobachtungen  ist 
Folgendes.  Das  ganze  Zahnbein  scheint  ein  Aggregat  von  kugeligen  Massen  zu 
sein  (Zahnbeinkugeln),  welche  durch  unregelmässige  Lücken  (Interglobularräume) 
von  einander  getrennt  werden.  Die  der  Höhle  des  Zahns  zunächst  liegenden 
Kugeln  ragen  in  dieselbe  als  rundliche  Erhabenheiten  hinein.  Die  Zahnbein- 
kugeln stehen  mit  der  Ablagerung  von  Kalksalzen  in  der  anfänglich  weichen 
Substanz  des  Zahnes  in  Verbindung.  Diese  Ablagerung  erfolgt  nämlich  in  Form 
rundlicher  Massen,  die  zwar  immer  mehr  und  mehr  mit  einander  zusanunen- 
fiiessen,  aber  dennoch  nicht  so  vollständig,  dass  nicht  unverkalkte  Theile  der 
ursprünglichen  weichen  Zahnmasse  zwischen  ihnen  zurückblieben,  welche  dann 
beim  Trocknen  des  Zahnes  durch  Einschrumpfen  vergehen,  und  an  deren  Stelle 
Lücken  erscheinen  lassen,  welche   die  oben  erwähnten  Interglobularräume  sind. 

3.  Die  Wurzelrinde  (Orvstn  ostoides  radicis),  gewöhnlich  Ce- 
ment  genannt,  findet  sich  nur  an  der  äusseren  Oberfläche  der 
Radix  als  0,2'" — 0,05'"  dicke  Rinde,  und  besitzt,  nebst  dem  con- 
centrisch-blättrigen  Bau,  auch  die  mikroskopischen  Elemente  der 
Knochen:  die  Mülle  raschen  Knochenkörperchen,  jedoch  nur  mit 
spärlichen  Aestchen.  —  Als  Grenzlinie  zwischen  Zahnbein  und 
Wurzelrinde  wird  an  feinen  Längenschnitten  des  Zahnes  ein  bei 
durchgehendem  Lichte  dunkler  Streifen  gesehen,  in  welchem  sehr 
grosse  Knochenkörperchen  liegen,  deren  Aestchen  sich  mit  jenen  der 
Wurzelrinde  verbinden,  \md  ganz  bestimmt  auch  mit  den  Röhrchen 
des  Zahnbeines  commimiciren.  An  der  Spitze  der  Zahnwurzel  setzt 
sich  die  Rinde  noch  etwas  über  die  Spitze  des  Zahnbeines  fort  und 
bildet  dadurch  allein  den  Anfang  des  Zahnkanals. 

lieber  den  Bau  der  Zähne  handeln: 

Raschkow,  meletemata  circa  mammalium  dentium  evolutionem.  Vratisl., 
183Ö.  —  L,  Fränkel,  de  penitiori  dentium  hum.  structura.  Vratisl.,  1836.  — 
Retzius,  in  Müller' a  Archiv.  1837.  —  J,  Linderer,  Handbuch  der  Zahnheilkunde. 
Berlin,  1837.  —  Naamyth,  Researches  on  the  Teeth.  Lond.,  1839.  —  Ltsmig, 
Verhandlung  der  naturw.  Gesellschaft  in  Hamburg.  1845.  —  Kruckenherg,  Beitrag 
zur  Lehre  vom  Röhrensystem  der  Zähne  und  Knochen,  in  MÜUer^s  Archiv.  1849. 
—  /.  Czermak,  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie.  1850.  —  H.  Wdcker, 
Bemerkungen  zur  Mikrographie,  in  Henle  und  Pfeufer'a  Zeitschrift;,  N.  F.  VIH.  Bd. 
pag.  262.  —  Rainey,  Quarterly  Journal  of  Microsc.  Science.  1869.  July.  —  Robin 
und  Magitot,  Gaz.  m6d.  1860.  Nr.  12,  16,  22,  und  1861,  Nr.  2.  —  Sehr  lehrreich 
über  Bau  und  Entwicklung  der  ZUme  lat  der  AnÜMts  von  H.  Hers  im  Arch. 
für  pathol.  Anat  37.  Bd. 


596  S-  M7.   Fom«ii  der  Ziline. 

Hauptwerk  fllr  vergleichende  Anatomie  der  Zähne  ist  die  prachtvolle  Oden- 
.tographie  von  R,  Owen.  2  Bände,  London,  1840 — 1845. 


§.  247.  Pormeii  der  Zähne. 

Die  Zahl  der  Zähne  beträgt  32.  Jeder  Kiefer  trägt  16.  Sie 
werden  in  die  vier  Schneide-,  zwei  Eck-,  vier  Backen-  und  sechs 
Mahlzähne  eingetheilt. 

Die  vier  Schneidezähne  (Dantes  inciaim)  haben  meisselartig 
zugeschärfte  Kronen  mit  vorderer  convexer  und  hinterer  concaver 
Fläche.  Ihr  Hals  ist  an  den  Zähnen  des  Unterkiefers  seitlich  com- 
primirt  und  von  vom  nach  hinten  dicker,  als  von  rechts  nach  links. 
An  den  Zähnen  des  Oberkiefers  ist  er  mehr  nmdlich.  Die  Wurzel 
ist  einfach  kegelförmig,  von  den  Seiten  etwas  flachgedrückt.  Die 
beiden  inneren  Schneidezähne  sind,  besonders  im  Oberkiefer,  stär- 
ker, und  haben  breitere  Kronen  als  die  beiden  äusseren. 

Die  zwei  Eckzähne  (Dentes  angulareSj  caniniy  cuspidati),  auf 
jeder  Seite  einer,  haben  konisch  zugespitzte  Kronen,  und  an  der 
hinteren  Seite  der  Krone  zwei  flache  Facetten.  Ihre  starken,  ein- 
fachen, zapfenfbrmigen  Wurzeln  zeichnen  sich  an  den  Eckzähnen 
des  Oberkiefers,  welche  Augenzähne  genannt  werden,  durch  ihre 
Länge  aus. 

Die  vier  Backenzähne  {Dentes  buccales),  gewöhnlich  auch 
kleine  oder  vordere  Stockzähne  genannt,  zwei  auf  jeder  Seite, 
haben  etwas  niedrigere  Kronen  als  die  Eckzähne,  und  entweder 
zwei  Wurzeln,  oder  nur  eine  einfache,  seitlich  plattgedrückte,  an 
welcher  eine  longitudinale  Furche  die  Tendenz  zum  Zerfallen  in 
zwei  Wurzeln  andeutet.  Ihre  Mahlflächen  besitzen  einen  äusseren 
und  inneren,  kurzen,  aber  breiten  und  stumpfen  Höcker  (Cuspis). 
Sie  fuhren  deshalb  auch  den  Namen  BicuspidatL 

Die  sechs  Mahl-  oder  Stockzähne  (Dentes  molares) j  drei  auf 
jeder  Seite,  zeichnen  sich  durch  ihre  Grösse  und  durch  die  vier 
oder  fünf  Höcker  ihrer  Kauflächen  aus.  Die  Stockzähne  des  Ober- 
kiefers haben  in  der  Regel  drei  divergirende  konische  Wurzeln, 
die  des  Unterkiefers  nur  zwei,  deren  jeder  man  es  ansieht,  dass 
sie  durch  die  Verwachsung  zweier  konischer  Wurzeln  entstand. 
Die  Kronen  der  Mahlzähne  des  Oberkiefers  besitzen  vier,  jene  des 
Unterkiefers  fünf  Höcker,  \md  zwar  stehen  drei  am  äusseren,  zwei 
am  inneren  Kronenrande.  Der  letzte  Stockzahn  beider  Kiefer,  der 
seines  späten,  erst  im  20. — 25.  Lebensjahre  erfolgenden  Durch- 
bruches wegen  Dens  serotinus  s.  dens  sapientme  heisst,  hat  eine  klei- 
nere Elrone,  zugleich  kürzere  und  mehr  convergente  Wurzeln.  Seine 
Wurzeln  verschmelzen   nicht  selten   zu  einem   einzigen,  konischen 


S.  US.  Zahnfleisch.  597 

ZapfoD^  der  gerade  oder  gekrümmt,  und  im  Unterkiefer  gegen  die 
Basis  des  Eronenfortsatzes  gerichtet  ist. 

■ 

Obwohl  die  Natur  schon  in  den  frühen  Perioden  der  Entwicklang  des 
Embryo  (im  dritten  Monate)  mit  der  Bildung  der  Zähne  beginnt,  so  wird  sie 
doch  so  spät  damit  fertig,  dass  erst  im  sechsten  oder  siebenten  Monate  nach  der 
Geburt  die  inneren  Schneidezähne  des  Unterkiefers  durchbrechen  können.  In 
Zwischenräumen  von  4 — 6  Wochen  folgen  die  übrigen  nach,  und  zwar  in  der 
Ordnung,  dass  auf  die  unteren  inneren  Schneidezähne  die  oberen  inneren,  hier- 
auf die  unteren  äusseren,  und  dann  die  oberen  äusseren  Schneidezähne  folgen. 
Nun  sollten  der  Tour  nach  die  Eckzähne  kommen.  Es  brechen  aber  früher  die 
unteren  und  oberen  ersten  Backenzähne  hervor,  und  erst,  wenn  diese  ihren 
Platz  eingenommen  haben,  erscheint  der  Eckzahn,  worauf  dann  zuletzt  die  äusse- 
ren Backenzähne  zu  Tage  treten.  Am  Ende  des  zweiten  Lebensjahres  zählt  das 
Kind  zwanzig  Zähne.  Es  folgen  nun  keine  anderen  nach,  da  der  kindliche  Kie- 
fer keinen  Raum  für  sie  hat.  Diese  zwanzig  Zähne  heissen  Milchzähne,  Den- 
tea  IcLctd  s,  caduci.  Die  Schneide-  und  Eck-Milchzähne  sind  kleiner  als  die  blei- 
benden, die  Backen-Milchzähne  dagegen  grösser.  Letztere  ähneln  durch  ihre 
breite,  viereckige,  mit  vier  oder  fünf  Erhabenheiten  besetzte  Krone  den  bleiben- 
den Stockzähnen,  mit  welchen  sie  auch  durch  die  Zahl  ihrer  Wurzeln  überein- 
stimmen. —  Die  Milchzähne  bleiben  bis  zum  siebenten  Lebensjahre  stehen,  wo 
sie  in  derselben  Ordnung,  als  sie  geboren  wurden,  ausfallen,  und  den  bleibenden 
Zähnen,  die  zum  Ausbruche  bereit  im  Kiefer  vorliegen,  Platz  machen.  Sind  alle 
zwanzig  Milchzähne  durch  bleibende  ersetzt,  so  folgen  noch  auf  jeder  Seite  drei 
Stockzähne  nach,  wodurch  die  Zahl  der  bleibenden  Zähne  auf  32  gebracht  wird. 
Den  Durchbruch  der  Milchzähne  begreift  man  als  Dentüio  primae  den  Wechsel 
mit  bleibenden  Zähnen  als  DentiHo  sectmda. 


§.  248.  ZaJmfleiscL 

Zahnfleisch,  Oingivaj  heisst  jene  Partie  der  Mundschleim- 
haut;  welche,  durch  ein  dichtes  und  festes  submuköses  Bindegewebe 
gestützt,  die  Hälse  der  Zähne  umgiebt,  und  sie  zuweilen  so  knapp 
umschliesst,  dass  es  abgelöst  werden  muss,  bevor  der  Zahn  ausge- 
zogen werden  kann.  Bei  Entfernung  von  Zähnen,  welche  ihre  Kro- 
nen fast  ganz  durch  Caries  verloren  haben,  muss,  weil  die  Zange 
nur  am  Halse  sicher  fassen  kann,  das  Zahnfleisch  jedesmal  abgelöst 
und  gegen  die  Wurzel  zurückgedrängt  werden.  Das  Zahnfleisch  ist 
wenig  empfindlich,  aber  äusserst  gefilssreich,  blutet  deshalb  leicht 
beim  Bürsten  der  Zähne  und  bei  stärkerem  Saugen.  Man  unter- 
scheidet an  ihm  eine  vordere  und  eine  hintere  Wand  oder  Platte, 
welche  zwischen  je  zwei  Zähnen  durch  Zwischenspangen  mit  ein- 
ander zusammenhängen,  und  nach  Verlust  der  Zähne  in  ihrer  gan- 
zen Länge  mit  einander  verschmelzen.  —  Das  Zahnfleisch  sorgt 
nicht  für  die  Ernährung,  sondern  für  die  Befestigung  des  Zahnes. 
Lockert  sich  das  Zahnfleisch,  wie  bei  Speichelfluss  und  Scorbut  auf, 
so  wackeln  die  Zähne.  Die  Einkeilung  der  Zahnwurzeln  in  die  Al- 
veolarfortsätze  der  Kiefer  befeetiffet  die  Zähne  nicht  in  dem  Grade, 


598  S-S49.   Lebenseig^entchaften  der  Zähn^. 

dass  ihnen  nicht  ein  Minimum  von  Beweglichkeit  erübrigte.  Diese 
Beweglichkeit  der  Zähne  führt  nothwendig  zu  Reibungen  der  Seiten- 
flächen je  zweier  Zahnkronen.  Daraus  erklären  sich  denn  auch  die 
an  diesen  Seitenflächen  vorkommenden  Abreibungsflächen. 

Am  hinteren  Zahnfleische  erwähnt  Serres  (M6m.  snr  Tanat.  et  la  physiol* 
des  dents,  in  dem  M6m.  de  la  Soci^t^  d' Emulation.  Tom.  VIII.  pag.  128)  kleine, 
hirsekomgrossc  Drüschen,  welche  eine  schmierige  Flüssigkeit  absondern,  die, 
seiner  Vorstellung  zafolge,  den  Zahn  (wie  das  Hantsebum  die  Epidermis)  einölt, 
um  ihn  dauerhafter  zu  machen.  Er  nannte  sie  glandes  dentaires.  Krankhafte  Ver- 
änderung dieses  Secrctes  soll  den  Zahnstein  bilden,  welcher  nach  Serres  nicht 
als  Niederschlag  des  Speichels  angesehen  werden  kann,  da  seine  chemische  Ana- 
lyse mit  jener  der  fixen  Bestandtheilc  des  Speichels  nicht  übereinkommt  Meckel 
hat  diese  Drüschen,  da  er  sie  nur  beim  Ausbruche  der  Milchzähne  deutlich  sah, 
für  kleine  Abscesse  gehalten.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  Serres  gewöhn- 
liche solitäro  Follikel,  wie  sie  in  der  Schleimhaut  des  gesammten  Verdauungs- 
apparates  vorkommen,  für  etwas  Besonderes  gehalten  hat  —  Im  Schleime,  den 
man  mit  dem  Zahnstocher  zwischen  den  Zähnen  herausholt,  leben,  nebst  ästigen 
Fadenpilzen,  unzählige  parasitische,  sich  zitternd  bewegende  Wesen  thierischer 
Natur  (Vibno  denticola).  Henle  vermuthet,  dass  die  Caries  der  Zähne  mit  der 
Wucherung  dieser  Parasiten  in  Verbindung  stehe,  welche  Annahme  durch  das 
Vorkommen  ähnlicher  Parasiten  (Pilze)  bei  anderen  geschwürigen  Processen,  wie 
bei  Aphthen,  Kopfgrind,  Sycosis,  sehr  wahrscheinlich  wird.  Man  dl  ist  zu  weit 
gegangen,  wenn  er  den  Zahnstein  für  die  petrificirten  Leiber  abgestorbener  In- 
fusorien des  Zahnschleims  hält.  Die  chemische  Zusammensetzung  des  Zahnsteins 
und  seine  theilweise  Löslichkeit  in  vegetabilischen  Säuren  und  Alkohol  erklärt 
es,  warum  Obstliebhaber  und  Branntweintrinker  gewöhnlich  sehr  weisse  Zähne 
haben.  —  Bei  alten  Leuten  wird  der  Zahnstein  zuweilen  in  so  grosser  Menge 
abgelagert,  dass  er  Zähne,  die  sonst  schon  lange  ausgefallen  wären,  noch  an  ihre 
Nachbarn  festhält. 


§.  249.  Lebenseigenscliaften  der  Zälme. 

Die  Entwicklungsgeschichte  des  Zahnes  reiht  ihn  den  Hom- 
gebilden  an.  Es  wurde  zuerst  durch  Goodsir  und  Arnold  gezeigt, 
dass  die  Zähne  in  häutigen^  mit  der  Mundschleimhaut  zusammen- 
hängenden imd  aus  ihr  durch  Ausstülpen  hervorgegangenen  Bläschen 
gebildet  werden,  welche  Bläschen  [Folliculi  denfiiim),  sich  allmälig  in 
den  Kiefer  einsenken,  und  sich  erst  später  von  der  Mundhöhle  so 
abschliessen,  dass  das  harte  Zahnfleisch  als  Orista  gingivalis  die 
Kauränder  beider  Kiefer  überlagert.  Im  Grunde  dieser  Bläschen  er- 
wächst eine  Papille  —  die  zukünftige  Pulpa  des  Zahnes  —  um 
welche  herum  die  Zahnsubstanz,  wie  beim  Modelliren  einer  Form, 
abgelagert  wird.  Diese  Säckchen  und  ihre  Papillen  sind  also  für 
den  Zahn,  was  die  Haartasche  und  der  Haarkeim  für  das  Haar 
waren  —  Aufnahms-  und  Absonderungsgebilde  des  zum  Zahnbau 
verwendeten  Materials.  Nach  den  Ansichten  von  Schwann  und 
Leveillö  soll  die   Pulpa  nicht  blos   das   Zahnmateriale   absondern, 


§.  219.   Lebenseigenscliaften  der  Zähne.  599 

und  dasselbe  an  ihrer  Oberfläche  deponiren,   sondern  sich  wie   ein 
ossificirender  Knorpel  in  das  Zahnbein  umwandeln. 

Die  Bestimmung  des  Zahnes  bedingt  seine  physischen  Eigen- 
schaften, seine  Härte  und  seinen  geringen  Antheil  an  animalischen 
Substanzen,  welcher  im  Email,  nach  Berzelius,  nicht  einmal  ganz 
zwei  Procent  beträgt;  das  Uebrige  ist  phosphorsaurer  Kalk  und 
Fluorcalcium  88,50,  kohlensaurer  Kalk  8,00,  und  phosphorsaure 
Talkerde  1,50.  Darum  wird  der  Zahn  von  Säuren  so  leicht  ange- 
griffen. Selbst  die  Form  des  Zahnes  steht  mit  seiner  mechanischen 
Verwendung  im  genauesten  Zusammenhang.  —  Die  animalische  Sub- 
stanz scheint  vorzugsweise  die  Bindung  der  mineralischen  zu  ver- 
mitteln, weil  durch  Verlust  der  ersteren  durch  Calciniren,  oder  im 
Leben  durch  Anwendung  alkalischer  Zahnpulver  (Tabaksasche)  der 
Zahn  auffallend  brüchig  wird,  und  leicht  zerbröckelt.  Die  Erschüt- 
terung der  kleinsten  Zahntheilchen,  welche  sich  beim  Beissen  auf 
ein  Sandkorn  bis  zur  Pulpa  dentis  fortpflanzt,  lässt  dem  Zahne 
(oder  vielmehr  den  Nerven  seiner  Pulpa)  auch  Tastempfindungen 
zukommen. 

Es  ist  allerdings  wahr,  dass  ein  vollkommen  ausgebildeter 
Zahn  nicht  mehr  an  Grösse  zunimmt,  und  die  Natur  deshalb  ge- 
zwungen ist,  die  Milchzähne,  welche  nur  für  den  kindlichen  Kiefer 
berechnet  sind,  und  ftlr  den  entwickelten  Beissapparat  zu  klein 
gewesen  wären,  wegzuschaffen,  und  durch  grössere  zu  ersetzen. 
Allein  das  Stationärbleiben  der  Grösse  eines  Zahnes  schliesst  einen 
inneren  Wechsel  seines  Stoffes  nicht  aus.  Der  Zahn  kann  ja  er- 
kranken, und  muss  deshalb  leben.  Gewiss  dringen  von  der  Zahn- 
höhle aus  Nahrungssäfte  in  die  Kanälchen  des  Zahnbeines  ein,  und 
dienen  dem  Leben  des  Zahnes.  Dass  dieses  Leben  im  Zahne,  wie 
im  Knochen,  fortwährend  wirkt  und  schafft,  beweisen  die  Fälle  von 
geheilten  Zahnfracturen  (sehr  lehrreich  jener  im  Breslauer  Museum). 
Ich  besitze  selbst  einen  durch  Callus  geheilten  Bruch  des  Halses 
eines  menschlichen  Schneidezahns,  und  den  Schliff  eines  Elfenbein- 
zahnes mit  geheilter  Fractur.  Die  Veränderung  der  Zähne  in  ge- 
wissen Krankheiten,  z.  B.  das  Aendem  ihrer  Farbe  und  ihr  Durch- 
scheinendwerden bei  Lungensüchtigen  (He nie),  ihr  Brüchigwerden 
bei  Typhus  (Malgaigne),  so  wie  das  Schwinden  der  Wurzeln  der 
Milchzähne  vor  ihrem  Ausfallen,  spricht  ebenso  überzeugend  für 
das  Dasein  einer  inneren  Metamorphose.  Diese  Metamorphose  be- 
schränkt sich  aber  auf  das  Erhalten  des  Bestehenden.  Durch  Ab- 
nützung oder  durch  Feilen  Verlorenes,  wird  «dem  Zahne  nicht  wieder 
ersetzt.  Abgesprengte  Kanten  werden  nicht  reproducirt. 

Im  vorgerückten  Alter  faUen  die   Zähne  in  der  Regel   «u. 
Verknöcherung  der  Zahnpulpa,  Obliteration  der  Zahnar^ie^ 
der  Kanälchen  des  Dentins  sind  die  Ursachen  davon.  Im  Q> 


600  8-  250.    yarietiten  der  Z&hne. 

neu  zum  Vorschein  kommende  Zähne  sind  entweder  wirkliche 
Neubildungen;  oder  erklären  sich  auch  einfach  durch  den  Umstand, 
dasSy  wenn  beim  Wechsebi  der  Zähne  ein  Zahn,  der  sich  zwischen 
zwei  andere  hineinschieben  soll,  z.  B.  ein  Eckzahn,  keinen  Platz 
findet,  und  auch  nicht  als  Ueberzahn  an  der  vorderen  oder  hin- 
teren Wand  des  Alveolus  vorbricht,  er  im  Kiefer  stecken  geblieben 
ist,  und  erst  nach  dem  Ausfallen  eines  seiner  Nebenzähne  zum 
Vorschein  kommt. 

Nebst  den  älteren  Berichten  über  eine  DentiHo  tertia  tenüi»  von  Birch, 
Diemerbroeck,  Foabert,  Blancurd,  Palfyn,  bestätigen  anch  neuere 
Beobachtungen  (gesammelt  von  E.  H.  Weber,  in  dessen  Ausgabe  der  Hüde- 
^anc2^'schen  Anat.  4.  Bd.  pag.  123)  ihr  Vorkommen. 

Das  vorschnelle  Zugrundegehen  der  Zähne,  welche  selbst  durch  die  ängst- 
lichste Sorgfalt  beim  Reinigen  der  Zähne  nicht  hintangehalten  werden  kann, 
scheint  am  meisten  durch  den  plötzlichen  Temperaturwechsel  bedingt  zu  werden^ 
welchem  die  Zähne  bei  unserer  Lebensweise  unterliegen.  Man  denke  an  die 
heissen  Suppen  bei  Winterkälte,  an  das  Wassertrinken  auf  heissen  Kaffee,  an 
den  beliebten  Genuss  von  Gefrornem  und  Eiswasser  im  Sommer  u.  s.  w.  In 
Obersteyer,  wo  das  helsse  Schmalzkoch  eine  Lieblingsnahrung  der  Landleute 
ist,  findet  man  kaum  eine  Bauemdime  ohne  eingebundenes  Gesicht,  und  unter 
den  Städtern  sind  schöne  Zähne  leider  eine  solche  Seltenheit,  dass  man  nicht 
oft  fehlen  wird,  sie  für  falsch  zu  halten. 


§.  250.   Yarietäten  der  Zähne. 

Als  interessante  Varietäten  der  Gestalt  und  Stellung  der  Zähne 
finden  sich: 

1.  Versetzungen  der  Zähne.  Ich  besitze  einen  schönen  Fall, 
wo  beide  Eckzähne,  statt  der  Schneidezähne,  die  Mitte  der  Kiefer 
einnehmen. 

2.  Abnorme  Ausbruchsstelle.  Man  findet  Zähne  am  Gau- 
men, am  vorderen  oder  hinteren  Zahnfleisch  als  sogenannte  Ueber- 
zahn e  zum  Vorschein  kommen.  Ich  habe  einen  Zahn  aus  der 
Nasenhöhle  eines  Cretins  ausgezogen. 

3.  Inversion,  wo  die  Krone  eines  Backenzahnes  in  die  High- 
morshöhle sieht.  (Prager  Mus.) 

4.  Verwachsung.  Sie  wurde  an  den  Schneidezähnen  im  Ober- 
kiefer mehrmals  gesehen.    Sehr  schöne  Fälle  im  Prager  Museum. 

5.  Neben  Zähne,  ab  kleine  Zähnchen  neben  einen  normalen 
vorkommend. 

6.  Emailsprossenzähne,  wo  eine  Druse  oder  Halbkugel  von 
Schmelz  wie  ein  Auge  auf  dem  Halse  eines  Zahnes  aufsitzt,  oder 
sich  zwischen  den  Wurzeln  des  Zahnes  seitwärts  hervordrängt. 

7.  Haken-  und  Knopfzähne,  deren  Wurzeln  umgebogen, 
oder  zu  einem  mehr  weniger  höckerigen  Knopf  aufgetrieben  erschei- 


§.  S51.  Speicheldrüsen.   Aeueeere  YerbUtnisee  derselben.  601 

nen.    Sie  sind  schwer  auszuziehen,  und  geht  bei  ersteren  das  von 
dem  Wurzelhaken  umfasste  Stück  der  Alveolarscheidewand  mit. 

8.  Verkittung  der  Zähne  durch  Zahnstein,  vulgo  Wein- 
stein. Hieher  sind  die  von  den  Alten  (Plinius,  PoUux,  Plutarch) 
erwähnten  Fälle  zu  zählen,  wo  aUe  Zähne  in  einen  einzigen  huf- 
eisenförmigen Zahn  verwachsen  gesehen  wurden,  wie  bei  Pyrrhus, 
Euryptolemus,  Marc.  Cur.  Dentatus. 

9.  Obliteration  der  Zahnhöhle  durch  Verknöcherung  der 
Pulpa,  oder  durch  Deposition  phosphor-  und  hamsaurer  Salze,  wie 
ich  einen  ausgesuchten  Fall  dieser  Art  vor  mir  habe. 

Zahlreiche  Beobachtnn^en  über  Zahnvarietftten  enthalten  Tomes^  Dental 
Physiology  and  Surgerj.  Lond.,  1848 ;  Thon,  Abweichungen  der  Kiefer  und  Zähne, 
Würzburg,  1841,  und  Gniher's  Abhandlungen  aus  der  menschlichen  und  ver- 
gleichenden Anatomie.  Petersburg,  1852.  p.  91. 

Die  merkwürdigste  und  reichhaltigste  Sammlung  von  Zahnanomalien,  die 
ich  kenne,  besass  Professor  Hei  der  in  Wien,  und  der  Zahnarzt  Desirabode 
in  Paris. 


§.  251.  SpeicMdiüsen.  Aeussere  Yerhältiiisse  derselben. 

Zur  Mundhöhle  gehören  die  Speicheldrüsen,  Glandulae  sch 
livales,  Sie  bereiten  den  wasserreichen  Speichel,  Salivay  der  die 
Nahrungsmittel,  mit  welchen  er  durch  das  Kauen  innig  gemischt 
wird,  in  einen  weichen  formbaren  Teig  umwandelt,  welcher  als 
Bissen,  Bobia,  leicht  durch  die  Schlingwerkzeuge  in  die  Magen- 
höhle befördert  wird.  Er  löst  zugleich  die  löslichen  Bestandtheile 
der  Nahrung  auf,  und  erregt,  durch  die  Befeuchtung  und  Trän- 
kung der  Geschmackswärzchen  mit  dieser  Lösung,  die  Geschmacks- 
empfindungen. 

Es  finden  sich  drei  Paar  Speicheldrüsen,  welche  ihrer  Lage 
nach  in  die  Ohr-,  Unterkiefer-  und  Unterzungen  -  Speicheldrüsen 
eingetheilt  werden. 

Die  Ohrspeicheldrüse,  Glandula  parotis  (icop^t  tw  (»)t{,  neben 
dem  Ohre),  die  grösste  von  allen,  liegt  vor  und  imter  dem  Ohre, 
in  dem  Winkel,  welcher  zwischen  dem  Gelenkaste  des  Unterkiefers, 
dem  Warzenfortsatze,  und  dem  äusseren  Gehörgange  übrig  gelassen 
wird.  Sie  schiebt  sich  von  hier  über  die  äussere  Fläche  des  Mas- 
seters,  bis  zum  unteren  Rande  des  Jochbogens  vor.  Nach  innen 
dringt  sie  bis  zum  Processus  siyloideus  ein.  Sie  hat  ein  gelapptes 
Ansehen.  Jeder  Lappen  besteht  aus  Läppchen,  und  diese  aus  trau- 
benfbrmig  gruppirten  Acini  mit  ihren  Ausführungsgängen.  Der 
Hauptausfühningsgang  der  Drüse,  Ductus  Stenonianus,  welcher  sich 
durch  die  Dicke  seiner  Wand,  und  durch  die  Enge  seines  Lumens 
auszeichnet,  tritt  am  oberen  Drittel  des  vorderen  Randes  der  Drüse 


602  S*  ^l«    Speicheldrfisen.   Aeassere  Yerhiltnisse  derselben. 

hervor.  Er  entsteht  durch  successive  Vereinigung  der  kleinen  Aus- 
fUhrungsgänge  aller  Aeini,  läuft  mit  dem  Joehbogen  parallel,  und 
etwa  V*  unter  ihm,  an  der  Aussenfläche  des  Masseters  nach  vom, 
senkt  sich  am  vorderen  Rande  desselben  durch  das  Fettlager  der 
Backe  zum  Musculus  buccinator  herab,  welchen  er  durchbohrt,  um 
an  der  inneren  Oberfläche  der  Backe,  dem  ersten  oder  zweiten 
oberen  Mahlzahne  gegenüber,  auszumünden.  Oftmals  liegt  vor  der 
Parotis  und  auf  dem  Ductus  Stenonianus  noch  eine  kleinere  Neben- 
drüse (Parotis  dccessorid)  j  welche  ihren  Ausführungsgang  in  den 
Ductus  Stenonianus  münden  lässt.  Rings  um  die  Insertionsstelle  des 
Ductus  Stenonianus  lagert  eine  Gruppe  hanfkorngrosser,  acinöser 
Glandulae  buccales. 

Die  innere  Fläche  der  Parotis  wird  darch  das  tieferliegende  Blatt  der 
Fascia  colli  von  der  Vena  jugidaria  interna  und  Carotis  interna  getrennt.  Ihre 
äussere  Fläche  deckt  die  Fascia  parotideo-masseterica.  Die  Carotis  externa  und 
Vena  facialis  posterior  durchbohren  sie  in  senkrechter  Richtung,  der  Nervus  com- 
municans  faciei  in  horizontaler  Richtung  von  hinten  nach  vom. 

Die  Unterkiefer-Speicheldrüse  {Glandula  suhmaxillaris  s. 
angularis),  um  die  Hälfte  kleiner  als  die  Parotis,  und  minder  stark 
gelappt,  liegt  unter  dem  Musculus  mylo-hyoidexLS^  zwischen  dem  hoch- 
und  tiefliegenden  Blatte  der  Fascia  colli,  in  dem  dreieckigen  Räume, 
der  vom  unteren  Rande  des  Unterkiefers  und  den  beiden  Bäuchen 
des  Musculus  biventer  maxillae  begrenzt  wird.  Der  Ausftlhrungs- 
gang  derselben,  Ductus  Whartonianus ,  längs  welchem  sich  noch 
eine  Reihe  von  Läppchen  als  dünner  Fortsatz  der  Drüse  hinzieht, 
geht  über  die  obere  Fläche  des  Musculus  mylo-hyoideus ,  zwischen 
ihr  imd  der  Glandula  subungualis,  nach  innen  und  vorn,  und  mündet 
an  der  stumpfen  Spitze  einer  zu  beiden  Seiten  des  Zungenbänd- 
chens  befindlichen  Papille  (Carttncula  subungualis).  Die  Arteria  ma- 
xillaris  externa  liegt  in  einer  tiefen  Furche  des  hinteren  Theiles  der 
oberen  Fläche  dieser  Drüse. 

Die  Unterzungen-Speicheldrüse^  Glandula  subungualis, 
(vielleicht  mehr  Schleim-  als  Speicheldrüse)  ist  die  kleinste,  und 
liegt  auf  der  oberen  Fläche  des  Musculus  mylohyoideusj  nur  von  der 
Schleimhaut  des  Bodens  der  Mundhöhle  bedeckt,  welche  sie  etwas 
hervorwölbt.  Die  Arteria  sMingualis  verlauft  unter  ihr.  Ihre  feinen 
Ausfühnmgsgänge,  8 — 12  an  der  Zahl,  Ductus  Rivini,  münden  ent- 
weder hinter  der  Caruncuh  subungualis  in  die  Mundhöhle,  oder 
vereinigen  sich  nach  Art  der  übrigen  Speicheldrüsen  zu  einem  ge- 
meinschaftlichen grösseren  Gange,  Ductus  BarthoUni,  welcher  ebenso 
häufig  eine  besondere  Endmündung  an  der  Caruncula  besitzt,  als 
er  mit  dem  Ductus  Whartonianus  zusammenfliesst. 

Die  Parotis  erleidet  bei  jedem  Oeffnen  des  Mundes  einen  Druck,  indem 
der  Raum  zwischen  Unterkieferast  und  Warzenfortsatz  sich  dabei  verkleinert. 
Die  Glandula  submaxillaris  und  subungualis  erleidet  ihn  ebenfaUs^  crstere  durch 


§.  252.  Ban  der  SpeicheldrUsen.  603 

das  Spiel  des  MtuciUn«  mplo-ht/oideus,  und  letztere  darch  den  Widerstand  des 
gekauten  Bissens.  Dieser  Dnick  befördert  die  Entleerung  ihres  Secrets  während 
des  Eauens,  wo  seine  Gegenwart  eben  am  nöthigsten  ist 

Die  specifischen  Verschiedenheiten  der  Secrete  der  drei  Speicheldrüsen 
sind  noch  nicht  genau  bekannt  Der  Parotidenspeichel  enthält  keinen  Schleim, 
welcher  dagegen  im  Secret  der  Unterznngendrüse  prävalirt  Bernard  (Comptes 
rendus,  1852.  Tom.  1.)  glaubt,  dass  der  Parotidenspeichel  zur  Bildung  des  Bissens, 
jener  der  Glandula  suhlingtLolia  zum  Schlingen  desselben,  jener  der  Glandula  suh- 
maxiüaHs  zum  Schmecken  besonders  beitrage. 

Der  Speichel  besteht,  nach  Berzelius,  aus  99%  Wasser  und  1%  fester 
Stoffe  (Speichelstoff  oder  Ptyalin,  Schleim,  Chlomatrium,  Casei'n).  Er  enthält 
immer  abgestossene  Epithelialplatten  der  Mundschleimhaut,  und  die  schon  von 
Leeuwenhoek  gekannten,  rundlichen,  den  Lymphkörperchen  auf  ein  Haar 
gleichenden  Speichelkörperchen,  von  0,002"'— 0,003'"  Durchmesser.  Sie 
stammen  aber  sicher  nicht  aus  den  Speicheldrüsen.  Man  meint,  dass  ihre  Erzeu- 
gungsstätte in  den  Mandeln,  und  in  den  Balgdrüsen  der  Zunge  zu  suchen  sei, 
welche  Lymphkörperchen  im  Uebermaass  enthalten.  Wie  aber  die  Lymphkörperchen 
der  geschlossenen  Balgdrüsen  in  die  Mundhöhle  gelangen,  darüber  weiss 
Niemand  Rechenschaft  zu  geben.  Jedenfalls  ist  und  bleibt  es  eine  sehr  sonder- 
bare Lebensbestimmung  vom  Lymphkörperchen:  ausgespuckt  zu  werden. 

Die  Verwendung  des  Speichels  ist  eine  doppelte.  Erstens  eine,  die  er 
schon  in  der  Mundhöhle  leistet  Sie  besteht  in  dem  Durchweichen  der  gekauten 
Nahrungsmittel,  als  nothwendige  Vorbereitung  zum  Schlingen,  und  in  der  Auf- 
lösung leicht  löslicher  Bestahdtheile  derselben  zu  Gunsten  der  Geschmacksempfin- 
dung. Zweitens  bewirkt  der  mit  den  Speisen  verschlungene  Speichel  im  Magen 
die  Umwandlung  des  Amylum  in  Traubenzucker.  Die  Nachtheile,  die  durch  häu- 
figes Ausspucken  dem  Organismus  erwachsen  sollen,  hat  man  wohl  zu  hoch  an- 
geschlagen. —  In  der  Thierwelt  sind  die  Speicheldrüsen  weiter  verbreitet,  und 
erhalten  sich  länger,  als  die  übrigen  drüsigen  Nebenorgane  des  Verdauungs- 
systems. Den  Fischen  und  Cetaceen  fehlen  sie.  —  Da  das  Wasser  des  Speichels 
durch  die  beim  Athmen  durch  *die  Mundhöhle  ein-  und  ausstreichende  Luft  fort- 
während als  Dampf  weggeführt  wird,  so  erklärt  sich  hieraus  die  Bildung  jener 
Niederschläge  aus  dem  Speichel,  welche  als  Zahnstein  {Tartarus  dentium)  be- 
sonders die  hintere  Fläche  der  unteren  Schneidezähne,  wo  der  Speichel  sich  aus 
den  Carunculi»  sublingualibu«  ergiesst,  und  die  Hälse  aller  Zähne  im  Unterkiefer 
incrustiren,  sich  zwischen  Zahn  und  Zahnfleisch  eindrängen,  und  die  Zähne  zwar 
entstellen,  aber  gewiss  für  ihre  Dauerhaftigkeit  eher  nützlich  als  schädlich  sind, 
obwohl  dieses  die  Zahnärzte  nicht  zugeben  mögen.  —  Die  giftigen  Wirkungen, 
welche  der  in  den  Magen  oder  in  die  Venen  eines  lebenden  Thieres  injicirte 
Speichel  hervorbringt,  sind  nicht  Wirkungen  des  Speichels,  sondern  des  narko- 
tischen Princips  des  Tabaks,  welcher  geraucht  wurde,  um  die  zum  Versuche 
nothwendige  Quantität  Speichel  zu  erhalten.  Ebenso  ist  die  ansteckende  Kraft 
des  Geifers  bei  wuthkranken  Thieren  eine  grundlose  Chimäre.  Bruce,  Harri  es 
und  Hertwig  konnten  durch  Uebertragung  des  Geifers  von  wuthkranken  Thieren 
auf  gesunde,  ja  selbst  durch  Einimpfung  des  Geifers  in  das  Blut,  niemals  die 
Wuthkrankheit  erzeugen. 


§.  252.  Bau  der  Speicheldrüsen. 

Alle  Speicheldrüsen   sind  nach  demselben  Typus  —  dem  der 
acinösen  Drüsen  (§.  90)  —  gebaut  Der  Hauptansftlhrungsgang  theilt 


604  8-  tM-   Zunge. 

sich  wiederholt  in  kleinere  Zweige^  deren  letzte  Enden  mit  traabig 
zusammengehäuften  Bläschen  (Acini)  in  Verbindung  stehen,  welche 
mit  capillaren  Blutgefässen  netzartig  umsponnen  werden,  und  in 
welchen  die  Bereitung  des  Speichels  aus  den  Elementen  des  Blutes 
vor  sich  geht  In  der  Parotis  beträgt  der  Durchmesser  der  End- 
bläschen im  injicirten  Zustande  0,04'",  und  in  der  Glandula  svhma- 
xiüarü  nur  0,02'".  —  Die  Speichelgänge  besitzen  eine  Bindegewebs- 
membran  als  Grundlage  ihrer  Wand.  An  der  inneren  Fläche  der- 
selben lässt  sich  eine  dünne  structurlose  Schichte  imterscheiden. 
Das  Bindegewebsstroma  nimmt  aber  mit  der  zunehmenden  Verfeine- 
rung der  Gänge  an  Mächtigkeit  dergestalt  ab,  dass  in  den  feinsten 
Ramificationen  und  in  den  auf  ihnen  aufsitzenden  Endbläschen  nur 
die  structurlose  Schichte  erübrigt.  Auf  dieser  lagert  in  den  grösseren 
Speichelgängen  ein  stattliches  Cylinderepithel;  in  den  kleineren  imd 
in  den  Acini  dagegen  Pflasterepithel.  Die  Zellen  des  letzteren  siiid 
die  eigentlichen  Herde  der  Speichelbereitung.  Sie  sind  gross,  rund- 
lich, und  ragen  so  weit  in  das  Lumen  der  Acinusbläschen  und 
ihrer  Ausführungsgänge  hinein,  dass  sie  dasselbe  fast  ganz  für  sich 
in  Anspruch  nehmen.  —  Der  Ductus  Whartonianus  besitzt  glatte 
Muskelfasern,  —  der  Ductus  Stenonianus  aber  nicht  (Kölliker). 


§.  253.  Zunge. 

Die  Zunge  (Lingua)  ist  ein  von  der  Mundschleimhaut  um- 
kleideter, sehr  gefUssreicher,  weicher,  und  oft  nur  zu  beweglicher 
Fleischlappen,  der  am  Boden  der  Mundhöhle  in  der  Höhlung  des 
Unterkieferbogens  liegt  und  sie  ausfüllt.  Man  unterscheidet  an  ihm 
eine  obere  und  untere  Fläche,  zwei  Seitenränder,  die  Spitze,  den 
Körper  und  die  Wurzel.  Die  obere  convexe  Fläche  der  Zunge, 
welche  bei  geschlossenem  Munde  an  den  harten  Gaumen  anliegt, 
ist  bis  zimi  Isthmus  jaucium  hin  mit  den  Tast-  und  Geschmacks- 
wärzchen so  dicht  besäet,  dass  sie  ein  sammtartiges,  kurzzottiges 
Ansehen  erhält.  Vom  Isthmus  faudum  bis  zum  Zungenbeine  hinab 
nehmen  Schleimdrüsen  und  grosse  Balgdrüsen  den  Zungenrücken 
ein.  Letztere  wölben  die  Schleimhaut  hügelig  empor,  und  können 
an  der  eigenen  Zunge  durch  den  Finger  als  eben  so  viele  Erhaben- 
heiten gefühlt  werden.  Die  untere  Fläche  der  Zunge  erscheint  viel 
kleiner  als  die  obere,  und  besitzt  keine  Geschmackswärzchen.  An  ihr 
inserirt  sich  das  vom  Boden  der  Mundhöhle  sich  erhebende  Zungen- 
bändchen  (Frenuium  linguae)^  welches  die  allzu  grosse  Rückwärts- 
bewegung der  Zunge  und  das  Umschlagen  ihrer  Spitze  nach  hinten 
verhindert  Der  weiche  Gaumen  schickt  zu  den  Seitenrändem  der 
Zunge  die  beiden  Arcus  palato-glossi  herab.    Spitze  und  Körper  der 


8-  SfiS-  Znng«.  605 

Zunge  gehen  ohne  Zwischengrenze  in  einander  über.  Die  Wurzel 
oder  die  Basis  der  Zunge  haftet  am  Zungenbeine^  und  steht  mit 
dem  Kehldeckel  durch  drei  Uebergangsfalten  der  Schleimhaut  {Li- 
gamenta 8.  Frenula  glosso-epiglotticajy  im  Zusammenhang.  Von  der 
Spitze  bis  zum  Isthmus  faudum  nimmt  die  Zunge  an  Dicke  zu,  vom 
Isthmus  bis  zum  Zungenbein  an  Dicke  bedeutend  ab. 

Der  Körper  der  Zunge  besteht  über  und  über  aus  Fleisch.  Er 
wird  durch  eine  von  der  Mitte  des  Zungenbeins  entspringende,  blatt- 
förmige imd  dünne,  senkrecht  gerichtete  fibröse  Platte,  welche  un- 
richtig Cartikigo  linguae  (Cartilage  median,  B landin)  genannt  wird, 
da  sie  keine  knorpeligen  Elemente  besitzt,  in  zwei  seitliche  Hälften 
getheilt.  Dieser  Faserstreifen,  welcher  zweckgemäss  Septum  medianum 
linguae  genannt  werden  könnte,  erscheint  nur  in  der  Wurzel  der 
Zunge  gut  entwickelt,  —  gegen  die  Spitze  zu  verschwindet  er. 

Die  von  A.  Nuhn  beschriebene  neue  Zangendrüse  (lieber  eine  bis  jetzt 
noch  nicht  näher  beschriebene  Zangendrüse.  Mannheim,  1845)  wurde  schon  in 
Blandiu^s  trait^  d^anatomie  topographique.  Paris,  1834.  pag.  175  erwähnt,  aber 
nicht  näher  gewürdigt.  Sie  gehört  zu  den  acinösen  Drüsen,  liegt  in  der  Spitze 
der  Zunge,  Zwischen  den  Faserzügen  des  Hyo-  und  Styloglotaut,  und  der  unteren 
Fläche  näher  als  der  oberen.  Nach  Grösse  und  Form  ist  sie  bohnenförmig.  Sie 
mündet  mit  5,  in  einer  Längsreihe  liegenden  Ostien,  an  der  unteren  Fläche  der 
Zungenspitze,  auf  einem  niederen  ausgefransten,  schief  nach  rück-  und  aus- 
wärts gerichteten  Schleimhautsaum  {Oriata  fimhriata)  aus.  Unter  den  Thieren  findet 
sie  sich  nur  beim  Orang-Utang. 

Die  Arterien  der  Zunge  sind  zahlreich,  und  für  das  Volumen  der  Zunge 
sehr  gross.  Die  Arteria  dorsalis  linguae  ist  unbedeutend;  die  Arteria  profunda 
t.  ranina  dagegen  sehr  ansehnlich,  und  verläuft  geschlängelt  an  der  unteren 
Zungenfläche,  beiderseits  vom  Frenulum  Ungfiae,  weshalb  sie  bei  ungeschicktem 
Lösen  des  Zungenbändchens  der  Verletzung  ausgesetzt  ist.  Die  von  der  Glandula 
mblinffualig  überlagerte  Arteria  suhUnguaUt  gehört  dem  Boden  der  Mundhöhle  an. 
Die  Zungenvenen  vereinigen  sich  zu  einem  Hauptstamme,  welcher  die  Arteria 
lingualis  nicht  an  Grösse  übertrifft,  und  an  der  unteren  Fläche  der  Zunge,  neben 
dem  Zungenbändchen  vor  dem  Spiegel  gesehen  werden  kann.  Man  hat  in  neue- 
ster Zeit  aus  ihr  zur  Ader  zu  lassen  versucht  —  Der  grosse  Gefässreichthum 
und  die  Weichheit  des  Zungenparenchjms  erklärt  die  enorme  Anschwellung  der 
Zunge  bei  gewissen  Entzündungen,  die  selbst  Erstickungstod  herbeiführt,  und 
die  augenblickliche  Linderung  aller  Zufälle  durch  Einschnitte  in  das  Zungen- 
parenchym  (Scarificationen).  Wie  leicht  eine  aufgeschwollene  Zunge  Athmungs- 
beschwerden  hervorrufen  kann,  mag  man  an  sich  selbst  erproben,  wenn  man 
mit  dem  Daumen,  unmittelbar  vor  dem  Zungenbeine,  den  Boden  der  Mundhöhle, 
und  somit  die  Zunge  nach  oben  und  hinten  drückt  Die  Zunge  verlegt  hiebe! 
den  Isthmus  faudum,  und  drängt  den  weichen  Gaumen  gegen  die  Wirbelsäule, 
wodurch  der  Luftzutritt  von  der  Mund-  und  Nasenhöhle  her  aufgehoben  wird. 
Beim  Selbsterhängen,  wo  die  Schnur  nicht  kreisförmig  um  den  Hals  zusammen- 
geschnürt wird,  sondern  der  Hals  in  einer  Schlinge  hängt,  die  hinter  beiden 
Winkeln  des  Unterkiefers  in  die  Höhe  steigt,  erfolgt  der  Erstickungstod  auf  diese 
Weise. 


606  S-  3^'   äeschmackswiLncheii  der  Zunge. 


§.  254.  GFeschmackswärzclieii  der  Zunge. 

Am  Rücken  der  Zunge,  welcher  durch  eine  nicht  immer  deut- 
liche Längenfissur  in  zwei  gleiche  Hälften  getheilt  wird,  finden  sich 
drei  Arten  von  Wärzchen  [Papillae gustatoriae): 

1.  Die  fadenförmigen  Wärzchen,  Papulae  filifarmesj  die 
der  Zunge  ihr  rauhes,  pelziges  Ansehen  geben,  nehmen  in  unzäh- 
liger Menge  den  Rücken  und  die  Seitenränder  der  Zimge  ein,  und 
stehen  in  parallelen  Reihen,  welche  von  der  Mitte  schief  nach  vom 
und  aussen  gegen  die  Ränder  gerichtet  sind.  Sie  sind  unter  allen 
Zungenwärzchen  die  feinsten  und  längsten,  und  nehmen  gegen  die 
Zungenspitze  hin  nicht  an  Zahl,  wohl  aber  an  Länge  ab.  Nicht  alle 
von  ihnen  enthalten  Nerven,  wodurch  ihre  Bedeutung  als  Geschmacks- 
wärzchen verdächtig  wird.  Auch  ihr  dicker  und  verhornter  Epithe- 
lialüberzug,  welcher  aus  dachziegelfijrmig  übereinander  geschobenen 
Zellen  mit  stacheligen  oder  kolbigen  Fortsätzen  zusammengesetzt 
ist,  stellt  ihre  lebhafte  Betheiligung  an  den  Geschmacksempfindungen 
sehr  in  Zweifel.  Ein  Vergleich  derselben  mit  den  Hornstacheln  auf 
der  Zunge  vieler  Säugethiere  würde  etwas  für  sich  haben,  wenn 
ihre  Richtung  nicht  nach  vorn  ginge.  Die  Hornstacheln  auf  der 
Raubthierzunge  sehen  nach  hinten,  ut  fugituram  ab  ore  praedam 
retineantf  wie  Hall  er  sagt. 

Sehr  häufig  ist  der  (wie  bei  allen  Geschmackswärzchen  aus  längsfaserigem 
Bindegewebe  bestehende)  Grundstock  einer  fadenförmigen  Warze,  an  seiner  Spitze 
in  mehrere  kleinere  Wärzchen  wie  zerklüftet.  Auch  zeigt  das  Epithel  nicht 
selten  das  eigenthümliche  Verhalten,  dass  es  von  der  Spitze  der  Warze  ans,  sich  in 
feine,  haarförmige  Fortsätze  spaltet,  welche  der  Warze  ein  pinselförmiges  An- 
sehen verleihen.  Dieses  Zerfasern  des  Epithels,  besonders  an  weiss  belegten 
Zungen,  soll  nicht  verwechselt  werden  mit  den  bei  vielen  krankhaften  Zuständen 
der  Zungenschleimhaut  auf  dieser  wuchernden  Fadenpilzen  (Leplothrix  buccalis^ 
Robin). 

2.  Die  schwammartigen  Wärzchen,  Papulae  fungiformes 
8.  clavafae,  finden  sich  in  veränderHcher  Zahl  zwischen  den  faden- 
förmigen als  rothe,  knopflftirmige  Höckerchen  hie  und  da,  besonders 
gegen  die  Zungenspitze  hin,  eingestreut.  Ihre  Oberfläche  zeigt  sich 
unter  dem  Mikroskope  selbst  wieder  in  kleinere  Papillen  gespalten. 
Sie  sind  sehr  nervenreich,  und  besitzen,  wie  die  folgenden,  nur 
einen  sehr  dünnen  und  weichen  Epithelialüberzug,  welcher  ihre  Blut- 
gefässe durchscheinen  lässt,  und  deshalb  erscheinen  sie  an  der  eige- 
nen Zunge  vor  dem  Spiegel  roth. 

3.  Die  8 — 15  wallförmigen  Wärzchen,  Papulae  circumval 
latae  8,  maximae,  die  ner venreichsten  aller  Zungenwärzchen,  liegen 
nur  an  jenem  Theile  des  Zungenrückens,  welcher  den  Isthmus  fau- 
ctum  bilden   hilft,   und  sind  in    zwei   Reihen  gestellt,   welche   nach 


8.  854.   Gesohmacluw&rzchen  der  Zunge.  607 

hinten  convergiren,  und  sich  zu  einem  V  vereinigen,  an  dessen  Spitze 
gewöhnlich  die  grösste  Papilla  vallata  steht.  Jede  Wallwarze  besteht 
eigentlich  aus  einer  dicken,  schwamm  förmigen  Warze,  welche  von 
einem  kreisförmigen  Schleimhautwall,  über  welchen  sie  etwas  her- 
vorragt, umzäunt  wird.  Auch  sie  erscheint  bei  eingehender  Unter- 
suchung an  ihrem  freien  Ende  mit  kleinsten  secundären  Wärzchen 
besetzt. 

Jener  Bezirk  der  Zungenoberfläche,  welcher  sich  hinter  den 
Papillis  circumvallatis  bis  zum  Kehldeckel  erstreckt,  besitzt  keine 
Geschmackswärzchen,  sondern  sehr  entwickelte  Balgdrüsen,  welche 
von  den  Alten  als  Glandulae  lenticuiares  lingttae  bezeichnet  wurden. 
Zuweilen  mündet  auch  eine  solche  Balgdrüse  auf  der  Höhe  einer 
Papilla  circumvallata  aus. 

An  oder  hinter  der  Spitze  des  von  den  convergenten  Linien 
der  Papillae  circumvallatae  gebildeten  V  bemerkt  man  das  blinde 
Loch  (Foramen  coecum)  als  seichte  oder  blindsackförmig  vertiefte 
Grube ,  in .  welche  mehrere  der  benachbarten  Schleimdrüsen  des 
Zungenrückens  einmünden. 

Der  Bau  der  GeschmAckswärzchen  weicht  von  jenem  der  Tastwärzchen 
(§.  206)  nicht  wesentlich  ab.  Bezüglich  der  Nerven  erwähne  ich,  dass  in  den 
schwamm  förmigen  Zungenwärzchen  bereits,  obwohl  selten,  auch  Tastkörperchen 
aufgefunden  wurden  (Gerlach,  Kolli k er).  Wie  die  Nerven  in  den  Papillen  endigen, 
ist  zur  Stunde  noch  Gegenstand  von  Controversen.  Die  ehemals  verehrten  Schlin- 
gen haben  wieder  an  Bedeutung  verloren,  wenigstens  als  Nervenendigungen.  Bill- 
roth^s  Beobachtungen  an  Froschzungen,  und  jene  von  M.  Schnitze  an  mensch- 
lichen Zungen,  machen  es  wahrscheinlich,  dass  die  Axencylinder  der  Primitivfasem 
der  Nerven  der  Geschmackswärzchen  mit  gewissen  Epithelialzellen  der  Zunge 
zusammenhängen,  und  letztere  somit,  wie  es  früher  ^  von  der  Nasenschleimhaut 
angeführt  wurde  (§.  215),  theilweise  wenigstens  peripherische  Endigungsweisen 
der  Geschmacksnerven  darstellen.  W.  Krause  spricht  sich  für  kolbenförmige 
Nervenenden  aus  (Die  terminalen  Nervenkörperchen.  Hannover,  1860). 

An  jenen  Stellen  der  Zunge,  welche  keine  Geschmackswärzchen  besitzen, 
unterscheidet  sich  das  geschichtete  Pflasterepithelium  der  Zunge  durchaus  nicht 
von  jenem  der  übrigen  Mundhöhlenschleimhaut  Es  besteht  aus  mehrfachen  Lagen 
breiter  und  flacher  Zellen  (Plattenepithel),  welche  sich  mit  dem  sogenannten 
Zungenbeleg  abstossen,  und  wieder  erzeugen.  Bei  Verbrühungen  und  gewissen 
Ausschlagskrankheiten  fällt  das  Epithelinm  der  Zunge  in  grösseren  Stücken  ab. 

Die  durch  den  Speichel  gelösten  schmeckbaren  Bestandtheile  der  Nahrungs- 
mittel müssen  sich  durch  das  Epithelium  der  Zunge  durchsangen,  um  auf  die 
Nerven  der  Papillen  wirken  zu  können.  Daher  erklärt  es  sich,  warum  schwer 
lösliche  Substanzen  erst  geschmeckt  werden,  nachdem  sie  längere  Zeit  in  der 
Mundhöhle  verweilten,  ja  erst  nachdem  sie  verschluckt  wurden  (Nachgeschmack). 
Trockene  Nahrung  in  trockener  Mundhöhle  erregt  keinen  Geschmack.  Alles 
Unlösliche  ist  geschmacklos. 


Q08  8-  SU*  Binnenmuskeln  der  Zimg«.      (•  >M.  Bachen. 

§.  255.  Binnenmiiskelii  der  Zunge. 

Das  Fleisch  der  Zunge  besteht  nebst  den  sich  mit  einander 
kreuzenden  und  verwebenden  Fasern  des  Musculus  genio-ghssus,  hyo- 
glosstis  und  stylo-glossvs  (§.  164),  noch  aus  drei  besonderen  Muskel- 
schichten, welche  in  der  Zunge  entspringen,  und  auch  in  ihr  endigen, 
und  auf  die  Veränderung  der  Form  der  Zunge  zunächst  Einfluss 
nehmen.  Nur  das  Nothdürftigste  mag  hier  über  sie  verlauten. 

Die  obere  Längenschichte  hegt  gleich  unter  der  Schleim- 
haut des  Zungenrückens,  und  schiebt  ihre  Bündel  zwischen  die  zur 
Zungenoberfläche  emporstrebenden  strahligen  Bündel  des  Genio- 
glossus  ein.  —  Die  untere  überragt  an  Stärke  die  obere.  Sie 
dehnt  sich  zwischen  dem  Musculus  genio-glossus  und  hyo-glossus  an 
der  unteren  Fläche  der  Zunge  bis  zur  Spitze  hin.  —  Der  von 
Bochdalek  jun.  kürzlich  aufgefundene,  unpaare  Musculus  Ungualis 
inf.  medium  entspringt  von  einer  knotigen  Anschwellung  am  hinteren 
Theile  des  Septum  linguae,  und  verläuft  zwischen  den  hinteren  Par- 
tien der  beiden  Genio-glossi  gerade  nach  vom,  um  mit  zugespitztem 
Ende  sich  zwischen  diesen  Muskeln  zu  verlieren.  —  Die  quere 
Muskelschichte  {Musculus  Ungualis  transversus) ,  entspringt  von 
den  Seitenflächen  des  Septum  lingtuie.  Ihre  Fasern  laufen  nach  aus- 
und  aufwärts;  die  inneren  gehen  zum  Rücken  der  Zunge,  die  äusseren 
zum  Zungenrande,  und  schieben  sich,  um  diese  Richtung  einschlagen 
zu  können,  zwischen  den  Längenfasern  des  Oenio-glossus  und  Hyo- 
glossus  hindurch.  —  In  der  Zungenspitze  kommen  auch  senkrechte, 
von  der  oberen  zur  unteren  Fläche  ziehende  Muskelbündel  vor. 
Ehrlich  gestanden,  weiss  man  von  allen  in  der  Zunge  endigenden 
Muskeln  nicht,  wie  sie  endigen. 

Eine  sehr  genaue  und  erschöpfende  Untersuchung  der  Zungenmuskeln 
wurde  von  Henle  durchgeführt  (2.  Bd.  seines  anat  Handbuches,  pag.  94  seqq.) 

Die  Mitwirkung  der  Zunge  beim  Kauen,  Sprechen  und  Schlingen,  beweisen 
die  Störungen  dieser  Functionen  bei  Zungenlähmung.  Während  des  Kauens  treibt 
sie  den  halbzerquetschten  Bissen  immer  wieder  zwischen  die  Stampfen  der  ZIhne 
hinein,  bis  Alles  gehörig  zerkleinert  ist  Man  kann  sogar  mit  der  Zunge  jene 
Nahrungstheile  hervorholen,  welche  in  die  Bucht  zwischen  Backen  und  Unter- 
kiefer hineingeriethen,  und  ich  kannte  eine  berühmte  Altsängerin,  welche  ihre 
eben  nicht  ungewöhnlich  lange  Nase  mit  der  Zungenspitze  berühren  konnte. 
Thiere  reinigen  sich  auch  die  Nase  geräuschlos  mit  der  Zunge.  —  Dass  ein  zu 
kurzes  Zungenbändchen  bei  Kindern  das  Saugen  beeinträchtige,  scheint  mir  eine 
Sage  aus  der  Ammenstube  zu  sein,  indem  das  Kind  nicht  mit  der  Zunge,  son- 
dern durch  Senken  des  ganzen  Mundhöhlenbodens  saugt. 

§.  256.   Rachen. 

Der  Rachen,  Pharynx,  (man  denke  hier  nicht  an  das  gleich- 
benannte Organ  der  reissenden  Thiere)  liegt  hinter  der  Nasen-  und 


g.  256.  Rachen.  609 

Mundhöhle.  Seine  Gestalt  ist  trichterförmig,  mit  oberer  Basis,  und 
unterer,  zur  Speiseröhre  sich  verengender  Spitze.  Seine  vordere 
Wand  besitzt  VerkehrsöfFhungen  mit  der  Nasenhöhle  (Choanae),  mit 
der  Mundhöhle  {Isthmus  faucium),  und  mit  dem  Kehlkopf  {Aditiis 
ad  laiyngem).  Eine  gewisse  Aehnlichkeit  der  Form  lässt  den  Pharynx 
und  seine  Fortsetzung  als  Speiseröhre  mit  dem  Windfang  auf  den 
Dampfschiffen,  durch  welchen  frische  Luft  in  den  Heizraum  ge- 
bracht wird,  vergleichen.  Er  gränzt  nach  oben  an  den  Schädelgrund, 
nach  hinten  an  die  Halswirbelsäule,  seitwärts  an  die  grossen  Blut- 
gefässe und  Nerven  des  Halses,  vorn  an  die  Choanae,  den  Isthmus 
faucium,  und  den  Kehlkopf.  Der  unterste  Theil  des  Rachens,  wel- 
cher hinter  dem  Kehlkopf  liegt,  und  sich  rasch  zur  Speiseröhre 
verengert,  heisst  Schlundkopf. 

Wird  der  weiche  Gaumen  so  weit  nach  hinten  gedrängt,  dass 
seine  hintere  Fläche  sich  an  die  hintere  Wand  der  Rachenhöhle 
anlegt,  so  wird  letztere  dadurch  in  zwei  über  einander  gelegene 
Räume  getheilt,  deren  oberer,  Cavum  pharyngo-nasale,  die  Choanen, 
und  deren  unterer  grösserer,  Cavum  pharyiigo-laryngeumy  den  Isthmus 
und  den  Eingang  zur  Kehlkopfshöhle  enthält.  Diese  Scheidung  der 
Rachenhöhle  in  zwei  Räume  stellt  sich  bei  jedem  Schlingacte  ein, 
so  wie  beim  Sprechen  des  Vocales  A,  und  beim  Singen  mit  Brust- 
tönen. Angeborene  Spaltung  des  weichen  Gaumens,  oder  Substanz- 
verlust durch  Geschwür,  bedingen  näselnde  Sprache,  weil  ein  Theil 
der  beim  Sprechen  ausgeathmeten  Luft  durch  die  Nasenhöhle  streicht. 

Die  Communicationsöffhungen  flir  die  Nasen-,  Mund-  und  Kehl- 
kopfshöhle liegen  an  der  vorderen  Rachenwand,  die  Rachenr)fFnung 
der  Eustachischen  Trompete  aber  (§.  233)  am  obersten  Theile  der 
Seitenwand,  hinter  dem  äusseren  Rande  der  Choanen.  Die  OefFnung 
ist  fast  oval,  4'"  lang,  und  etwas  schräg  von  innen  imd  oben  nach 
aussen  und  unten  gerichtet.  Sie  kann  durch  eine  an  der  Spitze 
gekrümmte  Sonde,  welche  durch  den  unteren  Nasengang  in  die 
Rachenhöhle  geleitet  wird,  leicht  erreicht  werden.  Ihre  Umrandung 
ist  an  der  hinteren  Peripherie  wulstiger,  als  an  der  vorderen.  Zwi- 
schen der  Rachenöffhung  der  Tuba  und  der  hinteren  Pharynxwand 
bildet  die  Schleimhaut  eine  nach  aussen  und  oben  gerichtete  blinde 
und  drüsenreiche  Bucht,  die  Rosenmtille rasche  Grube  (schon  von 
Hai  1er  erwähnt). 

Die  Wand  des  Rachens  besteht  aus  drei  wesentlichen  Schich- 
ten. Die  äussere  gehört  einer  Fortsetzung  der  in  §.  160  erwähnten 
Fascia  hucco-pharyngea  an.  Die  mittlere  besteht  aus  einer  Lage  ani- 
maler  Muskeln,  —  die  innere  ist  Schleimhaut.  Im  Camim  pharyngo- 
nasale  erscheint  die  Schleimhaut  röther,  dicker,  und  drüsenreicher,  als 
im  Cavum  pharyngo-laryngeum.  Sie  besitzt  im  erstgenannten  Räume  ein 
flimmemdes  Epithel,  im  letzteren  ein  mAbrfiLch  ireBchichtetes  Pflaster- 

HyrtU  Lehrbneli  der  Auftmp««^  ^ 


f)]0  {.  i51.    RacheDina«keIn. 

epithel^  dessen  Attribute  mit  jenem  der  Mundhöhle  übereinstimmen.  Die 
Drüsen  der  Schleimhaut  zerfallen  in  Schleimdrüsen  und  Balgdrüsen. 
Schleimdrüsen  finden  sich  besonders  zahlreich  im  oberen  Bezirk  der 
hinteren  Wand  des  Rachens.  Je  weiter  gegen  den  Anfang  der 
Speiseröhre  herab,  desto  spärlicher  werden  sie.  Balgdrüsen,  und 
zwar  einfache  und  accumulirte,  hat  man  in  dem  obersten  Theile 
des  Rachens,  welchen  man  Fomix  pharyngia  nennt,  angetroffen.  Sie 
bilden  einen,  den  Mandeln  structurverwandten,  bis  3'"  dicken  Drü- 
sengürtel (Tonstlla  pharyngea  einiger  Autoren),  welcher  hinter  dem 
oberen  Rande  beider  Choanen  von  einem  Ostium  tubae  Eustachianae 
zum  anderen  hinüberreicht. 

Ich  möchte  die  Rachenhöhle  den  Kreuzweg  der  Respirations-  and  Ver- 
dauungshöhle des  Kopfes  nennen  {communU  cähi»  et  mUrimentorum  via,  Hai  1er). 
Die  durch  die  Nase  eingeathmete  Luft,  und  der  zu  verschlingende  Bissen,  ge- 
langen durch  den  Rachen  zum  Kehlkopf  und  zur  Speiseröhre.  Da  der  Ueber- 
gang  des  Rachens  in  die  Speiseröhre  hinter  dem  Kehlkopfe  liegt,  so  müssen  sich 
die  Wege  des  LuftstromB  und  des  Bissens  in  der  Rachenhöhle  kreuzen.  Ist  der 
Bissen  in  den  Rachen  gekommen,  und  wird  dieser  durch  die  Oonttrictore»  ver- 
engert, so  könnte  der  dadurch  gedrückte  Bissen  eben  so  gut  gegen  die  Choanen 
sich  erheben,  oder  in  den  Kehlkopf  hinabgetrieben  werden,  als  in  die  Speise- 
röhre gelangen.  Den  Weg  zu  den  Choanen  schliesst  der  weiche  Gaumen  ab, 
indem  er  sich  gegen  die  Wirbelsäule  stellt  Der  Eintritt  in  den  Kehlkopf  wird 
durch  den  Kehldeckel  versperrt,  welcher,  wenn  der  Kehlkopf  beim  Schlingen  ge- 
hoben, und  die  Zunge  nach  rückwärts  geführt  wird,  sich  wie  eine  Fallthüre 
über  das  Ostium  laryngis  legt.  Es  ist  nicht  richtig,  wenn  gewöhnlich  gesagt  wird, 
dass  der  niedergedrückte  Kehldeckel  dem  Bissen  als  Brücke  dient,  über  welche 
hinüber  er  in  den  Schlundkopf,  und  so  fort  in  die  Speiseröhre  gedrückt  wird. 
Denn  der  Kehldeckel  kommt  eigentlich  mit  dem  Bissen  in  gar  keine  Berührung, 
da  er  nicht  durch  den  Bissen,  sondern  durch  den  Zungengnind,  gegen  welchen 
er  beim  Heben  des  Kehlkopfes  während  des  Schlingens  angepresst  werden  muss, 
niedergedrückt  wird.  —  Nur  beim  Erbrechen  kann  Festes  oder  Flüssiges  aus  der 
Rachenhöhle  in  die  Nasenhöhle  hinauf  geschleudert  werden,  oder  bei  einem  tiefen 
und  hastigen  Einathmen,  wie  es  dem  Lachen  voranzugehen  pflegt,  aus  der  Mund- 
höhle in  den  Kehlkopf  gerathen. 

Der  Weg  des  Bissens  von  den  Lippen  bis  zum  Pharynx  steht  unter  der 
Aufsicht  und  Obhut  des  freien  Willens.  Ist  der  Bissen  durch  den  Racheneingaug 
passirt,  so  hält  ihn  nichts  mehr  auf,  und  er  wird  ohne  Zuthun  des  Willens  in 
den  Magen  geschafft.  Kitzeln  des  Rachens  mit  dem  Finger  oder  einer  Feder,  wohl 
auch  durch  ein  verlängertes  Zäpfchen,  erregt  kein  Erbrechen,  sondern  Schling- 
bewegung; —  Kitzeln  des  Zungengrundes  und  des  weichen  Gaumens  dagegen 
keine  Schlingbewegung,  sondi'rn  Erbrechen.  Beide  P'ormen  von  Bewegungen  sind 
somit  Reflexbewegungen. 


§.  257.  Rachenmuskelii. 

Die  Rachcnmuskcln  mit  Längenrichtung  ihrer  Fasern  (Leva- 
tores  phai^ngis)  sind :  der  paarige  Siyh'pharyngeuSj  und  der  unpaare, 
sehr  oft  fohlende,  Azygos  phnryvgis,     D<»r   f^fyh-phai'yngetia  entspringt 


§.  857.  KftcheDiuuäkeln.  611 

am  Griffelfortsatz,  oberhalb  des  Stylo-glosatis,  Er  zieht,  mit  seinem 
Gespan  convergirend,  zur  Seite  des  Pharynx  herab,  und  verliert 
sich  theils  zwischen  dem  mittleren  und  oberen  Schnürmuskel,  theils 
findet  er  eine  solide  Insertion  am  oberen  Rande  des  Schildknorpels 
(zusammen  mit  dem  Palato-phaiyngetis.  §.  245).  Der  Azygos  pha- 
tyngis  entspringt,  wenn  er  vorkommt,  von  der  Basis  des  Hinter- 
hauptbeins, und  mischt  seine  strahlig-divergirenden  Fasern  mit  denen 
der  beiden  Styh-pliaryngei, 

Die  Schnürmuskeln  (Constrictores  pharyngis)  bilden  die  Seiten- 
wände imd  die  hintere  Wand  des  Rachens,  gegen  deren  Median- 
linie (Raphe)  sie  von  beiden  Seiten  her  zusammenstreben.  Man 
zählt  drei  Paare,  Constrictor  pharyngis  miperior,  mediuSy  und  infeinor, 
welche,  von  hinten  her  gesehen,  sich  der  Art  theilweise  decken, 
dass  der  untere  Constrictor  sich  auf  den  mittleren,  und  dieser  auf 
den  oberen  hinaufschiebt.  Alle  knöchernen,  fibrösen  und  knorpe- 
ligen Gebilde,  welche  zwischen  Schädelbasis  imd  Anfang  der  Luft- 
röhre gelegen  sind,  dienen  den  Faserbündeln  der  Rachenschnürer 
zum  Ursprünge,  und  es  muss  deshalb,  wenn  man  jedem  Bündel 
einen  eigenen  Namen  giebt,  eine  sehr  complicirte  Musculatur  her- 
auskommen. Da  der  obere  Constrietor*nur  von  Knochen  und  Weich- 
theilen  des  Schädels  entspringt,  der  mittlere  nur  vom  Zungenbein, 
der  untere  nur  vom  Kehlkopf,  so  wäre  es  nicht  ungereimt,  sie  als 
Cephalo-y  Hyo-  und  Laryngo-jyhm^ngeiis  anatomisch  zu  taufen. 

Der  Conntrictm*  superior  nimmt  die  oberste  Partie  der  hinteren 
Rachenwand  ein,  welche  den  Choanon  gegenüber  steht.  Er  ent- 
springt vom  Hamulus  ptei'yyoiihus  (als  PterygO'phajyiigeus)^  von  dem 
hinteren  Ende  der  Linea  mylo-hyoidea  (als  Mylo'pharyngeiis)^  vom 
Seitenrande  der  Zunge  (als  Glosso-pkaryngeus),  und  von  der  zwi- 
schen Ober-  und  Unterkiefer  ausgespannten  Partie  der  Fascia  hucco- 
pharyngea  (als  Btuxo-pharyngeus).  Er  endigt,  mit  dem  der  anderen 
Seite  zusammenfliessend,  in  der  Raphe  pharyngis,  —  Die  Wirkung 
dieses  Muskels  ist  nichts  weniger  als  klar,  da  der  zu  verschlin- 
gende Bissen  nie  in  sein  Bereich  kommt,  indem  er,  des  weichen 
Gaumens  wegen,  nicht  nach  aufwärts  gegen  die  Choanen  getrieben 
werden  kann. 

Der  schwache  Constrictor  medius  kommt  mit  zwei  Bündeli) 
vom  grossen  und  kleinen  Home  des  Zungenbeins,  als  Cerato-  und 
CTwndrO'pharyngeus.  Seine  oberen  Fasern  streben  in  der  hinteren 
Rachenwand  nach  aufwärts,  seine  unteren  nach  abwärts,  während 
seine  mittleren  horizontal  bleiben.  Sie  vereinigen  sich  sämmtlich 
in  der  Raphe  mit  denen  der  anderen  Seite.  So  muss  es  denn  zu 
einer  oberen  und  unteren  Spitze  des  Muskels  kommen.  Die  obere 
schiebt  sich  auf  den  Constrictor  swperior  hinauf,  die  untere  wird  von 
der  gleich  anzuftlhrenden  Spitze  des   Constrictor  inferior  überdeckt. 

39» 


612  S-  S&S.    Speiserfthro. 

Der  Constrictor  inferior  entspringt  vorzugsweise  von  dem  hin- 
teren Theile  der  äusseren  Fläche  des  Schildknorpels  (Thyreo-pha- 
ryngeusjy  und  von  der  Aussenfläche  des  Ringknorpels  (Crico-pha- 
ryngeus).  Auch  seine  Bündel  vereinigen  sich  mit  den  entgegen- 
gesetzten in  der  Raphe,  und  schieben  sich  (die  oberen)  mit  einer 
nach  oben  gerichteten  Spitze  über  den  Constrictor  meditis  hinauf. 

Die  anatomische  Darstellung  des  Pharynx   mnss  von  rückwärts  und   nach 
folgenden  Regeln  vorgenommen  werden:   Man  löst  an   einem  Kopfe  die  Wirbel- 
säule aus  ihrer  Verbindung  mit  dem   Hinterhaupte,   und   entfernt  sie.     Dadurch 
wird  die  hintere  Rachenwand,  die  an  die  vordere  Fläche  der  Wirbelsäule   durch 
sehr  laxes  Bindegewebe  befestigt  war,   frei.     Man  entfernt   nun    vorsichtig  die 
Beste  der  Ftucia  huceo-pharyngea ,  und  verfolgt   die  unter  ihr  liegenden  Faser- 
bündel der  Levatores  und  Constrictores  bis  zu  ihren  Ursprüngen,  wodurch  auch 
die  Seitengegenden   des   Pharynx   zur   Ansicht   kommen.    Führt  man  von  unten 
her    durch    die   Speiseröhre    einen    Scalpellgriff  oder  eine  starke    Sonde    in    die 
Rachenhöhle   ein,   so   kann  man   damit   die  hintere  Rachenwand   aufheben,   und 
man  bekommt  eine  Idee  von  der  Ausdehnung  und  Form  dieses  häutig-musculösen 
Sackes.  Nun  trennt  man  durch  einen  Längenschnitt   die  eben  präparirte   hintere 
Wand,  und  durch  einen  Querschnitt  ihre  obere  Anheftung  an    der  Schädelbasis, 
legt  die  beiden  dadurch  gebildeten  Lappen  wie  Flügelthüren   aus   einander,  und 
befestigt  sie  durck  Haken,  damit  sie  nicht   wieder  zufallen.     Man   übersieht  nun 
die   vordere  Rachenwand  von  hinten   her,   und   lernt  die  Lage  der  Oeffnungen 
kennen,  welche  in  die  Nasen-,  Mund-  und  Kehlkopfshöhle  führen.     Die  Choanen 
sind  vom  Isthmus  faueium  durch  das  Palatum  moUe,  —  der  Isthmus   vom   Kebl- 
kopfseingang  durch  die  elastische  Knorpelplatte  des   Kehldeckels  getrennt    Seit- 
wärts   und    oben    findet   man    neben   den    Choauen    die    liachenmündungen    der 
Eustachischen  Trompeten. 

§.  258.  Speiseröhre. 

Der  Rachen  geht  in  der  Höhe  der  Bandscheibe  zwischen  dem 
6.  und  7.  Halswirbel  in  die  Speiseröhre  über,  Oesophagus  s.  Gula 
(wörtlich  Essenträger,  von  oiow,  tragen,  ^jr/'eTv,  essen).  Sie  ver- 
bindet den  Rachen  mit  der  Magenhöhle,  und  hat  ausser  der  mecha- 
nischen Fortbewegung  des  Verschlungenen  keine  andere  Neben- 
bestimmung. Sie  liegt  am  Halse  auf  der  Wirbelsäule,  hinter  der 
Luftröhre,  und  etwas  Unks  von  ihr,  geht  durch  die  obere  Brust- 
apertur in  den  hinteren  Mittelfellraum,  kreuzt  sich  mit  der  hinteren 
Fläche  des  linken  Luftröhrenastes,  und  legt  sich,  von  der  Theilungs- 
stelle  der  Luftröhre  an,  an  die  rechte  Seite  der  Aorta,  verläset 
hierauf  die  Wirbelsäule,  kreuzt  sich  neuerdings  mit  der  vorderen 
Fläche  der  Aorta,  um  zum  links  gelegenen  Foramen  oesophageum 
des  Zwerchfells  zu  gelangen,  und  geht  durch  dieses  in  die  Cardia 
des  Magens  über.  Sie  beschreibt,  kurz  gesagt,  eine  langgedehnte 
Spirale  um  die  Aorta.  Eng  an  ihrem  Ursprünge,  erweitert  sie  sich 
hierauf  etwas,  und  nimmt  vom  sechsten  Brustwirbel  angefangen,  an 
Weite  wieder  ab. 


§.  259.  Ü0benicht  der  Log«  des  Yerdannngskanali  in  der  Bauchhöhle.  613 

Lockeres  Bindegewebe  versieht  die  Speiseröhre  mit  einer 
äusseren  Umhüllungsmembran.  Die  darauf  folgende  Muskelhaut  be- 
steht aus  einer  äusseren  longitudinalen,  und  inneren  spiralen  oder 
Ringfaserschicht  Die  Schleimhaut  lässt  Längenfalten  erkennen, 
welche  sich  beim  Durchgange  des  Bissens  glätten,  um  das  Lumen 
des  Rohrs  zu  erweitem.  Ihr  Substrat  besteht  aus  Bindegewebs- 
und elastischen  Fasern,  mit  einer  Auflage  von  organischen,  longitu- 
dinal  verlaufenden  Muskelfasern,  welche  eine  mit  dem  Messer  dar- 
stellbare  besondere  Schichte  der  Schleimhaut  bilden,  die  von  nun 
an  sich  durch  die  ganze  Länge  des  Darmkanals  erhält  Winzige 
Papillen  fehlen  auf  der  Speiseröhrenschleimhaut  nicht  Ihre  Schleim- 
drüsen gehören  zu  den  kleineren  Formen,  imd  stehen  solitär  oder 
gruppirt.  Sie  reichen  bis  in  das  submucöse  Bindegewebe,  und  die 
grösseren  derselben  dringen  selbst  in  die  Maschen  der  Längen-  und 
Querfasem  der  Muskelhaut  ein.  Das  dicke  geschichtete  Pflaster- 
epithelium  gleicht  jenem  der  Mundhöhle. 

Als  höchst  seltenes  Vorkommen  verdient  eine  sackartige  Erweiterung  des 
Oesophagus,  dicht  über  dem  Foramen  oesophageum  des  Zwerchfells  erwähnt  zu 
werden.  Sie  wurde  zuerst  von  Arnold  als  Antrum  cavdiacum  beschrieben,  und 
soll  das  am  Menschen  als  Curiosum  rariaiimum  vorkommende  Wiederkäuen 
veranlassen. 

Die  Muskelfasern  der  Speiseröhre  sind  am  Halstheile  derselben  querge- 
streift, am  Brusttheilc  glatt.  Der  Uebergang  der  quergestreiften  Muskelfasern 
in  die  glatten  erfolgt  nicht  plötzlich.  Es  treten  vielmehr  zuerst  in  der  Ringfaser- 
schicht glatte  Muskelfasern  zwischen  den  quergestreiften  auf,  und  nehmen,  je 
weiter  die  Speiseröhre  gegen  den  Magen  herabkommt,  desto  mehr  an  Zahl  zu^ 
ohne  jedoch  die  quergestreiften  gänzlich  zu  verdrängen. 

Die  von  mir  entdeckten  Musculi  broncho-  und  pleuro-oesophttgei  (Zeitschrift 
der  Wiener  Aerzte.  1844)  bestehen  aus  glatten  Fasern  (organischen  Faserzellen). 
Sie  haben  sich  seit  ihrer  Bekanntmachung  häufig  wieder  gefunden.  Der  Broncho- 
oeaophageus  entspringt  von  der  hinteren  membranösen  Wand  des  linken  Bronchus, 
der  Pleuro'oeaophageua  von  der  linken  Wand  des  Mediastinums.  Beide  contribui- 
ren  zur  Bildung  der  Längenmuskeln  der  Speiseröhre.  Der  Pleuro-oesophageu» 
kommt  öfter  vor,  als  der  Broncho-oesophageuM.  In  einem  kürzlich  beobachteten 
Falle  hatte  der  Pleuro-oesophageus  eine  Breite  von  Sy^  ^o^l-  Eingehend  lässt  sich 
Luschka  über  beide  Muskeln  vernehmen  in  seiner  Abhandlung:  Der  Herz- 
beutel und  die  Faacia  endothorticica.  (Denkschriften  der  kais.  Akad.  17.  Bd.) 


§.  259.    Uebersicht  der  Lage  des  Yerdauimgskaiials  in  der 

Baucliliöhle. 

Der  bei  weitem  grössere  Theil  des  Verdauungskanals  und  sei- 
ner drüsigen  Nebenorgane,  liegt  in  der  Bauchhöhle,  und  wird  von 
dem  Bauchfelle,  Peritoneum,  eingeschlossen,  welches  einerseits  die 
innere  Oberfläche  der  Bauchwandungen,  als  vollkommen  geschlos- 
sener   Sack    auskleidet    (Perikmiomik    «MtrueafeJ,    andererseits    viele 


614  8*  X^^-  l'vbenticlit  der  Lage  des  V«>r«IauuiiK8lranalH  in  der  Rancbböble. 

faltenförmige  Einstülpungen  erzeugt,  um  die  einzelnen  Abtheilungen 
der  Verdauungsorgane  mit  einem  mehr  weniger  completen  lieber- 
zuge  (Peritoneum  intestinale  a.  viscerale)  zu  versehen.  Der  Bauchtheil 
des  Verdauungskanals  besteht  aus  drei,  durch  Lage,  Gestalt  und 
Structur  verschiedenen  Abschnitten.  Der  erste  und  voluminöseste  ist 
der  Magen,  —  der  zweite  das  dünne  (besser  enge)  Gedärm,  und 
der  dritte:  das  dicke  (weite)  Gedärm.  Jeder  Abschnitt  wird  von  dem 
nächstfolgenden  durch  eine  Klappe  getrennt. 

Der  Magen  liegt  in  der  oberen  Bauehgegend,  imd  reicht  in 
beide  Rippenweichen  (Hypochondria)'^  jedoch  weniger  in  die  rechte, 
als  in  die  linke.  Er  setzt  sich  durch  seinen  Ausgang,  den  Pfört- 
ner (Pyhrus),  in  das  dünne  Gedärm,  Intestinum  tenue,  fort,  an 
welchem  drei  Abschnitte  unterschieden  werden:  der  Zwölffinger- 
darm, Leerdarm,  und  Krummdarm. 

Der  Zwölf fingerdarm,  Intestinum  dtiodenum,  bildet  dicht  vor 
der  Wirbelsäule  eine,  mit  der  Convexität  nach  rechts  gerichtete 
Krümmung.  Der  darauf  folgende  Leerdarm,  Intestinum  jefunum, 
geht  ohne  bestimmte  Grenze  in  den  Krumm d arm,  Intestinum  ileumy 
über.  Beide  sind  in  zaldreiche  Krümmungen  gelegt,  welche  Darm- 
schlingen (Ansäe  s,  Oyri  intestinales)  heissen,  und  die  Regio  um- 
hilicalis,  hypogastinca ^  beide  Regiones  iliacae,  so  wie  die  obere  Räum- 
lichkeit der  kleinen  Beckenhöhle  einnehmen.  Die  Darmschlingen 
variiren  in  Grösse  und  Richtung  sehr  mannigfaltig.  Man  sieht  sie 
von  einer  Seite  zur  anderen,  auch  auf-  oder  abwärts  gerichtet,  nie- 
mals jedoch  so  gelegen,  dass  die  Concavität  ihrer  Krümmung  nach 
der  Bauchwand  gerichtet  wäre.  Das  Ende  des  Krummdarms  erhebt 
sich  aus  der  Beckenhöhle  zur  rechten  Darmbeingegend,  und  mündet 
in  den,  auf  der  Fascia  des  Musculus  iliacus  dexter  gelegenen  Anfang 
des  dicken  Gedärmes  ein.  —  Das  dicke  Gedärm,  Intestinum  crassum, 
zerftlllt,  wie  das  dünne,  in  drei  Stücke.  Das  erste  (der  Anfang  des 
dicken  Gedärms)  ist  der  Blinddarm,  Intestinum  coecum,  in  der 
rechten  Darmbeingegend.  Von  hier  steigt  das  zweite  Stück,  der 
Grimmdarm  (Intestinum  colon),  in  das  rechte  Hypochondrium 
hinauf,  geht  dann  über  den  Nabel  quer  in  das  linke  Hypochon- 
drium hinüber,  und  von  dort  abwärts  in  die  Beckenhöhle,  wo  es 
sich  in  das  dritte  Stück  des  dicken  Gedärms,  in  den  Mastdarm 
{Intestinum  rectum)  fortsetzt,  welcher  ganz  und  gar  der  kleinen 
Beckenhöhle  angehört.  Das  dicke  Gedärm  umkreist  somit  das  dünne. 

Das  rechte  Hypochondrium  wird  von  der  voluminösen  Leber 
mehr  als  ausgefüllt,  indem  sie  mehr  weniger  über  den  Rand  der 
Rippen  vorragt.  Das  linke  Hypochondrium  enthält  die  Milz.  Die 
Bauchspeicheldrüse  Hegt  dicht  hinter  dem  Magen,  quer  vor  der 
Wirbelsäule,  von  dem  concaven  Rande  der  Zwölffingerdarmkrüm- 
mung bis  zur  Milz  sich  erstreckend. 


§.  2Kf>     Zutsammeufietzaiig  des  Verdannngtikaiials.  615 

Die  Bauchfellfalten,  welche  diese  Organe  umhüllen^  und  ihnen 
als  Befestigungsmittel  dienen,  heissen  fllr  die  einzelnen  Abtheilungen 
des  Darmkanals:  Gekröse,  Mesenteria; —  für  die  drüsigen  Neben- 
organe: Aufhängebänder,  Ligamenta  suspensoria. 

Die  Baachspeicheldrtlse  und  der  Zwölffingerdarm  werden,  ihrer  von  den 
übrigen  Abtheilungen  des  Verdauungskanals  verdeckten  Lage  wegen,  bei  der 
Eröffnung  der  Bauchhöhle  nicht  gesehen.  Alles  Uebrige  tritt  gleich  vor  die  Augen. 


§.  260.  Züsammeiisetzimg  des  Yerdauirngskanals. 

Der  Verdauimgskanal  besteht  in  seiner  ganzen  Länge  aus 
denselben  Schichten,  welche,  von  aussen  nach  innen  gerechnet, 
sind:  1.  der  Peritonealüberzug  (seröse  Haut),  2.  die  Muskelhaut, 
3.  das  submucöse  Bindegewebe  (Zellhaut),  4.  die  Schleimhaut. 

Der  Peritonealüberzug  fehlt  am  untersten  Stücke  des  Mast- 
darms, welches  unterhalb  der  Faacia  hypogaatrica  liegt,  vollkommen, 
und  ist  für  die  zwei  unteren  Drittel  des  Zwölflfingerdarms,  so  wie 
für  den  aufsteigenden  und  absteigenden  Grimmdarm,  und  einen 
Theil  des  Mastdarms,  kein  vollständiger,  indem  ein  grösserer  oder 
kleinerer  Bezirk  der  hinteren  Fläche  dieser  Darmstücke  unüber- 
zogen bleibt. 

Die  Muskelhaut  besteht  durchwegs  aus  einer  äusseren  lon- 
gitudinalen,  und  inneren  Kreisfaserschicht.  Ihre  mikroskopischen 
Elemente  sind  glatte  (organische)  Muskelfasern,  welche  in  den  ver- 
schiedenen Abtheilungen  des  Darmkanals  immer  mit  denselben 
Eigenschaften,  als  sehr  lange  und  schmale,  einen  verlängerten  stab- 
förmigen  Kern  einschliessende  Faserzellen  erscheinen.  Eine  dünne 
Lage  Bindegewebe  heftet  die  Muskelhaut  an  den  Bauchfellüberzug 
des  betreffenden  Darmstücks.  Dieses  Bindegewebe  heisst  sub peri- 
toneal, oder  subserös. 

Auf  die  Muskelhaut  folgt  die  Zell  haut  des  Darmes,  welche, 
ihres  Verhältnisses  zur  Schleimhaut  wegen,  auch  submucöses 
Bindegewebe  genannt  wird.  Die  Alten  nannten  die  Zellhaut, 
ihrer  weisslichen  Farbe  wegen,  Tunica  nervea,  und  Prof.  Meissner 
zeigte  vor  nicht  langer  Zeit,  dass  diese  Benennung  auch  in  unserer 
Zeit  nicht  unberechtigt  erscheint,  da  in  der  That  die  Zellhaut  des 
Darmes  einen  überraschenden  Reichthum  an  vernetzten  sympathi- 
schen Nervenfasern  besitzt. 

Am  meisten   Verschiedenheiten  unterliegt   die  Schleimhaut, 
deren    Attribute   im  Magen,  Dtlnn-  und  Dickd«irm,  andere  werden, 
wie  bei  den  betreffenden  Orten  gleich  gezeigt  weirden  boIL  Sb  kann 
hier  nur  im  Allgemeinen  erwlUuit  Word 
haut  des  gesanunten  Danolc^ 


616  §.  2«1.    M:igen. 

organischer  Muskelfasern  unterscheiden  lässt^   welche    Längen-  und 
Querrichtung  verfolgen,  und  zum  Unterschiede   der  früher  erwAn- 
ten  Muskelhaut  des  Verdauungskanals,  als  Muskelschicht 
der  Schleimhaut  bezeichnet  werden. 

Alle  Abtheilungen  des  Verdauungskanals  besitzen  Cylinderepi- 
thel,  unter  welchem  noch  eine  structurlose  Schichte  (die  Basemmf- 
Membrane  der  englischen  Histologen)  zu  erkennen  ist. 

Diese  kurze  Uebersicht  der  Lage  und  Zusammenfletzang  des  VerdanimgpV' 
kanals  musste,  um  häufige  Wiederholungen  zu  umgehen,  der  speciellen  Beachrei' 
bung  aller  Einzelheiten  vorausgeschickt  werden.  Die  detailiirke  Beaehrdbim^ 
des  Verlaufs  des  Bauchfelles  bildet  in  §.  278  den  Schluss  der  YerdaanDgaorgtn«- 

§.  261.  Magen. 

Der  Magen    (Ventricultcs,    Stomachtt^^    GaMei")    ist  die   grö88t€?^ 
gleich  unter  dem   Zwerchfelle   liegende,  sack-  oder  retortenftrmig^ 
Erweiterung   des  Verdauungskanals,   in   welcher  die  Nahrungsmittel 
am  längsten  verbleiben,  ihre  im  geschluckten   Bissen   noch  erkena — 
baren  primitiven  Eigenschaften  verlieren,  und  durch  die  Einwirkun^^ 
des  Magensaftes  in  einen  homogenen,   dickflüssigen  Brei  omgewan  — 
delt   werden,    welcher    Speisebrei,    ChyniuSj    genannt   wird.    Die^ 
Störung   seiner   Verrichtung  ist  eine  fruchtbare,   und   so   lange  diiss 
Menschheit  nicht  lernt  im  Essen  und  Trinken  Maass  zu  halten,  sei 
gewöhnliche    Ursache   von    Erkrankungen.    Per  quae  vivimus  et 
8umu8,  per  eadem  etiam  aegrotamvSj  sagt  Hippocrates. 

Der  Magen  nimmt  die  Regio  epiga^trica  ein,  und  erstreckt  sich 
in  beide  Hypochondria  hinein.  Er  grenzt  nach  oben  an  das  Zwerch- 
fell,  nach  unten  an   das   Querstück   des  Grimm darms,  nach  hintei 
an  das  Pankreas,  und  nach  links  an  die  Milz.  Seine  vordere  Flächcsii^^ 
wird  von  der  Leber  so  bedeckt,  dass  nur  der  gleich  zu  erwähnend( 
Magengrund,    und    eine    ohngefälir    I    Zoll    breite  Zone    längs    de« 
unteren  Randes  frei  bleiben.  —  Man  unterscheidet  an  ihm  den  Ein- 
gang,   Cardia    s,    Ost  tum    oesophageum ,    und    den    Ausgang    odei 
Pförtner,  Pyhrus  s,   Ostium  duocienale  (TwXiQ-oupo;,   Thor  wacht  er).. 
Unterhalb   der   Cardia  und   links    von    ihr   buchtet  sich  der  Magen, 
als    sogenannter   Grund,    Fundus  ventricuHy  blindsackfbrmig  gegen 
die  Milz  aus.    Vom  Fundus  gegen  den  Pylonis  verengert  sich  der 
Magenkörper  massig,   ei-weitert  sich  aber  vor  dem  Pylonis  gewöhn- 
lich noch  ein  wenig,   um   das   sogenannte   Antrum  pyUfricum   Wülisif 
zu  bilden,  welches,  wenn  es  gut  entwickelt  ist,  durch  eine  am  oberen 
und  unteren  Magenbogen  bemerkbare  Einschnünmg  vom  eigentlichen 
Magenkörper   abgegrenzt  wird.    Der   Pylorus  selbst  wird  äusserlich 
als  eine  seichte  Strictur  gesehen,  welche    den  Magen  voip  Anfange 
des  Zwölffingerdarms  trennt.  Er  fühlt  sich  härter  an,  als  der  eigent- 


L-KW 


§.  209.   Stractiir  des  Magens.  617 

liehe  Magen.  —  Die  vordere  und  hintere  Fläche  des  Magens 
Blossen  am  oberen  und  unteren  Bogen  zusammen.  Der  obere  Bogen 
ist  concav,  und  kleiner  als  der  untere,  eonvexe.  Man  bezeichnet 
deshalb  allgemein  den  oberen  Magenbogen  als  Ourvatura  minor,  den 
imteren  als  Curuatura  major.  Die  vordere  und  hintere  Fläche  wer- 
den im  vollen  Zustande  des  Magens  zur  oberen  und  unteren,  somit 
die  Bogen  zum  vorderen  und  hinteren.  Sein  Flächenraum  und  seine 
Capacität  variirt  nach  individuellen  Verhältnissen  zu  sehr,  um  all- 
gemein ausgedrückt  werden  zu  können. 

Der  Peritonealüberzug  des  Magens  hängt  mit  denselben  lieber- 
Zügen  benachbarter  Organe  durch  faltenartige  Verlängerungen 
zusammen.  Man  unterscheidet  ein  Ligamentum  phrenico-gastricumy 
zwischen  Zwerchfell  imd  Cardia,  und  ein  Ligamentum  gaatro-Unealey 
zwischen  Magen  und  Milz.  Von  der  Pforte  der  Leber  geht  das 
kleine  Netz,  ÖTnentum  minus  s.  hepaio-gaatricumy  schief  zum  kleinen 
Magenbogen  hin.  Vom  grossen  Magenbogen  hängt  das  grosse 
Netz,  Omentum  majus  s.  gastro-colicum,  gegen  die  Beckenhöhle  herab, 
deckt,  wie  eine  Schürze,  die  Schlingenconvolute  des  dünnen  Ge- 
därmes, schlägt  sich  dann  nach  rück-  und  aufwärts  um,  als  wollte 
es  zum  Magen  zurückkehren,  befestigt  sich  jedoch  schon  früher 
am  querliegenden '  Grimmdarme,  wo  es  mit  dem  Bauchfellüberzuge 
dieses  Darmstücks  verschmilzt.  Dieser  Anordnung  des  grossen 
Netzes  zufolge,  wird  jener  Theil  desselben,  welcher  zwischen  Magen 
und  Quergrimmdarm  liegt,  nur  zweiblättrig  sein  können,  während 
der  vom  Quergrimmdarm  bis  zum  unteren  freien  Rand  des  grossen 
Netzes  sich  erstreckende  grössere  Abschnitt  desselben  vierblätterig 
sein  muss.  — 

Nor  das  Ligamentum  phrenieo-gastricum  verdient  den  Namen  eines  Halt- 
bandes des  Magens.  Die  übrigen,  hier  erw&hnten  Baachfellfalten,  sind  so  dünn 
und  schwach,  und  kommen  selbst  von  so  beweglichen  Eingeweiden  her,  dass  sie 
den  Magen  unmöglich  fixiren  können,  und  er  somit  seine  Richtung  im  vollen 
Zustande  ohne  Anstand  ändern  kann. 

Ueber  die  verschiedenen  Formen  des  ArUrum  pyloricum  bei  Menschen  und 
Säugethieren  handelt  RetsskUf  in  MüUer^s  Archiv,  1857,  pag.  74. 


§.  262.  Structur  des  Magens. 

Ein  Organ^  dessen  sorgfältigste  Pflege  einziger  Lebenszweck 
so  vieler  Menschen  ist,  verdient  eine  eingehende  anatomische  Un- 
tersuchung. 

1.  Der  Bauchfellüberzug  des  Magens  stammt  von  den  beiden 
Blättern  des  kleinen  Netzes,  welche  am  oberen  Bogen  auseinander 
treten^  um  sich  am  unteren  wieder  als  grosses  Netz  zu  vereinigen. 


618  §.  ifü.  Stnictiir  d08  Magens. 

An  beiden  Bogen  des  Magens  bleibt  nur  so  viel  Raum  zwischen 
den  Blättern  der  Netze  übrig,  als  die  hier  verlaufenden  Blutgefässe 
erfordern. 

2.  Die  Muskelschichte  des  Magens  erscheint  complicirter  als 
jene  des  Gedärmes,  indem  zu  den  Längen-  und  Kreisfasem,  noch 
schiefe  Fasern  hinzukommen.  Die  Längen  fasern  mögen  wohl  als 
Fortsetzungen  der  Längenfasem  des  Oesophagus  angesehen  werden. 
Sie  liegen  am  kleinen  Magenbogen  dichter  zusammen,  als  am 
grossen,  und  bilden  überdies  an  der  vorderen  und  hinteren  Wand 
des  Antrum  pyloHcum  je  ein  breites,  zuweilen  sehr  scharf  markirtes 
Bündel.  Sie  wurden  von  Helvetius  mit  dem  unpassenden  Nar 
men  Ligamenta  pylori  belegt.  Diese  flachen  Bündel  longitudinaler 
Muskelfasern  lassen  sich  den  Fascien  oder  Tänien  des  Dickdarmes 
(§.  268)  vergleichen,  imd  bedingen  (so  wie  diese  am  Dickdarm  die 
sogenannten  Haustra  erzeugen)  die  Entstehung  jener  Einschnürung, 
durch  welche  das  Antrum  pyloricum  von  dem  eigentlichen  Magen- 
körper abgegrenzt  wird.  —  Die  nach  einwärts  auf  die  Längenfasem 
folgenden  Kreis  fasern  kreuzen  sich  mit  ersteren  imter  rechten 
Winkeln.  Sie  umgeben  als  ringförmige  Schleifen  den  Grund,  den 
Körper  und  den  Pylorus  des  Magens,  stehen  also  senkrecht  auf  der 
Längenrichtung  des  Magens.  Das  Bündel  Kreisfasem,  welches  den 
Pylorus  umgreift,  bildet  einen  kleineren  Kreis  als  alle  übrigen,  und 
treibt  somit  eine  faltenartige  Erhebung  der  Schleimhaut  gegen  die 
Axe  des  Pylorus  vor,  —  die  Pförtnerklappe,   Vaitmla  pylori. 

Die  Oeffnung  der  Pförtnerklappe  steht  nicht  immer  in  der  Mitte, 
sondern  nähert  sich  der  Darmwand,  oder  rückt  gänzUch  an  sie  an, 
wodurch  der  Klappenring  zum  Halbmond  übergeht.  Leveling  (1764) 
hat  schon  auf  diese  Spielarten  hingewiesen,  und  Meckel  die  kür- 
zere oder  längere  Verdauungszeit  von  ihnen  abhängig  gehalten. 

Das  Btlndel  von  Kreismuskelfasem  in  der  Pylorusklappe  wirkt 
als  SphincteVj  und  verschliesst  während  der  Verdauung  den  Magen- 
ausgang vollkommen.  An  der  Cardia  findet  sich  kein  besonderer 
Sphincter.  Dagegen  treten  an  derselben  zwei  schiefe  Faserzüge 
auf,  welche  rechts  und  links  von  der  Cardia  zwei  Schleifen  bilden, 
die  von  einer  Fläche  des  Magens  auf  die  andere  so  übergreifen, 
dass  die  an  der  vorderen  und  hinteren  Magenfläche  befindlichen 
Schleifenschenkel  sich  daselbst  schief  überkreuzen. 

3.  Die  Schleimhaut  wird  durch  ihr  submucöses  Bindegewebe 
so  lose  an  die  Muskelschichte  gebunden,  dass  sie  sich  im  leeren 
Zustande  des  Magens  faltenartig  erheben  und  Vorsprünge  erzeugen 
kann,  welche,  obwohl  vorzugsweise  der  Längsrichtung  des  Magens 
folgend,  doch  auch  durch  quere  Verbindungsfalten  eine  Art  groben 
Gitterwerks  darstellen.  Ueberdies  zeigt  die  Magenschleimhaut  unter 
der  Loupe  noch  eine   Unzahl   kleiner  grubiger  Vertiefungen,    von 


(.  96t.   Sinictiir  des  Magens.  619 

runder  oder  polygonaler  Form,  welche  besonders  in  der  Nähe  des 
Pylorus,  durch  niedrige,  am  freien  Rande  gefranste  Schleimhaut- 
leistchen  (die  Plicae  villosae  einiger  Autoren)  von  einander  abge- 
markt werden.  Die  grubigen  Vertiefungen  verdienten  wohl  AlveoU 
genannt  zu  werden,  wenn  dieser  Name  nicht  so  oft  schon  in  der 
Anatomie  vergeben  worden  wäre  (Kiefer,  Lymphdrüsen,  Lungen). 
Am  Grunde  der  Grübchen,  wohl  auch  auf  der  Höhe  ihrer  Tren- 
nungsleistchen,  mtlnden  die  das  wirksame  Agens  der  Verdauung 
absondernden  Pepsin-  oder  Labdrüsen  aus.  Sie  bilden.  Mann  an 
Mann  gedrängt,  ein  continuirliches  Drüsenstratum  des  Magens.  Ihre 
Menge  ist  so  bedeutend,  dass  auf  einer  Quadratlinie  Magenober- 
fläche 300 — 400  derselben  münden,  und  die  Gesammtzahl  derselben 
von  Sappey  auf  5  Millionen  angeschlagen  wird.  Dieses  ungeheuren 
Reichthums  an  Drüsen  wegen,  wird  von  dem  eigentlichen  Schleim- 
hautgewebe des  Magens  nur  sehr  wenig  erübrigen;  —  dasselbe  geht 
fast  gänzlich  in  diesem  Drüsenstratum  auf. 

Die  Pepsindrttsen  (^rsrra),  verdauen)  gehören  der  Familie 
der  tubulösen  Drüsen  an.  Ihre  Länge  gleicht  so  ziemlich  der  Dicke 
der  Magenschleimhaut.  Ihre  Weite  wechselt  zwischen  0,01'"  und 
0,03'".  Ihr  Grund  ruht  auf  der  organischei^  Muskelschichte  der 
Schleimhaut  auf,  und*  ragt  wohl  auch  in  diese  hinein,  so  dass  er 
allenthalben  von  den  Muskelfasern  umgeben  wird,  welche  dann  auch 
durch  ihre  Zusammenziehung  auf  die  Entleerung  des  Inhalts  des 
ganzen  Drüsenschlauches  Einfluss  nehmen  werden.  Die  Richtung  der 
Pepsindrüsen  steht  senkrecht  auf  der  freien  Fläche  der  Magen- 
schleimhaut. Der  aus  structurloser  Wand  bestehende  Schlauch  einer 
Drüse,  kann  einfach,  d.  i.  ungespalten  bleiben,  sich  höchstens  seit- 
lich ausbuchten,  und,  gegen  sein  blindes  Ende  zu,  sich  etwas  schlän- 
geln, wohl  auch  zur  knäuelförmigen  Aufrollung  anschicken.  Oder, 
was  viel  öfter  der  Fall  ist,  der  Drüsenschlauch  spaltet  sich  in  2,  3, 
selbst  mehrere,  parallel  neben  einander  bleibende  Zweige.  Und  so 
mag  man  denn  einfache  und  zusammengesetzte  Formen  zu- 
geben, welche  letztere  meist  dem  Revier  der  Cardia  angehören.  — 
Das  Cylinderepithel  der  Magenschleimhaut  setzt  sich,  von  dem  ge- 
schichteten Pflasterepithel  des  Oesophagus,  durch  eine  scharf  ge- 
zeichnete zackige  Linie  ab.  Es  dringt  in  alle  Pepsindrüsen  eine 
Strecke  weit  ein,  —  ohngefUhr  ein  Drittel  oder  Viertel  ihrer  Länge. 
Von  der  Stelle  an,  wo  das  Cylinderepithel  der  Pepsindrüsen  auf- 
hört, enthält  der  Schlauch  der  Drüse  ein-  oder  zweikemige  rund- 
liche Zellen,  welche  ihn  nicht  vollkommen  ausfallen,  sondern  eine 
feinste  Lichte  (von  0,002"')  frei  lassen.  Nur  das  blinde  Ende  der 
Pepsindrüsen  wird  von  diesen  Zellen  vollkommen  erfüllt  Sie  werden 
Lab  Zellen  genannt,  da  man  sie  in  den  Drüsen  des  Labmagens 
der  Wiederkäuer  zuerst   beobachtete.    Zwischen    den   Zellen  finden 


620  §•  ^^'    Stractnr  dea  ICftgens. 

sich  in  den  Pepsindrttsen  auch  Kerne,  und  eine  klare  FlüsBigkeit 
(Labsaft);  welche  während  der  Verdauung  in  reichlichem  Maasse 
abgesondert  wird,  den  geformten  Inhalt  der  Drtisen  (Labzellen)  me- 
chanisch herausschwemmt,  sich  mit  ihm  mischt,  und  nun  Magen- 
saft, Succus  gastrieus,  genannt  wird.  Das  zwischen  Wand  und  Kern 
der  Labzellen  befindliche,  klare  oder  kömchenreiche  Fluidum, 
scheint  mit  dem  Labsafte  identisch  zu  sein.  Das  endliche  Schicksal 
der  Labzellen  besteht  im  Auflösen  oder  Bersten  derselben,  entweder 
während  der  Entleerung  der  Drüsen,  oder  nach  derselben.  Dadurch 
wird  ihr  flüssiger  Inhalt  frei,  imd  mischt  sich  mit  dem  Labsafte. 
Filtrirter  Magensaft,  der  keine  Labzellen  und  keine  Reste  derselben 
mehr  enthält,  verdaut  so  gut  wie  unfiltrirter. 

Ausser  den  Pepsindrüsen  besitzt  der  Magen  nach  Frey  ver- 
einzelt stehende  acinöse  Drüsen,  welche  ich  an  Injectionspräparaten 
der  Cardia  nie  vermisse.  He  nie  unterscheidet  die  am  Pylorustheile 
des  Magens  vorkommenden  Drüsen  von  den  eigentlichen  Pepsin- 
drttsen, auf  den  Grund  hin,  dass  die  ersteren  in  der  ganzen  Länge 
ihres  Schlauches  CylinderepitheUum  führen.  Er  rechnet  sie  eben- 
falls zu  den  Schleimdrtlsen.  —  Man  stösst  auch,  jedoch  nicht  con- 
stant,  hie  und  da  auf  vereinzelte  geschlossene  Follikel,  welche 
mit  jenen  des  Darmkanals  vollkommen  übereinstimmen,  und  deshalb 
hier  blos  namentlich  angefUhrt  zu  werden  brauchen. 

Die  Blutgefässe  der  Magenschleimhaut  zeigen  ein  interessan- 
tes Verhalten  zu  den  Pepsindrüsen.  Schon  im  submucösen  Binde- 
gewebe zerfallen  die  Arterien  in  feinste  Zweige,  welche  zwischen 
den  Schläuchen  der  Pepsindrüsen  senkrecht  aufsteigen,  und  sie 
mit  CapiUametzen  umspinnen.  An  den  Mündungen  der  Drüsen 
gehen  diese  Capillaren  in  ein  plötzlich  weites  Maschennetz  über, 
dessen  Maschen  Gruppen  jener  Mündungen  ringförmig  umschliessen, 
und  verhältnissmässig  weite  Venen  aus  sich  entspringen  lassen, 
welche,  zwischen  den  Drüsenschläuchen,  ohne  von  ihnen  noch 
weiter  Blut  aufzunehmen,  zum  submucösen  Bindegewebe  gerad- 
linig herabsteigen,  um  in  dessen  grössere  Venennetze  einzumünden. 

Die  Pepsindrüsen  entleeren  ihren  Inhalt  nur  während  der  Verdauung. 
Dass  die  Anhäufung  ihres  Inhaltes,  während  des  Nüchtemseins,  das  Gefühl  des 
Hungers  veranlasse,  ist  eine  willkürliche,  unbegründete  Annahme.  Wäre  dieses 
der  Fall,  so  müsste  man  in  der  Früh,  wo  der  Magen  am  längsten  leer  war,  den 
grössten  Hunger  haben.  —  Streift  man  die  innere  Fläche  eines  frischen  Magens 
mit  der  Messerschärfe  ab,  um  das  Secret  der  Magendrüschen  zu  erhalten,  und 
▼erdünnt  man  dieses  mit  angesäuertem  Wasser  (Salzsäure),  so  hat  man  sich 
künstlichen  Magensaft  bereitet,  der  zu  Verdauungsversuchen  extra  verUrictäum 
▼erwendet  werden  kann,  und  in  neuester  Zeit  auch  als  Heilmittel  Anwen- 
dung fand. 

Die  Bewegung  des  Magens,  Mottu  perittalHcus^  welche  durch  die  abwech- 
selnde Zusammenziehnng  seiner  Längen-  und  Kreisfasem  bewerkstelligt  wird, 
und  ▼on  der  Cardia  gegen  den  Pylorus   wurmfÖrmig  fortschreitest,   wirkt   darauf 


g.  968.    Dfinndarm.  621 

hin,  nach  und  nach  jedes  Theilchen  des  Mageninhaltes  mit  der  Schleimhaut,  und 
ihrem  Drüsensecret,  in  Berührung  zu  bringen,  und,  was  bereits  chymificirt  wurde, 
in  das  Duodenum  abzustreifen.  Stärkerer  Kraftäusserungen  ist  der  menschliche 
Magen  nicht  fähig.  Die  Kraft,  mit  welcher  beim  Erbrechen  die  Magencontenta 
ausgeworfen  werden,  hängt  nicht  von  der  Stärke  der  Muskelhaut  des  Magens, 
sondern  hauptsächlich  vom  Drucke  der  Bauchpresse  ab. 


§.  263.  Sünndariii. 

Der  Zwölffingerdarm  (Intestinum  duodenum)  besteht  aus 
drei,  mittelst  abgerundeter  Winkel  in  einander  übergehenden  Stücken^ 
welche  zusammen  eine  mehr  als  halbkreisförmige  Krümmung  um 
den  Kopf  des  Pankreas  bilden.  Das  obere  Querstück  geht  vom 
Pylorus  über  den  rechten  Lumbaltheil  des  Zwerchfells  quer  nach 
rechts,  beugt  in  das  vor  dem  inneren  Rande  der  rechten  Niere 
liegende  absteigende  Stück  um,  welches  in  das  untere  Quer- 
stück übergeht,  dessen  Richtung  eine  vor  der  Aorta  und  Vena 
Cava  ascendens,  schräg  nach  links  und  oben  gehende  ist.  Das  obere 
Querstück  besitzt  einen  vollkommenen  Peritonealüberzug;  —  das 
absteigende  Stück  nur  an  seiner  vorderen  Fläche;  —  das  untere 
Querstück  liegt  zwischen  beiden  Blättern  des  queren  Grimmdarm- 
gekröses eingeschlossen.  —  Die  Länge  des  Zwölffingerdarms  misst 
zwölf  Daumenbreiten,  woher  sein  Name  stammt  (3(i>Se)caSixTuXov). 

Prof.  Treitz  entdeckte  einen  constanten,  eigenen  Muskel  am  Zwölffinger- 
darm, welchen  er  Musculus  sutpensorius  duodeni  nannte.  Er  geht  aus  dem  dichten 
Bindegewebe  hervor,  welches  die  Ursprünge  der  Arteria  coeliaca  und  meserUeriea 
auperior  umgiebt,  und  verliert  sich  in  dem  longitudinalen  Muskelstratum  des 
Zwölffingerdarmes  in  der  Gegend  der  unteren  Krümmung  (Prager  Vierteijahrs- 
schrift,  1853,  1.  Bd.  pag.  113).  Der  Muskel  wurde  aller  Orten  bestätigt. 

Der  Leer-  und  Krummdarm  (Intestinum  jejunum  et  ileum) 
bilden  zusammen  ein  circa  15  Fuss  langes,  gleichweites  Rohr,  wel- 
ches, um  in  der  Bauch-  und  Beckenhöhle  Platz  zu  finden,  sich  in 
viele  Schlingen  legen  muss.  Bei  der  Abwesenheit  einer  scharfen 
Grenze  zwischen  Jejunum  und  Ileum,  rechnet  man  Yj  der  Ge- 
sammtlänge  beider  auf  das  Jejunum,  Y5  auf  das  Ileum.  Das  Schlin- 
genconvolut  des  vereinigten  Leer-  imd  Krummdarms  nimmt  die 
mittlere,  die  untere  und  die  seitlichen  Gegenden  der  Bauchhöhle 
ein,  und  lässt  bei  leerer  Harnblase  seine  untersten  Schlingen  bis  in 
die  kleine  Beckenhöhle  herabhängen. 

Leer-  und  Krummdarm  werden   durch   eine  grosse  Bauchfell- 
falte,  das  Dünndarmgekröse   (Mesenterium)  an  der  Wirbelsäule 
aufgehangen.    Der  Beginn  dieser  Falte  (Radix  m^senterii)  haftet  aa 
der   Lendenwirbelsäule,  wo    er   schief   vom   zweiten  Lend 
zur  rechten  Symphysis  8acr(h4Uaea  herabsteigt   T« 


622?  §•  ^^'    Spttcielltf  Bvtrachtnng  der  Dännd)urin«uhleimhaat. 

Dünndarm  wird  die  Falte  immer  breiter,  so  dass  sie  einem  Dreiecke 
gleicht;  dessen  abgeschnittene  Spitze  an  der  Wirbelsäule  ^  dessen 
breite  Basis  am  Dtlnndarm  liegt.  Da  der  Dünndarm  viele  Krüm- 
mungen macht,  so  muss  sich  das  Mesenterium  ebenfalls  wie  ein 
Jabot  (Halskrause)  in  Falten  legen,  und  erhielt  deshalb  den  Namen 
des  Gekröses  (Gekrause).  Je  weiter  die  Dünndarm  schlingen  von 
der  Wirbelsäule  entfernt  liegen,  desto  länger  muss  das  Mesenterium 
werden,  und  desto  freier  gebärdet  sich  die  Beweglichkeit  des 
Darmes. 

Wenn  man  das  ganze  Bündel  der  Dünndarmscblingen  mit  den  Händen 
znsammenfasat  und  aufhebt,  kann  man  das  Mesenterium  wie  einen  Fächer  oder 
Wedel  bin  und  her  bewegen,  und  es  versteht  sich  daraus,  dass  der  Dünndarm 
mit  jeder  Aenderung  der  Körperlage  auch  seine  eigene  Lage  ändern  muss.  Die 
grösste  Entfernung  von  der  Wirbelsäule,  und  somit  die  grösste  Volubilität,  hat 
die  letzte,  im  kleinen  Becken  liegende  Schlinge  des  Dünndarmes,  in  einer  Ent- 
fernung von  sechs  Zoll  vom  Blinddarm.  Diese  Darmschlinge  wird  deshalb  auch 
am  häufigsten  sich  in  Schenkel-  und  Leistenbrüche  vordrängen. 

Die  Peritoneal-  und  Muskelhaut  des  dünnen  Darmes  gleichen 
jener  des  Magens.  Letztere  wird  aus  einer  äusseren  longitudinalen, 
und  einer  inneren  Ereisfaserschicht  zusammengesetzt.  Die  Schleim- 
haut besteht  aus  einer  zunächst  unter  dem  Cylinderepithelium  gele- 
genen, sehr  dünnen,  structurlosen  Membran.  Unter  dieser  folgt  ein 
Stratum  von  feinstem,  netzförmigem  Bindegewebe  (als  eigentliche 
Schleimhaut)  mit  Kernen  an  seinen  Knotenpunkten,  und  allenthal- 
ben in  seinen  Maschen  zahlreiche,  den  Lymphkörperchen  gleichzustel- 
lende Gebilde  enthaltend.  An  dieses  Stratum. schliesst  sich  die  orga- 
nische Muskelschicht  der  Schleimhaut  an,  worauf  das  submucöse 
Bindegewebe  folgt,  welches  sich  nur  an  gewissen  Stellen,  wo  Drü- 
sen in  der  Schleimhaut  vorkommen,  zu  einer  bedeutenderen  Dicke 
entwickelt. 


§.  2f)4.  Specielle  Betrachtung  der  Dünndannschleimhaut. 

Die  Schleimhaut  des  dünnen  Gedärmes  ist  einer  ausführlicheren 
Betrachtung  werth.  Ihre  Attribute,  als  Falten,  Zotten,  und  Drü- 
sen, sollen  deshalb  einzeln  zur  Sprache  kommen. 

/.  Falten. 

Sie  finden  sich  1.  als  Querfalten,  Valvulae  comdventes  Ker- 
hringüf  vom  absteigenden  Stücke  des  Zwölffingerdarms  angefangen, 
bis  zum  Blinddarme  hin.  Im  Zwölffingerdarme  stehen  sie  enger  an 
einander  als  im  Leer-  und  ELrummdarme,  so  dass  bei  der  hän- 
genden   Lage    derselben,    der   Rand    einer    obem    Falto    die    Basis 


$.  S64.  Spedelle  Betrachtc^ng  der  DftnndarmiehleimhMt.  623 

der  nächst  unteren .  deckt,  imd  alle  Falten  somit  dachziegelförmig 
übereinander  reichen.  Je  weiter  vom  Zwölffingerdarme  entfernt^ 
desto  niedriger  werden  die  Falten  und  rücken  zugleich  weiter  aus- 
einander,  so  dass  sie  sich  im  Krummdarme  nicht  mehr  imhnaitim 
decken.  Sie  umkreisen  nie  ringförmig  die  ganze  Peripherie  des 
DarmrohrSy  sondern  höchstens  drei  Viertheile  derselben.  Als  reine 
Schleimhautduplicaturen  schliessen  sie  keine  Antheile  der  Muskelhaut 
des  Darmes  in  sich  ein.  2.  Eine  Längenfalte  (eigentlich  ein  kurzer 
Längenwulst)  findet  sich  nahe  am  inneren  Rande  der  hinteren  Wand 
des  absteigenden  Stücks  des  Zwölffingerdarmes.  Sie  kommt  dadurch 
zu  Stande,  dass  der  gemeinschaftliche  Gallengang,  bevor  er  in 
dieses  Darmstück  einmündet,  eine  Strecke  weit  zwischen  Muskel- 
und  Schleimhaut  nach  abwärts  läuft,  und  dadurch  die  letztere  zu 
einem  Wulst  aufwölbt.  Am  unteren  Ende  dieses  Wulstes  mündet 
der  gemeinschaftliche  Gallengang,  und  der  mit  ihm  sich  verbin- 
dende Ausfuhrungsgang  der  Bauchspeicheldrüse.  3.  Am  Eintritte  des 
Krummdarms  in  den  Blinddarm  bildet  die  Schleimhaut  eine  doppel- 
lippige  Klappe,  die  Blinddarmklappe  (Valvula  coli,  s.  Faüopiae, 
8.  Tfdpii,  8.  Baukini),  welche,  wie  das  Kotherbrechen  beweist,  den 
Rücktritt  der  Fäcalmassen  aus  dem  Dickdarm  in  den  Dünndarm 
nicht  zu  hindern  vermag.  Sie  enthält  Muskelfasern,  deren  Richtimg 
jener  des  freien  Randes  der  beiden  Klappenlippen  entspricht.  Die 
ELlappe  wird  gewöhnlich  als  Einschiebung  (Invagination)  der  Schleim-, 
Zell-  und  Kreismuskelschichte  des  Dünndarmes  in  die  Höhle  des 
Dickdarmes  betrachtet.  Die  Längsmuskelschichte  und  der  Bauch- 
fellüberzug gehen  schlicht  und  ungefaltet  über  die  Einschiebungs- 
stcUe  der  drei  genannten  Häute  weg,  so  dass  ein  Kreisschnitt  um 
sie  herum  geführt,  und  Ziehen  am  Krummdarme,  die  Klappe  fast 
ganz  verschwinden  machen  kann. 

An  aufgeblaseuen  und  getrockneten  Präparaten  der  Uebergangsstelle  des 
Dünndarms  in  den  Dickdarm,  zeigt  es  sich,  dass  die  zwei  Lippen  der  Klappe 
fast  transversal  liegen,  etwas  gegeneinander  convergiren,  und  dadurch  einen 
querliegenden,  trichterförmigen  Raum  bilden,  dessen  Basis  dem  Krummdarme, 
und  dessen  lanzettförmige  Oeffnung  dem  Grimmdarme  zugewendet  ist.  Man  sieht 
aber  auch  zugleich,  dass  die  untere  Lippe  der  Blinddarmklappe,  durch  die  schief 
von  unten  nach  oben  nnd  aussen  erfolgende  Insertion  des  Ileum  in  das  Coecnm 
bedungen  wird,  —  die  obere  Lippe  dagegen  in  der  That  nur  die  erste  Plica 
sigmoidea  des  Colon  ascendens  darstellt  (§.  268).  Würde  das  Ileum  sich  nicht 
schief,  sondern  horizontal  in  das  Coecum  einpflanzen,  so  würde  sicher  auch  die 
untere  Lippe  der  Klappe  fehlen,  die  obere  aber  fortbestehen. 


2.   Zotten, 

Von  der    Vcdvula  pylori  bis   zur   Valvula  coli   sehen    wir    die 
Schleimhaut  des  Dünndarmes  mit  zablloseny  kleinen,  im  nüchternen 


624  §•  2^'    Sp«cielle  B«trftchiung  der  DAnndarmsehleimhaui. 

Zustande  platten,  im  geftülten  Zustande  mehr  gleichförmig  cylin- 
drischen,  oder  keulenförmigen  Flocken  besetzt,  welche,  wenn  man 
ein  Stück  Schleimhaut  unter  Wasser  bringt,  flottiren,  und  ihr  ein 
feinzottiges  Ansehen  verleihen.  Sie  sind  die  thätigsten  Organe  der 
Absorption  des  aus  dem  Chymus  ausgeschiedenen  nahrhaften  Speisen- 
Extracts,  des  Chylus,  und  werden  Darmzotten,  Villi  intestinales,  ge- 
nannt. Im  oberen  QuerstUck  des  Duodenum  scheinen  sie  in  so  ferne 
zu  fehlen,  als  die  Schleimhaut  daselbst  nur  faltenförmige  Aufwürfe 
zeigt,  welche  man  sich  aber  aus  der  Verschmelzung  einer  Reihe  von 
Zotten  hervorgegangen  denken  mag.  Im  absteigenden  und  unteren 
Querstücke  des  Duodenum,  so  wie  im  Anfang  des  Jejunum  erschei- 
nen sie  am  breitesten,  nehmen  im  Verlaufe  des  Dünndarmes  bis 
zum  Ende  desselben  an  Höhe  und  Breite  ab,  sind  aber  selbst  an  der 
oberen  Fläche  der  untern  Lippe  der  Valvula  coli  noch  nicht  ganz 
verschwimden.  Nach  Krause's  Schätzung  kann  ihre  Gesammtmenge 
vier  Millionen  betragen.  Man  ist  selbst  so  liberal,  noch  sechs  MiUio- 
nen  hinzuzugeben.  Das  macht  dann  zehn. 

Jede  Zotte  ist  eine  wahre  Verlängerung  oder  Erhebung  der 
Dünndarmschleimhaut,  und  besteht  demgemäss  aus  allen  Elementen 
der  letzteren:  Cylinderepithel,  structurlose  Haut  (Basement  Mem- 
brane)y  Bindegewebe,  Blutgefässe,  (welche  ein  hart  unter  der  struc- 
turlosen  Haut  der  Zotte  hegendes  Capillargefässnetz  bilden)  glatte 
Muskelfasern  (mit  prävalirender  Längenrichtimg)  und  endlich  noch, 
als  das  wichtigste  Ingrediens  im  Zottenbau,  ein  einfaches  oder 
mehrere  Lymphgefksse.  Einfache  Lymphgefässe  sind  keulenförmig, 
mehrfache  dagegen  gehen,  gegen  die  Zottenspitze  zu,  schUngen- 
förmig  in  einander  über. 

Zu  einer  g^ewissen  Zeit  des  Embryolebens  ^ebt  es  keine  Zotten,  sondern 
nur  longitudinale  Fältchen  im  Darmkanal.  Die  Zotten  entstehen  erst  aus  diesen 
Schleimhautfalten,  welche  vom  freien  Rande  aus  immer  tiefer  und  tiefer  einge- 
kerbt werden,  und  dadurch  in  eine  Folge  von  Zotten  zerfallen.  Im  obern  Quer- 
stück des  Duodenum  perennirt  die  longitudinale  Faltenbildung,  und  macht  nur 
durch  Kerbung  ihres  freien  Randes  Anstalt  zum  Zerfallen  in  wahre  Zotten. 

3,   Drüsen. 

Der  Dünndarm  ist  reich  an  Drüsen.  Vier  Formen  derselben 
kommen  vor. 

a)  Die  Lieberkühn'schen  Krypten  verhalten  sich  zur 
Darmschleimhaut,  wie  die  Pepsindrüsen  zur  Magenschleimhaut.  Sie 
sind  wie  diese,  einfache  tubul()se  Drüsen,  und  zwar  die  kleinsten 
dieser  Art,  welche  wir  im  menschlichen  Leibe  kenneu.  Sie  gelten 
für  die  Secretionsorgane  des  Darmsaftes,  Succus  entei^icus.  Das  Cylin- 
derepithel des  Darmkanals  bekleidet  die  secernirende  Fläche  der- 
selben, jedoch   nicht    ganz    bis  auf  das  blinde    Ende  des   Drüsen- 


% 


§.  264.  Speciellu  Betraehiang  der  Danndurmschleimhaui.  625 


Schlauches  hinab.  Ihre  Mündungen  werden  in  den  Zwischenräumen 
der  Basen  der  Darmzotten  gesehen.  Sie  kommen  grösser  und  zahl- 
reicher auch  im  Dickdarme  vor. 

b.  Die  Brunner'schen  oder  Brunn'schen  Drüsen  bilden 
im  Anfangsstücke  des  Duodenum  ein  fast  continuirliches  Drüsen- 
stratum  der  Mucosa,  rücken  aber  im  weiteren  Verlaufe  dieses 
Darmstückes  auseinander,  und  verlieren  sich  am  Ende  desselben 
gänzlich.  Sie  haben  acinösen  Bau.  Ihre  Grösse  schwankt  zwischen 
V2'" — r"  Durchmesser.  Ihre  kurzen,  mit  Pflasterepithel  bekleideten 
Ausführungsgänge  durchbohren  die  Schleimhaut  schief.  Ihr  alka- 
linisches  Secret  gleicht  jenem  des  Pankreas.  Je  kleiner  das  Pankreas, 
desto  zahlreicher  werden  diese  Drüsen  angetroffen. 

Brnnner  und  Brnnn  sind  Eine  Person,  —  jene  des  Entdeckers  dieser 
Drüsen  —  eines  ehrlichen  Plebejer's,  Namens  Brunner,  1687.  —  Derselbe 
wurde  aber  vom  Pfalzgrafen  zu  Rhein  mit  dem  Prädicate :  v.  Hammerstein 
geadelt  Er  hiess,  seit  dieser  Standeserhebung,  am  Hofe  des  deutschen,  fran- 
zösischen Ton,  Sitte  (und  Unsitte)  nachäffenden  Duodezfürsten,  Chevalier  le 
Brun,  und  so  wurden  denn  auch  die  Brunner^schen  Drüsen  zu  Brunn'schen  Drüsen. 

c.  Die  solitären,  geschlossenen  Follikel  finden  sich 
durch  das  ganze  Gedärme.  Ihre  Menge,  ihre  Grösse,  weniger  ihre 
Form,  unterliegen  der  grössten  Unbeständigkeit.  Sie  ragen  tief  in 
das  hier  verdickte  submucöse  Bindegewebe  hinein.  Man  Hess  sie 
bis  auf  die  neueste  Zeit  von  einer  Membran  gebildet  werden,  welche 
ein  Fachwerk  gef&ssführenden  Bindegewebes  umschliesst.  In  diesem 
Fachwerk  hausen,  nebst  einer  klaren  Flüssigkeit,  Haufen  zahlreicher, 
in  allen  Eigenschaften  den  Lymphkörperchen  (§.  65)  ebenbürtige 
Gebilde.  Jeder  Follikel  wölbt  die  darüber  wegziehende  Schleimhaut 
etwas  auf.  Die  dadurch  gegebenen  Hügelchen  der  Schleimhaut 
fahren,  wenn  sie  grösser  sind,  keine  Zotten.  Auf  kleinen  derartigen 
Schleimhauthügeln  pflegen  sie  nicht  zu  fehlen.  He  nie  verwarf  nun 
die  Umhüllungsmembran  der  Follikel,  und  lässt  das  blutgefksshältige 
Fachwerk  derselben  durch  Zerfaserung,  und  feinste  Vernetzung  des 
Bindegewebstroma  der  Schleimhaut  selbst  entstehen,  nicht  aber  von 
einer  dem  Follikel  eigenen  Wand  ausgehen.  In  den  Lücken  dieses 
Fachwerkes  liegen  die  erwähnten  Haufen  von  Lymphkörperchen, 
wie  denn  auch  solche  Lymphkörperchen  vereinzelt  oder  zu  mehre- 
ren, im  Bindegewebstroma  der  Darmzotten,  und  der  gesammten 
Dünn-  und  Dickdarmschleimhaut  (in  letzterer  weniger  zahlreich) 
angetroffen  werden.  Gegen  das  Centrum  des  Follikels  hin  kann  das 
Balkenwerk  so  schütter  werden,  dass  ein  grösserer  oder  kleinerer 
Theil  des  Centrums,  der  Balken  gänzlich  verlustig  geht.  Die  Folli- 
kel wären  demnach  keine  Follikel,  sondern  wandlose  Depots  von 
Lymphkörperchen  im  Bindegewebstroma  der  Schleimhaut.  In  der 
Schleimhaut  von  Chpleraleichen  ersohemen  sie  in  wahrhaft  unge- 
heurer Menge^  und  von  Hiri^  ^*'' 

HyrtU  Lthrbneh  der 


626  S'  S^'  tTeber  die  Fnf«,  wSe  die  Lymplifeasse  in  den  Damzotteii  entitpriiigeii. 

d.  Die  Peyer'schen  Drtisengruppen  {Agmina  8.  Insulae 
Peyerij  Plaques  der  französischen  Anatomen)  sind  nur  Flächenanhäu- 
fhngen  solitärer  Follikel,  deren  Bau  sich  hier  ganz  auf  dieselbe  Weise 
wiederholt.  Sie  finden  sich  in  der  Regel  nur  im  Ileum,  und  nur  an 
jenen  Stellen,  welche  der  Anheftungsstelle  des  Mesenterium  gegen- 
überliegen. Eine  variable  Anzahl  solcher  Follikel  (20—80,  aus- 
nahmsweise selbst  noch  mehr),  lagert  sich  der  Fläche  nach  neben 
einander,  und  associirt  sich  zu  Gruppen  oder  Inseln,  welche  meistens 
von  einem  etwas  aufgeworfenen  Schleimhautsaum  umrandet  werden. 
Die  zwischen  den  einzelnen  Follikeln  befindliche  Schleimhaut  führt 
Zotten.  —  Die  Peyer'schen  Drtlsengruppen  können  öfter  schon 
bei  äusserer  Besichtigung  des  Darmes,  einer  leichten  Wölbung  der 
Darmfläche,  oder  anderer  Färbimg  wegen,  erkannt  werden.  Der 
Längendurchmesser  einer  Gruppe  streicht  immer  nach  der  Länge 
des  Darmes. 

Die  solitären  und  aggregrirten  geschlossenen  Follikel  unterliegen  sehr  oft, 
anter  pathologischen  Bedingungen,  einer  Erosion  von  der  Darmhöhle  her,  wo- 
durch sie  zackige  oder  scharfgerandete  Oeffnungen  erhalten,  deren  häu6ges  Vor- 
kommen in  der  Leiche,  sie  lange  Zeit  für  die  normalen  Oeffnungen  dieser  beiden 
Drüaengattungen  nehmen  Hess. 

§.  265.    TJeber  die  Frage,  wie  die  Lymphgefässe  in  den 

Sannzotten  entspringen. 

Lieb  erkühn  nahm  in  jeder  Zotte  eine  Höhle  an,  die  an 
der  Spitze  der  Zotte  eine  OefFnung  besitzen,  und  an  der  Basis  der- 
selben mit  einem  Lymphgefässe  in  Verbindimg  stehen  soll.  Dies 
ist  die  Ampitlla  Lieherkuehviana,  ^Ramusculus  vasis  lactei  extendihtr 
in  ampnllvlam  s.  vesiculamy  ovo  haud  absimilemj  in  cujus  apice  fora- 
minulum  quoddam  exiguum  microscopio  detegitur.^  Es  würden  somit 
die  Lymphgefässe  offen,  wie  die  Puncta  Ixicrymalia  der  Thränen- 
röhrchen,  beginnen.  Die  offenen  Mündungen  wurden  von  Hewson 
bestritten,  und  von  Fohmann  bleibend  widerlegt.  Die  Existenz  der 
centralen  Höhle  aber,  und  zwar  einer  Höhle  mit  selbstständiger,  nicht 
vom  Zottenparenchym  gebildeter  Wand  (also  eines  Axenkanals  der 
Zotte),  wurde  nicht  aufgegeben.  Henle  erklärt  sich  ftlr  eine  ein- 
fache, zuweilen  an  der  Zottenspitze  kolbig  erweiterte  Centralhöhle 
in  den  fadenförmigen  Zotten,  als  blinder  Ausläufer  eines  in  der 
Darmschleimhaut  eingelagerten  Lymphgeftlssnetzes.  Breitere  Zotten 
sollen  ein  einfaches,  blind  an  dem  einen  Rande  der  Zotte  begin- 
nendes, bogenförmig  längs  dem  Saume  der  Zotte  hinziehendes,  und 
am  anderen  Rande  der  Zotte  in  die  Schleimhaut  eingehendes  Lymph- 
gefäss  besitzen,  oder  jedem  Zottenrande  ein  eigenes,  blind  begin- 
nendes, und  rankenfbrmig  gekrünmites  Lymphgeßiss  zukommen. 


S.  865.    üeber  die  Frage,  wie  die  Lymphgefässe  in  den  DarmxoUen  entspringen.  627 

Valentin  spricht  sich  ftlr  einen  netzförmigen  Ursprung  der 
Lymphgefksse  in  den  Zotten  aus,  und  fand  in  C.  H.  Weber,  Kuhn, 
und  Zen'ker  Anhänger.  Köliiker  lässt  die  Frage  für  den  Men- 
schen unentschieden,  behauptet  jedoch  auf  das  Bestimmteste,  dass 
bei  Thieren  mitten  durch  die  Axe  der  Zotte  ein  einfaches,  mit 
einem  blinden  und  erweiterten  Ende  beginnendes  Lymphgefäss  ver- 
läuft.  Ebenso  Ecker,  Frey,  und  Donders.  —  So  weit  die  Auto- 
ritäten. Die  Dil  minorum  gentium  huldigen  diesen  oder  jenen.  Da 
kam  Teichmann's  ausgezeichnete  Arbeit  (Das  Saugadersystem, 
Leipzig,  1861).  Dasselbe  lehrte  die  bisher  f(ir  unmöglich  gehaltenen 
Injectionen  der  Lymphgef^sse  in  den  Zotten  des  Menschen  mit  ge- 
färbten Massen.  Teichmann's  Injectionen  haben,  nach  Verschie- 
denheit der  Form  der  Zotten,  theils  ein  einfaches  lymphatisches 
Axengefäss,  theils  einfache  Schlingen  mit  auf-  und  absteigendem 
Schenkel,  theils  Schlingen  mit  Queranastomosen,  theils  communi- 
cirende  Schiingenaggregate  in  den  Zotten  nachgewiesen,  mit  einer 
Sicherheit,  welche  nur  die  vollendetste  Injectionstechnik  gewähren 
kann.  Dieser  Technik  mögen  sich  Alle  befleissigen,  welche  sich  zu 
Sprechern  über  eines  der  schwierigsten  Argumente  der  Histologie 
berufen  fühlen.  Ich  habe  nur  zu  bemerken,  dass  auch  die  Ansicht 
der  TeichmannWien  Injectionen  den  eigenthchen  Knotenpunkt 
der  Sache,  ob  nämUch  die  mit  Injectionsmasse  gefüllten  Lymph- 
gefässe  eigene  Wandungen  besitzen  oder  nicht,  unentschieden  lässt ; 
denn  auch  in  Räumen,  welche  keine  eigene  Wandimg  haben,  wird 
sich  die  Injectionsmasse  halten,  und  sie  als  Canäle  (Gef^se)  er- 
scheinen lassen,  wenn  nur  die  den  Raum  umgebenden  Gebilde  so 
angeordnet  sind,  dass  sie  diesen  Raum  allseitig  begrenzen.  Ausführ- 
lich handelt  über  diese  Frage  L.  Auerbach  in  Virchow's  Arch. 
33.  Bd. 

Nach  Brücke  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akademie.  Dec.  1852,  J&n- 
ner  1853)  besitzen  die  Zotten  und  die  eigentliche  Mucosa  des  Darmes  gar  keine 
Lytnphgefässe.  Letztere  beginnen  erst  in  der  Muskelschichte  der  Schleimhaut 
mit  offenen  Mündungen.  Der  zu  absorbirende  Chylus  durchdringt  das  ganze  Ge- 
webe der  Zotten  und  der  Schleimhaut,  bis  ihn  sein  gutes  Geschick  in  die  offenen 
Mäuler  der  LymphgeÜLsse  führt  Wie  es  hergeht,  dass  der  Chylus  gerade  in  die 
Oeffnungen  der  LymphgefSase  trifft,  und  in  den  allerwärts  mit  einander  commu- 
nicirenden  Bindegewebs-Interstitien  der  Schleimhaut,  seine  Irrfahrten  nicht  weiter, 
bis  in  die  Steppen  des  Mesenterium  ausdehnt,  bleibt  den  Vorstellungen  Jener 
überlassen,  welche  sich  hierüber  welche  bilden  können. 

Eine  eben  so  wichtige  Rolle,  wie  die  Saugadem,  spielen  die  Venen  der 
Zotten  bei  der  Absorption.  Der  Antheil,  welchen  sie  hiebei  haben,  ist  durch 
Versuche  constatirt.  (Müller*»  Physiol.  1.  Bd.,  V.  Cap.)  Die  Zottenvene  ent- 
steht nicht  durch  Umbeugen  der  Enden  der  Capillararterien  auf  der  Zottenspitze 
in  ein  centrales  Stämmchen,  sondern  bildet  sich  aus  einem  oberflächlichen,  dicht 
unter  der  structurlosen  Schicht  der  Zotte  gelegenen  Capillargefässnetz  hervor 
Sie  ist  verhältnissmässig  zur  Feinheit  des  C««SUä«-  — »^   4^rk.    Ans  jeder 


628         S'  MA.  7«rlialt«m  d.  L7mphg«fttM,  «te.  —  (.  S67.  üeb«r  du  QfUiidervpitliel  d.  Dfliindftrms. 

Zotte  fahrt  nur  Eine  Vene  ab.    Zuführende  Arterien  finden  rieh  1 — 4,  je  nach 
dem  Caliber  der  Zotte. 


§.  266.   Yerhalteii  der   Lymphgefässe  zu  den  solitaren  und 
aggregirten  PoUikeln  der  Darmschleimliaut. 

Wenn  man  es  fCtr  einen  anatomischen  Charakter  der  Lymph- 
drtlsen  erklären  möchte,  dass  sie  weder  zu-  noch  abführende  Lymph> 
gefässe  besitzen,  so  könnten  die  solitaren  Follikel  imd  die  Peyer'- 
sehen  Drüsen  des  Darmkanals  allerdings  zu  den  Lymphdrüsen 
gestellt  werden.  Diese  Stellung  wurde  ihnen  auch  von  Brücke 
angewiesen.  Der  Inhalt  der  genannten  Drüsen  stimmt  ja  mit  den 
Lymphkörperchen  zusammen.  Wenn  man  aber  unter  Lymphdrüsen 
solche  versteht;  denen  durch  Lymphgefässe  Lymphe  zu-  und  ab- 
geAihrt  wird,  so  miLssen  die  beiden  genannten  Arten  von  Drüsen 
etwas  anderes  als  Lymphdrüsen  sein,  da  sie  bei  der  gelungensten 
und  reichsten  Füllung  der  Lymphgefässe  der  Darmschleimhaut,  wie 
man  sie  an  den  Teich  man  naschen  Präparaten  bewimdert,  ganz 
und  gar  leer  bleiben.  Was  sie  sind,  lässt  sich  zur  Zeit  nicht  sagen, 
und  deshalb  on  se  paie  de  mots.  He  nie  sagt  es  ehrlich  heraus:  „zu 
einem  Ausspruch  über  die  physiologische  Bedeutung  der  conglobir- 
ten  Drüsen  (solitäre  und  gruppirte  Follikel)  fehlen  uns  alle  Anhalts- 
punkte.^'  Dass  sie  keine  Drüsen  sind,  zeigte  §.  264. 

Man  schrieb  den  Ljmphdrflsen  die  Bestimmung  zu,  Lymphkörperchen  za 
erzeugen.  Da  nun  Ljmphkörperchen  sich  in  den  geschlossenen  Follikeln  in 
grosser  Menge  vorfinden,  verdient  ihre  Erhebung  zu  Lymphdrüsen  mehr  Ent- 
schuldigung als  Rüge,  denn  eine  Prämisse  des  Schiasses  ist  richtig.  Die  Lymph> 
drüsen  können  aber  nicht  die  ausschliessliche  Erzeugungsstätte  der  Lymphkör- 
perchen sein,  da  letztere  selbst  in  dem  Inhalte  solcher  Lymphgefässe  gefunden 
werden,  welche  noch  durch  keine  Lymphdrüse  passirten.  Man  kann  sich  femer 
eine  Lymphdrüse  nur  als  ein  zur  Aufsaugung  in  besonderer  Beziehung  stehendes 
Organ  denken.  Die  Aufsaugping  des  Chylus  aus  dem  Darmkaual  nimmt  aber  mit 
der  abnehmenden  Menge  der  Zotten  im  Verlaufe  des  Dünndarmes  an  Intensität 
ab,  während  die  grössten  Massenanhäufungen  geschlossener  Follikel,  als  Peyer  sehe 
Drüsen,  gerade  an  das  Ende  des  Dünndarmes  verwiesen  sind. 


§.  267.  Ueber  das  Cylinderepithel  des  Dünndanns. 

Das  Cylinderepithel  des  Dünndarms  ist,  wie  jenes  des  Dick- 
darms, ein  einschichtiges.  Seine  pallisadenartig  dicht  aneinander  ge- 
reihten Zellen,  weichen  aber  dadurch  von  der  Cylinderform  ab, 
dass  ihre  freie  Fläche  die  aufsitzende  an  Breite  übertriift,  ihre  Ge- 
stalt somit  bimförmig  oder  kegelförmig  wird.  Sie  enthalten  sämmt- 
lich  einen  grossen  ovalen  Kern,  welcher  aber  nicht  bei  allen  Zellen 


§.  267.  Ueber  daa  Qjrlinderepithel  de«  Dflnndarms.  g29 

• 

in  gleicher  Höhe  liegt.  Der  bimfbrmigen  Gestalt  der  Zellen  wegen, 
mu88  68  zwischen  ihnen  zu  dreieckigen  Hohlräumen  kommen,  welche 
von  kernhaltigen  rundlichen  Zellen  eingenommen  werden,  in  denen 
man  theils  junge  Ersatzzellen  für  abgestossene  ältere,  theils  Lymph- 
körperchen  zu  erkennen  glaubte.  Während  der  Verdauung  findet 
man  die  Zellen  des  Cylinderepithels  mit  Fettmolekülen  gefüllt,  welche 
theils  zerstreut,  theils  linien-  und  netzförmig  angereiht,  vorkommen, 
theils  zu  grösseren  Fetttropfen  zusammenfliessen. 

Während  der  Verdauungsact  im  Dünndarm  abläuft,  erhalten 
die  Zotten  und  ihre  Epithelialzellen,  durch  Aufnahme  des  Chylus 
ein  ganz  eigenthümliches  Ansehen,  dessen  Deutung  und  Zurückfüh- 
rung  auf  besondere  Structurverhältnisse  der  Zotten  und  ihres  epi- 
thelialen Ueberzuges,  eine  Unzahl  von  Interpretationen  in  den  diver- 
girendsten  Richtungen  zu  Tage  förderte,  welche  aber  weder  einzeln, 
noch  zusammengenommen,  die  Leere  auszufüllen  im  Stande  sind, 
an  welcher  unsere  Kenntniss  über  den  Vorgang  der  Chylusabsorp- 
tion  leidet.  In  erster  Linie  mussten  an  den  Cylinderzellen  der  Zot- 
ten, welche  der  zu  absorbirende  Chylus  zuerst  zu  passiren  hat, 
Einrichtimgen  zur  Sprache  kommen,  welche  den  Durchgang  des 
Chylus  ermöglichen.  Hierauf  mussten  Wege  gefunden  werden,  welche 
den  Chylus  aus  dem  Bereiche  der  Epithelialzellen  in  die  Anfänge 
der  Chylusgeftlsse  (Lymphgefässe)  überführen.  Eine  kurze  Zusam- 
menstellung des  hierüber  Gesehenen  und  Gedachten  will  ich  hier 
versuchen,  sei  es  auch  nur  um  ^das  Witzwort  eines  französischen 
Collegen  zu  wiederholen,  la  science  exacte  du  microscopiste  ne  se  pique 
paa  d*  exactitvde. 

Man  hat  bis  auf  die  neueste  Zeit  die  Epithelialcylinder  der 
Darmzotten  für  vollkommen  geschlossen  gehalten,  mit  grossen  ova- 
len Kernen,  und  homogenem  halbflüssigem  Zelleninhalt.  Von  Brücke 
wurden  sie  zuerst  für  offen  erklärt,  indem  der  der  Darmhöhle  zu- 
gekehrte Theil  ihrer  Wand  fehlen  soll.  Was  Brücke  fehlen  liess, 
—  die  Schlusswand  der  Zelle,  —  sahen  Andere  als  verdickten,  die 
Zellenperipherie  selbst  überragenden  Saum,  und  beschrieben  in  ihm 
eine  mit  der  Längenaxe  der  Zelle  parallele  Streifung,  welche  K Ol- 
li ker  zuerst  für  Poren  erklärte.  (Solche  Streifimgen  finden  sich 
aber  auch  an  den  Deckeln  der  Cylinderzellen  in  vielen  anderen 
Schleimhäuten).  Von  Br  et  tau  er  und  Stein  ach  wurden  diese  Strei- 
fen nicht  als  Poren,  sondern  als  der  optische  Ausdruck  der  Zu- 
sammensetzung jenes  Saumes  aus  prismatischen,  von  einander  isolir- 
baren  Stäbchen  erkannt,  welche  die  oberflächlichste  Schichte  des 
Zelleninhaltes  bilden,  also  wieder  keine  Zellenwand  sind.  Im  nüch- 
ternen Zustande  soll  der  Saum  um  die  Hälfte  breiter  sein,  als  an 
den  durch  Chylusaufnahme  «^Aülf  — Ifüien  auch  die 

Streifung  des  Saumes  ^len 


630  ^    >«8.  INeUara 

sah  in  dieser  Straffiruug  unvollkommen  entwickelte;  nicht  zur  Frei- 
heit gelangte  Flimmerorgane,  Schiff  dagegen  eine  Art  von  Kau- 
organen. Nur  Lambl  erklärte  sie  ftlr  eine  Leichenerscheinung.  Tra- 
kU  8ua  quemque  voluntas.  Virchow  fand  auch  den  matten  körnigen 
Inhalt  der  Epithelialzellen  fein  gestreift,  imd  Donders  versichert, 
gefunden  zu  haben,  dass  feinste  Kömchenreihen,  den  Streifen  des 
Zellendeckels  entsprechend,  sich  von  der  freien  Wand  der  Zelle 
gegen  ihre  Basalwand  fortsetzen.  Dass  diese  Streifen  lineare  Aggre- 
gationen kleinster,  von  der  Zelle  aufgenommener  Chylusmoleküle 
in  wandlosen  Kanälen  sind,  wurde  blos  vermuthet,  von  Fried- 
reich aber  mit  Entschiedenheit  behauptet.  Am  weitesten  und  kühn- 
sten drang  Heidenhain  vor.  £r  lässt  die  Basen  der  Epithelial- 
cylinder  in  feinste  Fortsätze  auslaufen,  welche  Aeste  erzeugen,  um 
durch  diese  mit  den  im  Bindegewebstroma  der  Schleimhaut  ein- 
gestreuten Zellen  CBindegewebskörperchen)  in  Verband  zu  treten, 
so  dass  ein  fein  verzweigtes  Kanalsystem  zu  Stande  gebracht  wird, 
welches  von  den  Zellendeckeln  der  Epitlielialcjlinder  bis  in  die 
Mucosa  des  Darmes  reicht,  und  aus  welchem  die  Anfänge  der  be- 
wandeten  Chylusgef&sse  hervorgehen.  Man  hat  es  auch  versucht 
(Letzerich),  zwischen  den  Epithelialzellen  der  Zotten,  nach  der 
Darmhöhle  zu,  offene  Räume  anzunehmen  (Vacuolen),  welche  mit 
dem  absorbirenden  Kanalsysteme  im  Inneren  der  Zotten  in  Ver- 
bindung stehen  sollen.  —  Das  Ergebniss  aller  dieser  mikroskopi- 
schen Ausbeute  lautet  also  kurz:  wir  wissen  nicht,  welche  Wege 
der  Herr  dem  Chylus  bereitet  hat,  und  wie  er  aus  der  Höhle  des 
Darmes  in  das  Lymphgefäss  der  Zotte  gelangt.  Dieses  soll  uns 
jedoch  nicht  hindern,  das  Beste  noch  zu  erwarten. 

Sollte  es  einmal  zur  ErkcnntniM  der  Wahrheit  kommcu,  werden  alle  vor- 
ausgegangenen, wenn  auch  auf  Irrwege  gerathenen  Bestrebungen  mit  dem  Com- 
plimente  dankenswerthor  Vorarbeiten,  ad  acta  gelegt  sein.  So  wird  das 
Grelle  einer  scheinbaren  GeringschXtzang,  welche  man  aus  diesen  Worten  her- 
aoszolesen  Neigung  verspüren  konnte,  etwas  abgeschwächt  Irren  ist  menschlich, 
und  nur  die  Absichtlichkeit  des  Irrens  stempelt  es  zum  Betrug,  —  ein  hässlich 
Ding,  welches  die  ehrlichen  Leute  der  Wissenschaft,  wie  die  Spartaner  den 
Vatermord,  gar  nicht  kennen  sollen. 

Untersuchungen  des  Darmepithels  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Thieren 
verdanken  wir  Kolli k er  im  8.  Bde.  der  Würzburger  Verhandlungen.  Eine  Zu- 
sammenstellung alles  Bekannten  und  neuer  Vermuthungen  gab  E.  Wielen,  in 
der  Zeitschrift  für  w.  Med.  XIV.  Bd.  —  W.  Dönitz,  Arch.  für  Anat.  1864.  — 
Letzerich  in  Virchow^s  Arch.  1866. 


§.  268.  Dickdarm. 

Das  Endstück   des  Ileum,  welches   aus   der  kleinen   Becken- 
höhle zur  Fossa  lUaca  dextra  aufsteigt^  inserirt  sich    nicht  in    den 


S.  869.   Specielles  über  die  einzelnen  Schichten  des  Dickdnrmi.  631 

Anfang  des  dicken  Gedärmes^  sondern  etwas  darüber.  Das  unter 
die  Insertionsstelle  des  Ileum  herabragende  Stück  des  Dickdarmes 
heisst  Blinddarm  (Intestinum  coecum).  Es  verhält  sich  zum  Ileum 
so,  wie  der  Fundus  ventriculi  zum  Oesophagus.  Der  Blinddarm  liegt 
auf  der  Fascia  iliaca  dextra.  Ein  vom  unteren  Ende  seiner  inneren 
Gegend  ausgehender,  2^-3  Zoll  langer,  imd  in  die  kleine  Becken- 
höhle hinabhängender,  wurm  förmiger  Anhang  {Processus  vermi- 
cularis),  von  der  Dicke  einer  Federspule,  zeichnet  ihn  vor  dem 
übrigen  Dickdarm  aus.  Auf  den  Blinddarm  folgt  der  Grimmdarm 
(Colon),  welcher  als  Colon  ascendens  vor  der  rechten  Niere  bis  zur 
concaven  Fläche  der  Leber  aufsteigt,  dann  unter  der  Curvatura  ma- 
jor ventriculi  als  Colon  transversum  quer  nach  links  geht,  um  am 
imteren  Ende  der  Milz,  vor  der  linken  Niere,  wieder  als  Colon  de- 
scendens  nach  abwärts  zu  laufen,  imd  mittelst  der  Fleanira  sigmoidea 
s,  S  romanum  in  den  Mastdarm  überzugehen.  Dieser  letztere  zieht 
nur  bei  Thieren  ganz  gerade  (daher  der  Name  rectum)^  zum  After 
fort.  Im  Menschen  bildet  er  zwei  Krümmungen,  von  welchen  die 
obere,  nach  vom  concav,  von  der  linken  Symphysis  sacro-iliaca  an, 
der  Concavität  des  Kreuzbeins  folgt,  die  untere  kleinere  aber,  sich 
von  der  Steissbeinspitze  bis  zum  After  {Anu>s)  mit  vorderer  Conve- 
xität  erstreckt.  Die  obere  Mastdarmkrümmung  übertri£Ft  die  imtere 
an  Länge  nahezu  um  das  Vierfache. 

Der  Dickdarm  unterscheidet  sich  durch  seine  Weite,  seine 
Ausdehnbarkeit,  und  seine  vielfach  ausgebuchtete  Oberfläche  von 
dem  Dünndarm.  Die  Buchten  führen  den  Namen  der  Hav^stra,  und 
sind  durch  Einschnürungen  von  einander  abgesondert.  Die  Länge 
des  Dickdarms  misst  zwischen  4 — 5  Fuss.  Der  Wurmfortsatz  am 
Blinddarm  fehlt  bei  sehr  jimgen  Embryonen.  Er  bildet  sich  aber 
nicht  durch  Hervorsprossen  aus  dem  Blinddarm,  sondern  dadurch, 
dass  der  untere  Abschnitt  des  embryonischen  Blinddarms  nicht  mehr 
an  Umfang  zunimmt,  während  der  obere  fortfährt  zu  wachsen.  Der 
durch  Wachsthum  nicht  zunehmende  Abschnitt  des  Blinddarms  heisst 
Wurmfortsatz.  Nur  zwei  Säugethiere  besitzen  ihn:  der  Orang  und 
der  Wombat. 


§.  269.  Specielles  über  die  einzelnen  ScMchten  des  Dickdarms. 

Einen  vollständigen  Peritonealüberzug  besitzen  in  der 
Regel  nur  das  Coecum  und  dessen  Wurmfortsatz,  das  Colon  trans- 
versum, und  S  romanum.  An  den  übrigen  Stücken  des  Dickdarms 
bleibt  ein  grösserer  oder  geringerer  Theil  ihrer  hinteren  Fläche 
ohne  Bauchfellüberzug,  und  wird  durch  Bindegewebe  an  die  be- 
nachbarten Stellen    der  Bauch-   oder   Beckenwand  befestigt    Der 


6«5^  |.  169.  Sp«ciellea  über  die  einxtlneD  Schichten  des  Dieldam«. 

Mastdarm  verliert  vom  dritten  Kreuzwirbel  an^  wo  er  die  Fascia 
hypogastrica  durchbohrt,  seinen  Bauchfellüberzug  vollkommen.  Die 
Darmstücke  mit  unvollkommenen  Bauchfellüberzügen  können  dem 
Gesagten  zufolge  keine  wahren  Mesenterien,  d.  i.  doppelblätterige 
Aufhängebänder  besitzen.  Sie  werden  deshalb  auch  imverschiebbar 
seiti.  Nur  wenn  sich  diese  Darms tücke  bei  Relaxation  des  Binde- 
gewebes, welches  ihre  vom  Peritoneum  nicht  überzogene  Seite  an 
die  Bauchwand  heftet,  von  letzterer  entfernen  (was  jedesmal  ge- 
schehen muss,  wenn  sie  den*  Inhalt  eines  Leisten-  oder  Schenkel- 
bruches bilden),  ziehen  sie  das  Peritoneum  als  Falte  nach  sich, 
jedoch  ohne  dass  sich  die  beiden  Blätter  derselben  vollständig,  wie 
bei  dem  Mesenterium  des  Dünndarms,  an  einander  legten.  Man  kann 
insofern  nur  unrichtig  von  einem  Mesocolon  ascendens  et  descendens, 
und  Mesorectum  sprechen.  Dagegen  existirt  ein  Mesocolon  transversurnj 
ein  Mesenterium  curvaturae  sigmoideaey  und  ein  Mesenterium  processus 
vermicularis,  unter  denselben  Verhältnissen,  wie  das  Mesenterium 
am  Dünndarm.  Am  Colon  und  Rectum  finden  sich  noch  kleine, 
beuteiförmige,  mit  Fett  geflillte  Verlängerungen  des  Bauchfellüber- 
zuges, welche  Appendices  epiploicae  s.  Omentula  genannt  werden. 

Die  Muskelhaut  des  Dickdarms  schiebt  ihre  Längenfasem 
auf  drei  Stränge  zusammen,  welche  Fasciae,  auch  Taeniae  Valsal- 
vae,  oder  Ligamenta  coli  heissen.  Eine  Taenia  liegt  längs  der 
Anheftimgsstelle  des  Omentum  gastrocolicumj  am  Colon  transversum, 
die  zweite  am  Mesenterialrande,  und  die  dritte  ist  frei.  Sie  werden 
deshalb  als  Fascia  omeiitalis,  mesenterica,  und  libera  unterschieden. 
Am  S  romanum  und  am  Rectum  werden  diese  Fascien  so  breit, 
dass  sie  unter  einander  zusammenfliessen,  und  diese  Darmstücke 
somit  von  einer  fast  ununterbrochenen  musculösen  Längsfaserschicht 
umgeben  werden.  Die  longitudinaleu  Fasciae  s,  Taeniae  schieben 
den  Schlauch  des  dicken  Darmes  auf  eine  geringere  Länge  zu- 
sammen, verursachen  das  bauschige,  wie  zusammengeschoppte  An- 
sehen desselben,  und  somit  auch  die  Entstehung  der  oben  erwähnten 
Haustra  s.  Cellulae,  in  welchen  der  Koth  durch  Aufsaugung  seiner 
flüssigen  Bestandtheile  härter  wird,  und  sich  zu  ballen  anfängt.  Am 
Ende  des  Mastdarmes  bilden  die  durch  die  ganze  Länge  des  Dick- 
darms nur .  als  dünne  Schichte  vorkommenden  Kreisfasern  einen 
dichteren  Muskelring,  den  Sphincter  ani  internus,  welcher  den  After 
hermetisch  schliesst,  und  wenn  er  nachlässt,  durch  den  Sphincter  ani 
extemus,  der  ein  selbstständiger,  der  Willkür  gehorchender  Muskel 
ist,  auf  eine  gewisse  Dauer  vertreten  werden  kann. 

Wie    an    der    Speiseröhre    vermischen    sich    auch    am    unteren   Ende    des 
Rectum  animalische  Muskelfasern  mit  organischen. 

Die  Schleimhaut  des  dicken  Darmes  bildet  viele,  in  Ab- 
ständen  von    V2" — 1"    ^^^f  einandor   folgende  Falten  {Plicae  sigmoi- 


§.   »70.  Muskeln  des  Afters.  633 

deae)y  welche  gewöhnlich  von  einer  Taenia  zur  andern  reichen,  somit 
nicht  mehr  als  den  dritten  Theil  der  Peripherie  des  Darmes  ein- 
nehmen, und  mit  verschiedener  Höhe  (bis  72^0  ^^  ^^  Darmhöhle 
vorragen.  Man  kann  sie  nicht  mit  den  ValuiUis  conniventibus  des 
Dünndarmes  vergleichen,  da  sie  ihrer  Länge  entsprechende  An- 
theile  von  Ereismuskeln  enthalten,  welche  den  Schleimhautfalten  des 
dünnen  Gedärmes  abgehen.  Die  letzte  Plica  sigmoidea  steht  ohn- 
gefllhr  3  Zoll  über  der  Aftermündimg,  an  der  vorderen  und  zum 
Theil  an  der  rechten  Wand  des  Rectum.  —  Die  Dickdarmschleim- 
haut ist,  wie  jene  des  Dünndarms,  sehr  gefässreich,  besitzt  aber 
keine  Zotten.  Von  Drüsen  finden  sieh  nur  Lieberkflhn'sche  imd 
solitäre  Follikel  vor.  Letztere  übertreffen  jene  des  Dünndarms  an 
Grösse,  und  unterscheiden  sich  zugleich  dadurch  von  ihnen,  dass 
auf  der  Höhe  der  Schleimhauterhebimgen,  welche  der  Lage  der 
Follikel  entsprechen,  eine  grubige  Vertiefung  der  Schleimhaut  vor- 
kommt, welche  von  Böhm  irriger  Weise  fiir  die  Ausmündungs- 
öffnung der  Follikel  genommen  wurde.  Die  Lieberkflhn'schen  Drüsen 
des  Dickdarms  sind  wie  jene  des  Dtlnndarms  gebaut.  Sie  stehen 
durch  die  ganze  Länge  des  Dickdarms  (auch  des  Wurmfortsatzes) 
sehr  dicht  gedrängt  an  einander,  so  dass  sie  das  eigentliche  Binde- 
gewebstroma  der  Schleimhaut  in  ähnlicher  Weise  verdrängen,  wie 
es  von  den  Magendrüsen  bemerkt  wurde.  Ihre  Oeffhungen  geben 
der  Schleimhaut  ein  siebartig  durchlöchertes  Ansehen.  Jede  Oeffiiung 
wird  von  einer  capillaren  Gefässmasche  umkreist. 

Am  After  legt  sich  die  .Schleimhaut,  der  Schnürmuskeln  wegen, 
in  longitudinale  Falten  {Columnae  recttjy  zwischen  welchen  zuweilen 
Querfältchen  vorkommen.  Hiedurch  entstehen  die  als  Sintis  Morgagni 
bekannten  Buchten.  Fremde  Körper,  z.  B.  Nadeln,  Fischgräten, 
Knochensplitter,  welche  mit  den  Nahrungsmitteln  zufällig  verschluckt 
wurden,  können,  nachdem  sie  den  langen  Weg  durch  den  ganzen 
Verdauimgsschlauch  zurückgelegt  haben,  in  diesen  Buchten  des 
Afters  angehalten  werden,  und  das  Einschreiten  der  Kunsthilfe  noth- 
wendig  machen.  —  Die  gesammte  Dickdarmschleimhaut  führt  Cylin- 
derepithel,  deren  der  Darmhöhle  zugekehrte  Wand  eine  ähnliche 
Strafßrung  besitzt,  wie  sie  an  den  Epithelialzellen  des  Dünndarms 
beobachtet  wird. 

Eine  an  der  Mündung  des  Processus  vermicularis  vorfindliche  Schleimhant- 
falte wurde  von  Ger  lach  genauer  beachrieben.  (Abhandl.  der  Erlanger  phjs. 
Soc.  n). 

§.  270.  Muskeln  des  Afters. 

< 

Die  der  Willkür  unterworfenen  Muskeln  des  Afters  sind  der 
äussere  Schliessmuskel^   und  der  paarige  Hebemuskel  des  Afters. 


634  S*  2(1-    Cekrr  d«B  JSpkimHer  ami  tertitu. 

Der    unwillkürliche    innere    Schliessmuskel    gehört    der    Kreisfaser- 
schicht des  Mastdarms  an. 

Der  äussere  Schliessmuskel ,  Musculus  sphincter  ani  exter- 
nusy  entspringt  tendinös  von  der  Steissbeinspitze,  umgreift  mit  zwei 
Schenkeln  die  Afteröfinung,  und  kann,  wie  einst  Aeolus,  nach  Umstim- 
den  et  premere,  et  laxas  dare  jussus  hahenas.  Vor  dem  After  hängt  er 
beim  Manne  mit  dem  Musculus  bulbo-cavemosus  und  Transversus 
perinei  zusammen,  beim  Weibe  mit  dem  Conatrictor  cunnL 

Der  Heber    des   Afters,    Musculus  levator  ani,    ein    breiter 
und    dünner    Muskel,    entspringt    an    der  Seitenwand    des    kleinen 
Beckens  vom  Arcus  tendineus  der  Fascia  hypogastricay   sowie   auch 
von  der  hinteren  Fläche    des  Schambeins,  dem  absteigenden  Aste 
desselben,   und   der  Spina  ossis  ischii.     Beide  Levatores  convergiren 
gegen   den   After  herab.     Ihr  Verhältniss  zum   Anus  gestaltet  sich 
anders  für  die   hinteren,  mittleren,   und  vorderen  Bündel  des  Mus- 
kels.   Die  hinteren   Bündel    (welche   an   der  Spina  ischii  entsprin- 
gen),   treten    nämlich    nicht   an    den    Anus,   sondern    pflanzen    sich 
theils  am  Seitenrande  des  Steissbeins  ein,  wo  sie  mit  dem  Musculus 
coccygeus  verschmelzen    (so   zwar,  dass   von   einigen   Anatomen  die 
Selbstständigkeit  des  Coccygeus  in  Zweifel  gezogen  wird),  theils  ver- 
einigen   sie    sich    vor   der   Steissbeinspitze    (aber    noch   hinter    dem 
After),  tendinös   mit   den    gleichen  Bündeln   der  entgegengesetzten 
Seite.     Die  mittleren  Bündel  (vom   Arcus  tendineus  entsprungen), 
treten    an    den  After,    und    verweben    sich    mit   dem   Sphincter  ani 
extemus.     Die    vorderen   Bündel    (vom    Schambein    ausgegangen), 
begeben  sich  als   Levator  prostatae  zur  Prostata   und   zum   Blasen- 
grund, bei  Weibern  zur  Scheide.  Begreiflicherweise  werden  blos  die 
mittleren  Bündel   dieses  Muskels   den  After  einwärtsziehen  (heben). 

Ueber  die  Beziehungen  des  Levator  ani  zur  Prostata  und  zur  Far»  mem- 
hranacea  urelhrae  handelt  ausführlich  Luschka  in  der  Zeitschrift  für  rat  Med. 
1858.  Bei  der  Untersuchung  der  Fascien  des  Mittelfleisches  (§.  323,  324),  und 
der  Steissdrüse  (§.  326;  kommen  wir  auf  diesen  Muskel  wieder  zurück. 


§.  271.    Ueber  den  Sphincter  ani  tertius. 

Man  war  lange  der  Ansicht,  dass  der  Darmkoth  sich  im  un- 
teren Ende  des  Mastdarms  ansammle^  und  durch  Druck  auf  die 
Sphincteren,  das  Bedürfhiss  der  Entleerung  veranlasse.  Dass  die 
Kothsäule  nicht  bis  zu  den  beiden  Schliessmuskeln  herabreiche, 
sondern  höher  oben  durch  einen  dritten  Sphincter  am  Herabsteigen 
gehindert  werde,  ist  eine  Thatsache,  von  welcher  die  praktische 
Chirurgie  viel  früher,  als  die  Anatomie  Notiz  genommen  hat.  Wären 
die  beiden  Schliessmuskeln  die  einzigen    ELräfte,   welche   die  Fäces 


§.  278.   Leber.   Aeussere  Verhältnisse  denielbeu.  635 

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zurückhielten y  so  müsste  bei  jeder  Operation,  durch  welche  die 
Sphincteren  zerschnitten  werden  (Operation  der  Mastdarmfistel,  Ex- 
stirpation  des  Anus,  Mastdarm -Blasenschnitt),  Unvermögen  den 
Stuhlgang  zurückzuhalten,  eintreten,  was,  laut  Zeugniss  der  Erfah- 
rung, nicht  der  Fall  ist.  Untersucht  man  den  Mastdarm  an  Leben- 
den mit  der  Sonde  oder  dem  Finger,  so  findet  man  in  der  Regel 
den  zunächst  über  den  Sphincteren  befindUchen  Raum  desselben 
leer,  oder  höchstens  nur  einige  Kothklümpchen  an  seinen  Wänden 
haften.  Drei  bis  vier  Zoll  über  dem  Anus  stösst  die  Sonde  auf 
ein  Hindemiss,  und  kann  von  hier  aus  nur  mit  einiger  Eüraft  weiter 
geschoben  werden.  Das  Hindemiss  rührt  von  einer  permanenten 
Zusammenziehung  des  Mastdarms  her,  welche  bis  zum  Anfange  des 
Rectums  (Ende  des  S  romanum)  sich  erstreckt.  Diese  kann  nur 
durch  die  stärkere  Wirkung  der  Kreisfasem  erfolgen,  und  letztere 
verdienen  hier  somit  den  Namen  eines  Sphincter  tefi^tius.  N^laton 
(VeVpeau,  anat.  chir.  3.  ^d.  introd.)  hat  ihn  als  Sphincter  ani  supetnai* 
in  die  Anatomie  eingeführt.  Die  anatomische  Untersuchung  lehrt 
zugleich,  dass  in  vielen  Fällen  die  Kreisfasem  des  Mastdarms 
4  Zoll  über  dem  After  sich  dichter  an  einander  legen,  und  einen 
stärkeren  Ring  bilden,  als  über  oder  unter  dieser  Stelle.  Ich  habe 
nur  einmal  einen  Zusammenhang  dieser  Kreisfasem  mit  dem  Periost 
des  Kreuzbeins  deutlich  erkannt  und  öffentlich  demonstrirt;  — 
Velpeau  sah  ihn  öfters  {Malgaigne,  anat.  chir.  pag.  379).  Wenn 
auch  in  einzelnen  Fällen  das  Dasein  dieses  dritten  Schnürmuskels, 
als  stärkere  Entwicklung  der  Kreisfaserschichte,  nicht  anatomisch 
nachzuweisen  ist,  so  liegt  doch  in  der  permanenten  Constriction 
des  Mastdarmes  an  genannter  Stelle  ein  erfahrungsmässig  consta- 
tirtes  Factimi. 

Der  Darmkoth  hat  sich  also  nicht  im  unteren  Mastdarmende,  sondern  in 
der  Curvatura  ngmoidea  anzusammehi,  welche  im  leeren  Zustande  an  der  Seite  des 
Mastdarmes  in  die  Beckenhöhle  herabhängt,  sich  durch  ihre  successivc  AnfüUung 
erhebt  und  dreht  (wie  der  volle  Magen),  bis  die  Fäces  auf  den  oberen  Schliess- 
muskel  drücken,  welcher  nachgiebt.  Nun  rücken  die  Fäces  bis  zum  Anus  herab, 
und  können  nur  vermittelst  des  willkürlich  wirkenden  Sphincter  ani  extemiu  eine 
Zeitlang  zurückgehalten  werden,  wozu  selbst  die  zusammengepressten  Hinter- 
backen mitwirken  müssen,  um  den  Entleerungsdrang  zu  überwinden.  Man  hütet 
sich  deshalb  in  dieser  kritischen  Lage  grosse  Schritte  zu  machen. 

§.  272.  Leber.  Aeussere  Yerhältnisse  derselben. 

Die  Leber,  Hepar  s.  Jecur,  das  grösste  und  schwerste  Bauch- 
Eingeweide,  liegt  im  rechten  Hypochondrium,  und  erstreckt  sich 
durch  die  Begio  eptgastiiea  bis  zimi  linken  Hjpochondrium  her- 
über. Sie  hat  im  AllseinAine&  eine  länglich  viereckige  Gestalt  mit 
abg^nin^  "^nter  den  Rippen  und  dem 


636  §.  S72.    Leber.   Aeofgere  Veriiftltnisse  derselben. 

Schwertknorpel  hervorragender  Rand^   ist  scharf ,   und   mit   einem^ 
das  vordere  Eixde  des  Ligamentwm  Suspensorium   aufi[iehmenden  Ein- 
schnitte versehen.     In   Folge   der  durch  den  Gebrauch  der  Schnttr- 
leiber  bewirkten  Compression,  ragt  dieser  Rand  bei  Weibern  mehr 
als  bei  Männern  über   die    Ränder    der  Rippen    hervor.     Er   lässt 
sich   aber,  der  Weichheit  des  Leberparenchyms   wegen,    durch  die 
Bauchwand  nicht  fühlen,  was    nur   dann  der  Fall  ist,  wenn  krank- 
hafte  Verändepungen  der  Dichte  der  Leber,   oder  höckerige   Auf- 
treibungen dieses  Randes  vorkommen.    Der  hintere  stumpfe  Rand 
entspricht  der  Uebergangsstelle   der  Pars  lumhalis  diaphragmatis  in 
die  Pars  costalis.  Er  steht  zugleich  höher  als  der  vordere,  wodurch 
die  Lage  der  Leber   nach  vom  abschüssig  wird.  Der  rechte  Rand 
ist  stumpf  wie  der  hintere,  und  der  linke,  scharfe  und  kurze  Rand, 
gegen   welchen  sich  die  Masse  der  Leber  allmälig  verdünnt,   zieht 
sich   in  einen   abgerundeten   Zipf  aus,   welcher  vor  der  Cardia  des 
Magens  liegt.    Ihre   obere,   convexe,   und  etwas  nach  vom  geneigte 
Fläche  schmiegt  sich  an  die  Concavität  des   Zwerchfelles  an.     Das 
an   sie    befestigte    Ligamentum   Suspensorium   hepatis   bezeichnet    die 
Grenze  zwischen  dem  rechten,  grösseren,    dickeren,  imd  dem  lin- 
ken,  kleineren,  und  dünneren   Leberlappen.    Die   untere,  zugleich 
nach  hinten  gerichtete    Fläche  berührt  das  obere  Ende  der  rechten 
Niere,   und  erhält  zuweilen   von   ihr   einen   seichten  Eindruck.     Sie 
deckt  das   Ende    des   aufsteigenden,   und   den   Anfang   des    queren 
Grimmdarmes,   den  Pylorus,  und   einen  grossen  Theil  der  vorderen 
Magenfläche,  und  zerfällt  durch  drei,   sich   wie  die  Linien  eines  H 
kreuzende  Furchen,  in  vier  Abtheilungen  oder  Lappen.  Die  Furchen 
werden  als  Fossa  longitudinalis  dextra  et   sinistra,   und  Fossa  trans- 
versa bezeichnet.    Die  letztere    fllhrt  insbesondere   den    Namen  der 
Pforte,  Porta  hepatis,    Rechts    von   der   Fossa  longitudinalis  dextra 
liegt  der  rechte    Leberlappen,   links  von   der  Fossa   longitudinalis 
sinistra  der  linke.  Vor  der  Fossa  transversa  liegt  zwischen  den  beiden 
Fossae    longitudinales    der  viereckige,  hinter  ihr  der  SpigeTsche 
Leberlappen,  welcher  letztere  mit  einem  stumpfkegelförmigen  Höcker, 
dem  sogenannten  Tuberculum  papilläre^  und  mit  einem,  auf  den  rech- 
ten Leberlappen  sich  hinüberziehenden  Fortsatz,  welcher  als  Tuhei-- 
culum  caudatum  bezeichnet  wird,  ausgestattet  ist.  Die  Fossa  transversa, 
oder  Porta  hepatis,  schneidet  die  beiden  Fossae  longitudinales  in  eine 
vordere   und  hintere  Abtheilung.    Die  rechte   Längenfurche  enthält 
in  ihrer  vorderen  Abtheilung   die   Gallenblase,  in  ihrer  hinteren  die 
Vena  cava  ascendens;  die   linke  Längenfurche   vorn  das  Nabelband 
der  Leber,  hinten   den  Ductus  venosus  Arantii.    Die  Pforte  ist  die 
Aus-   und  Eintrittsstelle   der    Gefksse   und   Nerven   der  Leber,   mit 
Ausnahme    der  Venae  hepaticae,   welche   im   hinteren   Abschnitt  der 
rechten  Längenfurche  in  die  Vena  cava  ascendens  einmünden. 


§.  278.   Leber.   AensB^re  VerhUtniBBe  derselben.  637 

Die  Oberfläche  der  Leber  wird  vom  Peritoneum  überzogen^ 
welches  sich,  von  zwei  Stellen  des  Zwerchfelles  aus,  gegen  die 
Leber  einstülpt^  und  dadurch  zwei  Falten  bildet,  die  als  Bänder 
der  Leber  beschrieben  werden.  Das  Aufhängeband  der  Leber, 
Ligamentum  Suspensorium  s.  iriangtUare,  entspringt  an  der  concaven 
Zwerchfellfläche,  so  wie  an  der  vorderen  Bauchwand  bis  zum  Nabel 
herab,  und  inserirt  sich  an  der  convexen  Leberfläche,  vom  Ein- 
schnitte des  vorderen  Randes  bis  zum  hinteren  Rande,  wo  es  mit 
dem  oberen  Blatte  des  Kranzbandes,  Ligamentum  coranarium, 
zusammenfliesst,  welches,  ebenfalls  vom  Zwerchfell,  und  zwar  vom 
hinteren  Theile  desselben  kommend,  am  hinteren  stumpfen  Leber- 
rande sich  befestigt.  Die  beiden  Blätter  dieser  Falten  weichen  an 
der  Leber  auseinander,  imi  sie,  und  die  in  ihren  Furchen  enthalte- 
nen Gebilde  zu  imihüUen.  Das  Nabelband  der  Leber  ist  ein  rund- 
licher Bindegewebsstrang,  wird  daher  auch  gewöhnlich  Ligamentum 
teres  genannt,  kommt  vom  Nabel  zum  vorderen  Abschnitt  der  linken 
Längenfurche  herauf,  und  liegt  im  unteren  freien  Rande  des  mit 
grossem  Unrecht  so  genannten  Aufhängebandes  eingeschlossen.  Ich 
sage  „mit  Unrecht^,  da  das  Ligamentum  Suspensorium,  wegen  des 
genauen  Anschliessens  der  Leber  an  die  untere  ZwerchfeUfläche, 
gar  nie  in  eine  senkrechte  Spannung,  wie  sie  einem  Aufhängebande 
zukommt,  versetzt  werden  kann.  Verfolgt  man  das  Nabelband  durch 
die  Unke  Längenfurche  nach  rückwärts,  so  überzeugt  man  sich,  dass 
es  mit  dem  linken  Aste  der  Pfortader  verwächst. 

Der  Peritonealüberzug  der  Leber  setzt  sich  zu  anderen  Bauch- 
eingeweiden fort,  und  zwar:  1.  zum  kleinen  Bogen  des  Magens, 
als  Omentum  minus  s.  hepato-gastricum  y  2.  zum  Zwölffingerdarme, 
als  Ligamentum  hepato-duodenale,  3.  zum  oberen  Theile  der  rechten 
Niere,  als  Ligamentum  hepato-renale,  und  4.  zur  rechten  Krümmung 
des  Colon,  als  Ligamentum  kepato-colicum.  (3  und  4  sind  nicht  immer 
deutlich  entwickelt.)  Zwischen  dem  Ligamentum  hepato-duodenale  und 
einer  ähnlichen  Bauchfellfalte,  welche  von  der  vorderen  Wand  des 
Duodenum  zur  Niere  herübergeht  (Lig.  dvodeno^enale),  befindet  sich 
eine  ovale  oder  schlitzförmige  Oeffnung.  Diese  ist  das  Foramen 
Winslovii,  welches  zu  einem,  hinter  dem  Magen  und  dem  Omentum 
minus  hegenden  Räume  der  Peritonealhöhle  führt,  der  in  der  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Verdauungsorgane  eine  bedeutende  Rolle 
spielt,  nad  als  Saccus  peritanei  retroventricularis  s.  Bursa  omentaUs 
auch  in  der  beschreibenden  Anatomie  einen  dauernden  Platz  ein- 
nimmt. 

Der  vordere  Abschnitt  der  linken  Längenfurche  verwandelt  sich  durch 
Connivenz  der  Forchenränder  häufig  in  einen  Kanal,  in  welchem  das  runde  Le- 
berband aufgenommen  wird.  —  Eines  der  seltensten  anatomischen  Vorkommnisse 
(welches  jedoch  sehen  den  Hanu^ees  ans  der  Opferanatomie  als  eaptU  hepaHa 


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§,  273.  Praktische  Behandlung  der  Leber  in  der  Ldflli0. 

B^vor  man  die  Leber  hermosnimmt,  um  ihre  untere  Flicke 
mit  dfrren  Lappen  and  Graben  za  stodiren.  müssen  die  Oeftai- 
▼erbindan^en  derselben  in  der  Leiche  prtpmrirt  werden.  Man 
eröffnet  hiezu  aach  die  Bnisthöhle.  and  trSgt  Ton  den  Bippen  lo 
viel  ab;  als  nöthig  ist,  am  die  Leber  gegen  die  Langen  hiniif- 
schlafen  zu  können,  wodarch  ihre  antere  Fliehe  zor  oberen  wird. 
Das  Ugam^äum  hepato-duodenaU  spannt  sich  dabei  sArmngartig  an, 
and  moss,  da  es  die  grossen  Geftsse  entfallt^  welche  der  OsDen- 
bereitung  vorstehen,  zaerst  untersacht  werden.  Man  prtparirt  seinen 
Baachfellüberzug  los,  und  findet  in  ihm  eingeschlossen  ein  Gteftii- 
bttndel,  in  welchem  sich  folgende  Stämme  isoliren  lassen:  L  Die 
Arttina  hqßaiirja.  Sie  liegt  links  and  oben  im  GefiLssbflndel,  nnd 
kann  leicht  bis  zu  ihrem  Ursprung  aus  der  Arteria  codiaea  verfolgt 
werden.  2.  Der  gemeinschaftliche  Gallengang,  Ductus  Mk- 
dochut  ^/cAi^i.  Galle,  lt/z[UL\.  aufnehmen),  rechts  and  unten  im 
Bündel  gelegen.  Man  verfolgt  ihn  gegen  die  Leber  zu,  und  sieht 
ihn  dabei  in  zwei  Aeste  zerfallen,  deren  einer  zur  Pforte  geht^  ab 
Lebergallengang,  Ductus  hepaticuSj  der  andere  mit  dem  Hake 
der  Gallenblase  sich  verbindet,  als  Gallenblasen-Gallengang, 
Ductus  cysticus.  Der  Ductus  choledochus  hat  den  Umfang  eines 
dünnen  Federkiels,  der  Ductus  cysticus  und  hepaticus  sind  noch 
etwas  dünnr;r.  —  Nun  trennt  man  das  Colon  transversum  von  sei- 
nen Verbindungen  mit  dem  Magen  und  der  Leber,  und  schlügt  es 
nach  unten.  Dadurch  wird  die  Krümmung  des  Zwölffingerdannes 
und  der  von  ihr  umschlossene  Kopf  des  Pankreas  zugänglich.  Man 
präparirt  ihren  ßauchfellüberzug  los,  lüftet  den  rechten  Rand  des 
absteigenden  Stücks  des  Zwölffingerdarmes,  verfolgt  den  Duäiu 
choledochus  nach  abwärts,  und  findet,  wie  er  die  hintere  Wand 
des  Duodenum  schief  nach  unten  durchbohrt,  und  durch  Aufheben 
der  Schleimhaut,  die  beim  Dünndarm  erwähnte,  einzige  Längen- 
{alUi  desselben  bildet.  Schneidet  man  den  Ductus  choledochus  ir 
gendwo  an,  und  führt  durch  ihn  eine  Sonde  gegen  den  Darm,  so 
erreicht  man  die  Ausmündungsstelle  des  Ganges  am  unteren  Ende 
jener  Falte.  3.  Die  Pfortader,  Vena  poi'tae.  Sie  liegt  hinter  der 
Artei'ia  hepatica  und  dem  Gallengange,  und  hat  beiläufig  die  Stärke 
des  kleinen  Fingers.  Gegen  die  Porta  hepaiis  aufsteigend,  theilt 
sie  sich,  wie  die  Arteria  hepatica,  in  zwei  Aeste,  für  den  rechten 
und  linken  Loberlappen. 


{.  278.    Praktische  Behandlung  der  Leber  in  der  Leiche.  639 

Präparirt  man  den  Kopf  des  Pankreas  mit  der  Curvatur  des 
Duodenum  von  der  Wirbelsäule  los^  so  findet  man  den  Zusammen- 
fluss  der  Vena  splenica,  Vena  mesenterica,  und  einiger  Venae  pancrea- 
ticae,  als  Anfang  des  Pfortaderstammes.  Die  Pfortader  sammelt  so- 
mit das  venöse  Blut  aus  den  Venen  der  Milz,  des  Pankreas,  und 
des  Verdauungskanals,  und  führt  es  zur  Leber,  um  es  dort  in 
feinsten  Ramificationen  zu  vertheilen.  Sie  gleicht  somit,  wenn  man 
sie  aus  den  Eingeweiden  herausgerissen  denken  möchte,  einem 
Baume,  dessen  Wurzeln  im  Darmkanale,  Milz  und  Pankreas 
stecken,  dessen  Zweige  in  das  Leberparenchym  hineinwachsen,  und 
dessen  Stamm  im  Ligamentum  hepato-dtuxienale  liegt.  —  Die  Nerven 
begleiten  als  Plexus  hepaticus  vorzugsweise  die  Arteria  hepattcay  und 
die  Saugadern  folgen  der  Vena  portae.  —  Das  Bindegewebe,  wel- 
ches die  genannten  Theile  zu  Einem  Bündel  vereinigt,  und  welches 
sich  vom  gewöhnlichen  Bindegewebe  durchaus  nicht  unterscheidet, 
begleitet  die  Ramificationen  der  Gefässe  in  das  Leberparenchym 
hinein,  und  wurde  von  Glisson  für  musculös  gehalten,  daher  der 
noch  immer  gebräuchliche  Name:  Capsula  Glissonn. 

Hat  man  den  Inhalt  des  Ligamentum  hepato-duodenale  auf  die 
geschilderte  Weise  imtersucht,  so  schneidet  man  das  ganze  Gef&ss- 
bündel  entzwei,  und  sieht  hinter  ihm  den  Stamm  der  Vena  cava 
ascendens  zum  hinteren  Leberrande  aufsteigen,  wo  er  sich  in  die 
hintere  Abtheilung  der  rechten  Längenfurche  legt,  und  daselbst  die 
Venae  hepaticae  aufnimmt,  welche  somit  nicht  in  der  Pforte  zu 
suchen  sind. 

Nun  wird  das  Ligamentum  Suspensorium  und  caronarium  ge- 
trennt, und  die  Leber,  sammt  dem  zugehörigen  Stücke  der  Vena 
cava  ascendens  herausgenommen,  um  die  Furchen  an  ihrer  imteren 
Fläche,  und  was  in  ihnen  liegt,  darzustellen. 

Die  Fossa  longitudinalis  dextra  enthält  Organe,  die  im  Erwach- 
senen dieselbe  Rolle  spielen,  wie  im  Embryo:  im  vorderen  Ab- 
schnitte die  Gallenblase,  und  im  hinteren  die  untere  Hohlvene.  Die 
Fossa  hngitudinalis  sinistra  dagegen  beherbergt  im  Embryo  Venen, 
welche  nach  der  Geburt  obliteriren,  und  zu  Bindegewebssträngen 
einschrumpfen:  im  vorderen  Abschnitt  die  Vena  umbilicalis,  im  hin- 
teren den  Ductu^s  venosus  Arantii,  Das  Nabelband  der  Leber,  als 
Rest  der  obsolescirten  Vejia  umbüicalisy  kann  leicht  bis  zum  linken 
Pfortaderaste  verfolgt  werden,  mit  welchem  es  verwächst,  und  den 
Weg  anzeigt,  welchen  die  embryonische  Nabelvene  zur  Pfortader 
einschlug.  —  Der  hintere  Abschnitt  der  linken  Längenfurche  ent- 
hält die  viel  schwächeren  Reste  des  Ductus  venosus  Arantii,  welcher 
im  Embryo  vom  linken  Pfortaderaste  nach  rückwärts  lief,  den  Lo- 
bus  Spigelii  umkreiste,  um  sich  in  die  Cava  ascendens,  oder  in  die 
grösste  Lebervene  zu  enüeerm.  —  Man  schlitzt  nun  zuletzt  noch 


640  §.  274.  OallenblMe. 

die  Vena  cava  inferior  an  der  von  der  Leber  abgewendeten  Seite 
auf,  um  die  an  Zahl  und  Grösse  sehr  verschiedenen  Insertionen  der 
Lebervenen  zu  sehen. 

§.  274.  öaUenblase, 

Die  Gallenblase,  Vesicula  s.  Oystis  fellea  s,  ChoUcystiSy  liegt 
im  vorderen  Segmente  der  Fossa  longitvdinalis  dextra.  Da  die  Ab- 
sonderung der  Galle  ununterbrochen  von  Statten  geht,  die  Gegen- 
wart der  Galle  im  Darmkanale  aber  nur  zur  Zeit  der  Dttnndarm- 
verdauimg  benöthigt  wird,  so  muss  am  Ausführungsgange  der  Leber 
ein  Nebenbehälter  (Gallenblase)  angehängt  sein,  in  welchem  die 
Galle  bis  zur  Zeit  der  Verdauung  aufbewahrt  wird.  Die  Gallen- 
blase ist  birnfbrmig,  ragt  mit  ihrem  Grunde  über  den  vorderen 
Leberrand  etwas  hervor,  imd  verschmächtigt  sich  nach  hinten  zum 
engen,  etwas  gewundenen  oder  mehrfach  eingeknickten  Halse, 
welcher  in  den  Ductvs  cyaticus  übergeht.  Sie  wird  nur  an  ihrer  un- 
teren Fläche  und  am  Grunde  vom  Peritoneum  überzogen;  ihre 
obere  Fläche  hängt  durch  leicht  zerreissliches  Bindegewebe  an  die 
Lebersubstanz  an.  Sie  besteht  aus  einer  äusseren  Bindegewebshaut, 
einer  mittleren  Muskelhaut  mit  Längen-  und  Querfasem,  und  einer 
inneren  Schleimhaut  mit  Cylinderepithel.  Die  Schleimhaut  erhält 
durch  eine  Unzahl  niedriger  Fältchen,  welche  sich  zu  kleinen 
eckigen  Zellen  wie  in  einer  Honigwabe  gruppiren,  ein  zierlich  ge- 
gittertes Ansehen  unter  der  Loupe,  und  zeigt  im  Halse  eine  mehr 
weniger  spiral  an  der  Wand  hinziehende,  mit  seitlichen  Nebenftllt- 
chen  besetzte  Falte  oder  Klappe  (Valvula  Heiateri). 

Dan  Cylinderepithel  der  Gallenblase  und  der  Gallengänge  lässt  an  der 
freien  Wand  seiner  einzelnen  Zellen  denselben  gestrichelten  Saum  erkennen,  wie 
er  am  Cylinderepithel  des  Darmkanals  vorkommt 

Die  in  der  Leber  bereitete,  und  in  der  Gallenblase  einstweilen  aufbewahrte 
Galle  (^t7i>)  ist  eine  Lösung  von  Kali-  und  Natronsalzen,  deren  eigenthümliche 
SXuren,  unter  dem  Namen  der  Glycochol-  und  TaurocholsXure,  bekannt  sind. 
Sie  enthält  ausserdem  noch  zwei  Farbestoffe,  einen  gelben  und  braunen.  Der 
gelbe  Farbstoff  wird,  wenn  die  Galle  in  den  Magen  gelangt,  durch  die  Salzsäure 
des  Magensaftes  höher  oxydirt  und  nimmt  eine  grüne  Farbe  an.  Deshalb  ist  die 
erbrochene  Galle  grün. 

Durch  die  Mischung  der  Galle  mit  dem  Chymus  wird  die  Ausscheidung 
der  nahrhaften  Bestandtheile  des  letzteren  auf  noch  unerforschte  Weise  befördert, 
die  Aufsaugung  der  Fette  des  Chylus  ermöglicht,  die  faule  Gährung  des  Chy- 
mus verhindert,  und  die  peristaltische  Bewegung  der  Gedärme  bethätigt.  Ein 
Theil  der  Galle  wird  resorbirt,  ein  Theil  aber  mit  dem  Darmkoth  ausgeleert. 
Sie  ist  somit  kein  blosser  Auswurfsstoff.  Nebst  der  Galle  erzeugt  die  Leber  auch 
Zucker,  und  zwar  durch  einen  gährungsähnlichen  Process,  aus  einem  besonderen 
chemischen  Ingrediens  des  Leberparenchyms,  welches  man  vor  der  Hand  aU 
glycogene  Substanz  bezeichnet  Der  Leberzucker  wird  aber  nicht  mit  der 
Galle  aasgeführt,  sondern  geräth  in  das  Blut  der  Lebervenen. 


§.  27fi.   Bau  der  L«beT.  641 


§.  275.  Bau  der  Leber. 

Wir  kennen  den  Bau  der  Leber' noch  immer  nicht  so  genau, 
dass  wir  auf  die  wichtige  Frage:  wie  beginnen  die  Gallengefässe? 
anders,  als  mit  einer  Liste  verschiedenster  Ansichten  antworten 
könnten.  Es  werden  noch  manche  Auflagen  meines  Buches  kom- 
men und  gehen,  bevor  dieser  Satz  weggelassen  werden  kann.  Die 
Wissenschaft  weiss  viel  ttber  die  mikroskopischen  Elemente  der 
Leber  zu  sagen,  aber  noch  lange  nicht  Alles.  Das  Wenigste,  aber 
Wichtigste  von  dem  Vielen,  dränge  ich  in  folgenden  Punkten  zu- 
sammen. 

a)  Leberläppchen. 

Kiernan  hat  die  von  Malpighi  aufgestellte  Ansicht,  dass  die 
Leber  ein  Aggregat  gleichartiger  Läppchen  (Acini  s.  Lobuli)  sei,  auf 
dem  Wege  mikroskopischer  Untersuchung  weiter  ausgeführt.  Jeder 
Aeinus*)  oder  Lobulus  sei  in  eine  feine  Bindegewebshtllle  einge- 
schlossen, welche  eine  Fortsetzung  der  mit  den  Blutgeßlssen  der 
Pforte  bis  zum  Lobulus  gelangten  Capsula  Glissonii  ist.  Die  Lobuli 
hängen  untereinander  durch  spärliches  Bindegewebe,  und  durch  die 
zwischen  ihnen  sich  verzweigenden  Blutgefässe  zusammen. 

Im  Jahre  1843  läugnete  E.  H.  Weber  {MüUer'a  Archiv  pag.  303),  die 
bindegewebige  Umgrenzung  der  Lobuli.  Die  ganze  Leber  muss  vielmehr  als  ein 
einziger  grosser  Acinus  aufgefasst  werden,  in  welchem  die  Blut-  und  die  Gallen- 
gefässe capillare  Netze  bilden.  Diese  Masse  genetzter  Blut-  und  Gallengefässe 
wird  allerdings  durch  Fortsetzungen  der  Capnila  GliaaonU,  welche  mit  den  Ge- 
fässen  der  Pforte  in  das  Leberparenchym  eindringen,  durchsetzt.  Die  Fortsetzun- 
gen der  Capsula  Oliaeonü  bilden  jedoch  keine  Begrenzungshüllen  um  die  Lobuli 
herum,  wenigstens  sieht  man  im  Menschen  die  Lobuli  nicht  durch  Hüllengebilde 
von  einander  isolirt.  Ich  stimme  meinem  hochverdienten  Collegeu  in  Leipzig 
bezüglich  der  Menschenleber  vollkommen  bei.  Gebrauchen  doch  auch  jene  Ana- 
tomen, welche  den  Lobulis  der  Menschenleber  huldigen,  hinsichtlich  ihrer  Be- 
grenzung den  Ausdruck:  „unvollkommen  getrennt^,  selbst  „zusammenfliessend*', 
so  dass  es  ihnen  mit  der  Vorstellung  der  Isolirtheit  und  wechselseitigen  Unab- 
hängigkeit der  Lobuli  nicht  recht  Ernjst  zu  sein  scheint.  Dagegen  lässt  sich  der 
lobuläre  Bau  in  der  Leber  des  Schweins  und  des  Eisbären  nicht  läugnen,  und 
an  der  Leber  des  Octodon  Cumingii  kann  jeder  sich  die  Ueberzeugung  holen, 
dass  die  Lobuli  eine  Bindegewebshülle  besitzen. 

b)  Vasa  inter-  et  intr alobular la. 

Die  jüngsten  Aestchen  der  ÄHeria  hepatica  und  der  Vena  portae 
verlaufen  zwischen  den  Lobuli,  und  werden  deshalb  Va^sa  interlobularia 


*)  Da  man  unter  Acinus  die  traubenförmig  gruppirten  Endbläschen  der  Aus- 
führungsgänge gewisser  Drüsen  versteht,  so  leuchtet  ein,  dass  hier  von  Leber-Acini 
nicht  in  diesem  Sinne  gesprochen  wird.  Leber-Acini  sind  keine  Gruppen  von  End- 
bläschen der  Gallengänge,  sondern  Massentheilchen  des  Leberpareuchyms.  Um 
Begriffsverwirrungen  yonabeagen,  soll  forUn  Lobubu  fllr  Adnu$  gebraucht  werden. 

Hyrtl,  Lehrbneh  dar  AnsUwri».  41 


642  §.  875.  Bau  der  Leber. 

genannt.  Die  ersten  Würzelchen  der  Lebervenen  dagegen  stecken 
in  der  Axe  der  Lobuli,  und  heissen  Vasa  intralolndaria^  oder  Venae 
centrales.  Die  Vasa  iJitei^-  und  intralohularia  stehen  mittelst  eines 
Capillargefässnetzes  in  Verbindung,  welches  den  Lobulus  durch- 
dringt. Die  aus  den  Gallengefässchen  in  den  LobuUs  entspringenden 
Ductus  hiliariiy  gesellen  sich  den  Vasis  int^'lohularihus  bei.  Das  Ver- 
hältniss  von  Blut-  und  Gallengefilssen  wäre  somit  für  jeden  Lobulus 
dasselbe,  wie  für  die  ganze  Leber  in  der  Pforte. 

c)  Leberzellen. 

Die  Leberzellen  sind  die  eigentlichen  Absonderungsstätten  der 
Galle.  Sie  bilden,  sammt  den  Blut-  und  Gallengefässen,  die  Sub- 
stanz der  Lobuli.  Unregelmässig  polyedrisch  an  Gestalt,  enthalten 
sie  einen  oder  zwei  Kerne.  Zwischen  Kern  und  Htllle  der  Zelle  be- 
findet sich  eine  zuweilen  mit  Fetttröpfchen  (Gallenfett)  gemischte, 
und,  besonders  in  den  Lebern  von  Gelbsüchtigen,  dunkel  gi-üngelbe 
Flüssigkeit,  welche  Zahlreiche  Kömchen  führt,  und  gegen  Salpeter- 
säure dieselbe  Reaction  zeigt,  wie  der  Gallenfarbstoff.  —  Die  Zel- 
len eines  Lobulus  zeigen  ungleiche  Grösse.  Die  der  Axe  des  Lobulus 
näher  hegenden  sind  grösser,  als  die  davon  entfernteren.  Ihr  mittlerer 
Durchmesser  beträgt  0,007'".  Sie  gruppiren  sich  zu  Balken,  in 
deren  Innerem  ein,  nur  von  diesen  Zellen  begrenzter,  und  die  von 
diesen  Zellen  abgesonderte  Galle  aufnehmender  Gang  existiren  soll. 
Zwischen  den  Balken  finden  sich  allenthalben  Lücken,  durch  welche 
die  feinsten  Blutgefässe  der  Lobuli  verlaufen.  Man  kann  also  auch 
die  Gruppirung  der  Zellenbalken  als  ein  Netz  auffassen,  und  sagen, 
dass  das  Zellennetz  der  LobuU  in  den  Maschen  des  Blutgefäss- 
netzes  steckt. 

d)  Anfänge  der  Gallengefässe  in  den  Lobulis. 
Hierüber  lässt  sich  nichts   Positives,    aber  viel   Hypothetisches 

sagen.  Folgende  Ansichten  haben  achtbare  Namen  zu  Vertretern. 
1.  Die  Gallengefässe  in  den  Lobulis  bilden  Netze.  Die  Wand  dieser 
Netze  ist  structurlos,  und  entsteht  aus  den  Wänden  der  linear  an 
einander  gereihten,  und  durch  Resorption  der  Berührungsseiten  in 
einander  geöffneten  Leberzellen  (Ras sali,  E.  H.  Weber).  2.  Die 
structurlose  Wand  der  Gallengefässe  im  Lobulus  ist  eine  Fortsetzung 
der  bindegewebigen  Wand  des  Gallengefässes  extra  lohulum,  und  die 
Leberzellen  sind  die  EpitheUen  der  intralobulären  Gallengefässe 
(Lerebouillet,  Kruckenberg,  Schröder  van  der  Kolk). 
3.  Die  Leberzellen  bilden  nicht  das  Epithel  der  Gallengefässe  im 
Lobulus,  sondern  liegen  in  der  Axe  dieser  Gallengefässe,  als  ein 
solider  Strang.  Zwischen  diesem  und  der  structurlosen  Wand  des 
(nach  dieser  Vorstellung  sehr  weiten)  Gallengefässes ,  bleibt  ein 
Raum,  in  welchem  die  von  den  Zellen  ausgeschiedene  Galle  ab- 
fliesst  (Retzius,  Gramer,  Weja).  4.  Die  structurlose  Wand  solcher 


8.  275.  Bau  der  Leber.  643 

weiter  Qallengeftlsse  verschmilzt  mit  der  Wand  der  Capillargefässe 
im  Lobulus,  wodurch  die  Leberzellenreihen  nackt  in  den  Maschen 
des  Capillargefässnetzes  zu  liegen  kommen  (Beale,  Kölliker). 
5.  Die  Anfiinge  der  Gallengefässe  in  den  Lobulis  sind  Intercellular- 
räume  der  Leberzellen  (Henle,  Luschka,  Schweigger, 
Seidel,  Hering,  u.  v.  A.).  6.  Die  extralobulären  Gallengefilsse 
schicken  Aeste  in  die  LobuH,  welche  sich  in  der  peripherischen 
Schichte  der  Lobuli  zu  Netzen,  mit  eigenen  Wandungen  vereinigen. 
In  diese  Netze  aber  öffnen  sich  die  Intercellulargänge  der  Leber- 
zellen im  centralen  Theile  der  Lobuli  (Ger lach). 

Die  von  J.  Müller  und  Krause  angenommenen  blinden  Anfänge  der 
kleinsten  Gallengefösschen  habe  ich  bisher  nur  an  der  Oberfläche  der  Leber 
vom  Jlelix  und  Arion  gesehen.  Sie  sind  ausnehmend  gross  (einige  bis  V3"'  ini 
Durchmesser  stark).  Bei  Wirbelthieren  gelang  es  Kiemanden,  blasige  £ndcn  der 
Gallengefässe  durch  Einspritzung  darzustellen,  und  die  Injectionspräparate, 
w(^lche  ich  besitze,  weisen  nur  netzförmige  Verbindungen  der  feinsten  Gallen- 
gefässe nach. 

Im  Ihtctus  Jiepalicuä  und  seinen  Verzweigungen  konnte  Kölliker  keine 
Spur  organischer  Muskelfasern  auffinden.  Dagegen  cxistircn  diese  unzweifelhaft 
im  Ductus  choledochus  und  cy»ticu8y  obwohl  sehr  spärlich.  —  In  den  Wänden 
aller  Gallengänge  grösseren  Kalibers  finden  sich  kleine  acinöse  Drüschen  ein- 
gelagert Sie  sind  in  der  Gallenblase  und  im  Ductus  cysticus  -viel  spärlicher,  als 
in  den  Ramificationen  des  Ductus  hepaticus.  Luschka  giebt  ihre  Zahl  in  der 
Gallenblase  nur  auf  6 — 15  an. 

Die  von  Theile  erwähnten  Drüsen  der  Gallengänge  in  der  Leberpforte 
(Handwörterbuch  der  Physiol.  pag.  305)  sind,  (trotz  ihrer  blinken,  kolbenförmigen, 
drüsenähnlichen  Enden)  doch,  ihrer  Verästlung  und  ihrer  netzförmigen  Verbin- 
dungen wegen,  wohl  nur  Nebenplexus  der  Gallengefässe  selbst  ( Vasa  aheiTantia), 
In  der  Pforte  der  Leber  bilden  diese  Vasa  aberrantia  ein  schmales  Netz,  durch 
welches  der  rechte  und  linke  Ast  des  Ductus  hepaticus  unter  einander  commnni- 
ciren.  Im  linken  Flügel  des  Ligamentum  coronarium  hepcUis  findet  sich  ein 
ähnliches  Netz  von  Vasa  aberrantia  ^    welche  aus  der  Lebersubstanz   auftauchen. 

Ueber  den  Bau  der  Leber  handeln  ferner  folgende  Specialschriften :  Oerlach 
in  seinem  Handbuch  der  Gewebelehre,  2.  Aufl.  p.  323  seq.  —  N.  Weja  und 
E.  H,  Weher  in  Müllei^s  Archiv.  1851.  —  Kölliker  in  seiner  Gewebslehre.  p.  416, 
und  A.  LerebouiUet,  M^m.  sur  la  structure  du  foie,  etc.  Paris,  1853.  —  Zahlreiche 
Nerven  in  den  Wandungen  der  Blutgefässe  der  Leber  wurden  von  C.  Jf,  Jones 
nachgewiesen.  Lond.  Med.  Gaz.  1848.  Juli.  pag.  55.  —  Ueber  die  Dräschen  der 
Gallengefässe  siehe  C.  Wedly  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  1850. 
Dec,  und  Luschka  im  Archiv  für  rat.  Med.  1858.  pag.  189.  —  Bei  Henle  (Anat. 
2.  Bd.  und  Jahresberichte)  findet  der  Leser  alles  Historische  der  Neuzeit 
zusammengestellt.  —  Die  neueste  Erscheinung  auf  diesem  vielfach  betretenen 
Gebiete  ist  Hering'^  Arbeit  über  die  Wirbelthierleber,  (Sitzungsberichte  der 
Wiener  Akad.  1866  und  1867)  als  deren  Ergebniss  sich  herausstellt,  dass  die 
Lcberzellen  die  Maschen  des  Capillargefässnctzes  der  Lobuli  so  ausfüllen,  dass 
jede  Leberzelle  zwischen  je  vier  oder  drei  Capillaren  wie  eingezwängt  liegt, 
und  zugleich  mit  8 — 10  Nachbarzellen  in  Berührung  steht  Je  zwei  sich  berüh- 
rende Leberzellcn  sind  also  durch  eine  Scheidewand  getrennt.  In  der  Mitte 
dieser  Scheidewand  liegt  ein  feinstes  Galiengefäss ,  welches  aber  keine  eigene 
Wand  besitzt,  sondern  als  IntereeUiiUiiFaiur  aafiufMten  ist.  Die  feinsten  (xallcn- 


644  §•  S76.  BftQchipeieheldrflse. 

gefÜMe  stehen  also  mit  den  CapillargefHssen  nicht  in  Bertlhning.  Da  in  jeder 
Zellenscheidewand  ein  feinstes  GallengefKss  liegt,  und  diese  Gallengefiisse  alle 
mit  einander  in  Verbindung  stehen,  so  bilden  sie  ein  Netz,  dessen  polygonale 
Maschen  den  Durchmesser  der  Leberzellen  haben  müssen. 


§.  276.  Sie  Saachspeicheldiüse. 

Die   Bauchspeicheldrüse,    Pankreas   (von  xav   und  xp^a^, 
d.  h.  ganz  aus  Fleisch  bestehend,  eine  nach  gegenwärtigen  BegriflFen 
ganz  unverständliche  Benennung),    hält   in   ihrem  Baue   den  Typus 
der  Mundspeicheldrüsen  ein.   Sie  spielt  bei  dem  Verdauungsgeschäfte 
eine  grosse  Rolle,  da  die  Umwandlung  des  Amylum  der  Nahrungs- 
mittel in  Traubenzucker,  dem  Succus  pancreaticus  (und  dem  Mund- 
speichel)   obliegt.    Sie    lagert    hinter    dem    Magen,    vor    der    Pars 
lumhaUs  diaphragmatis   und    der   Aorta  abdominalis  j    und  grenzt  mit 
ihrem    linken   schmächtigen   Ende    (Cavda)   an   die   Milz,   mit   dem 
rechten   dickeren    (Caput)    an    die    concave   Seite    der   Zwölffinger- 
darmkrümmung.    Ihr    Hauptausführungsgang,    Ductus    pancreaticus 
s.   Wirsungianus y    im    injicirten  Zustande  federkieldick,    folgt  ihrer 
Längenaxe,  und  wird  von  den  Acinis  ringsum  eingeschlossen.    Die 
kleinen  Ausfiihrungsgänge  der  einzelnen  Acini  münden  rechtwinklig 
in  den  Hauptgang   (daher   der   bei  Cruveilhier  gebrauchte  Aus- 
druck miHe-pattes,  Tausendfuss).   Der  Ductus  pancreaticus  senkt  sich 
in    den    Ductus  -^holedochus    ein,    während    letzterer    zwischen    den 
Häuten    des   Duodenum    verläuft.     Beide    besitzen    demnach    eine 
gemeinsame    Oeffnung   im    Duodenum.     Nur    selten    sah    ich    zwei 
aparte,  durch  ein  Querfilltchen  von  einander  getrennte  Ostia. 

Der  Ductus  pancreaticus  theilt  sich,  bevor  er  in  den  Dann 
mündet,  sehr  oft  gabelförmig.  Der  untere  Theilungsast  verbindet 
sich  mit  dem  Ductus  choledochus  auf  die  erwähnte  Weise.  Der 
obere  dagegen  (als  Ductus  Santorini)  hat  eine  eigene  Mündung  in 
den  Darm,  1 — IV2*  über  der  Einmündung  des  unteren. 

Als  Nebenpankreas  lassen  sich  jene  drüsigen,  dem  Pankreas  gleich 
organisirten  Massen,  mit  einem  in  die  Darrahöhle  mündenden  Ausführungsgange, 
bezeichnen,  welche  von  Klob,  Zenker  und  mir,  in  der  Magen  wand  (untere 
Cun'atur),  in  der  Wand  des  Dünndarms  (oberste  Schlinge  des  Jejunum)  und  in 
dem  Mesenterium  eines  Dünndarm-Divertikels  beobachtet  wurden.  Kloh^  Zeit- 
schrift der  Wiener  Aerzte,  1869,  pag.  732 ;  Zenker^  Archiv  für  path.  Anat.  1861, 
pag.  369;  JlyrÜ,  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1865. 

Wenn  man  das  kleine  Netz  vom  oberen  Magenbogen  abtrennt,  und  den 
Magen  etwas  herabzieht,  bekommt  man  den  mittleren  Theil  des  Pankreas  zu 
Gesichte.  Um  es  ganz  zu  übersehen,  muss  auch  das  grosse  Netz  und  das  Liga- 
mentum gastro-lineale  vom  grossen  Magenbogen  abgelöst,  und  der  Magen,  jedoch 
ohne  Milz,  gegen  den  Thorax  hinaufgeschlagen  werden.  Man  sieht  das  Pankreas, 
bedeckt  vom  hinteren  Blatte  des  Netzbcutels,  quer  vor  der  Wirbelsäule  liegen, 
und  sich  von  der  Milz  bis  in  die  Cnrvatur  des  Duodenum  erstrecken.    Präparirt 


§.  S77.  Mih.  645 

man  nun  den  Hiahu  aorticut  des  Zwerchfells,  vor  welchem  das  Pankreas  vor- 
überläuft, so  sieht  man  aus  ihm  eine  kurze,  aber  starke  unpaarige  Arterie  her- 
vorkommen. Diese  ist  die  Arteria  coeliaca,  welche  sich,  sobald  sie  zwischen  den 
Schenkeln  des  Hiatus  herausgetreten,  in  drei  Aeste  theilt:  Arteria  hepatica^ 
Arteria  coronaria  ventriculi  superior  nnistra^  und  Arteria  lienalis.  Letztere  zieht 
am  oberen  Rande  des  Pankreas  mit  der  Vena  splenica,  welche  unter  ihr  liegt, 
zur  Milz.  Am  unteren  Rande  des  Pankreas  tritt  der  zweite  unpaarige  Aortenast 
—  Arteria  mesenterica  auperior  —  in  das  Mesenterium  des  Dünndarms  ein. 
Werden  nun  einige  von  den  oberflächlich  gelegenen  Acinis  des  Pankreas  behut- 
sam weggenommen,  so  braucht  man  damit  nicht  tief  zu  gehen,  um  den  in  der 
Axe  der  Drüse  verlaufenden,  weissen,  dünnhäutigen  Dtietu»  pancreaticus  zu  finden, 
welchen  man  Öffnet,  eine  Sonde  gegen  das  Duodenum  einleitet,  und  durch  sie 
die  Mündung  des  Ganges  erfährt.  —  Der  Ductus  pancreaticua  besitzt  in  seinen 
Wandungen  keine  Spur  von  organischen  Muskelfasern. 


§.  277.  Milz, 

Nur  gezwungen  schliesst  sich  die  Milz  {Lteuj  Spien)  den  Ver- 
dauungsorganen an.  Die  sehnlichst  gewünschte  Aufklärung  über  ihre 
bisher  räthselhafte  Verrichtung  kann  allein  über  ihre  Beziehung  zum 
Verdauungsorgan  entscheiden.  Als  ein  drüsiges,  ungemein  geßlss- 
reiches  Gebilde  ohne  Ausfiihrungsgang  (Gefässdrüse,  Ganglion  vaa- 
culoaum)  liegt  sie  neben  dem  Fundiis  ve^itriculiy  im  linken  Hypochon- 
drium.  Sie  ist  von  braun-  oder  violetrother  Farbe,  hat  die  Grösse 
einer  Faust,  die  Gestalt  einer  Kaffeebohne,  ein  Gewicht  von  14 
— 18  Loth,  und  eine  teigige  Consistenz.  Ihre  äussere,  zugleich 
obere,  convexe  Fläche,  liegt  an  der  Concavität  des  Rippentheils 
des  Zwerchfells;  ihre  innere,  dem  Magengrunde  zugewendete 
Fläche,  wird  durch  einen  auf  einem  erhabenen  Rücken  angebrachten 
Längenschnitt  (Hilua  lienis)  in  zwei  schwach  concave  Facetten 
getrennt,  von  denen  nur  die  vordere,  grössere,  an  den  Fundus 
ventnculi  ansteht,  die  hintere,  kleinere,  mit  dem  linken  Lumbaltheil 
des  Zwerchfells  in  Contact  steht.  Ihr  vorderer  Rand  ist  etwas 
schärfer  als  der  hintere,  und  gegen  das  untere  Ende  mit  uncon- 
stanten  Kerben  eingeschnitten,  deren  eine  so  tief  werden  kann,  dass 
ein  Theil  der  Milz  dadurch  vollkommen,  als  sogenannte  Neben- 
milz, Lien  auccenturiatus j  abgeschnitten  wird*).  Ihr  Peritoneal- 
überzug  stammt  als  Ligamentum  gastro-lienale  vom  Magengrunde, 
und  als  Ligamentum  phrenico4ienale  vom  Zwerchfell  her.  Unter  der 
Peritonealhaut,  und  untrennbar  mit  ihr  verwachsen,  folgt  die  Tunica 


*)  Diese  Form  von  Nebenmilzen  gehört  jedoch  zu  den  grossen  Seltenheiten. 
Häufiger  wird  eine  kleine  Nebenmilz,  von  der  Grösse  einer  Erbse  oder  kleinen 
Kirsche,  an  der  unteren  Fläche  des  Mesocolon  transversum  angetroffen,  welche 
natürlich  nicht  für  einen  abgeschnürten  und  selbstständig  gewordenen  Theil  der 
eigentlichen  Müz  angesehen  werden  kann,  da  ein  solcher  an  der  oberen  Fläche 
des  Mesocolon  transvertym  liegen  mtlasto. 


646  §.  «77.  Mil«. 

pi'opria  lienisj  eine  dichte,  aber  nicht  eben  dicke  Bindegewebshülle, 
welche  am  Hilus  in  das  Milzparenchym  eindringt,  und  Scheiden  fiir 
die  daselbst  wechselnden  Blutgefässe  bildet.  Sucht  man  sie  von  der 
Oberfläche  der  Milz  abzuziehen,  so  gelingt  dieses  nur  schwer  und 
unvollkommen ,  indem  eine  Unzahl  von  verästelten  Fortsätzen  der- 
selben, welche  elastische  Fasern,  und  (wenigstens  in  der  Milz  der 
Wiederkäuer)  glatte  Muskelfasern  enthalten,  wie  Balken  in  das 
weiche  Milzparenchym  eindringen.  Diese  Balken  sind  die  Trabemht 
lienis.  Aehnliche  verästelte  Balken  gehen  auch  von  der  die  Blut- 
gefässe in  das  Milzparenchym  hinein  begleitenden  Scheide  ab,  ver- 
binden sich  mit  ersteren,  und  erzeugen  auf  diese  Weise  ein  lücken- 
reiches Fachwerk,  von  welchem  man  durch  Kneten  und  Auswaschen 
einer  etwas  macerirten  Milz,  eine  gute  Ansicht  erhält.  Die  weiche, 
braunrothe  Masse,  welche  die  Lücken  des  Fachwerks  einnimmt, 
heisst  Pulpa  lienis. 

Die  Kenntnisfl  des  Baaes  der  Pulpa  Uenis  verdanken  wir  vorzugsweise  den 
schönen  Untersuchungen  von  Billroth.  Die  Pulpa  besteht  ans  einem  feinen 
Fasergerüste,  welches  den  anderweitigen  Elementen  der  Pulpa  als  Stütze  nnd 
Träger  dient,  und  mit  dem  in  den  Lymphdrüsen  und  in  den  Follikeln  des  Darmes 
vorfindlichen  Fasemetze  {Reticulum)  die  grössto  Aehnlichkeit  besitzt.  In  den 
Maschen  des  Fasemetzes  der  Pulpa,  und  dieselben  nicht  gänzlich  ausfOHendf 
lagern  (nebst  freien  Kernen)  die  Parenchymzellen  der  Milz ,  deren  Eigen- 
schaften mit  jenen  der  Lymphkörperchen  (§.  65)  übereinstimmen.  Ausser  diesen 
Parenchymzellen  enthält  die  Pulpa  auch  eine  Anzahl  von  Blu^örperchen,  welche 
theils  in  der  Entwicklung  und  Vermehrung  durch  Theilung,  theils  in  den  mannig- 
fachsten Umwandlungen,  bis  zum  Zerfall  in  Pigmentkömer  begriffen  sind. 

Das  Fasergerüst  der  Pulpa  steht  1.  mit  den  Milzhaiken  {Trabeculaejy  2.  mit 
den  ßindegewebsscheiden  der  Blutgefässe  und  3.  mit  den  Malpighi  sehen  Kftrper- 
chen  der  Milz  in  directem  Zusammenhang.  Die  Malpighischen  Körperchen,  deren 
Zahl  und  Grösse  (im  Mittel  %'")  bedeutenden  Schwankungen  unterliegt,  werden 
in  frischen  Milzen  gesunder  Menschen,  und  in  jenen  von  Kindern,  am  besten 
gesehen.  Sie  sitzen  entweder  einzeln,  oder  in  Träubchen,  auf  den  arteriellen 
Gefässverzweigungen  der  Milz  auf.  Sie  besitzen  eine  bindegewebige  Hülle,  welche 
von  der  Scheide  des  betreffenden  Gefässes  stammt,  und  welche  im  Innern  des 
Körperchens  ein,  dem  Fasergerüste  der  Pulpa  ähnliches,  nur  etwas  gröberes  Neti- 
werk  erzeugt,  in  welchem  sich  dieselben  Parenchymzellen  (Lymphkörpcrchen), 
und  dieselben  Formen  von  umgewandelten  Blutkörperchen  vorfinden,  wie  in  der 
Pulpa.  Gewöhnlich  durchdringen  feine  Zweigchen  jener  Arterie,  auf  welcher  das 
Malpighische  Körperchen  aufsitzt ,  das  Innere  desselben ,  wie  es  auch  von  den 
Follikeln  des  Darmes  bekannt  ist,  mit  welchen  die  Malpighischen  Körperchen  bau- 
lich ganz  übereinkommen.  Da  nun  den  Lymphkörperchen  ähnliche  Parenchymzellen 
auch  in  grosser  Menge,  und  nicht  selten  streckenweise  in  zusammenh&n^nden 
Lagen  innerhalb  der  Scheiden  der  Milzgefässe  angetroffen  werden,  so  sind  die 
Malpighischen  Körper  nur  als  umschriebene  Massenanhäufungen  dieser  Parenchym- 
zellen anzusehen. 

Die  Aestc  der  Milzarterie  verzweigen  sich,  den  Balken  entlang,  und  inner- 
halb derselben,  in  immer  kleinere  und  kleinere  Zweige.  Nur  eine  Strecke  weit 
halten  diese  Zweige  mit  den  Venen  gleichen  Schritt,  trennen  sich  aber  dann  von 
ihnen,    und  senken  sich  in  das  Fasergerüste  der  Pulpa  ein,    wo  sie  in  zierliche 


§.  278.    Bauchfell.  647 

Büschel  kleinster  Reiserchen  —  die  PeniciUi  von  Prochaska  —  zerfallen,  welche 
dann  schliesslich,  ohne  ein  capillares  Netz  zu  bilden,  in  die  Venenanfönge  über- 
gehen. Diese  letzteren  bilden  in  der  Pulpa  ein  sehr  dichtes,  einem  cavemösen 
Gewebe  vergleichbares  Netz,  jedoch  (angeblich)  ohne  selbstständige  Wände,  indem 
ihre  Begrenzung  nur  durch  Epithel,  und  eine  etwas  dichtere  Partie  des  Faser- 
gerüstes der  Pulpa  gebildet  wird.  Dieses  cavemöse  Verhalten  der  Pulpavenen 
macht  es  verständlich,  wie  das  Milzvolum  im  lebenden  Menschen  einer  bedeutenden, 
selbst  plötzlich  eintretenden  Zu-  und  Abnahme  unterliegen  kann.  Die  venösen 
Netze  der  Pulpa  hängen  mit  wirklichen,  selbstständige  Wand  besitzenden  Venen 
zusammen,  mittelst  sehr  zahlreicher  Oeffhungen,  welche  der  inneren  Oberfläche 
dieser  Venen  ein  siebartig  durchbrochenes  Ansehen  verleihen  {Stigmata  Malpighii). 

Dieser  Schilderung  zu  Folge,  wäre  die  Milz  architektonisch  einerseits  mit 
den  Lymphdrüsen,  andererseits  mit  den  Schwellgeweben  verwandt,  —  ein  unselig 
Mittelding  zwischen  beiden,  um  welches  sich  noch  vieles  schreibseliges  Gezanke 
drehen  wird.  Die  Aehnlichkeit  mit  Lymphdrüsen  würde  sich  noch  befriedigender 
herausstellen,  wenn  wir  über  das  Verhalten  der  Lymphgefässe  in  der  Milzpulpa 
besser  unterrichtet  wären. 

Bis  wir  dieses  sein  werden,  müssen  wir  zugestehen,  dass  die  Milz,  trotz 
so  viel  Mikroskopie,  und  einer  die  Verwirrung  täglich  mehrenden,  massenhaften 
Literatur,  heutzutage  nicht  viel  Besseres  ist,  als  was  sie  zu  Galen's  Zeiten  war: 
ein  mysterii  plenum  organon.  Es  lässt  sich  somit  auch  zur  Stunde  nicht  erklären, 
warum  bei  den  in  der  Milzpulpa  auf  Bildung  oder  Rückbildung  der  Blutkörper- 
chen hinzielenden  Vorgängen,  die  Exstirpation  der  Milz  kein  absolut  tödtlicher 
Eingriff  ist. 

lieber  die  Schicksale  der  Blutsphären  in  der  Pulpa  und  in  den  Malpighi- 
schen  Körperchen  handeln  folgende  Schriften:  Für  die  Rückbildung:  KöUikery 
über  Bau  und  Verrichtung  der  Milz,  in  den  Mittheilnngen  der  Züricher  natur- 
forsch. Gesellschaft,  1847,  und  dessen  Sendschreiben:  lieber  blutkörperchen- 
haltige  Zellen,  in  der  Zeitschrift  für  wissenschaftl.  Zoologie.  1.  Bd.  pag.  260.  — 
LandUf  Beiträge  zur  Lehre  über  die  Verrichtungen  der  Milz.  Zürich,  1847.  — 
Ecker,  in  Henle^a  und  Pfeuffer*s  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin.  VI.  Bd.  p.  261, 
und  in  dem  Artikel  Blutdrüsen,  in  R,  Wagner^a  Handwörterbuch.  —  Rertiak, 
in  Miiller*8  Archiv.  1851.  p.  480.  —  Gegen  die  Rückbildung:  Gerlachy  in  //en/c'*, 
und  Pfeuffet^a  Zeitschrift  VII.  Bd.  pag.  78. 

lieber  die  glatten  Muskelfasern  der  Milz  siehe:  Mazon,  in  Müller* a  Archiv. 
1864.  pag.  25.  —  Die  werthvollsten  Gewebsuntersuchungen  der  Milz  verdanken 
wir  Billroth  und  Schweigger- Seidel,  im  Archiv  für  path.  Anat.  Bd.  XX.  u.  XXIII. 
Dasselbe  Archiv  enthält  auch  die  Arbeiten  von  Axel  Key  (22.  Bd.),  von  Stieda 
(24.  Bd.),  so  wie  die  Zeitschrift  für  rat.  Med.  (3.  F.  18.  Bd.)  die  Abhandlungen 
von  W.  Müller  und  Timm,  —  lieber  Lymphgefässe  der  Milz  handelt  Tomaa, 
Wiener  Sitzungsberichte,  1864. 


§.  278.  Bauchfell, 

Das  Bauchfell,  Pei^itoneum  (nach  wörtlicher  Uebersctzung 
seiner  griechischen  Wurzel:  7:£piT£ivo3,  die  Umspannungshaut  der 
Unterleibseingeweide),  kann  als  ein  zusammenhängendes  Ganzes 
erst  dann  mit  Vortheil  studirt  werden,  wenn  alle  Einzelheiten  der 
Lage  und  Verbindung  der  Abdominalorgane  namentlich  erwähnt,  und 
ihre  OerÜichkeit  R^nati  bekannt   geworden  sind.    Da  jedoch   die 


648  §>  S78.    BftQchfeU. 

Verhältnisse  des  Bauchfelles  zu  den  in  der  Bauch-  und  Beckenhöble 
liegenden  Organen  des  Harn-  und  Geschlechtsapparates  sich  sehr 
einfach  gestalten,  und  das  Schwierige  der  Bauchfellsanatomie  nur 
in  den  Beziehungen  dieser  Membran  zu  den  Verdauungsorganen 
liegt,  so  möge  sich  die  Betrachtung  des  Peritoneum  als  Schluss- 
paragraph der  letzteren  hier  anreihen. 

Als  umfangreichste  und  complicirteste  aller  serösen  Membranen 
bildet  das  BauchfeU  einen  vollkommen  geschlossenen  Sack,  welcher 
theils  die  innere  Oberfläche  der  Bauch-  und  Beckenwandungen  über- 
zieht, theils  durch  die  Eingeweide,  welche  sich  in  den  Sack  hinein- 
drängen, faltenartig  eingestülpt  wird.  Hierauf  beruht  die  allgemein 
übliche  Eintheilung  des  BauchfeUs  in  ein  Peritoneum  parietale  und 
viscerale.  Nur  im  weiblichen  Geschlechte  hat  das  Peritoneum  zwei 
Oeflfhungen:  die  Bauchmündungen  der  Tuhae  Fallopianae.  Binde- 
gewebs- und  elastische  Fasern  bilden  das  Materiale  des  gesammten 
Bauchfells.  Die  innere  Oberfläche  des  Peritoneum  parietale,  imd  die 
ihr  zugekehrte  äussere  des  Peritoneum  visceralej  besitzen  Plattenepithel, 
und  sind  glatt,  feucht  und  schlüpfrig.  Beide  Oberflächen  werden 
durch  den  Druck,  den  die  Bauchpresse  auf  die  Unterleibsorgane 
ausübt,  in  inniger  Bertlhrung  gehalten.  Es  bleibt  nirgends  ein  Zwi- 
schenraum, der  sich  erst  bildet,  wenn  bei  Bauchwassersüchten  oder 
Verwundungen,  Wasser  oder  Blut  in  die  Höhle  des  Peritoneums 
ergossen  wird.  Die  Glätte  der  freien  Flächen  erleichtert  das  Hin- 
und  Hergleiten  der  beweglichen  Eingeweide,  welches  durch  ihre 
Füllung  und  Entleerung,  ihren  peristaltischen  Motus  und  ihre  Ver- 
schiebung bei  den  Athmimgsbewegungen  bewirkt  wird.  Die  äussere 
Fläche  des  Peritoneum  parietale  hängt  durch  kurzes  Bindegewebe 
{Textus  cellulosus  subperitonealisy  auch  subserosus)^  mit  der  inneren 
Oberfläche  der  Bauehwand  zusammen,  imd  die  innere  Fläche  des 
Peritoneum  viscerale  wird  mit  der  äusseren  Oberfläche  der  Einge- 
weide auf  dieselbe  Weise  verbimden.  Das  subseröse  Bindegewebe 
des  Peritoneum  parietale  enthält  in  der  imteren  Abtheilung  der  Bauch- 
höhle mehr  Fett,  als  in  der  oberen.  Einzelne  Fettklumpen  kön- 
nen, wenn  sie  in  der  Nähe  des  Leisten-  oder  Schenkelkanals,  oder 
des  Nabelringes,  liegen,  durch  diese  nach  aussen  dringen,  und 
Bruchgeschwülste  vorspiegeln  {Herniae  adiposae  s.  IJttrianae\  welche, 
wenn  sie  grösser  werden,  das  Peritoneiun  beutelartig  nach  sich 
ziehen,  und  secundär  eine  wahre  Hernie  veranlassen. 

Der  Verlauf  des  Peritoneum  parietale  differirt  in  der  Becken- 
höhle beider  Geschlechter.  Im  Manne  steigt  es  vom  Nabel  herab, 
um  den  Scheitel  und  die  hintere  Wand  der  Harnblase  zu  über- 
ziehen, macht  dann  einen  Sprung  zur  vorderen  Fläche  des  Mast- 
darms,  an  welcher  es   wieder  zur  hinteren   Wand  der  Bauchhöhle 


§.  878.   BMclilbU.  649 

emporsteigt.  Zwischen  Harnblase  und  Mastdarm  bildet  das  Peri- 
toneum somit  einen  Blindsack  (^Excavatio  vesico-rectalis),  welcher  bei 
leerer  Harnblase  einige  Schlingen  des  Intestinum  üeum  enthält,  und 
an  dessen  Grunde  die  beiden  nach  innen  concaven  Plicae  semüu- 
nares  Douglasü  gesehen  werden,  welche  sich  vom  Blasengrunde  zu 
den  beiden  Seiten  des  Mastdarms  hinziehen,  imd  stärker  vorsprin- 
gen, wenn  man  den  Blasengrund  nach  vom  drängt.  Da  die  beiden 
Falten  mit  ihren  vorderen  oder  hinteren  £nden  auch  in  einander 
verfliessen  können,  und  dann  nur  Eine  Fähe  mit  hinterer  oder  vor- 
derer Concavität  gegeben  ist,  so  liest  man  hie  imd  da  die  Plicae 
Douglasü  auch  im  Singular,  —  Beim  Weibe  schiebt  sich  der  Uterus 
mit  seinen  Annexis  {Tubae,  Ovaria,  Ligamenta  rotunda)  zwischen 
Harnblase  und  Mastdarm  von  unten  her  ein,  hebt  den  Ghnind  der 
peritonealen  Beckenauskleidung  als  Querfalte  auf,  welche  die  Exca- 
vatio  vesico-rectalis  in  zwei  kleinere  theilt,  deren  vordere:  Excavatio 
vesicO'Uterina,  deren  hintere  (viel  tiefere):  Excavatio  utero-rectalis 
genannt  wird.  —  Die  Reste  der  paarigen  Nabelarterien  an  den 
Seiten  der  Blase  {Chordae  umbilicales),  und  der  vom  Blasenscheitel 
zum  Nabel  aufsteigende  Rest  des  Urachus,  Uegen  in  Falten  der 
vorderen  Peritonealwand ,  und  die  vom  Poupart'schen  Bande  zur 
hinteren  Fläche  des  geraden  Bauchmuskels  schräg  aufsteigende 
Arteria  epigastrica  inferior  erhält  eine  ähnliche,  aber  nicht  immer 
deutUch  ausgeprägte  kleine  Bauchfellfalte  —  Plica  epigastrica.  An 
der  äusseren  Seite  der  Plica  epigastrica  geht,  bei  Embryonen  männ- 
lichen Geschlechts,  ein  sackförmiger  Fortsatz  des  Bauchfells  (Pro- 
cessus vaginalis)  durch  den  Leistenkanal  aus  der  Bauchhöhle  bis  in 
den  Grund  des  Hodensacks  hinab,  wo  er  durch  den  Hoden  einge- 
stülpt erscheint,  wie  der  grosse  BauchfeUsack  durch  die  einzelnen 
Eingeweide.  Nach  der  Geburt  verwächst  dieser  sackförmige  Fort- 
satz, vom  Leistenkanale  an,  gegen  den  Hoden  hinab.  Die  Verwach- 
simg hört  aber  etwas  oberhalb  des  Hoden  auf,  imd  schreitet  nicht 
weiter  nach  unten  fort.  Der  Hode  muss  somit  beim  Erwachsenen 
in  einem  doppelten  serösen  Beutel  liegen,  dessen  äusseres  Blatt  ihn 
nur  einhüllt,  ohne  mit  ihm  zu  verwachsen,  dessen  inneres  dagegen 
an  seine  Oberfläche  angewachsen  ist,  —  wie  das  Peritoneum  viscerale 
überhaupt  an  die  Eingeweide,  die  es  überzieht.  Dieses  ist  die  Tu- 
nica  vaginalis  propria  testis.  Diejenige  Stelle  des  Bauchfells,  welche 
die  Bauchöffhung  des  Leistenkanals  verdeckt,  imd  von  welcher  aus 
sich  beim  Embryo  der  Processus  vaginalis  in  den  Hodensack  vor- 
drängte, führt  im  Erwachsenen  den  Namen  Fovea  inguinalis  ex- 
terna j  während  die  an  der  inneren  Seite  der  Plica  epigastrica  be- 
findliche (der  äusseren  Oeffiiung  des  Leistenkanals  vis-ä-vis  gele- 
gene) Vertiefung,  Fovea  inguinalis  interna  heisst  (§.  173,  174,  175). 
Oft  findet    man  das   Anfangsa^ck  des    Processus    vaginalis    auch 


650  §•  S7^.  Bauchfell. 

beim  Erwachsenen  noch  ein  wenig  offen,  wodurch,  wie  ich  glaube, 
die  Disposition  zur  Entstehung  eines  äusseren  Leistenbruches  ge- 
geben ist.  Auch  bei  weiblichen  Embrj'onen  sieht  man  einen  kegel- 
förmigen, aber  viel  engeren  und  kürzeren  Fortsatz  des  Peritoneum, 
in  den  Leistenkanal  eindringen,  und  daselbst  blind  endigen.  Dieses 
ist  das  sogenannte  Diverticulum  Niickii. 

Von  der  vorderen  Bauchwand  geht  nur  Eine  Peritonealeinstül- 
pung  aus,  welche  das  Ligamentum  umbüicale  hepatis  aufnimmt,  iind 
längs  des  Diaphragma  weiter  ziehend,  als  Ligamentum  suspensorhini 
hepatis  beschrieben  wurde.  Dieses  wird  zum  serösen  Ueberzug  der 
Leber,  dieser  zum  kleinen  Netz  und  Ligamentum  hepatoduodenaley 
diese  beiden  zum  serösen  Ueberzuge  des  Magens  und  des  Duode- 
num, und  zuletzt  zum  grossen  Netz,  welches  an  seinem  unteren,  in 
die  Beckenhöhle  herabreichenden  Rande  sich  umschlägt,  gegen  den 
Quergrimmdarm  heraufläuft,  und,  ihn  umfassend,  als  Mesocolon  zur 
Wirbelsäule  zieht,  wo  seine  beiden  Blätter  neuerdings  auseinander 
weichen,  um  das  Pankreas  aufzunehmen.  Das  obere  Blatt  des 
Mesocolon  wird  dann  zur  hinteren  Wand  der  hinter  dem  Magen 
liegenden  Bursa  omentalis,  zu  welcher  das  Winslow'sche  Loch  (zwi- 
schen Ligamentum  hepato-duod-enale  und  duodeno-renale)  der  Zugang 
war  (§.  272) ;  das  untere  Blatt  beugt  sich  aber,  vom  unteren  Rande 
des  Pankreas,  gleich  wieder  nach  abwärts,  um  mit  dem  Pefi^itoneum 
parietale  der  hinteren  Bauchwand  zu  verschmelzen. 

Die  Anatomie  der  Gekröse  bedarf  nach  dem,  was  bei  den 
betreffenden  DarmstUcken  gesagt  wurde,  keiner  weiteren  Erörte- 
nmg.  Sie  sind  nicht  blos  Faltungen  des  Peritoneiuns,  sondern  zu- 
gleich die  Heerstrassen,  auf  welchen  Blutgefässe  und  Nerven  zuni 
Darmkanale  gelangen.  Spannt  man  das  Mesenterium  des  Dünndarms 
an,  und  schneidet  man,  z.  B.  sein  linkes  Blatt  an  der  Wirbelsäule 
durch,  und  reisst  es,  gegen  den  Darm  hin,  von  dem  rechten  Blatte 
los,  so  sieht  man,  wie  die  Wurzel  des  Mesenteriums  die  Aorta  zwi- 
schen ihre  beiden  Blätter  fasst,  und  wie  die  Arteria  mesenierica  su- 
perior  et  inferior,  so  wie  die  Zweige,  welche  die  Vena  mesenterica 
zusammensetzen,  ferner  die  Nerven  und  Lymphgeftsse  des  Darms 
mit  ihren  Drüsen  {Glandulae  mesentericae),  zwischen  den  Blättern  des 
Mesenteriums  verlaufen. 

Ich  weiss  aus  Erfahnmg,  wie  schwer  es  dem  Anfänger  wird,  sich  von 
einer  so  complicirten  Membran,  wie  das  Bauchfell  ist,  eine  befriedigende  Vor- 
stclhing  zu  bilden.  Sehr  häufig  wird  an  der  liciclie  sein  Verlauf  durch  ab- 
norme Adhäsionen  entstellt  gefunden,  welche  sich  in  Folge  von  BauchfcUentzün- 
dungen  bildeten,  und  leicht  für  normale  Duplicaturen  gehalten  werden,  wo  dann 
der  Befund  in  der  Leiche  mit  der  Darstellung  des  Ifandbuchcs  nicht  fiberein- 
stimmt. Am  zweckmässigsten  ist  es,  das  Peritoneum  an  Kindesleichen  zu  unter- 
suchen, und  selbst  dann  wird  die  Bildung  der  Netze,  der  gleich  zu  erwähnenden 
Bur$a   omerUalU,   und    die  Verbindung   des   Magens   mit   dem    Colon  transvermm 


§.  S78.  Banclifell.  651 

noch  immer  dem  Schüler  ein  Käthsel  bleiben,  zu  welchem  nur  die  Entwicklungs- 
geschichte des  Darmkanals  den  Schlüssel  giebt. 

Wenn  man  das  Bauchfell  blos  an  Leichen  untersucht,  deren 
Darmkanal  bereits  in  jenen  Verhältnissen  sich  befindet,  die  durch's 
ganze  Leben  bleibend  verharren,  ist  es  unmöglich,  sich  einen  Be- 
griff davon  zu  machen,  warum  das  grosse  Netz  auf  Umwegen  an 
das  Colwi  transversum  tritt,  und  wie  so  es  zur  Bildung  einer  Höhle 
(Bursa  omefitalis)  hinter  dem  Magen  kommt,  welche  durch  das  Fo- 
ramen Winslovn  mit  der  übrigen  Bauchhöhle  communicirt.  Durch 
die  Untersuchungen  Mtlller's  (Ueber  den  Ursprung  der  Netze  beim 
Menschen,  in  MeckeVs  Archiv  für  Anat.  und  Phys.  1830)  sind  diese 
Punkte  auf  die  befriedigendste  Weise  erörtert.  Im  vier-  und  ftinf- 
wöchentlichen  Embryo  nämlich  liegt  der  Magen,  als  einfache  Er- 
weiterung des  Oesophagus,  noch  nicht  quer,  sondern  senkrecht  vor 
der  Wirbelsäule.  Der  Darm  tritt  vollkommen  geradlinig  vom  Magen 
in  den  Nabelstrang,  wo  er  umbeugt,  um  ebenso  gerade  zum  After 
herabzusteigen.  Die  grosse  Curvatur  des  Magens  sieht  nach  links, 
die  kleine  nach  rechts.  An  die  kleine  Curvatur  setzt  sich  das  von 
der  Leber  herabkommende  Omentum  minus  fest.  Ein  Omentum  majus 
fehlt  noch.  Dagegen  inserirt  sich  an  die  linke  grosse  Magencurvatur 
ein  Mesenterium  —  wie  an  den  übrigen  Darmkanal.  Dieses  Magen- 
Mesenterium  {Mesogastrium  Muelleri)  geht  von  der  Wirbelsäule  aus, 
und  wendet  sich  gleich  nach  seinem  Ursprünge  nach  links,  um  die 
linke  Ourvatura  ventriculi  zu  erreichen.  Es  bleibt  also  zwischen  dem 
Mesogastrium,  und  der  hinteren  Magenwand  ein  dreieckiger  Raum 
frei,  dessen  Kante  nach  links,  dessen  Basis  nach  rechts  sieht.  Diese 
Basis  ist  ihrer  ganzen  Länge  nach  offen.  Nach  und  nach  stellt  sich 
der  Magen  aus  der  senkrechten  Richtung  in  die  quere.  Sein  Pylorus, 
welcher  früher  die  tiefstgelegene  Stelle  des  Magens  war,  steigt  auf; 
das  Omentum  minus  wird  kürzer,  und  die  grosse  Eingangsöffnung 
des  hinter  dem  Magen  befindlichen  leeren  Raumes,  wird  auf  die 
gewöhnlichen  Dimensionen  eines  Foramen  Winslovii  reducirt.  Das 
Mesogastrium  folgt  dieser  Lageveränderung  des  Magens,  und  stellt 
sich  ebenfalls  quer,  buchtet  sich  aber  zugleich  nach  unten  aus,  und 
hängt  als  laxe' Falte  vor  dem  übrigen  Darmkanale  herab.  —  Die  nach 
unten  ausgebogene  Falte  des  Mesogastrium  besteht  aus  einem  vor- 
deren, absteigenden  (vom  grossen  Magenbogen  kommenden),  und 
einem  hinteren,  aufsteigenden  (zur  ursprünglichen  Entstehungsstelle 
des  Mesogastriums  zurücklaufenden),  doppel blätterigen  Antheile. 
Letzterer  läuft  über  das  Colon  transversum  zurück  zur  Wirbelsäule, 
und  ist  mit  dem  Mesocolon  transvei'sum,  auf  welchem  es  liegt,  parallel. 
In  diesem  Zustande  bleibt  die  Sache  bei  den  Säugethieren,  wo  das 
Omentum  majus  mit  dem  Colon  transversum  keine  Verbindung  hat, 
durch  das  ganze  Lebeo  ^^v  ~  aivi  Menschen  dagegen  verwächst 


6f)2  §'  ^9*   Begriff  und  Eintheiliing  des  Bespirationsorgans. 

der  zurücklaufende  Theil  des  Omentum  mxijtis  mit  der  oberen  Platte 
des  Meaocohn  transvei^sum,  oder,  als  öfterer  Fall,  beide  Blätter  des 
Omentum  umfassen  das  Colon  transversuniy  und  gehen  somit  in  die 
beiden  Blätter  des  Mesocolon  transversum  über. 

Eine  genaue  Zusammenstellung  aller  hieher  gehörigen  Data  enthält  Hen- 
necke: Comment  de  functionibuB  omentorum  in  corp.  hum.  Cum.  tab.  VI.  Qot> 
Üngae,  1836.  4.  —  Schlägt  man  das  Colon  tramversum  nach  oben,  und  drängt 
man  das  Convolut  der  Dünndarmschlingen  ^ach  rechts  und  unten,  so  gewahrt 
man  an  der  Uebergangsstelle  des  Duodenum  in  das  Jejunum  eine  halbmond- 
förmige Peritonealfalte,  deren  oberes  Hom  in  die  untere  Platte  des  Mesocolon 
transversum  übergeht,  deren  unteres  Hom  aber  der  erwähnten  Uebergangsstelle 
von  Duodenum  und  Jejunum  entspricht.  Sie  mag  PUca  duodenO'jejunalU  heissen, 
und  deckt  eine  blinde  Bauchfelltasche,  deren  Beziehung  zu  einer  seltenen  Bruch- 
form {Hemia  retropenionealU)  der  erwähnten  Falte  praktische  Bedeutsamkeit 
giebt  (Hjrtl,  topogr.Anat  ö.Aufl.  l.Bd.  pag.664).  \5e\ieT  ^ea  Receattu  üeo-coeccdU^ 
eine  zweite  praktisch  zu  verwerthende  Peritonealtasche,  handelt  Luschka  im 
Archiv  für  path.  Anat  Bd.  XXL 


II.  Respirationsorg^an. 
§.  279.  Begriff  und  Eintheilung  des  Eespiiationsorgans. 

Die  atmosphärische  Luf);  ist  fUr  die  Erhaltung  des  Lebens 
eben  so  unerlässlich  nothwendig,  wie  fUr  die  Unterhaltung  eines 
Verbrennungsprocesses.  In  beiden  Fällen  wirkt  sie  durch  ihren 
Oxygengehalt;  das  Azot  hat  dabei  keine  Verwendung.  Das  Oxy- 
gen  der  Atmosphäre  muss  dem  Blute  einverleibt  werden,  und  das 
Blut  giebt  fUr  diesen  Empfang  einen  seiner  Bestandtheile  an  die 
Luft  zurück,  dessen  es  sich  so  schnell  als  möglich  zu  entledigen 
hat,  da  sein  längeres  Verbleiben  im  Körper  zum  Tode  führen  würde. 
Dieser  giftige  Bestandtheil  des  Blutes  ist  die  Kohlensäure,  ein  Zer- 
setzungsproduct  des  thierischen  Stoffwechsels.  Der  Mensch  erstickt 
in  kohlensäuregeschwängerter  Luft,  nicht  weil  er  Kohlensäure  ein- 
athmet,  sondern  weil  er  sich  der  Kohlensäure  seines  Blutes  nicht 
mehr  entäussem  kann.  Die  Organe  nun,  welche  die  atmosphärische 
Luft  in  den  Körper  bringen,  die  Wechselwirkung  des  Oxygens  mit 
dem  Blute,  und  die  Ausscheidung  der  Kohlensäure  aus  letzterem 
vermitteln,  sind  die  Respirationsorgane.  Sie  nehmen  die  obere 
Körperhälfte,  Kopf,  Hals  und  Brust,  ein,  und  erstrecken  sich  nicht 
über  das  Zwerchfell  hinab. 

Hat  die  Luft  ihr  Oxygen  an  das  Blut  abgegeben,  und  dafür 
Kohlensäure  empfangen,  so  muss  sie  wieder  herausgetrieben  werden. 
Bewegung  spielt  somit  eine  Hauptrolle  bei  dem  Respirationsgeschäfte, 
und  das  Aus-  imd  Einströmen  der  Luft  ist  nur  die  nothwendige 
physikalisQhe  Folge  der  durch  Muskelbewegung  bedingten  Verenge- 


§.  MO.  Kehlkopf.  KnoipelgerOst  desselben.  653 

nmg  oder  Erweiterung  des  Brustkastens,  und  der  in  ihm  liegenden 
Lunge.  In  den  Muskeln  liegt  also  das  Active  der  Respirations- 
organe. Die  Luft  strömt  beim  Einathmen  nicht  in  die  Höhle  des 
Brustkastens  ein,  sondern  verbreitet  sich  in  einem  schwammigen, 
expansiblen  Organe,  dessen  Oberfläche  der  inneren  Oberfläche  des 
Thorax  genau  anliegt,  sich  mit  ihm  vergrössert  und  verkleinert,  und 
zugleich  vom  Herzen  jene  Masse  Blutes  erhält,  welche  die  bele- 
bende Einwirkung  der  Atmosphäre  erfahren  soll.  Dieses  Organ  ist 
die  Lunge.  Bevor  die  Luft  in  die  Lunge  gelangt,  muss  sie  beim 
Einathmeil  durch  die  Nasenhölile,  den  Rachen,  den  Kehlkopf,  und 
die  Luftröhre  passiren,  und  denselben  Weg  wieder  zurücknehmen 
beim  Ausathmen.  Von  der  Nasenhöhle  wurde  bereits  in  der  Sinnen- 
lehre gehandelt.  Wir  beginnen  deshalb  die  Anatomie  der  Athmungs- 
organe  mit  dem  Kehlkopf. 


§.  280.  Kehlkopf.  Knorpelgerüst  desselben. 

Mit  dem  Kehlkopf,  Larynx  (vielleicht  von  Xopuvw,  girren), 
beginnt  der  Halstheil  des  Respirationsorgans.  Ohngeachtet  seiner 
sehr  einfachen  Construction  ist  er  dennoch  das  vollkommenste  mu- 
sikalische Instrument,  und  zugleich  leicht  zu  spielen  ftlr  Jedermann. 
Akustisch  gesprochen,  gehört  der  Kehlkopf  zu  den  sogenannten 
Zungenwerken  mit  membranösen  Zungen  (Stimmbänder);  anato- 
misch betrachtet,  stellt  er  ein  aus  beweglichen  Knorpeln  zusammen- 
gesetztes, hohles  Gerüste  dar,  welches  mit  einer  Fortsetzung  der 
Rachenschleimhaut  ausgekleidet  wird,  und  durch  Schwingungen 
der  an  seiner  inneren  Oberfläche  befestigten  Bänder  die  Stimme 
erzeugt. 

Er  liegt  zwischen  dem  Zungenbein  und  der  Luftröhre.  Ein 
beweglicher  Vorsprung  in  der  Mitte  der  vorderen  Halsgegend,  wel- 
cher den  Namen  des  Adamsapfels  (Prominentia  laiyngea  s.  Nodus 
guituris)  flihrt,  entspricht  seiner  Lage.  Nach  unten  hängt  er  mit  der 
Luftröhre  zusammen,  seitwärts  grenzt  er  an  die  grossen  Qeftlsse 
des  Halses. 

Das  Gerüste  des  Kehlkopfes  lässt  sich  in  folgende  Knorpel 
zerlegen. 

a)  Der  Schildknorpel,  Cartilago  thyreoidea  (Ojpeb<;-£T3o(;, 
schildförmig),  besteht  aus  zwei,  unter  einem  mehr  weniger  rech- 
ten Winkel  nach  vom  zusammenstossenden,  viereckigen  Platten, 
deren  äussere  Fläche  eine  schief  nach  hinten  und  oben  gerichtete 
Leiste  zur  Anheftung  des  Musculus  stemo-thyi'eoidetis,  thyreo-hyoideus 
und  thyreo-pJiaryngeus  besitzt,  deren  innere  Fläche  durchaus  glatt 
und  eben  ist.  Der  convexe  obere  Rand  jeder  Platte  bildet  mit  dem 


654  §•  2^-    Kehlkopf.  Knorpelgerüst  desgelben. 

der  anderen  Seite  die  Incisura  ihyreoidea  superior.  Der  untere  Rand 
ist  der  kürzeste,  und  S-förmig  geschweift.  Der  hintere,  fast  senk- 
recht stehende  Rand,  verlängert  sich  nach  oben  und  unten  in  die 
Hörner  des  Schildknorpels:  Comu  superius  s.  loiigum,  et  inferiuM 
8.  breve.  Am  oberen  Rande,  in  der  Nähe  der  Basis  des  grossen 
Homes,  findet  sich  ausnahmsweise  eine  Oeffnung,  durch  welche  die 
Arteina  laryngea  in  den  Kehlkopf  tritt. 

b)  Der  Ringknorpel,  Cartilago  cincoidea  (xp{x5?,  Ring,  wo- 
raus, durch  Versetzung  des  p,  drctis  und  drculns  entstehen),  liegt 
unter  dem  Schildknorpel,  dessen  untere  Homer  ihn  zwischen  sich 
fassen.  Er  hat  die  Gestalt  eines  horizontal  liegenden  Siegelringes, 
dessen  schmaler  Reif  nach  vom,  dessen  Platte  nach  hinten  gerichtet 
ist.  Seine  äussere  Fläche  besitzt  zu  beiden  Seiten  eine  kleine  G^ 
lenkfläche,  zur  Articulation  mit  den  unteren  Hörnern  des  Schild- 
knorpels; die  innere  ist  mit  der  Kehlkopfschleimhaut  überzogen. 
Sein  unterer  Rand  verbindet  sich  durch  das  Ligamentum  cricota- 
cheale  mit  dem  ersten  Luftr()hrenknorpel.  Der  obere  Rand  des  hin- 
teren Halbringes  zeigt  zwei  ovale,  convexe  Gelenkflächen,  auf  wel- 
chen die  Bases  der  Giessbeckenknorpel  articuUren. 

c)  Der  rechte  und  linke  Giessbeckenknorpel,  Cdriäago 
arytaenoidea  (apyTaiva,  Giessb ecken),  sind  dreikantige  Pyramiden, 
deren  Basis  auf  den  eben  erwähnten  Gelenkflächen  des  oberen 
Randes  der  Platte  des  Ringknorpels  aufsitzt,  deren  Spitze  etwas 
nach  hinten  gekrümmt  ist.  Die  drei  Flächen  stehen  so,  dass  die 
innere,  eben  und  gerade,  jener  der  anderen  Seite  zugewendet  ist, 
die  äussere,  wellenförmig  gebogene,  nach  vom  und  aussen  sieht, 
die  hintere,  concavc,  gegen  die  Wirbelsäule.  Alle  drei  Flächen 
werden  mit  Schleimhaut  bekleidet.  Der  Ueberzug  der  inneren 
Fläche  stammt  von  der  Kehlkopf  höhle  her;  jener  der  hinteren  und 
äusseren  gehört  der  SclJeimhaut  des  Pharynx  an.  Die  Ränder  wer- 
den somit  ein  vorderer,  ein  hinterer  äusserer,  und  hinterer  innerer 
sein.  Die  vordere  Ecke  der  Basis  verlängert  sich  zum  Stimm- 
bandfortsatz,  Processus  vocalis,  die  äussere  zum  stärkeren  und 
etwas  nach  hinten  gerichteten  Muskelfortsatz,  Processus  vmscn- 
Iuris.  Auf  der  Spitze  jeder  Cartilago  arytaenoidea  findet  sich,  durch 
Bandfasern  mit  ihr  vcreinig.t,  die  j)yramidal  gestaltete  Cartilago  San- 
toriniana  s.  Coi'niculum, 

l'ebor  den  Handapparat  der  Sautorini'schen  Kn()q)cl  gab  Luschka  im 
XI.  Bde.  der  Zeitsclirift  für  rat.  Med.  Interessantes  und  Neues. 

d)  Der  Kehldeckel,  Epiglottisy  hat  die  geschwungene  Ge- 
stalt einer  Hundszunge,  wie  sie  dorn  keuchenden  Thiere  aus  der 
Mundhöhle  ragt.  Er  stellt  eine  bewegliche,  in  hohem  Grade  ela- 
stische Klappe  vor,  deren  freier  abgerundeter  Rand  nach  oben  und 
hinten,  deren  dicke,  und   von   fetthaltigem   Bindegewebe   lungebene 


§.  881.  Bänder  der  Kehlkopf knorpel.  655 

Spitze  nach  unten  und  vom,  gegen  den  Winkel  des  Schildknorpels 
gerichtet  ist,  wo  sie  durch  das  Ligamentum  thyreo-epiglotticum  befe- 
stigt wird.  Die  obere,  gegen  den  Isthmus  faucium  sehende  Fläche 
des  Kehldeckels  ist  sattelförmig  gehöhlt,  d.  h.  von  vom  nach  hin- 
ten concav,  von  einer  Seite  zur  anderen  convex.  Die  untere  Fläche 
verhält  sich  bezüglich  ihrer  Krümmung  verkehrt  Ihr,  der  Spitze 
der  Epiglottis  zunächst  liegender  Abschnitt,  ragt  als  dreieckiger 
Epiglottiswulst  in  die  Kehlkopfhöhle  hinein. 

Zwischen  den  Blättern  der  als  Ligamenta  epiglottideo-arytaenoidea  zu  er- 
wähnenden Schleimhautduplicaturen,  liegen  die  öfters  fehlenden,  stab-  oder  keil- 
förmigen Cartüaginea  Wriabergü,  und  dicht  am  äusseren  Rande  der  Gißssbecken- 
knorpel,  drei  Linien  unter  der  Spitze  derselben,  entdeckte  Luschka  seine 
gleichfalls  unconstanten  Cartüaginea  sesamoideae  (Zeitschrift  für  rat.  Med.  1859, 
pag.  271). 

Die  Kehlkopfknorpel  zerfallen  ihrer  mikroskopischen  Structur 
nach  in  hyaline  Knorpel,  und  in  Faserknorpel.  Der  Schild- 
knorpel, der  Ringknorpel,  und  die  Giessbeckenknorpel  sind  hyalin ; 
der  Kehldeckel,  die  Santorinischen  und  Wrisbergischen  Knorpel  da- 
gegen sind  Faserknorpel.  An  dem  Winkel,  unter  welchem  beide 
Schildknorpelplatten  zusammenstossen,  ändert  sich  ihre  Structur  der 
Art,  dass  die  Knorpelhöhlen  kleiner  werden  und  dichter  stehen. 
Diese  Aenderung,  welche  sich  durch  grössere  Weichheit  und  mat- 
tere Färbung  dem  unbewaffneten  Auge  kundgiebt,  veranlasste  die 
Annahme  einer  Lamina  mediana  des  Schildknorpels  (durch  H  al- 
ber tsma),  und  der  Name  mag  hingehen,  so  lange  man  sich  unter 
ihm  nicht  einen  wirklichen  Einschub  zwischen  die  Seitenplatten  des 
Schildknorpels  denkt. 


§.  281.  Bänder  der  Kehlkopfknorpel. 

Man  kann  sie  in  wahre  Bänder  und  Schleimhautbänder  ab- 
theilen. 

1.  Wahre  Bänder. 

Die  wahren  Bänder  des  Kehlkopfes  dienen  entweder  zur 
Verbindung  des  Kehlkopfes  mit  den  darüber  und  darunter  liegen- 
den Gebilden  (a,  b),  oder  zur  Vereinigung  einzelner  Knorpel  unter 
einander  (c,  d,  e,  f). 

a)  Die  Ligamenta  ihyreo-hyoidea,  deren  drei  vorkommen,  ein 
meditcm  und  zwei  lateralia.  Das  medium  ist  breit,  heisst  deshalb 
auch  Membrana  obturatoria  laryngis^  imd  fttllt  den  Raum  zwischen 
oberem  Schildknorpelrande  und  Zungenbein  aus.  Es  befestigt  sich 
jedoch  keineswegs  an  den  unteren  Rand  des  Zungenbeinkörpers, 
sondern  am  oberen,  muss  also  an  der  hinteren  Fläche  des  Zungen- 
beines  bis   zu   diesem   Rande  empoi^  'intere 


656  §•  *S1>   Binder  der  KehlkopfknoxpeL 

Fläche  des  Zungenbeinkörpers  ausgehöhlt  ist;  so  wird  zwischen 
Zungenbein  und  Band  ein  Raum  erübrigen  müssen^  in  welchen  sich 
der  in  §.  164,  A,  erwähnte  Schleimbeutel  (Bursa  mucoso  suhhyoidea) 
hineinerstreckt.  Die  beiden  lateralia  verbinden  die  oberen  Homer 
des  Schildknoi*pels  mit  den  grossen  Zungenbeinhörnern,  sind  rund- 
lich, strangförmig,  und  enthalten  häufig  einen  Faserknorpelkem, 
als  sogenanntes  Coi'pusculum  trittceum. 

b)  Das  Ligamentum  crica-tracheale ,  zwischen  unterem  Ring- 
knorpelrande und  oberem  Rande  des  ersten  Luftröhrenknorpels. 

c)  Die  Ligamenta  crico-thyreoidea  lateralia.  Sie  sind  Kapsel- 
bänder, welche  die  unteren  Schildknorpelhömer  mit  der  Seiten - 
gegend  des  Ringknorpels  verbinden. 

d)  Das  Ligamentum  crico-thyreoideum  medium  8.  conicum,  welches 
vorzugsweise  aus  elastischen  Fasern  besteht,  und  deshalb  die  charak- 
teristische gelbe  Farbe  der  Ligamenta  flava  besitzt.  Es  verbindet 
den  unteren  Schildknorpelrand  mit  dem  oberen  Rande  des  vorderen 
Halbringes  des  Ringknorpels. 

e)  Die  Ligamenta  crico-arytaenoidea.  Sie  sind  gleichfalls  Kapsel- 
bänder, und  dienen  zur  beweglichen  Verbindung  der  Bases  der 
Qiessbeckenknorpel  mit  den  am  oberen  Rande  des  hinteren  Halb- 
ringes  des  Ringknorpels  befindlichen  Gelenkflächen. 

f)  Die  untere  Spitze  der  Epiglottis  hängt  mit  der  Incisura 
cartiku/inis  ihyreoideae  superior  durch  das  starke  Liganientum  thyreo- 
epiglotticum  zusammen. 

Alle  diese  Bänder  enthalten  elastische  Fasern. 

2.  Schleimhautbänder. 

Sie  kommen  in  Form  folgender  Falten  vor. 

1.  Verfolgt  man  die  Schleimhaut  der  Zungenwurzol  nach  rtick- 
und  abwärts,  so  sieht  man  sie  zur  vorderen  Fläche  der  Epiglottis 
sich  in  drei  Fältchen  erheben,  welche  Ligamenta  ghsso-epiglottica 
genannt  werden.  Die  mittlere  Falte  tibertrifft  die  beiden  seitlichen 
an  Höhe  und  Stärke.  Sie  schliesst  ein  Bündel  elastischer  Fasern 
ein,  und  wird  auch  Frenulum  epighttidis  genannt. 

2.  Der  Schleimhautüberzug  des  Kehldeckels  wendet  sich  von 
den  Seitenrändern  der  Epiglottis  zur  Spitze  der  Giessbeckenknorpel 
hin,  und  erzeugt  dadurch  die  Ligamenta  epiglottideo-aii/taenoidea 
(kürzer  ary-epiglottica),  welche  den  Aditus  laryngis  zwischen  sich  frei 
lassen.  In  ihnen  eingeschlossen  finden  sich  zuweilen  die  im  voraus- 
gegangenen Paragraph  angeführten  stabförmigen  Cartilagines  Wris- 
bergii,  deren  Längenaxe  senkrecht  gegen  den  freien  Rand  dieser 
Schleimhautfalten  gerichtet  ist. 

3.  Von  der  Seite  des  Kehldeckels  zum  Arcus  palato-fharyn- 
geuM  des  weichen  Gaumens  zieht  sich  sehr  oft  eine  Schleimhautfalte 


S.  S8S.  Stinunb&nder  and  Sehleimliant  des  Kehlkopfes.  657 

hinauf;    welche  unter  spitzigem  Winkel  mit  dem  Arcus  palato  pha- 
ryngeus  verschmilzt. 

F.  Betz  hat  diese  Schleimhautfalte  als  Ligamentum  epiglotHcty-pdlaHnum 
beschrieben  (Archiv  f(lr  physiolog.  Heilkunde.  1849).  Er  nennt  sie  auch,  da  ihr 
oberes  Ende  zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Gaumenbo^en  lie^,  Arcus 
palaHnus  mediua.  Das  Band  ist  in  sofern  nicht  ohne  Interesse,  als  zwischen  ihm 
und  dem  Arcus  palato-pharynigeiis  eine  Längengrube  liegt  (Fovea  navicularis)^  in 
welcher  fremde  Körper  beim  Verschlingen  stecken  bleiben  können. 

Ich  habe  auf  das  Vorkommen  einer  Schleimhautfalte  aufmerksam  gemacht, 
welche  auf  der  hinteren,  dem  Rachen  zugekehrten  Wand  des  Schildknorpels  vor- 
kommt, sich  von  der  Basis  des  Giessbeckenknorpels  zum  Ende  des  grossen 
Zungenbeinhornes  in  schief  aufsteigender  Richtung  hinaufzieht,  und  weil  sie  den 
Nervus  laryngeus  superlor  in  sich  einschliesst,  Plica  nervi  laryngei  von  mir  genannt 
wurde.     Siehe  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1867,  JulL 


§.  282.  Stmimbäiider  und  Schleimhaut  des  Kehlkopfes. 

Die  bisher  beschriebenen  Bänder  des  Kehlkopfes  wirken 
nur  als  solche,  d.  h.  Getrenntes  verbindend.  Die  Stimmbänder 
dagegen  erzeugen  durch  ihre  Schwingungen  die  menschliche  Stimme, 
und  imponiren  uns  in  sofern  als  die  wichtigsten  Organe  des  Kehl- 
kopfes, welchen  zu  dienen  alle  anderen  geschaflfen  wurden. 

Es  finden  sich  im  Inneren  des  Kehlkopfes  zwei  Paar  elasti- 
scher Bänder.  Sie  liegen  über  einander,  entspringen  vom  Winkel 
des  Schildknorpels,  befestigen  sich  an  den  Giessbeckenknorpeln, 
und  heissen  deshalb  Ligamenta  thyreo-arytaenoidea.  Das  obere  Band- 
paar inserirt  sich  am  vorderen  Rande  des  Giessbeckenknorpels,  das 
untere  am  Processus  vocalis.  Die  freien  Ränder  dieser  Bänder  sehen 
gegen  die  Axe  des  Kehlkopfes.  Das  obere,  schwächere  Bandpaar 
springt  weniger,  das  untere  stärker  vor.  Es  bleibt  somit  zwischen 
den  recht-  und  linkseitigen  Bändern  eine  spaltförmige  Oeffnung  frei, 
welche  für  die  wenig  vorspringenden  Ligamenta  thyreo-arytaenoidea 
superiora  grösser,  für  die  breiteren  Ligamenta  thyreo-arytaenoidea 
inferior a  enger  sein  muss.  Diese  Oeffnung  heisst  für  die  oberen 
Bänder:  Glottis  spuria  (falsche  Stimmritze),  für  die  unteren: 
Glottis  vei^a  (wahre  Stimmritze).  Die  Bänder  selbst  können, 
statt  der  langen,  aus  ihrem  Ursprung  imd  Ende  zusammengesetzten 
Namen:  Ligamenta  thyreo-arytaenoidea  superiora  et  inferioray  einfach 
Ligamenta  glottidis  verae  et  spuriae  (Stimmritzenbänder)  heissen. 
Zwischen  dem  oberen  und  unteren  Stimmritzenband  je  Einer 
Seite  liegt  die  drüsenreiche  Schleimhautbucht  der  Veniriculi  Mor- 
gagni s,  Sinus  laryngei. 

Experimente  haben  bewiesen,    dass   nur  die  unteren  Stiinm- 
ritzenbänder,    welche    die    Glottis   vera   zwischen   sich  ^ 
Erzeugung  der  Stimme  dienen;  —  sie  heissen  f 

Uyrtl,  Lehrbnch  der  Anatomie. 


658  §•  S89.  SÜmmb&nder  und  Schleimhaat  des  Kehlkopfes. 

Stimmbänder  (Ckoidae  vocales).  Ihre  Länge  misst  beim  Manne 
6"'— 7'",  beim  Weibe  4'"— 5'",  ihre  grösste  Breite  über  1'".  Liegen 
die  Caftilagines  arytaenoideae  mit  ihren  inneren  Flächen  an  einander, 
80  ist  die  Stimmritze  (Glottis  verä)  so  lang,  wie  die  Ligamenta  glot- 
tidis  vei'ae;  weichen  sie  aus  einander,  so  wird  die  Stimmritze  um 
die  Breite  dieser  Knorpel  bis  auf  IOV2'"  verlängert. 

Genau  betrachtet,  stellen  die  vier  Stimmritzenbänder  nur 
verdickte,  und  an  bestimmte  Punkte  des  Knorpelgerüstes  fest 
adhärirende  Stellen  einer,  die  ganze  Kehlkopfhöhlc  auskleidenden 
elastischen  Membran  dar,  welche  selbst  wieder  mit  der  Kehlkopf- 
schleimhaut im  innigsten  Zusammenhange  steht,  und  sich  stellenweise 
mit  ihr  zu  identificiren  scheint,  wie  gerade  an  den  Stimmritzen- 
bändem. 

Die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  stammt  aus  der  Rachenhöhle, 
und  dringt  durch  den  Adiitts  laryngis  in  die  Kehlkopfhühle  ein. 
Ihr  Reichthum  an  Blutgefässen  steht  anderen  Schleimhäuten  nicht 
unerheblich  nach.  Ihre  Farbe  dunkelt  deshalb  niemals  so  in's  Roth, 
wie  die  Schleimhaut  der  Mundhöhle.  Dagegen  kenne  ich  keine 
Schleimhaut,  welche  eines  grösseren  Aufwandes  von  Nervenfasern 
sich  rühmen  könnte.  Sie  hängt  allenthalben  sehr  fest  an  die  unter 
ihr  liegenden  musculösen  und  elastischen  Gebilde  des  Kehlkopfes 
an.  Ein  geschichtetes  Flimmerepithelium  deckt  sie  von  der  Basis 
des  Kehldeckels  angefangen,  und  lässt  nur  die  Stimmbänder  frei, 
welche  geschichtetes  Pflasterepithel  führen.  Kleine  acinöse  Schlcim- 
drüschen  sind  besonders  im  Ventriculus  Morgagni^  am  vorderen  imd 
hinteren  Ende  der  Stimmritze,  und  an  der  hinteren  Fläche  der 
Epiglottis  (wo  sie  in  kleinen  Grübchen  des  Knorpels  liegen)  zahl- 
reich vorhanden.  Ein  Haufen  derselben  findet  sich  am  Kehlkopf- 
eingang im  Ligamentum  epiglottideo-ai^taenoideum  dicht  vor  den 
Spitzen  der  Cartilagines  aj^ytaenoideae  eingelagert,  als  sogenannte 
Glandulae  arytaenoideae  laterales. 

Die  g^aue  Sprenkeinng  des  durch  Räuspern  ausgeworfenen  Kehlkopf- 
schleimes, beruht  nicht,  wie  man  zn  vermeinen  gewillt  war,  auf  der  Gegenwart 
von  organischem  Pigment,  sondern  auf  Niederschlägen  des  mit  der  eingcathmeten 
Luft  in  die  Kehlkopfhöhle  gebrachten  und  dort  deponirten  Rauches  und  Russes, 
an  welchem  es  unsere  geheizten  Stuben  und  die  kleinen  Oefen  der  Tabak- 
raucher eben  so  wenig  fehlen  lassen,  als  die  Schornsteine  unserer  Häuser,  und 
die  wirbelnden  Schlote  unserer  Fabriken  und  Locomotiven.  Vom  Nasenschleim 
gilt  das  Gleiche,  nur  in  noch  höherem  Grade. 

Die  VentricuU  Morgagni  sollten  besser  VeiUriculi  Galeni  heissen,  da 
Morgagni  sei bst  sagt :  Galenus  haa  cavUates  princeps  invenit  et  ventricnlot 
appellavit»     Advers,  anat.  pag.  17. 


§.  S8S.  Miukeln  des  Kehlkopfes.  659 


§.  283.  Muskeln  des  Kehlkopfes. 

Die  Muskeln,  welche  den  Kehlkopf  als  Ganzes  bewegen  — 
heben  und  senken  —  sind  bereits  bei  den  Halsmuskeln  geschildert. 
Die  Muskeln,  welche  die  Stellung  seiner  einzelnen  Knorpel  gegen 
einander  ändern,  spannen  eben  dadurch  die  Stimmritzenbänder  an 
oder  ab.  Da  nun  diese  Bänder  mit  einem  Ende  an  die  Cartilago 
thyreoideaj  und  mit  dem  anderen  an  die  Caiiilago  arytaenoidea  ange- 
heftet sind,  so  werden  die  fraglichen  Muskeln,  welche  sämmtlich 
paarig  sind,  ihre  Insertionen  nur  an  diesen  Knorpeln  finden  können. 
Am  Ringknorpel  befestigt  sich  keiner  von  ihnen,  wohl  aber  dient 
dieser  Knorpel  vielen  derselben  zum  Ursprung. 

An  der  äusseren  Peripherie  des  Kehlkopfes  liegen  folgende 
Muskeln : 

a)  Der  Musculus  anco-thyreoideus.  Er  entspringt  am  vorderen 
Halbring  der  Cartilago  ancoidea,  und  geht  schief  nach  oben  und 
aussen  zum  unteren  Rande  der  Cartilago  thyi-eoidea.  Er  neigt  den 
Schildknorpel  nach  vorn  herab,  entfernt  seinen  Winkel  von  den 
Giessbeckenknorpeln,  und  spannt  somit  die  Ligamenta  glottidis. 

b)  Der  Musculus  crico-arytaenoideus  posticus  entspringt  von  der 
hinteren  Fläche  des  hinteren  Halbringes  der  Cartilago  cricoidea,  ist 
breit  und  viereckig,  und  befestigt  sich,  mit  nach  aussen  imd  oben 
convergirenden  Fasern,  am  Processus  muscularis  der  Basis  der  Car- 
tilago ai^taenoidea.  Dreht  den  Giessbeckenknorpel  so,  dass  sein 
vorderer  Winkel  nach  aussen  gerichtet  wird,  wodurch  die  Stimm- 
ritze breiter  wird,  und  sich  zugleich,  wegen  Auseinanderweichen 
der  inneren  Flächen  der  Cartilagines  ai*ytaenoideae  ^  nach  hinten 
verlängert. 

Ein  kleines  und  unconstantes  Bündel  desselben  tritt  zuweilen  an  den  hin- 
teren Rand  des  unteren  Schildknorpelhorns  als  M.  cercUo-cricoideus  (Merkel), 
richtiger  crico-thyreoideua  posticus  (Bochdalek  jun.). 

c)  Der  Musculus  crico-arytaenoideus  lateralis  entsteht  am  oberen 
Rande  der  Seitentheile  der  Cartilago  aricoidea,  wird  von  der  seit- 
lichen Platte  des  Schildknorpels  (welche  abgetragen  werden  muss, 
um  ihn  zu  sehen)  bedeckt,  läuft  schräg  nach  hinten  imd  oben  zum 
Processus  muscularis  der  Cartilago  arytaenoidea  y  und  befestigt  sich 
daselbst  vor  der  Insertion  des  Aiytaejioideus  j)osticuSj  dessen  Anta- 
gonisten er  vorstellt. 

d)  Die  Musculi  aiytaenoidei  transversi  und  obliqui  gehen  in 
querer  und  in  schräger  Richtung  von  einer  Cartilago  aiytaenoidea 
zur  anderen,  deren  hintere  concave  Flächön  sie  einnehmen,  so  dass 
die  obliqui  auf  den  transversis  liegen.  Sie  nähern  die  beiden  f^t^a»^ 
beekenknorpel. 


660  S-  S88-  Muskeln  des  KehlkopfiM. 

An  der  inneren  Oberfläche  des  Kehlkopfes  liegen: 

a)  Der  Muscuitts  thyreo-arytaenoidetis.  Er  entspringt  an  der 
inneren  Oberfläche  der  Cartilago  thtp'eoidea,  hart  am  Winkel  der- 
selben, läuft  in  der  Richtung  des  unteren  Stimmritzenbandes,  und 
in  dasselbe  eingewachsen,  nach  hinten,  und  befestigt  sieh  am  Pro- 
cessus vocalis  und  dem  vorderen  Rande  der  Cariilago  arytaenoidea. 
Einzelne  Fasern  desselben  sollen  sich  im  unteren  Stimmritzenbande 
selbst  verlieren. 

Ich  glaube  niSht,  dass  er  das  untere  Stimmritzenband  erschlaffe.  Es 
scheint  vielmehr  seine  Wirkung  dahin  gerichtet  zu  sein,  das  Band  vorspringen- 
der zu  machen,  und  dadurch  die  Stimmritze  zu  verengem.  Er  kann  jedoch 
diese  Wirkung  nur  dann  äussern,  wenn  der  Schildknorpel  und  der  Giessbecken- 
knorpel  durch  andere  Muskeln  fixirt  werden.  —  Santorini  beschrieb  noch  einen 
Musculua  thyreo-arytaenoideus  »uperior  im  oberen  Stimmritzenband.  Ich  sah  ihn 
nur  selten.  Von  beiden  Musculi*  thyreo-arytaenoideU  setzen  sich  Verlängerungen 
an  die  hintere  Fläche  der  Cartilaginea  arylaenoideae  fort,  und  fliessen  mit  den 
Arytcienoideia  obliquü  zusammen. 

b)  Zwischen  beiden  Blättern  des  Ligamentum  epiglottideo-ary- 
taenoideum  liegt  eine  dünne,  aber  breite  Muskelschichte,  an  welcher 
sich  zwei  Abtheilungen  unterscheiden  lassen.  Die  eine  derselben 
entspringt  auswärts  und  oberhalb  des  Thyreo-arytaenoideus  am 
Schildknorpel,  die  andere  am  Giessbeckenknorpel  oberhalb  der 
Insertion  des  oberen  Stimmritzenbandes.  Beide  befestigen  sich  am 
Seitenrande  der  Epiglottis.  Sie  können  als  Thyreo-epiglotticus  und 
Ary-epightticus  benannt  werden. 

Die  Varietäten  der  Kehlkopfmuskeln  wurden  von  Tourtual,  Merkel, 
Gruber,  Turner,  Bochdalek  jun.  u.  A.  sorgfältig  untersucht,  worüber  Henle 
ausführiich  handelt  (Anat.  2.  Bd.). 

Nicht  die  Luft,  sondern  die  unteren  Stimmritzenbänder  erzeugen  primär 
im  Kehlkopfe  den  Schall,  dessen  Höhe  und  Tiefe  als  Ton,  von  der  Länge  und 
Spannung  der  Stimmritzenbänder,  wohl  auch  von  der  Stärke  des  Anblasens  durch 
die  ausgeathmete  Luft,  abhängt.  Der  weibliche  Kehlkopf,  dessen  Durchmesser 
beiläufig  um  ^/^  kleiner  sind,  als  jene  des  männlichen,  wird  ein  höheres  Ton- 
register haben.  Ebenso  Knaben  vor  dem  sogenannten  Mutiren,  welches  einige 
Zeit  vor  der  Geschlechtsreife  stattfindet  Um  zur  Ehre  Gottes  weiblichen  Sopran 
mit  männlicher  Stärke  zu  singen,  hat  man  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
noch  —  castrirt  Die  oberen  Stimmritzenbänder  und  die  knorpeligen  Wände 
des  Kehlkopfes,  verstärken  den  Ton  durch  Mitschwingen,  und  die  Ventriculi 
Oaleni  durch  Resonanz  ihrer  Luft  Da  die  ausgeathmete  Luft  die  Schwingungen 
der  Stimmbänder  durch  Rachen-,  Mund-  und  Nasenhöhle  fortpflanzt,  so  werden 
diese  Höhlen  den  Timbre  des  Schalles  wesentlich  modificiren.  Elasticität,  Feuch- 
tigkeit, und  ein  zureichender  Spannungsgrad  der  Stimmbänder,  sind  unerlässliche 
Erfordernisse  für  die  Tonbildung;  Abwesenheit  dieser  Bedingungen  bewirkt 
Heiserkeit,  selbst  Stimmlosigkeit  —  Aphonie.  Durch  den  verschiedenen  Tensions- 
grad der  Stimmbänder  lässt  sich  gewöhnlich  eine  Tonfolge  von  2  Octaven 
(Brusttöne)  erzielen.  Nie  erreichte  der  Stimmumfang  einer  Sängerin  3  Octaven. 
Bei  Falsetttönen  schwingen  nur  die  inneren  Ränder  der  Stimmbänder.  —  Die 
Stimmkraft  des  männlichen  Kehlkopfes  äussert  sich  zwar  dröhnender,  aber  auch 
unbeholfener  als  die  weibliche,    wegen   der  Grösse    der  Knorpel  und  der  Dicke 


§.  284.  Luftröhre  and  deren  Aesta.  661 

der  Bänder.  Der  Baas  hält  darum  Yolle  Noten,  während  der  Sopran  eine  Rou- 
lade in  Vieriindsechszigsteln  ausfährt.  —  Die  Stimmritze  erweitert  sich  auch  bei 
jedem  Einathmen,  und  verengert  sich  beim  Ausathmen.  Beim  Anhalten  des 
Athems  mit  gleichzeitigem  Drängen,  schliesst  sie  sich  yollkommen,  so  wie  beim 
Schlingen,  wo  der  Kehldeckel  zugleich  wie  eine  Fallthüre  auf  den  Adittu  laryn- 
gis durch  die  Zunge  niedergedrückt,  und  durch  die  Musculi  ary-epiglottici  nieder- 
gezogen wird. 

Der  Kehldeckel  verknöchert  nie;  der  Ring-,  Schild-  und  Giessbeckenknor- 
pel  aber  häufig  im  vorgerückten  Alter.  Verknöcherte  Schildknorpel  haben  schon 
oft  den  tödtlichen  Schnitt  aufgehalten,  welchen  die  Hand  der  Selbstmörder  auf 
den  Kehlkopf  führte,  in  der  Meinung,  hier  das  lebenswichtigste  Organ  des  Hal- 
ses zu  treffen.  In  der  Erstlingsperiode  meiner  anatomischen  Laufbahn,  nahm 
ein  junger  Mann  aus  Russisch-Polen  Stunden  bei  mir  über  die  Anatomie  des 
Halses.  Ich  vermuthete,  er  wolle  sich  zum  Sänger  ausbilden.  Kurze  Zeit  nach 
Schluss  des  Cursus  fand  ich  ihn  mit  durchgeschnittenem  Halse  in  der  Leichen- 
kammer des  allgemeinen  Krankenhauses.  Das  ist  Willensstärke  oder  —  Ver- 
rücktheit. 


§.  284.  Luftröhre  und  deren  Aeste. 

Die  Luftröhre,  Trachea  s.  Aspera  arteria  (tpoxsTa  apTT]p{a, 
rauhes  Luftrohr)  mag  als  eine  Fortsetzung  des  Kehlkopfes  an- 
gesehen werden,  wie  die  Speiseröhre  als  eine  Fortsetzung  des 
Rachens.  Sie  bildet  ein  cylindrisches,  steifes  und  resistentes  Rohr, 
dessen  hintere  Wand  jedoch  plan  und  nachgiebig  ist.  Sie  hat 
hinter  sich  den  Oesophagus,  welcher  zugleich  etwas  nach  links  ab- 
weicht. Die  Ausdehnung  des  Oesophagus  durch  den  verschlungenen 
Bissen,  erfordert,  dass  die  vor  ihm  liegende  hintere  Wand  der 
Trachea  nachgiebig  sei.  Die  Länge  der  Luftröhre  misst  3% — ^^l-i 
Zoll.  An  ihrem  oberen  und  unteren  Ende  ist  sie  etwas  enger,  als 
in  der  Mitte. 

Der  Anfang  der  Luftröhre  entspricht  dem  ftüiften  Halswirbel. 
Sie  wird  in  ihrer  zum  Thorax  senkrecht  absteigenden  Richtung  von 
dem  tiefen  Blatte  der  Fascia  colli,  von  der  Schilddrüse,  und  unterhalb 
dieser,  von  den  unteren  Schilddrüsenvenen  bedeckt,  geht  hinter  der 
Incisura  semilunarü  siend  bis  zum  dritten  Brustwirbel  herab  (nach 
He  nie  bis  zum  fünften),  und  theilt  sich  hier  in  zwei  divergente 
Aeste  {Bronchi) j  deren  jeder  Einer  Lunge  angehört.  Der  Bronchus 
dexter  ist  kürzer,  weiter,  und  mehr  quer  gerichtet,  als  der  linke. 
Jeder  Bronchus  theilt  sich  wieder  in  so  viele  Zweige,  als  eine  Lunge 
Lappen  hat,  —  der  rechte  in  drei,  der  linke  in  zwei.  Die  Veräst- 
lungen der  Bronchien  im  Lungenparenchym  bilden  gleichsam  ein 
weiches  Skelet  desselben. 

Um  während  des  Einathmens  nicht  durch  den  Luftdruck  com- 
primirt  zu  werden,  benöthigt  die  Wand  der  Luftröhre  einen  gewissen 
Qrad  von  ResiBtenz.  Dieser  ^ht  transversal 


662  §•  285.   Longen.    Ihr  Aenssereg. 

in  die  Wand  eingewachsener  Knorpelstreifen,  Cartllagines  tracheales 
(zu  den  Hyalinknorpeln  gehörend).  Man  zählt  ihrer  16 — 20.  Sie 
gehen  nicht  um  die  ganze  Peripherie  der  Luftröhre  herum,  deren 
hintere  Wand  blos  häutig  ist.  Sie  sind  also  C-förmig.  Die  Oeffnung 
des  C  sieht  nach  hinten.  Die  C-förmigen  Knorpel  geben  der  Luft- 
röhre ein  unebenes,  geringeltes  Ansehen,  woher  der  alte  Name 
Aspera  arteria  stammt.  Die  Knorpel  bestimmen  die  Gestalt  und 
Weite  der  Luftröhre  und  ihrer  Aeste,  stossen  aber  nicht  mit  ihren 
oberen  und  unteren  Rändern  an  einander,  sondern  werden  durch 
elastische  Faserbänder  an  einander  gekettet.  Dieser  Umstand  macht 
Verlängerung  und  Verkürzung  der  Luftröhre  möglich.  Die  hintere, 
platte  knorpellosc  Wand  der  Luftröhre  und  ihrer  Aeste  bildet  eine 
dichte  elastische  Membran,  deren  lange  Faserstränge  netzartig  unter 
einander  zusammenhängen.  Hinter  diesen  tritt  ein  System  organi- 
scher Muskelfasern  auf,  deren  ausschliesslich  quer  gelagerte  Bündel, 
die  beiden  Enden  der  C-förmigen  Knorpel  verbinden,  die  Krüm- 
mung des  C  durch  ihre  Wirkung  vermehren,  und  den  Durchmesser 
der  Luftröhre  verkleinern.  —  An  den  beiden  Theilungsästen  der 
Luftröhre  (Bronchi)  wiederholt  sich  der  Bau  der  Luftröhre.  Der 
Brcmchus  dexter  enthält  6 — 8,  der  linke  9 — 12  Knorpel. 

Nur  selten  finden  »ich  in  der  hinteren  Wand  der  Trachea  eingesprengte 
Knorpelstückchen,  Cartilaginea  intercdlarea  (Luschka,  Zeitschrift  für  rat.  Med.  XI). 

Die  Schleimhaut  der  Luftröhre  ftihrt  mehr  elastische  als  Bindegewebs- 
fasern. Flimmerepithel  deckt  sie  überall,  und  eine  fast  continuirliche  Schichte 
kleiner  acinöser  Drüschen  zeichnet  sie  dort  aus,  wo  die  Knor]:)el  fehlen. 

Die  grössere  Weite  des  rechten  Bronchus  bedingt  einen  stärkeren  Luft- 
strom zur  rechten  Lunge,  und  fremde  Körper,  welche  in  die  Luftröhre  gelangen, 
werden  in  der  Regel  in  den  rechten  Bronchus  hineingerissen.  Man  weiss  auch 
durch  Leichenbefunde  von  Neugeborenen,  welche  nach  den  ersten  Athcmzügen 
starben,  dass  die  rechte  Lunge,  eben  ihres  weiteren  Bronchus  wegen,  früher 
athmet  als  die  Unke. 


§.  285.   Lungen.  Hu  Aeusseres. 

Die  Lungen,  PtdmoneSj  nehmen  als  zwei  stumpf-kegelförmige, 
schwammige,  elastische,  und  ungemein  geftlssreiche  Eingeweide,  die 
beiden  Seitenhälften  des  Thorax  ein,  und  fassen  das  Herz  zwischen 
sich.  Sie  bilden  den  Herd  für  den  chemischen  Act  der  Respiration, 
welcher  das  venöse  Blut  in  arterielles  umwandelt. 

Ihre  Farbe  ist  nach  Verschiedenheit  des  Alters,  des  ßlutreichthnms,  und 
der  gesunden  oder  kranken  Verfassung  ihres  Parenchyms,  sehr  different,  und 
bietet  alle  Nuancen  zwischen  Rosenroth  und  Blauschwarz  dar.  Ihr  Gewebe  fühlt 
sich  weich  an,  knistert  aber  beim  Druck,  und  lässt  beim  Durchschnitt  schaumi- 
ges (mit  Luftbl&schen  gemengtes)  Blut  ausfliessen.  Ihr  absolutes  Gewicht  be- 
trägt bei  massiger  Füllung  mit    Blut  beiläufig  2%   Pfund,   beim   Weibe  etwas 


§.  285.   Langen.    Ihr  Aensseres.  663 

über  2  Pfund.  Ihr  specifisches  Gewicht  wird,  der  im  Parenchjm  vertheilten 
Luft  wegen,  geringer  als  jenes  des  Wassers  sein.  Lungen,  welche  geathmet 
haben,  schwimmen  deshalb,  als  Ganzes  oder  in  Theile  zerschnitten,  auf  dem 
Wasser.  Frische  Lungen  von  Embryonen  oder  todtgeborenen  Kindern,  haben 
eine  derbere  Consistenz,  sind  specifisch  schwerer,  und  sinken  im  Wasser  zu  Bo- 
den. In  einem  gewissen  Stadium  der  Lungenentzündung  wird  ihr  Gewebe  durch 
Exsudate  impermeabel  für  die  Luft.  Werden  diese  Exsudate  so  fest,  dass  die 
kranke  Lunge  das  Ansehen  und  die  Dichtigkeit  der  Leber  annimmt,  so  heisst 
sie  in  diesem  Zustande  hepatisirt 

Jede  Lunge  {Pulmo  dexter  et  sinist^er)  stellt  eine  Hälfte  eines 
senkrecht  dorchschnittenen  Kegels  dar^  dessen  concave  Basis  auf 
dem  convexen  Zwerchfell  aufruht,  dessen  abgerundete  Spitze  in 
diQr  Apertura  thoracis  supei'io)*  liegt,  dessen  äussere  convexe  Fläche 
an  die  Concavität  der  Seitenwand  des  Thorax  anliegt,  und  dessen 
innere  ausgehöhlte  Fläche  mit  der  gleichen  der  gegenüber  stehen« 
den  Lunge  eine  Nische  für  das  Herz  bildet.  —  Die  rechte  Lunge 
ist,  wegen  des  hohen  rechtsseitigen  Standpunktes  des  Zwerchfells, 
niedriger,  aber  breiter  als  die  linke,  und  zugleich  etwas  grösser.  — 
Die  Ränder  zerfallen  1.  in  den  unteren  halbkreisförmigen,  welcher 
die  äussere  Fläche  von  der  unteren  scheidet,  2.  in  den  vorderen 
schneidenden,  und  3.  in  den  hinteren  stumpfen.  Die  beiden  letz- 
teren trennen  die  äussere  Fläche  der  Lunge  von  der  inneren.  An 
der  inneren  Fläche  findet  sich,  nahe  am  hinteren  Rande,  und  näher 
dem  oberen  Ende  als  dem  unteren,  eine  oblonge  Furche,  durch 
welche  die  Qefässe  der  Lunge  aus-  und  eintreten  {Hilus  s.  Porta 
pulmonis).  Ein  tiefer  Einschnitt  verläuft  vom  hinteren  stumpfen 
Rande  jeder  Lunge  schräg  tlber  die  äussere  Fläche  nach  abwärts 
zum  vorderen  schneidenden  Rande  derselben.  Er  theilt  sich  an  der 
rechten  Lunge  gabelförmig  in  zwei  Schenkel,  bleibt  aber  an  der 
linken  ungetheilt.  Die  linke  Lunge  wird  dadurch  in  zwei,  die  rechte 
in  drei  Lappen  geschnitten  {Lobi  pulmonum)^  von  welchen  der  mitt- 
lere der  kleinste  ist. 

Die  das  Athmungsgeschäfi:  vermittelnden  Gefässe  jeder  Lunge 
treten  nur  am  Hilus  aus  und  ein.  Sie  sind:  1.  der  Bronchus j  2.  die 
Art^ria  pulmonalisy  3.  die  zwei  Venae  pulmonales,  Sie  werden  mit  den 
die  Ernährung  des  Lungenparenchyms  besorgenden  Vasis  hroncMalibus 
imd  den  Saugadem  der  Lunge  durch  Bindegewebe  zu  einem  von 
der  Pleura  puhnonalis  überzogenen  Bündel  vereinigt.  Dieses  Bündel 
heisst  Lungenwurzel,  Radix  s.  Pedunculus  ptdmonisy  an  welcher 
die  Lunge,  wie  die  Frucht  am  Stiele,  hängt.  Eine  Duplicatur  der 
Pleura  erstreckt  sich  von  der  Lungenwurzel  längs  des  hinteren 
Lungenrandes  bis  zum  Zwerchfell  herab,  als  Ligamentum  latum 
pulmonis. 

Die  Oberfläche  der  Lunge  wird  von  der  Pleura  puimcnaUs 
überzogen,  welche  sich  in   die  TrennongBeinschiutte 


664  §•  S^-  Bm  der  Langen. 

Lungenlappen  hineinsenkt;  ohne  jedoch  ganz  bis  auf  ihren  Grund 
zu  gelangen.  Sie  hängt  fest  an  die  Lunge  an,  und  kann  nur  mit 
grosser  Vorsicht  abgezogen  werden.  Ohngeachtet  dieses  Ueberzuges 
erscheint  die  Oberfläche  der  Lunge  im  frischen  und  gesunden  Zu- 
stande in  kleinere  eckige  Felder  (Insulae  ptUmonales)  getheilt.  Diese 
Felder  sind  die  Basen  von  pyramidalen  Läppchen  des  Lungen- 
gewebes  (Lobuli  pulmonales),  deren  jedes  an  seiner  nach  innen  ge- 
richteten Spitze,  einen  feinsten  Ast  der  Luftröhrenverzweigung  erhält. 
Alle  Läppchen  werden  durch  Bindegewebe,  welches  mehr  weniger 
dunkles  Pigment  (in  freien  Körnern,  oder  in  Zellen)  enthält,  zusam- 
mengehalten, und  lassen  sich  bei  Embryonen  von  Säugethieren  und 
Menschen  sehr  leicht  von  einander  isoliren.  Jeder  Lobulus  pulmo- 
naUa  stellt  eigentlich  „eine  Lunge  im  Kleinen^  dar,  mit  allen 
der  ganzen  Lunge  zukommenden  anatomischen  Elementen,  wie  im 
nächsten  Paragraphe  gezeigt  wird. 


§.  286.   Bau  der  Longen. 

Jeder  der  beiden  Bronchien  theilt  sich  in  so  viel  Aeste,  als 
Lappen  an  der  betreffenden  Lunge  vorkommen.  Jeder  Ast  theilt 
sich  wiederholt  und  meist  gabelförmig  in  kleinere  Zweige,  Syringes 
$.  Canaies  aSriferi.  Sind  die  Zweige  fein  genug  geworden,  so  treten 
sie,  wie  oben  bemerkt,  in  die  Spitzen  der  Lohuli  pulmonales  ein,  theilen 
sich  in  diesen  noch  einigemal,  und  erweitern  sich  hierauf  trichter- 
förmig (Infundibula).  Um  jedes  Inftindibulum  schaart  sich  rings 
herum  eine  Anzahl  bläschenartiger  Ausbuchtungen,  deren  Zahl  nach 
der  Grösse  der  Lobuli  vielfach  variirt  (20 — 60).  Diese  Ausbuchtun- 
gen sind  die  Lungenbläschen  (Cellulae  s,  Vesiciilae  aereae  pul- 
monum)y  oder  die  Alveoli  der  neueren  Autoren.  Man  möchte  einen 
Vergleich  zulassen  zwischen  den  bläschentragenden  Bronchusenden 
und  den  Acinis  eines  Drüsenausführungsganges.  Die  in  der  ver- 
längerten Richtimg  eines  kleinsten  Bronchialastes  liegenden  Lungen- 
bläschen können  nach  Moleschott:  Cellulae  terminales,  —  die  seit- 
lich aufsitzenden,  oder  wandständigen:  Cellulae  parietales  genannt 
werden.  Die  Grösse  dieser  Bläschen  variirt,  begreiflicherweise  nach 
Verschiedenheit  ihrer  Füllung  mit  Luft,  und  nimmt  überdies  mit 
dem  fortschreitenden  Alter  zu.  Ihren  Durchmesser  auf  0,06'"  bis 
0^2"'  anzugeben,  mag  nur  so  beiläufig  richtig  sein.  Bei  krankhafter 
Ausdehnung  kann  er  bis  2'"  betragen  (Emphysema  vesiculare).  Die 
Lungenbläschen  eines  Lobulus  communiciren  nicht  mit  jenen  be- 
nachbarter Lobuli.  Wohl  aber  stehen  sie  unter  einander  in  Höhlen- 
communication,  indem  die  Scheidewände,  welche  die  Bläschen  Eines 
Lobulus  von  einander  trennen,  hie  und  da  durchbrochen  sind,  sogar 


§.  286.  Bau  der  Longen.  665 

in  den  Lungen  alter  Leute  auf  feine  Bälkchen  reducirt  erscheinen. 
Hierin  liegt  der  wesentliche  Unterschied  zwischen  dem  Bau  der 
Lunge  und  einer  acinösen  Drüse.  Bei  letzterer  werden  die  traubig 
aggregirten  Endbläschen  immer  durch  vollständige  Septa  von  ein- 
ander getrennt. 

Die  Arteria  pulmonalüy  welche  aus  der  rechten  Herzkammer 
entspringt,  und  venöses  Blut  flihrt,  folgt  den  Verästlungen  des 
Bronchus,  und  löst  sich  endlich  in  das  capillare  Netz  der  Vesiculas 
aereae  auf,  aus  welchem  die  ersten  Anfänge  der  Venae  pulinonalea 
entspringen.  Während  das  venöse  Blut  durch  dieses  Capillargefäss- 
netz  strömt,  tauscht  es  seine  Kohlensäure  gegen  das  Oxygen  der 
in  jeder  Cellula  vorhandenen  Luft  aus,  wird  arteriell,  imd  kehrt 
durch  die  Lungenvenen,  deren  jede  Lunge  zwei  hat,  zur  linken 
Herzvorkammer  zurück. 

Die  Aeste  and  Zweige  der  Bronchien  in  den  Langen  verlieren,  in  dem 
Masse,  als  sie  sich  darch  Theilung  verjüngen,  ihre  Enorpelringe  nach  and  nach, 
indem  diese  an  den  grösseren  noch  als  Querstreifen  vorhanden  sind,  an  den 
kleineren  aber  za  eckigen  oder  rundlichen  Scheibchen  eingehen,  welche  in  der 
Wand  der  kleineren  Luftwege  wie  eingesprengt  liegen,  dann  aber  in  Bronchial- 
ästen von  0,6'"  Durchmesser  spurlos  verschwinden.  Die  Schleimhaut  der  grösseren 
Bronchialverzweigungen  geht  in  den  feineren  Verästlungen  derselben,  so  wie 
in  den  Lungenbläschen  selbst,  zu  einer  structurlosen,  mit  elastischen  Fasern  um- 
sponnenen Membran  ein.  Die  queren  Muskelfasern,  welche  die  Enden  der  C-fÖr- 
migen  Knorpel  der  Luftröhre  und  ihrer  Verzweigungen  mit  einander  verbanden, 
entwickeln  sich  in  dem  Masse,  als  die  Knorpel  schwinden,  zu  Kreisfasem,  welche 
bis  an  die  Lungenbläschen  sich  erhalten.  Das  flimmernde  Cylinderepithel  der 
grösseren  Bronchialäste  fehlt  in  den  feinsten. 

Die  Lungenbläschen  werden  in  den  beiden  Lungen  von  Husch ke  auf 
die  Kleinigkeit  von  1700—1800  Millionen  geschätzt  Ihre  Flächen,  in  eine  Ebene 
zusammengestellt,  würden  eine  Area  von  2000  Quadratfuss  geben. 

Die  meisten  Histologen  einen  sich  darin,  dass  die  structurlose  Grund- 
membran der  Lungenbläschen  auf  ihrer  inneren  Fläche  kein  Epithelium  besitzt, 
und  die  Capillarien  sofort  in  directem,  unmittelbarem  Contact  mit  der  atmosphä- 
rischen Luft  stehen.  (Remak,  Frey,  L.  Meyer,  Eberth,  u.  m.  A.  verthei- 
digen  das  Vorhandensein  eines  Epithels,  wenn  auch  nur  in  den  Maschen  des 
capillaren  Gefässnetzes  der  Lungenbläschen.)  Man  hört  wohl  auch  die  Ansicht 
verlauten,  dass  die  Grundmembran  der  Lungenbläschen  kein  continuirliches 
Ganze  bildet,  sondern  blos  die  Maschenräume  der  respiratorischen  Netze  aus- 
füllt. Ja  die  Capillaren  eines  Lungenbläschens  sollen  selbst  Schlingen  bilden, 
welche,  über  das  Niveau  der  Bläschenwand  hervortretend,  völlig  frei  in  das 
Lumen  des  Bläschens  hineinragen  (Raine y.  Deichler,  Zenker). 

Die  Nerven  der  Lunge  stammen  vom  Vagus  und  Sympathicus,  und  bilden 
um  die  Lungenwurzel  den  Plexus  putnumeUiSj  dessen  Grösse  zum  Volumen  der 
Lunge  gering  genannt  werden  kann.  Die  Verästlungen  des  Plexus  pulmonalU 
folgen  grösstentheils  den  Aesten  der  Bronchien,  verlieren  sich  in  ihnen,  und  be- 
sitzen die  von  Remak  in  so  vielen  Parenchymen  entdeckten,  von  Schiff  auch 
an  den  feineren  Bronchien  nachgewiesenen  Ganglien  (Orieainger'a  Archiv  für 
physiol.  Heilkunde.  6.  Bd.  pag.  792).  Der  Vagus  scheint  den  chemischen  Pro- 
cessen der  Lunge  und  ihrer  Empfindlichkeit  vorzustehen,  der   Sympathicus  ihrer 


ß^Q  §.  287.    Ein-  nnd  Ansathmen. 

organischen  Contractilität  und  ihrer  EmMhnmfif.  Die  Empfindlichkeit  der  Lnnge 
ist  so  gering,  dass  selbst  weit  ausgedehnte  Zerstörungen  ihres  Parenchynu  ohie 
intensive  Qnalen  stattfinden,  und  ein  schmerzloser  Tod  das  verfallene  Lebfn 
der  Phthisikcr  mit  der  Ruhe  des  Entschlummems  schliesst:  nan  moriuntm'f  led 
vivere  eessanty  —  exatinguuntur  uti  ellychnium,  deficiente  oleo» 

Die  oberflächlichen  Lymphgefösse  bilden  unter  der  Pleura  pulnumaSi  tu- 
sehnliche  Netze.  Die  tiefliegenden  folgen  dem  Zuge  der  Bronchienüste,  nnd  pa^ 
siren  durch  kleine,  linsen-  oder  hanfkomgrosse  Drüsen,  Glandulae  puhumdUf 
welche  auch  ausserhalb  der  Lungen  die  Wurzel  derselben  umlagern,  und  dun 
Glandulae  hronchiales  heissen.  Letztere  erreichen  zuweilen,  besonders  im  Thei- 
lungswinkel  der  Trachea,  eine  stattliche  Grösse.  Ihr  grau-  und  schwangesprea- 
keltes  Ansehen  verdanken  sie  einer  Ablagerung  von  körnigem,  sternförmige  Orap- 
pen  bildendem  Pigment,  und  erscheinen  häufig  im  höheren  Alter  zu  Sftcken  nit 
schmierigem,  schwarzem  Inhalt  metamorphosirt 

Ausser  den  grossen  Luft-  und  Blutkanälen,  welche  die  Alten  als  V^n 
publica  ptdmo7ium  bezeichneten,  hat  die  Lunge  auch  ein  besonderes,  aaf  ihre 
Ernährung  abzielendes  Gefässsystem  —  Vasa  privata.  Diese  sind  die  kleinen 
Arteriae  et  Venae  bronchiales,  welche  ebenfalls  die  Radix  pulmani»  bilden  helfen. 
Die  Arteriae  bronchiales  nehmen  auch  an  der  Bildung  der  Endnetze  der  Aritm 
pulmonalis  Antheil.  Isolirte  Injcction  der  Arteriae  bronchiales  gab  mir  immer 
dasselbe  Resultat:  Füllung  der  respiratorischen  Capillargefässe  der  Vesiadae 
aereae.  Die  Venae  bronchiales  entleeren  sich  theils  in  die  Blutbahn  der  oberen 
Hohlvene,  theils  in  die   Venae  pulmonales  selbst. 


§.  287.  Ein-  und  Ausathmen. 

Durch  die  Inspirationsmuskeln  wird  der  Thorax  erweitert, 
und  die  Luft  in  die  Lungen  eingezogen.  Die  Lunge  vergröwerl 
sich  um  so  viel,  als  die  Erweiterung  des  Thorax  beträgt.  Sie 
bleibt  hiebei  mit  der  inneren  Fläche  der  Brusthöhle  in  genauem 
Contact.  Die  einströmende  Luft  erzeugt  durch  Reibung  an  den 
Theilungswinkeln  der  Bronchialverzweigungen,  und  durch  Ausdeh- 
nen der  Bläschen  an  den  Enden  der  zahllosen  Bronchialramifica- 
tionen  ein  knisterndes  Geräusch,  welches  in  jenen  Krankheiten,  wo 
die  Luftzellen  mit  Exsudaten  gefüllt  werden,  fehlt,  und  deshalb  von 
den  Acrzten  als  Hilfsmittel  benutzt  wird,  die  Wegsamkeit  des 
Lungenparenchyms  zu  untersuchen.  —  Das  Ausathmen  erfolgt  durch 
die  Elasticität  der  Thoraxwände  und  der  Lungen  von  selbst,  wenn 
die  Inspirationsmuskeln  zu  wirken  aufhören.  Nur  wenn  das  Aus- 
athmen forcirt  wird,  wie  z.  B.  beim  Schreien,  müssen  Muskelkräfte 
den  Thoraxraum  verkleinern  helfen.  Beim  Ausathmen  wird  nicht 
alle  Luft,  die  in  den  Lungen  war,  herausgetrieben.  Es  bleibt  ein 
Quantum  zurück,  da  die  Luftwege  sich  nicht  vollends  entleeren. 
Die  Leichenlunge  ist  deshalb  nicht  luftleer. 

Das  elastische  Gewebe  in  der  Lunge  sucht  auch  in  der  Leiche 
noch  das  Lungenvolumen  zu  verkleinem.     Es  kommt  jedoch  nicht 


§.  288.  Nebendrflsen  der  Resptrationflorgane.  Sehilddrftse.  667 

ZU  dieser  Verkleinerung,  da  die  Lunge  sich  von  der  Thoraxwand 
nicht  entfernen  kann.  Wird  die  Thoraxwand  eingeschnitten,  so 
bringt  das  elastische  Element  das  Lungenvolumen  auf  sein  Mini- 
mum, und  einströmende  Luft  erfüllt  den  zwischen  Lunge  und  Thorax- 
wand entstehenden  Raum.  —  Bei  ruhigem  Athmen  beträgt  das  ein- 
und  ausgcathmete  Luftquantum  16 — 20  Cubikzoll.  Die  in  den  Lungen 
zurückbleibende,  nicht  ausgcathmete  Luft,  wird  von  Godwyn  auf 
170  C.  Z.  angeschlagen.  Hutchinson's  Untersuchungen  zeigten, 
dass  ein  Mann  von  5 — 6  Schuh  Körperhöhe,  nach  vorausgegangener 
tiefer  Inspiration,  225  C.  Z.  Luft  durch  die  möglichste  Verklei- 
nerung des  Thorax  ausathmet.  Dieses  Luftquantum  nennt  nun  Hut- 
chinson: vitale  Capacität  der  Lungen.  225  +  170=:  395  C.  Z.  wäre 
somit  die  absolute  Luftmenge,  welche  eine  Lunge  enthalten  kann. 
Die  vitale  Capacität  der  Lungen  vermehrt  sich  mit  der  Körperhöhe, 
nicht  mit  dem  Körpergewichte.  Für  jeden  Zoll  über  die  früher  an- 
gegebene Körperhöhe  steigt  die  vitale  Lungencapacität  um  1  C.  Z. 
Vom  15. — 35.  Lebensjahre  nimmt  die  vitale  Capacität  der  Lungen 
zu;  vom  35. — 65.  Lebensjahre  nimmt  sie  jährlich  um  1  C.  Z.  ab. 
Bei  Lungensucht  vermindert  sie  sich  nach  dem  Grade  der  Krank- 
heit um  10 — 70  Procent. 

Die  ausgcathmete  Luft  enthält,  statt  des  Oxygens,  welches  sie 
an  das  venöse  Blut  abgegeben,  um  arterielles  daraus  zu  machen,  eine 
entsprechende  Menge  Kohlensäure,  Wasserdampf  und  flüchtige  thie- 
rische  Stoffe  (z.  B.  beim  stinkenden  Athem).  Mit  jeder  Inspiration, 
deren  im  Mittel,  bei  ruhigem  Körper  und  Geist,  16  auf  die  Minute 
kommen,  binnen  welcher  Zeit  der  Puls  65mal  schlägt,  ändern  die 
vorderen  Ränder  der  Lungen  ihre  Lage,  und  schieben  sich  vor  den 
Herzbeutel,  nähern  sich  also,  umschliessen  das  Herz  vollkommener, 
und  dämpfen  seinen  Schlag.  Die  Seitenflächen  der  Lungen  gleiten 
an  der  Brustwand  herab,  und  die  Spitzen  der  Lungenkegel  erheben 
sich  hinter  dem  Scalenus  anticus  etwas  über  den  Rand  der  ersten 
Rippe.  Vielleicht  bedingt  die  an  letzterem  Orte  stattfindende  Rei- 
bung das  häufige  Vorkommen  von  Tuberkeln  an  der  Lungenspitze. 
Die  hinteren  Ränder  bleiben  in  den  Vertieftingen  zwischen  der 
Wirbelsäule  und  den  Rippen,  und  verrücken  sich  nicht. 

Man  kann  an  der  Leiche  diese  Bewegung  der  Lunge  durch  Aufblasen 
nachahmen,  und  sich  überzeugen,  dass  sie  für  die  Gefährlichkeit  der  Brustwunden 
und  für  die  auscultatorische  Untersuchung  der  Brusteingeweide  von  Wichtig- 
keit ist. 


§.  2S8.  llfebendrüsen  der  Respirationsorgane.  ScMlddrüse. 

Mit    dem    Hals-    und    Brusttheil    der   Athmungsorgane    stehen 
zwei   Drüsen  in  näherer  anatonuBoher  Beziehung,  deren  physiolo* 


668  {•  ^^'  Nebendrflsen  der  Respirationsorgane.  Schllddrflse. 

gische    Bedeutung   noch   unbekannt    ist:   die    Schilddiüse    und    die 
Thymusdrüse. 

Die  Schilddrüse;  Glandula  thyreoideaj  liegt  mit  ihrem  mitt- 
leren  schmälsten  Theile  (Isthmus)  vor  dem  Anfange  der  Luftröhre, 
mit  ihren  paarigen  Seitenlappen,  Comua  lateralüiy  an  und  auf  der 
Cartilago  thyreoidea.  Vom  Isthmus  erhebt  sich  häufig,  und  zwar  nach 
Gruber  unter  hundert  Leichen  vierzig  Mal,  noch  der  unpaarige 
Processus  pyramidalis  s,  Comu  medium  über  die  linke,  seltener  rechte 
Schildknorpelplatte,  bis  zu  deren  oberem  Rande,  und  selbst  darüber 
hinaus.  Die  vordere  Fläche  der  Schilddrüse  wird  von  den  Mu^culis 
stemo-thyreoideis  bedeckt;  die  hintere  Fläche  des  Isthmus  deckt  die 
oberen  Knorpelringe  der  Luftröhre.  Die  hintere  Fläche  der  Seiten- 
lappen liegt  auf  der  Arteria  carotis  communis  auf,  und  erhält,  wenn 
die  Drüse  sich  zum  Kröpfe  vergrössert,  von  letzterer  einen  lon- 
gitudinalen  Eindruck.  Ihr  sehr  geftlssreiches  Parenchym  (daher  der 
ältere  Ausdruck:  {Ganglion  vasculosum)  wird  von  einer  feinen,  aber 
festen  Bindegewebsmembran,  Tunica  propna,  umschlossen,  welche 
Fortsetzungen  in  die  Tiefe  schickt,  um  die  Masse  der  Drüse  in 
grössere  und  kleinere  Läppchen  abzutheilen.  Die  Trennungsfurchen 
der  Lappen  und  Läppchen  ^werden  an  der  Oberfläche  der  Drüse 
durch  die  grösseren  Blutgefässe,  insbesondere  Venen,  eingenommen. 
Das  Parenchym  selbst  besteht,  wenn  es  gesund  ist,  aus  einer  zahl- 
losen Menge  kleiner,  rundlicher,  vollkommen  geschlossener  Bläs- 
chen, von  verschiedener  Grösse  (0,02'" — 0,05'"),  mit  albuminösem 
kemftlhrendem  Inhalt  und  einfachem  Epithel.  Bei  zunehmendem  Alter 
treten  in  diesen  Bläschen  Veränderungen  ein,  welche  man  als  col- 
loide  Metamorphose  bezeichnet.  Der  Inhalt  der  Bläschen  wird 
nämlich  in  eine  gallertartige,  bemstein farbige  Masse  umgewandelt,  die 
Bläschen  vergrössem  sich,  verdrängen  das  umhüllende  Bindegewebe, 
schmelzen  zu  immer  grösseren  Höhlen  zusammen,  wodurch  endlich 
die  ganze  Drüse  zum  Kröpfe  wird. 

Aasführungsgänge,  von  welchen  Schmidtmüller,  Coschwitz  und  Va- 
ter träumten,  existiren  weder  im  Erwachsenen  noch  im  Embr^-o,  wo  sie  Me ekel 
für  möglich  hielt.  Den  LevcUor  glandulne  thyreoideae  vom  Zungenbeine  kommend, 
und  sich  in  der  Tunica  proprio  der  Drüse  verlierend,  kann  mau  bei  grossen 
Kröpfen  deutlich  sehen. 

Dass  die  Schilddrüse  mit  dem  Kehlkopfe  in  näherer  physiologischer  Be- 
ziehung steht,  ist  eine  blosse  Vermuthung,  die  allerdings  durch  die  Nähe  dieser 
beiden  Organe  und  durch  die  Beobachtung  einen  Schein  von  Berechtigung  er- 
hält, dass  in  der  Klasse  der  Vögel,  wo  der  Stimmke4ilkopf  in  die  Brusthöhle  an 
die  Theilungsstelle  der  Luftröhre  herabrückt,  auch  die  Schilddrüse  in  den  Thorax 
versetzt  wird.  Da  aber  auch  stimmlose  Amphibien  eine  Schilddrüse  besitzen,  und 
bei  den  Schlangen,  deren  Kehlkopf  am  Boden  der  Mundhöhle  sich  öffnet,  die 
Schilddrüse  weit  von  diesem  Kehlkopf  entfernt  liegt,  so  fehlt  es  nicht  an  Grün- 
den zum  Geständniss,  dass  wir  die  functionelle  Bedeutung  der   Schilddrüse  noch 


f.  289.  Thyrnns.  669 

nicht  verstehen  gelernt  haben.    Herbe  Arbeit  aber  wftre  es,  den  kritischen  Lam- 
penhälter  zur  Hypothesenschau  abzugeben. 

Bei  Unterbindungen  der  Carotis,  dem  Speiseröhren-  und  Luftröhrenschnitt, 
sind  die  anatomischen  Verhältnisse  der  Drüse  von  grossem  Belange.  Die  nach 
unten  zunehmende  Vergrösserung  des  Isthmus  der  Drüse  bei  Erwachsenen,  und 
seine  geringe  Höhe  bei  Rindern,  macht,  dass  die  Luftröhre  der  Kinder  dem 
Messer  zur  Tracheotomie  leichter  zugänglich  ist,  während  bei  Erwachsenen  die 
Laryngotomie  häufiger  geübt  wird.  —  Der  Gefässreichthum  der  Drüse  ist  so 
bedeutend,  dass  ihre  Verwundung  durch  Selbstmordversuch  tödtlich  werden  kann, 
ohne  dass  die  grossen  Gefässstämme  des  Halses  verletzt  wurden.  Man  hat  die 
Schilddrüse  durch  Eiterung  {Thyreophyma  acutum)  zerstört  werden  gesehen, 
ohne  nachtheilige  Folgen  für  Gesundheit  und  Sprache.  Dieses  war  bei  dem 
gefeierten  Peter  Frank  der  Fall,  welcher  sich  rühmen  konnte,  am  Tessin,  an 
der  Neva,  und  Donau,  den  Jüngern  Aesculaps  seine  jetzt  vergessene  Lehre 
gepredigt  zu  haben. 


§.  289.  Thymus. 

Ueber  die  physiologische  Bestimmung  der  Thymusdrüse  (im 
Wiener  Dialekt  Brie  8  oder  Brie  sei)  sehwebt  dasselbe  Verhängniss, 
wie  über  die  Schilddrüse,  obwohl  ihre  Structur  ebenso  genau  bekannt 
ist,  wie  jene  der  Glandula  thyreoidea.  Sie  existirt  in  ihrer  vollen 
Entwicklung  nur  im  Embryo,  und  bis  zum  Ende  des  zweiten 
Lebensjahres,  wo  sie  zu  schwinden  beginnt,  und  um  die  Zeit  der 
Geschlechtsreife  herum  entweder  ganz  verschwunden,  oder  auf  einen 
unansehnlichen  Rest  reducirt  ist,  der  sich  auch  durchs  ganze  Leben 
erhalten  kann.  Sie  hat  beim  Neugeborenen  das  kömige  Ansehen 
einer  Speicheldrüse,  und  besteht  aus  zwei  durch  Bindegewebe  zu 
einem  länglichen  platten  Körper  vereinigten,  ungleich  grossen  Seiten- 
lappen, welche  wieder  in  kleinere  Läppchen  zerfallen.  Sie  liegt 
hinter  dem  Manuhrium  stemi  auf  den  grossen  Geftlssen  der  oberen 
Brustapertur  und  dem  Herzbeutel,  und  erstreckt  sich  beim  Embryo 
von  dem  letzteren  bis  zum  Zwerchfell  hinab.  Ihr  unterer  Rand  ist 
concav,  und  seitlich  in  zwei  stumpfe  Hörner  verlängert. 

In  der  Axe  der  Thymuslappen  findet  sich  ein  Gang,  der  zwei 
blinde  Enden  hat,  und  verschiedentlich  geformte  Ausbuchtungen 
zeigt.  Um  den  Gang  und  seine  Ausbuchtungen  herum  gruppiren 
sich  die  Läppchen  der  Drüse,  welche  selbst  wieder  hohl  sind,  und 
durch  schlitzförmige  Oeflfhungen  mit  den  Ausbuchtungen  des  Ganges 
im  Verkehr  stehen.  Jedes  Läppchen  besteht  aus  einem  blutgefilss- 
reichen  Bindegewebe,  welches  theils  die  Oberfläche  des  Läppchens 
überzieht,  theils  im  Innern  des  Läppchens  ein  Netzwerk  bildet,  in 
dessen  Maschen  rundliche  Gruppen  von  Kernen  und  Zellen  lagern, 
ähnlich  jenen,  welche  als  Lymphkörperchen  in  den  Alveolen  der 
Lymphdrüsen  vorkommen  (§.  58).  Die  histologiftclie  Verwaiid*«^»«& 
der  Thymus  mit  den  LymphdrttBen  kann  sei 


670  S-  >M>  BnuUlBUe. 

werden.  Der  Inhalt  des  Ganges  und  seiner  Ausbuchtungen  bildet 
eine  eiweissreiche,  milchige,  schwach  sauer  reagirende,  freie  Kerne 
und  Zellen  (Lymphkörperchen)  führende  Flüssigkeit.  —  Die  Haupt- 
stämme  der  Blutgefässe  der  Thymus  liegen  nicht  auf  ihrer  Ober- 
fläche, wie  jene  der  Schilddrüse,  sondern  dringen  gerade  in  die 
Axe  ein,  wo  sie  sich  an  die  Wand  des  centralen  Ganges  anlegen, 
und  von  hier  aus  ihre  zahlreichen,  feinen  Aeste  in  die  Läppchen 
der  Drüse  entsenden. 

Nach  J endras sik  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  22.  Bd.  p.  75)  ist 
das  Vorkommen  eines  centralen  Ganges  in  der  Thymus  nicht  constaut,  und  es 
finden  sich  Thymusdrüsen  mit  solidem  Parenchym. 

In  der  ersten  Entstehung  bestehen  Schilddrüse  und  Thymusdrüse  aus 
paarigen  Hälften,  welche  sich  erst  später  zu  Einem  Drüsenkörper  verbinden.  Ob 
die  Vergrösserung  der  Thymusdrüse  die  Respirations-  und  Kreislaufsorgane  com- 
primiren,  und  dadurch  das  sogenannte  Asthma  thymicum  bewirken  könne,  scheint 
sehr  zweifelhaft  Bei  Kindern,  welche  nicht  am  Asthma  starben,  nimmt  die 
Thymus  oft  den  ganzen  vorderen  Mittelfellraum  ein.  Die  Vorschläge  Allan 
Bums,  wie  man  sich  zu  benehmen  habe,  um  eine  vcrgrösscrtc  Thymus  zu 
exstirpiren,  wird  hoffentlich  Niemand  am  Lebenden  in  Ausführung  bringen. 


§.  290.  Brustfelle. 

Es  finden  sich  in  der  Brusthöhle  drei  seröse,  vollkommen 
geschlossene  Säcke.  Zwei  davon  sind  paarig,  und  zur  Umliüllung 
der  rechten  und  linken  Lunge  bestimmt.  Der  dritte  ist  unpaarig, 
liegt  zwischen  den  beiden  paarigen,  und  schliesst  das  Herz  ein. 
Die  paarigen  heissen:  Brustfelle,  Pleurae,  —  der  unpaarige: 
Herzbeutel,  Pei-icardium.  Letzterer  kommt  erst  bei  der  speciellen 
Beschreibung  des  Herzens  an  die  Reihe. 

Das  Verhalten  der  Pleurae  zur  Thoraxwand  und  zu  den 
Lungen  w^ird  man  sich  auf  folgende  Weise  am  besten  klar  machen. 
Man  denke  sich  jede  Hälfte  der  Brusthöhle  durch  eine  einfache 
seröse  Blase  eingenommen  {IHeura)^  und  die  Lungen  noch  fehlend. 
Jede  Blase  sei  an  die  innere  Oberfläche  der  Rippen  und  ihrer 
Zwischenmuskeln  angewachsen,  als  Pleura  costalU,  Rippenfell,  so 
wie  auch  an  die  obere  Fläche  des  Zwerchfells  als  Pleura  lykrenlca. 
Beide  Blasen  stehen  mit  ihren  einander  zugewendeten  Seiten  nicht 
in  Berührung.  Es  bleibt  somit  ein  freier  Raum  zwischen  ihnen,  der 
sich  vom  Brustbeine  zur  Wirbelsäule  erstrecken  wird.  Dieser  Raum 
heisst  Mittel  feil  räum,  Cavum  medlastini,  imd  die  durch  die /V^?n*ae 
gegebenen  Seitenwände  desselben:  Mittelfelle,  Mediasttna.  In  dem 
Mittelfellraum  lasse  man  nun  beide  Lungen  entstehen  und 
gegen  die  Seiten  zu  sich  vergrössern,  was  nur  dadurch  geschehen 
kann,    dass  jede  Lunge  das  ihr  zugekehrte  Mittelfell  in  die  Höhle 


i.  290.   Bmaifelle.  671 

der  serösen  Blase  einstülpt,  und  dadurch  von  ihr  einen  Ueberzug 
erhält,  der  slU  Pleura pulmonah's  (Lungenf eil)  in  der  Pleura  costalts 
eingeschlossen  sein  wird.  Die  Stelle,  wo  das  MittelfcU  in  die  Pleura 
pulmonalü  übergeht,  wird  von  der  Lungen wurzel  eingenommen. 
Auch  das  Herz  denke  man  sich  sammt  seinem  Beutel  in  dem  Mit- 
telfellraimi  entstehen,  denselben  aber  nicht  ganz  ausfüllen,  weshalb 
denn  vor  imd  hinter  ihm  ein  Theil  dieses  Raumes  frei  bleibt,  und 
als  vorderer  imd  hinterer  Mittelfellraum,  Cavum  mediastini 
anterius  et  posterius^  bezeichnet  wird.  Hier  muss  bemerkt  werden, 
dass  der  vordere  Mittelfellraum  bei  uneröfFnetem  Thorax  nicht 
bestehen  kann,  da  das  Herz  an  die  vordere  Thoraxwand  anliegt. 
Nur  am  geöffiieten  Thorax  der  Leiche  fällt  das  Herz  durch  seine 
Schwere  gegen  die  hintere  Thoraxwand,  so  dass,  wenn  man  das 
ausgeschnittene  Brustblatt  wieder  auflegt,  ein  Raum  zwischen  dem- 
selben und  dem  Herzen  enthalten  sein  muss.  Da  das  Herz  fem  er 
nicht  in  der  Medianlinie  des  Thorax  liegt,  sondern  nach  links 
abweicht,  so  kann  der  vordere  Mittelfellraum  nicht  mit  dem  Stemum 
parallel  liegen,  sondern  er  muss  derselben  Abweichung  nach  links 
unterliegen.  Der  Mittelfellraum  kann  vom  nur  so  lang  sein  als 
das  Stemum,  hinten  wird  er,  wegen  der  nach  hinten  abschüssigen 
Lage  des  Zwerchfells,  so  lang  sein,  als  die  Brustwirbelsäule,  welche 
seine  hintere  Wand  vorstellt.  Besser  wäre  es,  den  vorderen  und 
hinteren  Mittelfellraum  ganz  aufzugeben,  und  nur  von  Einem  Mittel- 
fellraum zu  reden,  welcher  sich  vom  Stemum  bis  zur  Wirbelsäule 
erstreckt,  imd  das  Herz,  dessen  grosse  Gefässe,  und  alles  Andere 
enthält,  was  durch  den  Thorax  auf-  oder  niederzusteigen  hat.  Die 
Seitenwändc  des  Mittelfellraums  werden  durch  das  rechte  und  linke 
Mittelfell  gegeben,  welche,  da  sie  die  Pleura  costalts  mit  der  Pleura 
pulmonalü  vereinigen,  auch  umgeschlagene  Pleuraplatten 
genannt  werden. 

Wir  erkennen  dem  Gesagten  zufolge  in  jeder  Pleura  einen 
serösen  Sack,  welcher  sich  nur  an  Einer  Stelle  einstülpt,  um  Ein 
Eingeweide  (die  Lunge)  zu  überziehen,  und  somit  zwei  Ballen 
bildet,  einen  äusseren  und  einen  inneren.  Der  äussere  Ballen  ruht 
unten  auf  dem  Zwerchfell  als  Pleura  phrenicay  und  wird  an  dieses, 
so  wie  an  die  innere  Oberfläche  der  Brustwand  als  Pleura  costalts 
durch  kurzes  Bindegewebe  angeheftet.  Dieses  subpleurale  Binde- 
gewebe nimmt  gegen  die  Wirbelsäule  hin  an  Mächtigkeit  zu,  gewinnt 
festere  Textur,  und  wird  dadurch  zu  einer  besonderen  Schichte, 
welche  von  mir  als  Analogen  der  Fascia  transvei^sa  abdominis 
betrachtet,  und  als  Fascia  endothoracica  beschrieben  wurde. 

Betrachtet  man  die  vorderen  Umbeogungsstellen  der  Pleurae  cottaletzü.  den 
beiderseitigen  Mittelf^llwänden ,  und  letitv»  «»li^  «    «a  findAt  man, 

daos  sie  nicht  mit  einander  pwalld  i 


672  §•  ^1-    ^^^  <!«'  Eingeweide  in  der  Brnsth&hle. 

Rändern  des  Manuhnum  stemi  nach  abwärts,  kommen  am  Corpus  9temi  zusammen, 
um  gegen  das  untere  Ende  des  Brustbeins  wieder  auseinander  zu  weichen,  wo 
dann  die  linke  Mittelf  eil  wand  hinter  den  äusseren  Enden  der  linken  Rippen- 
knorpel, die  rechte  dagegen  hinter  der  Mitte  des  Stemum  (zuweilen  selbst  am 
linken  Rande  desselben)  herabgeht  Der  Mittelfellraum  hat  somit,  wenn  er  von 
vom  her  angesehen  wird,  die  Form  eines  Stundenglases,  und  im  senkrechten 
Durchschnitt  die  Gestalt  eines  x,  dessen  obere  Schenkel  stärker  convergiren,  als 
die  unteren  divergiren,  und  dessen  linker  Schenkel  an  seiner  unteren  Hälfte 
länger  ist,  als  an  der  oberen.  Man  sieht  diese  Verhältnisse  am  schönsten,  wenn 
man  durch  die  Brusthöhle  einer  Kindesleiche  an  mehreren  Stellen  Querschnitte 
führt  Bei  Erwachsenen  begegnet  man,  häufig  genug,  Adhäsionen  der  Lunge  an 
die  Thorazwand  (das  will  sagen:  der  Pleura  pulmtmaUs  an  die  Pleura  costalU) 
durch  organislrte  Exsudate  nach  Lungen-  und  Brustfellentzündungen.  Seit  man 
die  patholog^che  Entstehung  dieser  Adhäsionen  kennt,  ist  der  Name  derselben: 
Ugamenta  tpuria^  in  der  Anatomie  verschollen. 

Zum  Schluss  beherzige  man,  dass  die  Stellungs-Verhältnisse  der  Laminae 
tnediastini  zu  einander  in  verschiedenen  Leichen  sehr  verschieden  sich  gestalten. 
Hierüber  handelt  ausführlich:  mein  Handbuch  der  topogr.  Anat  L  Bd.,  femer 
lAUchka  im  Archiv  für  path.  Anat  Bd.  XV.,  und  mit  gewohnter  Gründlichkeit 
Bochdalek :  Ueber  das  Verhalten  des  Mediastinum  in  der  Prager  Vierteljahrsschrift. 
Bd.  rV.  —  Ueber  die  Fascia  endothoracica,  und  den  Herzbeutel  liegt  eine  clas- 
sische  Abhandlung  von  Luschka  im  XVU.  Bde.  der  Denkschriften  der  kais. 
Akad.  vor. 


§.  291.  Lage  der  Eingeweide  in  der  Brusthöhle. 

Die  Lage  der  Bnisteingeweide  zu  untersuchen,  erfordert  weit 
weniger  Mühe,  als  jene  der  Bauchorgane,  indem  es  sich  im  Thorax 
nur  um  drei  Eingeweide  handelt,  welche  nach  Entfernung  der  vor- 
deren Brustwand  leicht  zu  übersehen  sind.  Zwei  davon  —  die 
Lungen  —  bilden  Kegel  mit  nach  oben  gerichteter  Spitze;  das 
dritte  —  das  Herz  —  einen  Kegel  mit  unterer  Spitze.  Die  seitHchen 
Räume  des  Thorax,  aus  welchen  sich  die  Lungen  herausheben 
lassen,  bedürfen  keiner  besonderen  Präparation.  Der  Mittelfellraum 
dagegen,  in  welchem  das  Herz  und  die  grossen  Geftlsse  liegen, 
wird  durch  den  Verkehr  dieser  Gefässe  imter  einander,  und  ihre 
Beziehungen  zu  den  Lungen,  etwas  complicirter.  Man  untersucht 
die  Contenta  des  Mittelfellraumes,  von  vorn  nach  rückwärts,  auf 
folgende  Weise.  Man  trägt  die  vordere  Brustwand,  nicht  wie 
gewöhnlich  an  der  Verbindungsstelle  der  Rippen  mit  ihren  Knorpeln 
ab,  sondern  sägt  die  grösste  Convexität,  also  beiläufig  die  Mitte  der 
Rippen  und  der  Clavicula,  durch,  wozu  eine  feingezalmte  Säge 
verwendet  wird,  da  die  gewöhnlichen  grobgezahnten  Amputations- 
sägen mehr  reissen  als  schneiden,  wodurch  die  Schnitte  der  Rippen 
nicht  rein  und  eben,  sondern  zackig  werden,  und  zu  den  bei  dieser 
Arbeit  häufig  vorkommenden  Verletzungen  der  Hände  Anlass  geben. 
Man   bedeckt  den  Schnittrand  der  Thoraxwand   mit  einem  dicken 


§.  291.   Lage  der  Eingeweide  in  der  Brnstliftlile.  673 

Leinwandlappen,  oder  besser  noch  mit  der  abgelösten  Cutis,  welche 
man  mit  ein  Paar  Nadelstichen  befestigen  kann,  um  sich  gegen 
die  erwähnten  Verletzungen  zu  sichern. 

Ist  dieses  geschehen,  so  reinigt  man  den  Herzbeutel  von  dem 
laxen  Bindegewebe,  welches  ihn  bedeckt,  und  überzeugt  sich  von 
seiner  Einschiebung  zwischen  die  beiden  Mittelfelle.  Der  Zwerch- 
fellnerv liegt  an  seiner  Seitenfläche  dicht  an.  Gegen  die  obere 
Brustapertur  hinauf  wird  das  Bindegewebe  copiöser,  und  schliesst, 
wenn  man  an  einer  Elindesleiche  arbeitet,  die  Thymusdrüse  ein. 
Hinter  diesem  Bindegeweblager  trifft  man,  an  der  rechten  Mediasti- 
numwand  anliegend,  die  obere  Hohlvene,  welche  durch  die  beiden 
ungenannten  Venen  zusammengesetzt  wird.  Die  rechte  ist  kürzer, 
und  geht  fast  senkrecht  zur  Hohlvene  herab,  die  linke  muss  einen 
weiteren  Weg  machen,  um  von  links  zur  rechts  gelegenen  Hohl- 
vene zu  gelangen,  und  läuft  deshalb  fast  quer  über  die,  in  der 
Medianebene  des  Thorax  auf-  und  absteigenden  Qefässe  herüber, 
wo  sie  die  unteren  Schilddrüsenvenen  und  wandelbare  Herzbeutel- 
und  Thymusvenen  aufnimmt.  Jede  ungenannte  Vene,  nach  aussen 
verfolgt,  ftilirt  zu  ihrer  Bildungsstelle  aus  der  Vena  jugularis  com- 
munis und  subclavia.  Nun  wird  der  Stamm  der  oberen  Hohlader 
vorsichtig  isolirt,  wobei  man  die  in  seine  hintere  Wand  sich  ein- 
pflanzende Vena  azygos  gewahr  wird,  welche  im  Caimm  mediastini 
posterius  an  der  rechten  Seite  der  Wirbelsäule  nach  aufwärts  zieht, 
und  sich  über  den  rechten  Bronchus  nach  vom  krümmt,  um  zur 
Cava  superior  zu  stossen.  —  Hinter  den  genannten  Venen  liegt  der 
Bogen  der  Aorta,  aus  dessen  convexem  Rande  von  rechts  nach 
links  1.  die  Arteria  innominata,  2.  die  Carotis  sinistra,  und  3.  die 
At*teria  subclavia  sinistra  entspringen.  Man  versäume  nicht,  auf 
etwa  vorkommende  Ursprungsvarietäten  dieser  Geftlsse  zu  achten. 
—  Hinter  dem  Aortenbogen  stösst  man  auf  die  Luftröhre,  und 
hinter  dieser,  etwas  nach  links,  auf  die  Speiseröhre.  —  Die  Arteria 
innominata  theilt  sich  in  die  Arteria  subclavia  und  Carotis  dextra. 
Man  verfolgt  diese  Gefässe  des  Aortenbogens  so  weit,  als  es  nöthig 
ist,  um  den  Durchgang  der  Subclavia  zwischen  dem  vorderen  und 
mittleren  Scalenus,  und  die  geradlinige  Ascension  der  Carotis  zu 
sehen.  Vor  der  Arteria  subclavia  sieht  man  den  Vagus,  und  am 
inneren  Rande  des  Scalenus  anticus  den  Nervus  phrenicus  in  die 
obere  Brustapertur  eindringen.  Hinter  der  Subclavia  steigt  der 
Nervus  sympathicus  in  die  Brusthöhle  herab,  und  umfasst  diese  Ar- 
terie mit  einer  Schlinge  —  Ansa  Vieussenii. 

Jetzt  wird  der  Herzbeutel^  der  mit  seiner  Basis  an  das  Oeninm 
tendineum  diaphragTnatis   angewachsen  isti  gel! 
dass  er^  nebst  dem  Herzen,  einen  Tb 
schliesst,  die  vom  oder  mm  Hr 


674  8*  ^1*   ^(^S^  ^®'  £iogeweide  in  der  Bni8Ui6lile. 

diesen  Geftlssen  nach  abwärts  um,  um  nach  Art  der  Plenrae  einen 
kleineren  Beutel  zu  bilden,  welcher  die  Herzsubstanz  fest  umhüllt. 
Nur  sein  inneres  Blatt  ist  seröser  Natur;  sein  äusseres  ist  eine 
fibröse  Membran,  welche  an  der  Einstülpung  nicht  participirt. 
Luschka  hat  ihre  Ableitung  aus  der  Fascia  endothoracica  nach- 
gewiesen. —  Der  Herzbeutel  wird  nun  von  den  grossen  Gefässen 
abgelöst,  um  diese  isoliren  zu  können.  Die  obere  Hohlader  steigt 
gerade  herab  zur  rechten  Herz  Vorkammer.  Wird  das  Herz  aufge- 
hoben, so  bemerkt  man  auch  die  untere  Hohlader  durch  das  Zwerch- 
fell zur  selben  Vorkammer  ziehen.  Von  der  Basis  des  Herzens 
findet  man  die  Arteria  pulmonalis  und  die  Aorta  abgehen.  Krstere 
entspringt  aus  der  rechten  Herzkammer,  und  geht  nach  links  und 
oben;  letztere  aus  der  linken  Kammer,  und  läuft  nach  rechts  und 
oben.  Beide  Gefilsso  decken  sich  somit  gleich  nach  ihrem  Ursprünge, 
80  dass  die  Arteria  pulmonalis  auf  dem  Anfange  der  Aorta  liegt. 
Man  reinigt  nun  den  Aortenbogen,  und  verfolgt  ihn,  um  seine  Krüm- 
mung über  den  linken  Bronchus  zu  finden.  —  Am  concaven  Rande 
des  Aortenbogens  theilt  sich  die  Arteria  pulmonalis  in  den  rechten 
und  linken  Ast.  Der  rechte  Ast  ist  länger,  geht  hinter  dem  auf- 
steigenden Theile  des  Aortenbogens  und  der  Cava  superior  zur 
rechten  Lungenpforte;  der  linke,  kürzere,  hängt  durch  das  Aorten- 
band (obsoleter  Ductus  artei'iosus  Botalli  des  Embryo)  mit  dem  con- 
caven Rande  des  Arcus  aortae  zusammen,  und  geht  vor  dem  ab- 
steigenden Theile  der  Aorta  zu  seiner  Lungenpforte,  aus  welcher, 
(wie  aus  der  rechten)  zwei  Venen  zur  linken  Herzvorkammer  zu- 
rücklaufen. Um  letztere  zu  sehen,  muss  auch  die  hintere  Wand  des 
Herzbeutels  entfernt  werden.  Alle  diese  Arbeiten  erfordern  eine 
vorläufig  durch  Leetüre  der  betreffenden  Beschreibungen  erworbene 
Kenntniss  des  relativen  Lagenverhältnisses,  und  können  ohne  einen 
Gehilfen  (welcher  durch  Finger  oder  Haken  die  bereits  isolirten 
Gefässe  auseinander  hält,  um  Raum  für  das  Auffinden  der  tieferen 
zu  schaffen)  kaum  unternommen  werden.  Hat  man  den  Bronchus, 
die  Arteria  und  Vena  pulmonalis,  bis  zur  Pforte  der  Lunge  darge- 
stellt, so  kann  man  an  ihnen  die  Lunge,  wie  an  einem  Griffe,  aus 
der  Brusthöhle  heben,  auf  die  andere  Seite  legen,  und  durch  Klam- 
mem befestigen,  und  sich  dadurch  die  Seitenwand  des  hinteren 
Mittelfellraums  zugänglich  machen.  Diese  Seitenwand  wird  einge- 
schnitten, und  gegen  die  Rippen  zu  abgezogen,  worauf  die  hintere 
Wand  des  Bronchus  erscheint,  welche  der  Vagus  kreuzt,  der  hier 
seine  Conti ngente  zur  Erzeugung  des  Plexus  pulmonalis  abgiebt. 
Hat  man  beide  Wände  des  Mediastinum  vor  der  Wirbelsäule  ein- 
geschnitten und  weggenommen,  so  zeigt  sich,  wie  der  Aortenbogen 
auf  dem  linken  Bronchus  gleichsam  reitet,  ebenso  wie  rechts  der 
Bogen  der  Vena  azygos  auf  dem  rechten  Bronchus  aufliegt.  Werden 


S.  292.  Eintheilang  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane.  675 

nun    Herz    und    Lungen    ganz    entfernt,     der    Aortenbogen    aber 

gelassen,   so   überblickt    man   die   oben    geschilderte   Verlaufsweise 

des  Oesophagus,   §.  258   (lange  Spiraltour  um  die  Aorta),  und  den 

Inhalt   des  hinteren   Mittelfellraumes:    die    Vena  azygos  rechts,    die 

nur  halb   so  lange   Vena  hemiazygos  links  von  der  Aorta  descendens, 

den    Ductus   thoracicus    mit    seiner    Fettumhüllung    zwischen    Vena 

azygos  und  Aorta.  Verfolgt  man  den  Ductus  thoracicus  nach  aufwärts, 

so  findet  man  ihn  hinter  der  Speiseröhre  nach  links  und  oben  gehen, 

und  in  die   hintere  Wand   des  Vereinigungswinkels  der  Vena  jugu- 

laris  und  subclavia  sinisti^a  einmünden.   Die  Vagi  begleiten,  von  der 

Lungenwurzel   an,   den  Oesophagus;    der   Knotenstrang   des    Sym- 

pathicus  läuft  an  den  Rippenköpfchen  herab,  und  liegt  schon  nicht 

mehr  im  Cavum  mediastinL 

•  A,  W,  Otto,  von  der  Lage  der  Organe  in  der  Brusthöhle.  Berlin,  1829.  — 
C  Ludwig,  icones  cavitatum  thoracis  et  abdominis.  Lips.,  1750.  4.  —  H,  Luschka, 
BruBtorgane  des  Menschen.  Tübingen,  1857. 


III.   Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

§.  292.  Eintheilung  der  Harn-  und  G^eschleclitsorgane. 

Die  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge  {Organa  uro-geni- 
talia)  stehen  durch  ihre  Entwicklungsgeschichte,  und  durch  das 
Zusammenfliessen  ihrer  Ausfiihrungsgänge  zu  einem,  beiden  Werk- 
zeugen gemeinschaftlich  angehörigen,  unpaarigen  Schlauch  (Harn- 
röhre beim  Manne,  Vorhof  der  Scheide  beim  Weibe)  in  so  naher 
Verwandtschaft,  dass  sie,  ungeachtet  ihrer  sehr  verschiedenen  Fimc- 
tionen,  als  Einem  anatomischen  Systeme  angehörend  betrachtet 
werden.  Diese  Einheit,  welche  im  männlichen  Geschlechte  vollstän- 
diger hervortritt,  als  im  weiblichen,  spricht  sich  am  deutlichsten 
durch  das  Verhalten  der  Schleimhaut  aus,  welche  ohne  Unterbre- 
chung, die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane,  als  Zweige  desselben 
Stammes,  auskleidet,  und  an  dasselbe  Verhalten  der  Schleimhaut 
der  Verdauungs-  und  Athmungsorgane  erinnert,  welche  in  der 
Rachenhöhle  zusammenfliessen,  und  erst  unterhalb  derselben  ge- 
trennte Wege  verfolgen. 

Die  Harnwerkzeuge  bestehen  aus  paarigen,  den  Harn  abson- 
dernden Drüsen  mit  deren  AusfElhrungsgängen  (Nieren  und  Harn- 
leiter), und  aus  einer  unpaarigen  Sammlungshöhle  des  Harns 
(Harnblase),  welche  durch  die  Harnröhre  an  der  Leibesober- 
fläche  ausmündet 

Dieselbe  Einikeihuig  Um^ 
zeuge  anwenden.  Sie  bei^ 


g76  S-  ^^-    ^i«'<>°  nnd  Harnleiter. 

die  ZeugungsstofFe  absondernden  paarigen  Drüse  (Ho de,  Eierstock), 
2.  aus  deren  Ausführungsgängen  (Samenleiter,  Eileiter),  3.  an» 
einer  Sammlungs-  und  Aufbewahrungshöhle,  welche  im  männlichen 
Gesehlechte  paarig  (Samenbläschen),  im  weiblichen  Geschleckte 
unpaar  ist  (Gebärmutter),  und  4.  aus  einem  Excretionswege, 
welcher  gleichfalls  im  Manne  doppelt  (Ausspritzungskanäle), 
und  im  Weibe  einfach  erscheint  (Scheide). 


A.  Harnwerkzeuge. 

§.  293.  Meren  und  Harnleiter. 

Die  durch  den  Stoffwechsel  gebildeten  stickstoffireichen  Ze^ 
setzungsproducte  thierischer  Gewebe  werden  durch  die  Nieren  ans 
dem  Blute  ausgeschieden.  Abstrahirt  man  von  der  sehr  geringen 
Stickstoffmenge,  welche  durch  die  Absonderung  der  äusseren  Haut, 
wohl  auch  durch  die  Excremente  des  Darmkanals,  aus  dem  Leibe 
entfernt  wird,  so  sind  die  Nieren  die  einzigen  Excretionsorgane, 
welche  den  Stickstoff  der  Gewebe  in  Form  eigenthümlicher  Ver- 
bindungen, deren  wichtigste  der  Harnstoff,  die  Harnsäure,  und  die 
Hippursäure  sind,  und  deren  Verbleiben  im  Körper,  durch  eine 
unheilbare  Krankheit  (Uraemie)  tödten  würde,  aus  der  Sphäre  des 
Organismus  hinauszuschaffen  haben. 

Die  Nieren,   ReJies   (vs^psi),    liegen   in    der   Regio  lumhaUs  der 
Bauchhöhle,  extra  cnvum  petitoneiy  an  der  vorderen  Seite  des  Muscu- 
lus  qvadratuH  luv}horum,   Sie  grenzen  nach  vorn  unmittelbar  an  das 
über  sie  wegstreichende  Bauchfell,  und  mittelst  dieses  an  das  Cohm 
ascendeiis  (rechts),  Colon  desamdens  (links),  nach   innen    an   die  Pars 
lumbalis    des    Zwerchfelles,  und  nach  oben  an  die  Nebenniere.    Die 
rechte  Niere  liegt  etwas  tiefer    als  die  linke,  da  sie  durch  die  volu- 
minöse Leber  mehr  hcrab^odrückt  wird.  —  Die  Gestalt  der  Nieren 
ist  bohnenförmig,  der  äussere  Rand  convex,  der  innere  concav,  und 
mit   einem   Einschnitte   (das  Stigma   der  Bohne)   versehen,  welcher 
als   Aus-   und  Eintrittsstelle    der  Nierengefässe    dient,   und  deshalb, 
wie  bei  der  Lunge,    Leber,   und  Milz,  Hihts  s.  Porta  renis,  genannt 
wird.     Ihre   Farbe   ist   rothbraun,   bei    Blutcongestion    dunkler  und 
blauroth ;  ihre  Consistenz  bedeutend ;  ihre  Länge  das  Doppelte  der 
Breite.  Da  die  Nieren  um  so  flacher  erscheinen,  je  grösser  sie  sind, 
so  bleibt  ihr  Volumen  und  ihr  Gewicht  ziemlich  constant  Letzteres 
beträgt    durchschnittlich   4  Unzen.    Ein   ziemlich  dickes  Lager  fett- 
reichen imd   lockeren   Bindegewebes  {Capsula  adiposa)  umgiebt  sie, 
und  sichert  ihre  Lage,  jedoch   nicht  so  genau,    dass  nicht  in  Folj[e 


f.  293.  Nieren  nnd  Harnleiter.  677 

mechanischer  Einwirkungen,  z.  B.  Schnüren  bei  Frauen,  Druck  von 
benachbarten  Geschwülsten,  consecutive  Lage  Veränderungen  einer 
oder  beider  Nieren  auftreten.  Die  Nieren  können  aber  selbst  aus- 
nahmsweise durch  Lockerung  ihrer  Verbindungen  mit  der  Umge- 
bung, und  durch  Verlängerung  der  Geftlsse,  an  welchen  sie  hängen, 
eine  solche  Verschiebbarkeit  erlangen,  dass  die  praktischen  Aerzte 
sie  als  wandernde  Nieren  zu  bezeichnen  pflegen.  Man  hat 
solche  wandernde  Nieren  vor  der  Wirbelsäule,  am  Promontorium 
des  Kreuzbeines,  in  der  Fossa  üiacay  in  der  kleinen  Beckenhöhle, 
selbst  zwischen  den  Platten  des  Dünndarmgekröses  angetroffen.  Es 
lässt  sich  leicht  entscheiden,  ob  eine  abnorme  Nierenlage  angeboren 
oder  erworben  ist,  da  sich  im  letzteren  Falle  der  Urspnmg  der 
Nierenarterien  normal,  im  ersteren  abnorm  verhalten  wird.  —  An- 
geborene Verschmelzung  beider  Nieren  mit  ihren  unteren  Enden, 
welche  sich  vor  der  Wirbelsäule  begegnen,  ist  als  Hufeisen  nie  re 
bekannt 

Die  äussere,  vollkommen  glatte  Oberfläche  der  Nieren  wird 
von  einer  dicht  anschliessenden  fibrösen  Hülle  (Tunka  propria  8, 
Capstda  fibrosa)  überzogen,  welche  sich  sehr  leicht  abziehen  lässt, 
und  am  Hilus  nicht  in  das  Parenchym  eindringt,  um  Scheiden 
für  die  Gefässe  zu  bilden,  sondern  einfach  von  diesen  durch- 
bohrt wird. 

Schneidet  man  eine  Niere  ihrer  Länge  nach,  vom  convexen 
gegen  den  concaven  Rand  durch,  so  findet  man,  dass  ihre  Substanz 
keine  gleichförmige  ist.  Man  bemerkt  grauliche,  dreieckige,  mit 
der  Basis  gegen  den  convexen  Rand  gerichtete  Stellen  (Substantta 
medullaria),  und  eine  sie  umgebende  braunrothe  Masse  {Substantta 
corticalü).  Diese  Benennungen,  die  dem  blossen  Ansehen  entnom- 
men wurden,  sind  jedoch  veraltet,  und  man  gebraucht  aus  gleich 
zu  erörternden  Gründen  heut  zu  Tage  für  Substantia  medullarü  den 
Namen  Substantia  tubulosay  imd  ftlr  Substantia  corticalisy  lieber  Sub- 
stantta vasculosa  s.  glomerulosa.  Die  dreieckigen  Stellen  sind  die 
Durchschnitte  von  10 — 15  Pyramiden,  Pyramides  Malpighiiy  deren 
nach  dem  Hilus  gerichtete,  abgerundete  Spitzen  Nierenwärzchen, 
Papulae  renales,  heissen. 

Die  zwischen  den  Malpighi'schen  Pyramiden  eindringenden  Massen  von 
Corticalsubstanz,  hat  man  als  Columnc^e  Bertini  bezeichnet.  Nicht  selten  fehlen 
zwischen  zwei  nachbarlichen  Pyramiden  die  entsprechenden  Oolumnae  Bertini, 
wodurch  es  zur  Verschmelzung  dieser  Pyramiden  kommt,  und  sogenannte  Zwil- 
lingspyramiden entstehen,  deren  Wärzchen  doppelt  so  gpross  sind,  als  jene 
der  einfachen.  Bei  gewissen  Säugethieren  (Edentaten,  Fledermäusen,  vielen 
Fleischfressern  und  Affen)  fehlen  die  Oohmmüe  Berikd  ffiaaUeh,  wodurch  slmmt- 
liche  Pyramiden  ihre  gegenseitfsm  h  "»  «insigeQ 

grossen  Pyramide,  mit  eiaftw 


678  §•    203.    Nieren  und  Harnleiter. 

Die  Nieren  Neugeborener  sind  an  ihrer  Oberfläche  nicht  gUtt,  lOBdfln 
durch  Furchen  gelappt  {liejies  lobali).  Jeder  Lappen  entspricht  einer  Pyramide, 
mit  zugehöriger  Corticalsubstanz.  Bei  vielen  Säugethieron  (Fischotter,  BIr,  See- 
hund, Delphin)  greifen  die  Furchen  so  tief  ein,  dass  die  gesammte  Kiere  in 
viele,  völlig  isolirte  Kcilstücke  {Renunculi)  zerfällt,  deren  jedes  seine  besondere 
Mark-  und  Rindensubstanz  besitzt. 

Ich  erwähne  noch,  ^ass  man  an  den  Pyramiden  auch  kleine,  koniKke, 
in  die  Rindensubstanz  eindringende,  nicht  immer  deutlich  hervortretende  Fort- 
sätze, als  Pyramiden fortsätze  anführt.  Sie  werden  wohl  nur  dadurch  er- 
zeugt, dass  die  von  der  Rinde  in  die  Pyramide  übergehenden  Hamkan&lcken 
und  Blutgefässe,  sich  schon  früher,  bevor  sie  die  eigentliche  Pyramide  betreten, 
zu  kleineren  Bündeln  sammeln;  die  aus  der  Pyramide  aber  zur  Rinde  zurück- 
kehrenden Harnkanälchen  und  Blutgefässe  noch  jenseits  der  Pyramide  one 
Strecke  weit  in  Form  kleinerer  Büschel  beisammen  bleiben. 

Der  Bau  der  Nieren,  im   allgemeinen  Umriss  nur  gezeichnet, 
giebt  folgendes  Bild. 

Die  sehr  mächtige  Arteina  renalis  verästelt  sich  nur  in  der 
Suhstantia  cmi^icalis,  Sie  dringt,  vom  Hilus  aus,  mit  mehreren  Aesten 
zwischen  den  Malpighi'schen  Pyramiden  gegen  die  Oberfläche  der 
Niere  vor,  spaltet  sich  in  immer  kleiner  und  kleiner  werdende 
Zweigchen,  welche  nie  mit  einander  anastomosiren,  und  bevor  sie 
capillar  werden,  sich  aufknäueln,  und  die  sogenannten  Gef/lBS- 
knäuel,  Glomeindi  renales  s.  Corpuscula  Malpighii  bilden.  Diese 
Knäuel  werden  von  häutigen  Kapseln  umgeben  (von  Bowman  zuerst 
gefunden).  Während  der  Aufknäuelung  spaltet  sich  die  Arteria 
mehrmal,  geht  aber,  nachdem  sie  durch  die  Vereinigung  ihrer  Spal- 
tungsäste wieder  einfach  geworden,  an  derselben  Stelle  aus  dem 
Knäuel  heraus,  an  welcher  sie  in  ihn  eintrat,  und  löst  sich  nun  erst 
in  capillare,  netzförmig  anastomosirende  Verzweigungen  auf,  aus 
welchen  sich  die  Anfänge  der  Venen  herv'orbilden.  Die  Grösse  der 
Knäuel  beträgt  zwischen  0,10'"— (),0G'".  Ihre  Zahl  ist  Legion.  An 
wohl  gelungenen  Injectionspräparaten,  scheint  die  Suhstantia  codi- 
calis  nur  ein  Aggregat  derselben  zu  sein,  weshalb  sie  eben  Äwi- 
stantia  glomeimlosa  gentinnt  wurde.  —  Die  Harnkanälchen  {Tubuli 
uriniferi)  nehmen  ihren  Anfang  aus  den  Kapseln  der  Malpighi'ßchen 
Körperchen.  Jede  solche  Kapsel  hat  nämlich  eine  OeflFnung,  welche 
der  Eintrittsstelle  der  Arterie  des  Knäuels  gegenüber  liegt,  und  an 
welcher  ein  Harnkanälchen  beginnt.  Die  Harnkanälchen,  deren  es 
also  so  viele  als  Kapseln  giebt,  verlaufen  anfangs  geschlängelt  durch 
die  Corticalsubstanz  als  Tubuli  cont(yrti,  treten  dann  in  die  Pyw- 
midcn  ein,  um  in  ihnen  früher  oder  später  schlingenförmig  umzn- 
beugen  (Ansäe  Henlei),  und  zur  Corticalsubstanz  zurückzukehren, 
in  welcher  sich  mehrere  derselben  (unter  mannigfaltigen  Elrümmun- 
gen)  zu  einem  grösseren  Stämmchen  verbinden.  (Nicht  der  wirkliche 
Zusammenhang  der  rückläufigen  Schenkel  der  Alisas  Henlei  mit 
diesen   Stämmchen,   sondern   die   Art   des   Zusammenhanges  ist  es, 


§.  298.   Nieren  und  Harnleiter.  679 

welche  die  verschiedenartigsten  Auslegungen  gefunden  hat).  Die 
eben  erwähnten  Stämmchen,  deren  begreiflicher  Weise  noch  immer 
sehr  viele  sein  werden,  treten  nun  neuerdings  unter  dem  Namen 
der  Tubuli  BelUniani  8.  recti,  in  die  Pyramiden  ein,  in  welchen  sie 
vollkommen  geradelinig,  und  progressiv  je  zwei  und  zwei  unter 
sehr  spitzigen  Winkeln  zu  grösseren  zusammenfliessend,  gegen  die 
Warze  der  Pyramide  verlaufen.  Die  spitzwinkelige  Verschmelzung 
je  zweier  Tvhuli  BelUniani  wiederholt  sich  so  oft,  dass  an  der 
Warze  selbst  von  der  sehr  grossen  Anzahl  der  in  die  Pyramide  ein- 
getretenen Tubuli,  nur  noch  ohngefähr  40,  —  nicht  400—500,  wie  die 
mit  Zahlen  freigebigen  Schulbücher  *)  sagen,  —  erübrigen,  welche  dann 
auch  an  der  Oberfläche  der  Warze  mit  feinen  Oeffnungen  {Crih*um 
henedictum)  münden.  Jede  Malpighi'sche  Pyramide  der  Marksubstanz 
ist  somit  nur  ein  Bündel  von  Tubtili  BelUniani.  Ich  gchlug  deshalb 
oben  den  Namen  Substantia  hchulosn  vor.  Durch  die  wiederholte 
gabelförmige  Verschmelzung  der  Tubidi,  und  die  dadurch  gegebene, 
gegen  die  Warze  fortschreitende  Verminderung  ihrer  Zahl,  wird 
eben  die  Pyramidenform  des  Bündels  gegeben.  Da  nicht  alle  Ham- 
röhrchen  einer  Pyramide  in  ein  einziges  zusammcnfliessen,  sondern 
viele  Oeffnungen  an  der  Warze  einer  Pyramide  vorkommen,  so 
muss  das  Röhrchenbündel  einer  Malpighi'schen  Pyramide  aus  eben 
so  vielen  Theilbündeln  (Ftp'amides  Ferreinii)  bestehen,  als  Oeffnun- 
gen an  der  Warze  vorkommen. 

Die  Pyramiden  enthalten  aber  ausser  den  Ansäe  Henlei  und 
den  Tubuli  BelUniani  auch  ebenso  zahlreiche  Gefässschlingen,  welche 
aus  dem  Capillargeftlsssysteme  der  Substantia  corticalis  abgehen,  tief 
in  die  Pyramiden  hineinragen,  und  sich  durch  wechselseitige  Ver- 
schmelzung gegen  die  Nierenwarze  zu,  an  Zahl  so  reduciren,  dass 
in  der  Warze  selbst  nur  etwa  ebensoviel  Capillargefässschlingen  vor- 
kommen, als  Tubuli  BelUniani  daselbst  ausmünden.  Diese  Blutgefkss- 
schlingen  liefern  offenbar  das  Materiale,  aus  welchem  die  zwischen 
ihnen  lagernden  Ansäe  Henlei  und  Tubuli  BelUniani  den  Harn  be- 
reiten,   welcher  aus   den  Oeffnungen  der  Papillae  renales  ab  träufelt. 

Die  Papillae  renales  werden  von  kurzen  häutigen  Schläuchen 
umfasst,  in  welche  die  Papillen  wie  Pfropfen  hineinragen.  Diese 
Schläuche  sind  die  Nierenkelche  (Calices  renales  minores) j  welche 
zu  zwei  oder  drei  in  einen  weiteren  Schlauch  übergehen  (Calices 
majores),  durch  deren  Zusammenfluss  endlich  der  grösste  Calix  ent- 
steht —  das  Nierenbecken,  Pelvis  renalis.  Dieses  liegt  hinter  der 
Arteria  und  Vena  renalis  im  Hilus,  und  geht,  trichterförmig  sich 
verengend,  in  den  Harnleiter  (Ureter)  über,   welcher  an  der  vor- 


*)  Nach  Hugchke  400 — 600  weitere,  und  eben  so  viel  engere,  —  wir  wol- 
len um  eine  Null  mehr  oder  wen{a«r  nicht  rechten.  Ich  zähle  an  den  dicksten  Pa- 
pillen nicht  mehr  als  h"'  ^umnii. 


580  8*  S^  Näheres  ftber  Einzelnheiten  der  Nierenuntomio. 

deren  Fläche  des  Psoas  rnagnus  herabsteigt,  sich  mit  der  ArUm 
und  Vena  iliaca  communis  am  Eingange  des  kleinen  Beckens  kreuzt, 
in  der  Plica  Douglasii,  mit  dem  entgegengesetzten  Ureter  conver 
girend,  zur  hinteren  Wand  der  Harnblase  tritt,  sich  hier  (beim 
Manne)  neuerdings  mit  dem  Samengange  kreuzt,  imd  am  Grunde 
der  Harnblase,  deren  Muskel-  und  Schleimhaut  schief  durchboiirt 
wird,  in  die  Blasenhöhle  einmündet.  Der  aus  den  Papulae  renale» 
hervorquellende  Harn,  durchströmt  also,  auf  seinem  Wege  zur  Harn- 
blase, die  kleineren  und  grösseren  Nierenkelche,  das  Nierenbecken, 
und  den  Harnleiter. 

Grosse  und  kleine  Nierenkolche,  Nierenbecken  nnd  Harnleiter,  bestehen 
aus  einer  äusseren  Bindegewebsmembran,  worauf  eine  zweischichtige,  lingi-ond 
quergefaserte  organische  Muskelschichte,  und  zuletzt  eine  innere  Schleimhaatuu- 
kleidung  mit  mehrfach  geschichteten  Epithel  folgt,  dessen  oberflächlichste  Schichte 
aus  niedrigen  Cylinderzellen  besteht,  welche,  ihrer  gegenseitigen  Abplattung 
wegen,  von  Anderen  für  Pflasterzellen  ausgegeben  werden. 

Im  weiblichen  Geschlechte  fassen  beide  Ureteren,  bevor  sie  zum  Blaien- 
gründe  kommen,  den  Hals  der  Gebärmutter  zwischen  sich,  woraus  es  sich  er- 
klärt, warum  mit  Anschwellung  verbundene  Erkrankungen  des  letzteren,  ein 
mechanisches  Impediment  der  Harnentleerung  mit  consecutiver  Erweiterung  der 
Ureteren,  und  der  mit  ihnen  zusammenhängenden  Übrigen  Hamwege  im  Nieren- 
parenchym, abgeben  können. 


§.   294.  Ifäheres  über  Einzelnlieiteii  der  üfierenanatomie. 

1.  Malpighi^sche  Körperchen. 

Sie  gehören,  wie  gesagt,  nur  der  Rindensubstanz  an.  In  den 
Pyramiden,  sowie  in  den  in  die  Rindensubstanz  eindringenden  Fort- 
sätzen derselben,  fehlen  sie  gänzlich. 

Die   in  ein   Malpighi'sches    Körperchen   (Gefässknäuel)  eintre- 
tende Arterie  ist  nicht  capillar.    Sie  löst  sich  erst,  nach  ihrem  Aus- 
tritte aus  dem  Knäuel  in  capilläre  Aestchen  auf.  In  das  Malpighi'sche 
Körperchen  eingetreten,  theilt  sich  die  Arterie  in  Zweigchen,  welche 
sich  wieder  zu  einem  einfachen  austretenden  Stämmchen  vereinigen. 
Das  Zerfallen  einer  Arterie   (gross    oder  klein)   in   Aeste,   und  dw 
Wiedervereinigen  der  Aeste  zu  einem  einfachen  Stämmchen,  nennt 
man:  bipolares  Wundernetz,  ein  Name,  der  schon  von   Qal^^ 
für  Geflechte  grösserer  Arterien  an  der  Gehirnbasis  gewisser  SävLg^ 
thiere  gebraucht  wurde  (c'.xtosios;  TtX^Yfjia).    Die  Malpighi'schen  iC^t- 
perchen  sind  also    wahre   Wundemetze,    aber   nicht  in    der  FlÄ*^^^ 
liegend,  sondern  aufgeknäuelt.  Das  austretende  Gefäss  eines  KnÄ-^^ 
ist  immer  enger  als  das  eintretende,  —  ein  Umstand,  der  den       ^ 
danken  anregt,  dass  in  Folge   der  Blutstauung  im  Knäuel,  w&  ^®' 
durch    die    Ungleichheit    des   Zufuhrs-    und    Abzugsweges   geg^^'^ 
ist,  der  wässerige   Bestandtheil   des    Blutes    durch    die    Wände        ^ 


§.  894.  N&heres  Aber  Einzelnheiteii  der  Niexenuiatomie.  681 

Knäuelgefitese  durchgepresst  wird,  das  Blut  in  den  Knäuelgefössen 
somit  an  Quantum  verliert  und  an  Consistenz  gewinnt,  —  einge- 
dickt wird. 

Ludwig  meint,  dass  das  austretende  Qefäss  eines  injicirten  Knäuels  nur 
deshalb  enger  als  das  eintretende  erscheine,  weil  der  Injectionsdruck  stärker 
auf  das  letztere  als  auf  das  erstere  wirkt.  Wäre  also  der  Knäuel  kein  Knäuel, 
sondern  eine  einfache  Schlinge,  so  würden  beide  Schenkel  derselben  gleich 
stark  sein.  Ich  kann  erwiedemd  nur  anführen,  dass,  wenn  diese  Meinung  be- 
rechtigt wäre,  das  austretende  Gefäss  eines  Knäuels  um  so  enger  erscheinen 
müsste,  je  zahlreicher  die  Theilungen  und  Aufknäuelungen  des  eintretenden  Ge- 
fässes  sind,  und  umgekehrt.  Aber  gerade  bei  beschuppten  Amphibien,  deren  kleine 
Knäuel  nur  wenig  Krümmungen  aufweisen  (wie  bei  Testudo,  Coluber,  Pseu- 
dopus)  ist  der  Dickenunterschied  des  austretenden  Gefässes  zum  eintretenden 
sehr  auffallend,  so  wie  gegentheilig,  bei  nakten  Amphibien  und  Säugethieren, 
deren  Knäuel  gross  und  sehr  verschlungen  sind,  der  Unterschied  weniger  in  die 
Augen  fällt. 

Nach  den  Ansichten  einiger  Physiologen  sollen  ferner  nicht  alle  Aestchen 
der  Nierenarterie  Knäuel  bilden.  Eine  Anzahl  Aestchen  lässt  man,  ohne  Knäuel- 
bildung, theils  in  das  Capillargefässnetz  der  Rindensubstanz,  theils  in  die  Mal- 
pighi'schen  Pyramiden  eindringen,  wo  sie  zwischen  den  Hamkanälchen  gegen  die 
Nierenwärzchen  zu  verlaufen,  sich  mit  gleichnamigen  Aestchen  zu  Schlingen 
verbinden,  wohl  auch  um  die  Hamkanälchen  herum  zu  Capillametzcn  auflösen 
sollen.  Ich  habe  bei  wiederholter  genauer  Revision  meiner  Injectionspräparate, 
diese  knäuellosen  Aestchen  der  Nierenarterie  immer  vermisst,  und  nur  die  erwähn- 
ten Schlingen  von  Harn-  und  Blutgefässen  in  den  Pyramiden  angetroffen. 

Weder  grössere,  noch  kleinere  Zweige  der  Arteria  rencUis  treten  je  mit 
einander  in  anastomotische  Verbindung.  Jedem  Aste  der  Nierenarterie  entspricht 
somit  ein,  nur  von  ihm  allein  versorgter  Bezirk  der  Rindensubstanz.  Die  Venen 
fEigen  sich  dieser  Regel  nicht.  Die  in  den  Oolumnae  Bertini  verlaufenden  grösseren 
Stämme  derselben,  bilden  um  die  Basen  der  Malpighi^schen  Pyramiden  herum 
kranzförmige  Anastomosen.  So  wird  wenigstens  gesagt 

2.  Capillargefässnetze  der  Niere. 

Die  aus  den  Knäueln  heraustretenden  Blutgefässe  werden  durch 
Theilung  capiUar,  und  bilden  in  der  Rindensubstanz  der  Niere  durch 
Anastomosen  Netze,  in  welche  die  Malpighi'schen  Knäuel  wie  ein- 
gesprengt sind,  und  durch  deren  Maschen  sich  die  in  der  Rinde  vor- 
findlichen  Hamkanälchen  hindurchwinden.  Aus  diesen  Capillargefäss- 
netzen  gehen  lange  und  unverästelte  Zweige  hervor,  welche  in  die 
Malpighi^schen  Pyramiden  eindringen,  zwischen  den  Tubuli  Belliniani 
gegen  die  Papilla  renalis  zu  verlaufen,  und  während  dieses  Laufes, 
oder  erst  am  Ende  desselben  (in  der  Papilla  selbst)  schlingenförmig 
in  einander  übergehen.  Diese  Schlingen  sind  überaus  zahlreich.  Sie 
ähneln  an  Zahl  und  Form  den  im  vorhergehenden  Paragraphe  er- 
wähnten Ansäe  Henlei. 

Nur  diese  Aehnlichkeit  habe  ich  in  meiner  Abhandlung  (Ueber  Injection 
der  Wirbelthiemiere,  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1863)  erwähnt  Es  fiel 
mir  nicht  ein,  He  nie  eine  Verwechselung  dieser  Gefässschlingen  mit  den  von 
ihm  entdeckten  Schlingen  zuzumuthen,  wie  mich  Jene  beschuldigen,  welche  meine 
Bchrift  nur  oberflächlich  oder  gar  nicht  gelesen  haben. 


682  9-  2M-  N&herei  flb«r  EiBzelaheitei  der  Kiemantoiii«. 

3.  Kapseln  der  Malpighi'sehen  Körperchen,  und  Hamkanälchen. 
Eine  häutige  Kapsel   umgiebt  jedes  Malpighi'sche  Körperclen 

(Bowman).  Sie  hat  zwui  OefFnungen,  eine  für  die  ein-  und  ans- 
tretenden  Blutgefässe  des  5Ialpighi'schen  Körperchens ;  —  eine  zweite, 
der  ersten  gegenüber  stehende,  als  Beginn  des  Hamkanälchens.  Die 
Kapsel  hat  eine  structurlose  Wand,  und  an  ihrer  inneren  Oberfläche 
ein  zartes  helles  Päasterepithel.  Sie  umschliesst  das  in  ihr  liegende 
Malpighi'sche  Körperchen  ziemlich  lose.  Ob  die  Hamkanälchen  der 
Rindensubstanz  nur  mit  Einer,  oder  mit  mehreren  Knäuelkapseb  in 
Zusammenhang  stehen,  ist  noch  imentschieden. 

Ks  fehlt  niclit  an  Autoritäten,  welche  in  der  Kapsel  der  Malpighi'achen 
Köq>erchen  nur  Kiiic  Oeffnun^,  jene  des  beginnenden  Hamkanälchens  annehmen, 
und  sich  das  Verhältnlss  der  Kapsel  zum  Körperchen  so  vorstellen,  wie  jenes  der 
seriösen  Häute  zu  den  von  ilinen  uraschlussenen  Organen,  d.  h.  sie  lassen  die 
Kapsel  durch  das  Malpighi'sche  Körpercheu  eingestülpt  sein,  und  letzteres  somit 
nicht  frei  in  der  Höhle  der  Kapsel  liegen,  sondern  von  dem  eingestülpten  An- 
theil  der  Kapselwand  überzogen  werden.  Ich  kann  dieser  Ansicht  nicht  beipflich- 
ten, weil  sie  eben  nur  eine  Ansicht  ist.  Nicht  die  Kapsel,  wohl  aber  ihr  Epithel 
setzt  sich  auf  die  Oberfläche  des  MalpighiVhcn  Körperchens  fort  Es  wäre  der 
Ausscheidung  von  Blutwasscr  aus  den  Malpighi^schen  Knäueln  in  die  Höhle  der 
Kapsel  wahrlich  nicht  geholfen,  wenn  die  Knäuel,  der  eben  gerügten  Vorstellung 
nach,  ausser  der  Kapsel  lägen.  Die  Kapsel  verwächst  vielmehr  an  der  Ein- 
trittsstelle der  Blutgefässe  der  Malpighi'schen  Körperchen  mit  diesen  Blutgeflssen, 
ohne  sich  an  ihnen  umzustülpen,  und  die  Körperchen  liegen  somit  in  der  Höhle 
der  Kapsel. 

4.  Hamkanälchen. 

Vom  Ursprünge  der  Hamkanälchen  aus  den  Kapseln  der 
Malpiglii'schen  Körperchen,  bis  zur  Mündung  derselben  an  der  Pa- 
pilla rtmaliSy  lassen  sich  an  ilinen  vier  Abtheilungen  unterscheiden. 
1.  der  Tuhulus  contortus  in  der  Rinde,  2.  die  Ansa  Heiilei  in  der 
Malpiglii'schen  Pyramide,  3.  die  geschlungenen  Uebergangsgeftsse 
des  rückläufigen  Schenkels  der  Alisa  in  der  Rinde,  in  die  4.  gerad- 
linigen TuhuU  Btlliniani  der  Pyramiden. 

Die  Hamkanälchen  bestehen  in  allen  diesen  vier  Kategorien 
aus  structurloser  Wand  und  Epithel.  Nur  das  letztere,  und  das 
Kaliber  der  Kanälchen,  ändert  sich  an  den  verschiedenen  Abschnit- 
ten derselben. 

So  findet  sich  in  den,  0,02'"  weiten  Tuhuli  coiitorti  eln^  dieselbe  fast  gani  «M- 
füllendes  Epithel  aus  Pflasterzellen,  mit  feinkörnigem,  den  Kern  verdeckenden 
Inhalt;  —  iu  den  engen  Anaae  Henlei  (0,008'"),  ein  Epithel  aus  hellen  onlen 
Zellen,  welche  aber  in  dem  aufsteigenden,  sich  erweiternden  Schenkel  der  i"*** 
wieder  feinkörnigen  Inhalt  führen.  In  den  stärkeren  Tubuli  BeÜiniani  findet  »» 
Cylinderepithel,  —  in  den  feineren,  und  in  den  vielfach  geschlängelten  Verbin- 
dungsgefässen,  welche  ihren  Zusammenhang  mit  den  rückläufigen  Schenkehi  wS 
Arutat  Henlei  in  der  Rinde  bewerkstelligen,  helles  Pflasterepithel.  Diese  Stmc- 
turverschiedenheiten  verschiedener  Abschnitte  der  Hamkanälchen,  lassen  auch  w» 
einen  verschiedenen  Antheil  derselben  an  der  Harnbereitung  schliessen.  ^om 
dieser  Antheil  bestehe,  kann  zur  Zeit  Niemand  sagen.    Ebenso   verschiedeo  ti^ 


§.  294.  N&heres  Aber  Einzelnheiten  der  Nierenuifttoiiüe.  683 

die  pathologischen  Zustände  der  Bellini'schen  und  Henle^schen  Harnkanälchen. 
Der  Hamsäureinfarct  beschränkt  sich  nur  auf  erstere,  —  die  Incrustation  mit 
Kalksalzen  und  die  Fettinfiltration,  nur  auf  letztere. 

5.  Vorgang  der  Harnbereitung. 

Wenn,  zufolge  des  gesteigerten  Druckes,  die  gewundenen  Ar- 
terien eines  Malpighi'schen  Körperchens  den  wässerigen  Blutbestand- 
theil  (Sei*um)  durchsickern  lassen,  so  muss  dieser  von  der  Kapsel, 
die  das  Körperchen  umgiebt,  aufgefangen  werden,  und  da  die  Kapsel 
sich  in  ein  Harnkanälchen  fortsetzt,  so  wird  es  sofort  in  letzteres 
einströmen.  Die  gewundenen  Harnkanälchen  sind  aber  in  der  Rin- 
densubstanz der  Nieren  mit  den  Maschen  der  Capillargefässe,  die 
Fortsetzungen  der  gewundenen  Harnkanälchen  als  Ansäe  Henlei,  und 
die  geradlinigen  Harnkanälchen  (Tubuli  Belliniani)  in  der  Substanz 
der  Nierenpyramiden  mit  langgestreckten  Blutgefässen  in  Contact, 
welche,  weil  sie  aus  dem  jenseits  der  Malpighi'schen  Körperchen 
gelegenen  Capillargefässnetz  der  Rinde  abstammen,  eingedicktes 
Blut  führen.  Dieses  eingedickte  Blut  enthält  die  stickstofFreichen, 
zur  Ausscheidung  bestimmten  Zersetzungsproducte  der  Gewebe, 
während  die  Harnkanälchen  blos  Blutwasser  führen.  Wenn  nun  zwei 
chemisch  verschiedene  Flüssigkeiten  durch  eine  thierische  Haut  (hier 
die  äusserst  dünnen  Wandungen  der  Harnkanälchen  und  der  Ca- 
pillargeftlsse)  von  einander  getrennt  sind,  so  geschieht,  durch  die 
trennende  Wand  hindurch,  ein  wechselseitiger  Austausch  ihrer  Be- 
standtheile,  in  Folge  dessen  das  Serum  der  Harnkanälchen,  durch 
Aufnahme  der  auszuscheidenden,  stickstoffigen  Bcstandtheile  des 
Blutes  (unter  welchen  der  Harnstoff  und  die  Harnsäure  die  wich- 
tigsten sind)  zu  Harn  wird. 

Dieses  Wenige  mag  genügen,  um  dem  Anfänger  beiläufig  eine  Idee  vom 
Hergange  der  Harnbereitung  zu  geben,  und  es  ihm  verständlich  zu  machen, 
warum  die  Nieren,  welche  dieser  Darstellung  zufolge  Reinigungsorgane  des  Blutes 
von  den  in  den  Lungen  durch  Vermittlung  des  atmosphärischen  Oxygcns  gebilde- 
ten unbrauchbaren  Auswurfsstofi'en  sind,  so  nahe  an  dem  Hauptstamme  des 
Arteriensystems  liegen,  so  grosse  Schlagadern  erhalten,  und  eine  grössere  Menge 
Absondcrungsflttssigkeit  liefern,  als  die  um  so  viel  umfangreichere  Leber. 

Die  Schlingen  der  Harnkanälchen  in  den  Pyramiden  der  Nieren,  wurden 
durch  Henle  entdeckt  (Zur  Anatomie  der  Nieren,  Gott.  1862).  He  nie  war  aber 
der  Meinung,  dass  seine  Schlingen  mit  den  Tuhuli  Belliniani  nicht  zusammen- 
hängen, sondern,  wie  ihr  absteigender  Schenkel  aus  dem  Tubulua  contortus  einer 
Bowman^schen  Kapsel  hervorgeht,  so  auch  ihr  rückläufiger  Schenkel  auf  dieselbe 
Weise  mit  einer  Bowman'schen  Kapsel  zusammenhängt  Henle  nahm  also  die 
Schlingen  als  ein  für  sich  bestehendes,  besonderes  Kanalsystem  in  der  Niere, 
welches,  zum  Gegensatz  des  an  der  Nierenwarze  offnen  Systems  der  TubuLi 
Belliniani,  als  geschlossenes  Kanalsystem  zu  betrachten  sei.  Hauptstütze  der 
Henle^schen  Lehre  war  die  Unii^icirbarkeit  der  Bowman'schen  Kapseln  vom 
Ureter  aus.  —  Vor  Henle,  lieifl  man  die  TubttU  contorti  direct  in  die  Tubuli 
Belliniani  übergehen.  Eir*    ~  ''ii^iidlaniren  Über  diesen  Gegen- 

stand, hat  ee  on  i  daa  von  Henle 


684  S*  *^'   Nebennieren. 

als  anatomisch  selbstständig  aufgefasste  System  der  Hamkanälchen,  mit  dem 
Bellinian'schen  Kanalsystem  ein  Continuum  bildet  Bei  Fischen  und  Amphibien  habe 
ich  die  Kapseln  der  Nierenknäuel,  vom  Ureter  aus  zuerst  mit  gefärbten  Muaen 
gefüllt 

Der  Harnweg  wurde  durch  Heulens  Entdeckung  nur  um  ein  ansehnliebei 
Einschubsstück  (Schlingen  in  den  Pyramiden)  verlängert,  —  die  oben  gegebeM 
Erklärung  der  Hamsecretion  bleibt  demnach  dieselbe.  Interessant  ist,  das«  aoch 
Ludwig,  welcher  vor  Henle,  eine  Detailarbeit  Über  die  Anatomie  der  Nieren 
im  Handwörterbuch  der  Physiologie,  lieferte,  und  daselbst  von  „unzlUigen* 
Untersuchungen  spricht,  die  Schlingen  der  Hamgefässe  in  den  Pyramiden  nidit 
gesehen  hat,  gleichwohl  aber  als  einer  der  ersten  gegen  das  Abgeschlosseiuein 
der  Henle^schen  Schlingengefässe  aufstand.  Was  von  dieser  Seite  gegen  die 
Henle'sche  Ansicht  vorgebracht  wurde,  hat  ihr  wenig  Eintrag  gethan.  Schema- 
tische  Zeichnungen  lassen  sich  ja  auch  erfinden,  und  sind  deshalb  nicht  be- 
weiskräftig. Mit  stärkeren  und  siegreichen  Waffen  haben  Roth,  Herti,  Koll- 
mann, Steudener  und  Schweigger  -  Seidel  gestritten.  Denn  es  gab  mir 
Einen  Weg,  die  Frage  zu  schlichten,  und  dieser  war  die  Füllung  der  Bowmin'- 
sehen  Kapseln  vom  Ureter  aus.  Dieses  Kunststück  gelang  Schweigger- 
Seidel  an  der  Niere  eines  fünfmonatlichen  Embryo. 

6.  Intermediäre  Nierensubstanz. 

Ausser  Blut-  und  Harngefässen  besitzt  die  Niere  noch  eine 
eigenthümliche,  zwischen  den  Blut-  und  Harngefässen  eingelagerte, 
und  diese  verbindende ,  intermediäre  Substanz.  Blut-  imd  Ham- 
gefässe allein  könnten  dem  Nierenparenchym  nicht  jene  Derbheit 
verleihen,  welche  ihm  zukommt.  Bowman  nennt  die  Zwischensub- 
stanz  ein  granulirtes  Blastem,  Toynbee  lässt  sie  aus  Zellen 
bestehen.  Sonst  betrachtet  man  sie  als  ein  mehr  weniger  homogenes 
Bindegewebe,  dessen  fibrillärer  Zerfall  besonders  in  der  Nähe  der 
Gefässwandungen  deutlich  hervortritt.  Henle  und  Virchow  haben 
organische  Muskelfasern  in  ihm  (besonders  längs  der  Blutgefässe) 
nachgewiesen.  Blattartige  Ausbreitungen  dieser  Bindegewebssubstanz 
umschliessen  lappenförmige  Abtheilungen  der  Rinden-  und  Mark- 
substanz, und  bilden  um  sie  herum  förmliche  Kammern',  welche 
mit  den  Saugadem  des  Nierenparenchyms  in  oflFener  Verbindung 
stehen  sollen. 

§.  295.  Nebennieren. 

Nebennieren    oder    Obernieren,    Glandulae   suprarenale^  •• 
Capsidae  atrahiliariae,  nennt  man  zwei,    annähernd   dreieckige,  g'^^ 
braune,  drüsige  Organe  ohne  Ausführungsgang,  welche  mit  einer  co*^     ^^ 
ven  Fläche  am  oberen  Ende  der  Nieren  aufsitzen,  ohne  mit  ihnec::::^  ^ 

• 

directem  Gefilssverkehr  zu  stehen.  Ihre  hintere  convexe  Fläche  L— ^^ 
auf  der  Pars  lumhalis  diaphragmatis ;  die  vordere,  mehr  geebnete  Fli"  "^'^ 
der  rechten  Nebenniere  berührt  die  Leber,  jene  der  linken  den  Mi 
grund.  Beide  Flächen  sind  gefurcht.  An  der  vorderen  Fläche  fi^^^^ 
sich,  nahe  der  Basis,  ein  tiefer  Einschnitt^  Hiltis,  durch  welchen 


S.  896.  Hamblue.  685 

Hauptvene  des  Organs  und  grössere  Lymphgefässstämme  hervor- 
treten. Die  Arterien  benützen  wohl  den  Hilus  als  Eintrittspforte, 
treten  aber  auch  von  anderen  Seiten  her  in  die  Drüse  ein. 

Die  Nebenniere  besteht  aus  einer  fibrösen  ümhüllungshaut, 
einer  derberen  Rinden-  und  einer  weicheren,  wie  schwammigen 
Marksubstanz.  Von  der  Umhüllungshaut  dringen  Faserzüge  in 
die  Rindensubstanz  ein,  und  erzeugen  in  derselben  eine  fächerige 
Abtheilung.  Die  einzelnen  Fächer  erscheinen  bei  mikroskopischer 
Untersuchung  mit  Zellen  geftlUt,  welche  sich  der  Länge  nach  an- 
einander reihen.  Die  mittleren  Zellen  einer  Reihe  verschmelzen  zu 
längUchen  Schläuchen,  während  die  an  den  Endpunkten  einer  Reihe 
liegenden  isolirt  bleiben.  Die  Zellen  beherbergen  nur  Einen  Kern; 
die  Schläuche  mehrere  —  bis  20.  Den  Raum  zwischen  Zellenwand 
und  Kern  nimmt  eine  feinkörnige,  viele  Fettkügelchen  und  Pigment 
enthaltende  Masse  ein.  —  Die  Marksubstanz  besteht  aus  einem 
Netzwerk  von  weiten  Capillargeftlssen  und  lockerem  Bindegewebe, 
in  welchem  eigenthümliche  Zellen  lagern,  deren  eckige  Formen, 
und  einfache  oder  verästelte  Fortsätze,  an  Nervenzellen  erinnern. 
Vielleicht  sind  sie  es  auch,  wenn  der  von  mehreren  Autoren  ange- 
fiihrte  factische  Zusammenhang  ihrer  Fortsätze  mit  den  Primitiv- 
fasem  der  in  der  Nebenniere  sehr  zahlreichen  Nervengeflechte  mit 
Sicherheit  constatirt  sein  wird.  In  Erwartung  dessen,  hat  man  die 
Nebenniere  bereits  als  Nerven drüse  classificirt. 

Die  unbekannte  Function  der  Nebennieren  sichert  dieses  Organ  vor  lästigen 
Nachfragen  in  der  Heilwissenschaft.  Die  nach  Addison's  Beobachtungen  bei 
Erkrankung  der  Nebennieren  vorkommende  livide  Färbung  der  Haut,  mag  wohl 
einen  nicht  in  der  Nebenniere  zu  suchenden  Grund  haben.  Wir  haben  beide 
Nebennieren  durch  Krebs  desorganisirt  gesehen,  ohne  livide  Hautfarbe.  Dass  sie 
bei  Acephalen  fehlen,  wurde  durch  Bischoffs  Erfahrungen  widerlegt.  Angeborne 
abnorme  Lagerung  der  Nieren  bedingt  keine  entsprechende  Lageveränderung  der 
Nebennieren.  —  In  den  Erstlingsperioden  der  Entwicklung  der  Hamwerkzeuge 
sind  sie  selbst  zweimal  grösser,  als  die  Nieren;  im  Erwachsenen  beträgt  ihr 
Gewicht  nur  y^  Loth.  —  Wenn  man  die  Nebenniere  zwischen  den  Fingern 
knetet,  und  die  Marksubstanz  zerquetscht,  so  kann  man  die  letztere  durch  einen 
Stich  in  die  derbere  Rindensubstanz  als  Brei  {atra  bilis  der  Alten)  herausdrücken, 
worauf  die  Rindensubstanz  als  leere  Schale  zurückbleibt.  Dies  veranlasste  die 
Benennung  der  Nebenniere,  als  Capsula  atrabiliaria.  Kleine,  hirse-  bis  hanfkom- 
grosse  Körperchen  in  der  Nähe  des  Hilus  der  Nebenniere,  und  von  gleicher 
Structur  mit  dieser,  sind  wahre  Neben-Nebennieren ,  Renunculi  succenturiati,  — 
Nach  Eckerts  Entdeckung  besitzt  die  Nebenniere  der  Schlangen  eine  zuführende 
Vene  (Pfortader). 


§.  296.  Harnblase. 


Die  Hamwerkzeuge  besitBe 
naria  s.    Urocystia^  emflo 


686  S-  896.  HambUse. 

der  Harn,  der  fortwährend  durch  die  Ureteren  zufliesst,  aufbewahrt 
wird,  um  nicht  ununterbrochen  abzuträufeln. 

Thiere,  deren  Harn  so  reich  an  harnsanren  Salzen  ist,  dass  bei  lingereo 
Verweilen  in  einer  Blase,  Sedimentirung  desselben  eintreten,  und  Harnsteine  g^ 
bildet  werden  mtissten,  besitzen  keine  Harnblase,  sondern  die  Ureteren  mfindea 
in  das  als  Cloake  bezeichnete  untere  Mastdarmende  (Amphibien,  Vögel). 

Die  Harnblase  hat  eine  ovale  Gestalt,  mit  stärkerer  Wölbung 
der  hinteren,  als  der  vorderen  Wand.  Sie  liegt  hinter  der  Syn- 
pkysis  ossium  pubis,  über  deren  oberen  Rand  sie  sich  im  vollen 
Zustande  erhebt,  und  den  Punctionsinstrumenten  zugängHch  wird. 
Nach  hinten  grenzt  sie  an  das  Rectum  beim  Manne,  an  die  Gebir- 
mutter  beim  Weibe,  und  besitzt  deshalb  in  letzterem  Geschlechte 
von  vorn  nach  hinten  weniger  Tiefe,  was  aber  durch  ihre  grössere 
Seitenausdehnung  so  reichlich  compensirt  wird,  dass  die  weibliche 
Harnblase  die  männliche  überhaupt  an  Geräumigkeit  übertriffL  Die 
Weiber  uriniren  aber  nicht  aus  diesem  Grunde  allein  seltener  ab 
die  Männer,  sondern  auch  deshalb,  weil  vieles  Trinken  nur  eine 
männliche  Tugend  ist. 

Der  Scheitel  der  Blase,  Vertex,  hängt  (obwohl  nicht  immer) 
durch  das  Ligamentum  vesico-umhilicale  medium  (obsolet  gewordener 
embryonischer  Urachus)  mit  dem  Nabel  zusammen.  Auf  den  Scbeitd 
folgt  der  Körper  der  Blase,  und  auf  diesen  der  breiteste  Th«l 
oder  Grund,  Fundus,  welcher  beim  Manne  auf  dem  Mittelfleische 
und  einem  Theile  der  vorderen  Mastdarmwand  aufruht,  beim  Weibe 
dagegen  auf  der  vorderen  Wand  der  Mutterscheide.  Die  Seiten- 
wände der  Blase  werden  durch  die  Ligamenta  vesico-umlilicaUa  laU- 
ralia  (obliterirte  Nabelarterien)  mit  dem  Nabel  verbunden. 

Ans  Liischka's  schönen  Untersuchungen  über  die  Reste  des  embryo- 
nischen Urachus  im  P^wachsenen  (Archiv  für  path.  Anat.  Bd.  XXIII.),  bat  sich 
ergeben,  dass  der  Urachus  nicht  immer  zu  einem  soliden  Bindcgewebstrtng  ein- 
geht, sondern,  wenigstens  theilwoisc,  seinen  ursprünglichen  Charakter  als  Hobl- 
gang  beibehält.  Kino  röhrenartige  Verlängerung  der  Blasenschleimhaut  erstreckt 
sich  zuweilen  in  seiner  Axe  mehr  weniger  weit  gegen  den  Nabel  xu.  Dieie 
Verlängerung  kann  sich  von  der  Blasenhöhle  abschnüren,  durch  Verwachsnof 
ihres  Atifangsstückes  am  Bhisenscheitel.  Ihr  Verlauf  gegen  den  Nabel  kann 
Windungen  bihlen,  und  durch  grössere  oder  kleinere  Ausbuchtungen  knotig 
erscheinen.  Die  Ausbuchtuugen  können  auch  durch  Abschnüning  za  selbrt- 
ständigen  Cysten  werden.  Immer  setzen  sich  Verlängerungen  der  Längsmnskel' 
fasern  der  Blase  in  den  Urachus  fort,  und  bilden  eine  Scheide  um  sein  solidei 
oder  hohles  Axengebilde. 

Jenen  Tlieil  der  Blase,  von  welchem  die  Flarnröhre  abgeht.  Blasenhals 
(CoUum'Vesicae)  zu  nennen,  ist  wohl  üblich,  a]>er  unpassend.  Ebenso  unrichtig 
ist  es,  diesem  Blasenhalse  eine  trichterförmige  Gestalt  zuzuschreiben,  deren 
weites  Ende  gegen  die  Blase  sieht,  deren  engeres  Ende  in  die  HamrOhre  fort- 
läuft. Keine  anatomische  Autopsie  rechtfertigt  diese  Annahme,  welcher  nur  to« 
den  Chirurgen  gehuldigt  wird.  Man  sieht  an  aufgeblasenen  und  getrocknetea 
Harnblasen  die  Harnröhre  immer  nur  mit  einer  scharf  gerandeten,  nicht  trichtcr» 


8.  296.   Harnblase.  687 

förmig  gestAltoten  Oeffmmp  bepinnen,  und  wenn  man  den  Terminus  eines  Blasen- 
halses schon  nicht  aufgeben  will,  so  kann  nur  der  erste  Abschnitt  der  Harnröhre, 
welcher  von  der  Prostata  umwachsen  ist  {Pars  prostatica  urethrae),  mit  diesem 
Namen  bezeichnet  werden. 

Man  unterscheidet  an  der  Blase,  von  aussen  nach  innen  ge- 
zählty  folgende  Schichten:  1.  einen  nur  an  ihrem  Scheitel,  an  der 
hinteren  und  an  der  seitlichen  Wandung,  vorhandenen  Bauchfell- 
fiberzug, 2.  eine  aus  Längenfasern,  und  Quer-  oder  Ringfasern 
bestehende  organische  Muskelhaut.  Erstere  werden  als  Detrusor 
urinae  benannt;  letztere  bilden  um  die  Blasenöffnung  der  Urethra 
herum  den  Spkincter  vesicae]  3.  ein  submucöses  Bindegewebe,  mit 
elastischen  Fasern  reichlich  gemischt,  und  4.  eine  Schleimhaut, 
welche  im  leeren  Zustande  unregelmässige  Falten  bildet,  und  be- 
sonders gegen  den  Blasenhals  hin,  zahlreiche  kleine  Sclileimdrüschen 
enthält.  Ein  mehrschichtiges  Epithel,  die  Mitte  haltend  zwischen 
Pflaster-  und  Cylinderepithel,  überzieht  die  Schleimhaut  der  Harn- 
blase, so  wie  jene  des  Nierenbeckens  und  der  Ureteren.  Die  abge- 
stossenen  Zellen  dieses  Epithels  erzeugen  die  in  der  Medicin  als 
Nubecula  bekannte  wolkige  Trübung  gestandenen  Harnes. 

Am  Blasengrunde  münden  die  Ureteren  in  die  Blase  ein,  mit 
spaltfbrmigen  OeflFnungen,  welche  ohngefähr  l*^  Zoll  von  einander 
entfernt  liegen,  und,  mit  dem  Anfange  der  Harnröhre,  die  Spitzen 
eines  gleichschenkeligen  Dreieckes  darstellen  {Trigonum  LieiUatidii), 
an  welchem  die  Musculatur  der  Harnblase  stärker  entwickelt  ist, 
und  die  einzelnen  Bündel  derselben  dichter  zusammengedrängt 
sind,  als  sonst  wo.  Die  Schleimhaut  des  Trigonum ,  welcher  man 
wohl  mit  Unrecht  eine  grössere  Empfindhchkeit  zuschreibt,  hängt 
an  der  unterliegenden  Muskelschicht  so  fest  an,  dass  sie  sich  bei 
entleerter  Blase  daselbst  nicht  in  Falten  legt.  Die  gegen  die  Harn- 
röhrenöffnung gerichtete,  etwas  aufgewulstete  und  abgerundete  Spitze 
des  Trigonum  Lieutaudii,  heisst  bei  französischen  Autoren  luette 
vesicale  (uvula  vesicae).  An  den  Scitenrändern  des  Trigonum  sieht 
man  sehr  deutHch  gerade  Muskelbündel  vom  hinteren  Rande  der 
Vorsteherdrüse  zur  Einmündung  der  Ureteren  ziehen,  welche  die 
Bestimmung  zu  haben  scheinen,  auch  bei  voller  Blase  die  Mün- 
dungen der  Ureteren  klaffend  zu  erhalten,  und  das  Einströmen  neuer 
Absonderungsquantitäten  des  Harns  möglich  zu  machen. 

lieber  die  Befestip^ungsbänder  der  Blase  siehe  §.  323. 

In  morphologischer  und  anatomischer  Beziehung  erschöpfend  sind  Barkow*» 
aasgezeichnete  Untersuchungen  über  die  Harnblase  des  Menschen,  fol.  mit 
13  Tafeln.  Breslau,  1858. 


688  8*  ^^'  Praktische  Bemerknngen  Aber  die  Humblue. 

§.  297.  Fraktisclie  Bemerkungen  über  die  Harnblase. 

Die  Lage  der  Harnblase  genau  zu  kennen,  ist  für  den  Chi- 
rurgen von  hoher  Wichtigkeit.  Man  kann  sich  von  ihren  Beziehungen 
zu  den  übrigen  Beckeneingeweiden  nur  dadurch  eine  richtige  Idee 
bilden,  wenn  man  sie  nicht,  wie  gewöhnlich  in  den  Secirsälen  ge- 
schieht, aus  der  Beckenhöhle  sammt  den  Geschlechtstheilen  heraus- 
nimmt, und  im  aufgeblasenen  Zustande  studirt,  sondern  an  dem 
Becken  einer  Leiche  ein  Os  innominatum  so  entfernt,  dass  die 
Symphysis  pvbis  ganz  bleibt.  Man  hat  sich  dadurch  die  Beckenhöhle 
seitlich  geöffnet,  und  sieht  die  Harnblase  im  Profil.  —  Ist  die  Blase 
leer,  so  liegt  sie,  klein  und  zusammengezogen,  genau  hinter  der 
Symphysis,  und  ein  Theil  des  Ileum  lagert  sich  zwischen  sie  und 
das  Rectum  in  die  Excavatio  recto-vesicalis.  Wird  sie  aufgeblasen, 
so  nimmt  sie  den  Raum  des  kleinen  Beckens  so  sehr  in  Anspruch, 
dass  sie  in  denselben  fest  eingepflanzt  erscheint,  und  die  Schlingen 
des  Ileum  in  die  grosse  Beckenhöhle  hinaufgedrängt  werden.  Man 
bemerkt  zugleich,  dass  sie  nicht  vollkommen  senkrecht  steht,  sondern 
mit  ihrem  Scheitel  etwas  nach  rechts  abweicht,  wegen  der  Lage 
des  Mastdarms  nach  Unks. 

Von  jener  Stelle  an,  wo  das  Peritoneum  die  hintere  Blasen- 
wand verlässt,  um  sub  fofi^ma  der  Plica  Douglasn  zum  Mastdarm  zu 
treten,  bis  zum  Blasenhalse  herab,  erstreckt  sich  der  Fundus  vesicae, 
der  in  seiner  Mitte  auf  dem  Rectum  aufliegt,  und  seitwärts  durch 
laxes  Bindegewebe  mit  den  Samenbläschen  verbunden  ist.  Der  in 
den  Mastdarm  eingeführte  Finger  erreicht  leicht  die  Mitte  des 
Blasengrundes,  welcher  durch  Druck  vom  Mastdarm  aus  gehoben 
werden  kann.  Die  Exploration  eines  Blasensteines,  und  die  Mög- 
lichkeit eines  Recto-Vesicalschnittes ,  um  ihn  auszuziehen,  beruhen 
auf  diesem  anatomischen  Verhältnisse.  Der  Fundus  vesicae  steht  bei 
voller  Blase  tiefer,  als  bei  leerer,  nähert  sich  somit  der  Ebene  des 
Mittelfleisches,  und  es  soll  deshalb  beim  Steinschnitt  durch  das 
Mittelfleisch,  eine  Injection  der  Blase  vorausgeschickt  werden.  Der 
Scheitel  ragt  bei  Füllung  der  Blase,  besonders  bei  Kindern,  stark 
über  die  Symphyse  hinaus.  Demgemäss  wäre  bei  Kindern  die 
Eröffnung  der  Blase  über  der  Symphysis  (Sectio  hypogastrica)  um 
so  mehr  dem  Perinealschnitte  vorzuziehen,  als  der  Fundus  der  kind- 
lichen Blase,  wegen  Enge  des  Beckens,  weit  weniger  entwickelt  ist, 
und  das  Peritoneum  weiter  an  ihm  herabgeht  als  bei  Erwachsenen, 
wodurch  eine  Verletzung  der  Excavatio  recto-vesicalis  nur  schwer 
und  zufollig  vermieden  werden  könnte.  —  Im  weiblichen  Geschlechte 
überzieht  das  Peritoneum  einen  kleineren  Theil  der  hinteren  Blasen- 
fläche als  beim  Manne,  indem  es  bald  an  die  vordere  Gebärmutter- 
wand übertritt. 


§.  298.  Harnröhre.  6g9 

Drängt  sich  durch  pathologische  Bedingungen  die  Schleim- 
haut aus  dem  Gitter  der  Muskelbündel  beutelähnlich  heraus,  so 
entstehen  die  Diverticula  vesicae  vrinariaey  welche  nie  am  Grunde, 
sondern  an  der  Seite  der  Blase  sich  entwickeln.  Bilden  sich  Harn- 
steine in  ihnen,  was  um  so  leichter  geschehen  kann,  als  die  Diver- 
ticula einer  Muskelhaut  entbehren,  und  der  in  ihnen  befindliche 
Harn  bei  längerem  Verweilen  daselbst  Niederschläge  bildet,  so 
heissen  diese  Harnsteine  eingesackt.  Eingesackte  Steine  sind  von 
angewachsenen  zu  unterscheiden.  Unter  letzteren  versteht  man 
solche,  welche  entweder  durch  Exsudate  an  die  innere  Oberfläche 
der  Harnblase  geheftet,  oder  durch  Wuchenmgen  derselben  um- 
schlossen und  festgehalten  werden.  —  Durch  Hypertrophie  der 
Muskelbündel  der  Blase,  welche  ein  gewöhnlicher  Begleiter  chro- 
nischer Blasenentzündung  ist,  und  in  seltenen  Fällen  bis  zur  Dicke 
eines  halben  Zolles  sich  entwickeln  kann,  entsteht  die  sogenannte 
Vessie  ä  cohnnes. 

Grösse  und  Capacität  der  Harnblase  vari^ren  so  sehr,  dass  12  Unzen  nur 
als  beiläufiges  Maass  ihres  Inhalts  angenommen  werden  können.  Bei  Harnver- 
haltungen kann  sie  sich  bis  zum  Nabel  aasdehnen,  und  Hunter  hat  ihren 
Scheitel  bis  in  die  Regio  epigaatrica  aufsteigen  gesehen.  —  Die  Ursache,  warum 
die  Uretereu  sich  in  den  Grund  der  Blase,  und  nicht  in  den  Scheitel  einmünden, 
lieg^  darin,  dass  in  letzterem  Falle  die  Ureteren  bei  der  Zusammenziehung  der 
Blase  eine  Zerrung  erleiden  müssten,  die  bei  ihrer  Einmündung  am  Grunde  der 
Blase  gar  nie  vorkommen  kann. 


§.  298.  Harnröhre. 

Die  Harnröhre,  Urethra,  ist  der  Ausfilhrungsgang  der  Harn- 
blase, deren  Schleimhaut  und  submucöses  Bindegewebe  sie  vor- 
zugsweise bilden.  Im  Manne  dient  sie  zugleich  als  Entleerungsweg 
des  Samens;  —  im  Weibe  gehört  sie  nur  dem  uropoötischen  Sy- 
steme an.  Die  männliche  und  weibliche  Harnröhre  unterscheiden 
sich  in  so  vielen  Punkten,  dass  beide  eine  besondere  Schilderung 
erfordern. 

a)  Männliche  Harnröhre, 

Die  männliche  Harnröhre  stellt  einen  6  bis  7  Zoll  langen 
Schlauch  dar,  der  einen  so  hohen  Grad  von  Ausdehnbarkeit  besitzt, 
(bis  auf  4'"  Durchmesser),  dass  er  die  Einfilhrung  der  dicksten 
Instrumente  zur  Steinzertrtlmmerung  gestattet.  Denkt  man  sich  das 
männliche  Glied  in  Erection,  so  beschreibt  die  Harnröhre  von  ihrem 
Beginne  am  Orifidum  vesicale,  bis  zu  ihrer  äusseren  Mündung  an 
der  Eichel  (Orißcium  cutaneum),  einen  nach  unten  convexen  Bogen, 
dessen  Centrum  in  der  Schamfuge  liegt.    Denkt  man  sich  nun  das 

Hyrtl,  Lehrbach  der  Anatomie.  44 


690  i-  2»H.  Harnröhfe. 

Glied  in  Erschlaöung  übergehen^  und  herabhängen,  so  mu88  zu  die- 
ser Krümmung  noch  eine  zweite,  nach  oben  convexe,  hinzukommeD, 
und  zwar  an  jener  Stelle  der  Harnröhre,  an  welcher  der  dem  Gliede 
angehörige,  und  mit  ihm  bewegliche  Theil  der  Harnröhre,  mit  dem 
im  Mitteläeische  liegenden,  und  mannigfach  fixirten  Theile  zusam- 
menstösst.  Die  Verlaufsrichtimg  ist  somit  S-förmig.  Die  erste  Krüm- 
mung des  S  liegt  hinter  dem  Schambogen,  und  kehrt  ihre  Conea- 
vität  nach  vom.  Die  zweite  Krümmung  liegt  an  der  Wurzel  des 
hängenden  Gliedes,  ist  schärfer  als  die  erste  (fast  eine  Knickmig)^ 
und  nach  unten  concav.  Durch  Aufheben  des  Gliedes  gegen  die 
Bauchwand  kann  die  zweite  Krümmung  ausgeglichen  werden,  wie 
es  bei  der  Einführung  eines  Katheters  in  die  Harnblase  jedesmal 
geschieht. 

Man  bringt  die  ganze  Länge  der  Harnröhre  in  drei  Abschnitte^ 
welche  sind :  1.  die  Pars  prostatica  (Blasenlials),  2.  der  hthmut  u 
Pars  memhranacea  (häutiger  Theil  der  Harnröhre,  auch  Harnröhren- 
enge),  3.  die  Pars  cavernosa  (Gliedtheil  der  Harnröhre). 

1.  Die    Pars  prostatica    durchbohrt    bei    Individuen    mittlereii 
Alters  die  Vorsteherdrüse  nicht  in  ihrer  Axe,  sondern  in  der  Regel 
der  vorderen  Wand  näher  als  der  hinteren,  imd  liegt  zuweilen  nur 
in  einer  Furche  der  vorderen  Fläche   der  Drüse.    Die  Schleimhaut, 
welche  sie  auskleidet,  bildet  an  ihrer  hinteren  Wand    eine   longitu- 
dinale,    8  Linien   lange    Falte,    den    sogenannten    Schnepfenkopf 
(Caput  galUnaginis,    Collicuhis  seniinalis,    Veru  montwiumy    Onsta  ure- 
thrae).  Das  von  der  Harnblase  abgekehrte  Ende  der  Falte  intumes- 
cirt  zu  einem  rundlichen  Hügel,  welcher  sich  zum   schmalen  Theile? 
der  Falte,  wie  der  runde  Kopf  einer   Schnepfe   (Scolapax  gaUhtago} 
zu  seinem  langen  und  dünnen  Schnabel  verhält,  —  woher  der  aller- 
dings  etwas   pittoreske    Name   Caput   galUnaginis   stammt.    Auf  der" 
Höhe  dieses  rundlichen  Hügels    mündet  das    schon  von   Morgagni 
gekannte,  von   H.  Weber   als    Vesicula  prostatica  s,  Sinus  poculariw 
bezeichnete    häutige  Bläschen    aus,   welches   einen   in    die   Prostata 
mehr  oder  weniger  tief  eingelagerten,  nach  rück-    und   aufwärts  ge- 
richteten   Blindsack    von    ohngcfähr    2 — 3    Linien    Länge    darstellt. 
Die  Gestalt  des  Blindsackes  ist  phiolenförmig,  was  der  Name  Sinu8 
pocularis  richtig  ausdrückt.  Dicht  am  Rande  der  OefFnung  der  Vesi- 
cula prostatica  münden  rechts  und  links    die   beiden  Ductus  ejacula- 
torii  in  die  Harnr(*)hre  ein,  und  seitwärts  vom  Schnepfenkopfe  findet   - 
man  die  feinen  und  zahlreichen  Oeflfnungen    der  Ausführungsgänge  - 
der  Prostata.  (Siehe  §.  305.) 

2.  Der  Isthmus  urethrae  (Pars  membranacea)  ist  nicht  der  engste^ 
aber  der   am   wenigsten   erweiterbare   Theil  der  Harnrcihre.    Da 
weder  von  der  Prostata  (wie  der  Anfangstheil  der  Harnröhre),  no< 
von  einem  Schwellkörper  (wie  der  GUedtheil   der   Harnröhre),  warn- 


f.  >d8.  Harnr&hre.  g9l 

geben  wird,  sondern  blos  aus  Schleimhaut,  aus  einer  dünnen  Schichte 
von  organischen  Kreismuskelfasern,  und  umhüllendem  Bindegewebe 
besteht,  wird  er  auch  allgemein  häutiger  Theil  der  Harnröhre 
genannt.  Der  Isthmus  urethrae  bildet,  zusammt  der  Pars  prostaiica, 
die  erste  Krümmung  der  S-förmig  gebogenen  Urethra,  deren  Con- 
vexität  gegen  das  Mittelfleisch  sieht,  deren  Concavität  gegen  den 
unteren  Rand  der  Schamfiige  gerichtet  ist,  diesen  aber  nicht  be- 
rührt, sondern  fast  1"  von  ihm  entfernt  bleibt,  so  dass  zwischen  ihm 
und  der  Symphyse  ein  Raum  erübrigt,  welcher  durch  die  Fascia 
pei'inei  jn^opria  verschlossen  wird.  Dieses  fibröse  Verschlussmit- 
tel des  Schambogens,  muss  nämlich  durch  die  Urethra  perforirt 
werden,  damit  sie  an  die  Wurzel  des  Gliedes  gelangen  könne. 
Jener  Theil  der  Fascia  perinei,  welcher  zwischen  Schamfuge  und 
Urethra  liegt,  heisst  nun,  weil  er  gewissermassei^  die  Urethra  in 
der  Ebene  des  Schambogens  fixirt,  Ligamentum  trianguläre  urethrae. 
Nach  geschehener  Durchbohrung  der  Fa^scia  perinei  propria  (Ligamen- 
tum trianguläre),  wird  der  weitere  Verlauf  der  Harnröhre  zur: 

3.  Pars  cavemosa  urethrae.  Sie  führt  ihren  Namen  von  dem 
Schwellkörper  (Corpus  cavemosum  urethrae) ,  welcher  sie  umgiebt, 
mit  ihr  an  die  Wurzel  des  Gliedes  aufsteigt,  und  von  da  an  sich 
mit  ihr  in  den  hängenden  Theil  des  Gliedes  umbiegt  (die  oben 
erwähnte  zweite  Harnröhrenkrümmung),  um  sie-  bis  zum  Orißcium 
cutaneum  zu  begleiten.  Dieser  Schwellkr)rper  hat  dieselbe  Textur, 
wie  die  später  zu  erwähnenden  beiden  Schwellkörper  des  Gliedes 
(Corpora  cavemosa  penis),  in  deren  unterer  Furche  er  liegt.  Jenes 
Stück  des  Corpus  cavemosum  urethraCy  welches  mit  der  Harnröhre 
bis  zum  Gliedschaft  aufsteigt,  heisst,  seiner  Dicke  wegen,  Harn- 
röhre nzwiebel,  Bulbus  urethrae.  Der  vom  Bulbus  umschlossene 
Anfangstheil  der  Pars  cavemosa  urethrae  wird  wohl  auch  als  Pars 
hulhosa  urethrale  von  der  folgenden  Strecke  der  Pars  cavemosa  un- 
terschieden. Er  zeigt  eine  nicht  unbedeutende  flache  Ausbuchtung 
seiner  unteren  Wand.  In  dieser  nimmt  er  die  Ausführungsgänge 
der  hinter  dem  Bulbus  gelegenen  beiden  Glandulae  Coivperi  auf. 
In  derselben  Vertiefung  werden  auch  unter  besonderen  ungünstigen 
Verhältnissen  die  Instrumente  aufgehalten,  welche  in  die  Harnblase 
geführt  werden  sollen.  Sucht  man  sie  trotz  des  Hindernisses  weiter- 
zustossen,  so  können  sie,  nachdem  sie  die  untere  Wand  der  Harn- 
röhre im  Bulbus  durchbrochen  haben,  in  das  benachbarte  Zell- 
gewebe gelangen,  und  die  so  gefürchteten  falschen  Wege  in  das 
Mittelfleisch  bohren. 

Die  Schleimhaut  der  Pars  cavemosa  ist  im  leeren  Zustande  in 
niedrige  Längenfalten  gelegt^  welche  eben  die  grosse  Erweiterungs- 
fUhigkeit  der  Harnröhre  bedingen.  ZwiacheB  dieses  Falten  finden 
sich  die,   nur  bei  kranker  Harini 


692  §•  «J***-    riarnröhrc. 

taschenartigen  Vertiefungen  der  Schleimhaut,  Lactinae  Margagnif 
welche  namentlich  an  der  unteren  Wand  so  gross  werden  können, 
dass  sie  den  Lauf  eingeführter  dünner  Sonden  aufzuhalten  im  Stande 
sind.  Die  kleinen  acinösen  Drüschen  der  Pars  cavemosa  sind  ak 
Glandulae  Littrianae  bekannt.  Bevor  die  Harnröhre  an  der  Eichel 
mit  einer,  durch  zwei  seitliche  Lippen  begrenzten,  senkrechten  Oeff- 
nung  mündet,  erweitert  sich  ihre  untere  Wand  in  der  Eichel  zur 
schiff  form  igen  Grube,  Fossa  naviadaris,  in  welcher  die  ersten 
Erscheinungen  der  syphilitischen  Harnröhrenentzündung,  des  Trip- 
pers, auftreten. 

Die  Harnröhre  besteht  1.  aus  einer,  an  elastischen  Fasern  sehr 
reichen  Schleimhaut,  deren  submucöses  Bindegewebe,  seines  trabe- 
culären  Baues,  und  seines  Reichthums  an  Venen  wegen,  einem  caver- 
nösen  Gewebe  anlic  steht;  2.  aus  einer  Schichte  organischer  Kreis- 
und  Längsmuskelfasem,  deren  Mächtigkeit  in  den  verschiedenen 
Abschnitten  der  Harnröhre  wechselt,  und  3.  aus  einer,  die  Harn- 
röhre mit  ihren  nachbarlichen  Organen  verbindenden  fettlosen  Binde- 
gewebsschichte.  —  Das  Epithelium  der  Harnröhre  ist  cylindrisch. 
In  der  Nähe  der  Fossa  naviculari^  geht  es  in  ein  geschichtetes  Pfla- 
sterepithel über. 

Die  Längen  der  drei  beschriebenen  Abschnitte  der  Harnröhre 
verhalten  sich  beiläufig  wie  1"  :  1"  :  4".  Die  Pars  prostatica,  mm- 
branacea  und  hulhosa  der  Hamr(')hre, .  bilden  zusammen  die  erste 
Krümmimg  der  Harnröhre  (von  der  Blase  aus  gerechnet),  —  die 
zweite  Krümmung  gehört  dem  vor  dorn  Bulbus  befindlichen  Theile 
der  Pars  caveimosa  an. 

Mündet  die  Ilarnrölire  nicht  an  der  Eichel,   sondern    au   einem  beliebigeD 

Punkte  der  Medianlinie   der   unteren   Fläche   des   Gliedes   aus,    so   heisst  diewr 

Jiildungsfehlcr  Hypospadie;  Ausinündun^  der  Harnröhre  auf  der  Rttckenfliche 

des  Gliedes  (Anaspadie),   kommt  ungleich  seltener,    und  in    der  Regel  nur  mit 

anderen  Bildungsabweichuugen  der  llarnorganc  vergesellschaftet  vor. 

Das  7A\r  Besichtigung  der  Lage  der  Harnblase  benutzte  Präparat  dient 
zugleich  zur  Untersuchung  des  Verlaufes  der  Harnröhre,  welche  eine  genaue  Be- 
kanntschaft mit  den  topographischen  Verhältnissen  des  Mittelfleisches  vorins- 
setzt,  und  deshalb  hier  schon  dasjenige  nachzusehen  ist,  was  später  über  die 
Anatomie  des  Mittelfleisches  gesagt  wird.  Erst  wenn  man  mit  dem  Verlaufe  der 
Harurr>hrc  in's  Klare  gekommen  ist,  wird  sie  herausgenommen,  ihre  Par*  protta- 
tica  und  meinhranacea  von  oben  gespalten,  und  der  »Schnitt  bis  zum  Scheitel  der 
H.arnblaso  verlängert.  Die  Theile  werden  gespannt,  und  auf  einer  Unterltjrc  mit 
Nadeln  befestigt,  um  das  Caput  gaUinaginis  mit  der  Mündung  der  Vetinda  pro- 
«taticaj  die  Oetlnungen  der  Ductus  ejactilatorii  und  der  Prostatagänge,  das  Tri$<^ 
num  Lieutaudiij  und  die  Insertionen  der  Harnleiter  zu  sehen.  Man  bemerkt  hiebei 
zuweilen,  besonders  bei  Greisen,  dass  von  dem  gegen  die  Harnblase  gerichteten 
Ende  des  Caput  gaUinaginis  zwei  halbmondförmige,  niedrige,  8ymmetri8(;li  ^ 
stellte  Schleimhautfalten  seitwärts  auslaufen,  die  ihre  Concavität  nach  vom  keh* 
rpu,  und  ein  Hindorniss  beim  Kcatheterisiren  abgeben  können.  Ebenso  trifft  e* 
sich,   dass   bei   abnormer    Vergrösserung   der    Prostata,    der   hintere   Rand  ibrei 


§.  89».    Eintheilang  der  GeschleelttswerkzeQfe.  693 

mittleren  Lappens,  die  Schleimhaut  des  Blasenhalses  in  die  Höhe  hebt,  und 
einen  queren  Vorsprung  erzeugt,  welcher  von  Amussat  (Recherches  sur  Turetre 
de  r  homme  et  de  la  femme,  Arch.  g^n.  de  m^d.  tom.  IV.)  als  Valvula  pylorica 
vencae  beschrieben  wurde. 

lieber  die  Topographie  der  männlichen  Harnblase  und  Harnröhre  handelt 
ausführlich  C.  Langer,  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte,  1862. 

b)   Weibliche  Harnröhre. 

Die  weibliche  Harnröhre  ist  nur  IY2"  lang.  Sie  kai\n  durch 
ihre  Lage  und  Structur  nur  dem  häutigen  Theile  der  männlichen 
Harnröhre  verglichen  werden,  ist  aber  weiter  als  dieser,  und  lässt 
sich  überdies  bis  auf  6'"  Durchmesser  und  darüber  ausdehnen. 
Instrumente  sind  deshalb  leicht  in  sie  einzuführen,  und  ziemlich 
grosse  Blasensteine  können  mit  dem  Strahle  des  Harns  (der  bei 
Weibern  ein  dickerer  ist,  weshalb  auch  das  Harnen  kürzer  dauert), 
oder  durch  die  Zange  herausbefördert  werden.  Sie  hat  eine  nach 
oben  concave,  nach  vorn  und  unten  abschüssige  Richtung,  und  die- 
selbe Befestigung  durch  das  Ligamenttim  trianguläre  vrethrae^  wie 
die  männliche.  Während  ihres  ganzen  Verlaufes  steht  sie  mit  der 
vorderen  Wand  der  weiblichen  Scheide  in  so  inniger  Verbindung, 
dass  sie  nur  mit  grosser  Behutsamkeit  von  ihr  lospräparirt  werden 
kann.  Ihre  äussere  Mündung  liegt  in  der  Tief^  der  Schamspalte, 
dicht  über  dem  Scheideneingange,  und  hat  eine  rundliche  Gestalt 
mit  gewulstetem  Rande,  welcher  bei  einiger  LFebung  im  Untersuchen 
der  äusseren  Genitaliex^^des  Weibes,  leicht  zu  fühlen  ist. 

Wie  gross  die  Rrweiterungsfähigkeit  der  weiblichen  Harnröhre  ist,  hat 
mir  ein  Fall  bewiesen,  wo  ein  7'"  Querdurchmesser  haltender  Blasenstein,  den 
ich  aufbewahre,  ohne  Kunsthülfe  entleert  wurde,  und  ein  zweiter,  noch  seltener, 
und  vielleicht  beispiellos,  wo  ein  Frauenzimmer  mit  angeborener,  completer 
Atresia  vagincte^  durch  die  Harnröhre,  welche  bei  der  ärztlichen  Untersuchung 
der  Geschlechtstheile  den  Zeigefinger  leicht  in  die  Blasenhöhle  gelangen  liess, 
oftmals  begattet  wurde. 


B.   Geschlechtswerkzeuge. 

§.  299.  Eintheilung  der  &eschleclitswerkzeuge. 

Die  Geschlechts-  oder  Zeugungs-Organe,  Organa  sexmiUa 
s,  genitaliaj  bestehen  aus  denselben  Abtheilungen,  wie  die  Harn- 
werkzeuge. Eine  doppelte,  den  ZeugungsstoflF  secemirende  Drüse 
mit  ihrem  Äusfdhrungsgange ,  ein  Behälter  zur  Aufbewahrung  und 
Reifung  desselben,  und  ein  an  die  Körperoberfläche  fahrender  Souial, 
sind  ihre  wesentlichen  BestandÜieile.  J^»*' 
wie  die  aller  übrigen  Eingeweidi 


694  I-  990.  Hode  aid  N«WalM4«. 

sondern  auf  die  Fortpflanzung  seiner  Art  hin.  Ihre  Eintheihmg  in 
äussere,  mittlere,  und  innere,  lässt  sich  nicht  auf  beide  Geschlechter 
anwenden,  da  die  den  inneren  weiblichen  Genitalien  entsprechenden 
männlichen,  ausserhalb  der  Bauchhöhle  liegen.  Besser  ist  die  Ein- 
theilung  in  eigentliche  Zeugungs-  und  Begattungs Organe.  Entere 
bereiten  die  ZeugungsstoflFe ,  letztere  vermitteln  die  durch  die  g^ 
schlechtliche  Vereinigung  zu  Stande  kommende  Befrachtung.  Jene 
sind  im  männlichen  Geschlechte:  die  Hoden,  die  Samenleiter,  und 
die  Samenbläschen;  —  im  Weibe:  die  Eierstöcke,  die  Eileiter,  und 
die  Gebärmutter;  diese  im  Manne:  das  Zeugungsglied;  —  im  Wttbe: 
die  Scheide  und  die  äusseren  Geschlechts theile. 


I.  Mätinliche  Geschlechtsorg^ane. 

§.  300.  Hode  und  ITebenliode. 

Die  Hoden  sind,  als  Secretionsorgane  des  männlichen  befindh 
tenden  Zeugungsstoffes,  das  Wesentliche  am  männlichen  Zeugimp- 
System,  und  bedingen  allein  den  Geschlechtscharakter  des  Manne«, 
indem,  wie  man  an  Castraten  und  verschnittenen  Thieren  sieht,  der 
Verlust  dieser  Organe  das  Zeugungsvermögen  vernichtet,  and  die 
übrigen  Attribute  des  Geschlechtes  nutzlos  werden,  oder  schwmdeo. 
Die  Hoden  hängen  an  ihren  Samensträngen,  und  liegen  im  Gnmde 
des  Hodensackes  so  neben  einander,  dass  der  rechte  meistens  eine 
etwas  höhere  Lage  als  der  linke  einnimmt.  Jeder  Hode  bestdit 
aus  dem  eigentlichen  Hoden  {Testis,  TesticuluSy  Orchis  #.  Diiywm, 
und  dem  Nebenhoden  {Epididymis  s,  Parastata  varicosa).  Ohne  lot 
die  in  den  folgenden  Paragraphen  zu  betrachtenden  Hüllen  beider 
Rücksicht  zu  nehmen,  befassen  wir  uns  hier  blos  mit  der  Kennt- 
nissnahme  ihres  Baues. 

a)  Der  Hode  hat  ein  eiförmiege,  etwas  flachgedrückte  Geättli. 
mit  einer  äusseren  und  inneren  Fläche,  einem  vorderen  und  hin- 
teren Rande,  einem  oberen  und  unteren  Ende.  Er  liegt  nicht  pm 
senkrecht,  indem  sein  oberes  Ende  etwas  nach  vom  und  aussen. 
sein  unteres  nach  hinten  und  innen,  sein  vorderer  Rand  eiwa*  n^^ 
unten,  und  sein  hinterer  nach  oben  gewendet  ist. 

b)  Der  Nebenhode  schliesst  sich  als  ein  länghcher  Körper 
an  den  hinteren  Rand  des  Hoden  spangenartig  an.  Sein  &k^ 
oberes  Ende  heisst  Kopf,  sein  unteres  dünneres  und  in  d« 
Samenleiter  (Vas  deferens)  sich  fortsetzendes  Ende  Schweif 

Das  weiche  Parenchym  des  Hoden  wird  von  einer  fibrt«» 
Haut  umschlossen,  Tunica  albuginea  s.  propinaj  welche  von  te^ 
inneren  Oberfläche  eine  Menge  sehr  dünner  bindegewebiger  SdK»fa- 


|.  800.  Hode  nnd  Nebenhode.  695 

wände  aussendet;  um  den  Hodenraum  in  kleinere  Fächer  abzu- 
theilen.  Gegen  die  Mitte  des  hinteren  Randes  des  Hoden  strahlt 
ein  ganzes  Bündel  solcher  Scheidewände  von  einem  niedrigen,  und 
6'" — 8'"  langen,  keilförmigen  Fortsatz  der  Albuginea  aus,  welcher 
Corpus  Highmori  s.  Mediastinum  testis  genannt  wird.  Die  Scheide- 
wände theilen  das  Hodenparenchym  in  viele  Läppchen  (man  spricht 
von  200 — 400),  deren  jedes  ein  Convolut  von  zwei  bis  fünf  samen- 
absondernden  Kanälchen,  Tubuli  seminiferij  enthält.  Die  aus  struc- 
turloser  aber  kernhaltiger  Wand  bestehenden  Tubuli  seminiferi  haben 
einen  Durchmesser  von  circa  0,05'",  sind  zu  Knäueln  oder  Läppchen 
zusammengeballt,  welche  ihre  breitere  Basis  gegen  die  Flächen 
des  Hoden  kehren,  ihre  Spitze  gegen  das  Corpus  Highmain  wen- 
den. Ihr  Inneres  führt  Zellen.  Die  der  Wand  nächst  gelegenen 
polygonalen  Zellen  haben  die  Bedeutung  von  Epithel;  —  die  der 
Gefässaxe  näheren,  rundlichen,  sind  Secretionszellen,  d.  h.  Erzeu- 
gimgsstätte  der  wirksamen  Bestandtheile  des  Samens.  Die  aus 
einem  Läppchen  herauskommenden  Samenkanälchen  treten  in  das 
Corpus  Highmori  ein,  und  bilden  daselbst  durch  Anastomosen  mit 
den  übrigen  das  Rete  Halleri,  aus  welchem  12 — 19  geradlinige  und 
stärkere  Tubuli  hervorgehen,  welche  die  Albuginea  durchbohren, 
und  in  den  Kopf  des  Nebenhoden  treten,  wo  sie  sich  neuerdings  in 
darmähnlich  verschlungene  Windungen  biegen,  welche,  wie  die 
innerhalb  der  Albuginea  befindlichen  Samenröhrchen,  kleine  Läpp- 
chen bilden.  Diese  Läppchen  kehren  ihre  Spitze  gegen  den  Hoden, 
ihre  Basis  gegen  den  Kopf  des  Nebenhoden.  Der  Kopf  des  Neben- 
hoden ist,  genau  genommen,  nichts  Anderes,  als  die  Summe  aller 
dieser  Läppchen,  welche,  ihrer  umgekehrt  kegelförmigen  Gestalt 
wegen,  Coni  vasculosi  Halleri  genannt  werden.  Durch  den  Zusammen- 
fluss  aller  Coni  Halleri  entsteht  ein  einfaches  Samengefäss,  welches, 
eine  Unzahl  von  sehr  regelmässigen,  dicht  an  einander  liegenden 
Krümmungen  erzeugt.  Eine,  mit  organischen  Muskelfasern  reichlich 
dotirte  Bindegewebshaut  hält  diese  Krümmungen  zusammen,  und 
vereinigt  sie  so  zur  Wesenheit  des  Nebenhoden.  —  Das  einfache 
Samengefäss  des  Nebenhoden  nimmt  gegen  die  Cauda  an  Dicke  zu, 
und  geht  mit  successiver  Abnahme  seiner  Schlängelungen,  am 
unteren  Ende  des  Nebenhoden  in  den  geradlinig  aufsteigenden 
Samenleiter  (Vas  deferens)  über.  Das  Vas  deferens  wird  auch, 
seiner  vom  Hoden  gegen  den  Bauch  gehenden  Richtung  wegen, 
zurücklaufendes  Samengefäss  genannt.  Es  steigt  im  Samen- 
strange, in  welchem  es,  seiner  Härte  wegen,  leicht  mit  den  Fingern 
zu  fühlen  ist,  gegen  den  Leistenkanal  auf,  dringt  durch  diesen  in 
die  Bauchhöhle,  biegt  sich,  die  Arteria  epigoitrica  inferior  kreuzend, 
zur  hinteren  Wand  der  Harnblase  '       '  '  ^ 

anderen-Seite  eonvergirend|  ; 


696  §•  ^00.  Hode  und  Nebenhode. 

Seite  seines  Snmenbläschcns  anliegt,  und  nachdem  es  mit  diesem  sich 
durch  einen  kurzen  Kanal  verbunden  hat,  als  Ductus  ejaculatwius 
am  Caput  galUnaginia  der  Pars  prostatica  urethraej  wie  früher  gesagt 
(§.  298),  ausmündet. 

Am  Kopfe  des  Nebenhoden  kommt  häufig  ein  kleines,  gestieltes,  hirse-  bis 
hanfkomgrosses  Bläschen  vor,  welches  klare  Flüssigkeit  mit  Zellen  und  Zellen- 
kernen enthält,  und  dessen  solider  Stiel  sich  bis  in  das  Bindegewebe  des  Samen- 
stranges verfolgen  lässt  Er  stellt  einen  Ueberrest  des  im  §.  330  erwähnten 
Mü Herrschen  Fadens  dar.  —  Fast  constant  ist  ein  zweites  bläschenförmige!, 
aber  nicht  gestieltes  Gebilde  am  Kopfe  des  Nebenhoden,  oder  auf  dem  oberen 
Ende  des  Hodens  selbst,  dessen  Höhle  entweder  für  sich  abgeschlossen  ist,  oder 
mit  dem  Samenkanal  des  Nebenhoden  in  offener  Verbindung  steht.  Im  letzteren 
Falle  enthält  die  Höhle  des  Bläschens  Spermatozoon.  Ohne  Zweifel  repräscntirt 
es  ein  Ueberbleibsel  der  Kanäle  des  Wolffschen  Körpers  (§.  329).  Beide 
Formen  sind  schon  lange  bekannt  Man  fasst  sie  unter  der  Benennung  HydcUia 
Morgagni  zusammen.  —  Ausführliches  Über  diese  Hydatide,  so  wie  über  andere 
Accessorien  der  Tunica  vaginalis  propria^  giebt  Luschka  in  Virchow'a  Archiv, 
1863,  unter  dem  Titel:  Die  Appendieulargebildc  des  menschlichen  Hoden. 

Zwischen  dem  Kopf  des  Nebenhoden  und  dem  Vcu  deferens  entdeckte 
Giraldes  (Bulletin  de  la  Soc.  anat.  1857,  p.  789)  noch  ein  anderes  accessorisches 
Organ.  Es  besteht  aus  einer  veränderlichen  Anzahl  platter  weisslicher  Körper, 
von  2 — 3'''  Durchmesser,  deren  jeder  einen  Knäuel  eines,  an  beiden  Enden 
blinden  Kanälchens  darstellt.  Giraldes  nannte  seinen  Fund:  Corps  innomini; 
—  Henle  wählte  den  bezeichnenderen  Namen :  Parepididt/mis.  Aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  ist  auch  dieses  Organ  ein  verkümmerter  Ueberrest  des  Wolff- 
schen Körpers. 

Sehr  oft  hat  der  vielfach  gewundene  Samenkan<al,  der  die  Essenz  des 
Nebenhoden  bildet,  ein  Anhängsel  von  gleicher  Structur,  und  eben  so  gewunden 
{Vasculum  aberrans  IlaUeH),  Seine  Krümmungen  bilden  entweder  ein  langes, 
selbstständiges,  am  Rande  der  Epididymis  sich  hinziehendes  Läppchen,  oder  es 
steigt  nur  wenig  geschlängelt  im  Samenstrange  auf,  um  blind  zu  endigen. 
Letztere  Form  wird  von  Hall  er,  Sommer  ring,  und  Husch  ke  allein  erwähnt. 
Wenn  es  am  Nebenhoden  anliegt,  endigt  es  nicht  immer  blind,  sondern  mündet 
öfters  in  den  Samenkanal  desselben  wieder  ein,  so  dass  zwischen  beiden  eine 
Insel  bleibt.  Ein  mit  dem  Vas  defei'ens  aufsteigendes  und  blind  endigendes 
Vasculum  aberrans^  erinnert  an  die  auch  an  anderen  Drüsengängon  zufallig  vor- 
kommenden Diverlicula,  welche  die  Eigenschaften  dos  normalen  Ausführungs- 
ganges besitzen,  und  deshalb  am  Vas  deferens  sich  durch  Länge  und  Windung 
auszeichnen  müssen. 

Die  Frage,  wie  die  feinsten  Tufjuli  seniinifen  entspringen,  kann  ich  nach 
den  vollkommensten  Injectionen  derselben,  die  ich  anfertigte,  dahin  beantworten, 
dass  ihr  Ende  nie  blind  ist,  wie  das  eines  Speichelganges,  sondern  immer  mit 
den  Enden  zweier  benachbarter  Samengefässchen  durch  Schlingen  zusammen- 
hängt. Solche  Endschlingen  werden  nicht  blos  zwischen  den  Samengefässchen 
Eines  Läppchens,  sondern  auch  in  angrenzende  Läppchen  hinüber  gebildet  — 
Könnte  man  sämmtliche  Tulndi  seminifeii  herausnehmen,  ihre  zahllosen  Kriim- 
mungen  ausgleichen,  und  sie  in  gerader  Linie  an  einander  stückeln,  so  erhielte 
man  ein  Samengefäss  von  circa  lOöO  Fuss  (Krause),  nach  Monro  sogar  von 
5208  Fuss  Länge.  W^as  an  den  Speicheldrüsen  durch  wiederholte  Spaltungen 
der  Ausltihrungsgänge  an  Grösse  der  absondernden  Fläche  gewonnen  wurde, 
wird  in  den  Hoden  durch  die  Länge  der  Samenwege  erreicht 


§.  801.  YerUUtnisB  des  Hoden  snm  Peritoneam.  Tuniw  vaginaU§  propria  tutit,  697 

Die  Wand  des  V(u  deferena  besteht  aus  einer  inneren  Schleimhaut  mit 
Cylinderepithelium,  einer  darauf  folgenden,  relativ  dicken  Schichte  organischer 
Längs-  und  Kreismuskelfasem,  und  einer  äusseren  Bindegewebshaut.  Im  Neben- 
hoden finden  sich  dieselben  Elemente  in  den  Wandungen  seines  vielfach  ge- 
wundenen Samenganges.  Nur  in  den,  den  Kopf  des  Nebenhoden  bildenden  Conia 
vaaculotia  UaUeri  finden  sich  keine  Längsmuskelfasem  mehr  (wohl  aber  Kreis- 
fasem),  und  wird  das  Cylinderepithel  durch  Flimmerepithel  vertreten.  —  Je  näher 
das  Vaa  defet'ens  den  Sameubläschen  kommt,  desto  zahlreicher  treten  in  seiner 
Schleimhaut  niedere,  sich  zu  eckigen  Maschen  gruppirende,  faltige  Erhebungen, 
und  acinöse  Drüschen  auf. 

Die  Arterien  des  Hoden  sind  die  Arteria  spermalica  interna,  und  die  Ar- 
teria veuis  deferentis  Oooperi.  Erstere  stammt  aus  der  Bauchaorta,  letztere  aus 
einer  Arterie  der  Harnblase.  Beide  anastomosiren  mit  einander,  bevor  sie  am 
Corpus  Highmori  die  Albuginea  durchbohren,  um  Capillametze  zu  bilden,  welche 
aber  nicht  jedes  einzelne  Samenkanälchen,  sondern  ihre  Bündel  (Läppchen)  um- 
spinnen. Die  Venen  bilden  vom  Hoden  bis  zum  Leistenkanal  hinauf,  ein  mäch- 
tiges Geflecht  (Plexus  patnpiniformis),  dessen  krankhafte  Ausdehnung  die  Vari- 
cocele  erzeugt  Erst  im  Leistenkanal,  oder  an  der  Bauchöffnung  desselben, 
vereinfacht  sich  dieses  Geflecht  zur  einfachen  oder  doppelten  Vena  spermatica 
interna.  Es  darf  nicht  wundern,  dass  die  Arterien  und  Venen  des  Hoden  aus 
den  grossen  Gefässen  der  Bauchhöhle  stammen,  da  der  Hode  sich  nicht  im  Ho- 
densacke, sondern  in  der  Bauchhöhle  des  Embryo  bildet,  und  somit  seine  Blut- 
gefässe aus  den  nächstgelegenen  Stämmen  des  Unterleibes  (Aorta  und  Vena  cava 
ascendens)  bezieht.  —  Die  im  Samenstrauge  aufsteigenden  Lymphgefässe  des 
menschlichen  Hoden  münden  in  die  Lymphdrüsen  der  Lendengegend.  Sie 
passiren  somit  den  Leisteukanal,  während  die  Saugadern  der  Scrotalhaut  und 
der  Scheidengebilde  des  Samenstranges,  sich  zu  den  Leistendrüsen  begeben. 
Es  lässt  sich  demnach  aus  den  Anschwellungen  dieser  oder  jener  Drüsengruppe 
entnehmen,  ob  z.  B.  ein  Krebsgeschwür  am  Hodeusack  schon  in  das  Parenchym 
des  Hoden  selbst  eingreift,  oder  nicht.  Die  Lymphcapillaren  sollen,  im  Hoden 
des  Pferdes,  die  Blutcapillaren  in  sich  einschliessen  (Ludwig  und  Tomsa).  —  Die 
Nerven  der  Hoden  entspringen  thcils  aus  dem  sympathischen  Plexus  spa-maticus 
inteimus,  welcher  die  Arteria  spemiatica  interna  umstrickt,  thcils  aus  den  Spinal- 
nerven (Lendengeflecht)  als  Nervi  spemiatici  extemi.  Erstere  sind  für  das  Parenchym 
des  Hoden  und  Nebenhoden,  letztere  vorzugsweise  für  die  Hüllen  des  Samenstranges 
bestimmt.  —  Selten  sind  beide  Hoden  gleich  gross ;  die  Vergrösserung  betrifft  ge- 
wöhnlich den  linken  Hoden,  welcher  meist  tiefer  hängt  als  der  rechte.  Würden  beide 
Hoden  gleich  hoch  aufgehangen  sein,  so  wäre  es  besonders  bei  relaxirten  Hoden- 
säcken unvermeidlich,  dass  sich  die  Hoden  beim  Sprung  und  Lauf  an  einander 
stiessen.  —  Partielle  Anschwellungen  des  Nebenhoden,  oder  Cysten  im  Saroen- 
strange,  scheinen  die  älteren  Berichte  (Varol,  Borelli,  Graaf)  von  Männern 
mit  3,  4,  ja  selbst  6  Hoden,  veranlasst  zu  haben.  Fernel  erwähnt  eine  Fami- 
lie, deren  sämmtliche  männliche  Sprossen  3  Hoden  hatten.  Krt/ptorchismus  und 
Monorchismus  (Verbleiben  beider  oder  eines  Hoden  in  der  Bauchhöhle)  sind  Ent- 
wicklungshemmungen; —  wahrer  Defect  der  Hoden  (Anorchismus)  wurde  nur  bei 
Missgeburten  gesehen. 

§.  301.   Verhältniss  des  Hoden  zum  Peritoneum.    Tunica 

vaginalis  propria  testis. 

Wenn  man  auf  die  Genesis  des  Hoden  zurückblickt,  lernt  v 
die  Bildung    der   besonderen   Scheidenhaut,    Tunioa  in 


698  §.901.  YerfaUtniss  des  Hoden  zum  Peritoneam.    TutUea  vaginalis  Utiis  praprim. 

jyropria  testis  verstehen,  welche  zwei  Ballen  bildet;  deren  innerer  mit 
der  äusseren  Oberfläche  der  Alhuginea  testis  fest  verwachsen  ist, 
und  deren  äusserer  den  Hoden  nur  lax  umgiebt.  Der  Hode  ent- 
wickelt sich,  in  den  Erstlingsperioden  des  Fötuslebens,  in  der  Bauch- 
höhle an  der  inneren  und  oberen  Seite  eines  drüsigen  Organs,  welches 
zu  beiden  Seiten  der  Wirbelsäule  liegt,  in  der  Entwicklunjgsgeschichte 
als  Wolff'scher  Körper  bekannt  ist,  und  in  demselben  Maasse 
schwindet,  als  Niere  und  Hode  sich  ausbilden.  Das  Bauchfell  bildet, 
von  der  Lende  her,  eine  Einstülpung,  um  den  embryonischen  Hoden 
zu  überziehen,  —  das  Mesorchium  (Seiler).  Das  Vas  deferens  und 
die  Blutgefässe  senken  sich  in  die  hintere  Wand  des  Hoden  ein, 
welche  nicht  vom  Peritoneum  überzogen  wird,  und  liegen  somit 
extra  cavum  pei'itonei.  Das  Mesorchium  reicht  bis  zur  Bauchöffnung 
des  Leistenkanals  als  Falte  herab,  und  schliesst  einen  wahrschein- 
lich contractilen  Strang  ein,  der  vom  Hodensack  durch  den  Lei- 
stenkanal in  die  Bauchhöhle  und  bis  zum  Hoden  hinaufgeht,  mit 
welchem  er  verwächst.  Denkt  man  nun,  dass  dieser  Strang  sich 
allmälig  verkürzt,  so  leitet  er  den  Hoden  gegen  den  Leistenkanal, 
und,  durch  diesen  hindurch,  in  den  Hodensack  herab.  Er  heisst 
darum  L ei t band  des  Hoden,  Gubernaculum  Hunteri.  Da  der  Hode 
fest  mit  dem  Bauchfelle  verwachsen  ist,  so  muss  dieses,  als  beutel- 
fbrmige  Ausstülpung,  Processus  vaginalis  peritonei,  dem  herabsteigen- 
den Hoden  folgen,  und  es  wird  in  diesem  Stadium  des  Herabsteigens 
des  Hoden  möglich  sein,  von  der  Bauchhöhle  aus  mit  einer  Sonde 
in  den  offenen  Leistenkanal  einzudringen,  da  dieser  von  dem  mit 
dem  Hoden  herausgeschleppten  beuteiförmigen  Peritonealfortsatz 
ausgekleidet  wird.  Die  Blutgefässe  und  das  Vas  defei*ens  werden, 
da  sie  ursprünglich  extra  cavum  peritonei  lagen,  nicht  in  der  Höhle 
dieses  Beutels  liegen  können.  Nach  der  Geburt  verwächst  er,  von 
der  Bauchöffnung  des  Leistenkanals  an  gegen  den  Hoden  herab. 
Die  Verwachsung  hört  aber  dicht  über  dem  Hoden  auf,  und  dieser 
muss  somit  in  einem  serösen  Doppelsack  liegen,  dessen  innerer 
Ballen  mit  seiner  Tunica  alhuginea  schon  in  der  Bauchhöhle  ver- 
wachsen war,  dessen  äusserer  Ballen  sich  erst  durch  das  Nachziehen 
des  Peritoneum,  während  des  Descensus  testiculi  durch  den  Leißten- 
kanal,  bildete.  Beide  Ballen  kehren  sich  ihre  glatten  Flächen  zu,  und 
schliessen  einen  Raum  ein,  welcher,  vor  dem  Verwachsen  des  /Vo- 
cessus  vaginalis  pei'itcnieij  mit  der  Bauchhöhle  communicirte.  In  diesem 
Räume,  welcher  nur  wenig  Tropfen  gelblichen  Serums  enthält,  ent- 
wickelt sieh  durch  Uebermaass  seröser  Absonderung  der  sogenannte 
Wasserbruch  —  Hydrocele. 

Schlitzt  man  den  äusseren  Ballon  der  Tunica  ■vaginalis  propria  auf,  ^^ 
drückt  man  den  Hoden  heraus,  so  siclit  man,  dass  auch  der  Xebenhode  einen, 
wcuu   auch   nicht   ganz    voUständigeu   Ucberzug   vou   ihr    erhält.    Wihread  ot 


§.  302.  Sameiutnuig  and  dMsen  HflUen.  699 

Tumca  vckginalia  propria  vom  Nebenhoden  aaf  den  Hoden  übersetzt,  schiebt  sie 
sich  beutelförmig  zwischen  die  Contactflächen  beider  Organe  hinein,  und  erzeugt 
dadurch  eine  blinde  Bucht,  deren  Eingangsöffnung  nur  dem  mittleren  Theile  des 
Nebenhoden  entspricht.  Die  halbmondförraigeu  Räuder  dieser  Oeffnung  bilden 
die  sogenannten  Ligamenta  epididymidis.  Die  Stelle  der  Alhuginea  testia,  wo  die 
Samengefässe  aus-  und  eingehen,  wird,  da  sie  schon  beim  Embryo  vom  Perito- 
neum unbedeckt  war,  auch  irn  Erwachsenen  von  der  Tunica  vaginalis  propi^a 
nicht  überzogen  sein  können.  —  Ein  Analogen  des  Proceattts  vaginalis  des 
männlichen  Embryo,  findet  sich  auch  bei  weiblichen  Embryonen,  indem  das 
Peritoneum  bei  letzteren  gleichfalls  eine  Strecke  weit  sich  in  den  Leistenkanal 
als  blindabgeschlossener  Fortsatz  längs  des  runden  Mutterbandes  aussackt.  Dieser 
Fortsatz  ist  das  Divertieulum  Nuckü,  welches  ausnahmsweise  auch  im  erwachse- 
nen Weibe  offen  bleiben  kann.  Sollte  der  Processus  vaginalis  peritonei  nicht  ver- 
wachsen, so  können  sich  Baucheingeweide  in  seine  Höhle  vorlagern,  und  den 
sogenannten  angeborenen  Leistenbruch  bilden,  der  sich  von  dem  nach 
vollendeter  Verwachsung  des  Processus  entstandenen  Leistenbruch,  dadurch  unter- 
scheidet, dass  er  keinen  besonderen  Bruchsack  hat,  wenn  man  nicht  den  offenen 
Processus  peritonei  selbst  dafür  ansehen  will,  und  dass  das  vorgefallene  Einge- 
weide mit  dem  Hoden  selbst  in  Berührung  kommt  —  Ein  dünner  Bindegewebs- 
faden  im  Samenstrang  ist  Alles,  was  vom  eingegangenen  und  verödeten  Processus 
vaginalis  peritonei  im  Erwachsenen  erübrigt.  Hai  1er  nannte  ihn  Ruinae processus 
vaginalis.  Ich  will  ihn  Ligula  nennen.  Zieht  man  an  ihm,  so  wird  jene  Stelle  des 
Peritoneum,  welche  die  Bauchöffnung  des  Leistenkanals  deckt,  und  von  welcher 
aus  der  Processus  vaginalis  zuerst  sich  zu  schliessen  begann,  trichterförmig  in 
den  Leistenkanal  hineingezogen. 


§.  302.  Samenstrang  und  dessen  Hüllen. 

Der  Samenstrang;  Funiculus  spermaticus,  suspendirt  den 
Hoden  im  Hodensack.  £r  enthält  alles  was  zum  Hoden  geht  und 
vom  Hoden  kommt,  und  stellt  ein  Bündel  von  Geftlssen  imd  Nerven 
dar,  welche  durch  lockeres  Bindegewebe  zusammengehalten  werden, 
und  überdies  durch  besondere  Scheidenbildungen  die  Form  eines 
Stranges  annehmen.  Die  zunächst  die  Elemente  des  Samenstranges 
umhüllende  Scheide,  führt  den  Namen  der  Tunica  vaginalis  commu- 
nisj  da  sie  Samenstrang  und  Hode  gleichmässig  umfängt.  Wir  be- 
trachten sie  als  eine  Fortsetzung  der  Fascia  transversa  abdominis, 
welche  den  durch  den  Leistenkanal  heraustretenden  Samenstrang 
trichterförmig  umschliesst,  und  daher  auch  Fascia  infundibuliformis 
heisst.  Sie  bildet  keine  Höhle,  d.  h.  ihre  innere  Oberfläche  ist  nicht 
frei,  wie  jene  der  Tunica  vaginalis  prop'iaj  indem  sie  am  Samen- 
strange mit  dem  Bindegewebe  der  Gefässe  des  Samenstranges,  am 
Hoden  aber  mit  dem  äusseren  Ballen  der  Tunica  vaginalis  propria, 
verwächst.  Ihre  äussere  Fläche  wird  von  den  schHngenförmigen  Bün- 
deln des  vom  inneren  schiefen  und  queren  Bauchmuskel  abgelei- 
teten Cremaster  (Hebemuskel  des  Hoden)  bedeckt,  worauf  nach  aussen 
noch  eine  feine,  fibr*  *^che  von  den  Rändern 


700  S*  S^-  Hodeniaok  and  Tunica  dartot. 

der   äuPRcren   OefFnung   des    Leistenkanals    sich   über    den    Samen- 
strang hin  verlängert,  und  Fascia  Coopein  heisst. 

Verfolgt  man  den  Sanienstrang  nach  aufwärts  durch  den  Leistenkanal  in 
die  Bauchhöhle,  so  ßndct  man  ihn,  von  der  äusseren  Oeffnung  des  Leistenkanals 
an,  immer  dünner  werden.  Er  verliert  zuerst  die  F(Mcia  Cooperi  (an  der  äusse- 
ren Oeffnung  des  Leistenkanals),  hierauf  den  Crcmaster  (im  Leistenkanal),  dann 
die  Tu7iica  vaginale  comnunii  (an  der  Bauchöffnung  des  Leistcnkanals).  Nach 
seinem  Eintritt  in  die  Bauchhöhle,  ist  er  durch  Verlust  seiner  Hüllen,  und  das 
Ablenken  des  Vas  defei'cns  in  die  Beckenhöhle  hinab,  auf  ein  einfaches,  aus 
der  Artei-ia,  der  Vena  und  dem  Plexus  apeitncUicus  inteimtia  bestehendes  Bündel 
reducirt,  welches  hinter  dorn  Bauchfelle  zur  Lendeugegend  aufsteigt,  um  jene 
grossen  Gefässe  des  Bauches  zu  erreichen,  aus  welchen  der  Hode  die  zur  Samen- 
bereituug  nothwendigen  Gefässo  bezog.  —  Der  Samenstrang  besitzt,  ausser  den 
zum  Hoden  gelangenden  Arterien  (Spei-watica  interna  und  Arteria  vasii  deferenti*, 
§.  300),  noch  eine  eigene  Schlagader,  welche  blos  für  die  Scheidengebilde  des 
Samenstranges  und  Hoden  bestimmt  ist.  Sie  entspringt  als  Arteria  spermalica 
externa  (auch  Arteria  cremcuteiHca  Cooperi  genannt),  aus  der  Arteria  epigastrica  in- 
ferior, —  Ein  interessantes  mikroskopisches  Vorkommen  an  der  gemeinschaft- 
lichen Scheidenhaut,  bilden  die  von  Rektorzik  aufgefundenen,  kolbenförmigen 
Erhabenheiten  auf  derselben,  welche  aus  Bindegewebs-  und  elastischen  Fasern 
bestehen,  und  in  Form  und  Bau  den  Pacchioni'schen  Granulationen  der  Arach- 
noidea  verwandt  sind  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  23.  Bd.  p.  134). 


§.   303.  Hodensack  und  Tunica  dartos. 

Hode  und  Samenstrang  liegen  in  einem,  durch  die  Haut  des 
Mittelfleisches  und  der  Schamgegend  gebildeten  Beutel  —  dem 
Hodensack,  Scrotum,  an  welchem  eine  mediane  Leiste  (J\*nphe) 
zwei  nicht  ganz  gleiche  Seitenhälften  unterscheiden  lässt.  Das  dünne, 
durchscheinende,  und  gebräunte  Integument  des  Hodciisacks,  faltet 
sich  bei  zusammengezogenem  Scrotum  in  quere  Runzeln.  Krause, 
kurze  Haare,  und  zahlreiche  Talgdrüsen  statten  dasselbe  aus.  Unter 
der  Haut,  und  mit  ihr  durch  immer  fettloses,  subcutanes  Bindegewebe 
zusammenhängend,  liegt  die  sogenannte  Fleisch  haut  des  Hoden- 
sackes, Tnnica  dartos  (cspo),  excorio),  welche  aus  Bündehi  glat- 
ter Muskelfasern  besteht,  deren  vorwaltend  longitudinale  Richtung 
eben  die  queren  Runzeln  der  Hodensackhaut  hervorruft.  Sie  wird 
als  Fortsetzung  der  Fascia  superficialis  alxlominis  et  perinei  ange- 
sehen, in  welche  sie  übergeht.  Eine  der  Raphe  entsprechende 
Scheidewand,  Septum  scroti)  theilt  die  Höhle  der  Dartos  in  zwei 
Fächer,  in  welchen  die  Hoden  und  Samenstränge  so  lose  einge- 
senkt sind,  dass  sie  leicht  aus  den  Fächern  herausgezogen  werden 
können. 

Die  Ungleichheit  der  beiden  Hodensackhälften  (indem  die  linke  meistens 
IKnger  als  die  rechte  ist)  lässt  sich  nicht  leicht  erklären.  Wäre  die  Compression, 
welche  die  Vena  »permatica  interna  sini^tra  durch  die  Ciirvatnra  »igmoidea  recH 
erfährt  (B landin),   der  Qrund   einer  grösseren  Turgescenz  und  somit  grösserer 


§.  dO-1.  Samenbläschen  nnd  AuHspritznngskanale.  701 

Schwere  des  linken  Hoden,  so  müsste  bei  allen  Männern  der  linke  Hode  tiefer 
hängen,  als  der  rechte.  Allein  nach  Malgaip^ne^s  Beobachtungen  an  65  Indi- 
viduen, war  dieses  nur  an  43  der  Fall. 

Die  Raphe  ist  der  bleibende  Ausdruck  der  ursprünglichen  Bildung  des 
Hodensackes  aus  seitlichen  Hälften.  Kommt  es  nicht  zur  Verwachsung  der  beiden 
Hälften,  bleiben  zugleich  die  Hoden  in  der  Bauchhöhle,  und  ist  das  männliche 
Glied  klein,  so  wird  der  gespaltene  Hodensack  einer  weiblichen  Schamspalte 
gleichen,  und  das  betreffende  Individuum  mit  scheinbar  weiblicher  Bildung  der 
äusseren  Genitalien,  dennoch  männlichen  Geschlechtes  sein  (Hermaphrodititmv» 
»puritis), 

§.  304.  Samenbläschen  und  Ausspritzungskanäle. 

Die  Samenbläschen  7  Vesiculae  aemiJialea,  liegen  am  Blasen- 
grunde hinter  der  Prostata.  Sie  haben  die  Gestalt  von  V/<i*  langen 
und  ^2"  breiten,  flachgedrückten,  ovalen  Blasen  mit  höckeriger 
Oberfläche.  Sie  schliessen  keine  einfache,  sondern  eine  vielfach  ge- 
buchtete Höhle  ein,  welche  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  jedes 
Samenbläschen  eigentlich  ein  2—3"  langer,  häutiger,  mit  kurzen 
blinden  Seitenästen  besetzter  Schlauch  ist,  der  aber  nicht  ausge- 
streckt, sondern  zusammengeballt  am  Blasengrunde  liegt,  und  durch 
das  ihn  umgebende,  mit  glatten  Muskelfasern  reichlich  versehene 
Bindegewebe,  zur  gewöhnlichen  Form  eines  Samenbläschens  ge- 
bracht wird.  Entfernt  man  dieses  Bindegewebe,  so  kann  man  das 
Samenbläschen,  bei  einiger  Vorsicht  und  Geschicklichkeit,  in  jenen 
einfachen  Schlauch  leicht  entwickeln.  Besitzt  der  Schlauch  die  oben 
angegebene  Länge  nicht,  so  sind  dafür  seine  blinden  Seitenäste  länger. 

Die  vorderen,  etwas  zugespitzten  Enden  der  Samenbläschen 
münden  in  die  Vaaa  deferentia  ein,  welche  jenseits  dieser  Einmün- 
dung: Ausspritzungskanäle,  Ductus  ejaculatorü ,  heissen.  Jeder 
Ditctus  ejaculatoiius  convergirt  mit  dem  anderen,  und  läuft  zuletzt 
mit  ihm  parallel.  Beide  gehen  zwischen  der  Prostata  und  der  hin- 
teren Wand  der  Pars  prostatica  urethrae  nach  vorn  und  unten,  und 
münden  am  Cajnit  gallinaginia  in  die  Harnröhre  ein.  —  Samenbläs- 
chen und  Ausspritzungskanäle  besitzen  denselben  Bau,  wie  die  Enden 
der  Vasa  deferfmtia  (§.  300),  aber  kein  Cylinder-  sondern  Pflaster- 
epithel. 

Der  Same  {Spemia),  der  hei  der  Begattung  entleert  wird,  stammt  aus  den 
Samenbläschen,  wo  er  die  zur  Befruchtung  nothwendige  Reife  zu  erhalten  scheint. 
Seine  chemische  Zusammensetzung  ist  bis  jetzt  für  die  Physiologie  der  Zeugung 
weit  weniger  belehrend  gewesen,  als  seine  scheinbar  lebendigen  Inwohner  —  die 
Samenthierchen,  Samenfäden,  Spatnatoxoay  von  dem  Leydner  Studiosus 
Ludwig  V.  Hammen,  1677  entdeckt  lieber  ihre  Thiematur  wurde  bereits  ver- 
neinend abgestimmt.  Sie  bedingen  die  Zengungskraft  des  Sperma,  welche  mit 
ihrem  Fehlen  verloren  geht  Schon  Prevost  hat  gezeigt,  dass  der  Froschsame 
seine  befruchtende  Eigenacbaft  Terlitrl»  wenn  seine  8pernuttoso(in  abfiltrirt  wer- 
den. Die  nähere  Bekaanti  ^^kerea  Kopfende, 


702  $•  304.    Samenbläschen  und  Aasspritzangsluuiil«« 

und  einem  fadenförmigen  Schwänze  bestehenden,  keine.  Spar  von  innerer  Orga- 
nisation,   aber    eine   sehr    lebhafte,    scheinbar    willkürliche  Bewegung  zeigenden 
Wesen,  sucht   die   Physiologie.     He  nie   mass  ihre   BewegungsBchnelligkeit,  und 
fand  sie  =  1  Zoll  in   l^/i   Minuten.  —  Kölliker  hat  gezeigt  (die  Bildung  der 
Samenfäden  in  Bläschen.  Neuenburg,  1846),  dass   die  Samenfäden  in  den  ZeUen 
der   Samenkanälchen   des  Hoden   entstehen,  welche   selbst  wieder  za  3 — 20  in 
einer  Mutterzelle  eingeschlossen  sind.  Jede  Tochterzelle  bildet  nur  einen  Samen- 
faden, der  aus  einem   Kopfe   und   Schweife   besteht     Letzterer  wächst  aus  dem 
Kopfe  hervor,  und  liegt  gekrümmt  an  der  Wand  der  Tochterzelle.    Die  Tochter- 
zellen öffnen  sich,  um  zuerst  den  Schweif,  dann  den  Kopf  des  Samenfadens  he^ 
austreten  zu  lassen.  Die  Mutterzclle  wird  alsdann  so  viele  Samenfäden  enthalten, 
als  Tochterzellen  waren.   Erst   im  Nebenhoden   berstet  auch  die  Mutterzelle,  und 
die  Samenfäden  werden  frei.    Henle's  Beobachtungen   znfolge,   sollen  aber  die 
Spermatozoi'n    sich    nicht  in  Tochterzellen,   sondern   aus   freien   selbstständigen 
Zellen,  und  zwar   aus   ihren   Kernen   entwickeln.     Die  Schwänze   derselben  sind 
schon  von  Beginn  derselben  gerade  gestreckt,   nicht  im  Innern  einer  Zelle  auf- 
gerollt. —  Ausser  den  Samenfäden  finden  sich  in  der  entleerten  Samenflüssigkeit 
1.  noch   Elementarkörnchen,   2.  grössere   granulirte   Kugeln,  welche   eine  grosae 
Aehnlichkeit  mit   farblosen  Blutkörperchen    zeigen,  und    nicht  aus   dem  Hoden, 
sondern  aus  den  accessorischen  Drüsen  des  Sexualsystems  stammen,  und  8.  kiy- 
stallinische  Gebilde  (Rhomboeder  von  phosphorsaurem   Kalk),    welche  sich  aber 
erst  während  der  Untersuchung   des   Samens    auf  dem   Objectträger,  durch  Ver- 
dunsten des  Wassergehaltes,  bilden. 

Durch  die  Feststellung  der  Thatsache,  dass  die  Spermatozoon  nicht  bloi 
mit  dem  zu  befruchtenden  weiblichen  Ei  in  Contact  kommen,  sondern  sich  dnrch 
die  Dotterhaut  in  das  Innere  des  Eies  einbohren,  ist  eine  der  wichtigsten  Ent- 
deckungen der  Gegenwart  gemacht.  Newport  hat  das  Eindringen  der  Spermi- 
tozoen  in  das  Froschei,  —  Barry  in  das  Kaninchenei  zuerst  gesehen,  und  tig- 
licli  mehrt  sich  die  Zahl  der  hieher  gehörigen  Beobachtungen.  —  Da»  Eindringen 
geschieht  mit  dem  dicken  Ende  voraus,  durch  bohrende  Bewegung  des  Schwanx- 
endes  der  Spermatozoon.  Was  im  Ei  aus  den  Rpermatozoen  wird,  weiss  man 
nicht.  Sieh  hierüber:  W.  Bischojf^  Bestätigung  des  Eindringens  der  Spermatoxoen 
in  da«  Ei.  Gi essen,  1854,  und  G.  Mevt/nierj  über  das  Eindringen  der  Samen- 
olemcnte  in  den  Dotter,  in  der  Zeitschrift  für  Wissenschaft!.  Zoologie.  6.  Bd. 

Die  Contractilität  der  Samenbläschen  wurde  bei  Thieren  (Pferd,  Stier, 
Bock,  Nager)  durch  Beobachtung  sichergestellt.  L ampferhoff  (Diss.  de  veM- 
cularum  sem.  stnictura.  Berol.,  1885.  pag.  50)  liat  beim  Meerschweinchen  wurmför- 
niige  Bewegungen  an  ihnen  gesehen,  Fick  auch  am  Vas  deferena,  —  Der  Jhu- 
fus  ejaciilatorins  ist  dünnwandiger  als  das  Vas  deferena,  und  wird  deshalb  von 
d(Mn  derben  Gewebe  der  Prostata  leicht  comprimirt.  Diesem  Umstände,  so  wie 
seinem  gegen  die  Ausmündungsstelle  in  der  Urethra  bis  auf  0,3'"  abnehmenden 
Lumen,  mag  es  zugeschrieben  werden,  dass  der  Same  nicht  fortwährend  tb- 
fliosst,  und  erst  durch  stärkere  vu*  a  lergo  stossweise  entleert  wird.  —  Der 
Drüsenreichthum  der  Schleimhaut  der  Samenbläschen,  lässt  auf  reichliche  Ab- 
sonderung schliossen.  Worin  diese  bestehe,  und  welchen  Einfluss  sie  auf  die 
Veredlung  des  Samens  ausübe,  ist  unbekannt.  Der  Same  der  Samenblasen  ent- 
hält weit  weniger  Samenthierchen,  als  jener  des  Vaa  deferena.  J.  Hunter  hielt 
die  Samenbläschen  nicht  für  Aufbewahrungsorgane  des  Samens,  sondern  für  be- 
sondere Secrctionsvverkzeuge,  deren  Absonderung  vom  Samen  verschieden  ist. 
Die  vergleichende  Anatomie  giebt  zur  Lösung  dieser  Frage  keine  Behelfe  an  die 
Han<l,  da  die  Samenbläschen  bei  Säugethieren  häufig  fehlen.  Der  Umstand,  dw« 
bei   Castraten    die   Samenbläschen   nicht   schwinden,    was   sie   als   blosse  22009* 


i.  306.  Vorsteherdnise.  703 

tacula  seminis  Wohl  thun  müssten,  scheint  für  ihre  Selbstständigkeit  als  secreto- 
rische  Apparate  zu  sprechen.  Schon  Rufus  Ephesius,  Cap.  XIV.,  sagt:  eunuchi 
aemen  quidemj  aed  infecundum,  ejiciunt;  —  Grub  er  (Müller' 9  Archiv,  1847)  fand 
bei  einem  Castraten  die  Samenbläschen  zwar  verkleinert,  aber  doch  mit  einem 
schleimigen  Fluidum  gefüllt.  Ebenso  Bilharz,  welcher  die  Genitalien  von  schwar- 
zen Eunuchen  untersuchte.  Am  auffallendsten  war  bei  letzteren  der  Schwund 
der  Prostata. 

§.  305.  Vorsteherdrüse. 

Die  Vorsteherdrtlse,  Prostata  (^poiffraj^a'.,  vorstehen,  bei  grie- 
chischen Autoren  auch  Parastata  adenoides),  hat  eine  herz-  oder 
kastanienfbrmige  Gestalt,  mit  hinterer  Basis  und  vorderer  Spitze, 
oberer  und  unterer  Fläche.  Sie  umfasst  den  Anfang  der  Harnröhre 
(Pars  prostatica  urethrae),  grenzt  nach  hinten  und  oben  an  die 
Samenbläschen,  nach  vom  an  das  Ligamentum  trianguläre  urethrae^ 
nach  unten  an  die  vordere  Mastdarmwand,  durch  welche  sie  mit 
dem  Finger  zu  fühlen  ist. 

Sie  wird  durch  gewisse,  an  sie  geheftete  Abtheilungen  der 
Fascia  pelvis  (§.  323)  in  ihrer  Lage  erhalten.  Ihre  untere  Fläche 
ist  nicht  wie  die  obere  glatt,  sondern  mit  zwei  seichten  !^urchen 
gestreift,  welche  die  Begrenzungen  dreier  Lappen  sind,  von  welchen 
der  mittlere  der  kleinste  ist,  zuweilen  aber,  besonders  im  vorge- 
rückten Alter,  so  anschwillt,  dass  er  die  Schleimhaut  des  Blasen- 
halses am  Beginn  der  Urethra  aufwölbt.  Ihr  an  Blutgefässen  armes 
Gewebe  wird  von  einer  unabl(')8baren,  bindegewebigen  Hüllungs- 
membran  umschlossen,  ist  derb  und  compact,  äusserst  reich  an  glat- 
ten Muskelfasern,  welche  theils  eine,  der  Oberfläche  der  Drüse 
parallele  Schichte  bilden,  theils  von  der  Gegend  des  Caput  gaUina- 
ginis  strahlig  gegen  die  Oberfläche  der  Drüse  ziehen,  und  das  Drü- 
senparenchym  in  undeutHche  Lappen  theilen.  Diese  Lappen  bestehen 
wieder  aus  kleineren  Läppchen,  deren  Acini  kurze,  sich  schnell 
zu  grösseren  Stämmchen  vereinigende  Ausführungsgänge  erzeugen, 
welche  allsogleich  die  hintere  Wand  der  Pars  prostatica  urethrae 
durchbohren,  und  zu  beiden  Seiten  des  Collicidus  seminalis  ausmün- 
den. Ihre  Zahl  ist  bedeutend,  aber  nicht  numerisch  bekannt,  indem 
ihre  Oeff*nungen  in  der  Harnröhre  so  fein  sind,  dass  sie  nur  im 
Moment,  wenn  man  durch  Druck  auf  die  Prostata  ihren  Inhalt  ent- 
leert, gesehen  werden.  Eine  Summe  vorderer  Bündel  des  Levatar 
ani  tritt  an  die  Seitenränder  der  Prostata  und  wurde  im  §.  270  als 

Levator  prostatae  erwähnt. 

Das  Secret  der  Prostata  gleicht  jenem  der  Samenbläsclien.  Bei  älteren 
Individuen  findet  man  in  den  Prostatagängen  (wie  auch  in  den  Samenbläschen) 
kleinere,  gelblich  weisse,  concentrisch  geschichtete  Concremente,  als  sogenannte 
Prostatasteine.  In  der  Prostata  des  IgeU  habe  ich  sie  in  grosser  Menge, 
und  von  schöner,  rosenrother  Fa^dm  ^^^ 


704  f-  3M.   Cowfttr'ueke  DrtiMD.  -  §.  307.   MabbIIcIi«»  Glied. 

Die  Vetricula  prottatica  a,  Sinu$  pocularU  war  als  eine  kleine,  hSotige,  in 
der  Prostata  gelegene,  und  am  Caput  gaUmagini»  zwischen  den  Oeffnnngen  der 
Ductut  ejacuUUorii  mflndende  Blase,  schon  Morgagni  und  Albin  bekannt. 
£.  H.  Weber  fAnnot  anat.  et  phys.  Prol.  I.  pag.  4)  hat  ihre  in  der  Entwick- 
lungsgeschichte gegründete  Bedeutung  als  unpaarige  Geschlechtshfthle  des  Man- 
nes (dem  weiblichen  Uterus  analog)  zuerst  hervorgehoben.  Welchen  Grad  von 
Ausbildung  sie  annehmen  könne,  zeigt  der  von  mir  beschriebene  Fall  (Eine  un- 
paare  Geschlechtshöhle  im  Manne,  Oesterr.  med.  Wochenschrift  1841.  Nr.  45), 
wo  auch  beide  Ductus  ejcumlaiorii  in  sie  einmündeten.  Ausführliches  in  Hiuehke^» 
Kingeweidelehre.  p.  408  sqq.  —  J,  van  Deen,  in  der  Zeitschrift  für  wissenschaft- 
liche Zoologie.  1.  Bd.  —  F.  BftZy  über  den  Utenu  mcucuIinttSj  in  Miiüer't  Archiv, 
1850,  und  Langer:  Utenu  masculinut  eines  60jährigen  Mannes,  in  der  Zeitschrift 
der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte,  1855.  Ausgezeichnet  sind  die  von  Prof. 
Lcuckart  verfassten  Artikel:  ^Vesicula  prosteUica^^y  in  der  Cyclopaedia  of  Ana- 
tomy  and  Physiology,  so  wie  „Zeugung**  in  R.  Wagner^ $  Handwörterbuch  der 
Physiologie. 


§.  306.  Cowper'sche  Drüsen. 

Ueber  die  Cowper'schen  Drüsen  lässt  sich  nur  wenig  sagen. 
Sie  sind  erbsengrosse,  rundliche,  acinöse  Drüsen,  welche  vor  dem 
Ligamentum  trianguläre  urethraey  und  hinter  dem  Bulbus  urethrae  an 
der  unteren  Wand  der  Pars  memhranacea  urethrae  liegen,  und  zu- 
weilen durch  eine  kurze  Querbrücke  mit  einander  in  Verbindung 
stehen  sollen.  Diese  Querbrücke  giebt  sich  aber  unter  dem  Mikro- 
skop nicht  als  Drflsensubstanz,  sondern  als  animale  Muskelbündel 
zu  erkennen,  und  gehr»rt  sonder  Zweifel  den  beiden  Musculis  trans- 
versis  permei  profundis  an,  welche  zu  den  Cowper'schen  Drüsen  in 
sehr  naher  Beziehung  stehen.  Die  nacli  vorn  gerichteten  langen 
AusfühningHgänge  dieser  Drüsen  münden  in  den  vom  Bulbus  um- 
schloswencn  Thcil  der  Harnröhre  ein.  Ihre  Bestimmung  ist  ebenso 
wenig,  als  jene  der  Prostata  bekannt.  Auch  haben  sie,  ihrer  Klein- 
heit wegen,  keine  besondere  praktische  Wichtigkeit,  welche  aber 
der  Prostata  um  so  mehr  zusteht,  da  ihr  Kranksein,  der  damit  ver- 
knüpften Verengung  und  Verschliessung  der  Harnrr>hrc  wegen,  die 
drohendsten  Zufälle  veranlassen  kann. 

Winglow^  nannte  die  Cowper'schen  Drüsen:  AntiproHatae.  Mery  kannte 
sie  schon  1684;  —  Cowper  beschrieb  sie  nur  ausführlicher  1699.  —  Kine  mitt- 
lere, unpaaro  Cowjier'sche  Drüse,  welcho  zuweilen  erwähnt  wird,  habe  ich  nie 
gesehen. 


§.  307.  Männliches  ßlied. 

Das  männliche  Glied,  die  Ruthe,  Penis j  von  jyendere  (Synou.: 
MeniWum    virile,    Mentula,     Veretruin,   Nei'vuSy    Virga,    Coles,    Verpa, 


S.  S07.  MinnUehes  Glied.  705 

Priapus),  vermittelt  die  geschlechtliche  Vereinigung  der  männlichen 
und  weiblichen  Sexualorgane.  Da  die  Harnröhre  zugleich  Entlee- 
rungskanal  des  männlichen  ZeugungsstofFes  ist^  und  dieser  bei  der 
geschlechtlichen  Vereinigung,  seiner  Bestimmung  gemäss,  tief  in  die 
inneren  Genitalien  des  Weibes  gebracht  werden  muss,  so  macht 
die  Harnröhre  einen  Theil  des  männlichen  Zeugungsgliedes  aus.  Für 
einen  blossen  Entleerungskanal  des  Harnes  würde  eine  einfache 
Ausmündung  an  der  Leibesoberfläche  —  wie  beim  Weibe  —  ge- 
nügt haben.  Das  Zeugungsglied  erfüllt,  nebst  Entleerung  des  Sa- 
mens, früher  noch  eine  andere,  auf  die  Steigerung  des  Geschlechts- 
gefühls im  weibhchen  Begattungsorgan  gerichtete  Bestimmung,  auf 
mechanische  Weise.  Diese  Erregung  der  weiblichen  Begattungs- 
organe ist  eine  wesentliche  Bedingung  flir  die  Aufnahme  des  Sa- 
mens in  das  innere  Geschlechtsorgan.  Das  männliche  Glied  muss 
somit  eine  Einrichtung  besitzen,  durch  welche  eine  Vergrösserung 
desselben  mit  gleichzeitiger  Rigidität  (Erection)  möglich  wird.  Ohne 
diese  würde  es  weder  durch  Druck  noch  Reibung  reizend  wirken 
können.  Das  männliche  Glied  hat  nun  zu  diesem  Zwecke  drei 
Schwellkörper,  Corpora  cavemoaa,  zwei  paarige  imd  einen  un- 
paaren.  Letzterer  gehört  der  Harnröhre  an.  Sie  werden  deshalb  in 
die  zwei  Corpora  caveiiiosa  penis,  und  das  Corpus  caveimosum  urethrae 
eingetheilt. 

a)  Corpora  cavemosa  penis. 

Die  zwei  Corpora  cavemosa  penis  sind  walzenförmige,  nur  an 
den  beiden  Enden  sich  verschmächtigen  de  Körper  von  schwammiger 
Textur,  die  sich  durch  Blutstauung  in  ihnen  erigiren  und  steifen, 
und  in  diesem  Zustande  dem  Gliede  hinreichende  Festigkeit  geben, 
um  in  die  Geschlechtstheile  des  Weibes  einzudringen.  Sie  entsprin- 
gen, als  Crura  penisj  an  den  aufsteigenden  Sitzbeinästen,  fassen  hier 
den  Bulbus  urethrae  zwischen  sich,  steigen  gegen  die  Schamfuge 
auf,  legen  sich  an  einander,  und  verwachsen  zu  einem  äusserlich 
scheinbar  einfachen,  aber  im  Innern  durch  eine  senkrechte  Scheide- 
wand getheilten  Schaft,  der  im  erschlafften  Zustande  an  der  vor- 
deren Seite  des  Scrotum  herabhängt.  —  Durch  die  Aneinander- 
lagerung  beider  Schwellkörper  der  Ruthe  muss  an  der  oberen  und 
unteren  Fläche  des  Gliedes  eine  Furche  entstehen,  wie  zwischen 
den  beiden  Läufen  eines  Doppelgewclu*s,  von  denen  die  obere  durch 
eine  einfache  Vena  dorsalis  und  zwei  Arteriae  dorsales  eingenommen 
wird,  während  die  untere  grössere  die  Harnröhre  mit  ihrem  Corpus 
cavetmosum  enthält. 

Die  äussere  Oberfläche  jedes  Schwellkörpers  wird  von  einer 
fibrösen,  mit  elastischen  Fasern  reichlich  ausgestatteten  Haut  über- 
zogen {Tunka  albuffinea),  welche  von  der  Vereinigung  beider  Schwell- 
körper  an  bis  zur  Eichel^  eine   senkrecht   stehende    Scheidewand| 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anjitomie.  46 


706  §•  807.  MimüieliM  01i«d. 

Septum  peniSf  bildet.  Diese  ist  durch  mehrere  Oeffnungen  durch- 
brochen, so  dass  die  Höhlen  beider  Schwellkörper  mit  einander 
commimiciren.  Von  der  inneren  Oberfläche  der  Tunica  alhuginea  und 
des  Septum  zweigt  sich  eine  grosse  Anzahl  von  Blättchen  und  Bälk- 
chen  als  sogenannte  Trabeculae  ab.  Diese  bestehen  aus  elastischen 
Fasern,  Bindegewebe,  und  glatten  Muskelfasern.  Sie  verstricken  sich 
zu  einem  Netzwerk,  und  erzeugen  dadurch  ein  System  vielgestaltiger, 
unter  einander  communicirender  Maschenräume  {Caver^iae)^  welche, 
in  der  Axe  des  Schwellkörpers  am  grössten,  je  näher  der  Ober- 
fläche aber,  desto  kleiner  getroffen  werden.  Sie  stehen  mit  den  zu- 
führenden Arterien,  und  mit  den  abführenden  Venen  in  unmittelbarem 
Verkehr,  und  werden  somit  auch  von  der  inneren  Gefässhaut  aus- 
gekleidet. Diese  bluthältigen  Räume  bilden  das  sogenannte  Schwell- 
netz des  Penis. 

Der  arterielle  Hauptstamm  für  jeden  SchwellkiSrper  verläuft,  als  Arteria 
profunda  penisj  nahe  am  Septum,  und  sendet  innerhalb  der  Balken  des  caver- 
nOsen  Gewebes  seine  dendritischen  A^erästlungen  aus,  welche  zuletzt  capillar 
werden,  jedoch  keine  Netze  bilden,  sondern  direct  in  die  peripherischen  Hohl- 
räume des  Schwellnetzes  einmünden.  Nebst  diesem,  durch  Capillarien  vermittelten 
Uebergang  der  Arterien  in  Venen,  hat  man  auch  directe  Einmündungen  grösserer 
Arterienzweigchen  in  das  Schwellnetz  beobachtet  (C  Langer^  in  den  Sitzungs- 
berichten der  kais.  Akad.  1862).  —  Ein  sonderbares  Vorkommen  sind  die,  be- 
sonders in  der  Peniswurzel  gesehenen,  korkzieherartig  gewundenen  ArterienKstchen, 
welche  J.  Müller  zuerst  als  Vota  helicina  beschrieb,  und  blind  endigen  Hess. 
Andere  läugneten  ihr  blindes  Ende,  und  Hessen  sie,  trichterförmig  erweitert,  in 
das  Schwellnctz  einmünden.  Ich  habe  die  Artenae  helicinae  mit  blinden  kolbi- 
gen  Enden,  zwar  nicht  in  den  Schwcllkörpem  der  männlichen  Ruthe,  aber  in 
anderen  erectilen  Organen  der  Thiere  unzweifelbar  beobachtet.  (Med.  .Tahrb. 
Oesterr.  1838.  19.  Bd.)  Dass  sie  keine  abgerissenen  und  eingerollten  Arterien- 
ästchen  sind,  wie  Valentin  sie  deutete,  zeigt  ihr  Verhalten  im  Kopf  kämme  des 
Hahnes,  und  in  den  Karunkeln  am  Halse  des  Truthahns,  wo  ihre  blinden  End- 
kolben dicht  unter  der  Haut  liegen. 

A.  Kölliker  (das  anat  und  phys.  Verhalten  der  Schwellkörper,  in  den  Ver- 
handlungen der  Würzb.  phys. -med.  Gesellschaft.  2.  Bd.  p.  118)  erklärt  als  Be- 
dingung der  Erectiou:  die  Erschlaffung  der  Muskelfasern  im  Balkengewcbe  der 
Schwellkörper.  Dadurch  werden  die  venösen  Hohlräume  erweitert,  und  fassen 
mehr  Blut.  Wird  zugleich  der  RUcküuss  des  venösen  Blutes  aus  den  Schwcll- 
körpem, durch  Compression  des  Haiiptstammes  der  Schwellkörpervenen  (am  auf- 
steigenden Sitzbeinast  durch  den  Muacidu«  trau8ver»us  perinei  profundiuf  §.  .322) 
behindert,  so  rauss  das  Schwelleu  des  Gliedes  bis  zur  rigiden  Steifheit  zunehmen. 
Schon  Günther  hat  die  Beobachtung  gemacht,  dass,  nach  Trennung  der  Ner- 
ven am  Pfcrdepenis,  wodurch  Lähmung  jener  Muskelfasern  entsteht,  unvollkom- 
mene Steifuug  der  Schwellkörper  eintritt.  —  Ifenle^  Mechanismus  der  Erection  (Zeit- 
schrift für  rat.   Med.  3.  R.  28.  Bd.). 

b)  Cotyua  cavernosum  uretJirae. 

Ebenso  gebaut,  nur  von  zarterem  Gepräge,  ist  das  einfache 
Coipua  cavei*nosum  uiethrae.  Es  wird  seiner  ganzen  Länge  nach,  von 
der  Harnröhre  durchbohrt,  stellt  somit  eine  Röhre  dar.  Das  Schwell- 


§.  807.  masUclies  GUed.  707 

gewebe  desselben  liegt  aber  nicht  gleichförmig  um  die  Harnröhre 
herum  vertheilt.  Am  hinteren  und  vorderen  Ende  verdickt  es  sich, 
und  bil8et  einerseits  die  Zwiebel  der  Harnröhre  (Bulbus  urethrae) 
am  Mittelfleische,  andererseits  die  Eichel  (Glans  penis)  am  Ende 
des  Gliedes.  Der  Schwellkörper  der  Harnröhre  hat  kleinere  Maschen- 
räume, strotzt  während  der  Erection  nicht  so  bedeutend,  wie  die  Cor- 
pora cavemoaa  penis,  und  bleibt  deshalb  weicher.  Die  Glans  sitzt 
auf  dem  vorderen,  abgerundeten  Ende  der  Schwellkörper  des  Glie- 
des wie  eine  Kappe  auf. 

Die  Eichel  hat  eine  stnmpfke^lförmige  Gestalt  Ihre  schief  abwärts  ge- 
richtete Spitze,  Apex  glandisy  wird  durch  den  zweilippigen  Hamröhrenspalt 
senkrecht  geschlitzt.  Ihre  Basis  bildet  einen  wulstigen  Rand,  Corona  glandii^  hin- 
ter welchem  eine  Furche,  Collum  ».  Stdcua  retroglandulariSy  folgt,  durch  welche 
die  Eichel  vom  Gliede  abgegrenzt  wird. 

Die  Haut  des  männlichen  Gliedes  ist  sehr  verschiebbar,  un- 
behaart, und  ihr  ünterhautzellgewebe  fettlos.  Um  die  Verlängerung 
des  Gliedes  während  der  Erection  zu  gestatten,  bildet  sie  eine  die 
Glans  umgebende  Duplicatur  —  die  Vorhaut,  Praeputium.  (ver- 
dorben aus  xpo'::6aOiov ,  von  T:po  und  7:6aOY)  s.  7:6c6iov,  penis,  somit 
vi  nominis  die  Haut  vom  am  Gliede).  Sie  läuft  nämlich  vom  Col- 
lum glandis  irei  über  die  Eichel  herab,  schlägt  sich  dann  nach  innen 
um,  und  geht  wieder  zum  Collum  glandis  zurück,  um  mm  erst  die 
Eichel  als  sehr  feiner,  mit  ihrem  schwammigen  Gewebe  innig  ver- 
wachsener Ueberzug  einzuhüllen,  der  am  Orificivm  cutaneum  urethrae 
in  die  Schleimhaut  der  Harnröhre  tibergeht.  Die  Vorhaut  wird  durch 
eine  für  Friction  sehr  empfindliche,  longitudinale  Falte  —  das  Bänd- 
chen, Frenulum  praeputii  —  an  die  untere  Fläche  der  Eichel  an- 
geheftet. 

Bei  der  Erection  gleicht  sich  die  Hautduplicatur  des  Präputium  nur  zum 
Theil  aus,  und  seine  beiden  Platten  werden  zur  Deckung  des  verlängerten  Penis 
in  Anspruch  genommen,  wodurch  die  Eichel  mehr  weniger  frei  wird.  Die  innere 
Platte  der  Vorhaut,  so  wie  der  Eichelüberzug,  ähnelt  durch  Farbe  und  Dünnbeit 
einer  Schleimhaut,  besitzt  wohl  kleinste  Tastpapillen  in  grosser  Zahl,  aber  keine 
Folliculi  mucipariy  sondern  Talgdrüsen,  besonders  reichlich  am  Halse  der  Eichel 
(Glandulae  praeputialea  ».  Tyaonianae),  welche  das  käseartige,  starkriechende, 
weisse  Sebum  praeputiale  absondern.  Die  Präputialabsondcrung  ist  in  heissen 
Ländern  copiöser,  als  in  der  gemässigten  Zone,  und  bedingt  wohl,  der  mit  ihrem 
Ranzigwerden  verbundenen  örtlichen  Reizung  wegen,  den  medicinischen  Ursprung 
der  Beschneidung,  welche  sich  im  Oriente  aus  wohlverstandenen  Gründen  die 
Geltung  eines  volksthümlichen  Gebrauches  erwarb,  in  kalten  Breiten  dagegen 
wahrlich  überflüssig  wird.  Die  Fascia  superficialis  des  Bauches  setzt  sich  unter  der 
Haut  des  Gliedes  als  Fa^a  penis  fort,  bis  zur  Corona  glandis,  wo  sie  mit  der  Tunica 
albuginea  der  Schwellkörper  verschmilzt.  Sie  wird  am  Rücken  der  Wurzel  des  Gliedes 
durch  ein  Bündel  Bandfasem  verstärkt,  welches  von  der  vorderen  Fläche  der  Scham- 
fuge als  Ligamentum  Suspensorium  penis  entspringt  —  Nach  Mayer  (Froriep's 
Notizen,  1884,  Nr.  883)  boII  in  der  Eichel  grosser  Glieder  ein  prismatischer  Knor- 
pel ezifltireii,  welcher«  fmno  *^'*  Vnrkommen  sichergestellt  wäre,  eine  entfernte 

4ö» 


708         S*  ^^'  Anatomischer  and  physiologiieher  Charakter  der  weiblichen  Geschlechtsorgane. 

Analogie  mit  dem  Os  Priapt  vieler  Säugethiere  (Affen,  Nager,  reissende  Thiere) 
darbietet  Dieser  vermeintliche  Knorpel  ist  jedoch  nichts  Anderes,  als  eine  median 
gelegene,  verdickte  Stelle  in  der  ßbrösen  UmhÜllungshaut  der  vorderen  Enden 
der  Ruthenschwellkörper.  —  Der  äusserst  laxe  Zusammenhang  der  Haut  des 
Penis  mit  dem  eigentlichen  Ruthenschafte  erklärt  es,  warum  bei  grossen  Ge- 
schwülsten in  der  Schamgogcnd,  so  wie  bei  hohen  Graden  von  örtlicher  oder 
allgemeiner  Wassersucht,  das  Glied  immer  kürzer  und  kürzer  wird,  und  zuletzt 
nichts  von  ihm  zu  sehen  bleibt,  als  die  nabelähnlich  eingezogene  Präputialöffuung. 
—  Eine  sehr  genaue  und  ergebnissreiche  Detailuntersuchung  der  crectilen  Ge- 
fässbildungen  in  den  männlichen  und  weiblichen  Genitalien  gab  O,  L.  KoheU^ 
„Die  männlichen  und  weiblichen  Wollustorgane."  Freiburg,  1844.  Reich  an  eige- 
nen Untersuchungen,  und  an  erschöpfender  Uebersicht  aller  zur  Anatomie  der 
Genitalien  gehörenden  Literaturquellen  ist  Henle^t  Eingeweidelehre.  2.  Bd.  2.  Lief. 


II.  \Veibliche  Geschlechtsorg^ane. 

§.  308.   Anatomischer  und  physiologischer  Charakter  der 

weiblichen  öescUechtsorgane. 

Die  weiblichen  Geschlechtsorgane  sind  mehr  in  die  Leibes- 
hOhlc  zurückgezogen  als  die  männlichen,  und  bilden  eine  Folge  von 
Schläuchen  oder  Höhlen,  welche  zuletzt  zu  einer  paarigen  abson- 
dernden Drtlse  —  den  Eierstöcken  —  führen,  die  als  keimbereitende 
Organe  den  weiblichen  Geschlechtscharakter  bestimmen. 

Die  männlichen  Genitalien  bestanden  vom  Anfange  bis  zum 
Ende  aus  paarigen  Abtheilungen,  (die  unpaarige  Harnröhre  gehörte 
dem  Harn-  und  dem  Zeugungsapparate  gemeinschaftlich  an);  bei 
den  weiblichen  Genitalien  ist  nur  der  Eierstock  und  sein  Ausfüh- 
rungsgang (Tuha)  paarig;  Gebärmutter  und  Scheide  unpaar.  —  Da 
die  weiblichen  Zeugungsorgane  während  des  Begattungsactes  einen 
Theil  der  männlichen  in  sich  aufnehmen,  und  der  befruchtete  Keim 
sich  in  ihnen  zur  reifen  Frucht  entwickelt,  so  müssen  die  Durch- 
messer ihrer  unpaarigen  Theile  absolut  grösser  als  die  männlichen 
sein,  und  in  der  Schwangerschaft  und  dem  Geburtsacte  noch  be- 
deutend vergrössert  werden  können.  —  Der  Mann  ist  bei  der 
Zeugung  nur  für  die  Momente  der  Begattung  interessirt ;  das  Ge- 
schlechtsleben des  Weibes  dagegen  erhält  durch  das  periodische 
Reifen  seiner  Eier  (Menstruation),  und  durch  die  lange  anhaltende 
Steigerung  seiner  bildenden  Thätigkeit  in  der  Schwangerschaft,  eine 
grössere  Bedeutung,  und  greift  in  die  übrigen  Lebensverrichtungen 
80  vielfach  ein,  dass  Störungen  seiner  Functionen  weit  häufiger 
als  im  männlichen  Geschlechte  zu  krankheiterregenden  Momenten 
werden. 


S.   309.  Eieratöoke.  709 

§.  309.  Eierstöcke. 

Die  Eierstöcke,  Ovaruif  sind  für  das  weibliche  Geschlecht, 
was  die  Hoden  für  das  männliche  waren:  keimbereitende  Organe, 
somit  das  Wesentliche  im  ganzen  Zeugungssystem.  Ihre  Gestalt, 
ihr  Bau,  ihr  Verhältniss  zum  Peritoneum,  erinnert  an  die  gleichen 
Verhältnisse  der  Hoden.  Sie  wurden  deshalb  schon  von  den  Alten 
Testes  muliebres  genannt.  Sie  liegen  in  der  Ebene  der  oberen 
Beckenapertur,  in  einer  Ausbuchtung  der  hinteren  Wand  des  brei- 
ten Gebärmutterbandes.  Denkt  man  sich  nämlich  die  Excavatio 
recUhvesicalts  durch  eine,  quer  von  einer  Seite  des  kleinen  Beckens 
zur  anderen,  gespannte  Bauchfellfalte,  deren  freier  Rand  nach  oben 
sieht,  in  eine  vordere  und  hintere  Abtheilung  gebracht,  und  stellt 
man  sich  vor,  dass  die  Gebärmutter  mit  ihren  beiden  Trompeten 
(Eileiter)  von  unten  her  in  die  Mitte  dieser  Falte  hineingeschoben 
wird,  ohne  sie  ihrer  ganzen  Breite  nach  auszuftlllen,  so  werden  die 
zwei  unausgeftülten  Theile  derselben,  welche  vom  Seitenrande  der 
Gebärmutter  zur  Beckenwand  laufen,  die  breiten  Mutterbänder  vor- 
stellen. Denkt  man  sich  nun  ebenfalls  die  Eierstöcke  in  diese 
breiten  Mutterbänder  hineingescl;ioben ,  und  in  eine  kleine  Aus- 
sackung des  hinteren  Blattes  derselben  hineingedrängt,  so  hat  man 
einen  Begriff  von  ihrer  Lage  und  ihrem  Verhältnisse  zum  Peritoneum. 
Der  zwischen  Eierstock  und  Tuba  befindliche  Theil  des  breiten 
Mutterbandes  heisst  bei  älteren  Autoren  Ala  vespei^ilionis. 

Die  Lage  der  Eierstöcke  weicht  jedoch  öfters  von  ätr  angegebenen  Regel 
ab.  Altersverschiedenheiten  und  krankhafte  Bedingungen  haben  auf  sie  gewich- 
tigen Einfluss.  Beim  Embryo  liegen  sie,  so  wie  die  Hoden,  ursprünglich  in  der 
Lendengegend.  Während  der  Schwangerschaft  erheben  sie  sich  mit  dem  in  die 
Höhe  wachsenden  Uterus,  und  liegen  an  den  Seiten  des  letzteren  an.  Kurz  nach 
der  Geburt  befinden  sie  sich  in  der  Fossa  iliaca.  Nicht  selten  sieht  man  einen 
derselben  an  der  hinteren  Fläche  der  Gebärmutter  anliegen.  Krankhafter  Weise 
erworbene  Adhärenzen  der  Eierstöcke  an  benachbarte  Organe,  bedingen  eine 
bleibende  Lageveränderung  derselben. 

Die  Gestalt  der  Eierstöcke  kann  eiförmig  genannt  werden. 
Das  stumpfe  Ende  sieht  nach  aussen^  das  schmächtige  gegen  die 
Gebärmutter ,  und  wird  durch  das  Ligamentum  ovarü  proprium  an 
letztere  gebunden.  Man  unterscheidet  an  jedem  Eierstocke  eine 
obere  und  untere  Fläche,  einen  vorderen  und  hinteren  Rand.  Bei 
Mädchen,  die  noch  nicht  menstruirten ,  sind  beide  Flächen  glatt, 
—  nach  wiederholter  Menstruation,  rissig  oder  gekerbt.  Unmittelbar 
vor  dem  Eintritte  der  ersten  Menstruation  sind  die  Eierstöcke  am 
grössten,  und  2V2  Loth  schwer.  Im  vorgerückten  Alter  verlieren 
sie  an  Grösse,  ändern  ihre  Gestalt,  werden  flacher,  härter  und 
länglicher,  und  sind  in  hochbejahrten  Frauen  auf  ein  Drittel  ihres 
Volumens,  und  darüber,  geschwunden. 


710  |.  810.  Bsn  der  Eientöcke. 


§.  310.  Bau  der  Eierstöcke. 

Das  Peritoneum  überzieht  die  Eierstöcke  nur  unvollständig, 
da  es  an  jenem  Rande  derselben,  welcher  dem  vorderen  Blatte  des 
breiten  Mutterbandes  zugekehrt  ist,  fehlt,  und  somit  hier  einen 
Theil  der  Oberfläche  untiberzogen  lässt,  wo  die  Blutgefässe  in  einer 
queren  Furche  {Hilua  ovarii)  ein-  und  austreten.  Unter  dem  Bauch- 
fellüberzuge,  und  fest  mit  ihm  verwachsen,  folgt  die  fibröse  Haut 
{Tunica  jyropia  8.  alhuginea),  welche  am  Uilus  durch  die  Blut- 
gefttsse  einfach  durchbohrt  wird,  ohne  scheidenartige  Fortsätze  filr 
sie  zu  erzeugen. 

Das  Parenchyin  des  Eierstockes  besteht  aus  einem  gefäss- 
reichen,  organische  Muskelfasern  enthaltenden  Bindegewebe,  Stroma 
avariij  in  welchem  eine  sehr  grosse  Anzahl  vollkommen  geschlosse- 
ner, mikroskopischer  Bläschen  eingesenkt  hegt.  He  nie  berechnete 
ihre  Menge  in  dem  Eierstocke  eines  achtzehnjährigen  Mädchens  auf 
36000,  Sappey  bei  einem  dreijährigen  Eünde  auf  400000.  Die 
grosse  Mehrzahl  derselben  verfällt  aber  dem  Verkümmern,  und  nur 
wenige  reifen  zu  voller  Ausbildung  heran.  Nur  die  grossen  und 
reifen  Bläschen  verdienen  den  Namen  der  Graafschen  Follikel, 
da  Regne rus  deGraaf  von  den  frülier  erwähnten  mikroskopischen 
Bläschen  keine  Kenntniss  hatte.  Die  Graafschen  FoUikel  werden 
von  einer  besonderen  Bindegewebsmembran  (Theca  folliculi)  ge- 
bildet, deren  gefässreiche  Innenfläche  mit  einer  structurlosen  Schicht, 
und  einem  auf  dieser  haftenden,  mehrschichtigen  Pflasterepithelium 
ausgekleidet  ist  (die  Memibrana  granulosa  der  Autoren).  Sie  ent- 
halten eine  hellgelbe ,  gerinnbare  Flüssigkeit,  Liquor  folliculi.  An 
der,  der  Oberfläche  des  Ovariums  zugekehrten  Seite  des  Graafschen 
Bläschens  (nach  Schrön  aber  gerade  an  der  entgegengesetzten), 
formiren  die  Zellen  des  Epitheliums  eine  dickere  Scheibe.  Diese 
Scheibe  heisst  Discus  oophorus  (unrichtig  Discus  prolig€fru8)j  in  dessen 
Mitte  das,  von  Baör,  1827  entdeckte,  menschliche  Ei,  Ovxdum,  liegt. 
Das  mit  freiem  Auge  sichtbare  Ei,  ist  ein  rundes  Bläschen,  von 
0,r"  Durchmesser.  Es  besteht  aus  Dotterhaut  {Zona  pellucida) 
und  Dotter  (Vitellus),  Der  Dotter  ist  eine  zähe,  und  an  Elementar- 
körnchen und  Fetttröpfchen  reiche  Flüssigkeit.  Drückt  man  das 
Ei  durch  ein  aufgelegtes  Glasplättchen  flach,  so  platzt  die  Dotter- 
haut mit  einem  scharfrandigen  Riss,  und  die  zähe  Dotterflüssigkeit 
tritt  heraus.  Der  Dotter  besitzt  bei  reifen  Eiern  einen  schönen, 
bläschenförmigen,  wasscrhellen  und  excentrischen  Kern,  von  0,02'" 
Durchmesser,  —  das  Keimbläschen  (Vesicula  germinativay  von 
Purkinje  entdeckt),  welches  aus  einer  unmessbar  feinen  Hülle 
mit   albuminösem,   klarem  Inhalt  besteht.     Das  Keimbläschen    um- 


S.  Sil.   Sohiclaale  dei  FoOieulu»  QraqfU  und  des  Eies.  711 

schliesst  einen  weisslichen  opaken  Fleck  ^  den  Keim  fleck  (Ma- 
cula germinativa) ,  welcher  an  die  Wand  des  Keimbläschens  anliegt. 
Vergleicht  man  nun  das  Ei  mit  einer  elementaren  Zelle,  so  ent- 
spricht die  Dotterhaut  der  Zellenwand,  der  Dotter  dem  Zellen- 
inhalt, das  Keimbläschen  dem  Kern,  und  der  Keimfleck  dem 
Kemkörperchen. 

Der  Discus  oophai^us  hat  an  den  Metamorphosen,  welche  das 
befruchtete  £i  erleidet,  keinen  Antheil.  Er  streift  sich  schon  theil- 
weise  während  des  Austrittes  des  Eies  aus  dem  Graafschen  Bläs- 
chen, und  gänzlich  während  seiner  Fortbewegung  durch  die  Tuba 
vom  Ei  ab. 

An  dem  Ovarium  eines  gesunden  Mädchens,  welches  während  der  ersten 
Menstruation  eines  zufälligen  Todes  starb,  und  durch  Prof.  Bochdalek*s  Güte, 
völlig  frisch,  mir  zur  Untersuchung  zugestellt  wurde,  fand  ich  den  geplatzten 
FoUicülua  Oraafii  b***  im  längsten  Durchmesser  haltend,  und  ein  £i  von  0,13''' 
Durchmesser  im  Eileiter.  Es  bestand  aus  einer  durchsichtigen  Hülle,  in  welcher 
eine  Dotterkugel  von  0,025"'  eingeschlossen  war.  Den  Raum  zwischen  Hülle  und 
Dotterhaut  schien  eine  Flüssigkeit  einzunehmen,  da  die  Dotterkugel  in  der 
Dotterhaut  durch  Druck  verschiebbar  war.  —  Wenn  das  Ei  noch  im  Diacua 
oophorus  liegt,  und  von  oben  besehen  wird,  so  bildet  die  dicke  Dotterhaut  einen 
kreisförmigen  durchsichtigen  Gürtel  um  den  Dotter.  Daher  rührt  der  Name 
Zona  peUucida,  Sie  ist  somit  kein  kreisförmiges  Gebilde  (wie  der  Name  aus- 
drückt), sondern  der  optische  Ausdruck  einer  durchsichtigen,  dickwandigen  Blase 
mit  undurchsichtigem  Inhalt  (Dotter). 

Der  von  Kobelt  genauer  untersuchte  Nebeneierstock  {Par- 
ovarium)  hat  keine  functionelle ,  sondern  nur  eine  morphologische 
Bedeutsamkeit.  Er  liegt  zwischen  den  Blättern  der  Ala  vespertilio- 
nisy  als  ein  Complex  von  15 — 20  länglichen,  vom  Hilus  ovarii  in 
die  Ala  vespertilionis  eindringenden  Kanälen,  von  0,15'" — 0,02'" 
Dicke,  an  beiden  Enden  blind,  und  eiweisshaltiges  Fluidum  enthal- 
tend. Die  Entwicklungsgeschichte  der  Genitalien  erkannte  in  ihnen 
den  Ueberrest  eines  embryonischen  Organs  —  des  Wol  ff  sehen 
Körpers  (§.  329).  —  Häufig  findet  sich  am  Eierstock,  oder  an  einer 
Fimbria,  ein,  der  Morgagni'schen  Hydatide  am  männlichen  Hoden 
ähnliches,  gestieltes  Bläschen. 

Das  Nähere  über  das  Verhältniss  des  Nebeneierstockes  zum  Wolff*- 
schen  Körper  des  Embryo  enthält  Kobelfa  interessante  Schrift:  Der  Nebeneier- 
stock des  Weibes,  das  längst  vermisste  Seitenstück  des  Nebenhoden  des 
Mannes,  etc.    Heidelberg,  1847. 

§.  311.  Schicksale  des  Folliculus  Graafii  und  des  Eies. 

Die  Grösse  der  Graafschen  Bläschen  variirt  in  einem  und 
demselben  Eierstocke.  In  der  Regel  sind  die  der  Oberfläche  näher 
gelegenen  grösser,  somit  auch  zum  Aufbräche  reiÜB^  ^«  ^^^ 
ragen  über   die  Fläche   des  Eientoeke^ 


712  §•  Sil«  Schicksale  des  Foüieului  Oraqfii  und  des  Eiei. 

werden,  da  die  Tunica  alhuginea  an  jenen  Stellen  dünner  und  durdi- 
scheinend  wird,  leicht  gesehen.  Durch  Negrier's  und  Bischoffs 
Untersuchungen  wurde  nun  constatirt,  dass  sich  in  der  Brunstzeit 
der  Thiere,  und  bei  jeder  Menstrualperiode  des  Weibes,  ein  GraaT- 
scher  Follikel  an  seinem  vorragendsten  Theile  durch  Dehiscenz 
öffnet,  und  der  Liquor  folliculi,  sammt  dem  Diacus  oophortis  und  dem 
darin  eingebetteten  Ei,  in  die  Tuba  entleert  wird,  deren  Flimmer- 
strom das  Ei  in  die  Gebännuttcrhöhle  führt.  {Bischoffs  Beweis  der 
von  der  Begattung  unabhängigen  periodischen  Reifung  und  Los- 
lösung  der  Eier,  etc.  Giesscn,  1844).  Nach  dieser  Berstung  des 
Graafschen  Follikels,  welche  man  lange  nur  als  die  unmittelbare 
Folge  eines  vollzogenen  Beischlafes  ansah,  sinkt  seine  Wand  faltig 
zusammen,  und  wird  seine  Höhle  durch  ergossenes  Blut  und 
durch  ausgeschwitztes  Blastem  ausgeftlllt,  welches  letztere  sich 
zu  Bindegewebe  organisirt  imd  häufig  wie  ein  lockerer  Schwamm 
aus  der  Ocffnung  des  Bläschens  hervorwuchert.  Durch  eine  Reihe 
von  Metamorphosen  schwindet  diese  wuchernde  Masse  wieder, 
schrumpft  zusammen,  und  reducirt  sich  zuletzt  auf  einen  rundlichen 
Körper,  welcher  die  Stelle  des  Graafschen  Follikels  einnimmt,  und 
seiner  gelbröthlichen  Farbe  wegen  Corpus  luteum  genannt  wird.  Die 
vernarbte  Oeffnung  des  Graafschen  Follikels  heisst  Cicatrix.  Die 
gelbliche  Farbe  verdanken  die  Co)j>ora  lutea  einem  gelbhchen  Fette, 
welches  in  ihnen  abgelagert  wird.  Da  dieses  Fett  in  Weingeist 
löslich  ist,  so  erklärt  sich  hieraus,  warum  die  gelben  Körper,  wenn 
sie  in  Spiritus  aufbewahrt  werden,  ihre  Farbe  verlieren.  Je  grösser 
die  Zahl  der  vorausgegangenen  Menstruationen,  also  je  älter  das 
Individuum,  desto  narbenreicher  erscheinen  die  Eierstöcke.  Bei 
einem  Mädchen,  welches  nach  der  achten  Menstruation  an  Lungen- 
entzündung starb,  fand  ich  in  jedem  Eierstocke  4  Narben.  —  Da 
der  Same  in  der  That  durch  die  Tuben  bis  auf  den  Eierstock  ge- 
langt, so  wird  wohl  in  der  Regel  die  Befruchtung  des  Eichens 
unmittelbar  bei  seiner  Trennung  vom  Eierstock  selbst  stattfinden. 
Es  ist  jedoch  nicht  unmöglich,  dass  ein  bei  der  Menstruation  des 
Weibes  vom  Eierstocke  in  die  Tuba  gelangtes  Ei,  in  ihr,  oder 
vielleicht  erst  in  der  Uterushöhle,  diu'ch  den  Samen  einer  mittler- 
weile stattgefundenen  Begattung  befruchtet  wird.  —  Die  Corpora 
lutea,  welche  nach  dem  Austritte  eines  befruchteten  Eies  ent- 
stehen, sind  bedeutend  grösser,  als  jene,  welche  sich  nach  dem 
Austritte  eines  nicht  befruchteten  Eies  (bei  der  Menstruation) 
bilden.  Der  lang  andauernde  Reizungszustand,  welchen  die  fer- 
nere Entwicklung  eines  befruchteten  Eies  während  der  Schwanger- 
schaftsdauer im  weibhchen  Geschlechtsorgan  unterhält,  wird  nämlich 
eine  copiösere  Ausschwitzung  von  plastischer  Masse  im  geborstenen 
Graafschen  Follikel  veranlassen,   als  die  nach  wenig  Tagen  wieder 


§.  819.  Oebftrmiitler.  AeiUB«re  YeibUtnisM  darselbea.  713 

schwindende  Gefässaufregung  im  Eierstocke  während  der  Menstrua- 
tion. Man  unterscheidet  deshalb  wahre  und  falsche  Corpora  lutea. 
—  Dass  sich  auch  ausser  der  Menstruation  durch  einen  befruch- 
tenden Beischlaf  ein  Qraaf scher  Follikel  öffnen,  und  sein  Ei  ent- 
leeren könne,  ist  eine  Vermuthung,  welche  durch  Bischoffs 
Arbeiten  zwar  nicht  als  unmöglich  erscheint,  aber.  Alles  erwogen, 
sehr  unwahrscheinlich  klingt. 

So  weit  wäre  nun  Alles  recht.  Nur  begreift  man  dabei  nicht, 
warum  die  Frauen  nicht  fortwährend  schwanger  sind,  da  es  doch  bei 
gesundem  Zustande  des  Eierstockes  nicht  an  der  inneren  Bedingung 
dazu,  und  ebensowenig  an  der  objectiven  äusseren  Bedingung  erlaub- 
ter oder  unerlaubter  Weise  fehlt. 

Wenn  nun  das  Oyariom  bei  jeder  Menatruation  ein  Ei  verliert,  and  dessen 
Graafsche  Hülle  zu  einem  Corpus  luteum  verödet,  so  muss  sein  Vorrath  an  Eiern 
einmal  erschöpft  werden,  und  entwickeln  sich  mittlerweile  keine  neuen  mehr,  so 
erlischt  das  weibliche  Zeugungsvermögen,  was  durch  das  Schweigen  der  Menstrua- 
tion vor  den  Fünfziger  Jahren  (anni  elimacterici)  angezeigt  wird. 


§.  312.  öebärmutter.  Aeussere  Verhältnisse  derselben. 

Die  Gebärmutter,  Uteinis  s,  Matrix,  lagert  als  ein  unpaariges, 
hohles,  aber  dickwandiges  Organ,  zwischen  Blase  und  Mastdarm. 
Sie  brütet,  so  zu  sagen,  das  empfangene  Ei  aus,  denn  in  ihr  geht 
die  Entwicklung  des  Embryo  vor  sich.  Sie  hat  eine  länglich  bim- 
förmige,  von  vom  nach  hinten  etwas  abgeplattete  Gestalt.  Ihre 
lange  Axe  steht  nahezu  senkrecht  auf  der  Conjugata,  mit  geringer 
Abweichung  nach  rechts,  (wahrscheinlich  wegen  linkseitiger  Lage 
des  Mastdarmes).  Ihr  breiter  und  dicker  Grund,  Fundus,  liegt  in 
der  Ebene  der  oberen  Beckenappertur.  Er  ist  nach  oben  und 
vorn  gerichtet,  während  ihr  sich  verschmächtigender,  cylindrischer 
Hals,  Collum  s.  Cervix,  nach  unten  und  hinten  sieht.  Zwischen 
Grund  und  Hals  liegt  der  Körper  der  Gebärmutter.  Die  Inser- 
tionsstellen  der  beiden  Eileiter  trennen  ihn  vom  Grunde.  Eine  be- 
sonders bei  jugendlichen  Personen  deutUche  Einschnürung,  bezeich- 
net die  Grenze  zwischen  Körper  und  Hals.  Der  unterste  Theil  des 
Halses  ragt  in  die  Mutterscheide  hinein  (welche  sich  rings  um  ihn 
anschliesst,  wie  eine  Calix  renum  um  eine  Nierenwarze),  und  heisst 
Scheidentheil  der  Gebärmutter,  Portio  vaginalis  uteiH.  Die  vor- 
dere Fläche  des  Körpers  der  Gebärmutter  ist  flacher  als  die  hintere, 
und  zugleich  von  oben  nach  unten  etwas  concav,  um  sich  besser  an  die 
hintere  Fläche  der  vollen  Harnblase  anzuschmiegen.  Die  Seitenränder, 
welche  die  vordere  und  hintere  Uterusfläche  von  einander  trennen, 
dienen  den  breiten  Mutterbändem,  lÄQoaM^*^  wAlche  in  den 

äusseren  serösen  Ueberzug  der  0 


714  !•  81S.  Oebännntter.  Aeufare  VerhiltiiiMe  derMlb«B. 

Die  Grösse  der  Gebärmutter  anzugeben^  ist  eine  missliche  Sache. 
Begreiflicher  Weise  wird  sie  bei  Jungfrauen  und  Müttern  eine  an- 
dere sein.  Bei  ersteren  misst  die  Länge  der  Gebärmutter  im  Mittel 
3  Zoll,  ihre  Breite  am  Grunde  2  Zoll,  ihre  Dicke  ebenda  1  Zoll 

Die  runden  Mutterbänder,  Ligamenta  rotunda,  sind  wahre 
Verlängerungen  der  Gebärmuttersubstanz,  welche  von  den  Seiten 
des  Grundes  als  rundliche,  in  der  vorderen  Lamelle  der  breiten 
Mutterbänder  eingeschlossene  Stränge  abgehen,  und  durch  den  Lei- 
stenkanal zur  äusseren  Schamgegend  verlaufen,  wo  sie  sich  im 
Gewebe  der  grossen  Schamlippen  verlieren.  Nebst  den  breiten  and 
runden  Mutterbändem  tragen  die  faltenartigen  Uebergangsstellen 
des  Bauchfells  von  der  Blase  zum  Uterus  (Ligamenta  ve^ico-uterina), 
und  vom  Rectum  zum  Uterus  (Ligamenta  recto-uterina)  zur  Siche- 
rung der  Lage  der  Gebärmutter  bei,  und  werden  dies  um  so  leichter 
thun,  da  sie  wirkliche  Bandfasern  von  bedeutender  Stärke  ein- 
schliessen,  welche  der  Fascia  hypogastrica  angehören. 

Am  meisten  individuelle  Verschiedenheiten  bietet  die  Portio  va^maUt  vUn 
dar.  Durch  Schwangerschaft  ausgedehnt,  nimmt  der  äussere  Muttermund  (§.  313) 
nie  wieder  seine  querspaltige  Qestalt  an,  sondern  wird  rundlich,  klafft  mehr, 
und  seine  Umrandung  erscheint  gekerbt,  durch  Risse,  die  das  Oatium  itUri 
vaginale  bei  Erstgebärenden  erleidet.  Die  Länge  der  Portio  vaginali»  differiit 
von  3'" —  V/2"  (Lisfranc).  Nach  wiederholten  Geburten  kann  sie  ganz  ver- 
streichen, und  der  Muttermund  steht  dann  am  obersten  blinden  Ende  der  Scheide. 
Das  knorpelharte  Anfühlen  der  Lippen  eines  jungfräulichen  Muttermundes  (ähn- 
lich der  Mundspalte  einer  Schleie,  Cyprinua  tinca)^  hat  zu  der  Benennimg 
Oa  tincae  {museau  de  tanche)  Anlass  gegeben,  welches  zu  meiner  Schülerzeit  noch 
mit  Tinkaknochen  übersetzt  wurde.  Zuweilen  erscheint  die  Portio  vagmaHt 
schief  abgestutzt,  welche  Form  Ricord  als  col  tapiro'id  (SchweinsrOssel,  Hnnds- 
schnauze  uni^rer  gebildeten  Hebammen)  bezeichnet.  —  Für  die  manuelle  Ex- 
ploration der  Gebärmutter  zu  praktischen  Zwecken,  ist  es  notbwendig  zu  wissen, 
dass  sie,  durch  ihre  eigene  Schwere,  bei  aufrechter  Stellwig  des  Weibes  tiefer 
zu  stehen  kommt,  ja  der  Scheidentheil  so  weit  herabrückt,  dass  er  mit  dem 
Finger  leicht  zu  erreichen  ist.  Jede  Action  der  Bauchpresse  treibt  den  Uterni 
tiefer  in  die  Beckenhöhle  herab. 

Nach  vorausgegangenen  Geburten  nimmt  der  Uterus  nie  wieder  seine 
jungfräulichen  Dimensionen  an,  und  rückt,  wegen  Relaxation  seiner  Befestigun- 
gen, etwas  tiefer  in  die  Beckenhöhle  herab,  was  auch  vorübergehend  bei  jeder 
Monatreinigung  der  Fall  ist  —  Die  Nachbarorgane  der  Gebärmutter,  welche  bei 
deren  Vergrösserung  in  der  Schwangerschaft  durch  Druck  zu  leiden  haben,  er- 
klären die  Stuhl-  und  Hambeschwerden,  das  schwere  Athmen,  die  Gelbsucht, 
das  Anschwellen  der  Füsse,  das  Einschlafen  derselben,  das  Hartwerden  und 
Vorstehen  des  Unterleibes,  und  die  dadurch  bedingte  stärkere  Biegung  des 
Oberleibes  nach  hinten,  mit  Vermehrung  der  Lendencurvatur  der  Wirbelsäule, 
um.  die  Schwerpunktslinie  zwischen  den  Beinen  zu  erhalten.  Man  kennt  es 
aus  letzterem  Grunde  einer  Frau  auch  von  rückwärts  an,  ob  sie  guter  Hoff- 
nung ist. 


|.  818.   Oeb&n&iitterhfiUe.    f.  814.  Bau  der  Geb&n&ntter.  715 

§.  313.  Sebännutterliölile. 

Die  Gebärmutterhöhle  {Cavum  uteri)  muss,  im  Verhältnisse 
zur  Grösse  des  Organs,  klein  genannt  werden.  Ihre  Gestalt  gleicht 
im  Durchschnitte  (bei  Frauen,  die  noch  nicht  geboren  haben), 
einem  Dreieck  mit  eingebogenen  Seiten.  Die  Basis  des  Dreieckes 
entspricht  dem  Grunde  der  Gebärmutter, —  die  beiden  Basalwinkel 
enthalten  die  Einmündungen  der  beiden  Eileiter,  —  die  untere  Spitze 
des  Dreieckes  setzt  sich  in  einen,  durch  die  Achse  des  Gebär- 
mutterhalses in  die  Scheide  herablaufenden  ELanal  fort,  Canalis  cer- 
vicis  uteri.  Dieser  ist  in  der  Mitte  seiner  Länge  weiter  als  an  seinem 
oberen  und  unteren  Ende.  Das  mit  der  Gebärmutterhöhle  in  Zu- 
sammenhang stehende  obere  Ende  heisst:  innerer  Muttermund 
(^Qrißcium  uterinum),  und  das  untere,  in  die  Scheide  führende:  äusse- 
rer Muttermund  (Orißcium  vaginale).  Letzterer  ist  bei  Frauen, 
die  noch  nicht  geboren  haben,  eine  quere  Spalte,  mit  einer  vorde- 
ren längeren,  und  einer  hinteren  kürzeren  Lippe  {Labium  anterius 
et  posterius);  bei  Weibern  dagegen,  welche  schon  öfters  geboren 
haben,  von  rundlicher  Form.  —  Die  vordere  und  hintere  Wand  der 
Uterushöhle  stehen  in  genauem  Contact,  und  die  Höhle  kann  somit 
kein  eigentlicher  Hohlraum  mit  abstehenden  Wänden  sein,  sondern 
bildet  sich  erst,  wenn  die  zusammenschiiessenden  Wände  durch  was 
immer  für  einen  Einschub  von  einander  entfernt  werden. 

§.  314.  Bau  der  öebärmutteL 

Man  unterscheidet  an  der  Gebärmutter  drei  Schichten. 

Die  äussere  gehört  dem  Bauchfell  an,  welches  von  der  hin- 
teren Blasenfläche  auf  die  vordere  Gebärmutterfläche  gelangt,  den 
Grund  und  die  hintere  Fläche  des  Uterus  überzieht,  und  an  den 
Seitenwänden  mit  den  breiten  Mutterbändem  zusammenfliesst. 

Die  innere  ist  eine  Schleimhaut,  welche  sich  in  die  Eileiter 
fortsetzt.  Sie  besitzt  Flimmerepithel  bis  beiläufig  in  die  Mitte  des  Canor 
IIa  cervicis  uteri  herab,  wo  Pflasterepithel  beginnt.  Sie  lässt  sich  nur 
mit  der  grössten  Vorsicht  als  continuirUche  Membran  anatomisch 
darstellen,  da  sie  mit  der  nächst  an  sie  grenzenden,  mittleren  Schichte 
der  Gebärmutter,  ohne  Vermittlung  eines  submucösen  Bindegewebes, 
auf  das  Genaueste  zusammenhängt.  Im  Cet^ix  uteri  bildet  sie,  an 
der  vorderen  und  hinteren  Wand  des  Canalis  cervicis,  eine  longitu- 
dinale  Falte,  von  welcher  seitwärts  kleinere  Fältchen  schief  abgehen, 
welche  zusammengenommen  dem  Schafte  einer  Feder  mit  der  Fahne 
gleichen,  und  Palmae^  plicatae  s.  Arbor  rdtae  «•  j  ** 
den.    Zwischen  den  F&Itchen  finden  noh 


716  §.  814.  Baa  der  Oeb&nnvtter. 

und  zerstreute,  vollkommen  geschlossene,  über  die  Fältchen  vor- 
ragende Follikel  (vielleicht  infarcirte  SchleimdrtlBchen),  welche  Omla 
Nabothi  heissen.  In  der  unteren  Hälfte  des  Canalis  cervicü,  so  wie 
auf  der  Gesammtoberfläche  der  Pars  vaginalis  uteri ,  besitzt  die 
Schleimhaut  eine  bedeutende  Menge  nervenreicher  Papillen,  und 
erhält  dadurch  einen  Grad  von  Empfindlichkeit,  welcher  den  eigent- 
lichen Sitz  des  weiblichen  WoUustgefllhles  bei  der  Begattung,  in 
dem  Scheidentheil  der  Gebärmutter  annehmen  lässt.  —  Im  Camm 
uteri  erscheint  die  Schleimhaut  vollkommen  faltenlos,  und  sehr  reick 
an  röhrenförmigen,  ungetheilten  oder  gabelig  gespaltenen  Drüschen 
{Glandulae  utriculares)  von  0,5'"  Länge,  und  0,02'"  Weite,  welche 
im  Verlaufe  der  Schwangerschaft  eine  auffallende  Entwicklung  er- 
reichen. Die  Menge  dieser  Drüschen  ist  so  bedeutend,  dass  sie  die 
eigentliche  bindegewebige  Grundlage  der  Schleimhaut  fast  völlig 
verdrängen.  —  In  der  Periode  der  monatUchen  Reinigung  lockert 
sich  die  Uterusschleimhaut,  wird  3 — 4mal  dicker,  und  wirft  ihr 
Epithel  ab,  welches  alsbald  durch  neues  ersetzt  wird.  In  der  Schwan- 
gerschaft schält  sich  die  Schleimhaut  gänzlich  vom  Uterus  ab,  und 
wird  als  Membrana  decidvu  sammt  den  Hüllen  der  Frucht  ausge- 
stossen.  Schon  während  des  Abschälens  der  alten  Schleimhaut  be- 
ginnt die  Bildung  der  neuen. 

Die  mittlere  Schichte  der  Gebärmutter  bildet  die  eigentliche 
Gebärmuttersubstanz,  welche,  bei  dem  Missverhältnisse  des  Volu- 
mens zur  kleinen  Höhle  des  Uterus,  eine  bedeutende  Dicke  haben 
muss,  und  zugleich  ein  so  dichtes  Gewebe  besitzt,  dass,  nach  dem 
Gefühle  zu  urtheilen,  die  Gebärmutter,  nächst  der  männlichen  Pro- 
stata, das  härteste  Eingeweide  ist.  Vielleicht  beruht  eben  hierauf 
die  grosse  Geneigtheit  beider  Organe  zu  jenen  Erkrankungen, 
welche  man  unter  dem  Namen  Verhärtungen  zusamtnenfasst.  Sie 
besteht  vorzugsweise  aus  Bündeln  organischer  Muskelfasern,  welche 
in  jeder  Richtung  sich  kreuzen,  und  durch  ein  homogenes,  oder 
schwach  gefasertes,  kemführendes  Bindegewebe  so  innig  mit  einander 
verbunden  werden,  dass  eine  Trennung  derselben  in  Schichten  kaum 
ausführbar  wird.  Man  kann  Längen-  und  Kreisfaserbündel  unter- 
scheiden. Letztere  haben  die  drei  Oeffnungen  des  Uterus  zu  ihren 
Mittelpunkten,  erstere  gehen  schlingenförmig  von  der  vorderen  zur 
hinteren  Fläche.  Bindegewebe  und  Blutgefässe  nehmen  die  Zwischen- 
räume der  sich  verkreuzenden  Muskelfaserbündel  ein. 

Im  schwangeren  Zustande  imponiren  die  Muskelbündel  durch  ihre  hin^ 
und  Dicke,  und  werden  durch  neu  entstandene  an  Zahl  so  bedeutend  vermehrt, 
dass  die  Zusammenziehungen  der  Gebärmutter  die  grössten  Gebortshindemiflse 
zu  überwältigen  vermögen,  und  selbst  Schwangere,  an  denen  der  Kaiserschnitt 
vorbereitet  wurde,  durch  eine  letzte  Wehenanstrengung  auf  natürlichem  Wege 
gebaren.  —  Die  Muskelfasern  der  Gebärmutter  setzen  ^ich  in  die  runden  Matter- 
bänder, in   das   Ligamentum   ovarii  proprium^   und   in    die   Eileiter    fort.    Selbst 


S.  815.  EUeiter.  717 

zwischen  den  Blftttem  der  breiten  Gebärmntterbänder  hat  man  Muskelfasern  ^e- 
funden,  welche  mit  jenen  der  Gebärmutter  in  Verbindung  stehen. 

Die  Arterien  der  Gebärmutter  verlaufen  im  nicht  schwangeren  Zustande 
in  kurz  gewundenen,  im  geschwängerten  dagegen  in  langgezogenen  Spiralen. 
Die  Venen  sind  mit  der  sie  umgebenden  Uterussnbstanz  auf  das  Innigste  ver- 
wachsen. Sie  nehmen  während  der  Schwangerschaft  in  so  erstaunlicher  Weise 
an  Dicke  zu,  dass  sie  sich  beim  Durchschnitte  als  klaffende,  fingergrosse  Lücken 
zeigen,  welche  man  früher  für  Sinus  hielt.  —  Am  Ostium  abdominale  tuhae  geht 
die  Schleimhaut  der  Tuba  in  das  seröse  Bauchfell  über  —  der  einzige  Fall  des 
Uebergangs  einer  Schleimhaut  in  eine  seröse  Haut. 

Es  handelt  sich  in  praxi  öfters  darum,  zu  entscheiden,  ob  eine  tiefere 
Stellung  des  Uterus  im  Becken  durch  abnorme,  angeborne  Kürze  der  Vagina, 
oder  durch  Relaxation  der  Befestigungsmittel  des  Uterus  bedingt  ist.  Im  ersteren 
Falle  kann  der  Uterus  durch  den  in  die  Vagina  eingeführten  Finger  nicht 
emporgehoben  werden,  was  im  letzteren  Falle  leicht  gelingt.  Die  angeborene 
Kürze  der  Vagina  ist  ein  wichtigerer  Formfehler,  als  es  auf  den  ersten  Blick 
erscheint.  Er  macht  die  Begattung  schmerzhaft,  und  unterhält  dadurch  einen 
chronischen  Reizungszustand  in  der  Gebärmutter,  welcher  zu  bedenklichen  Folge- 
übeln führen  kann.  Cruveilhier  hat  in  einem  solchen  Falle  das  Ostium  uteri 
so  erweitert  gefunden,  dass  kein  Zweifel  obwalten  konnte,  der  Penis  habe,  durch 
sein  Eindringen  bis  in  die  Höhle  des  Uterus,  diese  Erweiterung  erzeugt.  Eine 
andere  Consequenz  der  abnormen  Kürze  der  Scheide,  ist  eine  durch  die  Be- 
gattung bedingte,  derartige  Verlängerung  des  hinter  der  Pars  vaginalis  uteri  be- 
findlichen Scheidengrundes  {Je  vagin  artificiel  bei  französischen  Autoren),  daas 
diese  künstlich  entstandene  Scheidenverlängerung,  die  Länge  der  natürlichen 
Scheide  noch  übertrifft. 


§.  315.  Eileiter. 

Hinter  den  runden  Mutterbändem  gehen  vom  Fundus  der 
Gebärmutter  die  beiden  Eileiter  oder  Muttertrompeten  ab,  Ovi- 
ductus  8.  Tuhae  Fallopianaej  welche  mehr  weniger  geschlängelt,  im 
oberen  oder  freien  Rande  der  breiten  Mutterbänder  liegen.  Ihre  mit 
der  Gebärmutter  zusammenhängende  innere  Hälfte,  besitzt  nur  ein 
äusserst  enges  punktförmiges  Lumen.  Sie  wurde  von  Barkow  Isth- 
mus genannt.  Ihre  äussere  Hälfte  dagegen  erweitert  sich  zur  soge- 
nannten Ampulla  (He nie).  Während  man  im  Alterthume  das  vom 
Eierstock  zum  Gebärmuttergrund  gehende  Ligamentum  ovarii  pro- 
prium für  den  Ausfllhrungsgang  des  Eierstockes  hielt,  und  ihn  die- 
ser Idee  entsprechend  Ductus  ejaculatorius  femininus  nannte,  zeigte 
Fallopia  zuerst,  dass  die  von  ihm  als  Tu&a^  bezeichneten  Kanäle, 
die  wahren  Ausftihrungsgänge  des  Eierstockes  sind.  Deshalb  führen 
sie  auch  seinen  Namen.  Jede  Tuba  bildet  einen,  etwa  4"  langen 
Kanal,  welcher  zwar  mit  der  Höhle  der  Gebärmutter  durch  das 
sehr  enge  Ostium  tubae  uterinum  zusammenhängt,  an  Beme" 
ren  Ende  aber,  welches  vor  und  unter  dem  ( 
mit  dem  Eierstocke  in  Verbindung  itdkt- 


718  I-  *^'  lOtitor. 

offenen  Mündung  (Ostium  tubae  abdominale)  in  den  Bauchfellsack 
sich  öffnet.  Diese  Oeffnung  erscheint  trichterförmig,  und  mit  ge- 
zackten Fransen^  Fimbriae  s.  Laciniae  (von  XoocC^,  der  Zipf  eines 
Kleides),  besetzt,  welche  ihr  das  Ansehen  geben,  als  wäre  die  Oeff- 
nung durch  Abbeissen  oder  Abreissen  entstanden.  Daher  schreibt 
sich  der  bei  den  Alten  gebräuchliche  Name:  Morsus  diaholL  Der  böse 
Feind  hat  seit  Eva's  Zeiten  mehr  mit  der  Weiber-  als  Männerwelt 
zu  schaffen  gehabt.  Der  Schwabenspiegel  (1273)  sagt  deshalb: 
MuUei'  ettt  malhms,  per  qfiem  diabolus  moUü  et  malleat  Universum 
mundum. 

Die  Eileiter  besitzen  drei  Wandschichten:  eine  äussere  Peri- 
tonealliüUe,  eine  innere  Schleimhaut  mit  Flimmerepithel,  und  eine 
dazwischen  liegende,  aus  einem  äusseren  longitudinalen,  und  inneren 
kreisförmigen  Stratum  bestehende  Muskelhaut.  Die  aus  reticulärem 
Bindegewebe  aufgebaute  Schleimhaut,  besitzt  nur  in  der  Ampulla 
blinddarmffirmige  Drüschen,  und  eben  daselbst  auch  mehrere  fal- 
tige, weit  vorspringende  Erhebungen,  mit  seitlichen  Nebenfalten, 
wodurch  die  aufgeschnittene  Tuba  an  dieser  Stelle  ein  zottiges  An- 
sehen darbietet.  Das  Flimmerepithel  der  Schleimhaut  der  Tuba  setzt 
sich,  über  den  Rand  des  Oatium  abdominale  tubae  hinaus,  auch  auf 
die  äussere  Fläche  der  Fimbrien  fort  (Henle). 

Die  Fransen  des  Ostium  al^dominal^  tubae  sollen  das  Ovarium  in  jenem 
Momente  umfassen,  in  welchem  durch  Berstung  eines  Graafschen  Follikels  ein 
Ei  nun  dem  Eierstocke  abgeht  So  stellt  man  sich  wenigstens  die  Sache  vor, 
obwohl  es  mir  nicht  recht  einleuchtet,  wie  die  dünnen  Fransen  bei  dem  voll- 
kommenen Mangel  an  freiem  Bewcgungsspielraum  in  der  geschlossenen  Unter- 
leibshöhlc,  sich  zu  einer  solchen  Umklammerung  anschicken  sollen.  Man  müsste 
ferner  den  Fransen  des  Eileiters  eine  Art  von  Instinkt  zuschreiben,  sich  gerade 
an  jenen  Stellen  des  Eierstockes  anzuklammern,  wo  eben  ein  Follikel  zu  ber- 
sten im  Begriffe  ist.  Ich  war  nicht  im  Stande,  durch  Galvanisiren  der  Eileiter 
bei  Thiercn,  eine  Umklammerung  der  Eierstöcke  durch  die  Fransen  des  Infun- 
dibulum  hervorzurufen.  Die  Art  und  Weise,  wie  der  Uebertritt  des  Eies  aus  dem 
Eierstock  in  die  Tuba  bewerkstelligt  wird,  liegt  noch  im  Dunkel.  Dass  die  von 
D  e  1  i  1 1  e  zuerst  erwähnte ,  und  von  Henle  als  Fimhria  oanca  bezeichnete 
Franse,  bei  der  Ueberfilhrung  des  Eies  in  die  Eileiter  betheiligt  sein  kann,  will 
ich  nicht  in  Abrede  stellen.  Diese  Franse  ist  länger  und  breiter  als  die  übrigen, 
geht  mit  dem  äusseren  Ende  des  Eierstockes  eine  Verbindung  ein,  und  faltet 
sich  zugleich  der  Länge  nach  so,  dass  sie  eine  Rinne  bildet,  längs  welcher  das 
Ki  seinen  Weg  zum  Trichter  der  Tuba  finden  mag.  Henle  lässt  das  vom  Ova- 
rium ausgestosscnc  Ei,  durch  die  Flimmerbewegung  der  Fimbria  oarica  gleich- 
sam einfangen,  und  in  das  Ottium  tubae  geleiten.  Die  Beobachtung  Thiry's 
(Göttinger  Nachrichten,  1862,  pag.  171),  dass  sich  bei  den  Batrachiern,  deren 
Oviducte  sich  weit  vom  Eierstock  entfernt  öffnen,  während  der  Brunst  förmliche 
Strassen  von  Flimmerepithel  auf  dem  Peritoneum  entwickeln,  welche  gegen  die 
Oeffnung  der  Oviducte  convergircn,  gewährt  dieser  Ansicht  eine  mächtige  Stütze. 
—  Das  von  der  Tuba  aufgefangene  Ei  wird  durch  sie  in  den  Uterus  geleitet, 
in  dessen  Höhle  es,  wenn  es  mittlerweile  nicht  befruchtet  wurde,  durch  Aufsaa- 
gong  verschwindet,   aber   weitere   Umbildimgen  erfUirt,   wenn   es  die  belebende 


§.  816.  Miittanohaide.  719 

Einwirkung  des  männlichen  Samens  erfuhr.  —  Nach  Richard's  Beobachtungen 
(Th^se  inaugurale,  Paris,  1851)  kommen  zuweilen  an  den  Tuben,  ausser  den 
beiden  endständigen  Oeffnungen,  noch  gefranste  Seitenöffnungen  vor.  Sie  wurden 
in  30  untersuchten  Fällen  fünfmal  gesehen,  und  zwar  entweder  in  der  Nähe  des 
0*tium  abdominale  oder  in  der  Längenmitte  der  Tuba.  In  einem  Falle  war  eine 
solche  Seitenöffnung  in  eine  kurze  membranöse  Röhre  ausgezogen.  Ich  habe 
eine  derartige  Nebenöffnung  nur  einmal  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  eigent- 
lichen Ostiuni  abdominale  tubae  angetroffen.  Auch  andere  Anatomen  waren  nicht 
glücklicher. 


§.  316.  Mutterscheide. 

Die  Mutterscheide  oder  Scheide,  Vagina  (entgegen  der 
Regel  propria  quae  maribtis,  im  Französischen  als  „fe  vaginf^  generis 
maactdtnijj  ftthrt  vom  Uterus  zur  äusseren  Scham.  Im  Paarungsacte 
nimmt  sie  das  männliche  Glied  vaginae  ad  instar  auf,  —  daher 
ihr  Name.  Ihre  Länge  wird  auf  4  Zoll  angegeben.  Dieses  ist  un- 
richtig für  die  Vagina  in  sitUy  welche  in  der  Regel  nur  2y2  Zoll 
lang  gefunden  wird.  Wo  müsste  bei  4  Zoll  Länge  der  Scheide,  der 
2"  lange  Uterus  mit  seinem  Grunde  stehen?  Gewiss  nahe  2  Zoll 
über  dem  Niveau  der  oberen  Beckenapertur,  was  nicht  der  Fall 
ist.  Der  Querdurchmesser  der  Scheide  beträgt,  bei  gebührlicher  Weite, 
nur  1  Zoll. 

Die  Scheide  beginnt  in  der  äusseren  Schamspalte  mit  dem 
senkrecht  eliptischen  Scheideneingang,  Ostium  vaginae,  welcher 
der  engste  und  am  wenigsten  nachgiebige  Theil  der  ganzen  Scheide 
ist,  und  bei  der  ersten  Begattung  dem  Eindringen  des  Penis  stär- 
keren Widerstand  leistet,  als  das  Jungfernhäutchen.  £r  steht  noch 
überdies  unter  dem  Einfluss  eines  der  Willkür  gehorchenden  Mus- 
kels, des  Scheidenschnürers,  Constrictor  cunni,  von  welchem  spä- 
ter mehr. 

Die  Scheide  liegt  zwischen  Harnblase  und  Mastdarm  {inter 
fecea  et  urinas  nascimury  klagt  der  Kirchenvater),  und  endigt  nach 
oben  mit  dem  Scheidengewölbe,  Fomix,  in  welches  die  Pars 
vaginalis  uteri  als  stumpfer  kegelförmiger  Vorsprung  hineinragt,  und 
das  Scheidengewölbe  in  ein  vorderes  seichteres,  und  hinteres  tie- 
feres trennt.  Ihre  Axe  stimmt  mit  der  Axe  des  kleinen  Beckens 
ttberein,  ist  somit  ein  Segment  einer  Kreislinie,  dessen  Concavität 
nach  vorn  sieht.  Dieses  Umstandes  wegen  wird  die  vordere  Wand 
der  Scheide  etwas  kürzer  sein  müssen,  als  die  hintere,  und  das 
Scheidengewölbe  hinter  der  Portio  vaginalis  uteii  tiefer  erscheinen, 
als  vor  derselben.  —  Die  vordere  und  die  hintere  Wand  der  Scheide 
stehen  im  Leben  nicht  von  einander  ab,  sondern  berühren  sich,  so 
lange  nichts  dazwischen  kommt.  Der  Peritonealüberzug  der  hinteren 


720  §.  817.   Hjmen. 

Fläche  des  Uterus  erstreckt  sich  auch  auf  den  obersten  Theil  der 
hinteren  Scheidenwand  herab. 

Die  Wand  der  Scheide  wird  durch  eine  dicke,  mit  einer 
Schichte  organischer  Muskelfasern,  und  mit  starken  Venennetzen 
(welchen  jedoch  der  Charakter  des  Schwellgewebes  fehlt)  umgebene, 
sehr  dehnbare  und  elastische  Bindegewebsmembran,  und  durch  eine 
Schleimhaut  gebildet,  welche  spärliche  Schleimdrüsen,  aber  zahl- 
reiche Papillen,  und  ein  mehrfach  geschichtetes  Pflasterepithelium 
besitzt,  dessen  beträchtliche  Dicke  die  Schleimhautpapillen  fast  voll- 
kommen verdeckt,  und  dessen  massenhaft  sich  abstossendc,  und  mit 
krankhaften  Secreten  der  Scheide  sich  mischende  Zellen,  diesen 
Secreten  eine  weissliche  Farbe  verleihen,  woher  der  Name  weisser 
Flu  SS  {Fluor  albus,  Leucorrhoe)  stammt,  eine  häufige  Plage  vieler 
Frauen,  auch  mit  reinem  ehelichen  Gewissen.  Durch  Erschlaffung 
der  Schleimhaut  bedingt,  muss  er,  als  Fluor  benignus,  von  dem 
durch  Ansteckung  hervorgerufenen  Fluor  malignua  wohl  unterschie- 
den werden. 

Die  Schleimhaut  bildet  an  der  vorderen  und  hinteren  Wand 
der  Scheide  ein  System  quer  übereinander  liegender,  gekerbter  Fal- 
ten (Runzeln),  Columna  plicarum  antei'ior  et  posterioi^,  welche  dicht 
hinter  dem  Ostium  vaginae  extemum  am  entwickeltsten  sind,  und 
gegen  den  Fomix  hinauf  allmählig  verstreichen. 

Durch  häufige  Begattnug,  und  noch  mehr  durch  öftere  Geburten,  werden 
die  Runzeln  der  hinteren  Wand  geglättet;  die  vorderen  erhalten  sich.  Ihre  här- 
tere Consistenz  als  bei  anderen  Schleimhautfalten,  und  ihre  Empfindlichkeit, 
steigert  während  der  Begattung  die  Geschicchtslust  des  Weibes,  und  vermehrt, 
durch  Reibung  an  der  Olang,  den  Impetus  coeundi  des  Mannes.  Bei  Jungfrauen 
fühlen  sie  sich  fast  knorpelhart  an.  Es  sind  jedoch  diese  Falten  oder  Runzeln 
nicht  als  Schlcimhautduplicaturen  aufzufassen,  wie  etwa  die  Valvulae  conniveiite» 
Kerkringii.  Ich  sehe  in  ihnen  vielmehr  nur  Riffe,  welche  auf  einer  ungefalteten 
Schleimhaut,  als  verdickte  und  aufgeworfene  Stellen  derselben,  aufsitzen.  Nichts 
desto  weniger  behält  man  den  Namen  der  Falten  oder  Runzeln  bei,  obwohl  der 
Ausdruck  Cristae,  Kämme,  wie  mir  scheint,  bezeichnender  wäre. 


§.317.  Hymen. 

Die  Schleimhaut  des  Scheidenoingangs  bildet  im  jungfräuHchen 
Zustande,  durch  Faltung  von  unten  auf,  eine  halbmondftirmige  Du- 
plicatur  —  die  Scheidenklappe,  das  Jungfernhäutchen,  Hy- 
men, Membrana  virginitatis,  (von  den  Hebammen  auch  Jungfern- 
Bchlösslein  und  Jungfernschatz  genannt).  Ihr  oberer  concaver 
Rand  lässt  nur  so  viel  von  der  Scheidencifinung  frei,  als  der  Ab- 
fluss  der  monatlichen  Reinigung  erheischt.  Nach  Zerstörung  dersel- 
ben, bleiben  die  sogenannten  Caruncula^e  myrtiformes,  als  narbige, 
gekerbte  Reste  der  zerrissenen  Schleimhautlappen  zurück. 


5.  818.  Aenssere  Scham.  721 

Die  Form  der  Scheidenklappe  unterliegt,  so  wie  ihre  Festig- 
keit, mancherlei  Verschiedenheiten.  Gewöhnlich  erscheint  sie  halb- 
mondförmig. Zuweilen  ist  sie  ringförmig  {Hymen  annularis),  und  die 
Oeffhung  nicht  in  der  Mitte,  sondern  mehr  nach  oben  gelegen.  Viel 
seltener  hat  sie  mehrere  Oefinungen  {Hymen  crihriformis),  und  am 
seltensten  ist  sie  imdurchbohrt  {Hymen  impei'foratus),  wodurch  sie 
dem  chirurgischen  Messer  verfällt.  Luschka  hat  jüngst  eine,  in 
gerichtHch-medicinischer  Hinsicht  wichtige,  bisher  nicht  bekannte 
Form  des  Hymen,  als  Hymen  fimhriatua  beschrieben.  Der  Rand  der 
Hymenöffnung  erscheint  nämlich  wie  durch  tiefe  Kerben  gelappt 
oder  gefranzt,  und  erregt  dadurch  den  Gedanken  an  versuchte  oder 
vollzogene  mechanische  Sprengung  oder  Zerreissung  desselben. 

Dass  ein  fehlender  Hymen  den  Verlost  der  Jungfrauschaft  nicht  verbürgt, 
ebensowenig  als  ein  vorhandener  ein  untrüglicher  Zeuge  der  Reinheit  ist,  war 
schon  lange  den  Gerichtsärzten  bekannt.  Es  wurden  angeborener  Mangel  des 
Hymen,  und  zufallige  Zerreissung  desselben  im  zarten  Kindesalter  (durch  Ver- 
wundung, durch  Bohren  mit  dem  Finger  in  der  Scheide  bei  Pruritus  loerminonU) 
beobachtet  Dass  aber  durch  Reiten,  Springen,  oder  einen  Fall  mit  ausgespreizten 
Füssen,  das  PaUndtun  virginitati»  zerreissen  könne,  gehört  nach  Versuchen  mit 
Cadavem,  die  ich  1836  anstellte,  zu  den  Unmöglichkeiten.  Auch  an  Fällen,  wo 
der  Hymen  erst  durch  die  Geburt  zerrissen,  oder  bei  Prostituirten ,  qutie  juaao 
corpore  questum  faciunt,  unversehrt  gefunden  wurde ,  fehlte  es  nicht.  —  Einen 
Hymen  in  Form  eines  breiten  Querbandes  in  der  Scheidenöffnnng  habe  ich  nur 
einmal  gesehen.  Die  Festigkeit  des  Hymen  kann  ein  unbesiegbares  Begattungs- 
hindemiss  abgeben,  und  die  Trennung  desselben  durch  den  Schnitt  nothwendig 
machen.  Da  der  Hymen,  als  Duplicatnr  der  Schleimhaut,  auch  Blutgefässe 
enthält,  so  wird  der  mit  der  ersten  Begattung  verbundene  Blutverlust,  bei  vielen 
Völkern  als  Zeichen  der  Jungfrauschaft  der  Braut  genommen ,  wie  denn  noch 
heutzutage  bei  den  Mauren,  den  Juden  im  Orient,  den  Kirgisen  und  Samo- 
jeden.  Auf  Sierra  Leona  wird,  bei  Fehlen  dieses  Zeichens,  die  Ehe  nichtig 
erklärt.  —  Einhufer,  Wiederkäuer,  Fleischfresser  und  Affen,  haben  ein  Analogon 
des  Hymen;  die  übrigen  Thiere  nicht  —  Die  Zerstörung  des  Hymen  bei  der 
ersten  Begattung  (Deßoratio)  giebt  wohl  das  einzige  Beispiel  einer  auf  rein 
mechanischem  Wege  bewerkstelligten,  physiologischen  Vernichtung  eines  Organs. 
Bei  sehr  verweichlichten  und  verkommenen  Völkern  des  Alterthums,  wurde  sie 
den  Götzenpriestern,  im  Mittelalter  auch  dem  Gutsherrn  überlassen  {Jus  primae 
noctis),  —  Im  Prager  Musetmi  befinden  sich  die  Genitalien  einer  Jungfrau  mit 
doppelter  Scheide.  An  beiden  Scheideneingängen  fehlt  der  Hymen,  als  angebo- 
'  rener  Bildungsmangel. 


§.  318.  Aeussere  Scham. 

Die  Faltenbildung,  die  in  der  Gebärmutter  als  Pcdmae  plicatae^ 
und   in   der  Scheide   als   Columnae  rugai*um  auftrat,    erhält  in   der 
äusseren  Scham  ihre  grösste  Entwicklung.  Die  weibliche  Sehr 
Pudendum  muliehre  s.  Vulva  s,  Cunnus^  besteht  aiu| 
sehen  Faltenringen  —  den  grossen  und  kle' 

HyrtU  Lchrbnoh  d«r  AnatOBto. 


722  S-  '1^*   Aeosaere  Scham. 

zwischen   welchen  eine  senkrechte  Spalte   zu    den  Mündungen   der 
Harnröhre  und  der  Scheide  fiihrt. 

Die  grossen  Schamlippen,  iMbia  majora,  erstrecken  sich 
vom  Schamhttgel  {Mons  veneria^  Pvbea  crinosay  bei  früheren  Anatomen 
eleganter  Weise  auch  Hehsy  und  bei  den  Franzosen  Penü)  zun 
Mittelfleisch,  wo  sie  durch  das  Frenulum  labwrum  mit  einander  ver- 
bunden werden.  Hinter  und  über  dem  Frenulum  vertieft  sich  die 
Schamspalte  {Rima  pudendt)  zur  schiffförmigen  Grube,  Fosm 
navicularisy  einem  Lieblingssitz  der  V(5nerischen  Condylome. 

Die  äussere  Fläche  der  Schamlippen  besitzt  noch  den  allgemeinen  Cha* 
raktcr  des  IntegumentSf  mit  Haarbälgen  und  Talgdrüsen;  die  inneren  Fliehen 
beider  Lippen  haben  schon  das  Ansehen  einer  Schleimhaut,  entbehren  aber  der 
Schleimdrüsen,  welche  durch  Olandulae  sebaceae  vertreten  werden.  Sie  schliessen 
durch  wechselseitige  Berührung  bei  jungfräulichen  Individuen  die  Schamspalte 
genau  zu,  welche  erst  durch  wiederholte  Begattung  oder  Geburten  klaffend  wird. 
Fettreiches,  dichtes  Zellgewebe ,  vom  Motu  Veneris  herabkommend ,  giebt  ihnen 
eine  gewisse  Prallheit,  welche  im  späteren  Frauenalter  schwindet.  Eine  dieses 
Zellgewebe  deckende  contractile  Fascrlage,  erinnert  an  die  Dartos  eine«  minn- 
lichen Hodensackes. 

Zwischen  den  grossen  Schamlippen,  und  mit  ihnen  parallel, 
finden  sich  die  kleinen,  Labia  minora  s.  Nymphae^  welche  von  der 
Clitoris  bis  zur  Seite  des  Scheideneinganges  herabreichen,  und  mit 
ihren  freien  gekerbten  Rändern  nicht  über  die  grossen  Lippen 
hervorragen.  An  der  inneren  Oberfläche  der  kleinen  Schamlippen 
nimmt  die  sie  bildende  Haut  den  Charakter  einer  wahren  Schleim- 
haut mit  FollicuUs  muciparis  an.  Der  zwischen  den  inneren  Flächen 
beider  kleinen  Scharalefzcn  befindliche  Kaum,  welcher  sich  von  der 
Clitoris  bis  zum  Scheideneingang  erstreckt,  heisst  in  der  chirur- 
gischen Anatomie  Vesfümlum  vaginae.  Diesem  Vestibulum  gehören 
zwei,  gleich  unter  der  Schleimhaut  gelegene,  dicke  Venengeflechte 
an,  welche  den  erectilen  Schwellkörpem  zwar  scheinbar  ähneln, 
aber  durch  Mangel  aller  contractilcn  Elemente  von  ihnen  sich 
unterscheiden.  Man  bezeichnet  sie  als  Bulbi  vestibuli  (Wollust- 
organe).  Sie  sind  keulenförmig  gestaltet,  mit  vorderem  dünnen,  an 
die  Clitoriswurzel  reichenden  Ende.  Das  hintere  dickere  Ende 
schiebt  sich  an  den  Seitenrand  des  Scheidencinganges  hin.  Ihr  Bau 
befähigt  sie  wohl  zur  Intumeseenz  (Schwellung),  aber  nicht  ziu* 
Erection  (Steifung).  Variköse  Entartung  dieser  Venengebilde  kann 
bei  stürmischer  Begattung  durch  Berstung  zu  gefährlicher,  selbst 
tödtlicher  Blutung  Veranlassung  geben.  Gegen  die  CHtoris  zu  spaltet 
sich  jede  kleine  Schamlippe  in  zwei  Fältchen,  deren. eines,  mit  dem- 
selben der  anderen  Seite  verbunden,  sich  als  Frenulum  clitoridis  an 
die  untere  Fläche  der  Glans  cUtoridla  inserirt,  deren  anderes  über 
die  Glans  hinaufsteigt,  um  sich  mit  demselben  Fältchen  der  gegen- 
ständigen kleinen  Schamlippe  zu  verbinden,  und  die  Vorhaut  der 
Clitoris  zu  bilden. 


§.  318.  Aenssere  Scham.  723 

Der  Kitzler  {Clitorisj  xXe'Top{^o),  titülare),  einem  männlichen 
Gliede  en  miniature  ähnlieh,  ist  wie  dieses  gebaut,  aber  viel  kleiner, 
und  undurchbohrt.  Er  besteht  aus  zwei  Schwellkörpem ,  die  von 
den  Sitzbeinen  entspringen,  sich  an  einander  legen,  und  einen, 
durch  Qestalt  und  Lage  dem  Penis  gleichenden,  erectilen  Körper 
bilden,  der  eine  Glans,  ein  Präputium,  ein  doppeltes  Frenulum, 
einen  Musculus  ischio-cavemosusj  aber  keine  Harnröhre  besitzt.  Die 
weibliche  Harnröhre  mündet  vielmehr  dicht  über  dem  Scheiden- 
eingang, zwischen  den  kleinen  Schamlippen,  mit  einer  rundlichen 
widstigen  Oefifhung,  um  welche  herum,  so  wie  an  den  Seiten  des 
Scheideneinganges,  schon  traubenförmige  Schleimdrüschen  auftreten. 

Am  Scheideneingange  münden  links  und  rechts  die  Bartho- 
lin'schen  oder  Tiedemann'schen  Drüsen  aus,  welche  den 
Cowper'schen  Drüsen  der  männlichen  Harnröhre  analog  gebaut 
sind,  aber  sie  an  Grösse  etwas  übertreffen. 

Man  findet  diese  Drüsen  bei  unzüchtigen  Mädchen  und  Frauen  grösser 
als  bei  schamhaften.  Sie  liegen  hinter  dem  Constrictor  cunni,  und  vor  dem 
Tranaversus perinei ,  im  hinteren  Theile  der  grossen  Schamlippen,  und  können 
daselbst  zuweilen  durch  Druck  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  gefühlt  werden. 
Comprimirt  man  auf  diese  Weise  den  hinteren  Theil  der  grossen  Schamlippen, 
so  entleert  man  zuweilen  eine  gelblichef  nicht  specifisch  riechende  Flüssigkeit  aus 
ihrer  Mündung.  Die  Mündung  liegt  aber  ziemlich  weit  von  der  Drüse  entfernt, 
so  dass  die  Länge  des  Ausführungsganges  T" — 8"'  beträgt.  Schlüpfrigmachen 
des  Scheideneinganges  für  den  Penis,  scheint  ihre  Bestimmung  zu  sein,  denn  sie 
nässen  nur  durarUe  pruritu. 

Die  kleinen  Schamlippen  haben  nur  bei  Personen,  wo  sie  nicht  über  die 
grossen  Lippen  hervorstehen,  die  rosenrothc  Schleimhautfarbe.  Ragen  sie  über 
diese  vor,  so  werden  sie  trockener,  härter  und  brauner,  und  bei  Missbrauch  der 
Genitalien  zuweilen  so  lang,  dass  sie  wie  laxe ,  hahnenkammförmige  Lappen  1'' 
weit  herabhängen.  Bei  den  Weibern  der  Hottentotten  und  Buschmänner  erreichen 
sie  die  excessive  Länge  von  6" — 8",  und  sind  als  Schürze  (tablier)  beschrieben 
worden  (C^tner,  in  den  M6m.  du  mus^e  d'hist  nat.  Tom.  III.)  Ihre  bei  einigen 
Völkern  im  nördlichen  Africa  constant  vorkommende  Verlängerung  erfordert  die 
blutige  Resection  derselben.  —  Die  Clitoris  wird  in  südlichen  Zonen  grösser,  als 
in  den  gemässigten  und  kalten  Breiten.  Bei  den  Abyssinierinnen ,  den  Mandigos 
und  Ibbos,  so  wie  bei  Androgenen  und  lasciven  Frauen  überhaupt,  nimmt  ihre 
Grösse  bedeutend  zu ,  •  und  hat  bei  ersteren  selbst  die  Beschneidung  als  volks- 
thümliche  Operation  sanctionirt.  Als  bei  der  Bekehrung  der  Abjssinier  zum 
Christenthume ,  die  Missionäre  die  weibliche  Beschneidung  als  Ueberrest  des 
Heidenthums  abstellten,  machten  die  Männer  Revolution,  die  nicht  früher  bei- 
gelegt wurde,  als  bis  ein  von  der  Propaganda  in  Rom  abgesandter  Wundarzt 
die  Nothwendigkeit  des  alten  Brauches  feststellte.  —  Bei  besonderer  Entwicklung 
kann  die  Clitoris  die  Stelle  des  männlichen  Gliedes  vertreten,  und  eine  Anomalie 
geschlechtlichen  Umganges  veranlassen  (Amor  leahictui). 

Die  Barth olin'schen  Drüsen  wurden  zuerst  von  J.  G.  Duverney  an 
der  Kuh  gefunden,  und  neuerer  Zeit  durch  Tiedemann  (von  den  Duvemey'- 
schen,  Bartholin'schen  oder  Cowper*schen  Drüsen  des  Weibes.  Heidelb.,  1840) 
der  Vergessenheit  entriBsen. 


724  8*  819.  Brflflto. 


§.  319.  Brüste. 

Die  Brüste,  Mammae  (bei  Thieren  Uberd),  sind  der  anato- 
mische Ausdruck  des  ganz  nach  aussen  gekehrten,  und  ftlr  die 
Erhaltung  eines  fremden  Daseins  wirkenden,  weiblichen  Zeugungs- 
lebens.  Sie  sitzen  bei  den  meisten  Säugethieren  am  Unterleibe, 
und  rücken  beim  Menschen  und  bei  den  Affen  (wo  die  obere 
Extremität  am  freiesten  wird,  und  den  Säugling  trägt),  an  die  seit- 
liche Gegend  der  vorderen  Brustwand.  Die  erste  Klasse  der  Wirbel- 
thiere  führt  von  dem  ausschliesslichen  Besitze  dieser  Organe,  den 
Namen  Mammalia.  Lebendig  gebärende  Thiere  anderer  Klassen 
haben  keine  Brüste. 

Die  Mammae  liegen   auf  dem   grossen   Brustmuskel,   von  der 
dritten  bis  sechsten  Rippe.     Eine   dem   Brustbein   parallele  Furche 
—  der  Busen,  Sinus  —  trennt  sie  von  einander.    Ihre  Gestalt  ist 
halbkugelig,   imterliegt  jedoch,   wie  ihre  Grösse,    sehr   vielen  Ver- 
schiedenheiten, welche  durch  physiologische  Lebenszustände,  durch 
Eüüma,  Nationalität,  Alter,  selbst  durch  die  Tracht  bestimmt  werden. 
An  der  höchsten  Wölbung  der  Brüste   ragt  die   sehr    empfindliche, 
durch  mechanische  Reize  sich    verlängernde   und   steifende   Brust- 
warze [Papilla) j    bei  Thieren   Zitze  (von  tit66?),    hervor,   welche, 
da  die  Axen   beider  Brüste   massig   nach    aussen  divergiren,   nicht 
nach  vom,  sondern  nach  aussen  sieht.     Sie  ist,  so  wie  der  sie  um- 
gebende Warzenhof  {Areola),  von  bräunlicher  Farbe,  mehr  weniger 
vorstehend,    oder  in    ein    Grübchen    zurückgezogen,    runzelig,    und 
reich   an    feinen   Tastwärzchen.     Talgdrüsen    münden  zwischen  den 
Runzeln  der  Brustwarze,  und  auf  ihrer  Spitze  öffiien  sich,  wie  gleich 
erwähnt  wird,  die  Ausführungsgänge  der  Brustdrüse.  —  Nicht  immer 
sind  beide  Brustwarzen  an  Dicke  und  Länge  gleich,    und  stillende 
Frauen  reichen  ihren  Säuglingen  lieber  und  öfter  jene  Brust,  welche 
die  grössere  Warze  hat. 

Cruveilhicr  bemerkt ,  dass  die  linke  weibliche  Bnist  fast  immer  etwu 
grösser  als  die  rechte  ist.  Dieses  scheint  mir  dadurch  bedingt  zu  sein,  dass  die 
Mutter  den  Säugling,  um  den  rechten  Arm  frei  zu  behalten,  auf  dem  linken  Anne 
trägt,  und  deshalb  die  linke  Brust  häufiger  zum  Stillen  verwendet. 

Am  männlichen  Thorax  steht  ausnahmsweise  eine  Brustwarze  höher  all 
die  andere,  und  ihr  Standort,  der  gewöhnlich  dem  Zwischenraum  der  4.  und  5. 
Rippe  entspricht,  steigt  zuweilen  in  den  nächst  unteren  Zwischenrippenramn 
herab  (nach  Luschka   unter  60  Individuen  zweimal). 

Die  Brust  besteht  aus  16 — 24  Lappen,  welche  durch  fettreiches 
Bindegewebe  zu  einem  scheibenförmigen  Körper  zusammengehalten 
werden.  Diesem  fettreichen  Bindegewebe  verdankt  die  Brust  ihre 
runde  Form,  und  ihre  weiche  Consistenz.  Auch  die  Grösse  der 
Brust  hängt  weniger  von  der  Entwicklung  des  eigentlichen  Drüsen- 


S.  SSO.  Bau  der  Brflste.  725 

gewebes,  als  von  der  Prävalenz  des  fettbeladenen  Umhüllimgs- 
Bindegewebes  ab.  Deshalb  sind  es  nicht  immer  grosse  Brüste, 
welche  viel  Milch  geben. 

Die  männlichen  Brüste,  welche  im  frühen  Embryoleben  den  weiblichen 
vollkommen  gleichen,  verkümmern  bei  Erwachsenen,  ohne  jedoch  gänzlich  zu 
schwinden,  nnd  es  gehört  unter  die  seltenen  Ausnahmen,  wenn  ihre  Vitalität  sich 
bis  zur  Erzeugung  wahrer  Milch  steigert.  Dieses  kommt  zuweilen  um  die  Puber- 
tätsperiode von  Knaben  vor  (Hexenmilch).  Der  merkwürdigste  und  verbürgteste 
Fall  von  Milchabsonderung  in  männlichen  Brüsten,  wird  von  A.  Humboldt  (Reise 
in  die  Aequinoctialgegenden  des  neuen  Contiueuts.  2.  Bd.  pag.  40)  erzählt,  wo 
ein  Mann,  während  der  Krankheit  seiner  Frau,  sein  Kind  fünf  Monate  lang  stillte. 
Ein  neuerer  Fall  der  Art  wird  von  Häser  in  dessen  Archiv,  1844.  pag.  272. 
berichtet.  In  unseren  Schafzttchtereien  kommen  milchende  Böcke  nicht  so  selten 
vor.  Ueber  die  Rückbildung  der  Brust  bei  männlichen  Individuen  siehe  C.  Langer, 
über  den  Bau  und  die  Entwicklung  der  Milchdrüsen,  in  den  Denkschriften  der 
kais.  Akad.  HI.  Bd.  1851,  und  Luschka  in  MüUer'a  Archiv,  1852.  —  Vermehrung 
der  Warzen  auf  Einer  Brust  (Tiedemann,  Siebold),  Vermehrung  der  Brüste 
bis  auf  5  (Haller,  Moore,  Percy),  abnorme  Lage  derselben  als  Mammae 
erraticae  in  der  Achsel,  auf  dem  Rücken,  am  Schenkel  (Bartholin,  Siebold, 
Robert),  gehören  unter  die  Seltenheiten.  Sehr  gewöhnlich  findet  man  bei  Schwan- 
geren und  Säugenden,  10  und  mehr  kleine,  milchsecernirende  Drüschen  im  Be- 
reiche des  Warzenhofes,  wo  sie  die  Haut  desselben  hügelig  emporwölben,  und 
auf  der  Höhe  dieser  Hügel  münden.  Morgagni  hat  sie  als  Tuher'cula  areolae 
erwähnt,  ohne  ihre  Natur  zu  kennen.  Luschka  bezeichnet  sie  als  Glandulae 
lactiferae  aherrantes.  —  Vollkommenen  Mangel  der  Brustwarzen,  und  Oefihung 
der  Milchgänge  in  eine  Grube  statt  der  Warze,  hat  Cruveilhier  bei  einer 
5Sj ährigen  Frau  beobachtet. 


§.  320.  Bau  der  Brüste. 

Die  Structur  der  Brust  kann  nur  an  milchgeftülten  Brüsten 
von  Leichen  schwangerer  oder  stillender  Frauen  untersucht  werden. 
Jeder  Lappen  der  Brustdrüse  ist  ein  Aggregat  kleinerer  Läppchen, 
und  diese  bestehen  aus  traubenförmig  gruppirten  Acini,  deren  kleine 
Ausführungsgänge  sich  baumförmig  zu  einem  grösseren  Kanäle 
{Ductus  lactifema  a.  galactophorus)  vereinigen.  Jedem  Lappen  ent- 
spricht ein  Ductus  lactifefnis.  Sie  convergiren  gegen  den  Qrund 
der  Warze,  erweitern  sich  unter  der  Areola  zu  den  sogenannten 
Milchbehältern  (Sinus  lactei),  ohne  zu  anastomosiren;  verengem 
sich  hierauf,  und  steigen  zuletzt  gegen  die  Spitze  der  Warze  auf, 
wo  sie,  zu  zwei  oder  drei,  zwischen  den  Runzeln  der  Warze  mit 
feinen  Oeffnungen  münden.  Die  traubig  gruppirten  Endbläschen 
der  Ductus  lactiferi  bestehen  aus  structurloser  Grundmembran,  mit 
rundlich-eckigen  Epithelialzellen,  und  werden  von  capillaren  Qefilss- 
netzen  umwebt,  wodurch  der  Bau  der  Drüse  mit  jenem  der  Speichel- 
drüsen und  der  Lunge  verwandt  wird.  Die  Milchgänge  selbst  be- 
stehen aus  einer  Bindegewebsmembran  mit  Cylinderepithel. 


726  *  S-  8S0.  Bau  der  Biflsto. 

Die  Brustwarze  und  der  Warzenhof  besitzen  g^latte  Muskelfasern.  In  der 
Warze  bilden  sie  ein  Netzwerk  von  Längs-  und  Kreisfasern,  durch  dessen  Maschen 
die  Ductus  IcxHferi  gegen  die  Spitze  der  Warze  aufsteigen.  Die  Krcisfasem  der 
Brustwarze  bedingen  durch  ihre  Zusammenziehung  die  Verlängerung,  und  zu- 
gleich mit  den  Längsfasem  das  Hartwerden  der  Warze  auf  mechanische  Reize 
(Kitzeln,  Saugen).  Im  Warzenhofe  erscheinen  die  Faserzüge  mehr  concentrisch 
geordnet,  und  nehmen  gegen  die  Papille  hin  an  Stärke  zu.  Die  Milchgänge 
entbehren  nach  Kolli ker  der  Muskelfasern.  Ich  möchte  ihre  Gegenwart  jedoch 
schon  aus  dem  Grunde  zulassen,  weil  nicht  selten  bei  stillenden  Frauen  mit 
strotzenden  Brüsten,  die  Milch  sich  spontan,  und  in  feinem  Strahle  spritzend  ent- 
leert. Die  dunkle  Färbung  der  Brustwarze  und  ihres  Hofes  rührt  von  Pigmen- 
tirung  der  unteren  Schichten  dos  Mucua  Maipighii  her.  Nicht  alle  Tastwärzchen 
der  eigentlichen  CSitia  des  Warzenhofos  enthalten  Nerven.  Viele  derselben  be- 
sitzen blos  Gefässschlingcn.  In  den  ncrvenhältigen  Papillen,  hat  Luschka  bald 
Tastkörperchen,  bald  Pacini^sche  Körperchen  beobachtet. 

Die  Arterien  der  Brust  stammen  aus  der  ArteHa  mammaria  interna  und 
der  Arteria  axillaris.  Die  Venen  verhalten  sich  entsprechend,  und  übertreffen  die 
Arterien  so  sehr  au  Umfang,  dass  ihre  hochliegenden  Zweige  auch  bei  gesunden 
Brüsten  durch  das  zarte  lutcgumcnt  als  blaue  Stränge  durchscheinen.  Der  von 
Hall  er  und  später  von  Sebastian  (De  circulo  venoso  areolae.  Groeningae, 
1837)  beschriebene  Venenkreis  im  Warzenhofe  ist  an  zwei  Exemplaren,  die  ich 
vor  mir  habe,  nicht  geschlossen,  sondern  umgicbt  nur  V3  der  Brustwarze.  Die 
Saugadcm  verbinden  sich  mit  den  Lymphdrüsen  des  vorderen  Mittc^Jfellraums, 
und  mit  jenen  der  Achselhöhle.  Auch  eine  oder  zwei  an  der  Clavicula  liegende 
Lymphdrüsen  nehmen  Saugadem  aus  der  Brust  auf.  —  Zufolge  einer  von  C.  Eck- 
hard vorgenommenen  genauen  Untersuchung  der  Nerven  der  Brust  (Beiträge  zur 
Anatomie  und  Physiologie.  1.  Heft.  Giessen,  1855)  zerfallen  diese  in  Haut-  und 
DrUsennerven.  Erstere  entspringen:  1.  aus  dem  zweiten  bis  sechsten  Nervus  inter- 
costalis,  und  zwar  aus  jenen  Aesten  derselben,  welche  als  Nervi  ciUanei  pectoris 
laterales  und  anteriores  bezeichnet  werden,  und  2.  aus  den  vom  Armner\'ongeflecht 
abgegebenen  Net^i  pectorales  anteriores.  Letztere  sind  Aeste  des  vierten  bis 
sechsten  Nervtts  ctUaneiut  pectoris  lateralis  y  und  jener  sympathischen  Zweige, 
welche  mit  der  Arteria  thoracica  longa  und  mit  den  vorderen  Rami  perforantes 
der  Arteriae  intercostaleti  in  die  Brustdrüse  gelangen.  Die  Drüsennerven  halten 
sich  an  die  grösseren  Ductus  lactiferi,  und  kommen  mit  diesen  bis  in  die  Haut 
der  Areola. 

Die  Milch,  Lac,  ist  die  naturgemässeste  Nahrung  des  Neugeborenen  bis 
zum  Ausbruche  der  Zälme,  und  die  einzige,  welche  nichts  kostet.  Wir  seh^n  in 
ihr  eine  Fetteuiulsion,  welche  aus  Wasser,  Käsestoff,  Fett  (Butter),  Milchzucker, 
und  einem  geringen  Antheil  mineralischer  Salze  besteht  Blikroskopisch  unter- 
sucht zeigt  sie:  1.  Milchkörperchen,  Olobuli  lactis,  von  0,050'"  —  0,005"' 
Durchmesser.  Sie  sind  Fetttröpfchen,  mit  einer  Hülle  von  Käsestoff  (H  eule), 
fliessen  beim  Stehenlassen  der  Milch  zu  grösseren  Kügelchen  zusammen,  und 
bilden  den  Rahm.  2.  Colostrumkugeln  (Donn<^)von  0,01'"  —  0,05"'  Durch- 
messer. Sie  finden  sich  nur  in  der,  durch  einige  Tage  vor  und  nach  der  Geburt 
abgesonderten  Milch  iC-olotftrum),  und  scheinen  Aggregate  von  Milchkörperchen 
zu  sein.  3.  Abgestossene  Epithelialzcllen  in  verschiedener  Menge.  Durch 
Filtriren  lassen  sich  die  geformten  Bestandtheile  von  dem  flüssigen  Menstruuin 
der  Milch,  Plasma  lacti»,  abscheiden.  Das  Plasma  trennt  sich  durch  den  Act  des 
Gerinnens  in  Käsestoff  und  Molkenflüssigkeit  {Serum  lactis\  welche  letztere  aus 
Wasser,  Milchzucker  und  Salzen  besteht.  —  Pferde-  und  Eselsmilch  stehen  in 
Hinsicht  ihrer  chemischen  Zusammensetzung  der  menschlichen  Milch  am  nächsten* 


§.  SSI.  AasdelmiiDgnnd  Orenun  des  Ifittelfleiselies.  §.  82S.  Mnskelu  des  IßUelfleisches.       727 

Die  Kirgisen,  welche  ein  ans  Pferdemilch  bereitetes,  gegohrenes  und  berauschen- 
des Getränk  —  den  Cumis  —  gemessen,  kennen  die  Lungensucht  nicht  Man 
hat  darum  neuester  Zeit  die  Bereitung  und  den  Gebrauch  des  Cumis  auch  bei 
uns  als  Vorbauungs-  und  Palliativmittel  dieser  mörderischen  Krankheit  empfohlen. 


IIL  Mittelfleisch. 
§.  321.  Ausdelmuiig  und  ftrenzen  des  Mittelfleisclies. 

Mittelfleisch  oder  Damm,  Perineum  (lojpfvsov,  nicht  zepfvsov 
oder  xep(vaiov,  da  es  von  T»)pl<;  oder  t^^ol^  Beutel,  d.  i.  Hodensack, 
und  nicht  von  xepl  und  vatO(;  stammt)  heisst  die  zwischen  After  und 
Hodensack  bei  Männern,  zwischen  After  und  hinterem  Winkel  der 
Schamspalte  bei  Weibern  liegende  Gegend.  Das  weibliche  Peri- 
neum wird  deshalb  viel  kürzer  sein,  als  das  männliche.  Aeltere 
Schriftsteller  führen  es  als  Interfemineum  an,  quia  inter  femina  (alte 
Diction  statt  femwd)  jacet  Man  kann  also  auch  das  männliche 
Mittelfleisch  sehr  wohl  Interfemineum^  aber  niemals  Interfemininum 
nennen,  was  gar  keinen  Sinn  hat. 

Bei  äusserer  Besichtigung  geht  das  Mittelfleisch  seitwärts,  ohne 
bestimmte  Grenze,  in  die  innere  Fläche  der  Schenkel  über.  Die 
Verbindungslinie  beider  Sitzknorren  trennt  es  von  der  Aftergegend. 
In  der  Tiefe  bestimmt  der  knöcherne  Schambogen,  von  den  Sitz- 
knorren bis  zur  Schamfuge  hinauf,  seine  Breitenausdehnung. 

Die  hier  folgende  Beschreibung  gilt  nur  vom  männlichen  Pe- 
rineum. Ich  gebe  sie  so,  dass  ich  zuerst  die  Muskeln  schildere, 
welche  die  Ebene  des  Schambogens  einnehmen,  und  in  einem 
näheren  Verhältniss  zu  den  bereits  bekannten  Geschlechts-  und 
Harnwerkzeugen  (Harnröhre  und  Wurzel  des  Gliedes)  stehen,  und  ^ 
dann  auf  die  Fascien  übergehe,  welche  den  Ausgang  des  kleinen 
Beckens  verschliessen. 


§.  322.  Muskeln  des  Mittelfleisclies. 

a)  Der  paarige  Sitzknorren-Schwcllkörpermuskel,  Mvs- 
ctUtis  ischio-cavemosics.  Er  Hegt  auf  der  unteren  Fläche  der  Wurzel 
des  Schwellkörpers  des  Gliedes  auf,  entspringt,  wie  dieser,  am  Sitz- 
knorren, schlägt  sich  um  den  Schwellkörper  herum  zu  dessen  Aussen- 
fläche,  und  verliert  sich  in  der  fibrösen  Hülle  desselben.  Bei  Wei- 
bern hat  er  dieselbe  Beziehung  zum  Schwellkörper  der  Clitoris. 
Zuweilen  geht  eine  fibröse  Fortsetzung  desselben,  auf  dem  Rücken 
des  Gliedes,  mit  demselben  Muskel  der  anderen  Seite  eine  Verbin- 
dung   ein,    wodurch    eii>A    Adilin^e   über    die    Rückengeftlsse    des 


728  S-  ^^-  MtukelB  des  MittelfleuohM. 

Gliedes  gebildet  wird,  welche  durch  Compression  der  Dorsalvene  viel- 
leicht   Einäuss   auf  den    Mechanismus   der  Erection  nehmen  kann. 

Dieser  Mnskpl  soll  die  Wurzel  des  Schwellkörpors  gegen  den  Sitzknorren 
drücken,  und  dadurch  den  Rückfluss  des  venösen  Blutes  hemmen,  —  somit  Erec- 
tion veranlassen,  weshalb  er  frdher  EreetoVf  auch  Sustenfator  penh^  genannt  wurde. 
Da  er  willkürlich  wirkt,  die  Erection  dagegen  häufig  unwillkürlich  eintritt,  und 
mitunter  bei  dem  besten  Willen  unmöglich  wird,  so  kann  in  der  Compression 
der  Wurzel  der  Schwellkörper  des  Gliedes,  wenn  sie  wirklich  stattfindet,  nicht 
die  einzige  Bedingung  der  Erection  liegen. 

Hier  mag  auch  der  von  Santorini  schon  beobachtete  (Tab.  XV.  Fig.  3.), 
von  P.  Via  CO  vi  ch  in  Padua  wieder  aufgefundene,  anomale  Musciätu  ischio-puhicua 
erwähnt  werden,  dessen  Ursprung  und  Ende  der  Name  sagt.  Ausführliches  ent- 
hält Vol.  X  der  Atti  dell'Isütuto  Veneto. 

b)  Der  unpaare  Zwiebel-Schwellkörpermuskel,  Mtisctdus 
bulbO'Cavemosus,  Er  umfasst  den  Bulbus  urethrae  von.  unten,  und 
liegt,  wie  dieser,  zwischen  den  Ursprüngen  der  beiden  Schwell- 
körper der  Ruthe.  Nach  hinten  hängt  er  mit  dem  vorderen  Ende 
des  Sphincter  am  extemus  und  dem  oberflächlichen  Musculus  trans- 
versiut  petnnei  zusammen.  Er  fehlt,  sammt  dem  Bulbus,  im  weib- 
lichen Geschlechte,  und  wird  durch  den  Constrictar  cunni  ersetzt. 
Man  kann  an  ihm  zwei  ganz  symmetrische  Seitenhälften  unter- 
scheiden, welche  von  einem  tendinöscn  Längsstreifen  (Raphe)  an 
der  unteren  Fläche  des  Bulbus  entspringen.  Die  hintersten  seiner 
Fasern  inseriren  sich  in  das  Ligamentum  trianguläre  urethrae  y  die 
mittleren  und  vorderen  Fasern  gehen  in  die  fibröse  Haut  der 
Schwellkörper  des  Gliedes  über.  Beide  Hälften  des  Muskels  und  ihre 
mediane  Raphe,  bilden  somit  eine  Art  Halfter  um  den  Bulbus  tirethrae^ 
können  diesen  durch  Heben  seiner  unteren  Wand  verengem,  und 
wenn  dieses  Heben  zuckend  geschieht,  Harn  und  Samen  aus  der 
Harnröhre  stossweise  hervortreiben.  So  dachte  man  wenigstens,  und 

\  diese  gedachte  Wirkungsweise  veranlasste  auch  die  alte  Benennung 
Ejaadator  seminisj  oder  Acceleratcrr  urinae. 

Da  die  Wirkung  dieses  Muskels  nicht  auf  die  Schwellkörper,  sondern 
auf  den  Bulhii*  urethrae  loszielt,  so  wäre  es  zweckmässiger,  ihn  vom  Schwell - 
körper  entstehen,  und  an  der  Raphe  des  Bulbus  endigen  zu  lassen,  wie  Albin 
und  Theile  thaten.  Auch  von  seinen  vordersten  Fasern  wird  gesagt,  dass  sie 
auf  dem  Rücken  des  Gliedes,  über  der  Vena  dorsafh  yj^i*  sich  aponeurotisch 
verbinden. 

c)  Die  queren  Dammmuskeln,  Musculi  transversi  peinnei. 
Der  oberflächliche  entspringt  vom  aufsteigenden  Sitzbeinaste, 
nahe  am  Tubei'  ischiiy  geht  nach  ein-  und  etwas  nach  vorwärts, 
und  verbindet  sich  in  der  Mittellinie  theils  mit  dem  entgegenge- 
setzten, theils  mit  dem  Bulbo-cavemosus,  Sphincter  ani  extei^nus  und 
LevatüT  ani.  Die  Stelle,  an  welcher  die  genannten  Muskeln  theils 
fleischig,  theils  sehnig  sich  mit  einander  verbinden,  fuhrt  bei  einigen 
Autoren    nicht  mit   Unrecht   den   Namen:    Centrum  cameo-ttnif^iiieum 


§.  SM.   Mukeln  des  ]fitlelfl«iBeh«8.  729 

perinei.  —  Der  tiefe  quere  Dammmuskel  entspringt  über  dem 
vorigen,  aber  weiter  nach  vorn,  vom  absteigenden  Schambein-  und 
aufsteigenden  Sitzbeinast,  und  hat  dieselbe  Richtung  und  Insertion, 
wie  der  oberflächliche.  Er  lässt  durch  eine  Lücke  zwischen  seinen 
Fasern,  die  Vena  yi'ofunda  penis  zur  Vena  pudenda  gelangen,  und 
übt  somit  eine  verengernde  Wirkung  auf  dieses  Gefiss  aus. 

d)  Der  Zusammenschnürer  der  Harnröhre,  Musculus 
constrictor  urethrae  (besser  wohl  Compressor  partis  membi'anaceae 
urethrae).  Ueber  diesen  Muskel  weichen  die  Angaben  von  Wilson, 
Guthrie,  und  J.  Müller  bedeutend  ab.  Ich  fasse  ihn  nach  der 
einfachen  Schilderung  von  Santorini  (simplex  sigillum  veri)  so  auf. 
Die  hinter  dem  Ligamentum  trianguläre  urethrae  gelegene  Pai^s  mem- 
branacea  urethrae  wird  in  ihrer  ganzen  Länge  von  zwei  breiten  Mus- 
kelbündeln umgeben,  welche  vom  absteigenden  Schambeinaste  ent- 
springen, imd  zwar  in  gleicher  Höhe  mit  der  Durchbohrungsstelle 
des  Ligamentum  tinangulare  urethrae  durch  die  Harnr()hre.  Das  obere 
dieser  beiden  Bündel  geht  über,  das  untere  unter  der  Pars  membra- 
nacea  urethrae  bogenförmig  weg,  und  beide  verwachsen  in  der 
Medianlinie  mit  ihren  von  der  anderen  Seite  herüberkommenden 
Gegnern,  so  dass  eine  breite  musculöse  Zwinge  gegeben  wird, 
welche  die  Harnröhre  zusammenpressen  kann. 

Der  Tranaverstu  perinei  profundus  schliesst  sich  an  das  untere  Bündel  des 
Compreasor  urethral  an,  von  welchem  er  oft  nicht  za  trennen  ist.  Die  Glan- 
dulae Cowperi  werden  von  den  unteren  Bündeln  des  Compressor  urethrae  (und 
Transversus  perinei  profundus)  förmlich  umwachsen. 

Die  Pars  membranacea  urethrae  besitzt  übrigens,  wie  schon  gesagt  (§.  298,  2), 
noch  ein  besonderes  Stratum  von  organischen  Kreismuskelfasem. 

Im  weiblichen  Geschlechte  findet  sich  am  Scheideneingang  der 
Scheidenschnürer,  Constrictor  cunni.  Es  ist  nicht  sehr  schwer, 
sich  durch  Präparation  dieses  Muskels  zu  überzeugen,  dass  die 
grössere  Anzahl  seiner  Fasern  dem  Sphincter  ani  externus  angehört, 
dessen  rechte  Hälfte  zur  linken  Wand  des  Scheideneinganges,  und 
dessen  linke  zur  rechten  Wand  dieser  OefFnung  übergeht,  um  sich 
an  der  Wurzel  der  Corpora  caveimosa  clitoridis  zu  inseriren,  wodurch 
Sphincter  ani  externus  und  Constrictor  cunni  sich  als  Ein  Muskel  von 
der  Gestalt  einer  8  auffassen  lassen,  welche  oben  durch  die  Clitoris 
geschlossen  wird.  Da  der  Sphincter  ani  externus  ein  willkürlicher 
Muskel  ist,  steht  es  wohl  zu  erwarten,  dass  auch  ein  gewisser  Grad 
von  Verengerung  des  Scheideneinganges  gleichzeitig  mit  Zusammen- 
ziehung des  Afters  erzielt  werden  kann. 

Literatur  über  die  Mittelfleischmuskeln :  J.  Wilson ,  Description  of  two 
Muscles  surrounding  the  Membranous  Part  of  the  Urethra,  in  Lond.  Med.  Surg. 
Transact.  1809.  Wilson  würdigte  besonders  die  von  der  hinteren  ^hamfugen- 
flftche  zur  Pars  membraniieea  ureÜirae  herabkommenden  Muskelbündel  (Wilson'- 
scher  Muskel  der  Autoren),  welebWi  Mtncr  Angabe  nach,    eine  Schlinge  um 


730  §.  383.  Fuden  de«  Mittelfleisehes.  Fatda  pOvU. 

die  Harnröhre  bilden  sollen,  was  allerwärts  in  Abrede  gestellt  wurde.  —  O.J,Q%- 
thrie^  Beschreibung  des  Musculus  compressor.  Leipsig,  1836.  Nach  Saniorkdt 
Ansicht,  aber  bei  weitem  ausführlicher.  —  «7.  Müller^  über  die  organischen  Her- 
Yen  der  erectilen  männlichen  Geschlechtsorgane.  Berlin,  1836.  —  O.  L,  Koldt^ 
die  männlichen  und  weiblichen  Wollustorgane.  Freiburg,  1844.  —  C.  Bouget,  aar 
les  appareils  musculaires  du  perin^e.  Gaz.  m6d.  1865.  Nr.  41.  —  JB.  iMickka, 
über  die  Musculatur  des  weiblichen  Perineum,  in  den  Denkschriften  der  kiii. 
Akad.  Bd.  XX.  —  Vorzügliche  Beachtung  verdient  Kokbrauach,  zur  Anatomie  und 
Physiologie  der  Beckonorgane.  Fol.  Mit  3  Taf.  Leipz.,  1854.  Diese  Schrift  refor- 
mirt  viele  herkömmliche  Ansichten  über  Lagerungs-  und  Formverh&ltnisse  der 
Beckenorgane,  und  ist  durchaus  auf  eigene,  höchst  vorlässliche  Untersnchuiifen 
gegründet 


§.  323.  Fasoien  des  Mittelfleisches.  Fasda  Pdvis. 

Die  Fascien  des  Mittelfleisches  sind:  1.  Die  Fcucia  perinei 
superficialis,  2.  die  Fascia  perinei  pi^opna,  und  3.  die  Fasda  pelm. 
Keine  dieser  drei  Fascien  gehört  dem  Mittelfieisch  allein  an.  Wir 
werden  von  jeder  derselben  sehen,  dass  sie  sich  in  Nachbarsregionen 
des  Mittelfleisches  fortsetzt  So  verlängert  sich  die  Fascia  superficialis 
in  den  Hodensack  hinein  als  Tunica  dartos,  während  die  Fasda 
perinei  propria  und  Fascia  pelvis  sich  nach  hinten  in  die  Aftergegend 
fortsetzen,  und  dadurch  zu  wahren  Verschlussmitteln  der  ganzen 
unteren  Beckenapertur  (Ausgang  des  kleinen  Beckens)  werden. 
Wir  wollen  die  genannten  drei  Fascien  in  umgekehrter  Ordnung 
durchgehen,  und  mit  der  letzten,  als  Fascia  pelvis  beginnen. 

Ich  glaube  dem  leichteren  Verständniss  dieser  Fascie  dadurch 
Vorschub  zu  leisten,  dass  ich  an  ihr  ein  parietales  und  viscera- 
les Blatt  unterscheide.  Das  parietale  Blatt  entspringt  rings  vom 
Eingange  des  kleinen  Beckens,  bis  zur  Tncisura  ischiadica  major 
hin.  Seine  Ursprungspunkte  sind  von  vorn  nach  rückwärts  gezählt: 
die  hintere  Wand  der  Symphysis  ossium  pubis,  die  Crista  ossis  pubis, 
die  Linea  arcuata  interna  ossis  ilei.  Es  hängt  an  diesen  Stellen  mit 
den  sich  daselbst  festsetzenden  Fascien  des  grossen  Beckens  (Fasda 
iliaca)  und  der  Bauchwand  {Fascia  transversa)  zusammen,  steigt  in 
die  kleine  Beckenhöhle  hinab,  kleidet  sie  aus,  und  überzieht  somit 
drei  Muskeln,  welche  an  der  inneren  Wand  des  kleinen  Beckens 
angetroffen  werden:  Ohturat^yr  internus,  Coccygeus,  imd  Pyriformis, 
Auf  dem  Ohturator  internus  erstreckt  sich  das  parietale  Blatt  (hier 
Fasda  obturatoria  genannt)  bis  zu  dessen  unterem  Rand  herab,  und 
verschmilzt  daselbst  mit  dem  Processus  faldfoi^mis  des  Ligamentum 
tuberoso-saci'um  (§.  146).  Auf  dem  Coccygeus  imd  Pyriformis  erscheint 
es  dünner,  und  befestigt  sich,  einen  halbmondförmigen  Bogen  bil- 
dend, an  die  vordere  Kreuzbeinfläche,  einwärts  von  den  Foramina 
sacralia  antica,  so  wie  am    Steissbein.    Unter  dem   freien,   concaven. 


§.  SS4.  Fateia  ptrimi  propHa  und  tuperfidalU.  731 

nach  innen  sehenden  Rande  dieses  Bogens  treten   die    Vasa  glutaea 
und  der  Nenma  üchiadiais  zum  grossen  Hüftloch  hin. 

Du  parietale  Blatt  hat  demnach  mit  dem  Verschluss  der  anteren  Becken- 
apertur  nichts  zn  schaffen.  Dieser  wird  durch  das  viscerale  Blatt  der  Fatda 
pdvia  auf  folgende  Weise  zu  Stande  gebracht  Man  denke  sich  vom  parietalen 
Blatte  das  viscerale  längs  einer  Linie  abtreten,  welche  die  Schamfuge  mit 
dem  Sitzstachel  verbindet  Diese  Abgangsstelle  des  visceralen  Blattes  vom  pa- 
rietalen bildet  einen  weissen,  dichten  Streifen,  welcher  als  Arcus  tendinetu  be- 
zeichnet wird,  und  dem  LevcUor  ani  (§.  270)  zum  Ursprung  dient  Vom  Arcus 
tendineus  wendet  sich  das  viscerale  Blatt  der  Beckenaxe  zu,  und  gelangt  dadurch 
an  jene  Organe,  welche  wie  Prostata,  Blase  und  Rectum,  eine  Fixirung  und 
Sicherung  ihrer  Lage  in  der  unteren  Beckenapertur  benöthigen.  Das  viscerale 
Blatt  bildet  also,  indem  es  diese  Organe  fixirt,  zugleich  das  hauptsächlichste  Ver- 
schlussmittel der  unteren  Beckenapertur.  Der  Weg,  welchen  das  viscerale  Blatt 
einschlägt,  um  zu  den  genannten  Organen  zu  gelangen,  folgt  der  oberen  Fläche 
des  Levator  am.  Da  nun  die  vordersten  Bündel  dieses  Muskels  an  die  Prostata 
treten,  wird  auch  der  vorderste  Abschnitt  des  visceralen  Blattes  zu  diesem 
Organe  als  Ligamentum  pubo-prostatieum  medium  et  laterale  gelangen.  Diese  Liga- 
mente bilden,  indem  sie  die  Prostata  umschliessen,  die  äussere  fibröse  Membran 
dieser  Drüse.  Sie  fixiren  recht  augenscheinlich  die  Prostata,  und  durch  sie  auch 
die  Harnblase.  Sie  werden  deshalb  auch  als  Ligamenta'  ptUHhveaicalia  erwähnt. 
Der  mittlere  Abschnitt  des  visceralen  Blattes  dringt  als  Faacia  reeto-vesicaUs 
zwischen  Blasengrund  und  Mastdarm  ein,  um  mit  demselben  Antheil  der  ent- 
gegengesetzten Beckenseite  zu  verwachsen,  und  dient  somit  vorzugsweise  als 
Fixirungsmittel  der  vollen  Blase.  Der  hintere  Abschnitt  des  visceralen  Blattes 
verliert  sich  als  dünne  Bindegewebschichte  auf  der  Aussenfiäche  des  Mastdarms. 


§.  324.  Fascia  perinei  propria  et  superficialis. 

Die  Fascia  perinei  jpropria  ist  uns  zum  Theile  schon  als  Liga- 
mentum trianguläre  uretkrae  bekannt.  So  heisst  nämlich  der  vordere 
Abschnitt  derselben,  welcher  den  Schambogen  verschliesst,  und  von 
der  Harnröhre  durchbohrt  wird.  Die  Basis  des  Ligamentum  trian- 
guläre uretkrae  entspricht  der  Verbindungslinie  beider  Sitzknorren; 
die  Spitze  dem  unteren  Rande  der  Schamfuge.  Hinter  der  Verbin- 
dungslinie beider  Sitzknorren  nimmt  die  Stärke  der  Fascia  perinei 
propria  plötzlich  ab,  so  dass  sie  nur  mehr  eine  dünne  Bindegewebs- 
membran  darstellt,  welche  die  untere  Fläche  des  Levator  ani  so 
tiberzieht,  wie  das  viscerale  Blatt  der  Fasda  pelvis  die  obere  Fläche 
dieses  Muskels  bekleidet.  —  Man  lässt  allgemein  das  Ligamentum 
trianguläre  aus  zwei  Blättern  bestehen.  Das  vordere  stärkere  er- 
zeugt an  der  Durchbruchstelle  der  Urethra  für  diese  eine  Scheide, 
welche  in  die  Hülle  des  Corpus  cavemosum  übergeht.  Das  hin- 
tere schwächere  hängt  mit  der  fibrösen  Hülle  der  Prostata  zusam- 
men. Zwischen  beiden  Schichten  liegt  der  Oompreasor  weth$*ae 
(§.  322,  d). 


732  S-  385.   Topogn^hie  des  MitielfltUckM. 

Die  Fascia  perinei  superficialis  lässt  uns  gleichfalls  zwei  Blät- 
ter unterscheiden.  Das  oberflächliche  Blatt,  fettreich,  und  des- 
halb von  einiger  Mächtigkeit,  adhärirt  nirgends  an  die  Knochen, 
sondern  verhält  sich  wie  gewöhnliches  subcutanes,  fetthaltiges  Binde- 
gewebe. Es  geht  nach  vom  in  die  Dartos  des  Hodensackes  über.  — 
Das  tiefe  Blatt  der  Fascia  ^^eriwei  superficialis  hängt  am  hinteren 
Rande  des  Ligamentum  trianguläre  ureihrae  und  an  den  Knochen 
fest,  welche  den  Schambogen  bilden,  deckt  als  fettlose  und  dünne 
Fascie  den  Ischio-  und  Bulbo-cavemosus  y  so  wie  den  Transversus 
perinei  superficialis  zu,  folgt  diesen  Muskeln  zur  Wurzel  des  Glied- 
schaftes, und  verliert  sich  in  die  ebenso  fettlose  Fascia  penis. 

Wir  haben  nicht  vergessen,  dass  die  beiderseitigen  Levataret  am  von  den 
SeitenwSnden  des  kleinen  Beckens  gegen  das  untere  Mastdarmende  convergiren, 
und  somit  einen  Trichter  bilden,  dessen  concave  Fläche  von  der  Fateia  pelvis^ 
dessen  convexe  Fläche  von  der  dünnen  Fortsetzung  des  Ligamentum  trianguläre 
urethrae  überzogen  wird.  Die  Aussenwand  dieses  Trichters  ist  zugleich  die  innere 
Wand  eines  Raumes,  dessen  äussere  Wand  durch  den  Sitzknorren  gegeben  wird. 
Dieser  fettgeftiUte  Raum  heiast  Cavum  i*chio-reetale.  Seine  hintere  Wand  wird 
durch  die  unteren  Fleischbttndol  des  OlutaeuM  magnu*  gegeben.  Nach  vom  zu 
verflacht  er  sich,  und  würde  sich  ununterbrochen  in  die  Furche  zwischen  dem 
Bulbus  urethrae  und  der  Wurzel  der  Schwellkörpcr  des  Gliedes  fortsetzen,  wenn 
nicht  der  Transversus  perinei  superficialis  ihm  seine  vordere  Grenze  anwiese. 

Im  weiblichen  Geschlechte  verhalten  sich  die  Fascien  des  Mittelfleisches 
der  Hauptsache  nach,  wie  im  männlichen.  Der  einzige  Unterschied  von  Bedeu- 
tung liegt  darin,  dass,  während  im  männlichen  Geschlechte  die  Mittelfleisch- 
Fascien  blos  zwei  Oeffnungen,  für  Mastdarm  und  Harnröhre,  frei  zu  lassen  hatten, 
im  Weibe  noch  eine  dritte  (mittlere)  für  den  Durchgang  der  Scheide  hinzukommt. 
Luschka^  die  Fascia  pelvis.  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1859. 


§.  325.  Topographie  des  Mittelfleisches. 

Die  Präparation  des  Mittelfleisches  ist  eine  der  schwierigsten 
Aufgaben  für  den  Neuling  in  der  praktischen  Zergliederungskunst, 
und  wird  wohl  kaum  beim  ersten  Versuch  gelingen,  wenn  nicht 
eine  exacte  Vorstellung  über  die  localen  Verhältnisse  der  Fascien 
und  Muskeln  das  Messer  führen  hilft. 

Hat  man  die  Haut,  und  das  hochliegende  Blatt  der  Fascia 
perinei  superficialis  lospräparirt,  und  sich  überzeugt,  dass  das  tief- 
liegende Blatt  der  Fascia  superficialis  mit  dem  hinteren  Rande  des 
Ligamentum  trianguläre  urethrae  verschmilzt,  sich  also  nicht  in  die 
eigentliche  Aftergegend  fortsetzt,  so  sieht  man  die  Musculi  ischio- 
cavenwsiy  bulbo-cavernosi,  und  transversi  perinei  superficiales  noch  be- 
deckt vom  tiefen,  fettlosen  Blatte  der  Fascia  perinei  superficiales  vor 
sich  liegen.  Der  Ischio-caveimosus  bildet  die  äussere,  der  Bulho-caver- 
nosus  die  innere,  der  Transversus  peinnoi  superficialis  die  hintere  Wand 


§.  »6.  TopognpUe  des  MiüelfleiselMs.  733 

eines  dreieckigen  Raumes,  in  welchem  die  Arteria  und  der  Nermi^ 
perinecdis  auperßcialü,  nachdem  sie  die  Fascia  perinei  prop}na  durch- 
bohrten, nach  vom  laufen.  In  diesem  Dreiecke  wird  auch  beim  Stein- 
schnitt die  erste  Eröfinung  der  Harnröhre  gemacht,  um  das  Stein- 
messer auf  der  Furche  der  in  die  Harnröhre  vorher  eingeführten 
Leitungssonde,  bis  in  die  Blase  vorzuschieben.  Hat  man  in  die  Harn- 
röhre einen  Katheter  eingeführt,  welches  nie  unterlassen  werden  soll, 
so  filhlt  man  den  Lauf  derselben  durch  den  Bulbus  ureihrae^  kann 
hierauf  den  Musculus  bulho<avemosus  und  den  transversus  perinei 
superficialis  ganz  entfernen,  um  die  Art  und  Weise  kennen  zu 
lernen,  wie  der  Katheter  am  leichtesten  in  die  Blase  gleitet.  Dieses 
nützUche  Experiment  kann  überhaupt  nicht  häufig  genug  vorge- 
nommen werden,  und  wird  dem  Studirenden  eine  gewisse  Fertigkeit 
in  einer  chirurgischen  Manipulation  verleihen,  die  er  am  Kranken- 
bette sich  nicht  so  bald  eigen  machen  wird.  Das  bedeutendste 
Hindemiss  der  Vorwärtsbewegung  erfährt  der  Katheter  an  jener 
Stelle  der  Harnröhre,  welche  durch  die  OefFnung  der  Fascia  pei'inei 
propria  geht.  Vor  dieser  Fascie  liegt  der  Bulbus  urethrasy  in 
welchem  die  untere  Wand  der  Harnröhre  sich  etwas  ausbuchtet. 
Ist  der  Schnabel  des  Katheters  in  diese  Bucht  gerathen,  was  bei 
zu  starkem  Druck  nach  abwärts  immer  der  Fall  sein  wird,  so  muss, 
wenn  man  den  Griff  des  Katheters  senkt,  in  der  Meinung,  seinen 
Schnabel  durch  die  Pars  membi*anacea  urethrae  weiter  gleiten  zu 
lassen,  der  Schnabel  sich  vielmehr  an  der  Mittelfleischbinde  stem- 
men. Senkt  man  den  Griff  noch  mehr,  und  mit  Gewalt,  so  wird 
der  Schnabel  die  Mittelfieischbinde  durchbohren,  und  sich  einen 
falschen  Weg  bahnen,  der  nicht  in  die  Harnblase  führt.  Am  Le- 
benden kann  das  Nämliche  geschehen,  und  es  ist  das  beste  Mittel, 
diesem  gefährlichen  Accidens  vorzubeugen,  das  Glied  auf  dem  in 
seiner  Harnröhre  steckenden  Katheter  so  viel  als  möglich  in  die 
Höhe  zu  ziehen.  Dadurch  wird  die  Urethra  gespannt,  ihre  untere 
ausgebuchtete  Wand  im  Bulbus  gehoben,  und  der  Katheter  dringt 
nicht  selten  von  selbst  durch  seine  eigene  Schwere  in  die  Pars 
membranacea  urethrae  ein.  Das  anatomische  Präparat  des  Mittel- 
fleisches vor  Augen,  wird  sich  jeder  Schüler  die  Regeln  des  Kathe- 
terisirens  selber  entwerfen  können,  welche,  wenn  sie  nur  aus 
Büchern  memorirt  werden,  kaum  zu  verstehen  sind. 

Hat  man  den  Transversus  perinei  superficialis  und  den  Bulho- 
cavemosus  sorgfältig  abgetragen,  so  findet  man  leicht,  dass  die 
fibröse  Hülle  des  Bulbus  urethrae  eine  Fortsetzung  des  vorderen 
Blattes  des  Ligamentum  trianguläre  urethrae  ist.  Räumt  man  nun  das 
Fett  aus  dem  Cavum  ischio-rectaie  heraus,  so  kann  man  gewahren, 
wie  die  Fascia  perinei  propria  sich  vom  hinteren  Bande  ''' 
raentam    trianguläre   als   dünne   Bindegewebebill 


734  S-  '^^   Topographie  des  BfittelHeUdiM. 

Fläche  des  Levator  am  fortsetzt,  und  wird  hierauf  der  Tuber  ischii 
abgesägt,  so  sieht  man  den  Zug  der  Fasern  des  Musculus  levator 
aniy  welche  gegen  den  After  herab  convergiren.  Die  geringe  Span- 
nung dieses  Muskels  erschwert  seine  Darstellung  bedeutend^  und 
es  ist  deshalb  unerlässlich  nothwendig,  den  Mastdarm  mit  einem 
cylindrisch-zugeschnittenen  Schwämme  massig  anzuAillen,  und  ein 
mit  einem  Faden  versehenes  Querhölzchen  über  dem  Limbus  am 
in  der  Mastdarmhöhle  zu  fixiren,  damit  man  das  Rectum  nach 
unten  anspannen,  und  dadurch  die  zum  Orißdum  ani  convergirenden 
Muskeln  deutlicher  unterscheiden  kann. 

Wurde  der  ganze  Hodensack  entfernt,  und  nur  das  Glied 
belassen,  so  wird  man,  bei  starkem  Herabsenken  des  letzteren,  und 
einiger  Nachhilfe  mit  dem  Skalpell,  jenes  Stückes  des  Ligamentum 
trianguläre  ansichtig  werden,  welches  zwischen  der  Durchtrittsstelle 
der  Urethra  und  dem  Ligamentum  arcuatum  pubis  liegt,  und  ober- 
halb der  Urethra  durch  die  Vena  dorsalis  penis  perforirt  wird. 

Die  Fascia  pelvis,  die  Ligamenta  pubo-prostatica  oder  vesicalia^ 
können  nur  von  der  Beckenhöhle  aus  präparirt  werden.  Es  wird 
die  Beckenhöhle,  durch  Abtragung  des  linken  ungenannten  Beins, 
seitwärts  eröfFnel.  Ist  die  Harnblase  mit  Wasser  massig  gefllUt, 
und  vom  rechten  ungenannten  Beine  abgezogen,  so  spannt  sich 
das  Peritoneimi,  welches  von  der  Seitenwand  des  kleinen  Beckens 
zur  Harnblase  geht,  und  muss  entfernt  werden,  um  den  Arcus  ten- 
dineus  der  Fascia  pelvis  sehen  zu  können.  Wird  nun  auch  die 
Fascia  pelvis  entfernt,  so  tibersieht  man  die  ganze  Ausdehnung  des 
Ursprungs  des  Afterhebers,  von  der  Symphysis  bis  zur  Spina  ischii. 
Hat  man  den  Schnitt  nicht  durch  die  Symphysis,  sondern  links 
von  ihr  geführt,  so  überblickt  man  das  relative  Verhältniss  der 
Fascia  pelvis  und  pennei  propria,  und  die  Organe,  welche  zwischen 
diesen  Fascien  Platz  greifen.  Die  Ligamenta  pubo-prostatica  werden 
sich  beim  Zurückbiegen  der  Blase  gegen  das  Kreuzbein  anspannen. 
Zwischen  ihnen  und  dem  hinteren  Blatte  des  Ligamentum  trianguläre 
ttrethrae  liegt  die  Prostata.  Zwischen  den  beiden  Blättern  des  Liga- 
mentum trianguläre  sind  die  Pa7's  membrana^ea^  urethvae  mit  ihrem 
Compressor,  die  Glandtdae  Cowperiy  und  der  Transversus  perinei 
profundus  eingeschaltet.  Auch  liegen  daselbst,  mehr  gegen  den 
Knochenrand  des  Schambogens  hin,  die  Arteria  und  Veiia  pudenda 
communis^  sammt  dem  gleichnamigen  Nerveugcflecht.  Oefteres  Wie- 
derholen dieser  schwierigen  Zergliederung  wird  nicht  ermangeln, 
jenen  Grad  von  befriedigender  Ortskenntniss  zu  erzeugen,  welcher 
unerlässlich  ist,  um  die  Technik  des  Steinschnittes,  und  die  Patho- 
logie der  Mastdarmabscesse  und  Mastdarmfisteln  zu  verstehen. 

Ueber   praktische  Behandlang   des  Perineum   siehe   mein   Handbuch    der 
prakt  Zerg^liedeningskonst,  §.  104 — 130. 


S.  SS6.  Die  SteiMdrtM.  735 

Ueber  das  Mittelflelach  handeln:  Froriep,  über  die  Lage  der  £inge weide 
im  Becken.  Weimar,  1815.  4.;  —  J.  Houston ,  Views  of  the  Pelvig.  Dublin, 
1829.  fol.;  —  A.  Monro,  The  Anatomy  of  the  Pelvis  of  the  Male.  Edinb.,  1825. 
fol. ;  —  C  DenonvülierSj  sur  les  aponenroses  dn  p^rin^e.  Arch.  gSn.  de  mM, 
1837.  —  Th.  Morton^  Snrg^cal  Anatomy  of  the  Perineum.  Lond.,  1838.;  — 
Ä.  Retzitu,  über  das  lAgamentum  pdwo-proataticum  y  etc.  in  Miüler^s  Archiv,  1849. 
—  Eine  reiche  Fülle  eigener  Arbeiten,  und  eine  erschöpfende  Würdigung  der 
Literatur,  über  Muskeln  und  Fascien  des  Mittelfleisches  enthält  Henle^a  Einge- 
weidelehre, pag.  490,  seqq. 


§.  326.  Sie  Steissdrüse. 

Professor  Hub.  Luschka  entdeckte  bei  der  anatomischen 
Untersuchung  der  Muskeln  des  Mittelfleisches  und  der  Aftergegend 
diese  merkwürdige  Drüse.  Ich  schalte  sie  deshalb  am  Schlüsse  des 
Perineum  eiu;  und  widme  ihr  einen  eigenen  Paragraph^  zu  Ehr* 
und  Preis  des  hochverdienten  Mannes^  dessen  Namen  sie  verewigt 
Wer  hätte  geahnt,  dass  die  präparirende  Anatomie  im  menschlichen 
Leibe  noch  ein  neues  Organ  finden  könne.  Um  so  grösser  der 
Ruhm  des  anatomischen  Meisters,  der  unsere  Wissenschaft  mit 
diesem  schönen  Funde  beschenkte. 

Ich  möchte  sagen ,  anatomische  Entdeckungen  sind  um  so 
grösser,  je  kleiner  das  Gefundene.  Und  klein  ist  diese  Drüse  fiir- 
wahr,  sonst  wäre  sie  nicht  so  lange  ungekannt  geblieben.  Sie  liegt 
unmittelbar  vor  der  Steissbeinspitze  als  ein  länglichrundes,  hanf- 
komgrosscs  Klümpchen,  mit  hügeliger  Oberfläche.  Man  hat  den 
Steissbeinursprung  des  Sphinctei*  am  exteitins  abzutragen,  um  auf 
ein  fibröses  Blatt  zu  treffen,  mittelst  welchem  die  hinter  dem  After 
vorbeiziehenden  Fasern  der  beiderseitigen  Levatores  am  unter  ein- 
ander zusammenhängen.  Zwischen  diesem  fibrösen  Gewebe  und 
der  Steissbeinspitze  zeigt  sich  eine  Oeffnung,  durch  welche  Gefksse 
und  Nerven  (erstere  aus  der  AHeria  saa'alis  media,  letztere  aus  dem 
sympathischen  Ganglion  coccygeurn)  zur  Drüse  gelangen.  Ein  aus 
Bindegewebe  und  organischen  Muskelfasern  bestehendes  Faser- 
gerüste, welches  rundliche  Bläschen  vonO,02'"— 0,05'"  Durchmesser, 
sowie  einfache  und  verästelte  Schläuche  einschliesst ,  bildet  nach 
Luschka  die  Grundlage  des  winzigen  Organs.  Bläschen  und 
Schläuche  sind  mit  Kernen  und  Zellen  gefüllt.  Aufl^allend  erscheint 
der  Reichthum  der  Drüse  an  sympathischen  Nervenfäden,  welche 
mit  kolbenförmigen  Anschwellungen  endigen.  Arnold  widerlegte 
die  Existenz  von  geschlossenen  Bläschen  und  Schläuchen,  indem 
er  dieselben  von  den  Arterien  aus,  mittelst  feiner  Massen  injicirte. 
Dieses  Umstandes  und  der  zahlreichen  organiBcben 
wegen,   sehen  Krause  und   Meyer  in   A'^ 


736  S«  SS7.  Yer&ndernngen  d«s  Eies  im  Bfleiter,  etc. 

CaudalherZ;   oder  ein  Analogen  der  Wundemetze  der  ArL  9aeraiü 
media  bei  Faulthieren  und  Loris. 

H.    Luschka  y    Himanhang   und    Stei.**sdrüse.  Berlin,   1860.  —  W,  iSrawe, 
anat.  Untersuchnngen,  1861.  —  Arnold^  Archiv  für  path.  Anat  32.  Bd.  p.  321 


B.  Fragmente  aus  der  Entwicklungs- 
geschichte. 

§.  327.  Terändenrngen  des  Eies  im  Eileiter  bis  zum  Auftreten 

der  Keimhaut. 

Das  hier  zu  Erwähnende  ist  meistens  Beobachtungen  an 
Thieren  entnommen.  Um  erschöpfende  Umständlichkeit  handelt  es 
sich  wohl  nicht,  indem  die  Schüler  diese  Fragmente  ohnedies  ge* 
wohnlich  überschlagen.  Wer  sie  aber  Uest,  wird  die  anatomischen 
Attribute  eines  zur  Geburt  reifen  Embryo  und  seiner  Hüllen  leichter 
verstehen  (§.  332—336). 

Das  reife  und  zum  Austritt  vorbereitete  Ei  des  Eierstockes 
besteht,  wie  früher  gesagt  wurde,  1.  aus  einer  durchsichtigen,  struc- 
turlosen,  ziemlich  dicken  und  festen  Hülle,  Dotterhaut,  Zcma 
pellucida,  2.  aus  dem  Dotter,  Vitellus,  einer  kugeligen,  zähen,  aus 
kömigen,  ihres  Fettgehaltes  wegen  das  Licht  stark  brechenden  Ele- 
menten bestehenden  Masse,  3.  aus  dem  Keimbläschen,  Vesmda 
germinativa  s.  Purkiniiy  welches  anfangs  in  der  Mitte  des  Dotters, 
später  an  der  inneren  Wand  der  Dotterhaut  liegt,  in  einer  durch- 
sichtigen Hülle  eine  klare,  eiweissartige  Flüssigkeit  enthält,  und  an 
seiner  inneren  Oberfläche  den  Keim  fleck  zeigt.  —  Wird  das  Ei 
als  Zelle  genommen,  so  ist  die  Zona:  die  Zellenmembran,  —  das 
Keimbläschen:  der  Zellenkern,  —  der  Dotter:  Zelleninhalt  zwischen 
Kern  und  Zellenmembran,  —  der  einfache  oder  mehrfache  Keim- 
fleck: das  einfache  oder  mehrfache  Kemköri)erchen. 

Hat  sich  das  Ei  vom  Eierstock  getrennt,  so  wird  es  von  den 
schon  in  Bereitschaft  stehenden,  offenen  Abdominalenden  der  Mutter- 
trompeten, deren  Fransen  (wie  man  meint)  den  Eierstock  umklam- 
mem, aufgenommen,  und  durch  den  Kanal  der  Tuba  in  die  Gebär- 
mutterhöhle geleitet,  wobei  die  contractilen  Fasern  der  Tuba  und 
die  Flimmerbewegung  ihres  Epithels  als  bewegende  Eü:*äfte  wirken. 
Die  Veränderungen,  welche  das  befruchtete  Ei  während  dieses 
Weges,  welcher  ziemlich  langsam  zurückgelegt  wird  (bei  Kaninchen 
3 — 4,  bei  Hunden  8 — 14  Tage  dauert),  sind  im  Menschen  nicht  be- 
kannt. Die  Gelegenheit,  verlässliche  Beobachtungen  über  die  ersten 
Veränderungen    des    Eies    im    Eileiter    und    in    der    Gebärmutter 


S.  8S7.  Yertaderaagen  dM  Sm  im  Bileiter,  eie.  737 

anzustellen;  ereignet  sich  nur  sehr  selten^  indem  das  Weib^  welches 
eben  auf  die  Fortpflanzung  des  Menschengeschlechts  bedacht  ge- 
weseU;  sich  in  solchen  Gesundheitsumständen  befinden  wird,  dass 
sein  plötzlicher  Tod  nur  durch  Zufall  oder  Gewalt  erfolgen  kann. 
Auch  sind  die  Beobachtungen  über  solche  Fälle,  oder  über  abortive 
Eier  aus  den  ersten  Schwangerschaftsperioden,  so  unbestimmt,  und 
so  wenig  übereinstimmend,  dass  es  nothwendig  wird,  diese  Vor- 
gänge am  Thiere  zu  studiren,  und  durch  vorsichtige  Anwendung 
der  gewonnenen  Resultate  auf  die  menschliche  Entwicklungsge- 
schichte, eine  Lücke  der  anatomischen  Wissenschaft,  auszuflülen. 
Was  die  Untersuchung  des  Thiereies  über  diesen  Fragepunkt  lehrte, 
lässt  sich  in  folgenden  Punkten  formuliren. 

1.  Das  Ei  erscheint  auch  im  Eileiter  von  einem  Reste  des 
Discus  oophorusy  in  welchem  es  im  Eierstocke  eingebettet  war,  um- 
hüllt. Dieser  Rest  stellt  ein  unregelmässiges,  an  mehreren  Stellen 
wie  eingerissenes  Zellenstratum  dar,  welches,  während  der  Wan- 
derung des  Eies  durch  den  Eileiter,  allmälig  abgestreift  wird  und 
schwindet,  so  dass  beim  Eintritte  in  den  Uterus  nichts  mehr  von 
ihm  übrig  ist. 

2.  Die  Zona  peUndda  schwillt  auf,  tränkt  sich  wahrscheinlich 
durch  Imbibition  von  Flüssigkeit,  und  das  Ei  wird  grösser. 

3.  Es  lagert  sich  an  die  äussere  Oberfläche  der  Zona  eine 
Schichte  Eiweiss  ab. 

4.  Der  Dotter  wird  consistenter,  imd  seine  Kömchen  häufen 
sich  so  an,  dass  sie  das  Keimbläschen  vollständig  bergen.  Man 
sieht  es  also  nicht  mehr,  und  viele  Beobachter  glauben  deshalb,  es 
habe  aufgehört  zu  existiren.  Der  Dotter  fliesst  beim  gewaltsamen 
Zersprengen  des  Eies  nicht  mehr  als  kömige  Masse  aus,  sondern 
hält  zusammen.  Es  bildet  sich  eine  Furche  um  ihn  herum,  die  im- 
mer tiefer  und  tiefer  wird,  und  endlich  den  Dotter  in  zwei  Theile 
theilt,  deren  jeder  einen  hellen  Fleck  (vielleicht  das  gleichfalls  ge- 
theilte  Keimbläschen)  enthält.  Eine  zweite  Furche,  senkrecht  auf 
die  erste  entstehend,  theilt  den  doppelten  Dotter  in  vier  Kugeln. 
An  jeder  Kugel  wiederholt  sich  diese  Theilung.  Die  Zahl  der 
Kugeln  wächst  somit  in  geometrischer  Progression.  Man  nennt  diese 
Theilung  des  Dotters  in  kleinere  Kugeln  den  Furchungsprocess, 
und  die  Kugeln  selbst:  Furchungskugeln.  Durch  das  Zerfallen 
des  Dotters  in  kleinere  Kugeln  (welche  noch  immer  von  der  ZoTia 
pelludda  zusanmiengehalten  werden)  verliert  er  seine  Kugelform, 
und  erhält,  um  einen  rohen  Vergleich  zu  machen,  das  höckerige 
Ansehen  einer  Maulbeere.  Die  Furchungskugeln  haben  keine  be- 
besondere Hülle.  Nichst  destoweniger  passiren  sie  als  Bildungszellen. 

5.  Während  des  Furchungsprocesses  hat  das  Ei,  durch  Ver- 
grösserung  seiner  Zona  peUudda,  so  an  üb  *   '^^'^ 

Hyrtl ,  Lehrbveh  d«  Aaitomi«. 


738  !•  SW.  Yexiademiigeii  dea  Bi«s  In  üt«rM,  «ke. 

die  Furchungskugeln,  welche  sich  nicht  so  rasch  vermehren,  als 
die  Grösse  des  Eies  zunimmt,  auseinander  weichen,  sich  an  die 
innere  Oberfläche  der  Zona  als  einfaches  Stratum  von  Zellen  in- 
legen, und  so  eine  mit  der  Zona  concentrische  Blase  bilden,  welche 
als  Keimblase,  auch  Keimhaut  (Blastoderma)  den  hellen  Dotter- 
rest umschliesst.  Nur  an  einer  bestimmten  Stelle  der  Keimhaut  finden 
sich  mehrere  Schichten  von  Zellen.  An  dieser  Stelle  wird  die  Keim- 
haut weiss  und  opak  erscheinen ;  —  sie  wird  einen  Fleck  zeigen  — 
und  dieser  Fleck  ist  der  Ausgangspunkt  aller  ferneren  auf  die 
Bildung  eines  Embryo  abzweckenden  Vorgänge,  weshalb  er  Em- 
bryonalfleck (Tacke  embfyonaire  der  Franzosen),  Keimfleck,  auch 
Keimhügel  (Discns  proligeitis)  genannt  wird. 

So  verhält  sich  der  Hergang  nach  Bischoff*fl  Beobachtangen  am  Ka- 
ninchenei.  Ob  das  menschliche  Ei  analoge  Veränderungen  während  des  Doreh- 
gangs  durch  den  Eileiter  erleide,  ist  bis  jetzt  nur  Sache  des  Vermuthens.  Wie 
lange  es  im  Eileiter  verweile,  kann  bei  dem  Mangel  aller  hier  einschlagenden 
Beobachtungen  nicht  gesagt  werden.  Bischoff  vermuthet,  dass  es  vor  dem 
12. — 14.  Tag  nicht  in  den  Uterus  gelangen  dürfte.  —  Die  Auffindung  des  Eies  im 
Eileiter  ist  oft  sehr  schwierige  besonders  dann,  wenn  die  anhängenden  Reste  des 
Diacua  oophom*  verschwunden  sind.  Bisch  off  empfiehlt  zur  Untcrsochung  in 
diesem  Stadium  das  Hundeei,  dessen  dichter,  und  bei  auffallendem  Lichte  weiss 
erscheinender  Dotter,  es  viel  leichter  auffinden  lässt,  als  das  fast  durchsichtige  Ei 
anderer  Haussäugethierc.  Man  befestigt  den  von  seinem  Peritonealüberzog  ge- 
reinigten, und  mit  einer  kleinen  Scheero  der  Länge  nach  geöffneten  Eileiter 
einer  eben  läufig  gewordenen  und  belegten  Hündin  auf  einer  schwarzen  Wichs- 
tafel  mittelst  Nadeln,  und  durchsucht  die  innere  Oberfläche  desselben  genau  mit 
der  Loupo,  oder,  wenn  man  geübter  ist,  mit  freiem  Auge.  Man  findet  die  Eichen 
gewöhnlich  als  weisse,  sehr  kleine  Pünktchen,  auf  Einer  Stelle  des  Eileiters  zu- 
sammengehäuft, kann  sie  mit  einer  Soalpellspitze  auflicben,  und  mit  einem 
Zusätze  von  Speichel  oder  Hühnereiwciss,  um  das  schnelle  Vertrocknen  so  sarter 
Gebilde  zu  verhüten,  unter  das  Mikroskop  bringen. 

Siehe  Biachoff*«  Entwicklungsgeschichte,  pag.  43,  seqq.  —  lieber  den  Für 
chungsprocess :  Reichert  in  Müller's  Archiv,  1846. 


§.  328.   Teränderuiigeii  des  Eies  im  Uterus.   Erscheinen 

des  Embryo. 

Auch  hierüber  liegen  meist*  nur  Beobachtungen  an  Thiereiem 
vor.  —  Das  während  seines  Ganges  durch  den  Eileiter  vergrösserte 
Kaninchenei,  war  am  Ende  des  Eileiters  von  einer  dicken  Schichte 
Eiweiss  umgeben,  und  sein  Dotter  in  zahlreiche  Furchungskugeln 
zerlegt,  welche  die  Keimhaut  und  den  Kcimhtigel  bildeten. 

Die  ersten  Veränderungen,  welche  das  Ei  in  der  Gebärmutter 
erleidet,  betreffen  seine  Zona  pellucidn.  Von  ihrer  ganzen  äusseren 
Oberfläche  nämlich  wuchern  fadenförmige  Fortsätze  hervor,  welche 
in   die    erweiterten  Drüsen    der   Gebärmutterschleimhaut  (Olandulae 


f.  818.  Yerftaderengtii  des  Kies  im  ütorns,  etc.  739 

utricularesy  §.  315)  hineinwachsen.  Sie  sind  keine  bleibenden  Gebilde, 
sondern  verschwinden  wiedery  zusammt  der  Zana  pellucida  selbst, 
deren  Bestand  somit  nur  ein  sehr  kurzer  war.  Man  nennt  die  von 
der  Zona  ausgehenden,  vergänglichen  Zotten:  primäre,  und  ihren 
Complex:  primäres  Chorion.  Für  diese  vergänglichen  primären 
Zotten,  entstehen  später  neue,  aus  der  ganzen  äusseren  Oberfläche 
der  Eeimhaut  selbst,  und  diese  sind  die  secundären,  aus  denen 
sich  in  der  Folge  der  Mutterkuchen,  als  Verbindungsorgan  zwischen 
Embryo  und  Mutter,  entwickelt.  Der  mit  Zotten  besetzte  Theil  der 
Keimhaut  heisst  secundäres  oder  permanentes  Chorion. 

Das  £i  besteht  somit  nun  aus  zwei  in  einander  eingeschlos- 
senen Blasen,  einer  äusseren  {Chorion),  imd  einer  inneren 
(Keimblase,  Blastoderma).  An  der  Stelle  der  Keimhaut,  welche  als 
Embryonalfleck  im  vorigen  Paragraph  erwähnt  wurde,  trennt  sich 
die  Keimblase  in  zwei  Blätter.  Beide  Blätter  liegen  dicht  an  ein- 
ander, können  aber  mittelst  feiner  Nadeln  von  einander  getrennt, 
und  isolirt  untersucht  werden.  Die  DifFerenzirung  beider  Blätter 
schreitet  rasch  über  den  ganzen  Umfang  der  Keimblase  fort,  so 
dass  endlich  die  ganze  Keimblase  zweiblätterig  werden  muss.  Beide 
Blätter  bestehen  aus  kernhaltigen  Bildungszellen  (Dotterkugeln),  mit 
dem  Unterschiede,  dass  die  Zellen  des  äusseren  Blattes  dichter  an 
einander  liegen,  während  die  des  inneren  noch  lose  zusammenhän- 
gen, rundlicher  und  zarter  sind,  und  weniger  granulirt  erscheinen. 
Bischoff  nennt,  der  Analogie  mit  der  Keimhaut  des  Vogeleies  zu- 
folge, das  äussere  Blatt  das  seröse  oder  animalische,  das  innere 
das  Schleimblatt  oder  das  vegetative.  Es  entwickeln  sich  näm- 
lich aus  dem  äusseren  Blatte  die  Organe  des  animalen  Lebens,  aus 
dem  inneren  der  Darmkanal  mit  seinem  Zugehör.  Zwischen  den 
beiden  Blättern  der  Keimhaut  entsteht,  entsprechend  dem  Embryo- 
nalfleck, noch  ein  intermediäres  Blatt,  welches  aber  nicht  über  die 
Ränder  des  gleich  zu  erwähnenden  Fruchthofes  hinauswächst,  also 
nicht  zu  einer  Blase  wird,  wie  die  beiden  anderen  Blätter.  In  die- 
sem intermediären  Blatte  der  Keimblase  ist  die  Uranlage  des  Qe- 
ftlsssystems  gegeben,  weshalb  ihm  der  Name  Gefässblatt  gebührt. 

Bei  weiterer  Entwicklung  der  Eier,  bis  auf  einen  Längen- 
durchmesser von  4  Par.  Lin.,  sind  die  Stellen,  wo  sie  im  Uterus 
liegen,  schon  äusserlich  als  Anschwellungen  kennbar,  welche  zu- 
gleich dünner  erscheinen,  als  die  übrige  Uteruswand.  Am  neunten 
Tage  ist  das  Ei  von  der  Uteruswand,  wie  von  einer  fest  anliegen- 
den Kapsel  umschlossen,  welche  nur  die  beiden  Pole  des  Eies  frei 
lässt.  Versucht  man,  das  Ei  aus  dieser  Kapsel  des  Uterus  heraus- 
zupräpariren,  so  findet  man,  dass  die  äussere  Eihmt  (CSbrürn^  aa 
innig  mit  der  gewulsteten  UterinalschleinÜK 
sie,  beim  Losschälen   der  letstereiii 


740  fi*  >S9.  Wrttore  ForUehritte  der  Bniwickliuif  des  Imbrjo. 

wird,  worauf  etwas  Flüssigkeit  ausströmt,  welche  zwischen  Chorion 
und  Keimblase  gebildet  wurde.  Die  Eeimblase  bleibt  hiebei  ganz, 
und  kann  unversehrt  herausgenommen  werden.  Der  Ghnnd  des 
festen  Zusammenhanges  zwischen  dem  Chorion  des  Eies  und  der 
Gebärmutterschleimhaut  liegt  in  der  Gh*össenzunahme  der  DrOsen- 
schläuche  dieser  Schleimhaut. 

Der  Keimfleck  selbst  erscheint  in  diesem  Stadium  der  Entwicklnng  dei 
Eies,  nicht  mehr  rund,  sondern  oval,  und  zuletzt  bimf&rmig.  Seine  ftussente 
Umrandung  bildet  ein  dunkler  Saum,  welcher,  der  Analogie  mit  dem  Vogeld 
wegen,  dunkler  Fruchthof,  Area  va»culo»a,  genannt  wird.  Der  Ton  ihm  ein- 
geschlossene lichtere  Theil  des  Fmchthofes,  heisst  durchsichtiger  Fraeht- 
h  o  f  —  Area  pellucida.  Der  Unterschied  beider  Fruchthöfe  beruht  auf  der  grosseren 
oder  geringeren  Anhäufung  von  Bildungszellen.  In  der  Axe  des  dnrehaichtigen 
Fruchthofes  tritt  ein  heller  Streifen  auf,  der  Primitivstreifen,  Stria  primüha. 
Reichert  und  Bisch  off  erklärten  ihn  zuerst  für  eine  Rinne.  Zu  beiden  Seiten 
des  Primitivstreifens  erheben  sich  ein  paar  längliche  Erhabenheiten  oder  Kimme, 
die  Rückenplatten,  Laminae  dorsales,  welche  sich  über  der  Rinne  0ch]iesien, 
und  einen  Kanal  bilden,  in  welchem  später  das  Gehirn  und  Rückenmark  sammt 
ihren  Hüllen  entstehen.  Nach  aussen  von  diesen  Kämmen  treten  ein  paar  neue 
Längenwülste  auf,  welche  sich  gegen  die  Höhle  der  Keimblase  zu  entwickeln, 
und  die  erste  Anlage  der  zukünftigen  Rumpfwandungen  des  Embryo  ToriteQen. 
Sie  werden  Visceral-  oder  Bauchplatten,  Laminae  venlraUs  t.  oweeroto, 
genannt.  Unter  der  Stria  primitiva  bildet  sich  die  strangfÖrmige  Chorda  donoUt, 
um  welche  hemm  sich  die  Körper  der  Wirbel  entwickeln. 


§.  329.  Weitere  Fortscliritte  der  Entwicklung  des  Embryo. 

Die  bis  jetzt  geschilderten  Vorgänge  der  Bildung  eines  Pri- 
mitivstreifens (Primitivrinne),  der  Rücken-  und  Bauchplatten,  und 
der  Chorda  doraalis,  gehen  vom  äusseren  oder  serösen  Blatte  des 
Keimflecks  aus. 

Die  Rückenplatten  schliessen  sich  nicht  in  der  ganzen  Länge 
ihrer  convergirenden  Ränder;  die  Verwachsung  beginnt  vielmehr 
zuerst  in  ihrer  Mitte,  und  schreitet  von  hier  aus  gegen  beide  Enden 
vor.  Hat  sich  der  Kanal  für  das  Rückenmark  ganz  geschlossen,  so 
erweitert  er  sich  an  seinem  vorderen  Ende  blasenartig,  und  bildet 
drei  hinter  einander  liegende  Ausbuchtungen.  Die  diese  Ausbuch- 
tungen allmälig  füllende  Nerv^enmasse  wird  zum  Gehirn,  und  die 
blasenartige  Erweiterung  als  Ganzes  ist  der  zukünftige  Kopf  des 
Embryo.  Gegen  das  hintere  Ende  schliesst  sich  der  Kanal  erst 
später,  und  bildet,  so  lange  er  ofi'en  bleibt,  eine  lanzettförmige 
Spalte  {Sinus  rhomhoidalis  des  Vogelembryo).  Sobald  sich  das  Kopf- 
ende des  Kanals  als  blasenartige  Erweiterung  zu  erkennen  giebt, 
erhebt  es  sich  über  die  Ebene  der  Keimhaut,  tritt  aus  ihr  heraus, 
imd  schnürt  sich    gleichsam    von  ihr  ab.    Zugleich  krümmt  es  sich 


§.  St9.  Weitere  Fortoehritte  der  Entwickloiig  dee  Embryo.  741 

SO,  dass  die  drei  Ausbuchtungen  nicht  mehr  in  einer  geraden  son- 
dern in  einer  gebogenen  Linie  Kegen,  deren  höchsten  Punkt  die 
mittlere  Ausbuchtung  einnimmt.  Da  das  innere  oder  Schleimblatt 
an  das  äussere  oder  seröse  Blatt  fest  adhärirt,  so  wird  die  Erhe- 
bung des  aus  dem  serösen  Blatte  gebildeten  Kopfendes,  eine  gleich- 
zeitige Erhebung  des  Schleimblattes  bedingen,  mit  anderen  Worten, 
das  seröse  Blatt  wird  das  Schleimblatt  nachziehen,  und  wenn  nun  die 
vordersten  Theile  der  Visceralplatten  dieses  nachgezogene  Schleim- 
blatt von  den  Seiten  her  durch  ihr  Wachsthum  einstülpen,  so  wird 
der  Kopf  des  Embryo  an  seiner  unteren  Seite  eine  Höhle  ein- 
schliessen  müssen,  welche  mit  der  Höhle  der  Keimblase  durch  eine 
OeflEhung  zusammenhängt.  Erhebt  sich  später  auch  der  mittlere  und 
hintere  Theil  des  rudimentären  Embryo  über  die  Ebene  der  Keim- 
haut, und  zieht  er  das  Schleimblatt  nach,  so  wird,  wenn  auch  nun 
die  Visceralplatten  den  aufgezogenen  Theil  des  Schleimblattes  von 
den  Seiten  her  einsttüpen,  eine  der  ganzen  Wirbelsäule  entlang  lau- 
fende Höhle  (Visceralhöhle)  entstehen  müssen,  deren  vorderster,  am 
meisten  erhabener  Theil  die  Visceralhöhle  des  Kopfes  (nicht  Schädel- 
höhle) vorstellt. 

Hat  sich  der  Embryo  noch  nicht  seiner  ganzen  Länge  nach, 
sondern  blos  mit  seinem  Kopfende  aus  der  Ebene  der  Keimhaut 
emporgehoben,  und  legt  man  ihn,  während  er  noch  mit  der  Keim- 
blase in  Verbindung  ist,  auf  den  Rücken,  so  sieht  man  von  der 
Keimblase  her  das  Kopfende  nicht,  da  es  unter  der  Keimhaut  liegt, 
und  von  ihr  verdeckt  wird.  Die  Eingangsstelle  von  der  Höhle  der 
Keimblase  in  die  im  Kopfende  enthaltene  Visceralhöhle  wird  nach 
der  von  Wolff  beim  bebrüteten  Hühnchen  gewählten  Bezeichnung: 
Fovea  cardiaca,  —  der  das  Kopfende  verdeckende  Theil  der  Keim- 
haut: Kopf  kappe  genannt. 

Rings  um  den  Embryo  erhebt  sich  das  seröse  Blatt  in.  eine 
Falte,  als  erste  Anlage  der  Amnioshaut,  welche  von  allen  Seiten 
her  über  ihn  wächst,  und  deren  Ränder  über  dem  Rücken  dessel- 
ben zusammenstossen,  wo  sie  auch  verwachsen  (Amnionnabel).  Das 
innere  Blatt  dieser  Falte  wird,  wenn  es  bis  zur  Verwachsung  ge- 
kommen ist,  einen  Beutel  oder  Sack  vorsteUen,  dessen  untere  Wand 
der  Embryo  selbst  ist  Das  äussere  Blatt  wird  in  den  übrigen  peri- 
pherischen Theil  des  serösen  Blattes,  welcher  ausserhalb  der  Fal- 
tungssteUe  liegt,  übergehen.  Beide  Blätter  der  Falte  liegen  anfangs 
dicht  an  einander,  und  umschliessen  den  Embryo  ziemlich  eng. 
Sammelt  sich  in  der  vom  inneren  Blatte  der  Falte  gebildeten  Blase 
Flüssigkeit  an,  so  wird  sie  ausgedehnt^  und  wächst  zu  einer  grösse- 
ren Blase  an,  welche  Amnion^  Schaf-  oder  Wasserhaut,  und 
deren  flüssiger  Inhalt  Schafw  ^  Auch 

zwischen  dem  innerai  « 


742  S*  3S9.  Weitere  Fortaohritte  der  EntwicUnag  des  Kmbijo. 

ganzen  serösen  Eihaut,  wird  Flüssigkeit  abgesondert,  wodnreh  diese 
von  dem  darunter  liegenden  Gefäss-  und  Sehleimblatt  losgetrennt, 
und  auch  von  der  Amnionblase  gleichsam  abgehoben  wird.  Es  hat 
sich  nun  die  ganze  seröse  Haut  wie  eine  Schale  von  dem  Amnion 
gelöst,  und  verwächst  dafUr  mit  der  inneren  Fläche  des  Chorion, 
dessen  seröse  oder  innere  Schichte  es  darstellt 

Nachdem  sich  das  Amnion  gebildet,  beginnt  auch  der  übrige 
Embryo,  von  welchem  nur  das  Kopfende  bisher  über  die  Ebene 
der  Eeimhaut  sich  erhob,  sich  von  der  Keimhaut  zu  erheben.  Es 
wiederhohlt  sich  zuerst  am  Schwanzende  derselbe  Vorgang,  wie  am 
Kopfende.  Indem  es  sich  erhebt,  das  Schleimblatt  nachzieht,  und 
die  Visceralplatten  sich  auf  einander  zuneigen,  um  zu  verwachsen, 
entwickelt  sich  eine  vom  Schleimblatt  gebildete  Höhle  in  ihm,  als 
hinteres  Ende  der  Visceralhöhle.  Das  abgeschnürte  Schwanzende 
des  Embryo  wird,  von  der  Keimblase  aus  gesehen,  ebenfedls  durch 
einen  Theil  der  Keimhaut  verdeckt,  und  dieser  ist  die  Schwanz- 
kappe. 

Zuletzt  kommt  die  Reihe  des  Convergirens  auch  auf  die  mitt- 
leren Theilc  der  Visceralplatten.    Ihr  Verschluss,  und   die  dadurch 
bewirkte  Bildung  der  Rumpfhöhle,  erfolgt  aber  viel  langsamer.  Der 
sich  über  die  Fläche  der  Keimhaut  erhebende  Rücken  des  Embryo 
zieht  das  mit  seiner  unteren  Fläche  verwachsene  Ge&ss-  und  Sehleim- 
blatt nach,  welche  somit  eine  gegen  die  Höhle  der  Keimblase  offene 
Rinne  (Darmrinne)  bilden.    Diese   wird   durch  die,   von  vom  und 
von   hinten   gegen    die  Mitte   vorschreitende,    allmälige    Schliessung 
der  Visceralplatten  in  ein  Rohr  umgewandelt,  —  der  einfache  und 
geradlinige  Darmkanal.    Ist  die  Schliessung  der  Visceralplatten 
bis  zur  Mitte  der  Darmrinne  gelangt,  so  geht  die  Verwachsung  bis 
zur  vollkommenen  Abschnürung  weiter.     Es  wird  somit  das  Darm- 
rohr, d.  i.  der  in  der  Rumpfhöhle  des   Embryo   zwischen    den  Vis- 
ceralplatten eingeschlossene,  und  durch  sie   gleichsam  eingeschnürte 
Theil  des  Gefäss-  und  Schleimblattes  der  Keimblase,  mit  dem  ausser- 
halb der  Rumpfhöhlc  verbliebenen  Theil  der  Keimblase  durch  eine 
Oeffnung  communiciren.  Diese  Oeffhung  heisst:  Darmnabel,   und 
der  extra   enibryonem  liegende    Theil    der    Keimblase:  Nabelblase, 
Vesicula  umbilicalis.    Die   Communicationsstelle   der  Nabelblase  mit 
dem  Darmrohr  zieht  sich  nach  und  nach  in  einen  Gang  aus,  Nabel- 
blasen-  oder  Dottergang,   Ductus  07nphalo-entericus.     Der  kreis- 
förmige Rand,  der  um  den  Ductus  omphalo-entaricus   zusammengezo- 
genen Visceralplatten,  ist  der  sogenannte  Hautnabel   oder  eigent- 
liche Nabel.  Die  Nabelblase  ist,  da  sie  aus  dem  vereinigten  GeAlss- 
und  Schlcimblatte  der  Keimblase  besteht,  sehr  gefässreich,   und  da 
das  in  der  Rumpfhöhle  des  Embryo  enthaltene  Darmrohr  ebenfalls 
ein  Theil  der  Keimblase  ist,   so   müssen   Blutgefässe  vom   Embryo 


$.  330.  WoIiTscher  Körper.  743 

zur  Nabelblase  und  umgekehrt  verlaufen.  Diese  Blutgefässe  liegen 
am  Ductus  omphalo-entericusy  und  werden  Vasa  omphalo-meaentenca 
genannt.  Sie  bestehen  aus  einer  Arterie  und  zwei  Venen. 

Nebst  der  Nabelblaso  entwickelt  sich  noch  eine  zweite  Blase,  welche  für 
die  Entwicklung  des  Embryo,  und  seine  einzuleitende  Verbindung  mit  der  Qebär- 
mutter,  von  grösster  Wichtigkeit  ist  Diese  Blase  ist  die  AüantoU^  Harnhant 
lieber  ihre  Entstehung  sind  die  Meinungen  gethcilt.  Bischoff  leitet  die  erste 
Anlage  der  Allantois  von  einer  aus  Bildungszellen  bestehenden,  nicht  hohlen 
Wucherung  der  Visceralplatten  des  Schwanzes  ab.  Diese  Wucherung  ist  sehr 
gefässreich,  indem  die  Enden  der  Tbeilnngsäste  der  Aorta  sich  in  ihr  verzweigen, 
und  ihre  Venen  sich  zu  zwei  ansehnlichen  Stämmchen  vereinigen,  welche  in  der 
Substanz  der  Visceralplatten  zum  Herzen  verlaufen.  Hat  sich  die  Allantois,  durch 
Verflüssigung  ihrer  inneren  Zellenmasse,  in  eine  Blase  umgestaltet,  so  commu- 
nicirt  sie  allerdings  mit  dem  Darmeude,  und  kann,  der  Form  nach,  als  Ausstül- 
pung desselben  genommen  werden.  Die  Allantois  wächst  rasch,  und  erreicht  schon 
frühzeitig  eine  solche  Grösse,  dass  sie  durch  die  sich  zum  Hautnabel  zusammen- 
ziehenden Visceralplatten  in  zwei  Theile  getheilt  wird,  deren  einer  innerhalb, 
der  andere  ausserhalb  des  Embryo  liegt.  Der  innerhalb  des  Embryo  liegende  Theil 
der  Blase  wird  in  seiner  unteren  Hälfte  zur  Harnblase,  in  seiner  oberen  dagegen 
zum  Harnstrang,  Urachxi».  Die  starken  Arterien  der  Allantois  sind  die  Fort- 
setzungen der  beiden  oben  erwähnten  Aortenäste  (Arteriös  iliaeae),  und  werden 
Nabelarterien  genannt  Die  Venen  vereinigen  sich  zu  einem  oder  zwei  Stäm- 
men —  Nabelvenen  —  welche  zur  Hohlader  gehen.  Wir  sehen  nun  durch  die  eigent- 
liche Nabelöffhung  der  Rumpfwand  folgende  Theile  treten:  1.  den  Dttetue  omphaio- 
entericusj  mit  den  Vasis  omphalo-mesentericis,  2.  den  Urachua  mit  den  Vcuis  um- 
biUcaUbuSy  und  3.  eine  vom  Amnion  für  diese  Theile  gebildete  Hülle  —  die 
Nabelscheide,  —  welche  an  der  Peripherie  des  Nabels  in  die  äussere  Haut 
des  Embryo  übergeht  Der  Complex  aller  dieser  Gebilde  heisst  Nabelstrang, 
Funicuius  umbilicalis,  —  Der  ausserhalb  des  Embryo  liegende  grössere  Abschnitt 
der  Allantois  vdrd  dazu  verwendet,  eine  Qefässverbindung  zwischen  dem  Embryo 
und  der  Gebärmutter  einzuleiten,  und  zwar  auf  folgende  Weise.  Er  wächst  näm- 
lich so  rasch,  dass  er  die  äussere  Eihaut  (Chorion)  erreicht,  sich  an  ihre  innere 
Fläche  anlegt,  mit  ihr  verwächst,  und  seine  Arterien  in  sie  eindringen  lässt. 
Diese  verlängern  sich  bis  in  die,  an  der  Aussenfläche  des  Chorion  aufsitzenden 
Zotten,  und  beugen  sich  in  diesen  schllngenförmig  um,  um  in  Venen  überzu- 
gehen. Gleichzeitig  entwickeln  sich  die  Blutgefässe  der  Schleimhaut  des  Uterus, 
begegnen  jenen  des  Chorion,  und  münden  zwar  nicht  mit  ihnen  zusammen,  ge- 
rathen  jedoch  in  eine  so  innige  Beziehung,  dass  ein  Austausch  der  Bestandtheile 
beider  Blutsorten  durch  Diffusion  möglich  wird.  Diese  Verbindung  der  Gefäss- 
systeme  des  Uteras  und  des  Embryo  bilden  den  Mutterkuchen,  PlacerUa, 
dessen  genauere  Untersuchung  in  §.  336  folgt. 

§.  330.  Wolffscher  Körper. 

Unter  den  hier  gegebenen  Fragmenten  der  Entwicklungsge- 
schichte, mag  auch  dem  Wolffschen  Körper  ein  Platz  gegönnt 
sein.  Er  verdient  ihn  schon  wegen  seiner  Beziehungen  zur  Ent- 
wicklung der  Genitalien.  Der  Wolflf'sche  Körper  ist  ein  paariges 
Organ^  welches  die  ganze  Bauchhöhle  sehr  junger  Embryonen  ein- 
nimmt ^  und  steht  in   jener  Periode   des   embryonalen  Lebens  im 


744  S*  890.    Wolffieher  Körper. 

gröBsten  Flor,  in  welcher  von  Harn-  und  Geschlechtsorganen  nocb 
nichts  zu  sehen  ist.    Die  WolfiTschen  Körper  sind  tubulöse  Drflsen, 
welche,  so  lange  noch  keine  Nieren  gebildet  sind,  mit  der  Ausschei- 
dung der  stickstoffhaltigen  Zersetzungsproducte   des  embryonischen 
Stoffwechsels   betraut    sind,    daher  ihr  Name  Primordialnieren. 
Die    quer   liegenden    Kanälchen    der    Primordialnieren    endigen  an 
ihrem  inneren  Ende  blind,  an  ihrem  äusseren  Ende  aber  gehen  «e 
in  einen  gemeinschaftlichen  AusfUhrungsgang  über,   welcher  in  das 
untere  Ende  der  Allantois  einmündet.    An   seinem  inneren   Rande 
entsteht  ein  Organ,  welches  zum  Hoden-  oder  Eierstock  wird.  Auf- 
wärts von  diesem  Organe  zieht   sich   der  Mü Herrsche   Faden  an 
der  unteren  Fläche  des  Wolff^schen  Körpers  hin.    Er  ist  hohl,  also 
eigentlich  ein  Gang,  endigt  vorn  blind  und  mtlndet  hinten  zwischen 
den  Insertionen  der  Wolff'schen  Ausführungsgänge   in  die  Allantois 
ein.  Wird  das  am  inneren  Rande  des  Wolff'schen  Körpers  sich  bil- 
dende Organ  zu  einem  Hoden,  so  schwindet  der  MüUer'sche  Faden 
der  Art,  dass  nur  sein  hinteres,  in  die  Allantois  einmündendes  Ende 
perennirt,  welches  dann  mit   demselben  Ende   des   anderen  Müller'- 
schen  Fadens  zu  einem  Säckchen  zusammenfliesst  —  die  in  §.  298 
erwähnte   Vesicula  prostatica.    Die  Samenkanälchen  des  neu  entstan- 
denen Hoden  münden  in  die  Querkanäle   des   Wolff'schen   Körpen 
ein.    Was  von  letzteren  diesseits   dieser  Einmündung  liegt,   schwin- 
det, während  das  jenseits  der  Einmündung  liegende,   mit  dem  Aus- 
ftthrungsgang    der    Wolff'schen    Körper    zusammenhängende    Stück 
derselben,    sich    zu  den    Coni  vasculosi  Hallein    (§.  300)   umwandelt, 
und  der  Ausführungsgang  selbst   zum    Nebenhoden   wird.    Von  den 
vordersten  Querkanälchen  des  Wolff'schen  Körpers  kann  eines  oder 
das  andere  als  eine  Form  der  Morgagni'schen  Hydatide  (§.301) 
perenniren;  —   während    eines    der    hintersten    sich    zum    Vaseulum 
aben-ans  (§.  300)  umbildet.  Ob  auch  die  Parepididymis  (§.  300)  als 
ein  Residuum  des  Wolff'schen  Körpers  zu  nehmen  sei,   ist  nicht  be- 
wiesen, aber  sehr  wahrscheinlich. 

Wird  aber  das  anfangs  indifferente  Organ  am  inneren  Rande 
des  Wolff'schen  Körpers  zu  einem  Eierstocke,  so  schwindet  der 
MüUer'sche  Faden  nicht,  wohl  aber  der  Wolff'sche  AusfUhrungs- 
gang.  Der  Müller'sche  Faden  öffnet  sich  an  seinem  vorderen  Ende, 
und  wird  zur  Tuba  Fallopiae.  Die  hinteren  Enden  beider  verschmel- 
zen zu  einem  unpaaren  Schlauch,  welcher  sich  in  Uterus  und  Vagina 
sondert.  Einige  Querkanälchen  des  Wolff'schen  Körpers  können 
(wie  im  männlichen  Geschlechte)  perenniren,  und  bilden  sodann  den 
im  §.  309  erwähnten  Neben  ei  erst  ock. 

Ich  will  nicht  so  unbescheiden  sein,  den  Autoren  über  Entwicklung- 
Geschichte  länger  in's  Handwerk  zu  pfuschen,  und  verweise  den  Wissbegierigen 
auf  die  einschlägigen  Schriften. 


{.  881.  MtBBchlkhe  Bier  ms  dem  ersten  SchwAiigerschAftsmoBAte.  745 


§.   331.  Menscliliohe  Eier  aus  dem  ersten  Sohwangersohafts-  . 

monate.    Membranae  deciduae. 

Der  Vergleich  sehr  junger  menschlicher  Eier  mit  den  in  den 
vorausgegangenen  Paragraphen  geschilderten  Thiereiem  zeigt,  bis 
auf  minder  wesentliche  DiflFerenzen,  eine  grosse  Uebereinstimmung. 
Nach  Thomson's  Beobachtungen  eines  12 — 14  Tage  alten  mensch- 
lichen Eies,  hatte  dieses  einen  Durchmesser  von  */io  Zoll.  Sein 
Chorion  war  mit  Zotten  besetzt.  In  diesem  befand  sich  eine  zweite 
Blase,  welches  die  Höhle  des  Chorion  nicht  ganz  ausfüllte,  und 
auf  welchem  der  Embryo  dicht  auflag.  Die  Seitentheile  des  Embryo  . 
gingen  ohne  Erhebung  in  diese  Blase  über.  Sie  war  also  die  Keim- 
blase. Von  Amnion  und  Allantois  war  nichts  zu  sehen.  Wahrschein- 
lich wurde  ersteres  übersehen,  und  fehlte  nicht,  da  der  Embryo, 
wie  es  heisst,  mit  seinem  Rücken  an  das  Chorion  befestigt  war, 
was  so  zu  verstehen  ist,  dass  das  Amnion  in  seinem  Schliessungs- 
punkte über  dem  Embryo  noch  nicht  vom  Chorion  losgelöst  war. 

In  einem  von  R.  Wagner  beobachteten  Falle,  wo  der  Durch- 
messer des  Eies  fünf  Linien  betrug,  war  bereits  das  Darmrohr  ge- 
bildet, und  hing  durch  einen  kurzen  Kanal,  Ihictua  omphalo-entencus, 
mit  der  Nabelblase  zusammen.  Allantois  und  Amnion  waren  schon 
entwickelt.  Wagner  schätzte  das  Alter  dieses  Eies  auf  drei  Wochen. 
Mülle r's  Fall  stimmt  mit  diesem  genau  überein,  und  ebenso  ein 
vierter,  von  Coste  auf  zwanzig  Tage  geschätzt.  Diese  wenigen 
Data  genügen,  um  aus  der  Uebereinstimmung  der  ersten  Entwürfe 
auf  eine  gleiche  Entwicklungsweise  zu  schliessen. 

In  den  sogenannten  hinfälligen  Häuten,  Mefnbranae  deci- 
duae, liegt  ein  wichtiges  Unterscheidungsmoment  der  menschlichen 
und  thierischen  Eibildung.  Die  Membranae  decidvae  sind  Eihüllen, 
welche  nur  im  MenBchen  (wahrscheinlich  auch  bei  den  Affen)  vor- 
kommen. Ihre  Entstehung  geht  aber  nicht  vom  Ei  aus,  wie  die 
des  Amnion  und  Chorion,  sondern  von  der  Gebärmutter.  Es  ist 
hinlänglich  constatirt,  dass,  bevor  noch  das  menschliche  Ei  in  die 
Gebärmutter  gelangt,  an  der  inneren  Oberfläche  der  letzteren  eine 
Haut  entwickelt  wird,  welche  von  Einigen  für  ein  neues  Erzeugniss, 
für  ein  Absonderungspro duct  der  Uterinalschleimhaut  gehalten  wurde, 
gegenwärtig  jedoch  von  allen  Anatomen  als  die  hypertrophirte 
Uterusschleimhaut  selbst  anerkannt  wird,  welche  sich,  so  zu  sagen, 
von  der  Wand  der  Uterushöhle  abschält.  Sie  wurde  von  Hunt  er 
zuerst  untersucht  und  beschrieben,  und  fuhrt,  weil  sie  bei  jeder 
Geburt  ausgestossen  und  bei  jeder  folgenden  Schwangerschaft  wieder 
neu  gebildet  wird,   den   Namen   Membrana  decidua  Hunteri,     Sie  ist 


746  §•  931-  Menschliche  Eier  aas  dem  eisten  SehwangenehAltomennte. 

weich^  weisslich,  gefasert,  einem  plastischen  Exsudate,  wie  es  bei 
Entzündungen  gebildet  wird,  ähnlich  (daher  ihre  Yerwechslung  mit 
diesem).  Ihre  Dicke  beträgt  in  ihrem  höchsten  Entwicklongsflor 
bis  3  Linien.  Als  aufgelockerte  Uterinalschleimhaut  besitzt  die 
Decidua  vergrösserte,  verlängerte,  selbst  mehrfach  verzweigte  ßlmt- 
dulde  utinailares  in  grösster  Anzahl,  deren  erweiterte  Mündungen 
das  siebft5rmige  Ansehen  der  freien  Fläche  der  Decidua  bedingen. 
Kommt  nun  das  Ei  durch  die  Tuba  in  den  Uterus,  so  soll  es  den, 
das  Ostütm  nterinum  verscliliessenden  Theil  der  Decidua  vor  sich 
her  drängen.  So  entsteht  die  Membrana  decidua  reflexa^  durch  welche 
das  Ei^  bevor  es  noch  mit  der  Gebärmutterwand  in  Contaet  geräth, 
gleichsam  wie  in  einer  Schwebe  aufgehangen  wird.  Die  Deddm 
reflexa  wäre  somit,  nach  dieser  Vorstellung,  ein  Theil  der  De- 
ddtva  Vera, 

Man  darf  sich  aber  die  Einstülpung  der  Decidua  vera  zur  Decidua  r^lexa 
nicht  als  ein  gewaltsames  mechanisches  Vordrängen   derselben  Torstellen,   woio 
das  kaum  y^o  Linie  grosse  Ei  wohl  schwerlich    genug  Gewicht  haben  wird.    Es 
ist  im  Gegentheil    sehr  wahrscheinlich,    dass    das    Orificium  uiennum  der  Tabi 
durch    die  Decidua  gar  nicht  verschlossen  wird ,    und  das  Ei    somit  frei  in  die 
Gebärmutterhöhle  schlüpft,  worauf  es  von  einem  aus  der  Uteruaachleimhaat  nch 
rings  um  das  Ei  erhebenden  Wall  umschlossen,  und  gänzlich  von  ihm  omwachfeo 
wird.     Die  Einstülpungstheorie  hat  jedoch  hierin  einigen  Halt,    dass  der  Mutter- 
kuchen  in    der  Regel   auf  oder  nahe  bei    einem    Orificium   tUerinum   tuibae  ätit, 
was  nicht  so  gewöhnlich  vorkommen  könnte,    wenn  das  Ei  frei  in  die  Utenii* 
höhle  gelangte,   und  somit  eine  tiefere  Anheftungsstelle  erhalten  müsste.    Gknin 
genommen,    ist    die  Sache    mehr  ein  Wortstreit,    als  eine  wirkliche  Anaichtsver* 
schiedeiiheit,    donn  es  wird  sehr  schwer  sein,    zu  beobachten,    ob  ein  so  kleinei 
Körperchen,  wie  das  Ei  um  diese  Zeit,   bei  seinem  Anlangen  in  der  UtemshSble 
die  aufgelockerte,   und  die  Tubenöffnung  überragende  Schleimhaut  vor  sich  her- 
drängt,   oder    von    der    gewulsteten   Schleimiiaut   umwachsen    wird.     Es   kommt, 
scheint  mir,    beides  so  ziemlich  auf  dasselbe  hinaus.    —    Die  Bildung   einer  De- 
cidua  lässt    sich   nicht   blos   auf  den   Fall   einer   geschehenen    Befruchtung    des 
Eies  zurückführen.     Ich  fand  in  zwei  Uteri  von  Mädchen  ,    welche  während  der 
Reinigung  eines  plötzlichen  Todes  starben,  und  deren  eine  ein  vollkommen  tadel- 
loses Hymen  bcsass,  die  Uterinalschleimhant  verdickt,  aufgelockert,  ihre  Drüsen- 
Schläuche  verlängert  und  erweitert,  —  kurz  einer  beginnenden  Decidua  ähnlich. 
Man  darf  somit  annehmen,  dass  die  mit  jeder  Menstruation  eintretende  Vitalitäts- 
steigening  des  Uterus,    der  Grund   der  Entwicklung    einer  hinfälligen   Haut  ist, 
welche    theils   durch    Aufsaugung,     theils   durch    Abstossung    u-ieder    schwindet, 
wenn  nicht  der,    durch  eine   stattgefundene  Befruchtung  gegebene  Impuls,    eine 
weitere  Entwicklung  derselben  bedingt.     Dass  das  Ei  selbst   auf  die  Entstehung 
der  Decidua   vera   keinen  Einfluss    nimmt,    beweist   ferner   die   durch   zahlreiche 
Erfahrungen  bestätigte  Wahrheit,  dass  auch  in  Fällen,  w^o  das  befruchtete  £i  gar 
nicht  in  die  Uterushöhle  gelangt,  sondern  im  Ovarium,  in  der  Tuba,  oder  selbst  in 
der  Bauchhöhle  seine  Schwangerschaftsstadieu  durchmacht  {Gravidität  extrauterina)^ 
dennoch  die  Decidua  vei-a  sich,   wie  bei  normaler  Schwangerschaft,  entwickelt 


{.  388.   HenscUiclie  Bier  am  dem  iwsHen  Schwingenchaftsmonate.  747 

§.  332.  Mensohliche  Eier  aus  dem  zweiten  Schwangerschafts- 

monate. 

lieber  menschliche  Eier  aus  dem  zweiten  Schwangerschafts- 
monate sind  die  Beobachtungen  viel  zahlreicher,  als  aus  den  frü- 
heren Perioden.  Ein  im  Anfange  des  zweiten  Monats  durch  Missfall 
(Abortus)  abgegangenes  Ei  hat  8 — 12  Linien  Durchmesser.  Es  ist 
von  der  Decidua  reflexa,  oder  zugleich,  obwohl  viel  seltener,  von 
der  Decidua  vera  umhüllt.  Die  Decidua  vera  erscheint  in  ihrer 
äusseren  Fläche  rauh,  zottig,  an  ihrer  inneren  glatt  und  glänzend. 
Den  Raum  zwischen  beiden  nimmt  geronnenes  Blut  ein,  wodurch 
das  ganze  Ei  meistens  für  einen  Blutklumpen  gehalten  und  in  den 
Abtritt  geworfen  wird.  Das  Chorion  ist  mit  Zotten  oder  Flocken 
besetzt,  welche  durch  die  Decidua  reflexa  hindurchwachsen,  an  jener 
Stelle  des  Chorion,  wo  sich  später  die  Placenta  entwickelt,  beson- 
ders dicht  stehen,  und  seitUche  Aeste  hervortreiben,  wodurch  sie 
das  Ansehen  von  kleinen  Bäumchen  erhalten.  Der  Embryo  selbst 
ist  2—3  Linien  lang,  und  aus  seinem  Nabel  kommt  die  Nabelblase, 
an  einem  Stiele  hängend  (Ductus  omphalo-entericus  mit  den  gleich- 
namigen Blutgefässen)  hervor.  Die  Allantois  existirt  nicht  mehr. 
Dagegen  findet  sich  ein  aus  dem  Bauche  des  Embryo  kommender, 
und  zu  jener  Stelle  des  Chorion  verlaufender  Strang,  wo  die  Zotten 
bereits  die  Baumform  angenommen  haben.  Dieser  Strang  besteht 
aus  den  NabelgefUssen :  zwei  Arteinae  und  eine  Vena  umbilicalis.  Die 
Arterien  senken  ihre  Zweige  in  die  baumformigen  Zotten  des  Chorion 
ein,  an  deren  Enden  sie  schlingenförmig  in  die  Venen  umbeugen. 
Der  Stiel,  an  welchem  das  Nabelbläschen  hängt,  wird  länger,  als 
bei  irgend  einem  Säugethiere,  obliterirt  aber  schon  um  diese  Zeit 
vollkommen,  so  dass  das  Bläschen  auf  die  weitere  Entwicklung 
des  Darmkanals  keinen  Bezug  nehmen  kann.  Es  rückt  sofort  vom 
Nabel  weg,  und  entfernt  sich  so  weit  von  ihm,  dass  es  in  den  Raum 
zu  liegen  kommt,  wo  das  peripherische  Amnion  sich  zur  Nabel- 
scheide einstülpt.  Zwischen  Chorion  und  Amnion  befindet  sich  ein 
noch  immer  ansehnlicher  Zwischenraum,  der  mit  einer  gaJlertähnli- 
chen  Flüssigkeit  (Magma  reticuUy  Velpeau)  angefüllt  ist. 

Daa  frühzeitige  Schwinden  der  Allantois  ist  eine  dem  menschlichen  Eie 
eigenthümliche  Erscheinung.  —  Die  Allantois  hat  die  Bestimmung,  die  Nabel- 
gefSsse  des  Embryo  in  das  Chorion  zu  leiten,  damit  sie  in  dessen  Zotten  ihre 
letzte  Verästlung  fänden.  Da  nun  im  menschlichen  Ei  nur  jene  Zotten  Oefässe 
erhalten,  welche  der  Placentarinsertion  entsprechen,  so  braucht  die  Allantois 
nicht  weiter  zu  wachsen,  als  bis  sie  diese  Stelle  des  Chorion  erreicht;  und  sind 
ihre  Gefässe  in  die  Zotten  eingetreten,  so  hat  sie  ihre  Rolle  ausgespielt,  sie 
fängt  ihre  Rückbildung  an,  und  wird  zum  soliden  Nabelstrange,  der  eigentlich 
nur  den  Weg  andeutet,  welchen  die  Nabelgefässe  vom  Embryo  zum  Chorion 
genommen  haben. 


748  §•  SSS*  Zur  Geburt  rtifts  Ei.    Sehafhaut 


§.  333.  Zur  &6burt  reifes  Ei.  Sohafhaui 

Die  Schafhaut  {Amnion)  des  reifen  Eies,  ist  eine  zimllcliit 
den  Embryo  umschliessende  Hülle^  oder  die  innere  Eihaut  desselben. 
Gefkss-  und  nervenlos^  bildet  sie  eine  weite  Blase,  welche  das  Aas- 
sehen  einer  serösen  Membran  besitzt,  und  mit  einer  trüben,  dick- 
lichen Flüssigkeit  —  dem  Frucht-  oder  Schafwasser,  Liquor 
amnii  —  gefüllt  ist.  Ihre  innere  Oberfläche  ist  glatt,  ihre  äussere 
liegt  entweder  am  Chorion  an,  und  verklebt  so  lose  mit  ihm,  dass 
sie  leicht  abgezogen  werden  kann,  oder  wird  von  ihm  durch  eine 
dem  Liquor  amnii  ähnliche,  grössere  oder  geringere  Flüssigkeits- 
menge getrennt  —  das  falsche  Fruchtwasser,  Liquor  amnii  spuritu. 

In  der  Höhle  des  Amnion  schwimmt,  vom  Liquor  amnii  veruM  amgebea, 
und  an  seinem  Nabelstrange  aufgehangen,  der  Embryo.  Der  Nabelstrang,  welcher 
den  Embryo  mit  dem  aasserhalb  des  Amnion  liegenden  Matterknchen  verbindet, 
durchbohrt  nicht  das  Amnion.  Es  stülpt  sich  letzteres  vielmehr  um  den  Nabel- 
Strang  herum  ein,  bildet  eine  Scheide  für  ihn,  gelangt  an  ihm  cum  Nabe! 
des  Embryo,  und  verschmilzt  daselbst  mit  den  Bauchdecken.  Betrachtet  nua 
die  Amnionblase,  die  Nabelscheide,  und  das  Integument  des  Embryo,  als  conti* 
nuirliche  Theile,  so  liegt  der  Embryo  in  ihnen,  wie  das  Herz  im  HenbeoteL 
Da,  wie  bei  der  Entstehung  des  Amnion  gezeigt  wurde ,  der  Embryo  seine 
Rückenflftche  der  Amnionblase  zukehrt,  so  kann  er  zuletzt  nur  so  in  die  H9hle 
der  Blase  zu  liegen  kommen,  dass  die  aus  seinem  Nabel  hervorwachsenden  Ge- 
bilde, Nabel-  und  Allan toisblase ,  sich  immer  weiter  vom  Nabel  entfernen,  dch 
stielartig  in  die  Länge  ziehen,  und  einen  Ueberzug  vom  Amnion  erhalten.  Die- 
selbe Vorstellung  scheinen  Oken  und  Döllinger,  und  neuerer  Zeit  aaeh 
Serres,  gehabt  zu  haben,  wenn  sie  sich  der  Worte  bedienen,  dass  der  Embryo 
sich  mit  dem  Rücken  in  die  Amnionblase  einsenkt,  und  die  Theile  des  Nabel- 
stranges gleichsam  wie  ein  Seiler  aus  sich  herausspinnt.  —  Dass  das  Amnion 
aus  kernhaltigen  Zellen  besteht,  lässt  sich  nur  bei  jungen  Eiern  erkennen.  Um 
die  Zeit  der  Geburt  ist  seine  Zusammensetzung  aus  Zellen  nicht  mehr  dentiich, 
dagegen  ein  sehr  schönes  Pflasterepithelium  an  der  inneren  Oberflftche  dei 
Amnion  vorfindlich. 


§.  334.  Fruchtwasser. 

Die  Menge  des  Frucht-  oder  Schafwassers,  Liquor  arnnüj 
ist  in  verschiedenen  Schwangerschaftsstadien,  und  um  die  Geburts- 
zeit, bei  verschiedenen  Frauen  sehr  ungleich.  Seine  Quantität  nimmt 
bis  zur  Mitte  des  Fruchtlebens  zu,  und  gegen  die  Geburt  wieder 
ab,  wo  es  im  Mittel  ein  Pfund  beträgt.  Ebenso  variirt  seine  Zu- 
sammensetzung, und  die  bisher  vorgenommenen  chemischen  Ana- 
lysen stimmen  deshalb  nicht  überein.  Man  findet  es  bei  sehr  jungen 
Embryonen  wasserhell,  später  wird  es  gelblich,  schmeckt  salzig, 
und  hat   den    thierischen   Geruch    vieler   organischer  Flüssigkeiten. 


{.  885.  Oeftsahaot.  749 

Es  enthält  im  vierten  Monate  97,  im  sechsten  aber  99  Procent 
Wasser;  das  übrige  sind  Salzspuren  und  Eiweiss.  Der  geringe 
Eiweissgehalt  macht  es  unwahrscheinlich,  dass,  wenn  das  Frucht- 
wasser vom  Embryo  verschluckt  wird,  es  als  NahrungsstofF  ver- 
braucht werden  kann. 

Der  mechanische    Nutzen    des  Fruchtwassers  liegt   auf  der  Hand.    Seine 
Gegenwart    schützt  den   Embryo  vor  den  Gefahren  mechanischer  Beleidigungen, 
welche  bei  der  Zartheit   und  Vulnerabilität  der  Frucht,  seine   normgem&sse  Ent- 
wicklung leicht  beeinträchtigen  könnten.  Es  gestattet  dem  Embryo  freie  Beweg- 
lichkeit, ohne  sich  an  den  Wänden  der  Gebärmutter  zu  reiben,  oder  heftig  gegen 
sie  zu  stossen.    Nimmt  die  Menge  des  Fruchtwassers  ab,    wie  es  in  den  letzten 
Schwangerschaftsmonaten    Regel    ist,   so  werden  die  Bewegungen  der  Frucht  für 
die  Mutter  lästig  und  schmerzhaft.    Der  im  Fruchtwasser  flottirende  Nabelstrang 
weicht  den  Bewegungen  des  Embryo  aus,  und  kann  somit  weder  gedrückt,  noch 
gezerrt   werden,    wodurch   die   Ab-  und  Zufuhr   des  Fruchtblutes  gesichert  wird. 
Ob  das  Fruchtwasser   als  Zwischenkörper  die  Verwachsung  einzelner  Theile  des 
Embryo  verhindere,  mag  dahingestellt  bleiben.    Allzufrüher  Abgang  des  Frucht- 
wassers bedingt  Abortus,    und   das  Eindringen   der,    durch   den  Druck  der  con- 
trahirten    Gebärmutter   in    den   Muttermund    gepressten  Amnionblase    (das  soge- 
nannte   Einstellen    der   Blase),     erweitert   gleichförmig    den    engsten    Theil    der 
Geburtswege,  und  befeuchtet  sie  beim  Platzen  der  Blase.  Sind  die  Fruchtwässer 
abgelaufen,  und  die  Geburtswege  trocken  und  heiss  geworden,  so  wird  die  Geburt 
mit  namhaften  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  haben. 


§.  335.  &efäs8haut. 

Die  Gefässhaut,  Ckorion,  des  reifen  Embryo,  umschliesst 
das  Amnion,  und  heisst  deshalb  auch  äussere  Eihaut.  Es  wurde 
bereits  erwähnt,  dass  das  Chorion  bei  sehr  jungen  Eiern  an  seiner 
ganzen  äusseren  Fläche  zottig  ist,  während  seine  innere  Fläche 
glatt  erscheint.  Man  kann  diesen  Unterschied  immerhin  durch  die 
Ausdrücke  Chorian  fungosum  s.  frondosum^  und  Choinon  la^ve  8. 
glabrum  bezeichnen,  vorausgesetzt  dass  man  darunter  keine  beson- 
deren Häute,  sondern  nur  Flächen  Einer  Haut  versteht.  Mit  dem 
fortschreitenden  Wachsthume  des  Eies  und  der  damit  verbundenen 
Ausdehnung  des  Chorion,  werden  die  Zotten  an  der  unteren  Ge- 
gend des  Chorion  spärlicher,  häufen  sich  dagegen  in  der  oberen 
Peripherie,  und  besonders  an  der,  der  zukünftigen  Placentarinser- 
tion  zugekehrten  Stelle  mehr  und  mehr  an.  Dieses  soll  aber  nicht 
als  ein  Wandern  der  Zotten  ausgelegt  werden,  sondern  ergiebt  sich 
als  Folge  einer  numerischen  Zunahme  der  Zottenbildung  an  der 
oberen  Gegend,  während  die  Zotten  an  der  unteren  Peripherie  des 
Chorion,  schon  der  zunehmenden  Ausdehnung  dieser  Haut  wegen, 
weiter  aus  einander  rücken,  durch  Druck  atrophisch  werden  müssen, 
und  beim  reifen  Ei  in  so  grossen  Abständen  stehen,  und  zugleich 
so  verkümmert  sind,  dass  man  diesen  Abschnitt  des  Chorion  immerhin 


750  9-  ^^  Mntterlraehea. 

zottenlos  nennen  kann.  Die  dichtgedrängten,  langen  und  bäum- 
förmigen  Zotten  an  der  oberen  Peripherie  des  Chorion^  bilden  den 
Körper  des  Mutterkuchens  —  Placentae 

Die  zerstreuten,  verkümmerten  Zotten  des  Chorion  eines  reifen  Eies  haben 
ein  ffanz  anderes  Ansehen  als  die  Placentarzotten.  Sie  sind  fadenförmig,  fibrösen 
Filamenten  ähnlich,  gehen  mit  breiterer  Basis  vom  Chorion  ab,  and  senken  sich 
mit  ihren  zugespitzten  Enden  in  die  Decidua  ein,  mit  welcher  sie  oft  so  innig 
zusammenhängen,  dass  die  Trennung  beider  Häute  Schwierigkeiten  macht  Sie 
enthalten  in  der  Regel  keine  Gefässe;  nur  die  der  Placenta  näher  stehenden  be- 
kommen zuweilen  Aeste  der  Nabelgefässe.  Es  ist  auch  nur  der  gefässreiche  Zu- 
stand dieser  Membran  bei  Thieren,  und  ihre  Theilnahme  an  der  Bildung  des 
Mutterkuchens,  welche  ihr  den  Namen  der  Gefässhaut  beilegen  machte.  Sie 
besteht  sonst  aus  Zellen,  mit  grossem  Kern,  in  den  Zotten  aber  mit  fein  granu- 
lirtem  Inhalt 

§.  336.  Mutterkuchen. 

Der  Mutterkuchen,  Placenta,  vermittelt  als  ein  äusserst  ge- 
fUssreiches  Organ,  den  Blutverkehr  zwischen  Mutter  und  Frucht. 
In  ihm  erfährt  das  Blut  des  Embryo  jene  Veränderung,  durch 
welche  es  zur  Ernährung  desselben  befähigt  wird.  Er  hat  die 
Gestalt  eines  länglich -runden,  convex-concaven  Kuchens,  dessen 
grösster  Durchmesser  5 — 8  Zoll,  dessen  Dicke  1 — 1*72  ZoU,  und 
dessen  Gewicht  1—272  Pfund  beträgt.  Seine  convexe  oder  äussere 
Fläche  sitzt  an  der  inneren  Oberfläche  des  Fundus  uteri  fest,  jedoch 
nicht  in  dessen  Mitte,  sondern  gegen  das  eine  oder  andere  Orificium 
uterinum  tuha^.  Das  Amnion  überzieht  seine  concave  Fläche,  in 
welche  sich  der  Nabelstrang  nicht  in  ihrer  Mitte,  sondern  exccntrisch 
und  in  schräger  Richtung  einpflanzt.  Seine  weiche,  schwammige 
Masse  ist  sehr  reich  an  Blutgefässen,  welche,  indem  sie  theils  dem 
Embryo,  theils  dem  ütcinis  angehören,  nach  altherkömmlicher  Vor- 
stellung die  Eintheilung  des  Mutterkuchens  in  einen  Gebärmutter- 
und  einen  Fötaltheil  {Pai's  placentae  uterina  et  foetalis)  veran- 
lassten. 

A.  Fötalthcil  des  Mutterkuchens.  Es  wurde  früher  er- 
wähnt, dass  die  ganze  Aussenfläche  des  Chorion  anfUnglich  mit 
Zotten  besetzt  erscheint,  und  dass  diese  später  sich  an  jener  Stelle 
des  Chorion  anhäufen  und  stärker  entwickeln,  wo  das  Ei  sich  mit 
der  Gebärmutter  in  GefUssverbindung  setzen  soll.  Die  Zotten  wach- 
sen an  dieser  Stelle  zu  kleinen  Bäumchen  an,  gruppiren  sich  zu 
dicht  gedrängten  Büscheln,  welche  selbst  wieder  grössere,  an  der 
Aussenfläche  einer  vollkommen  ausgetrageneu  Placenta  noch  er- 
kennbare Lappen  oder  Inseln,  Cotyledones,  bilden.  Die  GefUsse 
des  Nabelstrangs  theilen  sich  an  der  inneren  Fläche  der  Placenta 
in   Aeste  und   Zweige,   welche   in  die  Lappen  eindringen,  und  sich 


|.  SS6.   Mattorkndieii.  761 

durch  wiederholte  Theilung  in  kleinere  Gefässe  auflösen^  welche 
zu  den  Zotten  gehen.  Das  in  die  Zotte  eindringende  arterielle  Ge- 
f^Bchen  folgt  allen  Aesten  und  Reiserchen  der  Zotte^  macht  also 
so  viele  Schlingen  oder  Schleifen,  als  die  Zotte  Aeste  hat,  und 
geht  zuletzt  in  die  Vene  der  Zotte  über,  welche,  durch  allmälige 
Vereinigung  mit  allen  übrigen  Zottenvenen,  die  Vena  umbilicalis 
zusammensetzt.  Es  muss  also  das  durch  die  beiden  Arteriae  umbili- 
cales  in  die  Placenta  foetalis  gefiihrte  Blut,  durch  die  Vena  umbilicalis 
wieder  zum  Embryo  zurückfliessen,  —  es  gelangt,  wegen  vollkom- 
menen Abgeschlossenseins  der  Gefässschhngen  in  den  Zotten,  nicht 
in  die  Gefässe  der  Gebärmutter,  und  die  Placenta  verhält  sich  in 
dieser  Hinsicht  wie  jedes  andere  innere  Organ  des  Embryo. 

K  ö  1 1  i  k  e  r*8  Versuche  haben  an  den  Stämmen  and  Aesten  der  Ärteria  und 
Vena  umbilicalis  Contractilitftt  nachgewiesen.  Die  Versuclie  wurden  an  frischen, 
eben  geborenen  Placenten  durch  Reizung  mittelst  des  elektro-magnetischen  Ap- 
parates vorgenommen.  —  Da  noch  keine  Nerven  in  der  Placenta  (wohl  aber  im 
Nabelstrang)  entdeckt  wurden,  so  liegt  in  der  experimentell  constatirten  Contrac- 
tilität  der  Placcntargefösse  ein  höchst  wichtiges  Moment  für  die  Beantwortung 
der  Frage,  ob  die  Contractilität  vom  Nervensystem  abhängig  ist  oder  nicht  Köl- 
liker,  Mittheilungen  der  naturforsch.  Gesellschaft  in  Zürich.  1848. 

B.  Gebärmuttertheil  des  Mutterkuchens.  Man  denkt  sich 
die  Theilnahme  des  Uterus  an  der  Placcntabildung  auf  folgende 
Weise.  Die  grossen,  ästigen,  zur  Placenta  sich  zusammendrängenden 
Zotten  des  Chorion  wachsen  in  die  gleichfalls  vergrösserten  Glan- 
dulae utriculares  der  Decidua  hinein.  Zugleich  entwickelt  sich  ein 
kolossales  Blutgefössnetz  in  der  Decidua,  dessen  Arterien  in  unge- 
heuer weite,  und,  wie  man  sagt,  wandlose,  d.  h.  nur  von  den  Resten 
der  Decidua  gebildete  Venen  tibergehen.  In  dieses  Gefässnetz  sind 
die  Zotten  der  Pktcenta  emh*yonica  so  eingetaucht,  dass  sie  vom 
Blute  der  Mutter  bespült  werden,  und  somit  ein  gegenseitiger  Aus- 
tausch der  beiderseitigen  Blutströme  durch  En-  und  Exosinose  leicht 
eingeleitet  werden  kann. 

Der  normale  Oeburtsact  geht  gewöhnlich  in  der  Weise  vor  sich,  dass  die 
Eihäute  am  Muttermunde  platzen  (Springen  der  Blase),  das  Fruchtwasser  ab- 
fliesst,  und  hierauf  der  Embryo  praevio  capUe  ausgetrieben  wird.  Die  Eihäute 
mit  dem  Mutterkuchen  folgen  in  einer  längeren  oder  kürzeren  Pause  nach,  und 
werden  deshalb  von  den  Qeburtshelfern  Nachgeburt,  Sectmdinae,  genannt. 

Die  Structur  der  Placenta  lUerina  dürfte  noch  weitere  Arbeit  veranlassen. 
Seit  Jahren  wurde  in  dieser  Richtung  nichts  mehr  unternommen.  Der  Punkt,  auf 
welchen  es  am  meisten  ankommt,  ist  die  Nichtcommunication  des  embryonischen 
und  mütterlichen  Gefässsystems.  Dieser  ist  wohl  auf  die  conciseste  Weise  sicher- 
gestellt. —  Man  kann  sich  die  Wechselwirkung  zwischen  dem  Blute  des  Embryo 
und  der  Mutter  so  vorstellen,  wie  jene  in  den  Lungen  zwischen  dem  venösen 
Blute  und  der  atmosphärischen  Luft,  nur  handelt  es  sich  in  der  Placenta  nicht  blos 
um  den  Uebertritt  gasförmiger  Stoffe,  sondern  auch  wirklicher  Nahrungsbestand- 
theile.  Es  klingt  deshalb  immer  nur  figürlich,  die  Placenta  einen  Pulmo  uteriafiua 
zu  nennen.    —   Insertionsanomalien  der   Placenta  können,   zur  Zeit  der  Qeburt, 


752  S-  »7.  NabelstnBf. 

für  Mutter  und  Kind  sehr  gefährlich  werden.  Sitzt  die  Placenta  auf  dem  Mutter- 
munde fest,  die  sogenannte  Placenta  praevia,  so  muss  bei  der  Erweitenmg  dai* 
selben  im  Beginne  der  Qeburt,  die  Placenta  theilweise  aas  ihrer  Verbindang  mit 
dem  Uterus  gewaltsam  gerissen  werden,  und  eine  Blutung  entstehen,  welcher  mr 
durch  Beschleunigung  der  Geburt  mittelst  künstlicher  Lösung  der  Placenta  Ein- 
halt gethan  werden  kann. 


§.  337.  ÜTabelstrang. 

Nabelstrang  oder  JS Ahelüchnnr,  Funicultu  unMUcaUifhevui 
im  reifen  Embryo  ein  nahezu  fingerdickes  Bündel  von  Blutgefitosen, 
durch  welche  der  Embryo  mit  dem  Mutterkuchen  in  Verkehr  steht 
Seine  Länge  stimmt  gewöhnlich  mit  jener  des  reifen  Embryo  über- 
ein, und  beträgt  somit  im  Mittel  18  Zoll,  jedoch  sind  Ausnahmen 
dieser  Regel  nicht  ungewöhnlich.  Man  hat  an  ausgetragenen  Leibes- 
früchten Nabelstränge  von  272  Zoll  Länge  gesehen  (Guillemot), 
und  in  der  pathologisch-anatomischen  Sammlung  zu  Wien  befindet 
sich  einer,  der  über  5  Schuh  lang  ist. 

Die  erste  Entstehung  des  Nabelstranges  flUlt,  zugleich  mit  der  Bildnnf 
des  Nabels,  in  jene  Periode,  wo  sich  der  Embryo  von  der  Keimblase  abiiudmll- 
ren  begann,  und  die  aus  dem  Unterleibe  des  Embryo  herauswachaende  AUintou, 
mit  ihrer  doppelten  Arterie  und  einfachen  Vene,  bis  an  die  innere  Fliehe  dM 
Chorion  gelangte.  Die  AUantois  vergeht,  aber  ihre  Blutgefässe  persistirea  bis  u 
das  Ende  der  Schwangerschaft  als  NabelgefXsse. 

Der  Nabelstrang  besteht  aus  folgenden  Theilen: 
a)  Zwei  Nabelarterien.  Sie  sind  Fortsetzungen  der  beiden 
AHeria^  hypogastricae  des  Embryo.  Selten  fehlt  eine  derselben.  Sie 
streben  von  den  Seiten  der  Harnblase,  welchen  sie  anliegen,  dem 
Nabel  zu,  wo  sich  die  Vena  umbilicalis  zu  ihnen  gesellt.  Durch  den 
Nabel  treten  sie  in  den  Nabelstrang  ein,  in  welchem  sie,  in  Schrau- 
bentouren,  zur  Placenta  verlaufen,  um  dort  mit  ihren  letzten  Ver- 
zweigungen die  Schlingen  in  den  Zotten  zu  bilden.  An  der  Ein- 
trittsstelle in  die  Placenta  communiciren  sie  durch  einen  starken 
Verbindungszweig.  Die  rechte  Artei*ia  umbilicalis  ist  gewöhnlich 
etwas  schwächer  als  die  linke.  Sie  bleiben  während  ihres  ganzen 
Verlaufes  im  Nabelstrang  unverästelt,  und  besitzen  (mit  Ausnahme 
ihres  Bauchstückes)  keine  Vasa  imsorum,  keine  elastischen  Fasern  in 
ihrer  Wand  und  keine  bindegewebige  Adventüia.  Die  Umwandlang 
des  Bauchstückes  der  Nabelarterien  nach  der  Geburt  in  die  Uga- 
menta  vesico-umbilicalia  lateralta,  ist  bereits  bekannt.  Da  das  ge- 
sammte  arterielle  Gef&sssystem  des  Embryo  kein  rein  arterieOes^ 
sondern  gemischtes  Blut  führt,  werden  auch  die  Nabelarterien  nur 
gemischtes  Blut  dem  Mutterkuchen  zuführen. 

Unter  60  injicirten  Placenten,  welche  ich  besitze,  befindet  sich  nor  Eioe, 
deren  Nabelarterien  nicht  miteinander  anastomosiren.    Bei  den  übrigen  finde  icb 


$.  337.   Nabelstrang.  753 

die  Art  der  Anaatoniose  sehr  verschieden.  Hierüber,  so  wie  über  die  von  mir  an 
den  Arteriis  umJhüicalihus  aufgefundenen  merkwürdigen  Bulhi^  welche  man,  sonorer 
Weise  Placentar herzen  nennen  könnte,  behalte  ich  mir  vor,  an  einem  an- 
deren Orte  ausführlicher  zu  handeln.  —  Stellenweise  Aufknäuelungen  der  Arte- 
riae  vmhüicale»  bedingen  die  unter  dem  Namen  „falsche  Knoten**  bekannten 
localen  Intumescenzen  des  Nabelstranges. 

b)  Eine  Nabelvene.  Sie  ist  viel  voluminöser,  aber  weit  weni- 
ger gewunden  als  die  Arterien,  und  klappenlos.  Die  Spiraltouren 
der  Nabelarterien  umwinden  sie  (vom  Embryo  ausgehend)  meistens 
von  links  nach  rechts;  —  unter  32  Nabelsträngen  war  dieses  nach 
Hunter  28mal  der  Fall.  Innerhalb  des  Embryo  läuft  sie,  die  Arte- 
nae  umbilicales  verlassend,  vom  Nabel  zum  vorderen  Abschnitt  der 
Fossa  longitudinalis  sinistra  der  Leber  hinauf,  und  ist  während  dieses 
Laufes  im  unteren  Rande  des  Ligamentum  stispensoinum  eingeschlos- 
sen. Am  linken  Ende  der  Querfurche  der  Leber  angelangt,  theilt 
sie  sich  in  zwei  Zweige,  deren  kürzerer  in  den  linken  Ast  der 
Pfortader  einmündet,  während  der  längere  durch  den  hinteren  Ab- 
schnitt der  linken  Längenfiirche,  als  Ductus  venostis  Arantii,  zum 
Stamme  der  unteren  Hohlvene  tritt.  Oft  hat  es  den  Anschein,  dass 
der  Ductus  venosus  Arantii  nicht  aus  der  Nabelvene,  sondern  aus 
dem  linken  Pfortaderaste  hervorgeht.  Der  Metamorphose  des  Bauch- 
stückes der  Nabelvene  in  das  runde  Leberband  wurde  bereits 
mehrfach  gedacht. 

Schon  während  die  Nabelvene  durch  den  vorderen  Abschnitt  der  Foisa 
longitudinalis  sinistra  der  Leber  verläuft,  giebt  sie  Aesto  in  das  Leberparenchym 
ab.  Von  der  Abgangsstelle  dieser  Aoste  bis  zur  Einmündung  in  den  linken 
Pfortaderast,  verwächst  die  Vena  umhilicalis  nach  der  Geburt  nicht.  Dieses  offen 
bleibende,  kurze  Stück  verliert  nur  an  Caliber,  und  erscheint  somit  als  ein  Ast 
des  linken  Pfortaderastes,  in  welchem  somit  das  Blut  von  der  Pfortader  weg- 
ström e  u  muss ,  während  es ,  so  lange  die  ganze  Nabelvene  offen  war,  der 
Pfortader  zuströmte,  —  der  einzige  Fall  von  Aenderung  der  Stromrichtung 
in  einem  und  demselben  Blutgefäss.  —  Da  es  keine  Vasa  vasorum  im  Nabelstrange 
giebt,  mufls  das  gemischte  Blut  der  Arteriae  umbilicales  und  das  arterielle  Blut 
der  Nabelvenc  für  die  Ernährung  des  Nabelstranges  sorgen.  Der  Mangel  der 
Vasa  vasorum  erklärt  es  nun  auch,  warum,  wenn  nach  der  Geburt  kein  Blut 
mehr  durch  die  Vasa  umbilicalia  strömt,  der  am  Neugebomen  zurückbleibende 
Theil  der  durchschnittenen  Nabelschnur  (4  Zoll  lang)  gänzlich  und  sehr  schnell 
abstirbt,  während  die  intraabdominalen  Stücke  der  Vasa  umbilicalia^  welche  Va^a 
vasorum  besitzen,  nicht  absterben,  sondern  zu  soliden  Strängen  umgebildet  werden. 

c)  Die  Wharton'sche  Sülze.  So  heisst  jene  gallertige  Masse, 
welche  die  Blutgefässe  des  Nabelstranges  umgiebt  und  zusammen- 
hält. Man  hält  sie  für  amorphes,  d.  i.  nicht  über  das  Stadium  des 
Blastems  hinaus  entwickeltes  Bindegewebe  (Virchow's  Schleim- 
gewebe). Locale  Anhäufungen  von  Wharton'scher  Sülze  passiren 
ebenfalls  als  falsche  Knoten. 

d)  Die  Scheide  des  Nabelstranges.  Sie  wird  durch  die  Ein- 
stülpung des  Amnion  gebildet,  und  geht  an  der  Peripherie  des 
Nabels  in  das  Integument  des  Embryo  über. 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie.  48 


754  §•  337.    Nabelstrang. 

e)  Noch  mus8  ich  im  Nabelstrange  ein  Paar  Schnüre  von  un- 
gewöhnlicher Stärke  und  Festigkeit  als  Chordae  funtculi  umbiUcdis 
anführen. 

Wenn  man  einen  Nabelstrang  entzwei  zu  reissen  versucht,  wird  man  sich 
wundern,  dass  dieses  an  einem  Bündel  von  drei  Blutgefässen  mit  weicher,  sal- 
ziger Umgebung,  so  äusserst  schwer  gelingt.  Es  gehört  wirklich  grosser  Kraft- 
aufwand dazu.  Die  Ursache  dieser  Widerstandskraft  gegen  Dehnung  und  Bisi 
liegt  in  der  Gegenw.irt  dieser  Schnüre,  welche,  wenn  man  ihrer  einmal  an  der 
Querschnittfläclie  des  Nabelstranges  ansichtig  geworden,  mittelst  Spaltung  der 
Scheide  des  Stranges,  sich  in  längeren  Strecken  anatomisch  darstellen,  oder  auf 
rohere  Weise  von  den  Gefassen  losreissen  lassen. 

Das  Vorkommen  von  Nerven  im  Nabelstrang  haben  Schott  (die  Contro* 
verse  über  die  Nerven  des  Nabelstranges,  Frankfurt,  1836),  und  Valentin  Be- 
pertorium.  II.  Bd.  pag.  151)  sichergestellt.  Sie  stammen  aus  den  Lebergeflechten 
(für  die  Umbilicalvenc),  und  aus  dem  Plexus  hypogcutricus  (für  die  Umbilical* 
arterien).  Valentin  hat  sie  im  Nabelstrang  (3 — 4  Zoll  weit  vom  Nabel)  mikro- 
skopisch nachgewiesen.  Was  wir  von  ihnen  noch  zu  wissen  brauchen,  wären  die 
Antworten  auf  zwei  Fragen:  wie  weit  erstrecken  sie  sich?  und  was  wird  zuletzt  aus 
ihnen?  —  Die  Lymphgefässc  sollen  von  Fohmann  (Tiedemann  und  TVerironw 
Zeitschrift.  IV.  pag.  276)  injicirt  worden  sein.  Wie  bei  so  vielen  Fohmann'schen 
Präparaten,  von  welchen  ich  Einsicht  genommen,  bleibt  es  auch  hier  unentschie- 
den, ob  die  Räume,  welche  im  Nabelstrang  mit  Quecksilber  gefüllt  wurden, 
Lymphgefässe,  oder,  was  viel  wahrscheinlicher  ist,  Bindegewebslücken  sind. 

Eine  allzu  grosse  Länge  des  Nabelstranges  veranlasst  verschiedene  Uebel- 
stände.     Diese   sind:    a.    Umschlingung    desselben   um    die   Körpertheile   des 
Embryo    (Uals,  Schulter,  Gliedmassen).     Ist  die  Unischlingung  mit  EinschnüruDf 
verbunden ,    so    kann   es   bis   zur    sogenannten  spontanen  Amputation  der  Glied- 
massen, selbst  zur  Strangulation  des  Embryo  kommen,  ß.  Wahre  Knoten,  wie 
beim  Knüpfen  eines  Fadens.     Die  Bewegungen  des  Embryo,    der  sich  in  seinem 
langen  Nabelstrauge  verwickelt,    bedingen  die  Umschlingungcn ,   und  das  Durch- 
schlüpfen desselben  durch  eine  Schlinge,  die  Knoten.     Beide  Fälle  können  ohne 
Nachtheil  für  das  Leben  dos  Embryo  vorkommen.    Wird  aber  die  Umschlingunp 
zur  Umschnürung,  und  wird  der  wahre  Knoten  fest  geschürzt,  so  werden  sie  ßr 
das   Leben    des    betreffenden    Körpertheiles ,     oder    des    ganzen    Embryo    h5chst 
gefahrlich.     y.  Vorfälle.    Sic  entstehen,  wenn  beim  Sprengen  der  Amnionblase 
im  Anfange  der  Geburt,  das  abströmende  Fruchtwasser  den  Nabelstrang  mit  sich 
herausschwcmmt.  —  Die   diirch  Anhäufung   von  Wharton'scher  Sülze    gebildeten 
falschen  Knoten,    haben  nichts  zu  bedeuten.  —  Wenn  sich  der  Nabelstrang  nicht 
direct  in  die  Placenta,  sondern  in  die  Eihäute  einpflanzt,  und  von  hier  aus  seine 
Blutgefässe     vereinzelt    au    die    Placenta    herantreten,     heisst    diese   Anomalie: 
Inserlio  velamentosa,  —  Ich  besitze  eine  Placenta,    deren  Nabelstrang  zur  Hälfte 
linksgewundene,  zur  Hälfte  rechtsgewundene  Nabelgefässe  zeigt.  Beide  Abschnitte 
trennt  ein  Zwischenstück  von  3  Zoll  Länge,    in   welchem   die    Nabeigefasse   pa- 
rallel   neben    einander    liegen.     Au    einer    andereii    Placenta    meiner    Sammlung 
findet  sich  ein  Nabelstrang,  dessen  Arterien,  jede  für  sich,    die  eine  eine  rechts- 
gewundene ,     die  andere  eine  linksgewundene  enge  Spirale  beschreibt,    zwischen 
welchen  eine  vollkommen  geradlinige  Nabelvene  liegt. 

L.  A.  Neutjehancj',  Morphologie  des  menschlichen  Nabelstranges.  Breslau, 
1858.  _  Ueber  die  Kückbildung  der  Nabelgelässe  handelt  Ch.  Bobin,  iu  dt-n 
Mem.  de  l'Acad.  de  med.   1860. 


§.  8S8.    V«r&nderangon  der  Geb&nnatter  in  der  Scliiraager«ohaft.  755 


§.  338.  Veränderungen  der  &ebärmutter  in  der 

Schwangerschaft. 

Die  Gebärmutter  nimmt  während  der  Schwangerschaft  an 
Grösse  und  Gewicht  zu.  Sie  wird  also  nicht  blos  passiv  ausgedehnt. 
NachMeckeFs,  an  zwölf  Gebärmuttern,  nach  regelmässig  erfolgter 
Niederkunft  vorgenommenen  Wägungen,  war  das  Gewicht  derselben 
im  Minimum  zwei  Pfund,  und  verhielt  sich  zu  dem  einer  nicht 
schwangeren  Gebärmutter  wie  24 : 1.  Die  Dicke  ihrer  Wandungen 
wächst  schon  in  den  ersten  Monaten,  wiewohl  nicht  bedeutend. 
Gegen  das  Ende  der  Schwangerschaft  aber  nimmt  sie  wieder  so 
weit  ab,  dass  sie  an  den  dünneren  Stellen,  wie  um  den  Muttermund 
herum,  nur  zwei  Linien  beträgt,  und  deshalb  Einrisse  daselbst, 
namentlich  bei  Erstgebärenden,  fast  regelmässig  vorkommen. 

In  den  ersten  beiden  Monaten  sinkt  die  vergrösserte,  imd  da- 
durch schwer  gewordene  Gebärmutter,  tiefer  in  das  kleine  Becken 
herab.  Ihr  Muttermund  lässt  sich  mit  dem  Finger  leichter  erreichen. 
Vom  dritten  Monate  an,  wo  sich  die  Placenta  bildet,  hat  der  Uterus 
im  kleinen  Becken  nicht  mehr  Raum  genug.  Er  erhebt  sich  aus 
dem  kleinen  Becken,  und  seine  Vaginalportion  steht  höher.  Der 
Grund  des  Uterus  lässt  sich  im  vierten  Monate  etwas  tlber  dem 
Schambogen  fühlen.  Im  fünften  Monate  steht  er  zwischen  Scham- 
fuge und  Nabel,  im  sechsten  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Nabel,  im 
siebenten  über  demselben,  im  achten  und  neunten  erreicht  er  die 
Herzgrube,  und  im  zehnten  Mondmonat  rückt  er  wieder  etwas  tiefer 
herab.  Die  Bauchdecken  werden  dadurch  kugehg  gewölbt,  die 
Nabelgrube  verflacht  sich,  die  Nabelfalten  glätten  sich,  die  Vaginal- 
portion wird  allmählich  zur  Vergrösserung  des  Uterus,  der  Canalis 
cervicü  zur  Vergrösserung  der  Uterushöhle  verwendet.  Am  Mutter- 
mund verstreicht  die  vordere  und  hintere  Lefze,  er  wird  rund, 
öffnet  sich  vom  fünften  Monate  angefangen,  und  wird  in  letzter 
Zeit  so  weit,  dass  man  mit  dem  Finger  die  gespannte  Blase  der 
Eihäute  fühlt. 

Das  Gewebe  des  Uterus  verändert  sich  auffallend.  Seine  organischen 
Muskelfasern  entwickeln  sich  massenhaft  zu  mehrfachen  Schichten,  besonders 
am  Grunde.  —  Seine  spiralgcwundenen  Arterien  erweitern  sich  ungleichförmig, 
und  werden  zugleich  länger.  Die  Venen  haben  eine  viel  grössere  Capacität,  als  die 
Arterien,  aber  behalten  geradlinigen  Verlauf.  Merkwürdig  ist  es,  dass  nicht  blos 
die  Venen  der  Gebärmutter,  sondern  auch  jene  benachbarter  Organe  (Scheide, 
Harnblase,  breite  Mutterbänder)  an  Weite  zunehmen,  und  unter  den  Gebär- 
muttervenen jene  des  Grundes  sich  viel  mehr  erweitem,  als  jene  des  Halses.  — 
Die  Nerven  des  Uterus  gewinnen  erwiesener  Weise  in  der  Schwangerschaft  an 
Stärke,  und  es  sind  vorzugsweise  die  grauen  Fasern,  welche  durch  ihre  Ver- 
mehrung die  Dickenzunahme   der  Uteriualnerven  bedingen.   —   Hat  der  Uterus 

48» 


756  $•  ^9*  Li^  dos  Embryo  in  der  G«b&nniitter. 

durch  die  Geburt  sich  seiner  Bürde  entledigt,  so  verkleinert  er  sich  so  nach, 
dass  er  schon  in  der  ersten  Woche  nach  der  Entbindung  auf  seinen  früheren 
Durchmesser  zurückgeführt  erscheint.  —  Die  Vergrösserung  der  Gebirmntter 
kann  nur  dadurch  vor  sich  gehen ,  dass  die  Nachbarsorgan c ,  welche  sie  be- 
schränken könnten,  aus  ihrer  Lage  weichen,  wodurch  das  topographische  Ver- 
hältniss  der  Baucheingeweide  einige  Störungen  erfahrt  Die  Ged&nne  sind  zur 
Seite  gedrängt,  die  Rippenweichen  werden  deshalb  voller,  der  Utenu  liegt  an 
der  vorderen  Bauchwand  dicht  an,  und  kann  leicht  gefühlt  werden.  Man  tiber- 
zeugt sich  eben  so  leicht  durch  das  Gehört  dass  der  Embryonalkreislaaf  einen 
schnelleren  Rhythmus  hat,  als  aus  dem  Puls  der  Mutter  zu  schliessen  wire.  Der 
Druck  auf  die  Eingeweide  erzeugt  Störungen  der  Verdauung,  auf  den  Mastdarm 
Stuhlverstopfung,  auf  die  Gallengefässe  Gelbsucht,  auf  die  Harnblase  Unregel- 
mässigkeiten in  der  Urinentleerung,  auf  die  Venen  des  Beckens  VaricositSten 
der  Saphena  tri/ema,  auf  die  Lymphdrüsen  ebendaselbst  Oedem  der  Ffisse,  — 
Zufalle,  welche  sich  mindern,  wenn  bei  längerer  Rücklage  der  Frau,  der  Druck 
der  Gebärmutter  auf  andere  Gebilde  gerichtet  wird.  —  Die  Bewegung  de» 
Zwerchfells  wird  ebenfalls  beeinträchtigt;  Gehen,  Laufen,  Stiegensteigen,  irird 
häufig  nicht  gut  vertragen ;  der  Gang  ist  wackelnd,  mit  stark  gestrecktem  Bficken 
um  die  Schwerpunktslinie  des  nach  vorn  bela/iteton  Leibes  noch  zwischen  den 
Fusssohlen  durchfallen  zu  machen. 


ij.  339.  Lage  des  Embryo  in  der  &ebärmutter. 

Der  Embryo  liegt,  in  der  weitaus  grösseren  Mehrzahl  der 
Fälle,  so  in  der  Gebärmutterhöhl c,  dass  der  Kopf  nach  abwärts 
und  der  Rücken  nach  vorn  gekehrt  ist.  Es  scheint  der  Häufigkeit 
dieser  Lagerung  ein  rein  mechanisches  Verliältniss  zu  Grunde  zu 
hegen.  Der  Kopf,  als  der  schwerste  Körpertlieil,  sinkt  nach  unten, 
und  der  stark  gekrümmte  Rücken  legt  sich  an  die  vordere  Uterus- 
wand, weil  diese,  der  Nachgiebigkeit  der  Bauchdecken  wegen, 
weiter  ausgebauclit  ist,  als  die  hintere,  welche  durch  die  nach  vom 
convexe  Lendenwirbelsäule  beschränkt  wird.  Da  zugleich  der  Kopf 
des  Embryo  gegen  die  Brust  geneigt  ist,  so  wird  das  Hinterhaupt 
—  nicht  die  Stirn  oder  das  Gesicht  —  auf  dem  Muttermunde 
stehen,  und  zuerst  bei  der  Geburt  vorrücken.  Man  fühlt  deshalb 
beim  Touchiren  vor  der  Geburt  die  kleine  Fontanelle  (Hinterhaupt- 
Fontanelle)  im  Muttermunde.  Der  gerade  Durchmesser  des  Kopfes 
kann  aber  nicht  im  geraden  Beckendurchmc^sser  liegen,  da  letzterer 
nicht  die  hiezu  gehörige  Länge  besitzt.  Der  Kopf  muss  also  schief 
stehen,  was  durch  dir  Richtung  der  leicht  zu  fühlenden  Pfeilnabt 
leicht  erkannt  wird. 

Wir  wissen  nicht  zu  sagen,  wjinim  die  schiefe  Stellung  des  Kopfes  meiaien« 
(unter  vier  FHUeii  dreimal)  mit  dem  linken  schiefen  Durchmesser  des  Becken- 
eingaiiges  fibereinstimmt,  d.  h.  das  Hinterhaupt  der  Frucht  gegen  die  linke 
8c'henkelpfanne ,  das  Gesicht  gogen  die  rechte  ASt/mpht/sis  sacro-iliaca  gerichtet 
ist.  Nach  Schweighäuser  soll  der  Grund  davon  in  der  grösseren  Lunge  i'?' 
dieses   schiefen  Beckendurchmessers    liegen.    -  Während  des  Durchganges  durch 


g.  340.  Literatur  der  Eingeweidelehre.  757 

das  Becken  muss  sich  die  Richtung  des  Kopfes  der  Art  ändern,  dass  der  längste 
Durchmesser  desselben  in  den  längsten  Durchmesser  des  Beckens  fällt.  Der 
längste  Durchmesser  liegt  aber  für  die  obere  Beckenapertur  schief,  für  die 
Beckenhöhle  und  die  untere  Beckenapertur  gerade.  Der  Kindskopf  wird  somit 
eine  Drehung  auszuführen  haben,  um  seinen  längsten  Durchmesser  in  den  läng- 
sten Durchmesser  der  Beckenhöhle  und  ihres  Ausganges  zu  bringen.  —  Die 
Gesichtslage  der  Frucht  gestaltet  sich  für  die  Geburt  weit  weniger  günstig  als 
die  Hinterhauptslage,  da  wegen  des  zum  Nacken  zurückgebogenen  Hinterhauptes, 
nebst  dem  senkrechten  Durchmesser  des  Kopfes  zugleich  der  Hals  in  das  Becken 
tritt  Die  Häufigkeit  der  Gesichtslage  verhält  sich  zu  jener  der  Hinterhauptslage 
nach  Carus  wie  1  :  92.  —  Die  Steisslage  bringt  für  die  Geburt  den  Nachtheil 
mit  sich,  dass  der  am  schwersten  zu  gebärende  Theil  der  Frucht  —  der  Kopf 
—  zuletzt  hervortritt,  wozu  die  durch  frühere  Anstrengungen  erschöpften  Wehen 
der  Gebärmutter  häufig  nicht  mehr  ausreichen,  und  deshalb  die  Geburt  durch 
Kunsthilfe  vollendet  werden  muss.  Geht  die  Nabelschnur  zwischen  den  Füssen 
des  Embryo  durch,  und  wird  sie  nicht  gelöst,  so  wird  der  auf  ihr  reitende  Em- 
bryo bei  seinem  Vorrücken  sie  so  comprimiren,  dass  Unterbrechung  des  Kreis- 
laufes eintritt,  welche  um  so  gefährlichere  Folgen  für  das  Leben  des  Kindes 
haben  wird,  als  der  noch  in  der  Gebärmutter  verweilende  Kopf  nicht  athmen 
kann,  um  das  Vonstattengehen  des  Kreislaufes  durch  die  Lungen  einzuleiten.  — 
Unter  den  übrigen  abnormen  Fruchtlagen  zählt  die  Fusslage  wohl  zu  den  häu- 
figeren. Sie  wird  minder  gefährlich  sein,  wenn  beide  Füsse,  als  wenn  nur  einer 
zur  Geburt  vorliegt,  in  welchem  Falle  die  Kunstbilfe  nothwendig  interveniren 
muss,  um  den  sogenannten  Partus  agrippinua  zu  vollziehen,  dessen  Namen  Pli- 
nius  erklärt  (Nat.  bist.  VIL  8):  in  pedes  procedere  nascentem  contra  naturam 
est,  quo  argumento  eos  appellavere  Ägrippasj  ut  aegre  partes.  Krause  (kritisch- 
etymolog.  Lex.  pag.  39)  leitet  den  Ausdruck  von  otypCa  fea,  a^pfaei,  wilde 
Stute  ab,  weil  die  griechischen  Nomaden  so  viel  Gelegenheit  hatten,  das  Wer- 
fen der  Stuten  zu  beobachten,  und  dabei  zwei  Füsse  vorauskommen  sahen.  — 
Anatomisch-physiologische  Urtheile  über  die  verschiedenen  Fruchtlagen  enthält 
Burdach'a  Physiologie.  3.  Bd.  §.  486. 


§.  340.  Literatur  der  Eingeweidelekre. 

L   Verdauungsorgan. 

Die  Literatur  des  Verdauungsorgans  besteht,  mit  Ausnahme 
der  ausführlichen  anatomischen  Handbücher,  grösstentheils  nur  in 
Specialabhandlungen  über  die  einzelnen  Abschnitte  dieses  Systems. 
So  weit  es  sich  dabei  über  Structurverhältnisse  handelt,  sind  nur 
die  neueren  Arbeiten  brauchbar. 

Kopf-,  Hals-  und  Brusttheil  des  Verdauungsorgans. 

E.  H.  Weber,  über  den  Bau  der  Parotis  des  Menschen.  In  MeckeVs  Ar- 
chiv. 1827.  —  C.  Rahn,  Einiges  über  die  Speichelsecretion.  Zürich,  1850.  — 
C.  H.  Dzondif  die  Functionen  des  weichen  Gaumens.  Halle,  1831.  —  F.  IL  Bid- 
der,  neue  Beobachtungen  über  die  Bewegungen  des  weichen  Gaumens.  Dor- 
pat,    1838.    —     Watt,    Anatomical    Views    of   the    Mouth,    Larynx    and    Fauces. 


758  §•  340.  Liieratiir  der  Eingeweidelehre. 

Lond.,  1809.  —  SehfMtian,  recherches  anat  physiol.,  etc.  sur  les  glandes  UbUki 
Groning.,  1842.  —  C,  Th,  Tourtual^  neue  Untersachungen  fiber  den  Ban  des 
menschlichen  Schlund-  und  Kehlkopfes.  Leipzig,  1846.  —  R.  FrorUp,  de  lingoa 
anatoraica  quaedam  et  semiotica.  Bon.,  1828.  —  Mayer^  neue  Untersuchungen,  etc. 
Bonn,  1842.  —  Fleisehmann,  de  novis  sub  Hngua  bursis  mucosis.  Norimb.,  1841. 

—  H,  Scbchsy  observationes  de  linguae  stmctura  penitiori.  VratiBL,  1867.  - 
O,  Eckard,  Zur  Anat.  der  Zungendrüsen  und  Tonsillen,  im  Arch.  für  pitL 
Anat  1859. 

Magen  und  Darmkanal. 

L.  Biachoff,  über  den  Bau  der  Magenschleimhaut,  in  MüUer^s  ArcluT.  1838. 

—  A.  Waamanfiy  diss.  de  digestione  nonnuUa.  Berol.,  1839.  —  T.  Schwamm^  über 
das  Wesen  des  Verdauungsproccsses.  Müller' $  Archiv.  1836.  —  A.  Rebim»^  Be- 
merkungen über  das  Antrum  pylori,  in  Müüer's  Archiv.  1857.  —  H,  LtuchkA, 
das  Antrum  cardiacum  des  menschlichen  Magens,  im  Archiv  für  path.  Anat  1857. 

—  J.  C.  Peyevj  exercitatio  anat  de  gland.  intestin.  Scaphus.  1677.  —  J.  C. 
Brunner,  novarum  glandularum  intestinalium  descriptio ;  in  den  Miscell.  acad.  daI 
curios.  Dec.  IL  1686.  —  J,  N.  Lieberkühn,  diss.  anat.  physiol.  de  fabrica  et 
actione  villorum  intest.  Lugd.  Bat,  1745.  —  L,  Böhm,  de  glandularum  intestioi- 
lium  structura  penitiori.  Berol.,  1835.  —  /.  Goldschmid  Nanninga,  de  procesta 
vermiformi.  Groning.,  1840.  —  M.  J,  Weber,  über  die  Valvula  coli,  im  Orgin 
für  die  gesammte  Heilkunde.  1843.  2.  Bd.  —  Ph.  Middeldorpf,  de  glanddii 
Brunnianis.  1846.  —  E.  Brücke,  über  den  Bau  der  Peyer*8chen  Drüsen,  in  den 
Denkschriften  der  kais.  Akad.  IL  Bd.  1850.  —  Derselbe,  über  daa  Muskelsytteo 
der  Magen-  und  Darmschleimhaut,  iu  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  1851. 

—  B.  Heidenhain,  Beitrag  zur  Anat.  der  Pejer'schen  Drüsen,  in  Müüer't  Ar- 
chiv. 1859.  —  C.  Friedreich,  £iniges  über  die  Structur  der  Cylinder-  und 
Flimmerepithelien,  im  Arch.  für  path.  Anat  1859.  —  Dönitz,  über  die  Schleim- 
haut des  Darmes.  Berlin,  1864.  —  W.  i/w,  Untersuchungen  über  den  Ban  der 
Peyer'schen  Drüsen,  und  der  Darmschleimhaut  Leipzig,  1861.  —  Henle,  Zeit- 
schrift für  rat  Med.  Bd.  VIII.  —  H.  Fvey^  die  Lymphwege  der  Peyerscheo 
Drüsen,  in  Virchow's  Archiv.  1863.  —  //.  Baur,  die  Falten  des  Maatdarms. 
Giessen,  1861. 

Bauchfell  und  dessen  Duplicaturen. 

F.  M.    Langenbeck,    comment.   de   structura   peritonei,   etc.    Gotting.,  1817. 

—  C.  J.  Baur,  anatomische  Abhandlung  über  das  Bauchfell.  Stuttgart,  1838.  — 
C  //.  Meyer,  anatomische  Beschreibung  des  Bauchfells.  Berlin,  1839.  —  «/.  Mil- 
ler, über  den  Ursprung  der  Netze  und  ihr  Verhältniss  zum  Peritonealsack ,  in 
MeckeVa  Archiv.  1830.  —  //.  C.  Hennecke,  comm.  de  functionibus  omentonun. 
Gott.,  1836.  —  //.  Meyer,  über  das  Vorkommen  eines  Processus  peritonei  vagi- 
nalis beim  weiblichen  Fötus,  in  Müller' a  Archiv.  1845.  —  J,  Cleland,  The  mccbi- 
nisme  of  the  Gubernaculum  tcstis.  Edinb.,  1856.  —  W.  Treits,  Hemia  retro- 
peritonealis.  Pragae,  1856. 

Leber,  Pankreas  und  Milz. 

F.   Kienian,  Anatomy  and   Physiology   of  the   Liver,   in   Philos.  Transict 
1833.  P.  n.  —  E.  H.   Weber,  über  den  Bau  der  Leber,  in  Müller'a  Archiv.  1843. 

—  A.  Kintkenberg,  Untersuchungen  über  den  feineren  Bau  der  menschlichen  Le- 
ber. Müller^s  Archiv.  1843.  —  L.  J.  Backer,  de  structura  subtiliori  hepatis.  Traj. 
ad  Rh.  1845.  —  A.  Betziua,  über  den  Bau    der   Leber,   in   MüUer*a  Archiv.  1849. 


§.  MU.  Literatur  der  Eingeweidelehre.  759 

-B.  WagneTf  Handwörterbuch  der  Physiol.  Art.  Leber,  von  Professor  Theile,  — 
M.  Rotenberg,  de  recentioribas  structurae  hepatis  indagationibus.  Vratisl.  1853. 
—  L.  S.  BealCj  On  some  points  in  the  Anat.  of  the  Liver.  Lond.,  1855.  —  Mac 
GiUavry,  Wiener  Sitzungsberichte,  1864.  —  Brücke,  ebenda,  1865.  —  /.  O,  Wir- 
sung,  figura  ductus  cnjusdam  cum  multiplicibus  suis  ramulis  noviter  in  pancreate 
observati.  Patav.,  1643.  —  F,  Tiedemann,  über  die  Verschiedenheiten  des  Aus- 
führungsganges der  Bauchspeicheldrüse,  in  MeckeV»  ArchiV.  IV.  —  Vemeuil, 
Gaz.  m6d.  1851.  V.  25.  —  Bemard,  Mem.  sur  le  pancr^as.  Paris,  1856. —  Moyse, 
Etüde  sur  le  pancr6as.  Strasbourg,  1830.  —  M.  MeUpighi,  de  liene,  in  ejusdem 
exercitat  de  viscerum  structura.  Bonon.,  1664.  4.  —  /.  Müller,  über  die  Struc- 
tur  der  eigenthümlichcn  Körperchen  in  der  Milz  einiger  pflanzenfressender  Säuge- 
thiere,  im  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie.  1834.  —  C.  G.  Qieaker,  anat. 
physiol.  Untersuchungen  über  die  Milz  des  Menschen.  Zürich,  1835.  —  Oray, 
On  the  Stnicture  and  Use  of  the  Spleen.  London,  1854.  —  BiUroth,  im  XX.  und 
XXIII.  Bde.  des  Archivs  für  pathol.  Anat.,  und  Schweigger-Seidel,  ebenda.  Letz- 
terer, disquisitiones  de  liene.  Halis,  1861.  —  Basler,  über  Milzgefässe.  Würzb., 
1863.  —   W.  Müller,  über  den  feineren  Bau  der  Milz.  Leipz.,  1865. 

Ueber  den  Sittis  viscerum  handeln  alle  chirurgischen  Anatomien  ausführ- 
lich, und  eine  sehr  getreue  bildliche  Darstellung  desselben  gab  Ortalli,  Abbil- 
dungen der  Eingeweide  der  Schädel-,  Brust-  und  Bauchhöhle  des  menschlichen 
Körpers  in  situ  naturalis  Mainz,  1838.  fol.  Hieher  gehört  auch:  Engel,  einige 
Bemerkungen  über  Lage  Verhältnisse  der  Baucheingeweide.  Wiener  med.  Wochen- 
schrift, Nr.  30 — 41,  und  E.  Hoffmann,  die  Lage  der  Eingeweide,  etc.  Leipz.  1863. 
Letzteres  Werk  für  Aerzte  und  Studirende  gleich  empfehlenswerth. 


IL  Respirationsorgan. 
Kehlkopf. 

J,  D,  Sanlorini,  de  larynge,  in  ejus  obs.  anat.  Venet.  1724,  4.  —  J.  B, 
Morgagni,  adversaria  anat.  Lugd.  Bat.  1723.  adv.  I.  —  8,  Th.  Soemmerring,  Ab- 
bildungen des  menschlichen  Geschmack-  und  Sprachorgans.  Frankfurt  a.  M.,  1806. 

—  C.  Th,  Tourtual,  neue  Untersuchungen,  etc.  Leipzig,  1846.  —  //.  Rheiner,  Bei- 
träge zur  Histologie  des  Kehlkopfes.  Würzburg,  1852.  —  Merkel,  Anthropophonik. 
Leipz.,  1857,  reich  an  anatomischen  Details.  —  HalberUma,  Mededeelingen  der 
kon.  Acad.  XI.  3. 

Luftröhre,  Lungen  und  Pleura. 

J.  MoleschoU,  de  Malpighianis  pulmonum  vesiculis,  Heidelberg,  1845,  und 
in  den  Holländischen  Beiträgen  zu  den  anat.  physiologischen  Wissenschaften. 
1.  Bd.  —  Watert,  The  Anatomy  of  the  Human  Lnng.  London,  1860.  —  Ros- 
signol,  Recherches  sur  la  structnre  du  poimion  de  Thomme,  etc.  Bmxelles,    1846. 

—  A.  Admani,  de  subtiliori  pulmonum  stnictura.  Trajecti  ad  Rh.  1847.  — 
E.  Schultz,  disquisitiones  de  structura  canalium  aerifcrorum.  Dorpat,  1850.  — 
Deichler,  Beitrag  zur  Histologie  des  Lungengewebes.  Gott.,  1861.  —  A.  Zenker, 
Beiträge  zur  normalen  und  path.  Anat.  der  Lunge.  Dresden,  1862.  —  /.  N,  BeaU, 
A  treatise  on  the  Physiol.  Anat.  of  the  Ijungs.  London,  1862. 

Schilddrüse  und  Thymus. 

A,  F.  Bopp  (und  Rapp)  über  die  Schilddrüse.  Tübingen,  1840.  —  S.  C. 
Lucae,  anat.  Untersuchungen  der  Thymus  im  Menschen   und  in  Thieren.  Frank- 


760  §*  3^'  Lit^fttur  der  Eingeweidelehie. 

fürt  Ä.  M.,  1811,  181*2.  —  F.  W,  Becker,  dissert.  de  gland.  thoraclB  lymphit  €t 
de  tbymo.  Berol.,  1826.  —  A.  Cooper,  Anatomy  of  the  Thymus  GUnd.  Lond., 
1832.  4.  —  F,  C,  Jlaugaiedj  thymi  in  hom.  et  per  seriem  animaliam  descriptio 
anatom.  physiol.  llafii.,  1832.  —  J.  Simon,  Physiological.  £s8ay  on  the  Thymus 
Gland.  Lond.,  1845.  —  A,  Ecker,  in  der  Zeitschrift  für  rat.  Med.  VL  Bd.,  and 
Th.  Frerichs,  über  Gallert-  und  CoUoidgcschwOlste.  Gott,  1847.  —  Femer  der 
Artikel:  Blutgefassdrüsen,  in  B,  Wagner*s  Handwörterbuch.  —  C.  Bokitamky, 
zur  Anatomie  des  Kropfes.  Denkschriften  der  kais.  Akademie.  1.  Bd.  —  F.  Günt- 
hurj,  Notiz  über  die  geschichteten  Körper  der  Thymus.  Zeitschrift  für  klin. 
Med.,  1857. 

///.  Harnwerkzeuge. 
Nieren. 

Aeltero  Schriften,  nur  von  historischem  Werth: 

L,  Belliniy  exercitationes  anat.  de  structura  et  usu  renum.  Florent,  1661 
—  M.  Malpighi,  de  renibus,  in  ejusdem  Exercitat.  de  viscerum  structura.  Bonon., 
1666.  —  A,  Schumlanaky,  diss.  de  structura  renum.  Argent,  1782.  —  Ch,  Ca^ 
observations  d'anat.  microscopique  sur  le  rein  des  mammif^res.  Paris,  1839. 
(Nimmt  Verbindungen  der  Harnkanälchen  mit  den  Capillargeffissen  an.) 

Neuere  Arbeiten: 

Boumianny  in  Lond.  Edinb.  and  Dublin  Thilos.  Magaz.  1842.  —  J.  Ger- 
lach, Beiträge  zur  Structurlehre  der  Niere.  MüÜer^s  Archiv.  1845.  (Lässt  mehrere 
Malpighi'sche  Kapseln  auf  Einem  Harnkanälchen  aufsitzen.)  —  F,  Bidder^  ül>er 
die  Malpighi'schen  Körper  der  Niere.  Ebendas.  p.  508,  seqq.  tmd  dessen  ver- 
gleichend-anatomische Untersuchungen  über  die  männlichen  Geschlechts-  und 
Harnwerkzeuge  der  nackten  Amphibien.  Dorpat,  1846.  (Lässt  die  Malpighi'scben 
Körperchen  nicht  in  der  Höhle  der  Kapsel,  sondern  ausserhalb  derselben  liegen, 
und  dieselbe  mehr  weniger  einstülpen.)  —  C,  Ludwiy,  Nieren,  in  Wa^ei'i 
Handwörterbuch.  —  v.  Patruban,  Beiträge  zur  Anatomie  der  menschlichen  Niere, 
in  der  l*ragcr  Vierteljahrsschrift,  Bd.  XV.  (sah  in  der  Schlangenniere  zwei  Harn- 
kanälchen aus  Einer  Kapsel  entspringen).  —  v.  Cants,  über  die  Malpighi'scben 
Körj)er  der  Niere,  im  2.  Bde.  der  Zeitsclir.  für  wisscnsch.  Zoologie.  (Der  Knäuel 
liegt  entweder  in  einer  erweiterten  Stelle  eines  Harnkanälchcns /rH/ai»/,  oder  in 
dem  blinden,  angeschwollenen  Ende  desselben  [die  übrigen  ThiereJ,  imd  wird 
von  einer  einfachen  Schichte  Pflasterepithel  überzogen.)  —  lIe»Ming,  Histolo- 
gische Beiträge  zur  Lehre  von  der  Harnseeretion.  Jena,  1851.  —  J.  Marhuah 
über  das  Verhältniss  der  Malpighi'schen  Körperchen  zu  den  Harnkanälchen,  in 
den  Verhandl.  der  Petersburger  Akademie,  1851.  —  W.  Busch^  Beitrag  zur  Hi- 
stologie der  Nieren,  in  Müller  s  Archiv.  1855.  —  Ji.  Virchow,  über  die  Circnla- 
tionsverhältnisse  in  den  Nieren,  im  Archiv  für  pathologische  Anatomie.  1857.  — 
M.  Schmidt,  de  renum  structura  quaestiones.  Gott.,  1860.  —  Wenn  nach  so  zahl- 
reichen Vorarbeiten  Henle  (zur  Anatomie  der  Niere,  1862)  noch  ein  ganz  neues 
Element  im  Baue  der  Niere  —  die  intrapyramidalen  Schlingen  der  Hamkanil- 
chen  —  auffinden  konnte ,  wirft  dieses  ein  eigenthUmliches  Streiflicht  auf  die 
relative  Genauigkeit  der  vorhergegangenen  Untersuchungen.  Folgende  Schriften 
befassen  sich  ausschliesslich  mit  der  überraschenden  Ent^leckung  Hetüe's:  A.  Col- 
hev(j,  im  Centralblatt  der  med.  Wiss.  1863.  S.  48  u.  49.  —  Ludwig  und  Zava- 
rykiu,  zur  Anat.  der  Niere,  in  den  Wiener  Sitzungsberichten,  1864.  —  M.  RoUj 
Drüsensubstanz  der  Niere.  Bern,  1864.  —  E.  Bidder,  Beiträge  zur  Lehre  von 
•  den  Functionen  der  Nieren.  Mitau,    1863.   —    J.   Kollmann,   Zeitschrift   für  wis». 


§.  340.  Literaiar  der  Eingeweidelehre.  761 

Zool.  1864.  —  Schweigger-Seidel,  die  Nieren  des  Meuscheu  und  der  Säugethiere. 
Halle,  1866.  —  Th,  Stein,  Harn-  und  Blutwege  der  Niere.  Würzb.,  1865.  — 
Axel  Ket/j  Om  Circulaiions  förhällandena  i  Njurame.  Stockholm,  1865.  —  lieber 
Injection  der  Wirbelthier-Niere  und  deren  Resultate  handelt  mein  Aufsatz  in  den 
Sitzungsberichten  der  kais.  Akad.  1863. 

Nebennieren. 

H.  B,  Bergmann,  diss.  de  glandulis  supraren.  Gott.,  1839.  —  Schwager- 
Bardelehen,  diss.  obscrv.  microsc.  de  glandulis  ductu  excretorio  carentibus.  Berol., 
1842.  —  A.  Ecker,  der  feinere  Bau  der  Nebennieren.  Braunschweig,  1846. 
(Auf  gründliche,  vergleichend-anat.  Untersuchungen  basirtes  Hauptwerk.)  — 
B.  Werner^  de  capsulis  suprarenalibus.  Dorpat,  1857.  —  Jtlenle,  über  das  Ge- 
webe der  Nebennieren,  Zeitschr.  fUr  rat.  Med.  3.  R.  24.  Bd.  —  J,  Arnold  in 
Virchow*8  Arch.  35.  Bd. 

Harnblase  und  Harnröhre. 

CA.  Bell,  Treatise  on  the  Urethra,  Vesica  uriuaria,  Prostata  and  Rectum. 
Lond.,  1820.  —  J.  Wilson,  Lectures  on  the  Structure  and  the  Physiology  of 
the  male  Urinary  and  Genital  Organs.  London,  1821.  —  J,  Houston,  Views  of 
the  Pclvis,  etc.  Dublin,  1829.  —  G.  J,  G^Uhrie,  On  the  Anatomy  and  Diseases 
of  the  Neck  of  the  Bladder  and  the  Urethra.  Lond.,  1834.  —  C  Sappey,  sur  la 
couformation  et  la  structure  de  Turetre  de  Thomme.  Paris,  1854. 

Die  chir.-anat.  Schriften  von  Leroy  d^Etoiles,  Amussatj  Civiale,  Cazenave, 
widmen  diesem  in  operativer  Beziehung  höchst  wichtigen  Capitel  besondere  Auf- 
merksamkeit. Ebenso  die  für  die  topographische  Anatomie  aller  Beckenorgane 
höchst  wichtige  Schrift  von  O.  Kohlrausch:  zur  Anatomie  und  Physiologie  der 
Beckenorgane.  Leipzig,  1854. 

IV,  Männliche  Geschlechtsorgane, 
Hoden. 

R,  de  Graafy  de  virorum  orgaiüs  gencrationi  inservientibus.  Lugd.  Bat., 
1668.  —  A.  HaUer,  Observ.  de  vasis  scminalibus.  Gott.,  1745.  —  A.  Cooper, 
Observ.  on  the  Structure  and  Diseases  of  the  Testis.  Lond.,  1830.  Deutsch,  Wei- 
mar, 1832.  —  E.  A.  Lauthy  mem.  sur  le  testicule  humain,  in  Mem.  de  la  soc. 
de  l'histoirc  nat.  de  Strasbourg.  Tom.  I.  livr.  2.  —  C,  Krause,  in  MviUer^s  Ar- 
chiv, 1837.  —  77.  Luschka,  die  Appendiculargebilde  des  Hoden,  im  Archiv  für 
path.  Anat.  Bd.  6.  Heft  3.  —  L.  Fick,  über  das  Vas  deferens,  in  MiUler's  Archiv, 
1856.  —  Ucber  die  Lymphwege  des  Hodens  handelt  Ludwig  und  Tomsa,  im 
46.  Bde.  der  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad. 

Samenbläschcn,  Prostata  und  Cowpersche  Drüsen. 

J.  Ilunter,  Observations  on  the  Glandes  between  the  Rectum  and  Blad- 
der, etc.,  in  dessen  Observ.  on  Certain  Parts  of  the  Animal  Oeconomy.  London, 
1786.  —  E.  Ilome,  On  the  Discovery  of  a  Middle  Lobe  of  the  Prostata.  Philos. 
Transact.  1806.  —  IV.  Cowper,  glandularum  quarundam  nuper  detectarum  de- 
scriptio,  etc.,  Lond.,  1702.  —  A.  Jlaase,  de  glandulis  Cowperi  mucosis.  Lips., 
1803.  —  E.  IL  Weber,  über  das  Rudiment  eines  Uterus  bei  männlichen  Säuge- 
thieren,  über  den  Bau  der  Prostata,  etc.  1846.  —  7^.  Leuckart,  das  Weber'sche 
Organ  und  seine  Metamorphosen,  in  der  illustr.  med.  Zeitung.  1852.  —  7'V.  Will, 
über  die  Secretion  des  thlerischen  Samens.  Erlang.,  1849. 


762  *.  340.  Literatur  der  Eingeweidelehre. 

Penis. 

F,  Tiedemann,  über  den  schwammigen  Körper  der  Kuthe,  etc.,  MeckeVn 
Archiv.  2.  Bd.  —  x\.  Moreschi^  comm.  de  urethrae  corporis  glandisque  structura. 
MedioL,  1817.  —  J.  C  Mayer,  über  die  Stnictur  des  Penis.  Fr^riej)*»  Notizen. 
1834.    N.   883.  —  B,  Panizza,  osservazioni  authropo-zootomico-fisiol.    Pav.,  1836. 

—  J.  Müller,  in  dessen  Archiv,  1835.  Kraiue,  ebenda.  1837.  Valentin,  1838.  EnV, 
1841.  (lieber  die  Vasa  helicina),  —  G,  L.  Kohelt,  über  die  männlichen  und  weih- 
lichen Wollustorgane.  Freiburg,  1844.  —  KölUker,  über  das  Verhalten  der  caver- 
u58cn  Körper,  in  den  Würzburger  Verhandlungen.  1851. 

• 

V,   Weihliche  Geschlechtsorgane, 
Eierstöcke. 

R.  de  öraaf,  de  raulierum  organis.  Lugd.  Bat.,  1672.  8.  —  F,  Äutenrieih, 
über  die  eigentliche  Lage  der  inneren  weiblichen  Geschlcchtsthcile,  in  Reii* 
Archiv.  VII.  Bd.  —  C.  Negrier,  recherches  anat.  et  physiol.  sur  les  ovaircs. 
Paris,  1840.  —  Ö.  C.  Kohelt,  der  Nebeneierstock  des  Weibes,  etc.,  Heidelberg, 
1847.  —  W,  Steinlein,  über  die  Entwicklung  der  Graafschen  Follikel.  In  den 
Mittheilungen  der  Züricher  naturforschenden  Gesellschaft.  1847.  —  H.  Kittner, 
de  corporibus  luteis.  Vratisl.,  1853.  —  lieber  Structur  der  Eierstöcke  handelt 
Pfliiger'»  Monographie.  Leipzig,  1863. 

Gebärmutter. 

(?.  G.  Jörg,   über   das   Gebärorgan    des  Menschen,   etc.   Leipzig,   1808.   — 

—  G.  Kaifper,  de  structura  fibrosa  uteri  non  g^avidi.  Vratisl.,  1840.  —  Purkinje, 
in  Froriep*»  Notizen.  N.  459.  —  Bischoff,  über  die  Glandulae  utriculares  de« 
Utonis  und  ihren  Antheil  an  der  Bildung  der  Decidua.  Müllers  Archiv.  1846.  — 
Ch,  Rohin,  memoire  pour  servir  a  Thistoire  anat  de  la  membrane  muqueuse 
uterinc,  de  la  caduque,  et  des  oeufs  de  Naboth.  Archives  gener.  1848.  —  A.  Köl- 
Uker, Zeitschrift  für  wiss.  Zool.  I.  (glatte  Muskelfasern).  —  V.  Schwartz,  de  de- 
cursu  musculorum  uteri  et  vaginae.  Dorpat,  1850.  —  M.  Kilian,  die  Nerven  des 
Uterus,  in  Henle»  und  Pfetiffei's  Zeitschrift,  X.  Bd. 

Aeussere  Scham  und  Brüste. 

Ä.  VcUerf  de  hymene.  Gott.,  1742.  —  B,  Onander^  Abhandlung  über  die 
Scheidenklappe,  in  dessen  Denkwürdigkeiten  für  Geburtshilfe.  2.  Bd.  —  C.  Devil- 
liers,  nouv.  recherches  sur  la  membrane  hymen  et  les  caroncules  hymenales. 
Paris,  1840.  —  Mandt,  zur  Anatomie  der  weiblichen  Scheide,  in  Henle's  und 
Pfeiiffer's  Zeitschrift.  VII.  Bd.  —  A,  B.  Kölpin,  schediasma  de  structura  mam- 
marum.  Gryphisw.,  1765.  —  J.  G.  Klees,  über  die  weiblichen  Brüste.  Frankf.  a.  M. 
1795.  —  A.  Cooper,  On  the  Anatomy  of  the  Breast  Lond.,  1830. —  Fetzer,  Diss. 
über  die  weiblichen  Brüste.  Würzburg,  1840.  —  Ct.  L.  Kohelt,  die  männlichen 
und  weiblichen  Wollustorgane.  Freiburg,  1844.  —  Ueber  die  männliche  Brustdriise 
handelt  Grtther,  in  den  Mum.  de  TAcademie  de  St.  Petersbourg,  VII.  Serie,  T.  X. 
Ueber  die  Metamorphoso  des  Eies  und  die  Veränderungen  der  weiblichen 
Geschlechtstheile  in  der  Schwangerschaft  handeln  die  in  der  allgemeinen  Lite- 
ratur §.16  angeführten  Schriften  über  Entwicklungsgeschichte.  Ueber  die  Ueber- 
einstimmungen  im  Baue  der  Harn-  und  Geachlechtswerkzeugc  der  Wirbolthiere : 
H.  Meckel,  zur  Morphologie  der  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge  der  Wirbcl- 
thiere.  Halle,  1848,  und  R.  Leuckart,  in  dem  Artikel  „Zeugung*'  im  Hand- 
wörterbuch der  Physiologie. 


SECHSTES  BUCH. 


Gehirn-  und  Nervenlehre. 


A.   Centraler  Theil  des  animalen  Nerven- 
systems.*) 

Gehirn-  und  Rückenmark. 
§.  341.   Hüllen  des  öehirns  und  Eückenmarks.  Dura  mater. 

Das  Gehirn  und  Rückenmark  besitzen  innerhalb  der  sie  um- 
schliessenden  Knochengebilde,  drei  häutige  Hüllen,  welche  als  Vela- 
mentn  cerehri  et  medullae  spinalis  zusammengefasst  werden. 

Die  harte  oder  fibröse  Hirnhaut,  Dura  mater,  Meninx 
fih'osay  ist  die  äusserste  Hülle  des  Gehirns  und  Rückenmarks.  Sie 
besteht,  wie  die  fibrösen  Häute  überhaupt,  überwiegend  aus  ge- 
kreuzten Bündeln  von  Bindegewebsfasern,  mit  geringer  Zugabe 
elastischer  Elemente.  Sie  ist  dicker,  härter,  und  minder  elastisch, 
als  die  übrigen  Himhüllcn,  und  bildet  einen  geschlossenen  Sack, 
welcher  an  die  innere  Oberfläche  der  Schädelhöhle  dicht  anliegt, 
und  für  die  Schädelknochen  zugleich  die  Stelle  der  mangelnden  in- 
neren Beinhaut  vertritt.  Die  iJura  mater  dringt  in  alle  Oeffnungen 
ein,  durch  welche  Gefilsse  und  Nerven  zum  oder  vom  Gehirn  und 
Rückenmark  gehen,  umhüllt  diese  scheidenartig,  und  begleitet  sie 
theils  in  ihrem  ferneren  Verlaufe,  theils  fliesst  sie  mit  der  äusseren 
Beinhaut  der  betreffenden  Knochen  zusammen.  Zieht  man  sie  von 
den  Schädclknochen  ab,  so  findet  man  ihre  äussere  Oberfläche  rauh, 
indem  von  ihr  aus  zahlreiche  Blutgefässe  und  faserige  Fortsätze 
in  die  Diploe  der  Schädelknochen  eindringen,  welche  Fortsätze  beim 
Ablösen  der  harten  Hirnhaut,  wozu  bei  jungen  Individuen  eine  ge- 
wisse Gewalt  gehört,  zerrissen  werden  müssen.  Ihre  innere  Oberfläche 

*)  lieber  Histologie  des  Nervensystems  mögen  §.  67 — 74  durchgelesen  wer- 
den. Ueber  die  Präparation  des  Nervensystems  findet  man  alles  Nothwendige  im 
5.  Bache  meines  Handbuches  der  prakt.  Zergliedemngskunst. 


766  §'  ^l-  Hallen  des  Gehirns  and  Rfiokenmarks.    Dura  maUr. 

dagegen  ist  glatt  und  glänzend,  und  besitzt  eine  einfache  Lage  von 
Pflasterepithel,  welche  man  bis  auf  die  neueste  Zeit  für  die  äUBsere 
Lamelle  der  Arachnoidea  hielt.  —  Man  nimmt  an  der  Dura  mater 
zwei  Schichten  an,  welche  zwar  durch  das  Messer  nicht  isolirt  dar- 
stellbar sind,  aber  an  gewissen  Stellen  von  selbst  divergiren,  wo- 
durch es  zur  Bildung  von  Hohlräumen  kommt,  welche,  da  sie  das 
Venenblut  des  Gehirns  sammeln,  bevor  es  in  die  Abzugskanäle  der 
Schädelhöhle  einströmt,  Blutleiter  (Sinus  durae  matris)  genannt 
werden. 

Der  Theilung  des  centralen  Nervensystems  entsprechend,  un- 
terscheidet man  einen  Gehirn-  und  Rückenmarkstheil  der  harten 
Hirnhaut. 

a)  Der  Gehirntheil  der  harten  Hirnhaut,  Pars  cephalica  durae 
matns,  hängt  in  der  Richtung  der  Suturen,  und  der  an  der  inneren 
Oberfläche  der  Hirnschale  vorspringenden  Knochenkanten  {Crista 
ß*ontali8j  oberer  Winkel  der  Felsenpyramide,  hinterer  Rand  der 
schwertförmigen  Keilbeinflügel,  kreuzförmige  Erhabenheit  des  Hin- 
terhauptbeins, etc.),  so  wie  an  den  Rändern  aller  Löcher  der  Hirn- 
schale, ziemlich  fest  mit  den  Knochen  zusammen.  Er  ist  bei  weitem 
reicher  an  Blutgefässen,  als  der  Rückenmarkstheil  der  harten  Hirn- 
haut. Die  Blutgefässe  halten  sich  an  die  äussere  Oberfläche  der 
Dura  mat^'  cei^ehrij  in  der  durch  die  Suhi  arterioso-venosi  an  der 
inneren  Schädelknochentafel  vorgezeichneten  Richtung. 

Der  Gehirntheil  der  harten  Hirnhaut  bildet  einen  senkrechten 
und  einen  queren,  in  die  Schädelhöhle  vorspringenden  Fortsatz, 
deren  Richtungen  sich  somit  kreuzen  und  deshalb  zusammengenom- 
men Processus  cruciatu^  durae  matris  genannt  werden.  Auf  der  P»"0- 
tuberantia  occipitaUs  interna  stossen  die  Schenkel  dieses  Kreuzes 
zusammen.  Jeder  derselben  führt  einen  besonderen  Namen. 

a)  Der  Processus  falcifoimis  major,  Sichel  des  grossen 
Gehirns,  schaltet  sich  senkrecht  zwischen  den  Halbkugeln  des 
grossen  Gehirns  ein.  Sein  oberer,  convexer,  befestigter  Rand,  ent- 
spricht der  Mittellinie  des  Schädeldaches,  von  der  Protuberantia 
occipitaUs  interna  angefangen  bis  zur  Orista  galli  des  Siebbeins. 
Sein  unterer,  concaver,  scharfer  Rand  ist  frei,  und  gegen  die 
obere  Fläche  des,  beide  Halbkugeln  des  Gehirns  verbindenden 
Corjms  callosum  gerichtet,  ohne  jedoch  sie  zu  berühren.  —  Da 
man  sich  diesen  Fortsatz  durch  Faltimg  (Einstülpung)  der  inne- 
ren Lamelle  der  harten  Hirnhaut  entstanden  denkt,  so  muss  am 
oberen  Befestigungsrande  desselben  eine  Höhle  —  sichelför- 
miger Blutleiter,  Sinus  falciformis  supeinor  s.  major  —  existiren. 
Eine  im  unteren  Rande  der  Sichel  verlaufende,  nicht  constante 
Vene,  wird  von  vielen  Anatomen  als  Sinus  falciformis  minor  be- 
zeichnet. Die  Krümmung,  und  die  von  hinten  nach  vom  abnehmende 


g.    S41.    Hdllen  des  Gehiras  and  Uackenmarkü.  Dura  maUr.  767 

Breite  dieses  Fortsatzes,  ist  der  Grund  seiner  Benennung  als 
Hirnsichel.  Ich  finde  die  Hirnsichel  sehr  häufig,  selbst  an 
jugendlichen  Individuen,  in  der  Nähe  ihres  unteren  Randes  sieb- 
artig durchbrochen, 

ß)  Der  bei  weitem  weniger  vorspringende  Processus  falcifor- 
mis  minoi'j  Sichel  des  kleinen  Gehirns,  schaltet  sich  zwischen 
den  Halbkugeln  des  kleinen  Gehirns  ein,  und  erstreckt  sich,  von 
der  Protuberantia  occipitalis  interna  an,  bis  zum  hinteren  Umfange 
des  Foramen  occipitale  magnum  herab,  wo  er  in  der  Regel  gabel- 
förmig gespalten  endet.  Er  ist,  wie  natüriich,  in  allen  Dimensionen 
viel  kleiner,  als  die  grosse  Hirnsichel,  und  schliesst  auch,  wie  diese, 
einen  kleineren,  aber  nicht  immer  vorfindlichen  Sinus  in  sich  ein. 

Y.  Das  Tentorium  cei'ehelli,  Zelt  des  kleinen  Gehirns, 
bildet  den  Querschenkel  des  Processus  amciatusy  und  schiebt  sich 
zwischen  die  Hinterlappen  des  grossen  und  die  Halbkugeln  des 
kleinen  Gehirns  ein,  um  letztere  ebenso  gegen  die  Last  der 
ersteren  zu  schützen,  als  die  grosse  Hirnsichel  den  nachtheiHgen 
Druck  beseitigt,  welchen,  bei  Seitenlage  des  Schädels,  eine  Hemi- 
sphäre des  grossen  Gehirns  auf  die  andere  ausüben  müsste. 

Dieseu  Fortsätzen  der  harten  Hirnhaut  kann  man  noch  einen  vierten  hin- 
zufügen, welcher  über  die  Sattelgrube  des  Keilbeinkörpers  horizontal  wegstreicht, 
und  in  seiner  Mitte  durchbrochen  ist,  um  den  Stiel  der  in  der  Sattelgrube  lie- 
genden Hypophysis  cerehri  durchgehen  zu  lassen.  £s  mag  dieser  Fortsatz  den 
Namen  Operculum  aellae  turcicae,  Satteldecke,  führen. 

Um  dem  Zelte  mehr  Tragkraft  zu  geben,  befestigt  sich  sein  vorderer 
Rand  an  die  oberen  Kanten  beider  Pyramiden  der  SchlHfeknochen,  und  an  die 
Processus  clinoidei  der  Sattellehnc.  Hinter  der  Sattellehne  ist  die  Mitte  des 
vorderen  Zeltrandcs  wie  ein  gothischcs  Thor  mit  nach  hinten  und  oben  gerich- 
teter Spitze  ausgeschnitten,  wodurch  eine  Ocffnung  entsteht  (Indsnra  tentorii  s, 
Foramen  Pacchioni),  welche  von  dem  Vierhügel  und  der  Varolsbrücke  des  grossen 
Gehirns  ausgefüllt  wird.  Die  Ebene  des  Gezeltes  ist  nicht  plan.  Die  Mitte  der 
oberen  Fläche  wird  durch  die  mit  ihr  zusammenhängende  Sichel  so  in  die  Höhe 
gezogen,  dass  zwei  seitliche  Abdachungen  entstehen  (le  dos  d'ane,  bei  alten 
französischen  Anatomen).  Durch  diese  Verbindung  zwischen  Zelt  und  Sichel  erhal- 
ten beide  den  erforderlichen  Grad  von  Spannung,  welcher  augenblicklich  in 
beiden    Gebilden  nachlässt,  wenn  eines  derselben  durchgeschnitten  wird. 

b)  Der  Rückenmarkstheil  der  harten  Hirnhaut,  Pars  spi- 
nalis  durae  matris.  Da  durch  alle  Löcher  der  Hirnschale  scheiden- 
formige  Fortsätze  der  harten  Hirnhaut  austreten,  so  muss  durch 
das  grösste  Schädelloch  {Foramen  occipitale  magnum)  die  ansehnlichste 
Verlängerung  dieser  Hirnhaut  in  den  Rückgratkanal  gelangen,  als 
Hülle  für  das  Rückenmark.  Der  Rückgratkanal  hat  aber  bereits  ein 
wahres  Periost ;  —  die  Pars  spinalis  durae  matris  besitzt  somit  hier 
die  Bedeutung  einer  reinen  Umhüllungsmembran,  ohne  Nebenverwen- 
dung als  Beinhaut,  wie  sie  ihr  in  der  Schädelhöhle  zukommt.  .Sie  er- 
streckt sich   durch  den   ganzen  Rückgratkanal,  füllt  ihn  aber  nicht 


768  S*  ^^'  Arachnoidea. 

80  genau  aus,  wie  dieses  in  der  Schädelhöhle  geschah,  indem  zwi- 
schen ihr  und  der  Wand  des  Wirbelkanals  ein,  durch  starke  Venen- 
geflechte (Plexus  venosi  spinales)  eingenommener  Raum  übrig  bleibt. 
Sie  endigt  als  ßlindsack  am  unteren  Ende  des  Kreuzbeinkanals. 
Unterhalb  des  grossen  Hinterhauptloches  wird  sie  durch  die  Arteria 
verteh'alis  durchbohrt.  Sie  schliesst  das  Rückenmark  nur  lose  ein. 
An  jenen  Stellen,  wo  die  Beweglichkeit  der  Wirbelsäule  gross  ist, 
ist  auch  der  Sack  der  Dura  matei^  weit,  wie  am  Halse  und  an  der 
^ende ;  im  Bruststück  der  Columna  ve^'tehralis  dagegen  liegt  er  knap- 
per an  die  Medulla  spiiialis  an.  —  Jeder  Rückenmarksnerv  erhält 
von  der  Dura  mater  spinalis  eine  Scheide,  welche  ihn  durch  das 
entsprechende  Flamen  intei^ei'tehrale  geleitet,  und  im  weiteren  Ver- 
laufe zu  dessen  Neurilemma  wird.  Ihre  innere  Oberfläche  ist  mit 
dem  einfachen  Pflasterepithelium  der  Arachnoidea  überzogen,  und 
sendet  20—23  paarige,  zackenähnliche  Fortsätze  nach  innen  zur 
Seitenfläche  der  Medulla  spinalis.  Diese  Zacken  sind  sämmtljch 
dreieckig,  mit  Ausnahme  der  untersten,  fadenfiirmigen.  Sie  kehren 
ihre  Spitze  nach  aussen,  und  ihre  mit  der  Pia  matei^  medullae  spi- 
nalis verschmelzende  Basis  nach  innen.  Sie  sind  als  eben  so  viele 
Befestigungs-  oder  Suspensionsmittel  des  Rückenmarks  zu  nehmen, 
und  bilden,  als  Ganzes  betrachtet,  das  gezahnte  Band,  Liga- 
mentum dentiatlatum,  des  Rückenmarks. 

Jeder  der  drei  Aeste  des  Net'vujt  trigeminuH^  und  der  Vaj^iis  vcraorpeu  die 
harte  Hirnhaut  mit  aiiimaleii  Nervenfasern.  Luschka  Mie  Nerven  des  nienschl. 
Wirhelkanals,  Tilh.,  IHoO)  und  Rfldinjrer  füher  die  Verhreitunj?  des  Synipa- 
thicufl,  Mil liehen,  1863)  handeln  umständlich  üher  die  sympathischen  und  ani- 
maten  Nerven  der  harten  Hirnhaut  des  Küekenmarks. 

Verknöchemnjj^en  kommen  in  der  harten  Hirnhaut,  besonders  in  der  Nähe 
der  Sichel,  oder  auf  dieser,  nicht  selten  vor.  Sie  gehören  eigentlich  der  inneren 
Oberfläche  der  harten  Hirnhaut  an,  hängen  mit  ihr  nur  lose  zusammen,  und 
werden,  obwohl  selten,  auch  unter  der  Arachnoidea  ce/-^Ara/i>  gefunden.  Vor  dem 
30.  Lebensjahre  treten  sie  nicht  auf.  Ihre  (Jrösse  variirt  von  dem  Umfange  einer 
Linse  bis  zu  jenem  eines  Kreuzers,  und  darüber.  In  ihrer  Mitte  sind  sie  am 
dicksten,  und  schärfen  sich  gegen  den  Rand  zu.  Sie  besitzen  wahre  Knochen - 
textur.  Auch  in  der  durch  Entzündung  verdickten  und  callr>s  gewordenen  Sub- 
stanz der  harten  Hirnhaut  kommen  wahre  Knochenconcrctionen  vor. 


§.  :542.  Arachnoidea, 

Die  Spinnwebenhaut,  Arachnoidea  s,  Meninx  serosa  {xzir/^rr^. 
Spinne),  ^Txrde  seit  Bicliat  allgemein  als  ein  seröser  Doppelsack 
aufgefasst,  dessen  äusserer  Ballen  fest  mit  der  innenm  Oberfläche 
der  Dura  mater ^  dessen  innerer  mit  der  äusseren  Oberfläche  des 
Gehirns  und  Kückenmarks  lose  zusammenhängen  soll.  Man  unter- 
schied   deshalb    eine    Arachnoidea    meningea,    und    eine    Arachnoidea 


§.  348.   Arachnoidea.  769 

cerebrospinalis.  Mehrere  Stellen  wurden  namhaft  gemacht,  an  wel- 
chen der  äussere  Ballen  mit  dem  inneren  in  Verbindung  tritt.  Man 
dachte  sich  nämlich,  dass  jeder  vom  Gehira  und  Rückenmark  ab- 
gehende Nerv,  eine  Scheide  vom  inneren  Ballen  erhält,  welche, 
bevor  der  Nerv  durch  die  harte  Hirnhaut  austritt,  in  den  äusseren 
Ballen  übergeht.  Kölliker  hat  jedoch  gezeigt,  dass  die  Arach- 
noidea  nur  aus  einem  einfachen  Ballen  —  der  Arachnoidea  cerebro- 
ftpinalis  der  Autoren  —  besteht,  und  dass  die  angenommene  Arach- 
noidea meningea  weiter  nichts,  als  das  Pflastcrepithel  der  harten 
Hirnhaut  ist.  Die  Arachnoidea  schlägt  sich  also  nicht  auf  die  innere 
Fläche  der  harten  Hirnhaut  um,  und  es  lässt  sich  durch  das  Scalpell 
nachweisen,  dass  jene  scheidenartigen  Fortsätze  derselben,  welche 
die  Gehimnerven  begleiten,  an  den  betreffenden  Austrittslöchern 
dieser  Nerven  blind  endigen. 

Die  äussere  Oberfläche  der  Arachnoidea  ist,  so  wie  die  ihr 
zugekehrte  innere  Fläche  der  Dii7*a  matery  mit  seröser  Feuchtigkeit 
bethaut.  Krankhafte  Vermehrung  dieser  Serosität  bedingt  den  Hy- 
drocephalus  meningens  s,  extemns ,  zum  Unterschiede  des  Hydroce- 
phaltis  ventriculoi^um  "s.  internus,  —  An  der  Oberfläche  des  Gehirns 
sinkt  die  Arachnoidea  nicht  in  die  Vertiefungen  zwischen  den  Him- 
\vindungen  ein,  sondern  geht  brückenförmig  über  sie  weg.  Ebenso 
setzt  sie  über  die  Einschnitte  und  Spalten  an  der  Gehirnbasis 
hinüber,  deckt  als  gerade  gespanntes  Fell  die  zwischen  der  Varols- 
brücke  und  der  Sehnervendurchkreuzung  befindlichen,  vom  Circulus 
Willisii  umschlossenen  Gebilde  der  Gehirnbasis,  und  überbrückt 
somit  gewisse  Räume,  welche  man  als  Camim  suharachnoideale  zu- 
sammenfasst.  Diese  Räume  werden  durch  Bindegewebsbündel  in 
verschiedener  Richtung  durchsetzt,  und  enthalten  eine  veränderliche 
Menge  Serum  (LiqiLor  cerebrospinalis).  —  Mit  der  Auskleidung 
der  Gehimkammem  hat  die  Arachnoidea  keinen  nachweisbaren 
Zusammenhang. 

Durch  das  grosse  Hinterhauptloch  heraustretend,  wird  die 
Arachnoidea  cerebralis  zur  Ara^^hnoidea  spinalis.  Diese  umschliesst 
das  Rückenmark  lange  nicht  so  knapp  wie  das  Gehirn,  sondern  als 
verhältnissmässig  weite  Umhüllung.  Da  sie  weder  an  die  Dura  noch 
Pia  mater  sich  anschliesst,  sondern  frei  zwischen  ihnen  sich  ein- 
schiebt, muss  sie  auch  zwei  freie  Flächen  haben,  deren  äussere 
Pflasterepithel  führt.  Sie  erzeugt  für  jeden  Rückenmarksnerv  eine 
anfangs  weite,  dann  sich  verschmächtigende,  und  im  betreffenden 
Foramen  intervertebralcj  als  spitzer  Blindsack  endigende  Scheibe. 
Rückenmark  und  Rückenmarksnervenwurzeln  werden  von  dem  se- 
rösen Inhalt  der  Arachnoidea  spinalis  umspült,  —  eine  Einrichtung, 
welche  zunächst  den  Vortheil  bringt,  dass  Stösse  und  Erschütterun- 
gen des  Rückgrats,  sich  durch  Vertheilung  auf  eine  so  ansehnliche 

Hf  vtl.  T.«i»kMii  Ä^  AaMoid«.  49 


770  §•  342.    Aracbnoidea. 

Flüssigkeitsscliichte^  bedeutend  abschwächen  müssen,  bevor  sie  auf 
das  Rückenmark  übertragen  werden.  Von  der  Medianlinie  der  hin- 
teren Rückenmarksfläche  (Sulcua  longitudinalis  posterior)  geht  ein 
Septum  zur  inneren  Oberfläche  des  Arachnoidealsackes,  welches  in 
der  Halsgegend  undurchbohrt,  weiter  unten  durchbrochen,  ja  selbst 
auf  eine  Succession  breiter  Fäden  reducirt  gesehen  wird.  —  Der 
Arachnoidealsack  des  Rückenmarks  ist  an  seiner  Abgangsstelle  von 
der  Arachnoidea  cerebri  am  weitesten. 

Wenn   man  an  einer   frischen  Leiche   den  hinteren  Bogen   dea  Atlas  ani- 
bricht,   und   die   Dura  meUei-    durch   einen   Kreuzschnitt  spaltet,    sieht  man  die 
äusserst  zarte  Arachnoidea,  als  ein  dünnes  flottirendes  Häutchen,  von  der  Rüek- 
gratshöhle  in  die  8chädclhöhle  übergehen,    und  kann  dasselbe,   wenn  man  tnch 
die  Uinterhauptschuppe  ausgesägt  hat,   leicht   auf  die  Hemisphären    des  kleinen 
Gehirns  verfolgen.  Unter  diesem  Blatte  der  Arachnoidea  befindet  sich  das  gr(ysste 
Cavum  Huharachnoideale,  —  Die  Subarachnoidealräume  des   Gehirns  und  Kficken- 
marks  stehen  durch  das  grosse  Hinterhauptsloch   in  Zusammenhang,  und  der  in 
ihnen   angesammelte    Liquor  cerehro-spinalis   kann   zwischen    beiden    zu-  und  ab- 
strömen.    Wird   nämlich  mit  jedem  Pulsschlag,   und  bei  jeder  Exspiration,   der 
Blutgehalt  des  Gehirns  vermehrt,    und  das  Gehinivolumen  vergrOssert,    so  mau 
der  Liquor  cerehro-spinalis  aus  der  Schädeliiöhle  in  die  Rückg^atshöhle  ablanfen. 
Letztere  ist  ganz  geeignet,   ein  phis  dieses  Liquors  aufzunehmen,   da  sie  nicht 
wie  die  Schädelhöhle  aus  starren,  durchaus  knöchernen  Wänden  besteht,  senden 
in  den   Interstitien  je   zweier  Wirbelbugen   durch  elastische,    nachgiebige  Mem- 
branen gebildet  wird.  Nimmt  der  Blutgehalt,  und  somit  das  Volumen  des  Gebinu 
zwischen  je  zwei  Pulsschlägen,  und  während  der  Inspiration,  wieder  ab,  so  gebt 
der  I^iquor  cerebro-sjunaüs   wieder  in  die  Schädeliiölilc    zurück ,    von   welcher  er 
so  zu  sagen  zurückgesaugt  wird.     Diese  stetig   wechselnde  Ebbe    und  Fluth  der 
serösen  Flüssigkeit   in   den  iSubarachnoidealräumen,    lässt  sich    durch  ein  in  die 
Schädeldecke  eines  lebenden  Thieres  eingeschraubtes,  mit  Wasser  gefülltes,  grt- 
duirtes  Glasrohr,  zur  Anschauung  bringen ,   wenn    es   überhaupt    nothwendig   er- 
scheinen sollte,    an  und  für  sich  klare  Thatsachen   durch  grausame  Experimente 
zu  erhärten.    Das  Heben  und  Sinken  der  Stirnfontanelle  an  Kindsköpfen  ist  der 
beste  und    harmloseste  Beweis   für  die    Hewegunjr   des  Geliinis    und    des   Liquor 
cerehro-spinalis . 

Die  dem  Cavum  subarachno ideale  zugekehrte  Oberfläche  der  Arachnoidea 
besitzt  kein  Epithel.  Das  an  ihrer  äusseren  Oberfläche  aufsitzende,  gleicht  jeneui 
an  der  inneren  Oberfläche  der  Dura  mater  vollkommen. 

Kaine.y  und  Bonrgery  wollen  in  der  Arachnoidea  sympathische  Ner\en- 
fasern  gefunden  haben.  Ersterer  wurde  von  He  nie  zurechtgewiesen  {Cansiait» 
Jahresbericht,  1846).  Von  letzterem  war  noch  nichts  wahr,  was  er  entdeckte. 
Auch  Bochdalek  hat  zahlreiche  feine  Nervenfasern  beschrieben,  welche  von 
der  Wurzel  des  3.,  5,,  C,  0.  und  11.  Hirnnervenpaares,  vom  Oliven-  und  Pyr»- 
midenstraiig  d(»8  verlängerten  Markes,  und  vom  Pferdeschweif  zur  Arachnoidea 
treten.  (Neue  Heobacht.  im  Gebiete  der  phys.  Anatomie,  in  der  Prager  Viertel- 
jahrsschrift. 184y.  '2.  Bd.)  Ebenso  Luschka,  welcher  auch  Theilungcn  der 
Primitivfasern  beobachtete.  Kölliker  erklärt  dagegen  diese  Funde  von  Ner\'en- 
faseni  sämmtlich  für  Bindegewebe, 

Zu  beiden  Seiten  der  grossen  Sichel  tinden  sich  auf  der  Arachnoidea 
cerehralis  die  sogenannten  (Glandulae  Vacchioni  {A.  Pacchioni,  diss.  phys.  anat 
de  dura  nieninge.  Komae,  1721).  Sie  zeigen  sich  als  weissliche  oder  gelbgrane, 
rundliche   oder  plattgedrückte ,    einzeln    stehende    oder    zu    Gruppen    aggregirte 


§.  S48.   Pia  mattr.  771 

» 

Granulationen,  welche  auf  einer  milchif^  getrübten  Stelle  der  Arachnoidea  auf- 
sitzen, und  deren  Entwicklung  unter  Umständen  so  zunehmen  kann,  dass  sie  die 
harte  Hirnhaut  durchbohren,  sie  wie  Hügel  überragen,  und  an  der  inneren  Fläche 
der  SchKdelknochen  entsprechende  Vertiefungen  bilden.  Aus  diesem  Grunde  hat 
man  hie  lange  Zeit  als  der  harten  Hirnhaut  angehörige  Gebilde  betrachtet.  Bei 
Menschen,  die  an  habituellem  Kopfschmerz  leiden,  und  bei  Säufern,  welche  am 
Delirium  tremens  zu  Grunde  gingen,  worden  sie  besonders  gross  gefunden.  Bei 
Kindern  habe  ich  sie  nie  angetroffen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  schliesst 
sie  aus  der  Klasse  der  Drüsen,  wohin  sie  seit  ihrer  Entdeckung  gestellt  wurden, 
aus,  und  reiht  sie  unter  die  organisirten  Producte  krankhafter  Ausschwitzungen. 
—  Luschka  erklärt  die  Pacchionischen  Körper,  ihres  Vorkommens  an  bestimm- 
ten Orten,  und  ihres  mit  der  Arachnoidea  übereinstimmenden  Baues  wegen,  für 
normale  Gebilde,  welche  er  mit  den  zottenartigen  Verlängerungen  anderer  serö- 
ser Häute  auf  dieselbe  Stufe  stellt  (Müller^s  Archiv.  1852,  pag.  101).  Ich  stimme 
dieser  Ansicht  nicht  bei,  da  das  öfters  vorkommende  Hineinwuchern  der  Pacchio- 
nischen Granulationen  in  die  Sinwt  dnrae  matriü  dem  Verhalten  eines  normalen 
Gebildes  widerspricht. 


§.  343.  Pia  mater. 

Die  weiche  Hirnhaut,  Pia  mater  s.  Aleiwix  vasadosoj  um- 
hüllt genau  die  Oberfläche  des  Gehirns  und  Rückenmarks,  accom- 
modirt  sich  allen  Unebenheiten  derselben,  imd  schiebt  sich  mit 
zahlreichen  Faltungen  in  alle  Furchen  der  Gehirnrinde  ein.  Sie  ist 
eine  dünne  Bindegewebsmembran ,  und  überreich  an  Blutgefässen, 
welche  sie  theils  aus  dem  Gehirn  empfängt  (Venen),  theils  in  das- 
selbe entsendet  (Arterien).  Dieser  Gefässverbindungcn  wegen  hängt 
sie  ziemlich  innig  mit  der  Oberfläche  des  Gehirns  zusammen,  und 
lässt  sich  nur  mit  Gewalt,  durch  welche  alle  Gefässverbin düngen 
abgerissen  werden  müssen ,  in  grösseren  Partien  abziehen.  Am 
Rückenmark  adhärirt  sie  viel  fester,  ist  bedeutend  ärmer  an  Ge- 
fässen,  und  umschnürt  es  so  fest,  dass  das  Mark  an  seiner  Quer- 
schnittfläche nicht  plan  ansteht,  sondern  »ich  convex  hervordrängt. 
Zu  beiden  Seiten  des  Rückenmarks  hängt  sie  mit  den  Basen  der 
dreieckigen  Zacken  des  Ligamentum  denticvlatuvi  zusammen.  Vom 
unteren  Ende  des  Rückenmarks  an,  welches  in  gleicher  Höhe  mit 
dem  ersten  oder  zweiten  Lendenwirbel  Hegt,  setzt  sich  die  Pia 
matei'  als  sogenannter  End faden,  Filum  tei'minalej  bis  zum  unteren 
Ende  des  im  Kreuzbeinkanal  befindHchen  ßlindsackes  der  Dura 
matei*  fort.  Er  enthält  Blutgefässe  und  das  letzte  feinste  Paar  der 
Rückenmarksnerven  (Neiin  coccygei).  Hall  er  hatte  somit  seine  Be- 
nennung dieses  Fadens,  als  Nervus  impavy  nicht  so  unpassend  ge- 
wählt. Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  das  Filum  terminale  eine 
Arachnoidealscheide  besitzt. 

Die  Pia  mater  dringt   durch  den  Querschlitz   des  grossen  Ge- 
hirns in   die  mittlere  Gehirnkammer   ein,    und  bildet  daselbst  die 

49» 


772  9-  ^U.  EinthcUoBg  de»  (^«liirn». 

Tda  choroidea  superior y  mit  ihren,  als  Plexus  choroidei  später  zu 
schildernden  Verlängerungen.  Ebenso  schiebt  sie  sich  zwischen  dem 
ünten^Tirm  und  dem  verlängerten  Mark  als  Tela  choroidea  infet^or 
ein,  und  erzeugt  dadurch  die  hintere,  blos  häutige  Wand  der  vier- 
ten Gehimkammer.  Der  sonstige  Ueberzug  der  Wände  der  Gehim- 
kammem  (Ependymaj  besser  Endyma),  besteht  aus  einer  einfachen 
Lage  von  Epithelialzellen,  welche  an  gei^issen  Bezirken  der  Wände 
flimmern.  Einige  sprechen  noch  von  einem  feinsten  structurlosen 
Häutchen  unter  dem  Epithelium. 

Luschka  llsut  da«  Vorkommen  von  FIhnmerepithel  in  den  Himb9blen 
nnr  fOr  Embryonen  und  Hir  die  ersten  Lebensjahre  des  Kindes  gelten.  Gerlach 
bat  jedoch  nachgewiesen,  dass  wenigstens  im  Ayuaetfyefu»  St/lrii  das  äimraemde 
Epithel  perennirt  (mikroskop.  Stndien,  Erlangen,  1858,  pag.  27,  seqq.1,  nnd  be- 
schrieb fadenförmige  Fortsatze  der  einseinen  Flimmerzellen,  welche  in  die  Wand 
des  Af[uae<luctuM  Sylvn  eindringen,  und  mit  den  diese  Wand  zunächst  bildenden 
Zellen  der  grauen  Substanz  eine  nachweisbare  Verbindung  eingehen  sollen. 
—  Purkinje  hat  organische,  Bochdalek  animale  Ner\'cnt'asem  in  der  Pia 
mater  beschrieben.  —  In  einigen  Gehirnen  enthalten  die  Adergefleclite  'besonders 
die  seitlichen)  kleine,  kaum  durch  das  Gesicht,  aber  besser  durch  das  Gefühl 
wie  Sandkörner  zu  unterscheidende,  krystallinische,  runde  oder  höckerige  Con- 
cremente  von  phosphorsauren  und  kohlensauren  Kalk,  welche  mit  dem  sogenannten 
Himsand  an  der  Zirbeldrüse  denselben  Krspnme  und  jrleiehe  ResrhafTenheit  haben. 


$N.  :U4.  Eintheilimg  des  Gehirns. 

Uie    wenigen  Worte,    welche   Fantimi    vor    15()  Jahren    über 
das  Gehirn  gesprochen :   ohftrtirn  fpxttiraj  ohscftrior^s  morht\  functiones 
obscurisinmae,    kr>nnen  auch  heute  als  Einleitung  filr  jode  Anatomie, 
Physiologie  und  Pathologie  d«*8  (fehirns  dienen.    Die  Anatomie    des 
Gehirns    beschäftigt    sich    thcils    mit    der   Beschreibung    der   Fonn, 
theils  mit  der  Erschliessung  des  inneren  Baues,     Die  Anatomie  der 
Form  darf  man  wohl  für  v<dlendet  annehmen,  da  man  an  keinem  an- 
deren Organe  des  menschlichen  Körpers  jedes,    auch    noch   so   un- 
scheinbare äussere  Merkmal,  mit  solcher  redseligen  Umständlichkeit 
beschrieb,  als  eben  am  Gehirn.  Die  Anatomie  des    inneren  Baues 
des  Gehirns    ist    dagegen ,    und    bleibt  wahrscheinlich  für  immerdar, 
ein  mit  sieben  Siegehi  verschlossenes,   und  überdies  noch  in  Hiero- 
glyphen  geschriijbenes    Buch.     Und    was    die    Functionenlehre    des 
Gehirnes  anbelangt,    beugt    die    stolzeste   Physiologie    domüthig    ihr 
Haupt,   und   bekennt,    dass  sie   von   der   menschlichen  Seele    nicht 
mehr  weiss,    als   dass   sie    keine  Flügel   hat.     Da  aber  über  Dinge, 
die  man  nicht  versteht,  von  jeher  die  Kämpfe  am  bittersten  wari*n, 
erklärt  es  sich,  warum  der  Streit  über  die  menschliche  Seele  einen 
80  gehässigen   Charakter    angenommen   hat.    Der  Materialismus  hat 
sich  zwar  bemüht,  zu  beweisen,    dass  das   unbekannte  Seelen wesen 


§.  344.    Eintbeilang  des  Gebirnii.  773 

nur  die  Summe  der  materiellen  Vorgänge  im  Gehimorganismus  sei. 
Diese  materiellen  Vorgänge  aber  erfolgen  in  allen  Organen,  also 
auch  im  Gehirn,  mit  einer  unbezweifelbaren  Nothwendigkeit,  und 
laufen  in  einer  bestimmten  Reihe  ab,  an  welcher  die  Organe  selbst 
nichts  ändern  können.  Ist  die  Seele  nur  eine  Erscheinungsform  des 
materiellen  Himlebens,  so  ist  sie  auch  in  dieselben  Fesseln  der 
Nothwendigkeit  gelegt,  wie  dieses.  Selbstbestimmung,  Spontanität, 
Freiheit,  und  was  wir  sonst  noch  der  Seele  zuzumuthen  gewohnt 
sind,  fällt  alles  hinweg,  und  es  muss  mit  der  neuen  Lehre,  auch 
eine  neue  Weltordnung  geschaflFen  werden,  welche  sicher  keine 
moralische  sein  wird.  Doch  damit  hat  es  noch  keine  Eile.  Denn 
die  materiellen  Vorgänge  im  öehim,  können  nur  als  Bewegung 
aufgefasst  werden,  in  der  Form  von  StoflFwechsel,  Atomengruppirung, 
oder  Schwingungen.  Nun  muss  aber  selbst  der  Materialismus  zu- 
geben, dass  kein  Ding  aus  sich  selbst  in  Bewegung  gerathen  kann. 
Er  muss  also  noch  suchen  und  finden,  von  wo  der  erste  Anstoss 
zu  diesen  Bewegungen  ausgeht,  und  wie  sofort  der  materielle  Vor- 
gang, in  das  geistige  Wesen  der  Gedankenwelt  umgesetzt  wird. 
Mit  der  Behauptung,  dass  dieser  Umsatz  stattfindet,  wurde  er  nicht 
zugleich  verstanden,  und  das  erste  Glied  der  materialistischen  Ge- 
dankenkette, ist  somit  die  unbewiesene  Annahme  ihrer  Richtigkeit. 
Die  Psychologie  aber  für  ein  Capitel  der  Hirnanatomie  zu  erklären, 
konnte  nur  ein  Franzose  wagen  (Broussais). 

Das  Centralorgan  des  animalen  Nervensystems  besteht  aus 
dem  Gehirn  (Encephalon),  und  dem  Rückenmark  (Medulla  spi- 
nalis).  Das  Gehirn  ist  die  in  der  Schädelhöhle  eingeschlossene 
Hauptmasse  des  Nervensystems.  Das  Rückenmark  dagegen  erscheint 
als  strangförmige  Verlängerung  des  Gehirns  in  den  Rückgratskanal 
hinab.  Das  Gehirn  ist  von  weit  complicirterem  Baue  als  das  Rücken- 
mark, mit  welchem  es  gleichzeitig  entsteht,  und  kann  deshalb  nicht 
als  ein  Anwuchs,  oder,  wie  man  zu  sagen  pflegte,  als  die  Blüthe 
des  Rückenmarks  genommen  werden.  —  Der  Hauptsache  nach  ist 
das  Gehirn  symmetrisch  gebaut,  d.  h.  es  besteht  aus  paarigen  Hälf- 
ten, und  selbst  seine  unpaaren  medianen  Organe,  sind  durch  einen 
mittleren  Längenschnitt  in  gleiche  Hälften  zu  theilen.  Allein  die 
Einzelnheiten  der  Seitenhälften  sind  nicht  durchwegs  congruent, 
sondern  variiren  mehr  weniger  in  Grösse  und  Gestalt. 

Das  Gehirn  wird  in  das  grosse  und  kleine  (Cerebrum  et 
Cerebellum)  eingetheilt.  An  jedem  derselben  werden  zwei  paarige 
seitliche  Hälften  oder  H&lhkug ein  (Hemi^phaerae  cereh*i  et  cere- 
helli)j  und  ein  unpaares  Mittelgebiet  unterschieden.  —  Die  Fort- 
setzung des  Rückenmarks,  welche  durch  das  Foramen  occipitale 
magnum  in  die  Schädelhöhle  aufsteigt,  und  sich  an  das  Gehirn  an^ 
schliesst,    wird   als  verlängertes   Mark   {Medulla  oblongata)   noch 


774  f-  ^i-   Eifitheilong  (Im  Gehinu. 

zum  Gehirne  gerechnet.  —  Das  grosse  Gehirn  verhält  sich  zum 
kleinen  wie  8:1.  Das  Gewicht  beider  beträgt  im  Mittel  drei  Pfund. 
Das  weibliche  ist  um  1 — 2  Unzen  leichter  (absit  uividia  dicto). 

Die  Halbkugeln  des  grossen  Gehirns  sind  nur  bei  der  Ansicht 
von  oben  her,  ihrer  ganzen  Länge  nach,  durch  ein  tiefe,  mediane 
Spalte  getrennt,  in  welche  sich  der  grosse  Sichel fortsatz  der  harten 
Hirnhaut  hineinsenkt.  Vom  und  hinten  dringt  diese  Spalte  von  der 
oberen  bis  zur  unteren  Fläche  des  Grosshims  durch,  so  dass  die 
vorderen  und  hinteren  Lappen  beider  Halbkugeln  auch  bei  unterer 
Ansicht  von  einander  getrennt  erscheinen.  In  der  Mitte  dagegen 
erreicht  der  Spalt  nur  eine  gewisse  Tiefe,  indem  das  sogenannte 
Mittelgebiet  des  grossen  Gehirns  nicht  durchschnitten  wird.  Am 
kleinen  Gehirn  fehlt  dieser  Spalt,  und  wird  nur  durch  einen  Einbug 
seines  hinteren  Randes  (in  welchen  sich  der  kleine  Sichelfortsatz 
der  harten  Hirnhaut  einschiebt)  imvollkommen  repräsentirt.  Dagegen 
hat  die  untere  Fläche  des  kleinen  Gehirns  einen  longitudinalen  tiefen 
Eindruck  (Valleculd),  in  welchen  das  verlängerte  Mark  zu  liegen 
kommt.  Bei  oberer  Ansicht  werden  somit  die  Halbkugeln  des  klei- 
nen Gehirns,  in  der  Mittellinie  imunterbrochen  in  einander  über- 
gehen, und  das  verlängerte  Mark  bedecken. 

Man  imterscheidet  an  den  Halbkugeln  des  grossen  Gehirns 
drei,  an  jenen  des  kleinen  Gehirns  nur  zwei  Flächen.  Für  die 
Halbkugeln  des  grossen  Gehirns  giebt  es  eine  untere,  äussere 
und  innere  Fläche.  Die  untere  Fläche  wird  durch  eine,  dem 
schwertförmigen  Keilbeinflügel  entsprechende,  tiefe  Furche  (Fossa 
Sylvü)  in  einen  vorderen  kleineren,  imd  hinteren  grösseren 
Lappen  geschnitten.  Der  vordere  Bezirk  des  hinteren  grösseren 
Lappens,  welcher  in  der  mittleren  Schädelgrube  liegt,  und  zunächst 
an  die  Fossa  Sylvü  grenzt,  wird  auch  als  unterer  Lappen  bezeich- 
net, so  dass  also  jede  Hemisphäre,  bei  unterer  Ansicht  drei  Lappen 
gewahren  lässt,  von  welchen  der  vordere  und  der  untere  auf  der 
Schädelbasis,  der  hintere  aber  auf  dem  Zelte  des  kleinen  Gehirns 
lagert.  —  Die  äussere  convexe  Fläche  der  Hemisphären  liegt  an 
der  Schädelwand  an,  und  geht  in  der  Medianlinie  derselben  in  die 
innere,  ebene  und  senkrechte  Fläche  über,  welche  derselben  Fläche 
der  anderen  Halbkugel  zugekehrt  ist,  und  sie  berühren  würde, 
wenn  der  grosse  Sichelfortsatz  nicht  dazwischen  träte.  Bei  Mangel 
der  Sichel,  in  Folge  angeborener  Hemmungsbildung  des  Gehirns, 
verschmelzen  auch  beide  Halbkugeln  zu  Einer  Sphäre. 

Für  die  Halbkugeln  des  kleinen  Gehirns  giebt  es  nur  eine 
obere  und  untere  Fläche,  welche  beide  convex  sind,  und  durch 
einen  abgerundeten  Kand  in  einander  übergehen.  Die  obere  Fläche 
berührt  das  Zelt,  die  untere  liegt  in  den  unteren  Gruben  des  Hin- 
terhauptbeins. 


§.  a44.    Klnibeilung  des  Gehirns.  775 

Sämmtliche  Flächen  der  Halbkugeln  des  grossen  und  kleinen 
Gehirns  sind  mit  den  sogenannten  Windungen  {Gyri  s.  Anfractus 
8.  Intestiniila  cerebid)  besetzt,  welche  am  grossen  Gehirn  darmähn- 
lich verschlungen,  am  kleinen  Gehirn  mehr  parallel  und  einfach 
bogenförmig  gekrümmt  erscheinen.  Sie  bestehen  oberflächlich  aus 
grauer  Rindensubstanz  {Suhstantia  cineiea  s.  corticalis),  im  Inneren 
aus  weisser  Masse  (Suhstantia  medullaris),  und  werden  durch  mehr 
weniger  tief  penetrirende  Furchen  (Sulci)  von  einander  getrennt, 
in  welche  Falten  der  weichen  Hirnhaut  eindringen.  Die  Gyri  und 
Sulci  sind,  wenigstens  am  grossen  Gehirn,  nicht  symmetrisch  in 
beiden  Halbkugeln.  Dass  ünsymmetrie  und  Vermehrung  der  Gyri, 
so  wie  bedeutendere  Tiefe  der  Zwischenfurchen,  bei  geistvollen 
Menschen  vorkommen,  mag  seine  Richtigkeit  haben,  wurde  jedoch 
von  mir  und  Anderen  auch  im  höchsten  Grade  des  Blödsinns  {Cre- 
tinismus)  gefunden. 

Wenn  man  sich  vurstellt,  dass  die  embryonischen  Gehirnblasen  rascher 
anwachsen,  als  die  sie  umschliessenden  Hüllen,  so  müssen  Faltungen  der  erste- 
ren  entstehen,  und  diese  sind  das  Bedingende  der  Qehimwindungen.  Anfangs 
treten  nur  wenige  solcher  Faltungen  auf,  in  Form  von  breiten,  ziemlich  parallelen 
Rindenwülsten,  welche  durch  seichte  Furchen  von  einander  getrennt  erscheinen. 
Mit  dem  Tieferwerden  der  Furchen,  und  mit  ihrem  Anssprossen  in  seitliche 
Nebenfurchen,  werden  die  primären  Kindenwülste  immer  mehr  von  einander  ab- 
gegrenzt und  durch  Hinzukommen  von  Nebenwftbten  bis  zur  Complicirtheit  des 
bleibenden  Windungsbildes  der  Hirnrinde  complicirt.  Aber  auch  in  diesem  Bilde 
sind  die  Qrundzüge  der  ersten  Zeichnung  noch  nicht  gänzlich  untergegangen,  wie 
denn  z.  B.  eine  besonders  tiefe,  die  Mitte  der  Hemisphären  schief  nach  aussen 
und  unten  schneidende  Furche,  sich  als  Central  furche  durch  alle  Alters- 
perioden hindurch  erkennen  lässt.  —  Gall  hat  die  Gehirnwindungen  als  Qe- 
hirnorgane  aufgefasst.  Abgesehen  davon,  dass  es  ganz  unstatthaft  ist,  ein 
umschriebenes,  mehr  oder  minder  schärferes  Hervortreten  der  Oberfläche  eines 
Organs,  selbst  wieder  ein  Organ  zu  nennen  (indem  dann,  um  ein  Beispiel  zu 
geben,  die  Lappen  der  lieber,  und  di(*.  Höcker  derselben,  wieder  als  besondere 
Leberorgane  betrachtet  werden  mUssten),  werden  die  Gallischen  Organe  des 
Gehirns  schon  dadurch  eine  Chimäre,  dass  sie  von  ihrem  Entdecker  nur  an  die 
obere  Fläche  der  Hemisphären  angewiesen  wurden,  während  doch  an  der  inne- 
ren und  unteren  Fläche  derselben  gleichfalls  Gehirnwindungen,  und  zwar  in 
gleichem  Entwicklungsgrade,  vorkommen,  welche  jedoch  von  Gall  gänzlich 
ausser  Acht  gelassen  wurden,  da  sie  sich  nicht  abgreifen  lassen. 

Die  graue  Rindensubstanz  der  Gyri  lässt  zunächst  an  der  Mark- 
substanz, also  in  ihrer  tiefsten  Schichte,  eine  eigenthümliche,  in's 
Rostbraune  spielende  Farbennuance  erkennen,  wodurch  man  sich  be- 
rechtigt hielt,    sie  als  Suhstantia  ferruginea  besonders  zu  benennen. 

Einzelne  Wülste,  und  Gruppen  von  Wülsten,  mit  besonderen  Namen  zu 
unterscheiden,  mag  für  die  Zukunft  der  Gehimphysiologie  von  Nutzen  sein. 
Weitläufiges  hierüber  findet  sich  bei  Valentin  (Sömmerring*s  Nervenlehre, 
pag.  170,  seqq.).  —  Die  oben  angeführte  Eintheilung  des  Gehirns  fusst  auf  dem 
äusseren  Habitus  des  Gehirns.  Die  auf  die  Entwicklung  des  Gehirns  Rücksicht 
nehmende  Eintheilung  in  Vorder-,  Mittel-  und  Hinterhirn  klingt  allerdings 


776  S-  345.    Grosses  Gehirn. 

wissenschaftlicher,  aber  minder  praktisch.  Streng  genommen  kann  min  unter 
Mittelgehirn  (Mesencephalon)  nur  das  Corpus  quctdrigeminumf  welches  sich  au 
der  mittleren  embryonalen  Uimblase  entwickelt,  verstehen,  und  wQrde  didardi 
einem  der  Grösse  nach  sehr  untergeordneten  Gebilde  die  Bedeutung  einer  Hiapt- 
abtheilung  anweisen. 

Es  soll  in  den  folgenden  Paragraphen  die  Anatomie  des  Gehirns  tof  jene 
Weise  geschildert  werden,  wie  sie  sich  bei  der  Zergliederung  von  oben  und  toh 
unten  her  ergiebt,  oime  Rücksicht  auf  den  inneren  Zusammenhang  der  einzelnen 
Gehirnorganc ,  welcher  uns  ohnedem  nur  wenig  bekannt  ist.  Die  Verbindung 
der  Einzelheiten  zum  Ganzen  bildet  den  Inhalt  des  §.  3öl. 


§.  345.  &rosses  ftehim. 

Um  die  Auffindung  der  hier  zu  erwähnenden  Gebilde  zu  er- 
leichtern, wird  die  Beschreibung  derselben  mit  der  Zergliedenmgs- 
methode  verbunden. 

Wurde    die    Schädelhöhle    durch    einen    Kreisschnitt    geöffnet, 
welcher  zwischen   den  Arcus  superciliares  und    Tubera  frontalia  be- 
ginnt^  und    dicht   über   der   Protuberantia   occipitalis    externa    endet, 
und   das    Schädeldach   abgetragen,   was   zuweilen   bei   festeren  Ad- 
häsionen  der  harten   Hirnhaut  an    die    Schädelknochen   einige   Ge- 
walt erfordert,    so   uiitenmcht  man  vorerst  die  häutigen  Hilllen  des 
Gehirns,  so  weit  dieses  von  oben  her  möglich    ist.    Die  harte  Hirn- 
haut   wird    durch    zwei    zu    beiden   Seiten    des    grossen    Sichelfort- 
satzes geführte   Schnitte    getrennt.     Von    der   Mitte   dieser  Schnitte 
wird    beiderseits    einer    gegen    die   Schläfe    herab   geführt,   und  da- 
durch   die  harte  Hirnhaut  in   vier  Lappen  gespalten,  welche  herab- 
geschlagcn     werden.      Die    Anheftung    des    grossen    Sichelfortsatzes 
vom  an  der   Crista  galli  wird   durchschnitten,   und  der  ganze  Fort- 
satz  nach  hinten   zurückgeschlagen.     Die   von   der    Oberfläche  des 
Gehirns  in  den  oberen  Sichelblutleiter  eindringenden  Venen  müssen 
mit   der    Schere  getrennt   werden,    um    dieses  Zurückschlagen   vor- 
nehmen   zu   können.     Man   überblickt   nun    die    äussere  Oberfläche 
beider    Hemisphären,    und    legt    durch    vorsichtiges    Abziehen    der 
Arachnoidea  und  Pia  mater  die  Windungen  bloss.    Man  zieht  beide 
Hemisphären   etwas  von   einander   ab,   um   die  Tiefe  des  longitudi- 
nalen   Zwischenspaltes  zu   prüfen,    und    dadurch    zu    erfahren,    wie 
weit    man    die    Hemisphären    durch    Horizontalschnitte    mit    einem 
breiten  und  langen   Messer  abtragen    darf,    um  die  Seitcnkammem 
nicht    zu    eröffnen.     Ist    man    durch   diese   Schnitte  bis  zur   oberen 
Fläche  des  Balkens  eingedrungen,   so  bemerkt  man,  dass  der  Bal- 
ken  {Corpus  callosum    s.    Commissura  viaxima  s,    Trabs   cerehri)   ein 
Bindungsmittel   zwischen    der   rechten    und   linken    Hemisphäre   ab- 
giebt.     Die   beiden  Seitenränder  desselben   strahlen   nämlich  in  die 


§.  345.  OrosBes  Gehirn.  777 

Markmasse  der  beiden  Hemisphären  aus,  welche  in  gleicher  Höhe 
mit  dem  Balken  die  grösste  Ausdehnung  erreicht,  und  die  Decke 
der  Seitenkammem  {Tegmentum  ventriculorum  s.  Centinim  aeniiovale 
Vieussemi)  bildet. 

An  der  oberen  Fläche  des  Balkens  bemerkt  man  eine,  zwischen 
zwei  Längenerhabenheiten  (Striae  longitudinales  Lancisii)  von  vorn 
nach  rückwärts  verlaufende  Furche  (Raphe  sxtperior  corporis  callosi), 
welche  durch  ein  System  querer  Streifen  (Chordae  traiisvei'salea 
Wülisü*)  rechtwinkelig  gekreuzt  wird.  An  der  unteren,  bei  dieser 
Behandlung  nicht  sichtbaren  Balkenääche,  verläuft  die  Raphe  infe- 
riar.  Der  vordere  Rand  des  Balkens  biegt  sich  nach  ab-  und 
rückwärts  bis  zur  Basis  des  Gehirns  herab,  wo  er  den  grauen 
Hügel,  Tuber  cinei^eftm ^  und  die  Caip&ra  mammillaria  erreicht. 
Der  durch  den  Umbug  des  vorderen  Balkenrandes  gebildete  Win- 
kel heisst  das  Balkenknie,  Genu  caiporis  callosL  Der  hintere, 
verdickte  Rand  des  Balkens  ist  die  Balkenwulst,  Tuhei'  s.  Spie- 
nium  corporis  callosi, 

Balkenknie  und  Balkenwulst  werden  am  besten  gesehen,  wenn  man  den 
Balken  vertical  durch  die  Raphe  durchschneidet,  was  an  dem  Gehirne,  welches 
zur  Untersuchung^  vorliegt,  und  an  welchem  möglichst  viele  Organe  ganz  erhal- 
ten werden  sollen,  nicht  gemacht  werden  kann.  Man  sieht  an  diesem  Durch- 
schnitte zugleich,  dass  der  Balken  kein  planes,  sondern  ein  mit  oberer  convexer 
Fläche  von  vorn  nach  hinten  gekrümmtes  Gebilde  ist,  dessen  geringste  Dicke 
in  seine  Mitte  fällt. 

Wo  die  Seitenränder  des  Balkens  in  die  Hemisphären  über- 
gehen, wird  durch  einen  verticalen  Schnitt  die  Seitenkammer  (Veii- 
triculus  lateralis)  geöffnet,  und  von  ihrer  Decke  so  viel  abgenom- 
men, bis  man  ihre  ganze  Ausdehnung  übersieht.  Jede  Seitenkammer 
schickt  von  ihrem  mittleren  Theile  (CeJla  media)  drei  bogenförmig 
gekrümmte,  sich  nach  verschiedenen  Richtungen  in  die  Markmasse 
einbohrende  Fortsätze  oder  Hcirner  aus,  und  heisst  deshalb  auch 
Ventriculus  tricomis.  Das  Vorderhorn  kehrt  seine  Concavität 
nach  aussen,  das  Hinter  hörn  nach  innen,  und  das  bis  an  die 
Basis  des  Gehirns  sich  hinabkiümmende  lange  Unterhorn  nach 
vom.  Um  die  den  Sehnervenhügel  umgreifende,  nach  vorn  und 
unten  gerichtete  Krümmung  des  Unterhoms  zu  sehen,  muss  ein 
grosser  Theil  der  Seitenmasse  der  Hemisphäre  durch  einen  senk- 
recht geführten  Schnitt  abgetragen  werden. 

Man  findet  im  Vorderhorn  der  Seitenkammer: 
a)   den    Streifenhttgel,    Corpus  striatuvi,   dessen    freie   birn- 
förmige  Oberfläche  mit  ihrem  dicken  kolbigon  Ende  nach  vorn  und 


*)  Ich  finde  mich  veranlasst,  hier  die  historische  Berichtigung  einzureihen, 
dass  Willis  nicht  die  erwähnten  qaeren  Streifen  des  Balkens,  sondern  die  in  der 
Höhle  des  Sintu  falciformü  major  vorkommenden  Verbindungsbälkchen  seiner  rechten 
und  linken  Wand,  Chordae  tramvertalei  nannte. 


778  §•  ^'^'  örosses  Gehirn. 

innen^  mit  ihrem  zugespitzten  Ende  (Schweif)  nach  rück-  und  aus- 
wärts gerichtet  ist.  Er  besteht  vorzugsweise  aus  grauer  Masse,  welche 
seine  freie  Fläche  ganz  einnimmt,  und  im  Inneren  desselben,  mit 
der  weissen,  abwechselnde  Schichten  bildet  —  nach  Art  der  Plat- 
tenpaare  einer  Volta'schen  Säule. 

Schneidet  man  die  Markmaase  der  Memisphäre,  welche  an  der  äunereo 
Seite  des  Streifenhügcls  liegt,  schief  nach  aus-  und  abwärts  durch,  so  findet  man 
in  ihr  den  Linsenkern,  Nude^ia  lentiformut^  als  einen  ringsum  von  weiBier 
Marksubstanz  umschlossenen,  flachen,  biconvexen  Klumpen  grauer  Masse,  deaieo 
Flächen  nahezu  senkrecht  stehen.  Vor  und  unter  dem  Linsenkem  liegt  der  Min* 
delkern,  Nucleiui  amygdalae^  ein  kleineres,  ebenfalls  vollkommen  von  Marktab- 
stanz eingeschlossenes  graues  Lager,  und  nach  aussen  vom  Linsenkem  eine  fait 
lothrecht  stehende  graue  Schicht,  die  Vormauer,  Claustrum  a,  Nucleui  tamM- 
formU.  Die  weisse  Markniasse,  welche  den  Linsenkem  vom  Streifenhügel  trennt, 
heisst  die  innere  Hülse,  Capstda  interna^  jene  zwischen  Linsenkem  und  CUn* 
strum,  äussere  Hülse,  Capftida  externa.  Die  weisse  Masse  der  CapttUa  miema 
wird  durch  zahlreiche  graue  Blätter  durchsetzt,  welche  vom  Corpus  «friafom 
zum  Nucltua  lentifomiift  ziehen.  Die  grau-  und  weissgestreifte  Zeichnung,  welche 
der  Durchschnitt  zeigt,  verschaffte  eben  dem  Streifcnhügel  seinen  Namen. 

b)  den  SehhUgel,  Thalamus  opticus.  Er  liegt  hinter  dem 
Streifenhügel,  dessen  Schweif  sich  an  seiner  äusseren  Peripherie 
hinzieht,  und  scheint  bei  dieser  Ansicht,  wo  die  mittlere  Himkam* 
mer  noch  nicht  ger)fFnet  ist,  kleiner  als  der  Streifenhügel  zu  sein. 

Seine  volle  Ansicht  gewinnt  man  erst  nach  Eröffnung  der  dritten  Kam- 
mer, und  des  Unterhoms  der  Seitenkammer,  welches  ihn  umgreift.  Seine  Farbe 
ist  (mit  Ausnahme  seiner  inneren  grauen  Fläche)  markweis«.  Im  Inneren  enthilt 
er  drei  graue  Kerne:  einen  äusseren,  inneren  und  oberen.  —  Zwischen  ihm  ond 
dem  Streifi^nhügel  zeijrt  sich : 

c)  der  Hörnst  reifen,  iStrla  a/nitUy  welcher,  von  einer  an 
liegenden  Vene  (Vena  tei^ünalid)  begleitet,  als  hyaliner,  graugelb 
Hcher  Streifen,  die  Grenze  zwischen  Streifen-  und  Sehhügel  bildet 
Der  Hornstreif  ist  nur  der  freie  Rand  einer  von  unten  nach  auf 
wärts,  zwischen  Seh-  und  Streifenhügel  eingelagerten,  vom  Pednn 
culus  cei-ehd  ausstrahlenden  Markplatte,  —  der  Taenia  semicinmlarii 

Im  Hinterhorne  finden  sich: 

1.  der  Vogelsporn  oder  kleine  Seepfe  rdefuss,  Calcar 
avls  s,  Pes  hippocampi  vünor.  Er  bildet  eine,  an  der  inneren  Wand 
des  Hinterhorns  hinzieliende  Erhabenheit.  Die  obere  Wand  des 
Hinterhorns  führt,  ihrer  gestreiften  Zeichnung  wegen,  den  Namen 
der  Tapete. 

2.  die  seitliche  Erhabenheit,  Emiinentia  collatei*alis  MeckeUi, 
deren  Name  von  ihrer  Nachbarschaft  am  grossen  Seepferdefiiss 
herrührt,  an  dessen  äusserer  Seite  sio  in  das  Unterhom  hinabläuft. 
Sie  beginnt  schon  im  Hinterhorn  mit  einem  dreieckigen  Wulste, 
der  an  der  unteren  Wand  des  Hinterhorns  hervorragt. 


§.  S45.    Grosses  Gehirn.  779 

Im  ünterhome  wird  gesehen: 

a.  der  grosse  Seepferdefuss  oder  das  Ammonshorn,  Pea 
hippocampi  major  s.  Ccnmu  Ammonis.  Er  führt  seinen  ersteren  Namen 
von  einer  Formähnliclikeit  seines  unteren  Endes  mit  den  Klauen 
eines  fabelhaften  Thieres,  dessen  pferdeähnlicher  Leib  mit  Schwimm- 
füssen  versehen  gedacht  wurde :  Seepferd.  Sein  zweiter  Name  schreibt 
sich  von  jenen  Petrefacten  her,  welche  ihrer  widderhornähnlichen 
Krümmung  wegen  Cornun  Avimanis  genannt  wurden.  Er  umgreift 
als  ein  nach  aussen,  vom,  und  unten  gekrümmter  Wulst,  den  Seh- 
hügel und  die  Himstiele,  durchmisst  die  ganze  Länge  des  Unter- 
homs  bis  zu  dessen  miterem  Ende,  wo  er  mit  3 — 4  gerundeten 
Höckern,  den  Klauen  {Digitationes)  endigt. 

Genauer  unterBiicht,  weist  sich  der  grosse  Seepferdefuss  als  eine  Einstül- 
pung der  Substanz  des  Untcrlappens  aus,  und  entspricht  somit  einem,  in  gleicher 
Richtung  mit  ihm,  an  der  Oberfläche  dieses  Lappens  hinziehenden  Sulcus. 

An  dem  concaven  Kande  des  Seepferde fusses  verläuft,  als 
Fortsetzung  der  hinteren  Schenkel  des  weiter  unten  zu  beschreiben- 
den Gewölbes: 

ß.  der  Saum,  Fimhrixi,  als  ein  dünnes,  sichelförmig  gekrümm- 
tes Markblatt,  welches,  nach  unten  zu,  sich  in  die  gekräuselte 
graue  Leiste,  Fascia  dentatay  fortsetzt. 

Nach  genommener  Einsicht  dieser  in  die  Homer  der  Seiten- 
kammer hereinragenden  Vorsprünge,  schreitet  man  zur  Eröffnung 
der  unpaaren  oder  dritten  Kammer,  Ventriadus  medius  s.  tertinsy 
welche  vom  Balken  und  dem  unter  ihm  liegenden  Gewölbe,  For- 
nix tricuspidalis,  bedeckt  wird. 

Hebt  man  den  Balken  in  die  Höhe,  so  findet  man  zwischen 
seiner  vorderen  Hälfte,  und  dem  unter  ihm  gelegenen  Foruix,  senk- 
recht gestellt:  die  durchsichtige  Scheidewand,  ASf^ptum  pellu- 
cidum,  Sie  bildet  eine  verticale  Wand  zwischen  den  beiden  Vor- 
derhömern  der  Seitenkammern ,  und  besteht  aus  zwei  parallelen 
Lamellen,  zwischen  welchen  ein  schmaler,  vollkommen  geschlosse- 
ner, selten  mit  der  mittleren  Kammer  communicirender  Zwischen- 
raum sich  befindet,  —  der  Ventriadus  septl  pidhicidi  (I)uncan's 
Höhle  einiger  englischer  Anatomen).  Nur  im  Embryo  und  bei  den 
Säugethieren  ist  die  erwähnte  Communication  eine  normale.  —  Die 
hintere  Hälfte  des  Balkens  liegt  unmittelbar  auf  dem  Fornix  auf. 
Hier  fehlt  somit  das  Septtnn  pelincidnm.  Man  gelangt  am  besten  zur 
Ansicht  des  Sepfum  pelluddvm  und  seiner  Kannner,  wenn  man  den 
Balken  etwas  vor  seiner  Mitte  quer  durchschneidet,  und  die  vordere 
Hälfle  desselben  mit  den  Fingern  oder  mittelst  zwei  Pincetten  in 
die  Höhe  hebt,  um  sie  nach  vom  umzuschlagen. 


780  §•  '^^-  ßroBse»  Gehirn. 

Das  Gewölbe  liegt  in  der  Furche,  welche  zwischen  den  sich 
an  einander  lehnenden  Sehnervenhügeln  nach  oben  übrig  bleibt, 
hat  eine  dreieckige  Gestalt,  indem  es  sich  wie  ein  Keil  zwischen 
die  Thalami  optici  lagert,  und  geht  nach  vom  und  hinten  in  zwei 
Schenkel  über.  Der  Name  fornix  tincuspidalis  ist  deshalb  imrichtig. 
Die  vorderen  Schenkel  {Crura  antei'iora  8,  Columnae  fornicis^ 
Säulen  des  Gewölbes)  hängen  mit  den  beiden  Blättern  des 
Septum  peüuciduni  zusammen,  senken  sich  bogenförmig  vor  den 
Sehhttgeln  in  die  Tiefe,  und  steigen  zuletzt  geradlinig  zu  den  bei- 
den Markhügeln  {Coipcn^a  mammillatna  §.  346)  der  HimbaBis 
herab,  von  welchen  sie  sich  wieder  zu  den  Thalami  optici  aufkrüm- 
men. Sie  liegen  auf  den  Sehhügeln  nur  lose  auf,  ohne  mit  ihnen 
zu  verschmelzen.  Es  existirt  also  eine  Zwischenspalte,  welche  sich  nach 
vom,  unmittelbar  hinter  den  Columnae  fornicisj  zu  einem  Loche  er- 
weitert —  Foramen  Monroi  — ,  durch  welches  das  mittlere  Ader- 
geflecht eine  Fortsetzung  in  die  Seitenkammer  gelangen  lässt. 

Die  absteigenden  vorderen  Gewölbschenkel  bilden  die  dritte  Seite  eine« 
dreieckigen  Raumes,  dessen  beide  anderen  Seiten  durch  das  Balkenknie  gege- 
ben sind.  Dieser  dreieckige    Raum   wird  durch  das  Septum  peUueidum  ausgefüllt 

Der  hintere  Theil  des  Gewölbes  spaltet  sich^  in  die  beiden 
hinteren  Schenkel  (Ctnira  posteriara),  zwischen  welchen  ein  ein- 
springender Winkel  mit  vorderer  Spitze  frei  bleibt.  In  diesem 
Winkel  wird  man,  bei  der  Ansicht  von  unten  her,  ein  dreieckiges 
Stück  der  unteren  quergestreiften  Balkenfläche  zu  Gesichte  bekom- 
men. Die  Streifen  ähneln  den  in  einem  dreieckigen  Rahmen  aus- 
gespannten Seiten  einer  Harfe,  oder  den  parallel  aufgeworfenen 
Rändern  der  Blätter  eines  vielgelesenen  Buches  (ehrenhalber  Gebet- 
buch), weshalb  im  ersten  Sinne  der  Name:  Leier,  Lyi^a  Davidisj 
und  im  zweiten  Sinne  der  Name:  Psalten'uvij  für  sie  nicht  unpas- 
send gewählt  wurde.  —  Jeder  hintere  GewiUbschenkel  geht  in  die 
Fimbria  des  Scepferdefusses  über. 

Schneidet  man  nun  den  Fornix  in  seiner  Mitte  quer  durch, 
und  sclJägt  man  seine  beiden  Hälften  nach  vor-  und  rückwärts 
zurück,  so  hat  man  die  dritte  Kammer  noch  nicht  geöffnet.  Sie 
wird  vielmehr  noch  durch  eine  sehr  gefässreiehe  Membran  zuge- 
deckt, welche,  als  Fortsetzung  der  Pia  matei*  unter  dem  Balkenwulst 
und  über  dem  Vierhügel  zur  dritten  Hirnkammer  gelangt,  und  sich 
nach  vorn  bis  zu  den  Säulen  des  Fornix  erstreckt.  Sie  heisst  Tela 
choroidea  superior,  Sie  enthält  die  Endäste  der  Arteria  profunda 
cerebri,  und  führt  in  ihrer  Mitte  zwei  grössere  Venenstämme,  welche 
unter  dem  Balkenwulste  zur  unpaar<m  Vena  cerebri  magjia  zusam- 
mentreten. Die  Tela  choroidea  media  zeigt  zwei  strangartige  Ver- 
dickungen   von  rother  Farbe  und  körnigem   Ansehen.     Sie    werden 


■h 


§.  345.   GroiseK  Gehirn.  781 

durch  Verknäuelungen  der  Gefiisse  der  Tela  erzeugt,  und  heissen 
Plexus  choroidei,  Anfangs  liegen  beide,  als  Plexus  choroideiis  medniSy 
dicht  an  einander,  lenken  aber  hierauf,  als  Plexus  ch(yi*oidei  lafeirdesy 
durch  die  i^oram/na  Monroi  in  die  Seitenkammern  ab,  wo  sie  sich 
längs  des  Ammonshomes  bis  in  den  Grund  des  Unterhomes  ver- 
folgen lassen. 

Löst  man  nun  die  Tela  charoidea  von  der  convexen  Sehhügel- 
fläche vorsichtig  los,  und  zieht  man  hierauf  beide  Sehhügel,  welche 
in  der  Leiche  mit  ihren  inneren,  fast  ebenen  Flächen  an  einander 
schliessen,  von  einander  ab,  so  überbHckt  man  die  ganze  Ausdeh- 
nung der  dritten  Kammer.  Man  kann  an  ihr  sechs  Wände  unter- 
scheiden. Die  obere  war  durch  die  Tela  choroidea  superior  gebildet, 
die  beiden  seitlichen  sind  durch  die  inneren  planen  Sehhügelflächen 
gegeben,  die  untere  entspricht  der  Mitte  der  Himbasis^  die  vor- 
dere wird  durch  die  vorderen  absteigenden  Schenkel  des  Gewölbes 
(Säulen,  Coltimnae)j  die  hintere  durch  den  sich  zwischen  beide 
Sehhügel  hineinschiebenden  Vierhügel  {Corpus  q^tadrigeminum)  dar- 
gestellt. —  Die  beiden  Seitenwände  der  dritten  Kammer  stehen 
durch  drei  Querstränge  (Commissuraa)  in  Verbindung.  Die  Com- 
missura  anterior  liegt  an  der  vorderen  Wand,  vor  den  absteigenden 
Schenkeln  des  Fomix,  und  zeigt  sich,  wenn  man  diese  auseinander 
drängt.  Die  Commissura  posterior  liegt  an  der  hinteren  Wand,  vor 
dem  Vierhügel.  Beide  sind  markweiss  und  rund.  Unter  der  Commis- 
sura antej-i&i*  vertieft  sich  der  Boden  der  dritten  Kammer  zum  so- 
genannten Trichtereingang,  Aditus  ad  mfundihulum ^  und  unter 
der  Commissura  posterior  befindet  sich  die  kleinere  EingangsöfFnung 
der  Sylvi'schen  Wasserleitung  (Aditus  ad  aquaeductum  Sylvit), 
welche  unter  dem  Vierhügel  zur  vierten  Hirnkammer  führt.  —  Die 
breite  und  weiche  Commissura  media  s.  mollis  entbehrt  des  Charak- 
ters einer  queren  weissen  Verbindungsfaserung  der  beiden  Seiten- 
wände der  dritten  Hirnkammer,  denn  sie  ist  grau,  fehlt  auch 
zuweilen,  und  stellt  nur  eine  locale  Verschmelzung  des  grauen 
Beleges  dar,  mit  welchem  die  inneren  Flächen  beider  Sehhügel 
überzogen  sind. 

Der  Vi  er  hü  gel  (welcher  besser  Corpus  higeminum  als  qu/xdri- 
geminum  genannt  werden  könnte,  da  letzterer  Ausdruck  acht  Hügel 
bedeutet),  ist  ein  unpaarer,  durch  einen  Kreuzschnitt  in  vier  Hügel 
getheilter,  weisser  Hr»cker,  der  zwischen  der  dritten  und  vierten 
Hirnkammer  steht,  und  unter  welchem  die  Sylvi'sche  Wasserleitung 
eine  Verbindung  beider  Kammern  unterhält.  Sein  vorderes  Hügel- 
paar ist  grösser,  und  steht  höher;  das  hintere  ist  kleiner  und  nied- 
riger, ein  Verhältniss,  welches  sich  bei  allen  pflanzenfressenden 
Thieren  findet.  Die  alte  Anatomie  nannte  das  vordere  Paar  die 
Hinterbacken  (Nates)^  das  hintere  die  Hoden   {Testes)    des  Gehirns. 


782  §•  S^-  (Grosses  Gehirn. 

Bei  seitlicher  Ansicht  des  Vierhügels  bemerkt  man,  dass  beide  Hfigelpure 
seitwärts  in  zwei  walzig-rundliche  Krhabcnheiten  übergehen,  welche  all  Bnehk 
corporis  quadrigemini ,  und  zwar  als  vorderes  und  hinteres  unterschieden 
werden.  Das  vordere  hängt  mit  einer,  am  hinteren  Ende  des  Thcdamui  optiaa 
gelegenen,  und  von  ihm  überragten  Anschwellung  (vorderer  Knie  hocke r,  Corpa 
geiiiculatum  anticum  s,  externum)  zusammen,  und  geht  ganz  und  g^  in  den  Seh- 
hügel über.  Das  hintere  Brachium  corporis  quadrigemini  geht  eine  Verbindung 
mit  dem  zwischen  beiden  Brachiia  lagernden  Corpus  geniculatum  posUcnm  *. 
internum  ein,  und  gelangt  hierauf  tlieils  zum  Sehhügel,  theils  zur  Haube. 

Auf  dem  vorderen  Hügelpaare  ruht  die  sogenannte  Zirbel- 
drüse, Glandula  pinealis  s,  Conanuniy  obscöner  Weise  auch  Penis 
cei^eh'i  genannt.  In  ihr  suchte  Cartesius  den  Sitz  der  Seele,  — 
fand  ihn  aber  nicht.  Sie  besteht  überwiegend  aus  grauer  Substanz^ 
mit  spärlichen  markweissen  Streifen  im  Inneren.  Sie  ist,  so  wie 
die  obere  Fläche  des  Vierhügels,  auf  welcher  sie  Hegt,  vom  Plexm 
choroideus  mediua  bedeckt,  an  dessen  unterer  Fläche  sie  so  fest 
adhärirt,  dass  sie  an  ihr  hängen  bleibt,  wenn  der  Plexus  choroidmt 
vom  Vierhügel  gelüftet  wird. 

Einem  Tannenzapfen  mit  hinterer  Spitze  ähnlich  (daher  ihr  Name),  hingt 
die  Zirbel  nicht  mit  dem  Vierhügcl,  wohl  aber  mit  der  hinteren  Commissur  dareh 
weisse  Fadenbündol  zusammen.     Von   ihrem   vorderen  abgerundeten  Ende  linfen 
zwei  weisse  Bändchen,  Zirbclstiele,   Pediincidi  conartt,  aus,    welche  sich  an 
die  Schhügcl  anschmiegen,    daselbst  als  Taeniae  medulläres  die  Grenze  der  inne- 
ren und  oberen  Fläche  derselben  bezeichnen,   und  nach  vor-  und  abwärts  bis  in 
die  vorderen  Gewrtlbschenkel  zu  verfolgen  sind.    —    Zuweilen  enthält  die  Zirbel 
eine  kh^ne  Höhle  (  Ventriciilus  connrii)^  welche  zwischen  den  Anheftungsstellen  der 
Zirbelstiele  mündet.  —  Theils  in  der  Masse  der  Zirbel,  theils  in  dem  sie  zunSchit 
umgebenden    Plexnn   choroideus   viedius^    wohl    auch    in    den    Zirbelstielen,   findet 
man,   jedoch   nie   vor   dem   (\.   Lebensjahre,    einfache    oder  drüsig  zusammenge- 
backene,   aus  phosphorsaurem   und    kohlensaurem   Kalk    nebst  Kieselerde   bege- 
hende krystallinische  Concremente,  von  der  Grösse  eines  Sand-  oder  Mohnkonu, 
selbst  darüber  [Acervulus  glandulae  pinealis).     Sie   wurden   auch    in  den  Aderge- 
Üechten  der  Seitenkammern,  ja  selbst  in  der  Gehimsubstanz  gefunden.  —  Wollte 
man  schon    einen  Theil  des  Gehirns    als    Vulva    cerehri   bezeichnen,    wie  es  den 
alten  Anatomen  gefällig  war,  so  wäre  die  Oeftnung,  welche  dicht  vor  der  Zirbel 
zwischen    beiden  Zirbelstielen    liegt,    als    länglich    eliptische    Spalte,    am  meisten 
dazu  geeignet.     Die  Sehnervenhügel    stellen  gewissermassen    die    ad    eoitum  cefc- 
hrandvm  aufgestellten  oder  angezogenen  Schenkel  dar,    um  diese  Vulva  fttr  den 
Penis  cerehri  (Zirbel)  zugänglich   zu  machen. 

Der  Vierhügel  hat  über  sich  den  Balkenwulst.  Beide  berühren 
sich  nicht,  sondern  lassen  eine  Oeffnung  zwischen  sich,  den  Que^ 
schlitz  des  grossen  Gehirns,  durch  welchen  die  Pia  mat^  als 
Tela  choi'oidea  mediOj  zur  mittleren  Kammer  gelangt.  Der  Quer- 
schlitz setzt  sich  zu  beiden  Seiten  in  eine  Spalte  fort,  welche,  dem  Pti 
h{pj)ocavijn  major  folgend,  bis  an  den  Gnmd  des  ünterhorns  hinabreieht, 
so  dass  also  das  Unterhorn  in  seiner  ganzen  Länge  von  der  Himober- 
fläche  herzugängig  ist,  und  factisch  eine  Fortsetzung  der  Piamattr 
zur  Verstärkung   des    Pleanis   choroideus   fxiteralis  eindringen  läset 


§.  346.    Groitae«  Gehirn  von  unten  unterBUchi.  783 

Bichat  meinte,  dasa  aach  die  ArcLchnoidea  als  röbrigc  Verlängerung^ 
deren  Querschnitt  das  sogenannte  Foramen  Bichafi  ist,  durch  den  Querschlitz  in 
die  dritte  Kammer  eingehe ,  um  zum  Ependyvia  ventHcuIoi'um  zu  werden.  Alle 
Anatomen  der  Gegenwart  stimmen  darin  überein,  dass  diese  Vorstellung  Bichat's 
unhaltbar  geworden. 

Im  Verfolge  dieser  Zergliederung  wurde  vom  kleinen  Qehirn  keine  Er- 
wähnung gethan,  da  es  unter  dem  Tentorium  verborgen  liegt,  und  die  Hinter- 
lappen des  grossen  Gehirns  noch  nicht  abgetragen  wurden. 

Da  sich  die  ganze  Himanatomie  nicht  an  einem  Hirne  durchmachen  lässt, 
so  kommt  es  nun  darauf  an,  sich  zu  entscheiden,  ob  man  mit  der  eben  geende- 
ten Untersuchung  des  grossen  Gehirns  von  oben  her,  auch  die  des  kleinen  ver- 
binden will,  in  welchem  Falle  die  Hinterhauptschuppe,  die  Hinterlappcn  des 
grossen  Gehirns,  und  das  Tenloi-ium  cet-ebelU  abzutragen  wären,  oder  ob  man 
das  grosse  und  kleine  Gehirn  zugleich  aus  der  Schädelhöhle  herausnehmen,  und 
die  Organe  der  Gehirnbasis  vornehmen  will.  Letzteres  ist  jedenfalls  gerathener. 
Die  Untersuchung  des  kloinen  Gehinis  von  unten  her,  ist  mit  jener  des  verlän- 
gerten Markes  zu  verbinden,  und  bleibt  dem  §.  347  vorbehalten. 

J.  O,  HaasBy  de  ventriculis  cerebri  tricornibus.  Lipsiae,  1789.  4.  —  S.  Th. 
SÖnimerring,  de  lapillis  vel  prope  vel  intra  gl.  pinealem  sitis.  Mogunt,  1785.  8.  — 
Jung,  Über  das  Gewölbe.   Basel,  1845.  4. 

§.  346.   ßrosses  Grehirii  von  unten  untersucht. 

Wurde  das  Tentorium  am  oberen  Rande  der  Felsenbeinpyrami- 
den getrennt,  die  Ursprünge  der  Gehimnerven  an  der  Himbasis,  die 
Carotis  interna,  und  das  verlängerte  Mark  samrat  den  Wirbelarterien 
im  grossen  Hinterhauptloche  durchgeschnitten,  so  lässt  sich  das  Ge- 
hirn mit  der  seine  Basis  umgreifenden  Hand  aus  der  Schädelhöhle 
herausnehmen  oder  herausstttrzen.  Jede  Geftlss-  oder  Nerven  Ver- 
bindung zwischen  Gehirn  und  Schädel  muss  richtig  durchgeschnitten 
sein,  damit  bei  der  Herausnahme  des  Gehirns  nichts  mehr  von 
selbst  entzwei  zu  reissen  habe,  wodurch  die  Reinheit  der  Basal- 
ansicht sehr  gcföhrdet  werden  könnte. 

Man  übersieht  nun,  nachdem  auch  hier  die  häutigen  Hüllen 
vorsichtig  weggeschafft  wurden,  die  untere  Flächq  (Basis)  des 
grossen  Gehirns,  mit  Ausnahme  der  Hinterlappen,  welche  durch 
das  kleine  Gehirn  verdeckt  werden,  ferner  die  untere  Fläche  des 
kleinen  Gehirns,  der  Varolsbrücke,  und  des  verlängerten  Marks. 

In  der  Mittellinie  des  grossen  Gehirns,  vom  Ende  des  Längen- 
einschnittes bis  zur  Varolsbrücke  folgen : 

a)  Die  vordere  durchlöcherte  Lamelle,  tSuhatantia  pei'fo- 
rata  anteinor,  Sie  ist  mark  weiss  imd  zerfällt  in  eine  mittlere  und 
zwei  seitliche  perforirte  Stellen,  welche  letztere  genau  unter  dem 
Streifenhügel  liegen,  und  sich  gegen  den  Anfang  der  Sylvi'schen 
(jrruben  hinziehen.  Die  mittlere  Stelle  ist  nur  wenig  durchlöchert, 
und  wird  erst  gesehen,  wenn  man  die  Sehnervenkreuzung,  welche 
sie  maskirty  nach  hinten  umleij^ 


784  S-  3^-   <^ros8eH  Gehirn  von  nnten  nnterauchl. 

Die  Löcher  der  Suhstantia  perfoi'ala  anterior  sind  Dnrch^angspiinkte  von 
Hhitg:GfässGn ,  weshalb  sie  am  sichersten  während  des  Abstreifens  der  weichen 
Hirnhaut,  bevor  noch  die  Gcfiisse  gerissen  sind,  (»esehen  werden.  Vor  den  Seiten- 
theilcn  der  SuhHantia  'pei'foraia  antei-ior  liept  an  der  unteren  Flache  jedes  Vorder- 
lappens eine  dreiseitig  pyramidale,  {^raue  Erhabenheit  (Oaruncula  mamnuQarii 
9.  THgonum  oJfactorium)^  deren  Verlängerung  der  Nervus  olfactoriut  ist 

b)  Die  Sehnervenkreiizung,  Chiasma  s,  Dectvssatio  nervorm 
opticoi^um,  Sie  ähnelt  einem  griechischen  X  {Chiy  woher  der  Name 
Chiasma)  y  und  hängt  vorn  mit  der  mittleren  perforirten  Stelle, 
hinten  mit  dem  grauen  Hügel  zusammen.  Die  in  das  Chiasma  ein- 
tretenden Stücke  der  Sehnerven,  welche  den  Pedunctibis  cerebri  von 
aussen  nach  innen  umgürten,  heissen,  ihrer  Plattheit  wegen,  Tradus 
optici.  Man  sieht  sie  erst,  wenn  man  die  stumpfe  Spitze  des  ünter- 
lappens  vom  Peduncnlus  cerebri  etwas  abzieht.  Die  aus  dem  Chiasma 
austretenden  runden  Stücke  der  Sehnerven  sind  die  eigentlichen 
Nei'vi  optici. 

Es  herrscht  noch  viel  UnenUchiedenheit  darüber,  ob  sich  alle  Fasern 
beider  Sehnerven  im  Chiasma  kreuzen ,  oder  nur  die  inneren  ,  so  dass  jeder 
Nervus  optiais  Fasern  vom  rechten  und  linken  Tractus  optiats  enthalten  würde. 
Hannover  erwähnt  am  vorderen  und  hinteren  Rande  des  Chiasma  bogenför- 
mige, von  einer  Seite  zur  andern  laufende  Fasern,  als  Commitfura  arcuata 
anterior  ef.  posterior.  Die  Fasern  der  Oonimissura  anterior  verbinden,  ohne  vim 
Gehirn  zu  gelangen,  die  beiden  Nervi  optici  mit  einander;  —  die  Fasern  der 
Commissura  posterior  verbinden  die  beiden  TracUu  optici,  ohne  in  die  eigent- 
lichen Sehnerven  überzugchen. 

Bei  einigen  Knorpelfischen  (Myxinoidon)  kreuzen  sich  die  Sehnerven  gar 
nicht.  Bei  den  Rochen,  Haifischen  und  Stiiron,  stehen  sie  durch  eine  Querbinde 
in  Zusammenhang.  Bei  den  Knochenfischen  ist  die  Kreuzung  eine  vollkommene, 
—  ein  Sehnerv  geht  über  den  andern  hinüber,  oder  schiebt  sich  durch  eine 
Spalte  desselben  durch,  wie  beim  Häring. 

c)  Der  graue  Hügel  mit  dem  Trichter,  Tubei*  cinei'efim  cum 
infundihido.  Er  liegt  hinter  dem  Chiasma,  und  bildet  einen  Theil  des 
Bodens  der  mittleren  Hirnkammer,  ist  weich,  grau  von  Farbe,  und 
verlängert  sich  zu  einem  kegelförmigen,  nach  vorn  und  imten  ge- 
richteten Zapfen.  Dieser  Zapfen  ist,  wie  der  graue  Hügel  selbst, 
hohl,  und  heisst  deshalb  der  Trichter,  Infundibidum,  Seine  Höhle 
ist  eine  Fortsetzung  der  Höhle  des  Ventricxdn^  tei*tius,  welche  sich 
unter  der  Commissura  antei^ior  der  beiden  Sehnerv'enhügel  als  Aditn» 
ad  infundibidum  in  den  Trichter  hinab  verlängert.  Sie  erstreckt  sich 
jedoch  nicht  bis  in  die  Spitze  des  Trichters,  welche  solide  ist,  und 
sich  mit  der  Hypophysi^  cei*ebi*i  verbindet. 

Die  vordere  Wand  des  grauen  Hügels    und  des  Trichters   hängt  innig  mit 
dem    hinteren    Rande    des    Chiasma    zusammen.     Sie    ist    zugleich    so   zart  und 
dilnn,    dass    sie    schon  bei  der  Herausnahme    eines  nicht    ganz    frischen  Gehirns 
zerreisst.  Man  zeichnet  sie  wohl  auch  mit  einem  besonderen  Namen,  als  Lamii^ 
cinerea  terminalis  aus.     Warum,  wird  die  Folge  lehren. 

d)  Der    Hirnanhang,   Hypophysls   cei*ehri   (von   Ozb   und  fjw-? 
unten  wachsen,    auch    Glandula  piiidtaria   cerebri  s,  Colatarium  *- 


§.  346.  Grosses  (iehirn  vou  anien  nntorsucht.  78o 

Sentina,  lauter  Namen,  welche  die  Vorstellung  ausdrücken,  die  die 
Alten  über  die  Function  dieses  räthselhaften  Himorgans  hatten), 
liegt  im  Türkensattel,  welchen  er  ganz  ausfüllt.  Da  die  harte  Hirn- 
haut, als  Operculum  sellae  turcicaey  über  den  Sattel  hinübergespannt 
ist,  und  nur  eine  verhältnissmässig  kleine  Oeffnung  hat,  durch  welche 
das  Infundibulum  sich  mit  dem  Himanhang  verbinden  kann,  so  muss, 
wenn  man  den  Himanhang  sammt  dem  Gehirne  herausnehmen  will, 
die  harte  Hirnhaut  durch  einen,  rings  um  die  Sattelgrube  laufenden 
Einschnitt  getrennt,  und  ein  scheibenförmiges  Stück  derselben  mit 
der  Hypophysis  herausgehoben  werden. 

Bei  genauer  Untersuchung  findet  man  den  Himanhang  aus  einem  vor- 
deren und  hinteren  Lappen  bestehend.  Der  vordere  grössere  enthält  ent- 
schieden keine  Elementartheilc  des  Nervensystems,  und  nähert  sich  in  seinem 
Baue  den  Blutgefässdrüsen.  Er  besitzt  in  einem  gefässreichen  Bindegewebe, 
welches  ihm  eine  röthliche  Farbe  gieht,  eine  Menge  vollkommen  geschlossener 
Bläschen  von  0,030 — 0,090""»,  die  in  einer  structurlosen  Hülle  ein  feinkörniges 
Plasma  mit  kernartigen  Gebilden,  und  spärlichen,  vollkommen  ausgebüdeton  Zel- 
len führen,  welche  mit  ähnlichen  Vorkommnissen  in  der  Schilddrüse,  in  Luschka^s 
Steissdrüse  (§.  326),  und  in  der  Rindensubstanz  der  Nebennieren  analog  zu  sein 
scheinen  (Eckert).  Interessant  ist  es  in  dieser  Beziehung,  dass  die  Bläschen 
dieses  Lappens  des  Hirnanhangs,  wie  die  Bläschen  der  Schilddrüse  beim  Kröpfe, 
im  höheren  Alter  gewöhnlich  vergrössert  und  mit  jener  Masse  gefüllt  erscheinen, 
welche  die  pathologische  Anatomie  mit  dem  Namen  Colloid  bezeichnet.  Der 
hintere,  kleinere,  grauliche  Lappen  enthält  in  einer  feinkörnigen,  kemführenden 
Grundsubstanz  wahre  Nervenfasern,  welche  ihm  vom  Gehirn  aus  durch  den 
Trichter  zugeführt  werden. 

e)  üie  beiden  Markhügel,  Globuli  medu llxires,  Corpora  mam- 
mülaria  8,  candicantia  (auch  Weiberbrüste  und  Bidhi  fornicis  ge- 
nannt —  letzteres  wegen  ihrer  Verbindung  mit  den  vorderen  Schen- 
keln des  Gewölbes),  sind  zwei  weisse,  halbkugelige,  erbsengrosse, 
dicht  neben  einander  liegende  Markkörper,  zwischen  den  PeduncuUs 
cerehriy  und  hinter  dem  grauen  Hügel. 

f)  Die  hintere,  graue,  durchlöcherte  Lamelle,  Substan- 
tia  pefi*forata  posterior^  ist  dreieckig,  da  sie  den  durch  die  Divergenz 
der  Pedunculi  cerebri  entstehenden  Winkel  ausfüllt.  Ihr  vorderer 
Rand  geht  in  die  hintere  Wand  des  Tuber  cinereum  und  des  Trich- 
ters über;  ihre  hintere  Spitze  stösst  an  die  Varolsbrücke. 

g)  Die  Schenkel  des  grossen  G ehiruB,  Pedimculi  s,  Gruray 
Ä.  Caudex  cerebri^  kommen  divergent  aus  der  Brücke  hervor,  und 
stellen  längsgefaserte  weisse  Markbündel  dar,  welche  sich  nach  vorn 
und  aussen  in  die  Hemisphären  einsenken,  und,  als  directe  Fort- 
setzungen des  verlängerten  Markes,  dieses  mit  jenen  in  Verbindung 
bringen.  Schneidet  man  einen  Gehirnsehenkel  senkrecht  auf  seine 
Längenaxe  durch,  so  findet  man,  dass  er  aus  einem  unteren,  brei- 
ten und  flaclieiiy  und  einem  oberen,  stärkeren  Bündel  von  Längen- 
faserD  '^^  Schichte   schwarzgrauer 

50 


786  S*  ^7.   Anatomie  des  kleinen  GehirnH  ron  nnien.  Yarolsbrficke.  Verl.  Mark. 

Substanz,  Suhstantia  nigra  pedunculi,  sich  einschiebt.  Nur  das  an- 
dere Markbündel  des  Hirnschenkels,  welches  eine  flache  Rinne  für 
das  obere  bildet,  heisst  Pedunculus  8.  Catulex,  das  obere  fiihrt  den 
Namen  der  Haube,  Tegmentum  caudicis. 

Die  Gyri  an  der  unteren  Fläche  des  grossen  Gehirns  sind  in  der  R«gfl 
durch  seichtere  Furchen  getrennt,  als  jene  der  oberen  Fläche.  Jener  Gvnu, 
welcher  den  Tractus  opticus  bedeckt,  und  gelüftet  werden  muss,  um  diesen  a 
sehen,  heisst,  seiner  Beziehung  zum  Pea  hippocampi  major  wegen,  Oyru*  k^po- 
campt  9.  Subiculum  (Unterlage)  comu  Ammoiiü.  Sein  vorderes  Ende  krüiamt  sich 
hinter  dem  Seitcntheile  der  Lamina  per/orata  anterior  nach  innen  und  hinten, 
und  bildet  den  Haken,  Ganglion  uncinatum.  Seine  hintere  Fortsetzung  umgreift 
als  öi/ru»  fomicattis  die  Balkcnwulst  nach  oben,  und  zieht  an  der  inneren 
Fläche  der  Hemisphäre  des  Grosshirns  dicht  über  dem  Seitenrande  des  Ualkeni 
nach  vom. 

In  der  Sylvi'schen  Furche  liegt  die  Insel,  eine  Gruppe  von  6—8  mit 
einander  zusammenfliessendeu  Gehirnwindungen ,  welche  von  den  Wänden  der 
Furche  und  einigen  überhängenden  Wülsten  der  äusseren  Fläche  der  Hemisphire 
(dem  sogenannten  Klappdeckel,  Operculum)  so  verdeckt  wird,  dass  sie  ent 
nach  Abtragung  der  letzteren  in  ihrem  ganzen  Umfange  gesehen  werden  kann. 
Schneidet  man  sie  schief  nach  innen  und  oben  durch,  so  bemerkt  man,  dass  ihre 
Basis  nach  dem  Linsenkem  gerichtet  ist. 

SOvimerrinff ,  de  basi  encephali,  etc.,  Gott.,  1778.  4.  —  Ejusdem  taboli 
baseos  encephali.  Francof.,  1799.  fol.  —  ./.  Engel,  über  den  Gehimanhang  und 
den  Trichter.  W^ien,  1839.  4. 


§.  347.  Anatomie  des  kleinen  G-ehirns  von  unten.  Varolsbrücke. 

Verlängertes  Mark. 

Da  bei  der  vorausgegangenen  Behandlung  der  unteren  Fläche 
des  grossen  Gcliirns,  das  kleine  Gohirn  unbeeinträchtigt  blieb,  so 
lässt  sich  die  Detailuntersuchung  des  kleinen  Gehirns  hier  an- 
schliessen.  Man  bemerkt  zuerst,  dass  die  beiden  Halbkugeb  des 
kleinen  Gehirns  durch  eine  Querbiiicke  mit  einander  verbunden 
sind  (Pons  Varoli)^  und  dass  sich  hinter  dieser,  ein  unpaarer  Mark- 
zapfen (Medulla  oblongafa)  zwischen  beide  Halbkugeln  einlagert 

Die  Varolsbrücke,  Ilirnknoten,  Pous  VaroU  8,  NoJvt 
cei-ehrij  s,  Profuherantia  hasäart^^  ruht  theils  auf  der  Par8  basUcara 
des  Hinterhauptbeins,  theils  auf  der  Lehne  des  Türkensattels,  und 
besitzt  eine  untere,  zugleich  vordere,  und  eine  obere,  zugleich  hin- 
tere Fläche,  einen  vorderen  Rand,  aus  welchem  die  Schenkel  des 
Grosshirns  divergent  hervortreten,  und  einen  hinteren,  an  die  MeiMÜA 
oblongafa  stossenden  Kand.  An  ihrer  unteren  Fläche  findet  sich  ein 
seichter  Längeneindruck,  Sulcns  hasHarisj  ein  Abdruck  der  hier  ver 
laufenden  unpaaren  Arf^-ia  hasilaris,  Ihre  Seitcntheile  hängen  mit  den 
beiden  Halbkugeln  des  kleinen  Gehirns  durch  die  verschmächtigteo 
Brückenarme,  Proce88ii8  cerehelli  ad  pontenif   zusammen.  —  Ueber 


§.  847.    Anatomie  des  kleinen  Gehirns  von  nnten.  VaroUbracke.  Verl.  Mark.  787 

ihr  liegt  der  VierhUgel,  und  zwischen  beiden  der  Aquaeductus  Sylvii. 
Da  ein  Theil  der  Stränge  der  Mednlla  oblongafa  sich  durch  die 
Brücke  durchschiebt,  um  in  die  Hirnschenkel  überzugehen,  so  wird 
der  Pons  aus  gekreuzten  Quer-  und  Längenfasern  bestehen  müssen, 
von  welchen  oberflächlich  nur  die  Querfasem  zu  sehen  sind.  Zwi- 
schen den  gekreuzten  Fasern  der  Brücke  lagern  stellenweise  graue 
Kerne,  wie  am  horizontalen  Schnitt  derselben  zu  sehen  ist. 

Das  verlängerte  Mark,  Medulla  ohlongatn  s,  Bnllms  medullae 
spinalisj  ist  ein  weisser  unpaarer  Markzapfen,  der  durch  das  Fora- 
men ocdpitale  magnum  in  das  Rückenmark  übergeht.  Er  wird  durch 
seichte  Längeneinschnitte  beiderseits  in  drei  Stränge  eingetheilt.  So 
sieht  man  an  dem  unteren  Umfange  der  AleduUa  oblongata  die  bei- 
den Pyramiden  (Pyramides)  durch  den  Sulcus  Ixnigitudmalis  anterior' 
getrennt.  Nach  aussen  von  ihnen  liegen  die  stark  gewölbten  Oli- 
ven {Olivae)y  und  neben  diesen  die  strangförmigen  Körper 
{C(yi*p(yi'a  restifornua),  welche  von  der  Mednlla  oblongata  zu  den  He- 
misphären des  kleinen  Gehirns  treten,  und  Weil  sie  sich  in  diese  so 
einsenken,  wie  die  Pedunculi  cerebri  in  die  Halbkugeln  des  grossen 
Gehirns,  auch  Pedunculi  cerebelli,  Schenkel  des  kleinen  Gehirns, 
genannt  werden.  Sucht  man  durch  Auseinanderziehen  der  beiden 
Pyramiden  eine  tiefere  Einsicht  in  den  Sulcus  longitndinalis  antetnor 
zu  gewinnen,  so  erblickt  man  gekreuzte  Bündel  von  einer  Pyra- 
mide zur  anderen  gehen  (Decussatio  pyramidum);  und  schneidet  man 
die  Olive  ein,  so  sieht  man  in  ihr  einen  weissen,  mit  einer  dünnen, 
grauen,  zackig  ein-  und  ausgebogenen  Lamelle  umgebenen  Mark- 
kern —  den  Nucleti^  8.  Corpus  dentntum  oliva£. 

Um  die  obere  Fläche  der  Medulla  oblongata  zu  sehen,  genügt 
es  nicht,  sie  einfach  umzubeugen;  man  würde  dadurch  nur  das 
hintere  Ende  der  Schreib fe der,  d.  h.  den  in  den  Sulcus  longitti- 
dinalis  postefinor  sich  fortsetzenden  hinteren  Winkel  der  Rautengrube 
sehen.  Es  ist  vielmehr  nothwendig,  vor  der  Hand  von  der  Medulla 
oblongata  abzustehen,  und  die  untere  Fläche  des  kleinen  Gehirns 
zu  untersuchen.  Um  sie  ganz  zu  übersehen,  exstirpirt  man  die  Me- 
dulla oblongata  durch  Trennung  der  Corpora  restifo^'vna  und  Abhi- 
sung  vom  Pona  Varoli,  worauf  man  die  untere  Fläche  des  kleinen 
Gehirns  in  ihrer  ganzen  Breite  erblickt. 

Man  findet  nun  beide  Hemisphären  des  kleinen  Gehirns  zwar 
mit  einander  in  Verbindung  stehend,  aber  durch  eine  tiefe,  mittlere 
Furche,  in  welcher  die  Medulla  oblongata  lag,  von  einander  getrennt. 
Diese  Furche  ist  das  Thal,  Vallecula  Reilii,  Sie  endet  nach  hinten 
in  der  Incistira  marginalls  posterior j  einem  Einbug  zwischen  den  hin- 
teren convexen  Rändern  beider  Kleinhirn-Hemisphären. 

Beide  Kleinhirn-Hemisphären  zeigen  an  ihrer  unteren  Fläche  vier  Lappen, 
deren  jeder  aus  mehreren,  parallelen,  aber  schmalen  Gyri  besteht: 

50* 


788  §•  347.  Anatomie  des  kleineu  «rehirns  von  unten.  VaroIsbrAeke.  Verl.  Mftrk. 

1.  Den  hinteren  Unterlappen,  Lohu9  it\ferior  posterior  »,  «ont&mani, 
dem  hinteren  Rande  der  unteren  Fläche  entlang. 

2.  Den  keilförmigen  Lappen,  LohttJt  mneifomiut  Kr  erstreckt  aicb 
von  aussen  und  vorn  nach  hinten  und  innen  zum  Thale,  und  nimmt  auf  diesem 
Zuge  an  Breite  ab,  wodurch  er  keilfrirmig  wird. 

3.  Die  Mandel,  TonsiiUtj  liegt  an  der  inneren  Seite  des  vorigen  zuniehit 
am  Thale,  und  springt  unter  allen  Lappen  am  meisten  nach  unten  hervor. 

Die  Furchen,  welche  diese  drei  Lappen  von  einander  trennen,  sind  mit 
dem  hinteren  Uaudc  der  Hemisphäre  fast  parallel,  und  erscheinen  bedeutend 
tiefer  als  jene,  welche  die  einzelnen  Gyri  Eines  Lappens  von  einander  scheiden. 

4.  Die  Flocke,  Floccuhis  «.  Lohulua,  ist  ein  loses  Büschel  kleiner  und 
kurzer  Gyri,  welches  auf  dem  Processus  verebeUi  ad  pontem  liegt,  und  sich  in  den 
mark  weissen  Stiel,  Pedu7it*nhia  ßocaiH^  fortsetzt,  welcher  sich  bis  zum  Unter- 
wurm  (siehe  weiter  unten)  als  hinteres  Marksegel  verfolgen  lässt. 

Der,  nach  Herausnahme  des  verlängerten  Markes,  im  Thale 
sichtbare  mittlere  Theil  des  kleinen  Gehirns  heisst  Unterwurm, 
Vei*7ni8  Inferior,  Er  besteht  aus  vielen  schmalen,  parallel  hinter  ein- 
ander liegenden,  queren  Gyri,  welche  wieder  in  vier  grössere  Grup- 
pen zusammengefasst  w(»rden. 

Diese  sind,  von  rück-  nach  vorwärts  gezählt: 

a)  Die  Klapp enwul  st,  oder  die  kurze  Commissur  (Keil),  weil  ihre 
Gyri  jene  der  hinteren  Unterlappen  verbinden. 

b)  Die  Pyramide,  eine  aus  stark  nach  hinten  gebogenen,  transversalen 
Gyri  bestehende  (Kommissur,  welche  die  Lohi  cnjiei/ormejt  verbindet. 

c)  Das  Zäpfchen  {Uvula  cei'eheUi).  Diese  passende  Benennung  führt  jener 
Abschnitt  des  Unterwurmes,  der  zwischen  den  Mandeln  zu  liegen  kommt 

d)  Das  K 11  Ott- ho II  (Nodulmt  Ma/acanii)  begrenzt  als  kleiner,  nmdlicher 
Körper  mit  schwach  angedeuteter  Läppehenabtheilung,  den  Unter^^urm  nich 
vorn,  und  hängt  rechts  und  links  durch  »^ine  äusserst  zarte,  durchscheinende, 
halbmondförmige  Markfaltp  (die  beiden  hinteren  Marksegel,  Vela  certheÜi 
poateriora  s.  Tarinij  mit  den  Flockenstielen  zusammen.  Jedes  hintere  MarkÄejjel 
kehrt  seinen  freien  c(uicaven  K;nid  schief  nach  vorn  und  unten,  bildet  also  eine 
Art  Tasche  (wie  di<»  Va/vulae  spinihtnarcji  in  den  grossen  Schlagadern  des  Her- 
zens), in  welche  man  mit  dem  Scalpcllheft  eingehen,  das  Segel  aufheben,  und 
bis  in  die  Flockenstiele  verfolgen  kann.  Thut  man  es  nicht,  so  hat  man  oft 
Mühe,  die  JSegel,  ihrer  Durchsichtigkeit  und  ihres  Anklebens  an  die  Nachbtr- 
wand  wegen,  zu  sehen. 

Man  bemerkt  bei  dieser  Ansicht  noch  die  Bindearme  des 
kleinen  Gehirns,  Procpssus  cerehel/l  ad  corp^is  quadrlgeminnm.  Sie 
erstrecken  sich  -  auf  jeder  Seite  einer  —  von  den  Kleinhirn- 
Hemisphären  scheinbar  nur  zum  hinteren  Paar  des  Vierhtigels,  setzen 
sich  jedoch  unter  dem  Vierhtigel  in  die  Haul)e  fort.  Ihr  Austritt«- 
punkt  aus  der  Hemisphäre  liegt  vor  und  über  der  Eintrittsstelle 
des  Ptduncnlns  cereheUL  Sie  convergiren  gegen  den  Vierhügel  zu, 
und  fassen  ein  dünnes,  graulich  durchscheinendes  Markblättchen  — 
die  graue  Gehirnklappe,  vorderes  Mark se gel,  Valtmla  cere- 
hellt  8,  Velum  medulläre  antei'luSj  zwisclien  sich,  welches  vom  mit 
dem  hinteren    V^ierhügelpaar,    rückwärts   mit  dem   Vordertheile  de» 


§.  S18.  Anatomie  des  kleinen  (.rehirna  von  oben.  Vierte  Oehirnkamnier.  789 

Unterwurmes  zusammenhängt^  und  somit  an   allen  seinen  vier  Rän- 
dern, wie  ein  Spiegelglas  in  seinem  Rahmen,  befestigt  ist. 

Zieht  man  beide  Mandeln  von  einander,  so  bemerkt  man,  dass 
das  Thal  des  kleinen  Gehirns  sich  rechts  und  links  in  einen  Blind- 
sack, die  sogenannten  Nester,  fortsetzt,  der  zwischen  dem  Mark- 
lager des  kleinen  Gehirns  und  der  oberen  Fläche  der  Mandel  liegt, 
und  an  dessen  oberer  Wand  das  hintere  Marksegel  mit  seinem  con- 
vexen  Rande  befestigt  ist. 

Es  lässt  sich  leicht  verstehen,  dass  zwischen  der  Medulla  oblon- 
gata  und  dem  Unterwurme  ein  freier  Raum  übrig  bleiben  muss,  in 
welchen  man  von  hinten  her,  durch  eine,  zwischen  dem  hinteren 
Rande  des  Wurmes  und  der  Medulla  oblongata  befindliche,  und  nur 
durch  die  darüber  wegziehende  Arachnoidea  verdeckte  OefFnung 
—  den  Querschlitz  des  kleinen  Gehirns  —  eindringen  kann. 
Dieser  freie  Raum,  dessen  obere  Wand  durch  den  Unterwurm  und 
die  graue  Gehirnklappe,  dessen  Seitenwände  durch  di6  Mandeln, 
dessen  untere  Wand  durch  die  Rautengrube  der  Medulla  oblongata 
dargestellt  wird,  und  als  dessen  paarige  seitliche  Ausbuchtungen 
die  Nester  angesehen  werden  müssen,  ist  die  vierte  Gehirn- 
kammer, Ventricultis  cereh^i  quarttiSj  deren  räumUche  Verhältnisse 
durch  die  im  nächsten  Paragraph  folgende  Darstellung  anschaulich 
werden. 


§.  348.  Anatomie  des  kleinen  GreMrns  von  oben.    Vierte 

Greliirnkaninier.  *) 

Die  beiden  Hemisphären  des  kleinen  Gehirns  hängen  an  ihrer 
oberen  Fläche  in  der  Mittellinie  durch  den  massig  aufgewölbten 
Ob  er  wurm,  Vermis  supei'ior,  zusammen,  indem  die  Gyri,  meist 
ohne  Unterbrechung,  von  einer  Hemisphäre  in  die  andere  über- 
gehen. Der  Oberwurm  ist  der  schmälste  Theil  des  kleinen  Gehirns, 


*)  Zur  Vornahme  dieser  Untersuchung  soll  ein  frisches  Gehirn  verwendet 
werden.  Nur  im  Nothfalle  könnte  jenes,  an  welchem  das  kleine  Gehirn  von  unten 
auf  studirt  wurde,  benützt  werden,  wobei  das  abgeschnittene  verlängerte  Mark  mit 
einem  dünnen  Holzspan  der  Länge  nach  durchstochen,  und  in  der  Varolsbrücke 
wieder  befestigt  werden  müsste.  Instructiver  ist  es,  an  einem  zweiten  Schädel  die 
Decke  desselben  sammt  den  Hirnhäuten  abzutragen,  hierauf  durch  zwei  im  Foramen 
occipiUüe  magnum  convergirende  Schnitte  die  Hinterhauptschuppe  herauszusägen, 
und  die  Hinterlappen  des  grossen  Gehirns  senkrecht  abzutragen,  um  das  Tentorium 
frei  zu  machen  und  zu  entfernen.  Man  kann,  um  grösseren  Spielraum  zu  gewinnen, 
noch  die  hinteren  Bogen  des  Atlas  und  Epistropheus  ausbrechen,  wodurch  der 
Uebergang  des  verlängerten  Markes  in  das  Rückenmark  zur  Ansicht  gelangt.  Diese 
Behandlungsweise  gewährt  den  fproasen  Vortheil,  die  Theile  in  ihrer  natürlichen 
Lage  überblicken  zu  lassen,  und  die  SteUung  der  Flächen  und  Achsen  des  Gehim- 
stammes  richtig  zu  beartheilen,  was  am  herausgenommenen  Gkhirne,  welches  auf 
einer  Horizontalebene  liegt,  nicht  sn  «nreiehen  lifc.  Man  bedient  sich  jedoch  mei- 
stens eines  heransgenommenen  Qehi  at 


790  §•  348.  Anatomie  des  kleinen  Gehirns  von  oben.  Vierte  Gehinikanuner. 

welches  somit  die  Gestalt  einer  querliegenden  Aclit  (oo)  besiteen 
wird.  Der  dem  vorderen  und  hinteren  Ende  des  Oberwurms  ent- 
sprechende Einbug  heisst  Incisura  marginalis  anterior  et  posterior. 

Die  obere  Fläche  beider  Kleinhirn-Hemisphären  wird  von  der 
unteren  durch  einen  tiefen,  an  der  äussersten  Umrandung  des  klei- 
nen Gehirns  herumlaufenden  Einschnitt,  Sulcus  magnus  horizontalitj 
geschieden. 

Mau  unterscheidet  an  jeder  Hemisphäre  zwei,  durch  eine  tiefe,  nach  hin- 
ten convexe  Furche  getrennte  Lappen: 

a)  den  vorderen  oder  ungleich  vierseitigen  Lappen,  Lobuf  npt- 
rior  antei'ior  *.  quadrangularUj   und 

b)  den  hinteren  oder  halbmondförmigen  Lappen,  Lohn»  nq^rior 
posterior  s.  aennlunaria. 

Der  Ob  er  wurm  besteht  aus  einer  Colonne  querer  und  pa- 
rallel hinter  einander  folgender  Gyri,  welche  zusammengenommen 
einen  erhabenen,  beide  Hemisphären  vereinigenden  Rücken  bilden, 
dessen  quere  Furchung  allerdings  mit  dem  geringelten  Leibe  einer 
Raupe  Aehnlichkeit  hat,  wodurch  der  sonderbare  Name  des  Wur- 
mes {Vemnis  homhydnus)  entstand. 

Die  Summe  der  Gyri  des  Oberwurms  wird  durch  tiefe  Furchen,  wie  e» 
am  Unterwurme  der  Fall  war,  in  drei  Abtheilungen  gebracht  Diese  sind,  Ton 
vor-  nach  rfIckwKrts  gezählt,  folgende: 

a)  Das  Centralläppcheu,  LobtUus  centralis^  eine  Folge  von  8  bis  10 
Gyri,  mit  einem  Mittelstück  und  den  beiden  Flügeln,  AUie,  welche  in  die  vor- 
dersten Gyri  der  vorderen  Lappen  der  Hemisphären  übergehen. 

b)  Der  Berg,  Montkalus,  dessen  höchste  Stelle  Cctcumea  (Wipfel),  und 
die  darauf  folgende,  schief  nach  hinten  und  unten  abfallende  Neige  Declhe  (Ab- 
hang) genannt  wird.  Er  ist  die  grösste  Abtheilung  des  Oberwurmes,  und  ver- 
bindet die  hinteren  Gyri  der  vorderen  Lappen. 

c)  Das  Wipfel blatt,  Folium  caatminiSf  besser  CommUsitra  lohonim  tem- 
lunarium^  liegt  als  einfache,  kurze  und  quere  Commissur,  zwischen  den  innerem 
Enden  der  Lohi  aenülnnares^  dicht  über  dem  Anfange  des  Unterwurmes,  in  der 
Incisttra  viarginalia  posterior. 

Biegt   man   das    Centralläppchen   mit   dem   Scalpellhefle    zurück,    so   sieht 
man  beide  Bindccirme  des  kleineu  Gehirns  zum  Vierhügel  aufsteigen,  und  zwischen 
ihnen  die  graue  Gehimklappe  ausgespannt,  welche  aber  nicht,  wie  bei  der  unteren 
Ansicht,  eben  und  glatt,  sondern  mit  fünf  sehr  niedrigen  und  platten,  grauen  und 
(Hinrprostollteu  Gyri  besetzt  ist,    welche    zusammengenommen  ein  zungenf^rmiges, 
nach  vorn  abgerundetes  graues  Blatt  bilden  —  die  Zunge,  Lingiüa,    Die  Zunge 
hängt   nach    hinten   mit   dem    Centralläppchen  zusammen.    Sie  bedeckt  nicht  die 
ganze  graue  Klappe.  Ein  kleines  Stück  derselben  bleibt  vom  von  ihr  unbedeckt, 
und  zu  diesem  sieht  man  von  der  mittleren  Furche  des  hinteren  Vierhügelpaares 
das    kurze    Frenuhnn    veli   medulfaris   heruntersteigen.    —     Zti    beiden    Seiten   de» 
Frf^ivfuvi   erscheinen   die    ganz   nahe   zusammengerückten    Wurzeln    des    vierten 
Himnervenpaares  —  Nervus  trochlearis.   —   Zieht  man  den  Lohns  sup,  ant.  stärker 
vom  Vierhügel   ab,   um   den   Bindearm   frei    zu    bekommen,   so   sieht   man  hinter 
dem  hinteren  Brachium  corporis  ipiadriyemini  noch  die  Schleife,  Lemnucitf,  neben 
•lein  vorderen   Ende  des  Bindearmes, 


S.  848.  Anatomie  des  kleinen  Gehirns  von  oben.  Vierle  Oehirnltammer.  791 

Wird  der  Wurm  vertical  durchgeschnitten,  so  erscheint  an 
seiner  Schnittfläche  das  schmale,  weisse  Marklager  desselben,  wel- 
ches 7 — 8  Aeste  abgiebt,  die  in  die  Abtheilungen  des  Ober-  und 
Unterwurms  eindringen,  und  mit  ihren  weiteren  Verästlungen,  welche 
sämmtlich  mit  grauer  Rindensubstanz  eingefasst  werden,  den  Le- 
bensbaum des  Wurms,  Arhor  vitae  vermisy  bilden.  Aehnlich  findet 
man  das  Marklager  der  Kleinhirn-Hemisphären  bei  jedem  Durch- 
schnitte, mit  allseitig  herauswachsenden,  grauumsäumten  Markästen 
und  Zweigen  besetzt,  als  Arhor  vitae  cerebelli. 

Die  alten  Botaniker  nannten  die  Thuja  occidentalü  weil  sie  immer  grünt, 
Arhor  vitae.  Die  Aehnlichkoit,  welche  die  Ansicht  der  eben  erwähnten  Durch- 
schnitt-sflächen  des  Wnrmes  und  des  kleinen  Gehirns  mit  den  zackigen  Blättern 
dieses  Baumes  hat,  veranlasste  die  Benennung:  Lebensbaum. 

Nun  exstirpirt  man  die  durch  den  Verticalschnitt  schon  ge- 
trennten Hälften  des  Wurms,  um  eine  freiere  Einsicht  in  die  vierte 
Himkammer  zu  eröffnen,  und  die  obere  (hintere)  Fläche  des  ver- 
längerten Markes,  welche  den  Boden  der  vierten  Kammer  bildet, 
bloszulegen.  Man  bemerkt  nun,  dass  die  beiden  hinteren  Stränge 
des  Rückenmarks,  zwischen  welchen  der  Sidcus  Imigitmlinalis  poste- 
rior liegt,  nach  vom  und  oben  divergiren,  um  als  Cmyora  restif&i^iia 
zum  kleinen  Gehirn  zu  treten.  An  ihrem  Eintritte  in  das  kleine 
Gehirn  durchschnitten,  zeigen  sie  einen  grauen  Kern,  als  Tuherculum 
cinereum.  Der  Snlcua  loiigitiidinalis  i^ostet^ior  muss  sich  also  zu  einem 
nach  vorn  offenen  Winkel  erweitern.  Setzt  man  an  diesen  Win- 
kel jenen  an,  welcher  durch  die  aus  dem  kleinen  Gehirn  zum 
hinteren  Vierhügelpaar  eonvergent  aufsteigenden  Biiidcarme  gebil- 
det wird,  so  erhält  man  eine  Raute  mit  vorderem  und  hinterem 
Winkel,  und  zwei  Seitenwinkeln.  Dieses  ist  die  Rautengrube, 
Fovea  rhomhoidea,  —  der  Boden  der  vierten  Himkammer.  Ihre 
Grundfläche  erscheint  als  Lamina  cinerea  fossae  rhoinhoideae  grau. 
Diese  Lamina  cinerea  ist  eine  Fortsetzimg  der  grauen  Substanz  des 
Rückenmarks,  und  wird  durch  eine,  vom  vorderen  zum  hinteren 
Winkel  der  Rautengrube  herablaufende  Medianfurche,  die  in  den 
Sulcus  longitudinalis  posteiior  des  Rückenmarkes  übergeht,  in  zwei 
Seitenhälften  getheilt. 

An  der  Stelle,  an  welcher  die  Corpora  restifoitnia  auseinander  zu  weichen 
beginnen,  macht  sich  an  ihnen  eine  Furche  kenntlich,  durch  welche  vom  inne- 
ren Rande  der  Corpora  realiforniia  ein  schmaler  Streifen  als  zarter  Strang, 
Funiculu.9  gracÜUf  abgemarkt  wird.  Derselbe  ist  dicht  am  hinteren  Winkel  der 
Rautengrube  zur  sogenannten  Keule,  Clava ^  angeschwollen.  Der  nach  Abzug 
des  zarten  Stranges  bleibende  ansehnliche  Rest  des  Corpus  restifonne^  heisst 
Keilstraug,  Funicultis  ainealus,  —  Zu  beiden  Seiten  der  Medianfurche  der  Rau- 
tcugrube  wölben  sich  die  runden  Stränge,  Funiculi  teretes,  etwas  vor,  welche 
im  hinteren  Theile  der  Rautengrube  durch  zwei  zungenähnlich  gestaltete  Blätter 
grauer  Substanz  (Alat  cinereae)  verdeckt  werden.  —  Weisse  QuerfMem  in  der 
Lamina  cinerea  der  Bantengnibe,   gelten  als  Ckiordm$  oav-^ 


792  §•  349.  ErobryoUrn. 

der  Hömerven ,  und  ein  Paar  feine  Markstreifen,  welche  sich  l&ngs  den  Keulen 
der  zarten  Strände,  an  die  Corpora  reatiformia  anschliessen,  werden  als  Kiem- 
chen, Taeniae  fo88ae  rhomboideae,  benannt. 

Der    zwischen     den    divergirenden    Corpwa    reatiformia   einge- 
schlossene hintere   Winkel  der  Rautengrube   hat  eine  augenftlligc 
Aehnlichkeit  mit   dem   Ausschnitte   einer  Feder,   deren  Spalt  durch 
den   Sulctis   longitudinalis  posterior  vorgestellt   wird,    und  filhrt  des- 
halb den  schon  von  Herophilus  gebrauchten  Namen  der  Schreib- 
feder, Calamus  scviptorius.  Der  vordere  Winkel  der  Rautengrabe, 
welcher  erst  nach  Entfernung  der  grauen  Gehimklappe  zu  Gesichte 
kommt,  hängt   dur<::h  den  Aquaeductus  Sylvii,  dessen  Endöffiiucg  bei 
den  Alten  auch  Anus  cerebri  hiess,    mit  der  dritten  Kammer  susam- 
men.    Die    Seitenwinkel   buchten   sich  zu  den  Nestern  [Hecestu» 
laterales)   aus,   welche    unvollkommene    Wiederholungen    der  Seiten- 
kammern   des    grossen  Gehirns  sind.    Der   graue  Beleg  nimmt  hier 
(dicht    am  Austntte   der  Bindearme),   als    Locwj?  caeruleuSy   eine   be- 
sonders intensive  dimkle  Färbung  an. 

Der  zwischen  dem  Unter  wurm  und  der  Rautengrube  befindliche 
Raum  giebt  nun  unsere  vierte  Hirnkammer.  Sie  wurde  von  den 
alten  Anatomen,  welche  sämmtliche  Nerven  in  ihr  entstehen  liessen, 
Ventriculns  nobilis  genannt. 

So  wie  die  dritte  Himkammer  nacli  oben  nicht  durch  Mark,  sondern  durch 
eine  Fortsetzung  der  Pia  mater^  als  Tela  choroidea  »uperior,  begrenzt  wurde,  fo 
wird  auch  der  Kaum  der  vierten  Himkammer  nach  hinten  nicht  durch  Markwsnd, 
sondern  durch  die  Pia  mater^  als  Tela  choroidea  infei-ior  zum  Abschluss  gebracht 
Durch  ihre  Verbindung  mit  den  Riemchen  am  hinteren  Winkel  der  Rautengmbe, 
mit  den  Flockenstielen  und  mit  den  hinteren  Marksegeln,  wird  die  Tda  choroidea 
inferior  j  wie  in  einem  Kahmeu  fixirt.  In  dieser  häutigen  Verschluss  wand  soll  nach 
Magendie  eine  Oeffnung  existiren  {Hiatus  Magendii,  Luschka),  durch  welche 
der  vierte  Ventrikel  mit  dem  über  ihm  befindlichen  Subarachnoidealraum  ver- 
kehrt. Die  Teia  choroidea  inferior  bildet  in  der  vierten  Ilimkaramer  den  paarigen, 
an  die  Auakleidniigehaut  der  Kammer  adhärenten,  Plexus  choroideits  venlrieuU 
quarti^  welcher  sich  mit  zwei  Flügeln  längs  den  Flockenstielen  hin  erstreckt,  mit 
dem  Adergeflecht  der  dritten  Kammer  aber  nicht  zusammenhängt. 

Wird  eine  Hemisphäre  des  kleinen  Gehirns  quer  durchge- 
schnitten, so  sieht  man  in  ihrem  mit  Aesten  und  Zweigen  besetz- 
ten weissen  Marklager,  nach  vorn  und  innen  den  gezackten 
Körper,  Nucleus  dentatns,  Corpus  rhomboideum  s,  ciliare,  als  einen 
weissen,  mit  einem  grauen,  zackigen  Saume  eingehegten  Kern  der 
Hemisphäre. 


§.  349.  EmbryoMrn. 

In   den    ersten    Entwickelungsstadien   besteht   das   Embryohim 
aus  drei  hinter  einander  liegenden,  und  unter  sich  communicirenden, 


$.  S49.   Embryobirn.  793 

häutigen  Blasen,  deren  dritte  mit  dem  gleichfalls  häutigen  Rücken- 
marksrohr zusammenhängt.  Die  häutige  Wand  der  Blasen  ist  die 
zukünftige  Pia  mater.  Man  nennt  die  drei  Blasen:  Vorder-,  Mittel- 
und  Hinterhirn.  Sie  sind  mit  gallertigem  Flui  dum  gefüllt.  Auf  dem 
Boden  der  hinteren  imd  mittleren  Blase,  und  an  den  Seiten  der 
vorderen  entstehen  Ablagerungen  festerer  Nervensubstanz,  welche 
sich  allmälig  längs  der  Wände  der  Bläschen  nach  oben  ausdehnen. 
Die  hintere  Blase  bildet  das  Substrat  der  Entwicklung  des  kleinen 
Gehirns;  aus  der  mittleren  Blase  wird  der  Vierhügel;  aus  der  vor- 
deren entwickeln  sich  zunächst  nur  die  beiden  Sehhügel.  Die 
durch  Nervensubstanz  nicht  ausgefüllten  Höhlenreste  der  Blasen 
sind,  ftlr  die  hintere  Blase:  die  vierte  Hirnkammer,  für  die  mittlere: 
der  Aqimediictus  Sylvii,  flir  die  vordere:  die  dritte  Gehimkammer. 
Da  an  der  vorderen  Blase  die  Ablagerimg  von  Nervensubstanz 
nicht  auch  die  obere  Wand  der  Blase  in  Anspruch  nimmt,  erklärt  es 
sich,  warum  die  dritte  Gehirnkammer  auch  im  fertigen  Gehirn,  oben 
nur  durch  den  als  Tela  choroidea  superwr  erwähnten  Antheil  der  Pia 
mater  abgeschlossen  erscheint.  —  Die  Hemisphären  des  grossen 
Gehirns  entstehen  nur  als  Ausknospungen  der  vorderen  Blase.  Es 
wuchern  nämlich  aus  der  unteren  Wand  dieser  Blase  zwei  in  der 
Mitte  miteinander  verlöthete  Bläschen  hervor,  welche  an  ihrer  obe- 
ren Fläche  eine  Furche  zeigen,  die  mit  der  spaltformigen  Höhle 
der  dritten  Gehimkammer  zusammenhängt.  Dieses  Doppelbläschen, 
an  dessen  Grunde  sich  die  Corpora  striata  entwickeln,  und  dessen 
mittlere  Verlöthung  dem  zukünftigen  Corpus  callosum  und  Fomix 
entspricht,  wächst  sehr  rasch  nach  oben,  und  dann  nach  hinten  an, 
so  dass  es  die  drei  primären  Blasen  gänzlich  von  oben  her  über- 
lagert, wodurch  also  ihre  Furchen  nach  unten  zu  liegen  kommen, 
und  durch  Anschluss  ihrer  Ränder  an  die  Unterlage,  zu  Röhren 
werden,  welche  die  Seitenkammern  des  grossen  Gehirns  darstellen. 
Eine,  in  der  Medianlinie  sich  bildende  Einfaltung  scheidet  die  bei- 
den Grosshim  -  Hemisphären  immer  mehr  von  einander  ab.  Das 
rasche  Anwachsen  der,  den  beiden  Grosshim-Hemisp hären  zu  Grunde 
liegenden  Doppelblase  im  engen  Räume  der  Schädelhöhle,  bedingt 
nothwendig  Faltungen  ihrer  Oberfläche,  welche  als  Gyii  perenniren. 
—  An  der  hinteren  Himblase  müssen  zwei  Theile  unterschieden 
werden.  In  dem  vorderen  wölbt  sich  die  Nervensubstanz  oben  voll- 
ständig zusammen,  und  bildet  dadurch  die  erste  Anlage  des  kleinen 
Gehirns,  während  die  untere  Wand  sich  zur  Varolsbrücke  entwickelt. 
In  dem  hinteren  Theile  dagegen  wuchert  die  Nervensubstanz  nur  auf 
dem  Boden  desselben,  es  entsteht  kein  Gewölbtheil,  imd  die  Höhle 
des  Hinterhims  klafft  somit  nach  oben,  als  Rautengrube. 


794  §.  350.    Rückenmark. 


§.  350.  ßückenmark. 

Der  in  der  Rückgratshöhle  eingeschlossene,  platt-cylindrische  Ab- 
schnitt des  centralen  Nervensystems,  heisst  Rückenmark,  MMk 
spinalis.  Dasselbe  verhfilt  sich,  dem  Scheine  nach,  zum  knöchernen 
Rückgrat,  wie  das  Mark  zu  den  langröhrigon  Knochen.  Dieser  rohe 
Vergleich  veranlasste  seinen  Namen.  Es  geht  ohne  scharfe  Grenze 
nach  oben  in  die  Medulla  oblongata  über,  imd  endigt  unten  schon 
am  ersten  oder  am  zweiten  Lendenwirbel  mit  einer  stumpf  kegel- 
förmigen Spitze  {ContM  terminalü),  von  welcher  das  Fäum  termwwfc 
(§.  343)  sich  bis  zum  Ende  des  Sackes  der  harten  Rückenmarkbaut 
erstreckt. 

Die  mit  jeder  Beugung  doH  Rückgrats  sich  einstellende  Zerrung  des 
Rückenmarks,  bedingt  eine  etwas  höhere  Stellung  des  Cofiu*  meduUarit.  Ein 
durch  das  Ligamentuvi  intervertehraJe  zwischen  letzten  Brust-  und  ersten  Lenden- 
wirbel eingestossencs  Scalpcll  trifft  den  Coims  medtüfaiis  nicht  mehr,  wenn  der 
Rücken  der  Leiche  gebogen  war.  Aus  diesem  Grunde  wird  auch  bei  Buckligen 
das  Rückenmark  höher  als  sonst,  nämlich  schon  am  letzten  Rückenwirbel,  enden. 
—  Das  Rückenmark  entbehrt  der  Gleichförmigkeit  eines  cylindrischen  Stranges, 
denn  am  Halse  und  gegen  sein  unteres  Ende  zu,  erscheint  es  dicker  als  in  der 
Mitte  seines  Brustsegments.  Au  beiden  genannten  Orten  (Hals-  und  Lenden* 
anschwelinng)  treten  die  stärksten  Nerven  des  Rückenmarks  ab.  Es  kinn 
überhaupt  als  Regel  gelten,  dass  die  Dicke  des  Rückenmarks  im  geraden  Ver* 
hältniss  mit  der  Dicke  der  stellenweise  abzugebenden  Nerven  wächst.  Die  Ter- 
gleichende  Anatomie  liefert  die  triftigsten  Belege  dafür.  So  erscheint  bei  jenen 
Fischen,  dereu  Brustflossen  sich  zu  mächtigen  Schwingen  entwickeln,  wie  bei  den 
fliegenden  Fischen,  jener  Thcil  des  l^ückonmarks,  welcher  die  Nerven  zu  den 
Flossen  entsendet,  iinverhältnissmässig  dick.  Bei  den  Fröschen  ist  jene  An- 
schwellung des  Rückenmarks,  aus  welcher  die  Nerven  für  die  hinteren,  so  auf- 
fallend entwickelten  Extremitäten  entstehen,  ungleich  grösser,  als  die  vordere 
Anschwellung,  welche  den  Nerven  der  vorderen  schwächeren  Extremität  ihre 
Entstehung  giebt.  Bei  den  SchildkriHen,  deren  Rumpfnerven,  wegen  des  unbe- 
weglichen und  unempfindlichen  Rückenschildes,  sehr  mangelhaft  entwickelt  sind, 
bildet  das  Rückenmark  am  Ursprung  der  Nerven  der  vorderen  und  hinteren 
Extremitäten  zwei  ansehnliche,  nur  durch  einen  relativ  dünnen  Strang  mit  ein- 
ander verbundene  Intumesccnzen. 

Das  Rückenmark  besteht  aus  zwei  halbcylindrischen  Seiten- 
hülften,  mit  äusserer  markweisscr  Rinde  und  innerem  grauen 
Kern.  Beide  Scitenhälften  liegen  ihrer  ganzen  Länge  nach  so  dicht 
an  einander,  dass  sie  nui'  Einen  Cylinder  zu  bilden  scheinen,  an 
welchem  jedoch  die  Gegenwart  eines  vorderen  und  hinteren 
Snlcus  longitudi7iali8  den  Begriff  der  Paarung  seitlicher  Hälften  auf- 
recht erhält.  Der  seichte  Sulcus  longitudinalis  postet^ior  ist  nur  am 
Hals«egment  des  Rückenmarks,  und  gegen  den  Conus  termlmdis  zu, 
deutlich  ausgesprochen,  der  tiefere  anterior  erstreckt  sich  aber 
durch  die  ganzem  Länge  des  Rückenmarks.  Beide  Stdci  nehmen 
falteuförniige   Fortsätze   der   Pia   mairr  auf. 


§.  350.  Rückenmark.  795 

Man  spricht  auch  von  zwei  Stdei  laterales,  einem  anterior  und  posterior, 
au  der  Seitenfläche  des  Rückenmarks.  Wenn  man  unter  Sttlci  UUerales  die  Ur- 
sprungslinien der  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  ver- 
steht, mögen  sie  hingehen.  Als  wahre  Furchen,  mit  faltenförmiger  Verlängerung 
der  Pia  mater  in  sie,  werden  sie  nie  gesehen. 

Die  grauen  Kerne  beider  Seitenhälftcn  des  Rückenmarks  wer- 
den durch  eine  mittlere  graue  Commissur  verkoppelt.  Unmit- 
telbar vor  dieser  greift  auch  eine  Verbindung  der  markweissen 
Rindenantheile  beider  Seitenhälften  durch  die  vordere  weisse 
Commissur  Platz,  welche  dem  Grunde  des  Sulcus  lonffitudiiialis 
anterior  entspricht.  Zwischen  beiden  Commissuren  befindet  sich  der, 
an  dtlnnen  Querschnitten  leicht  erkennbare,  sehr  feine,  mit  Flimmer- 
epithel außgekleidete  Centr alkanal  des  Rückenmarks. 

Gegen  die  Spitze  des  Conus  terminalis  verschwindet  die  graue  Com- 
missur, wodurch  das  Ende  des  Centralkanals  mit  der  hinteren  Längenfurche 
zusammcnfliesst,  somit  an  der  hinteren  Seite  der  Conusspitze  eine  spaltförmige 
Oeffhung  sich  herstellt,  welche,  ihrer  nach  aussen  -etwas  umgelegten  Seitenränder 
wegen,  Sintis  rhomboidalis  benannt  wird. 

Querschnitte  des  Rückenmarks  in  verschiedenen  Höhen  ge- 
führt, belehren  über  das  räumliche  Verhältniss  der  weissen  Rinden- 
imd  grauen  Kemmasse.  Das  Bild  gestaltet  sich  aber  anders,  je  nach 
der  Höhe,  in  welcher  das  Rückenmark  durchschnitten  wurde.  Im 
Allgemeinen  lässt  sich  sagen,  dass  jeder  Seitentheil  des  grauen 
Kerns  die  Gestalt  einer  nach  aussen  concaven,  nach  innen  convexen 
Platte  hat.  Die  convexen  Flächen  beider  Platten  hängen  durch  die 
mittlere  graue  Commissur  zusammen,  und  gewähren  somit  im  Quer- 
durchschnitt die  Gestalt  eines  ){,  Die  beiden  hinteren  Hörner  die- 
ses ){  sind  länger  und  dünner,  und  gegen  den  /Sulcus  lateralis  po- 
sterior gerichtet,  welchen  sie  fast  erreichen.  Die  vorderen  Hörner 
sind  kürzer  und  dicker,  und  sehen  gegen  den  Sulcus  lateralis  ante- 
rior. Die  hinteren  Hörner  verdanken  ihre  grössere  Länge  einem 
Ansätze  von  gelblicher,  gelatinöser  Substanz  {Suhstantia  gelatinosa^ 
Rolando),  welche  auch  die  nächste  Umgebung  des  Centralkanals 
bildet. 

Der  Vergleich  vieler,  in  verschiedenen  Höhen  des  Rückenmarks  gelegter 
Querdiirchschnitte  lehrt  ferner,  dass  die  weisse  Masse  stetig  von  unten  nach 
oben  an  Mächtigkeit  gewinnt,  die  graue  Masse  dagegen  durch  ihr  stellenweises 
Anwachsen,  die  stellenweisen  Verdickungen  des  Rückenmarks  (Hals-  und  Lenden- 
anschwellung) bedingt. 

Die  weisse  Rindensubstanz  des  Rückenmarks  besteht  nur  aus  Nerven- 
fasern, mit  theils  longitudinalem,  theils  transversalem  Verlauf.  Die  longitudinalen 
Faserzüge  erzeugen  die  gleich  näher  zu  betrachtenden  Rückenmarksstränge; 
die  transversalen  dagegen  sammeln  sich  zu  den  Wurzeln  der  Rückenmarks- 
nerven. —  Der  graue  Kern  des  Rückenmarks  besteht,  nebst  feinsten  Nerven- 
fasern, vorzugsweise  aus  multipolaren,  etwas  granulirten  Zellen,  mit  mehreren 
Kernen,  und  verXstelten  blassen  Fortsätsen,  von  welchen  ea  featfteht,  dAM  ne 
theils  in  die   Fasern  der  Rflckenmarkinenreiiy  ÜMiU  * 


796  §•  350.  Rflekenmark. 

markssträng^e  überg^ehen,  theils  aber  zur  Verbindung  der  Zellen  unter  einander 
verwendet  werden.  Der  Zusammenbang  der  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven 
mit  den  Kückenmarkssträngen  ist  somit  kein  directer,  sondern  ein  durch  die  Zel- 
len des  grauen  Kernes  vermittelter.  Dieses  wurde  wenigstens  für  die  vorderen 
Wurzeln  der  Kückenmarksnerven  mit  Bestimmtlieit  erkannt.  Die  Frage,  ob  jede 
vordere  Nervonwurzelfaser  mit  einer  Faser  der  vorderen  KückenmarksstrSnge 
correspondirti  rouss  verneinend  beantwortet  werden,  denn  genaue  und  überein- 
stimmende Zählungen  haben  nachgewiesen,  dass  die  Menge  der  Fasern  im  Hals- 
segment  der  KUckcninarksstränge  dreimal  kleiner  ist,  als  die  Summe  der  Faaem 
der  vorderen  Nervenwurzeln.  Die  Fasern  der  vorderen  Wurzeln  der  Rücken- 
marksnerven mussten  also  durch  die  Zellen  der  grauen  Substanz  gruppenweise 
zusammengefasst,  und  die  Verbindung  dieser  Gruppen  mit  dem  Gehirne,  gemein- 
schaftlichen Leitungswegen  übertragen  worden  sein. 

Die  Zellen  der  Suhstantia  gelatinosa  der  'hinteren  Hörner  sind  kleiner, 
haben  weniger  Fortsätze,  und  in  der  Regel  nur  Einen  Kern. 

Man  hat  es  erst  in  neuester  Zeit  erkannt,  dass  auch  das  Bindegewebe 
ein  berücksichtigenswerthes  Constituens  des  Rückenmarks  abgiebt  Bindegewebige 
Forts&tze  der  Pia  nuUer  nämlich,  welche  in  das  Innere  der  Rückeumarksmassc 
eingehen,  bilden  eine  Art  von  Gerüste,  für  die  Einlagerung  der  faserigen  und 
zelligen  Elemente  des  Rückenmarks.  In  der  grauen  Substanz  des  Rückenmarks 
wurde  dieses  Gerüste  mit  Sicherheit  constatirt,  ja  man  ist  selbst  geneigt,  die 
Svhatantia  geleUinoaa  ganz  und  gar  für  hyalines,  aber  zellenführendes  Binde- 
gewebe anzusehen. 

Durch  die  Richtung  der  Suhl  wird  die  Oberfläche  des  Rücken- 
marks in  sechs  longitudinale  markweisse  Stränge  getheilt.  Diese  sind: 

a)  Die  beiden  vorderen  Stränge,  rechts  und  links  vom 
Sulcua  longitudinalis  anterior,  Ihre  innersten  und  zugleich  tiefsten 
Fasern  kreuzen  sich  im  Grunde  des  Sulcu^  longittidinalia  anteriovy 
wodurch  die  früher  erwähnte  vordere,  weisse  Commissur  des 
Rückenmarks  entsteht. 

b)  Die  beiden  Seiten  stränge  zwischen  den  Ursprüngen  der 
vorderen  und  hinteren  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven. 

c)  Die  beiden  hinteren  Stränge,  zu  beiden  Seiten  des 
Suhus  longitudinalis  posterior.  Einzelne  Autoren  sprechen  auch  von 
einer  theilweisen  Kreuzung  der  Fasern  dieser  Stränge,  welche  hinter 
der  grauen  Commissur  stattfinden  soll. 

Die  Zahl  dieser  Stränge  wird  gegen  den  ersten  oder  zweiten  Halswirbel 
hinauf  durch  einige  neue,  zwischen  ihnen  auftauchende  Strangbildungen  vermehrt. 
So  schieben  sich  zwischen  beiden  vorderen  Strängen  die  beiden  Pyramiden- 
stränge ein,  welche  im  Aufsteigen  breiter  werden,  und  in  die  beiden  Pyra- 
mideft  der  MeduUa  ohlongata  übergehen.  Im  Atlasring  kreuzen  sich  die  inneren 
Faserbündel  der  Pyramidenstränge  im  Snlcua  longitudinalU  antei-ior  {Deemtsafio 
pyramidum).  Zwischen  den  beiden  hinteren  Strängen  tritt  zunächst  am  Sulcns 
longitudinalis  posterior  ein  neues  Strangpaar  —  die  zarten  Stränge  --  auf, 
und  der  noch  übrige  Rest  der  hinteren  Stränge  führt  von  nun  an  den  Namen 
der  Keilstränge.  Die  zarten  und  die  Keilstränge  bilden  das  Corpus  resti/omie 
der  betreffenden  Kleinhirn-Hemisphäre. 


§.  351.  Einiges  Aber  Stnictnr  des  Gehirns  nnd  Mckenmftrkt».  797 


§.  351.  Einiges  über  Structur  des  öeMrns  und  Rückenmarks. 

Wa8  in  den  vorausgegangenen  Paragraphen  gesagt  wurde,  be- 
triflft  nur  die  Lage,  Gestalt^  und  die  Art  des  Nebeneinanderseins 
der  einzelnen  Gehimorgane.  Ihr  innerer  Zusammenhang  unter  sich 
und  mit  dem  Rückenmark,  ist  der  Gegenstand  einer  besonderen 
Untersuchung  eigens  hiezu  vorbereiteter  und  in  Chromsäure  ge- 
härteter Gehirne.  Die  Ergebnisse  dieser  Untersuchung  sind  bei 
weitem  noch  nicht  so  weit  gediehen,  um  einen  auch  noch  so  be- 
scheidenen Anspruch  auf  Vollkommenheit  machen  zu  können,  und 
es  dürfte,  wenn  es  je  geschehen  sollte,  einer  späten  Zukunft  vor- 
behalten sein,  diese  Lücke  der  anatomischen  Wissenschaft  aus- 
zufüllen. 

Die  bisherigen  Versuche,  den  Gehirnorganismus  unter  einem 
einheitlichen  Gesichtspunkte  aufzufassen,  waren  auf  Verfolgung  der 
Markfasem  vom  Rückenmark  zum  Gehirn,  und  ihre  Beziehungen 
zu  der  grauen  Substanz  gerichtet.  Einen  gedrängten  Ueberblick 
dessen,  was  man  bereits  in  dieser  Richtung  gewonnen,  enthält  fol- 
gende Schilderung. 

1.  Die  graue  Substanz  des  Gehirns  und  Rückenmarks  enthält 
bei  weitem  mehr  Ganglienzellen  als  Nervenröhrchen,  und  bildet 
deshalb  für  sich  allein  keine  deutlich  gefaserten  Bündel  oder  Stränge. 
Sie  setzt  sich  vom  Rückenmark,  dessen  Kern  sie  bildete,  längs  des 
Bodens  der  vierten  und  dritten  Kammer  durch  den  grauen  Hügel 
bis  in  den  Trichter  fort.  Andererseits  erscheint  sie  theils  als  conti- 
nuirliche  Belegungsmassc  der  Windungen  des  grossen  und  kleinen 
Gehirns,  theils  in  Form  von  selbstständigen  grauen  Massen  (Kerne), 
welche  sowohl  mit  den  Strängen  des  Rückenmarkes  in  Verbindung 
stehen,  als  auch  neue  Faserzüge  aus  sich  entstehen  lassen,  welche 
sich  an  dem  Aufbau  des  Gehiniorganismus  und  an  der  Erzeugung 
der  Geh imnerven wurzeln  betheiligen.  Solche  selbstständige  graue 
Massen  sind:  die  grauen  Kerne  der  Oliven,  der  Hemisphären  des 
kleinen  Gehirns,  der  Vier-,  Seh-  und  Streifenhügel,  die  graue  Ein- 
schaltungsmasse der  Varolsbrücke,  das  TubeixiUum  cinei*eum  der  Cbf- 
ptyra  restiformia,  der  Linsenkem,  die  Vormauer,  und  die  Mandel  des 
grossen  Gehirns. 

2.  Die  drei  weissen  paarigen  Stränge  des  Rückenmarks  gehen 
in  die  drei  Stange  der  Meduüa  oblongata  über,  welche  früher  als 
Pyramiden,  Oliven  und  Corpora  restiformia  angeführt  wurden.  Der 
Uebergang  vollzieht  sich  aber  mit  einer  bemerkenswerthen  Umord- 
nung  der  Fasern,  so  zwar,  dass  die  Seitenstränge  des  Rückenmarks 
in  die  Pyramiden^  die  vorderen  Stränge  in  die  O^ 

teren  in  die   Corpora  rettifomUa   sich  i 


798  S*  851.  Einiges  Aber  Stractnr  des  Gehirns  nnd  Bdekenmarlcs. 

verlängern  sich  sodann  in  die    Pedunculi  cerebri,    die  Oliven  gehen 
in  die  Vierhügcl  über,   und  die  Corpora  restiformia  streben,  als  Pe- 
dtmcidi  cei'fhellij  dem  kleinen  Gehirn  zu.    Genauer  betrachtet,  ereig- 
net sich  hiebei  folgendes.     Nicht   die  Gesammtheit    der  Fasern  des 
hinteren  Rückenmarksstranges  geht  in  die  Cbrpora  re*i//armia  über. 
Ein  Theil  dieser  Fasern  begiebt  sich  auch  zur  Haube.  Der  Seiten- 
strang zerlegt  sich  in  drei  Bündel.     Das   hintere   hilft   das  Owyw 
restifoiTiie    erzeugen;    das    mittlere    wird    zum   runden    Strang  der 
Rautengrube,   welcher   zugleich   mit  den  Orura  cerebeUi   ad  corfora 
quadingemina f    die   Grundlage  der  Haube    bildet;    und   das  vordere 
wird  zur  Pyramide.    Da  nun  der  vordere  Rückenmarksstrang  znr 
Olive  wird,  und  diese  zum  Vierhügel  geht,  welcher  hinter  und  über 
dem  Pedunculus  cerehm  und  der  Haube  liegt,  so  müssen  die  vorderen 
Rückenmarksstränge  in  ihrem  Aufsteigen  zum  Vierhügel  den  runden 
Strang  und  die  Pyramide  ihrer  Seite  schlingenförmig  umfassen,  wo- 
durch die  Schleife,  Lemnücus,  gegeben  ist. 

3.  Die  so  eben  angeführten  Faserzüge  bilden  den  Stamm 
des  grossen  und  kleinen  Gehirns.  Er  besteht  für  das  Grosshim  aus 
Pedunculus  cei^ehH  und  Haube,  ftlr  das  Kleinhirn  aus  dem  Peduncubu 
cefi^ehelU.  Die  grauen  Massen,  in  welche  sich  der  Himstamm  ein- 
senkt, werden  als  Stammganglien  bezeichnet.  Sie  sind  bereits  in 
1.  dieses  Paragraphes  genannt. 

4.  Aus  den  Stammganglien  gehen  wieder  massenhafte  Faser 
Züge  hervor,  welche,  anfangs  in  dickere  Bündel  zusammengefasst,  in 
verschiedenen  Richtungen  zur  Rinde  des  Gross-  und  Kleinhirns 
aufsteigen,  und  St  ab  kränz,  Corona  radinta,  benannt  werden.  Die 
Fasern  der  Corona  radiata  enden  oder  beginnen  in  den  Ganglien- 
zellen der  Rindensubstanz.  Dass  wenigstens  die  Rindensubstanz 
eine  ähnliche  Bindegewebsginindlage  besitzt,  wie  sie  im  Rücken- 
marke nicht  mehr  bezweifelt  wird,  lässt  sich  vermuthen,  wenn  auch 
nicht  direct  bis  jetzt  beweisen. 

5.  Die    Radiationen    des   Stabkranzes    werden    aber   zugleich 
durch  Faserzüge  durchsetzt   imd  unifasst,  welche    theils   die  Hemi- 
sphären unter  einander,    theils    das    Kleinhirn    mit    dem    Grosshim, 
theils   einzelne  Stammganglien    gegenseitig   verbinden.     Sie  heissen: 
Commissuren.  Die  Comniissuren  zwischen  den  Hemisphären  des 
Grosshirns  sind:    Das  Corpus  callosnm   und   die  Commissura  anterior 
und  posterior  der  dritten  Kammer.  Die  Commissuren  der  Kleinhim- 
hemisphären  sind :  Der  Pons  VaroU  imd  der  Wurm,  —  die  Conunis- 
suren  zwischen   Gross-    und  Kleinhirn    sind:    die    Crura  cerebelli  ad 
cofpora    quadrigemniay  —  zwischen  Vierhügel,  Haube  und  Sehhügel, 
das  Brachium  anticum  und  posticum  des  Vierhügels.    (Das  BracMum 
anticum   verbindet   den  Vierhügel   mit  dem  Sehhügel,    das  postiam 
mit  der  Haube).  Die  Crura  cerebelli  ad  corpora  quadrigemina  zeigen 


§.  351.    Einiges  über  Strnctnr  des  Gehirns  und  Bfickenmarks.  799 

noch  die  auffallende  Einrichtung,  dass  sie  sich  nicht  ganz  an  die 
runden  Stränge  anschliessen,  sondern  ein  unteres  Bündel  derselben 
sich  unter  den  runden  Strängen  mit  dem  der  anderen  Seite  im 
Bogen  vereinigt,  wodurch  die  sogenannte  hufeisenförmige  Com- 
missur  entsteht.  Aus  dieser  treten  dann  die  vom  rechten  Qms 
cerehelli  stammenden  Fasern  zur  linken  Haube,  und  umgekehrt,  so 
dass  die  hufeisenförmige  Commissur  eigentlich  eine  Kreuzung  der 
unteren  Bündel  der  Crura  cefebelli  darstellt.  —  Stabkranz,  Commis- 
suren  und  Rindenwindungen  (Gyri)  werden  als  Hirnmantel  dem 
Hirnstamme  gegenüber  gestellt. 

6.  An  der  grössten  Commissur  —  dem  Balken  —  lassen  sich  ein- 
zelne Faserzüge  weit  in  das  Marklager  der  Grosshimhemisphäre  ver- 
folgen. So  z.  B.  werden  jene,  welche  als  Strahlungen  des  Splenium  corp. 
callosi  beiderseits  in  die  Hinterlappen  der  Hemisphären  eintreten, 
ihrer  gegen  einander  gerichteten  concaven  Kiümmungsseiten  wegen, 
hintere  Zange  (Forceps  posteinai*)  genannt.  Ein  anderer  Th eil 
der  Balkenstrahlung,  welcher  die  Decke  des  hinteren  und  unteren 
Hernes  der  Seitenkammer  bilden  hilft,  ist  die  Tapete,  und  die 
seitlichen  Ausstrahlungen  des  Balkenknies  in  die  Vorderlappen  des 
Grosshirns,  werden,  eines  ähnlichen  Verhaltens  wegen,  wie  wir  es 
an  den  Strahlungen  des  Splenium  erwähnt  haben,  als  vordere 
Z  Singe  (Forceps  anter m^)  aufgeführt. 

7.  Die  äussere  Oberfläche  der  Gyri  und  die  innere  Oberfläche 
der  Wände  der  Himkammem  wird  mit  einer  äusserst  dünnen  Lage 
weissgelblicher  Substanz  übc^rzogen,  welche  an  der  Oberfläche  des 
Gehirns  die  graue  Rindensubstanz  durchscheinen  lässt,  und  deshalb 
sich  lange  der  Beobachtung  cnt^sog.  In  den  Kammern  bildet  diese 
Lage  Faltungen,  welche  wie  Streifen  oder  Schnüre  aussehen,  und 
als  sogenanntes  Chordensystem  der  Gegenstand  einer  ausführlichen 
Untersuchung  wurden,  deren  sich  grösstentheils  auf  den  Fundort 
derselben  beziehende  Resultate  in  Bergmannes  Untersuchungen 
über  die  innere  Organisation  des  Gehirns,  Hannover,  1831,  8.  nie- 
dergelegt wurden.  Die  Wandelbarkeit  dieser  Chorden,  ihr  wahr- 
scheinlich durch  den  Collapsus  des  Gehirns  im  Cadaver  mitunter 
bedingter  Urspnmg,  und  der  durch  sie  in  die  Gehimanatomie  ein- 
geführte Wust   von  neuen  Namen  lässt  sie  hier  füglich  übergehen. 

Dieses  Wenige  mag  dem  Anfänger  genügen,  der  gewöhnlich  schon  mit 
der  Nomenclatur  der  Himtheile  sich  zufrieden  giebt.  Will  er  in  einem  so  dunklen, 
aber  gewiss  nicht  reizlosen  Gebiet,  sich  näher  umsehen,  findet  er  in  den,  in  der 
Literatur  angegebenen  Werken,  Stoff  genug  fUr  die  Befriedigung  seiner  Wiss- 
begierde. 


gOO  §•    35X.  Erstes  Paar. 


B.    Peripherischer  Theil  des   animalen 

Nervensystems. 

Nerven. 

1.    Gehirnnerven. 

§.  352.  Erstes  Paar. 

Das  erste  Paar  der  zwölf  .Gehimnerven *),  ist  der  Riech- 
oder Geruchsnerv,  Nervus  olfactorius.  Er  entspringt  am  hinteren 
Theile  der  unteren  Fläche  des  vorderen  Gehirnlappens ,  aus  der 
Caruncula  mammillaria  8.  Trigonum  olfcLctorium,  als  ein  anfangs  brei- 
ter, aus  drei  convergenten  Wurzelsträngen  (deren  mittlerer  grau  ist) 
gebildeter,  dann  sich  dreikantig  verschmälernder  Streifen  {TnuiuM 
olfactorius).  Der  reelle  Ursprung  seiner  Wurzeln  im  Gehirn  ist 
unbekannt.  Streifenhtigel  und  vordere  Commissur  werden  ftlr  die 
Ausgangspunkte  derselben  gehalten. 

Ich  unterscheide  hier,  wie  bei  allen  übrigen  Hirnnerven,  einen  schein- 
baren, und  einen  wirklichen  Ursprung.  Der  erstere  ist  durch  den  Ort  ge- 
geben, wo  ein  Hininerve  sich  von  der  Oberfläche  eines  bestimmten  HimtheileB 
abzweigt.  Der  wirkliche  oder  reelle  Ursprung  ist  für  alle  Gehimnerven  nur 
thcilweise  bekannt.  Ich  sage  theilweise,  da  man  allerdings  die  Himnerven  eine 
Strecke  weit  in  das  Gehirn  hinein,  bis  zu  gewissen  Herden  desselben,  verfolgte, 
ohne  jedoch  sicher  zu  sein,  dass  der  betreffende  Nerve  sich  nicht  auch  weiter 
fort  zu  anderen  Ursprungsherden  verfolgen  Hesse. 

Der  Riechnerv   verläuft   in    einer  Furche   der   unteren  Fläche 
des  Vordcrlappens,  mit  dem  der  anderen  Seite  etwas  convergirend 
nach  vorn,    und   schwillt  auf  der   iMinina  crihrosa  des  Siebbeins  zu 
einem    längHch    nmden,    flachen,    grauen    Kolben    (Riechkolben, 
Bulbus    olfactorius)    an.     Von    der    unteren   Fläche    dieses    Kolbens 
gehen   zwei  Reihen    dünner    und    weicher  Faden    ab,    welche,    mit 
scheidenartigen  Fortsätzen   der  harten  Hirnhaut  umhüllt,    durch  die 
Löcher  der  Lximina  crihrosa  in  die  Nasenhöhle   treten.     Hier  bilden 
sie  durch  Spaltung  und  Vereinigung  Netze,    welche   an   der  Nasen- 
scheidewand   und    an    der    inneren    Fläche    der    beiden    Siebbein- 
muscheln sich  nach  abwärts  erstrecken,    und   pinselartig   gruppirte, 
kurze  Fädchen  in  die  Nasenschleimhaut   schicken.     Diese  sollen  in 

*)    Auf  hartmäuligem  Pegasus  wurden   folgende  lateinische  Gedachtnissrerw 
über  die  Snccession  der  zwölf  Gehirnnerven  geboren: 

Nerv'orum  capitis  ducit  olfactorius  agmen, 
iSucccdit  cemens^  ooti/o«que  movena^  po/ierwque, 
Trijidtuty  abducetis^  facialis,  acusticuSj  inde 
Ghssophart/ngeits^  deinceps  vagus  atque  recurrens, 
Kis  soni  ut  tiant,  hypoglosso  clauditur  arrmen. 


S.  S58.  Ernte»  Paar.  801 

die  von  M.  Schultze  entdeckten,  zwischen  den  Epithelialzellen 
eingeschalteten  Riechzellen  (§.  215)  so  übergehen,  wie  die  Fasern 
des  Opticus  in  die  Stäbe  der  Netzhaut.  Bis  zur  unteren  Nasen- 
muschel reicht  kein  Olfactoriusast  herab.  —  Am  mittleren  Theile 
der  Nasenscheidewand  langen  die  Netze  des  Riechnerven  fast  bis 
auf  den  Boden  der  Nasenhöhle  herunter,  am  Siebbeinlabyrinth  da- 
gegen nur  bis  zum  unteren  Rande  der  mittleren  Nasenmuschel.  An 
der  Bildung  der  Netze  des  Nei^mis  olfactorius  haben  die  Nasenäste 
des  fünften  Paares  keinen  Antheil. 

An  den  Durch  schnitten  in  Weingeist  gehärteter  Riechkolben  trifft  man 
sehr  häufig  eine  kleine  Höhle  an,  als  Ueberrest  der  embryonalen  röhrenförmigen 
Bildung  des  Riechnerven,  als  Ausstülpung  der  vorderen  Gehirnblase.  Bei  vielen 
Säugethieren  kommt  sie  regelmässig  vor.  —  Der  Trachut  olfactoriiia  ist  eine 
wirkliche  Fortsetzung  der  weissen  Gchirnsnbstanz,  und  besteht  aus  denselben 
Fasern  wie  diese.  Ebenso  gleichen  die  Ganglienzellen  des  Riechkolbens  jenen 
der  Rindensubstanz  des  Gehirns.  Es  Hesse  sich  somit  der  Riechnerv  mehr  als 
ein  Theil  des  Gehirns,  als  ein  selbstständiger  Nerv  ansehen.  Letztere  Bedeutung 
kommt  erst  den  Nasenästen  des  Riechkolbens  zu,  in  welchem  die  grauen  (gela- 
tinösen) Fasern  prävalircn. 

Der  NerviM  olfactorius  gilt  für  den  einzigen  Vermittler  der  Geruchsempfin- 
dungen. Die  Nasenäste  des  fünften  Paares  sind  für  Gerüche  unempfindlich,  und 
erregen,  als  Tastnerven,  nur  besondere  Arten  der  Tastgefiihle ,  wie  Jucken, 
Kitzel,  Beissen,  Stechen,  u.  s.  w. ,  welche  allerdings  die  Intensität  der  Geruchs- 
wahmehmungen  deutlicher  zum  ßewusstsein  bringen,  aber  von  den  »pecifischen 
Geruchseindrücken  wohl  zu  unterscheiden  sind.  —  Zerstörung  des  Nervit^  olfac- 
foriiu,  Atrophie,  Compression  durch  naheliegende  Geschwülste,  hebt  den  Geruchs- 
sinn auf,  obwohl  die  Nasenschleimhaut  für  Reize  anderer  Art  noch  empfindlich 
bleibt.  Magendie^s  Angaben,  dass  die  Nasenäste  des  fünften  Paares,  nach 
Durchschneidung  des  Olfactorius  bei  Hunden  und  Kaninchen,  noch  den  Geruch 
vermitteln,  lassen  sich  gründlich  widerlegen.  Wenn  die  Thiere,  deren  Riech- 
nerven durchgeschnitten  wurden,  auf  Aramoniakdämpfe  durch  Schnauben  und 
Niessen  reagirten,  so  wirkten  diese  Dämpfe  gewiss  nicht  als  Riechstoffe,  sondern 
als  chemische  Reize,  für  welche  die  Nasenäste  des  fünften  Paares  eben  so  gut 
empfänglich  sind,  wie  die  Tastnerven  der  Haut,  welche  auf  Einreibung  von  Aetz- 
ammoniak  durch  prickelnde  und  stechende  Gefühle  reagiren.  Solche  Gefühle,  in 
der  Nase  erregt,  führen  nothwendig  zur  Reflexbewegung  des  Niessens.  —  Mir  ist 
ein  Fall  bekannt,  wo  eine  Exostose  der  Christa  gallig  den  Genich  in  der  rechten 
Nasenhöhle  verlieren  machte. 

Die  Physiologie  des  Geruchssinnes  hat  noch  viel  Dunkles,    wozu  die  so  gut 

als   unbekannte  Natur    der  Riechstoffe   das  Ihrige   beiträgt.     Wenn    Schultzens 

•    Entdeckung  der  Riechzellen  sich  bewährt,    so  befindet   sich   das  Geruchorgan  in 

der  beispiellosen  Lage,   dass  seine  Nerven  frei  an  der  Luft  endigen,    und  somit 

durch  die  Riechstoffe  direct  afficirt  werden  können. 

Man  sieht  den  TrcuUu»  of/actorius  ohne  alle  Präparation  an  der  unteren 
Fläche  der  Vorderlappen  des  Grosshims  frei  verlaufen.  Die  schwer  zu  prftpa- 
rirenden  Verzweigungen  des  Nervtu  olfactorius  in  der  Nasenschleimhaut  buMen 
sich  am  oberen  Theile  der  senkrechten  Nasenscheidewand  am  besten  darstelleii  *)• 


*)  Als  Hauptregel   für  die  Präparation    aller  Kopfnerven  gelte:  den  ^ 
derselben  bereits  gründlich  zu  kennen.    Alles  Technische   dMxa  entiillt  ' 
Buch  meiner  praktischen  Zergliedenrngskunst. 

HyrtU  Lehrbneh  dtr  AbsIomI«. 


802  §•  853.  Zweiten  Paar. 

Sehr  genaue  Zusammenstellungen  aller  Ansichten  üher  den  centralen  Ur- 
sprung des  Riechnerven  enthält  Pressat*s  Dissertation:  Sur  un  cas  d^abseoee 
du  nert"  olfactif.  Paris,  1837.  Ueber  die  periphere  Endigung  des  Riechnerren 
siehe  E,  OeJiJ,    sulla  terminazione  apparente   del  nervo  olfattorio.     MiUno,  I8ö7. 


§.  353.  Zweites  Paar, 

Das  zweite  Paar,  der  Sehnerv,  Nervus  opticus^  entspringt 
aus  dem  Thalamvs  opticus ,  dem  Corpus  quadrigeminnm  und  genm- 
latum  externumj  schlingt  sich  als  ein  platter,  bandartiger  und  weicher 
Streif  (Tractus  opticus)  um  den  Himschenkel  von  aussen  nach  innen 
und  unten  herum,  und  nähert  sich  dem  der  anderen  Seite  so  sehr, 
dass  beide  vor  dem  grauen  Hügel  zusammenstossen ,  und  durch 
Decussation  ihrer  Fäden  die  sogenannte  Sehnervenkreuzung, 
Chiasviüy  bilden.  Von  dieser  aus  werden  beide  Sehnerven  als 
rundliche  und  harte  Stränge  divergent,  treten  durch  das  entspre- 
chende Foramen  ojdicum  des  Keilbeins  in  die  Augenhöhle,  und 
gelangen,  umschlossen  von  dem  Fettlager,  welches  den  pyramidalen 
Raum  zwischen  den  geraden  Augenmuskeln  ausfüllt,  zum  Bulbus, 
dessen  Sclerotica  und  Choroidea  sie  durchbohren,  um  sich  in  die 
Faserschicht  der  Netzhaut  zu  entfalten.  Das  durch  die  Augenhöhle 
ziehende  Stück  des  Nerven  ist  etwas  nach  aussen  gekrümmt,  und 
besitzt  ein  dickes  Neurilemm,  welches  von  der  harten  Hirnhaut 
stammt,  und  in  die  Sclerotica  übergeht. 

Herkönuulichon  Ansichten  n;ic1i  Hess  man  im  Chiasma  nur  die  inneren 
Fasern  beider  Sehnerven  sich  durchkreuzen.  Biesiadecki  dagegen. stellte  in 
neuester  Zeit  ihre  vollständige  Kreuzung  fest.  (Sitzungsberichte  der  kais.  Aksd. 
1860,  N.  21.)  Am  vorderen  Rande  des  Chiasma  sollen  bogenförmige  Verbindun- 
gen der  Fasern  beider  8ehner\'en,  und  am  hinteren  iiande  des  (>hiaflina  ebensolche 
Verbinduuf^on  beider  Trcictiis  optici  vorkommen  (Mayo,  Hannover). 

Das  Nenrilevima  nervi  optici  wird  nahe  am  Foramen  apticum  von  der  Ar- 
feria  centralis  durchbohrt.  An  der  Durchschnittsfläche  des  Nervus  optictu  sieht 
man  dieses  Gefiiss  in  der  Axe  des  Nerven  eingeschlossen,  und  kann  insofern 
einen  Poi-wt  optiais ,  wie  ihn  Galen  nannte,  immerhin  zulassen.  —  Im  frühen 
Embryoleben  ist  der  Sehnerv,  der  sich,  wie  der  Kiechnerv',  als  eine  Ausstülpung 
der  vorderen  Gehirnblase  bildet,  wie  sich  von  selbst  vorsteht,  hohl.  Die  Höhle 
wird  jedoch  später,  bis  auf  den  feinen  Ponis  opticus,  vollkommen  durch  Nervcn- 
flubstanz  ausgefüllt. 

Der  Sehnerv  roagirt  als  apocifischer  Sinnesnerv  nur  durch  Licht-  und 
Farbenempfindung  auf  Keize  aller  Art,  die  ihn  treffen,  und  ist  kein  Leiter  Üii 
Empfindungen  anrlerer  Art.  Bewegungen  veranlasst  er,  wie  der  Riechnerv,  nur 
auf  dem  Wege  der  Reflexion,  in  Theilen,  zu  welchen  er  selbst  nicht  geht. 

J.  Müller,  vergleichcmde  Physiologie  des  Gesichtssinnes.  Leipzig,  1826. 
8.  —  W.  Stein,  diss.  de  thalamo  optico  et  origine  nervi  optici,  etc.  Hafn.  1^4. 
4.  —  Nicolucci,  sul  chiasma  dei  nervi  ottici  (Filiatre  Sebezio,  1845.  p.  321).  — 
li.  Heck,  über  die  Verbindungen  des  Sehnerven  mit  dem  Augen-  und  Nasenknoteu. 
llindelb.,  1847.  -  ./.  Wagner,  über  den  Ursprung  der  Sehnervenfaaern.  Dorpat,  1862. 


§.  354.    Drittes,  viertes  nnd  sechstes  Paar.  803 


§.  354.  Drittes,  viertes  und  sechstes  Paar. 

Diese  drei  Paare  versorgen  die  in  der  Augenhöhle  befindli- 
chen Bewegungsorgan c  des  Augapfels  und  des  oberen  Augenlids, 
und  werden,  der  Gleichheit  ihrer  Bestimmung  wegen,  unter  Einem 
abgehandelt.  Das  vierte  Paar  innervirt  von  den  sieben  Muskeln  in 
der  Orbita  nur  den  Mnsculvs  ohliquus  sypeinor^  das  sechste  nur  den 
Mii^adus  abduceiiSy  das  dritte  Paar  sendet  seine  Aeste  zu  den  übri- 
gen fünf  Muskeln  in  der  Augenhöhle. 

Das  dritte  Paar,  der  gemeinschaftliche  Augenmuskel- 
nerv, Nervus  octilonioton'tiSy  entwickelt  sich  aus  den  inneren  Faser- 
bündeln des  Pedunctdu8  cet^ehij  dicht  vor  der  Varolsbrücke.  Die 
grössere  Anzahl  seiner  Fasern  soll  nach  Stilling  aus  einem  grauen 
Nukleus  im  Boden  des  Aquaeductus  Sylvii  entspringen.  Der  Stamm 
des  Nerven  verläuft  zwischen  der  Artei^a  cerebri  profunda  und  Ar- 
teria  cerebellf  superior  schief  nach  vom  und  aussen,  und  higert  sich 
in  die  obere  (äussere)  Wand  des  Sinus  cavernosus  ein,  wo  er  sich 
mit  den  die  Carotis  interna  umspinnenden  sympathischen  Geflechten 
durch  1—2  Fädchen  verbindet.  L enget  lässt  ihn  daselbst  auch 
eine  Anastomose  mit  dem  ersten  Aste  des  Trigeminus  eingehen. 
Nun  betritt  er,  nachdem  er  sich  in  zwei  Aeste  getheilt,  durch  die 
Fissura  orhitnlis  superior  die  Augenhöhle,  und  lässt  an  der  äusseren 
Seite  des  Nervus  opticus  seine  beiden  Aeste  nach  oben  und  unten 
divergiren.  Der  Ramus  sttpet*i<yr  ist  kleiner,  und  versieht  blos  den 
Musculus  levator  palpehrae  stiperioris  und  den  Rectus  superioi';  der 
grössere  Ramus  inferior'  zerfällt  in  drei  Zweige,  welche  den  Rectus 
intei*nuSj  Rectum  infefinoTj  und  Ohliquus  inferior  versorgen.  Der  Zweig 
zum  Ohliqutis  inferi&r  muss  unter  allen  der  längste  sein,  weil  der 
Muskel,  welchem  er  bestimmt  ist,  nicht  wie  die  anderen,  hinten  am 
Foramen  opticum,  sondern  am  unteren  Rande  der  vorderen  Augen- 
höhlenöfi'nung  entspringt.  Dieser  längste  Zweig  des  Oculomotorius 
giebt  die  kurze  oder  dicke  Wurzel  des  Ciliarknotens  ab  {Radix 
brems  s.  motoria  ganglii  ciliaris)^  deren  Fasern  in  den  Bahnen  der 
Nei'm  ciliares  zu  den  organischen  Binnenmuskeln  des  Auges  (Iris- 
muskeln und  Musculus  ciliaris)  gelangen. 

Das  vierte  Paar,  der  Rollnerv,  Nervus  trochleans  s.  paiheticuSf 
ist  der  dünnste  aller  EQrnnerven.     Er  entspringt  scheinbar  aus   der 
grauen   Gehimklappe,    dicht  hinter  dem  Vierhügel.     Seine  Fasern 
lassen  sich   aber  zu   zwei   grauen  Kernen  am  Boden  der  ^ 
Gehimkammer  verfolgen,   in    welchen   man  den  reeUeim 
dieses  Nerven  annimmt    Er  hat  unter  allen  Gefa>* 
weit  nach  hinten  fallenden  Ursprunges  wegen^  d 


804  i'  3^'   Drittes,   viertes  und  sechstes  Paar. 

in  der  Schädclhöhle,  schlägt  sich  um  den  Processus  cerehdU  ad 
Corpora  qnadngemma ,  und  um  den  Pedunculus  cerebriy  nach  vorn 
und  innen  herum,  liegt  dicht  unter  dem  freien  Rande  des  Gezelte«, 
durchbohrt  die  harte  Hirnhaut  hinter  dem  Processus  cUnoideus  poäe- 
rioj'y  geht  hier  mit  dem  ersten  Aste  des  fünften  Paares  eine  Ver- 
bindung ein,  und  entsendet  einige  feine  Fädchen  in  das  Zelt  des 
kleinen  Gehirns  (Bidder).  Er  tritt  hierauf  durch  die  Fissura  orU- 
talis  superm-  in  die  Augenhöhle,  wo  er  ttber  die  Ursprönge  der 
Augenmuskeln  weg  nach  innen  ablenkt,  um  sich  einzig  und  allein 
im   Muscv/vs  ohliqtnis  siiperior  zu  verlieren. 

Das  sechste  Paar,  der  äussere  Augenmuskelnerv,  Nenm 
abdvcensj  entwickelt  seine  Fasern  aus  der  Pyramide  des  verlänger- 
ten Markes  am  hinteren  Rande  der  Varolsbrftcke,  und  zieht  nach 
vom  zur  hinteren  Wand  des  Simis  cavernosus  y  welche  er  durch- 
bohrt. Im  Sinus  cavernosus  liegt  er  an  der  äusseren  Seite  der  Giro- 
tis  cereh^alis.  Beide  erhalten  Ueberztige  von  der  Auskleidungs- 
membran  des  Sinus.  Wo  er  auf  der  Carotis  aufliegt,  erscheint  er 
etwas  breiter,  und  nimmt  zwei  Fäden  vom  Plexus  caroticus  de» 
Sympathicus  auf.  Hat  er  den  Sinus  caveimosus  verlassen,  so  geht 
er  durch  die  Fissura  orhitalis  sttperior  in  die  Augenhöhle,  durch- 
bohrt den  Ursprung  des  Rectus  extermis,  und  verliert  sich  nur  in 
diesem  Muskel. 

Die  drei  Nerven  der  AugeiiniiiRkehi  sind  vorzugsweiÄe  motorischer  Natur. 
Auf  Reizung  ihrer  Ursprünge  folgt  keine  Schmerzäussening,  welche  erst  eintritt, 
wenn  diese  Nerven  an  entlegeneren  l*unkten,  jenseits  ihrer  Anastomosen  mit  den 
sensitiven  Aesten  des  fünften  Paares,  gereizt  werden.  —  Die  filnf  Muskeln, 
welche  vom  Nei'vus  oadoniotorius  versorgt  werden ,  haben  ausgesprochene  Ten- 
denz zur  Mitbewegung,  d.  h.  sie  wirken  immer  in  beiden  Augen  zugleich.  — 
Die  Bewegungen  der  Iris  hängen  von  den  motorischen  FÄden  ab,  welche  der 
Nervus  ociilomotoHiu<  zum  Ganglion  ciliare  schickt,  und  welche  als  motorische 
Elemente  der  Nervi  ciliares  zur  Iris  und  zum  Mmtnilns  ciliaria  treten.  Der  Ein- 
Huss  des  Oculomotorius  auf  die  Bewegung  der  Iris  wird  auf  folgende  Weise 
evident.  Stellt  man  das  Auge  nach  innen  und  oben  (durch  den  vom  unteren 
Zweige  des  Nervus  ondomotoHus  innervirton  Musculus  ohliquus  inferior) ,  so  ver- 
engert sich  die  ]*upille.  Im  Schlafe,  bei  gewissen  KrHmpfen,  und  im  Todei- 
kampfe,  wo  das  Auge  unwillkürlich  nach  innen  und  oben  weicht,  ereignet  sich 
dasselbe,  während  Durchschneidung  oder  liKlimung  des  Oculomotorius  Erweite- 
rung der  Pupille   zur  Folge  hat. 

Cruveilhier  hat  gezeigt ,  dass  die  nach  Bidder  aus  dem  Trochlearif 
in  das  Zelt  des  kleinen  Gehirns  abtretenden  Nervenfäden,  Aeste  des  Ramus  pri- 
mus  trigeniini  sind,  welche  sich  an  den  Trochlearis  nur  anlegen,  um  ihn  alsbald 
als  Zeltnerven  wieder  zu  verlassen.  —  Die  sympathischen  Fäden,  welche  im 
Sinus  cavernoxuft  an  den  Abducens  treten,  bilden  in  der  Regel  1  oder  2  grössere, 
graue  Stämmchen,  welche  vor  50  .Jahren  noch  für  Ursprünge  des  Sympathien« 
aus  dem  Nervus  ahducenfi  gehalten  wurden. 


§.  355.  Füaftes  Paar.    Knter  Ast  desselben.  805 

§.  355.  Fünftes  Paar.    Erster  Ast  desselben. 

Das  fünfte  Paar,  der  dreigetheilte  Nerv,  Nermut  ti-igeminus, 
übertriflFt  alle  anderen  Himnerven  an  Stärke.  Er  entspringt,  wie 
ein  Rückenmarksnerv,  mit  zwei  getrennten  Wurzeln.  Die  hintere, 
stärkere,  aus  nahe  100  Fadenbündeln  bestehende  Wurzel  taucht 
aus  einer  Furche  der  vorderen  Fläche  des  Q-us  cei-ebelli  ad  pontem 
auf.  Sie  ist  sensitiv.  Ihre  Fasern  lassen  sich  nach  Arnold  bis  in 
die  hinteren  Stränge  des  Rückenmarks  verfolgen.  Die  vordere, 
ungleich  schwächere  Wurzel  wird  von  der  hinteren  bedeckt,  stammt 
aus  der  Pyramide  des  verlängerten  Markes,  und  tritt  zwischen  den 
vorderen  Querfasern  des  Pons  Varoli  hervor.  Sie  ist  rein  motorisch. 
Beide  Wurzeln  legen  sich,  ohne  zu  verschmelzen,  an  einander, 
werden  durch  die  von  der  Spitze  des  Felsenbeins  zur  Sattellehne 
ausgespannte  Fortsetzung  des  Gezeltrandes  überbrückt,  und  gelan- 
gen in  einen  von  der  Dura  mater  gebildeten,  und  über  dem  inneren 
Ende  der  oberen  Fläche  der  Felsenpyramide  gelegenen  Hohlraum 
(Cavum  Meckelu)j  wo  die  hintere  Wurzel  durch  Spaltung  und  Ver- 
strickung ihrer  Faserbündel  ein  Geflecht  bildet,  dessen  Zwischen- 
räume Ganglienzellen  einnehmen,  so  dass  ein  wahrer  halbmondför- 
miger Knoten  —  Ganglion  Gassein  s,  semilunare  —  entsteht,  an 
dessen  Bildung   die   vordere  Wurzel  keinen    evidenten  Antheil  hat. 

Aus  dem  nach  vom,  unten  und  aussen  gekehrten  convexen 
Rande  des  Ganglion  GasseTn,  treten  die  drei  bandartig  flachen  Aeste 
des  Quintus  hervor,  welche,  ihrer  Verästlungsbezirke  wegen,  Ramtis 
ophthalmicuSj  Banrns  supra-  und  inframaaillaris  genannt  werden.    * 

Der  erste  Ast  des  Quintus,  Ramus  ophthalmicus,  ist  sensitiv, 
und  der  schwächste  von  den  dreien.  Er  läuft,  anfangs  in  die  obere 
äussere  Wand  des  Sintis  cavernosus  eingewachsen,  nach  vorn,  nimmt 
Fäden  aus  dem  die  Carotis  interna  umgebenden,  sympathischen 
Nervengeflechte  auf,  anastomosirt  mit  dem  Nervus  trochlearisj  und 
sendet  den  feinen  Nervus  recurreiis  Aimoldi  nach  rückwärts  zum 
Tentarium  cerebelli.  Dann  geht  er  durch  die  Fissura  orbitalis  superior 
in  die  Augenhöhle,  wo  seine,  schon  vor  dem  Eintritte  in  diese  Höhle 
sich  isolirenden  drei  Zweige,  zu  ihren  verschiedenen  Territorien  aus 
einander  treten.  Diese  Zweige  sind: 

a)  Der  Thränennerv,  Nenms  lacrymalis.  Er  geht  am  oberen 
Rande  des  Rectus  extemus  zur'Thränendrüse,  verbindet  sich  ge- 
wöhnlich durch  einen  Nebenast  mit  dem  Joch-Wangennerv,  versorgt 
die  Glandula  lacrymalis  (?),  die  Conjunctiva,  und  die  Haut  in  der 
Umgebung  des  äusseren  Augenwinkels. 

b)  Der  Stirnnerv,   Nervus  froviJUdi».    PV 
dem  Dache  der  Orbita,  und  theilt  s^<^* 

opticum  und  Marge  supraariüp^ 


806  §•  3^*    Fünftes  Paar.   Enter  Ast  desselben. 

a)  Der  Nervus  avpratrochlearisy  läuft  über  den  Mtiaculu»  trocJäeoHi  Dich 
innen  und  vorn,  geht  mit  dem  Nervus  infratrochlearis  eine  Verbindung  ein,  und 
verlässt  über  der  Rolle  die  Augenhöhle,  um  die  Haut  des  oberen  Augenlids  und 
der  Stimc  zu  versehen. 

ß)  Der  Nervus  suprcufrbitalis ,  die  unmittelbare  Fortsetzung  de«  Nentu 
frontalis^  begiebt  sich,  gewöhnlich  in  zwei  Zweige  getheilt,  durch  die  /nctiKra 
siipraorbitalis  zur  Stirne,  um  in  der  Haut  derselben  bis  zum  Scheitel  hinanf  tich 
zu  verbreiten.  Das  obere  Augenlid  erhält  von  ihm  seine  Nervi  palpebrales  tt^eriom. 
X  und  ß  betheileu  den  Corrugator,  den  Frontalis  und  Orbicularis  mit  Zweigen, 
und  anastomosiren  theils  unter  einander,  theils  mit  den  begegnenden  Aesten  des 
siebenten  Nervenpaares,  ß  soll  noch  überdies  in  der  Incisura  supraorbilaÜM  eineu 
feinsten  Zweig  zur  Auskleidungsmembran   des   Sirius  frontalis  senden  (Kobelt). 

Ist  die  Incisura  stiprax>rhitaliM  zu  unbedeutend,  um  den  Nervus  suprfuM- 
talis  aufnehmen  zu  können,  so  geht  nur  ein  Zweig  des  Nerven  durch  die  Indinr, 
—  der  andere  Zweig  aber  schwingt  sich  einfach  um  das  innere  Ende  des  Mar^ 
supraorbitalis  zur  Stirn  empor.  Ist  ein  Foramen  supraorbitale  statt  der  Inäfar 
vorhanden,  so  tritt  der  Nerv  nicht  durch  das  Loch,  sondern  über  den  Afor^o 
supraorbitalis  weg  zur  Stirn.  So  sehe  ich  es  wenigstens  an  den  Präparaten  dieses 
Nerven,  welche  ich  verglichen  habe. 

c)  Der  Nasen-Augen  nerv,  Neivus  naso-cüiarisy  liegt  anfangs 
neben  der  Artei^ia  Ophthalmien  an  der  äusseren  Seite  des  Sehner- 
ven, also  tiefer  als  die  beiden  vorhergegangenen  Zweige  a  und  b, 
tritt  mit  dem  Abducens  durch  den  gespaltenen  Ursprung  des  Mus- 
cubis  recttis  extemus  hindurch,  giebt  hierauf  die  lange  Wurzel  des 
Ciliarknoten  ab  {Radix  longa  s,  sensitiva  ganglii  ciliaris,  §.  360), 
schlägt  sich  über  den  Nei*vus  opticus  nach  innen,  schickt  hier  noch 
1 — 2  Ciliarnervcn  ab,  und  thoilt  sich  zwischen  (>hliquus  sitpet-iw  und 
Rectum  iiiteimns  in  den  Nervus  ethmoidalls  und  infratrochlearis, 

a)  Der  Net^us  ethmoidoLis  dringt  durch  das  Foranien  ethnwidal^  anteriuM 
in  die  Scliädelhöhle,  und  von  da  gleich  wieder  durch  das  vorderste  Loch  der 
Lumina  cribrosa  in  die  Nasenhöhle.  Hier  giel)t  er  einen  liamus  septi  narium  zum 
vorderen  untoren  Abschnitt  der  senkrechten  Nasenscheidewand,  lagert  sich  so- 
dann in  einer  Furche  an  der  inneren  Fläche  des  Nasenbeins  ein,  giebt  daselbst 
2 — 3  Fäden  zum  vorderen  Bezirk  der  äusseren  Nasenhöhlenwand,  und  gelau]^ 
schliesslich  zwischen  dem  Nasenbein  und  der  Cartilago  triangulavis  nasi  zur  Haut 
der  äusseren  Nase. 

Luschka  entdeckte  einen  sehr  feinen  und  constanten  Ast  des  Nervtis 
iidso-ciliaris^  welcher  durch  das  Foramen  efhmoidale  posterius  in  die  Schädelhöhle, 
und  von  da  unter  dem  vorderen  Rande  der  oberen  Fläche  des  Keilbeinkörpers 
in  den  Sinuft  ffphenoidalit  und  in  eine  hintere  Siebbeinzelle  gelangt,  wo  er  sich 
in  der  Schleimliaiit  dieser  Cavitäten  auflöst.  Luschka  nannte  diesen  Nerven: 
NervuH  .'*pheno-e(h}Hoi(laliM  (Müller  ft  Archiv.  1857).  Er  hat  die  Feuerprobe  des 
Mikroskops  bestanden. 

ß)  Der  Nervus  infratrochlearis  peht  an  der  inneren  Augenhöhlenwand,  mit 
dem  Nervus  suprafrochleant  anastomosirend,  zur  Rolle.  Er  verlässt,  unter  dieser 
iH'rvorkommend,  die  Aujrenhöhle  über  dem  Ligamentum  palpeltrale  intemuni^ 
und  verliert  sich  in  dor  Haut  der  Nasenwurzel,  im  oberen  Augenlid,  und  in  der 
(llalu'lla.  Thränensack,  Thränencarnnk«>l,  Bindehaut,  werden  von  ihm  noch  vor 
•»einem  Austritte  aus  der  Orbita  versehen. 


9.  a5(i.    Zweiter  Ast  des  fünften  Paares.  807 


§.  356.  Zweiter  Ast  des  fünften  Paares. 

Der  zweite  Ast  des  Quintus,  Ramus  supramaxillariSy  sensitiv 
wie  der  erste,  verlässt  die  Schädelhöhle  durch  das  Foramen  rotun- 
dum  des  Keilbeins,  durchzieht  die  Flügel -Gnumengrube  in  der 
Richtung  zur  Fissura  orbitalis  inferior^  und  entlässt  während  dieses 
Laufes  folgende  Aeste : 

a)  Den  Nervus  zygomaticiis  s,  suhcutaneus  malae,  Jöchwangen- 
nerv.  Dünn  und  weich,  tritt  er  dunch  die  Fissur a  orbitalis  inferior 
in  die  Augenhöhle,  und  theilt  sich  alsbald  in  zwei  Zweige,  welche 
als  Ramus  temporalis  und  malaris  unterschieden  werden. 

Der  erste  auastomosirt  mit  dem  Thränennerv,  zieht  an  der  äusseren 
Wand  der  Orbita  nach  vorn,  um  durch  einen  Kanal  des  Jochbeins  {Canalia 
xygomaticus  tempcralis)  in  die  Schläfc^nibe  überzutreten,  in  welcher  er  sich  nach 
vor-  und  aufwärts  richtet,  um  am  vorderen  Rande  des  Schläfemuskels,  einen 
Zoll  über  dem  Jochbogen,  die  Fascia  temporalu  zu  durchbrechen,  und  in  der 
Haut  der  Schläfe  sich  zu  verbreiten.  Der  zweite,  näher  an  dem  Boden  der 
Augenhöhle  nach  vorn  strebend,  gelangt  durch  den  CanalU  zygomaticus  facialis 
zur  Haut  der  Wangengegend.  Beide  Zweige  anastomosiren  in  ihren  peripherischen 
Verzweigungen  zahlreich  mit  jenen  des  Commnnieans  faciei, 

b)  Den  Nei^us  alveolaris  superior^  oberer  hinterer  Zahn- 
nerv. Er  zieht  am  Tuber  maocillare  herab,  und  theilt  sich  in  zwei 
Zweige.  Der  erste  durchbohrt  den  Ursprung  der  oberen  Portion 
des  Buccinator,  und  geht  zur  Mundhöhlenschleimhaut  und  zum 
Zahnfleisch  des  Oberkiefers.  Der  zweite  tritt  durch  ein  Fwamen 
maxillare  superius  in  den  oberen  Alveolarkanal  ein,  als  Nervus  den- 
talis  superio7'  posterio7'j  läuft  zwischen  den  beiden  Platten  der  Ge- 
sichtswand des  Oberkiefers  bogenförmig  nach  vorn,  um  theils  die 
Schleimhaut  der  Highmorshöhle  und  die  Pulpa  der  Mahlzähne  zu 
versorgen,  theils  mit  dem  gleich  anzuführenden,  vom  Nei^^vus  infra- 
orbitalis  entstehenden  Nervus  dentalis  su'peinor  anterior  schlingenförmig 
sich  zu  verbinden. 

c)  Die  Nervi  pterygo-palatini  s,  spheno-palatinif  Keilgaumen- 
nerven, zwei  kurze  Nerven,  welche  zu  dem  in  der  Tiefe  der  Fossa 
pteryyo-palatina  gelegenen  Flügel -Gaumenknoten  (Ganglion  ptet-ygo- 
s,  sphenO'palatinum)  treten.  §.  361. 

d)  Der  Nermis  infraorbitalis  ist  die  eigentliche  Fortsetzung  des 
zweiten  Quintus-Astes.  Er  gelangt  durch  den  Canalis  infraorbitalis 
zum  Antlitz,  und  zerfilhrt  daselbst,  bedeckt  vom  Levator  labii  superio- 
risy  in  eine  Menge  strahlig  divergirender  Aeste,  die  häufig  mit  ein- 
ander und  mit  den  Endästen  des  Commuriicana  faciei  anaBtomosireHi 
und   dadurch  den  sogenannten  kleinen  Q^Sauie/h 

rinus  minor).    Die  Haut  des  unteren 


808  S*  857-    Dritter  Ast  des  fflnften  Paares. 

Nase,  und  der  Oberlippe  wird  von  seinen  Zweigen  versorgt.  Während 
des  Laufes  durcli  den  Canalis  Infraorhüalis  giebt  er  den  Nenm 
dentalis  superiar  anterior  ab,  welcher  zwischen  den  Platten  der  Ge- 
sichtswand des  Oberkiefers,  und  später  in  einer  Furche  an  der 
inneren,  die  Highmorshöhle  begrenzenden  Fläche  des  Knochens 
herabsteigt,  und  mit  dem  Nervus  deiüalis  sup,  posterior  (oben  h)  eine 
Schlinge  (Ansa  supi-amctxillaris)  bildet,  welche  sich  in  einem  nach 
unten  convexen  Bogen  längs  des  Bodens  der  Highmorshöhle,  vom 
Eckzahn  bis  zum  Weisheitszahn  erstreckt.  Die  aus  dem  convexen 
Rande  der  Schlinge  hervorgehenden  Aestchen  bilden  den  PUxm 
dentalis.  Dieser  Plexus  durchzieht  die  kleinen  Kanälchen  des  Pro- 
cessus alveolaris  des  Oberkiefers,  schickt  seine  grösseren  Zweige 
zu  den  Wurzelkanälen  der  Mahl-  und  Backenzähne,  seine  feineren 
Zweigchen  aber  in  die  schwammige  Knochenmasse  zwischen  den 
Zahnwurzeln,  von  welcher  sie  in  das  Zahnfleisch  übertreten. 

Einen  halben  Zoll  über  der  Wurzel  des  AugenzahnB  bilden  einige  vom 
Nervwt  dentalis  superior  anterior  abgegebene  Zweigchen,  durch  Anastomose  mit 
einem  Faden  des  Nervus  nasalis  posterior  medius,  welcher  die  seitliche  Nasen- 
wand nach  aussen  durchbohrt,  einen  platten,  V*  breiten  und  rundlichen  Knoten« 
GanifUon  Bochdalekii  s.  supramaxillare,  oder  oft  nur  ein  dichtgenetztes  Geflecht, 
welches,  in  einer  kleinen  Höhle  der  vorderen  Wand  der  HighmorshOhle  einge- 
schlossen ist.  Dieses  Ganglion  steht  allenthalben  mit  den  Zweigchen  des  Plexus 
dentalis  in  Verbindung,  und  setzt  sich  nach  innen  und  unten  in  ein  Fadengeflecht 
fort,  welches  die  schwammige  Knochensubstanz  des  Processus  alveolaris  des  Ober- 
kiefers durchdringt,  und  mit  seinen  letzten  Ausläufern  die  Schleimhaut  des  Bodens 
der  Nafionhfihlc,  die  Schneidezähne,  den  Eckzahn,  das  Zahnfleisch,  und  die  vor- 
derste l^artie  des  harten  Gaumens  versieht,  wo  es  mit  den  hieher  gelangten 
Aesten  der  Nervi  nasales  und  des  Nervus  naso-paJntimis  anastomosirt. 

Zuweilen  tritt  zwischen  dem  Nervus  dentalis  superior  anterior  und  posterior 
noch  ein  medius  auf,  welcher  sich  gleichfalls  an  der  Bildung  des  Plexus  dentalis 
betheiligt.  —  Auch  der  zweite  Ast  des  Quintus  sendet  noch  in  der  Schädelhöhle 
einen  Ramns  recurrens  zur  harten  Hirnhaut,  und  zwar  zum  Stanun,  oder  zum 
vorderen  Ast  der  Arteria  meningea  media.  Ebenso  der  dritte  Ast  des  Quintus. 
(F.  Arnold,  über  die  Nerven  der  harten  Hirnhaut,  in  der  Zeitschrift  der  Gesell- 
schaft der  Wiener  Aerzte,   1861^. 


§.  357.  Dritter  Ast  des  fünften  Paares. 

Der  dritte  Ast  dos  Quintus,  Ramns  inframaxillarisy  wird 
durch  eine  Summe  von  P^'ascrn,  welche  ans  dem  Ganglion  Gasseri 
stammen,  und  durch  die  ganze  vordere  motorische  Wurzel  des 
Quintus,  welche,  an  der  inneren  Seite  des  Ganglion  tangirend  vor- 
beizieht, zusammengesetzt.  Beide  mischen  sieh  alsbald  zu  einem 
kurzen,  platten,  grobgeflochtenen  Nervenstamm.  Dieser  tritt  durch 
das  Forainpii  ovale   des  Keilbeins  aus  der  Schädelhöhle  heraus^  sen- 


S.  867.   Dritter  Ast  des  fÜDften  Paares.  809 

det  einen  von  Luschka*)  als  Nervtts  spinasus  beschriebenen  Ast 
durch  das  Foramen  spinosum  des  Keilbeins  zur  mittleren  harten 
Himhautarterie,  und  theilt  sich  gleich  unter  seinem  Austrittsloche 
in  zwei  Gruppen  von  Zweigen. 

I.  Die  schwächere  dieser  beiden  Gruppen,  der  Lage  nach  die 
äussere,  enthält  die  grössere  Summe  der  Fäden  der  motorischen 
Wurzel  des  Quintus,  und  erzeugt  deshalb  vorzugsweise  nur  moto- 
rische Aeste  für  die  Musculatur  des  Unterkiefers  (mit  Ausnahme  des 
Biventer)  und  fiir  den  Tensor  veli  palatini.  Diese  Aeste  sind : 

a)  Der  Nervus  massetericus.  Er  dringt  durch  die  Incisura  se- 
milunaris  zwischen  Kronen-  und  Gelenkfortsatz  des  Unterkiefers 
von  innen  her  in  den  Mtisadibs  masseter  ein.  Zweigchen  zum 
Kiefergelenk. 

b)  Die  Nervi  temporales  profundiy  ein  vorderer  imd  hinterer, 
krümmen  sich  an  der  Schläfenääche  des  grossen  Keilbeinflügels  zum 
Musculus  temporalis  empor,  an  dessen  Innenfläche  sie  eintreten. 

Der  vordere  stärkere  ist  nicht  selten  ein  Ableger  des  Nervus  hucdnatorius 
(daher  die  vonPaletta  gebrauchte  Benennung  für  beide  9\b  Nervu»  crotaphitico- 
buecin€Uorius)j  und  der  hintere,  schwächere,  ein  Zweig  des  Nervus  mcuaeterieus, 

c)  Der  Nervus  buccinatorius  zieht  zwischen  Schläfen-  und  äusse- 
rem Flügelmuskel,  oder  letzteren  durchbohrend,  zum  Musculus  huc- 
cinator  herab,  und  versorgt  zugleich  einige  Muskeln  der  Mund- 
öflFnimg. 

d)  und  e)  Der  Nervus  pterygoideus  internus  et  extemuSy  fiir  die 
gleichnamigen  Muskeln  des  Unterkiefers.  Der  internus  und  ein 
ftlr  den  Tensor  veli  palatini  bestimmter  Zweig  desselben,  durchbohrt 
das  Ganglion  oticum  (§.  362). 

Der  extemus  ist  oft  ein  Ast  des  Nervus  hticcinatorius^  und  zuweilen  auch 
doppelt.  Der  internus  entspringt  in  der  Regel  aus  der  inneren  Fläche  des  noch 
ungetheilten  dritten  Quintusastes,  dicht  unter  dem  Foramen  ovale. 

IL  Die  zweite,  stärkere  Gruppe  von  Zweigen  des  dritten  Astes 
(der  Lage  nach  die  innere),  wird  vorwaltend  durch  die  sensitiven, 
aus  dem  Ganglion  Gasseri  kommenden  Fäden  gebildet,  und  besteht 
aus  folgenden  drei  Nerven: 

a)  Der  oberflächliche  Schläfenerv,  Nei-vus  teniporalis 
superficialis  s.  auriculo- temporalis ,  umfasst  mit  seinen  beiden  Ur- 
sprungswurzeln die  mittlere  Arterie  der  harten  Hirnhaut,  und  schwingt 
sich  hinter  dem  Gelenkfortsatz  des  Unterkiefers,  und  vo^  den  Acini 
der  Parotis  umgeben,  zur  Schläfegegend  auf,  wo  er  in  zwei  Endäste 
zerfällt,  deren  hinterer  den  Attrahens  auriculae,  die  Haut  der  con- 
caven  Fläche  der  Ohrmuschel,  und  theilweise  auch  jene  des  äusseren 
Gehörganges  (vordere  Wand)  versorgt,  während  der  vordere  ^ 


*)  Luschka,   die  Nerven   der  harten  Hinübai 
Archiv,  1863. 


810  §.  3f>7.    Dritter  Ast  des  fttnOen  Paares. 

hinter  der  Arteria  temporalis  siipei'ßcialts  liegt,  und  sich  als  Haatnerv 
in  der  Schläfegegend  ausbreitet. 

Während  der  oberflächliche  Schläfenerv  von  der  ParotiB  amschlossen 
wird,  anastomosirt  er  mit  den  Gesichtsästen  des  Conimunicans  faciei  durch  zwei 
Zweige.  Ein  Zweigchen  seines  hinteren  Astes  dringt  an  der  oberen  Wand  des 
Gehörganges  bis  zum  Trommelfell  vor,  und  senkt  sich  von  oben  her,  als  Ner- 
vus membranae  iympani,  zwischen  seine  Blätter  ein. 

b)  Der  Zungennerv,    Nervus  lingualisy  nimmt  bald  unter  sei- 
nem Ursprünge  die  Chtyi'da  tympani  (§.  363)  unter   einem   spitzigen 
Winkel  auf,  und  geht  mit  ihr  vereinigt,  zwischen  dem  UnterkiefeiMt 
und  dem  inneren  Seitenbande    des  Kiefergelenkes,   anfangs  an  der 
äusseren  Seite    des   Musculus  stylo-glossus,    dann   an  jener   des  fcyo- 
glossus  bogenförmig  nach  vom   und   unten.    Er  verseif   den  Aroa 
palato-glossus  y    die    Schleimhaut    des    Bodens    der    Mundhöhle,  und 
schickt,  während  er  ttber  die    Glandula  submaxillaris  weggeht,  1—2 
Zweigchen  zum   Ganglion  submaxillare  und  zur  Glandula  sublingualii. 
Er  anastomosirt  mit  den  Aesten  des  Zungenfleischnerven,  und  spaltet 
sich  in  8 — 10  eigentliche  Zungennerven,  welche  zwischen  flyo- 
glossus  und  Genio-glossns  in  das  Fleisch  der  Zunge   eindringen,  das- 
selbe von  unten  nach  oben  durchsetzen,    und   sich    in   den  Papillen 
der  Zunge,  mit  Ausnahme   der   vallataej  und  auch   vieler  ßliformetj 
auflösen.  Es  ist  noch  immer  unentschieden,    ob  der  Nervus  linguaUt 
blos  Tastnerv,  oder  auch  Qeschmacksnerv  der  Zunge  ist. 

Kemak  entdeckte  an  den  feineren  Kamificationen  des  Nervus  Un^uaüt 
zahlreiche  kleine  Ganglien.  An  den  stärkeren  Aesten  dieses  Nerven  finden  sie 
sich  beim  Menschen  nicht,  wohl  aber  lieim  Schafe  und  beim  Kalbe.  {MüUeri 
Archiv.  1852.  ])ag.  58.) 

c)  Der  eig(Mitliclio  Unterkiefernerv,  Nervus  mandibularisj 
liegt  hinter  dem  Nervus  linguaUsy  mit  welchem  er  durch  1-2  Fäden 
zusammenhängt,  steigt  an  der  äusseren  Seite  des  Musculus  piery- 
goideus  intermis  zur  inneren  Oc^ffnung  des  Unterkieferkanals  herab, 
und  theilt  sich  hier  in  drei  theils  motorische,  theils  sensitive  Aeste: 

a)  Nervus  mylo-hyoideus^  welcher  in  dem  Sulcut  mylo-hyoideus  de«  Unter- 
kiefers nach  vorn  zieht,  und  sich  im  Musculus  mylo-hyoideus,  und  im  vorderen 
Bauche  des  Bivenler  maxUlae  vi^rliert. 

ß)  Nei'vus  alveolaris  inferior,  welcher  mit  dem  gleich  zu  erwähnenden 
Nervus  mentalis  in  den  Unterkioferkanal  einzieht,  und  sich  in  diesem  bu  einem 
Geflechte  auflöst,  welches  die  Arte:ria  alveolaris  infei'ior  umstrickt,  durch  jeden 
Zahnwurzelkanal  einen  Aussendling  zur  Pulpa  dentis  gelangen  läset,  und  die 
schwammige  iSubstanz  des  Zahnlückenrandes  des  Unterkiefers,  so  wie  das  Zahn- 
fleisch desselben  mit  seinen  letzten  Zweigchen  versorgt.  , 

Y)  Der  Nervus  mentalis  trägt  zur  Bildung  des  Geflechtes  im  Unterkiefer- 
kanal bei,  durch  Abzweigung  feiner  Fädchon,  deren  Verlust  ihn  nicht  so  sehr 
schwächt,  dass  er  nicht  als  ansehnlicher  Nervenstamm  durch  die  vordere  oder 
Kinnöfl'nung  df*s  Kanals  herauskäme,  um,  bedeckt  vom  Depressor  anytdi  oris^  in 
einen  Fächer  von  Zweigen  zu  zerfallen,  welche  die  Haut,  Schleimhaut,  und  Mui- 
culatur  der  Unterlippe  und  des  Kinns  versorgen,  und  mit  dem  Nervus  subcutanots 
maziUae  inferioris  vom  Communicans  faciei  anastomosiren. 


§.  858.  Pliysiologiselies  Aber  das  fünfte  Nerrenpaar.  811 


§.  358.  Physiologisches  über  das  fünfte  Bfervenpaar. 

Durch  Viviscctioncn  und  durch  pathologische  Erfahrungen  kam 
man  zur  Ueberzeugung,  dass  die  hintere  Wurzel  des  Quintus  sen- 
sitiv, die  vordere  motorisch  ist,  —  ein  Verhältniss,  welches  bei  allen 
Rückenmarksnerven  wiederkehrt.  Das  Ganglion  Gassen^  entspricht, 
wenn  auch  nicht  durch  seine  Lage,  doch  gewiss  durch  seine  phy- 
siologische Bedeutung,  den  Intervertebralganglien  der  Rückenmarks- 
nerven. Reizung  der  vordt^ren  Wurzel,  welche  nach  dem  gewich- 
tigen Zeugnisse  Arnold's  an  der  Bildung  des  Ganglion  Gasseri 
keinen  Antheil  hat,  erregt  bei  Vivisectionen  Beissbewegungen  des 
Kiefers  und  Klappern  der  Zähne,  —  an  der  hinteren  Wurzel  da- 
gegen die  heftigsten  Schmerzäusserungen. 

Longet  erhebt  den  Nervus  Ungualis  zum  Geschraacksnerv.  Auch  mir 
scheint  Panizza*s  Ansicht,  nach  welclier  dieser  Nerv  keine  specifische  Ge- 
schmacksempfindung erregen,  sondern  nur  der  Tastnerv  der  Zunge  sein  soll,  um 
so  mehr  zweifelhaft,  als  chinirgische  Erfahrungen  die  Theilnahme  des  Neitytis 
lingualü  am  Geschmackssinno  hostätigen.  Lisfranc  sah  nach  Exstirpation  eines 
UnterkiefcrstUckcs,  mit  welchem  zugleich  ein  Stück  des  Net-vtis  lingtiaU»  heraus- 
genommen wurde,  den  Geschmack  auf  der  entsprechenden  ZungenhRlfte  ver- 
schwinden. Ich  kann  überhaupt  die  Berechtigung  nicht  einsehen,  einen  specifi- 
schen  Geschmacksnerven  in  der  Zunge  zu  statuiren,  da  man  durch  sehr  einfache 
Versuche  an  sich  selbst  die  Ueberzeugung  gewinnen  kann,  dass  die  verschiedenen 
Nerven  aller  den  Isthmiis  faucium  umgebenden  Schleimhautpartien,  zur  Vermitt- 
lung von  Geschmacksempfindungen  concurrircn,  und  man  den  Geschmack  eines 
auf  die  Zunge  gelegten  Körpers. um  so  deutlicher  wahrnimmt,  je  allseitiger  er 
mit  den  Mundhöhlenwänden  beim  Kauen  in  Contact  gebracht  wird,  und  je  leich- 
ter er  im  Speichel  löslich  ist.  (Siehe  §.  365.) 

Nach  der  Trennung  der  hinteren  Wurzel  des  Quintus,  oder  Aufhebung  ihrer 
Leitung  durch  pathologische  Momente,  verlieren  die  Haut  der  Stirn  und  Schläfe, 
die  Conjunctiva,  die  Nasen-  und  Mundschleimhaut,  die  Lippen  und  die  Zunge 
ihre  Empfindung,  während  durch  Trennung  der  vorderen  Wurzel  Lähmung  der 
Kiefermuskeln  eintritt.  Die  Vernichtung  der  Empfindung  in  den  genannten  Flä- 
chen wird  es  nie  zu  Reflexbewegungen  kommen  lassen,  welche  sonst  auf  die 
Reizung  derselben  zu  erfolgen  pflegen.  Die  Augenlider  schliessen  sich  nicht  mehr, 
wenn  die  Conjunctiva  mechanisch  gereizt  wird ;  auf  Kitzeln  in  der  Nase  entsteht 
weder  Schnauben  noch  Niesen;  die  Zunge  fühlt  den  Contact  der  Nahrungsmittel 
nicht,  obwohl  sie,  wegen  Unverletztheit  des  Nervus  glosso-pharyngeus^  noch  für 
gewisse  Geschmackseindrücke  erregbar  bleibt.  Ein  Thier,  welchem  die  sensitiven 
Quintuswurzeln  an  beiden  Seiten  durchgeschnitten  wurden,  überlebt  diese  Ope- 
ration längere  Zeit,  und  benimmt  sich,  da  es  an  dem  grössten  Theile  seines 
Kopfes  keine  Empfindung  hat,  so,  als  wenn  der  Kopf  nicht  mehr  zu  seinem 
Rumpfe  gehörte.  —  Findet  am  Menschen  die  Lähmung  der  sensitiven  Wurzel 
nur  auf  einer  Seite  statt,  so  wird  auch  die  Empfindungslosigkeit  (Anästhesie)  nur 
eine  halbseitige  sein  können.  Ein  Glas  an  die  Lippen,  oder  ein  Löffel  in  den 
Mund  gebracht,  werden  nur  auf  der  einen  Seite  empftindeo  wfAam 
Eindruck  hervorbringen,  als  wären  sie  gebrocbea.  KonuBt^ 
auf  die  gelähmte  Seite  der  Mundhöhle,  so  msfait  dpi- : 


312  §•  ^^*  t^ftnglien  am  fünften  Paare.  Qanffiion  Ha—tri. 

dem  Munde  gefallen  sei.  Er  fühlt  es  nicht,  wenn  er  sich  in  die  Zunge  beisst, 
und  dieser  Unempfindlichkeit  wegen  erleidet  die  Zunge  beim  Kauen  die  grössten 
mechanischen  Unbilden,  welche  zu  hartnäckigen  Geschwüren  führen  können. 

Die  Gesichtszweige  des  zweiten  und  dritten  Quintusastes  sind  vorzugs- 
weise der  Sitz  der  als  Fothergiirscher  Gesichtsschmerz  bekannten  Neuralgie.  Der 
erste  Ast  unterliegt  dieser  furchtbaren  Krankheit  weit  seltener.  Vielleicht  lieget 
die  Ursache  darin,  dass  die  sensitiven  Zweige  des  zweiten  und  dritten  Astes 
durch  mehr  weniger  lange  und  enge  Knochenkauäle  ziehen,  in  welchen  es  durch 
krankhafte  Veranlassungen  der  verschiedensten  Art  weit  leichter  zu  einem  Miss- 
verhältnisse zwischen  Kanal  und  Inhalt  kommen  kann,  als  an  den  Gesichts- 
zweigen des  ersten  Astes,  deren  Verlauf  durch  keine  Knochenkanäle  vorge- 
schrieben ist. 

Auf  Resection  des  Quintus  stellen  sich  autfallende  Emälirungsstörungen 
ein,  welche  sich  durch  Entzündung  und  Auflockerung  der  Conjunctiva,  vermehrte 
Schleimabsonderung,  Füllung  der  vorderen  und  hinteren  Augenkammer  mit  Ex- 
sudat, Mattwerden  und  Erosionen  der  Hornhaut,  acute  Erweichung  derselben 
und  der  übrigen  Augenhäute,  endlich  durch  Bersten  des  Bulbus,  und  durch 
Schorf  bildung  an  Nase,  Kinn  und  Wangen  aussprechen.  An  diesen  Erscheinun- 
gen müssen  die  dem  Quintus  beigemischten  sympathischen  Fasern  aus  dem  Ple- 
XUS  carolictu  entschiedenen  Antheil  haben. 

Von  den  älteren  Schriften  über  das  fünfte  Paar  verdienen  genannt  eii 
werden:  «/.  F,  Meckel,  de  quinto  pare  nervorum.  Gotting.,  1748.  Ein  noch  immer 
classisches  Werk.  —  R.  B,  Hirschf  disquisitio  anat.  paris  quinti.  Vindob.,  1765. 
—  Specielle  Beschreibungen  einzelner  Quintusäste  gaben:  J.  B.  Paletf-af  de  ner\'i8 
crotaphitico  et  buccinatorio.  Mediol.,  1784.  —  J.  O,  Haase,  de  nervo  maxillari 
superiore.  Lips.,  1793.  —  O,  Schumacher,  über  die  Nerven  der  Kiefer  und  des 
Zahnfleisches.  Bern,  1839.  —  J.  A,  Hein,  über  die  Nerven  des  Gaumensegels,  in 
MUUer^a  Archiv.  1844.  —  V,  Bochdalek,  neue  Untersuchungen  der  Nerven  des 
Ober-  und  l^nterkiefers,  in  den  medicin.  Jahrbüchern  Oesterr.  1836.  XIX.  Bd. 
Derselbe,  über  die  Nerven  des  harten  Gaumens,  (>})enda.<(olbst,  1842.  1.  Heft. 


§.  359.  öanglien  am  fünften  Paare,  (ranglion  Gasser i. 

Die  mit  dem  Quintus  in  Verbindung  stehenden  Ganglien  ge- 
hören nicht  ihm  allein,  sondern  zugleich  dem  Sympathicus  an,  da 
sich  in  jedes  derselben  sympathische  Nervenfäden  verfolgen  lassen. 
Sie  können  jedoch  hier  am  passendsten  ihre  Erledigung  finden,  weil 
die  Betheiligung  des  ftlnften  Paares  an  ihrer  Bildung,  jene  des 
Sympathicus  in  sehr  auffallender  Weise  überwiegt. 

Das  erste  und  zugleich  grösste  Ganglion  am  Quintus  ist  das 
Ganglion  semilunare  Gasseri,  Seine  Lage  und  Gestalt  ist  aus  §.  355 
bekannt.  Es  hat  nicht  die  ovale  Form  gewöhnlicher  Ganglien,  son- 
dern ist  halbmondförmig.  Nur  die  hintere  sensitive*  Wurzel  des  ftlnf- 
ten Nervenpaares  tritt  in  den  concaven  Rand  des  Ganglion  ein,  wäh- 
rend aus  dem  convexen  die  drei  Zweige  dieses  Paares  abg<»hen. 

Seine  plattgedrückte  Gestalt  wird  durch  seinen  älteren  Namen:  Taenia 
nervosa  Haüeri,  ausgedrückt.  H  a  1 1  e  r  ssählte  daa  Ganglion  Owseri  nicht  unter  die 
Ganglien.  Ein  Wiener  Anatom,  R.  B.  Hirsch,   wies  ihm  erst  diese  Stellung  su, 


S.  360.   Gcmglion  etbor«.  813 

und  nannte  es,  seinem  sonst  nicht  bekannten  Lehrer  zu  Ehren,  Oanglion  Gcuteri, 
Die  untere  innere  Fläche  des  Ganglion  Oasaeid  nimmt  aus  den  sympathischen 
Nervengeflechten,  welche  die  Carotu  interna  im  Sinus  caveimostis  umspinnen,  Ver- 
bindungsfftden  auf.  Sein  mikroskopischer  Bau  stimmt  mit  jenem  der  Interver- 
tebralganglien  überein,  §.  370. 


§.  360.    Ganglion  ciliare. 

Das  Ganglion  ciliare  ist  ein  rundlich-viereckiges  Knötchen  von 
r"  Durchmesser,  liegt  im  hintersten  Theile  der  Augenhöhle  zwi- 
schen Rectxis  extemna  und  Nervus  opticuSy  nimmt  an  seinem  hinteren 
Rande  drei  Wurzeln  auf,  und  giebt  am  vorderen  Rande  viele 
Aeste,  die  sogenannten  Ciliarnerven  ab. 

a)  Wurzeln  des  Ciliarknotens  sind: 

a)  Die  Radix  Wevis  s,  motoria  vom  N&'vns  oculomotorius, 
ß)  Die  Radix  longa  s.  sensitiva  vom  N&cvus  naso-ciliarü. 
y)  Die    Radix    sympathica   (trophica,   Romberg).    Aus    dem 
Plexus  caroticus  im  Sirnis  cavernosus  entsprungen,  geht  sie  durch  die 
Fissura  orhitalis  swperior  zum  Ganglion  ciliare  selbst,    oder  zu  dessen 
Radix  longa. 

Diese  ausnahmslos  vorkommenden  Wurzeln  werden  zuweilen  durch  andere 
vermehrt.  Solche  sind:  1.  Die  von  mir  beschriebene  Radix  inferior  longa  s.  recur- 
rens, aus  dem  Nervus  naso-dliaris  jenseits  des  Sehnerven,  oder  aus  einem  freien 
Ciliarnerven  stammend.  Sie  läuft  unter  dem  Nervus  opticus  zum  Ciliarganglion 
zurück,  und  bildet  mit  dem  über  ihm  liegenden  Stücke  des  Nervus  naso-ciliaris 
einen  Nervenring,  durch  welchen  der  Nervus  opticus  durchgesteckt  ist.  Häufig 
geht  sie  nicht  direct  zum  Knoten,  sondern  zum  innersten  Nervus  ciliaris,  an  wel- 
chem sie  zum  Ganglion  ciliare  zurückläuft.  (Siehe  meine  Abhandlung:  Berichti- 
gungen über  das  Ciliarsystem  des  menschlichen  Auges,  in  den  med.  Jahrb. 
Oesterr.  28.  Bd.  1.  Stück.)  Ihr  Vorkommen  erklärt  hinlänglich  das  von  mehreren 
Autoren  beobachtete  Fehlen  der  Radix  longa,  da  beide,  als  Zweige  desselben 
Nerven,  einander  vertreten  können.  —  2.  Eine  Wurzel  aus  dem  Nervus  laery- 
malisj  welche  sich  zur  Radix  Uynya  begiebt  {Schlemm,  Obscrv.  neurol.  Berol., 
1834.  pag.  18).  —  3.  Eine  vom  Ganglion  spheno-palatinum  durch  die  Fissura  orhi- 
talis inferior  heraufkommende  Wurzel  (Tiedemann),  welche  ich  jedoch,  auf 
mikroskopische  Untersuchung  ihrer  Fasern  gestützt,  für  eine  fibröse  Trabecula 
halte,  was  von  Beck  auch  für  die  vom  Ganglion  spheno'^alatinum  zum  Stamme 
des  Sehnerven  entsandte  Anastomose  bestätigt  wurde.  —  Der  von  Otto  gesehene 
Fall,  wo  die  Radix  longa  (und  der  Nei-vus  naso-ciliaris)  aus  dem  Nervus  ahducens 
entsteht,  ist  eine  der  seltsamsten  Anomalien,  lieber  diese  Anomalien  enthält 
Weitläufiges  MüUer^s  Archiv,  1840,  und  Svüzer,  Bericht  von  einigen  nicht  häufig 
vorkommenden  Variationen  der  Augennerven,  Kopenhagen,  1846,  so  wie  Beck, 
über  die  Verbindung  des  Sehnerven  mit  dem  Augen-  und  Nasenknoten,  Heidel- 
berg, 1847. 

b)  Aeste  des  Ciliarknotens. 

Sie  heissen  Ciliarnerven^  und  gehen  ^t\.-'^' 
dem  oberen  und  unteren  Ende  des  vorc 


,814  g.  361.   QangUon  ^heruh-palatinum. 

in  zwei  Bündeln  hervor.  Das  schwächere  Bündel  geht  zwischen 
dem  Nervus  opticus  und  dem  liectus  extemusy  das  stärkere  zwischen 
Nei'vus  opticus  und  Rectus  infei'ior  zur  hinteren  Peripherie  des  Bul- 
bus, dessen  Sclerotica  sie  durchbohren,  um  zwischen  ihr  imd  Cho- 
roidea  nach  vorn  zum  Musculus  ciliaris  {Tensor  choroideae)  zu  ziehen, 
in  welchem  sie  sich  zu  einem  Geflechte  verbinden.  Aus  diesem 
Geflechte  entspringen  1.  die  eigentlichen  Irisnerven,  2.  die  Nerven 
des  Musculus  ciliaris,  und  3.  die  Homhautnerven  (Bochdalek). 

Einer  der  inneren  Ciliamerven  wird  zur  Bildun^r  des  die  Arteria  Ophthal- 
mica  umstrickenden  sympathischen  Geflechtes  einbezogen,  aus  welchem  ein  sehr 
feiner  Faden  mit  der  Arteria  centralis  retinae  in  den  Nervus  opticus  eindrin^n, 
und  sofort  zur  Retina  gelangen  soll.  Dieser  von  vielen  Seiten  angefeindete 
Faden  kann  nach  Ribes  und  Hirzel  auch  aus  dem  Ganglion  ciliare  stammen. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  desselben  weist  nur  Bindegewebe  und  Blut- 
gefässe, aber  keine  Nervenelemente,  in  ihm  nach.  —  Da  auch  aus  dem  Nervus 
,  naso-ciliaris  freie  Ciliarnerven  entstehen  (1 — 2),  welche  wie  die  aus  dem  Ganglion 
entsprungenen  Ciliarnerven  verlaufen,  so  nennt  man  erstere  Nervi  ciliares  lottgi, 
letztere  hreves.  Ein  longns  und  ein  hrevis  vereinigen  sich  zu  einem  gemein- 
schaftlichen, unter  dem  Sehnerven  verlaufenden  StUmmchen.  —  Beck  sah  vom 
Ganglion  ciliare  feine  Aestchen  zum  Rectus  inferior  treten.  Sie  waren  geifriss 
uur  Fortsetzungen  der  Fasern  der  Radix  hrevis  s.  motoria. 


§.  361.    Ganglion  spheno-palatinum. 

Der  Keilgaumen-  oder  Flügelgaumenknoten,  Ganglion 
sj)heno-  s.  pterygo-palatinum,  s.  Meckelii,  s.  rhinicum  (p'.v,  Nase)  lie^ 
von  reichlichem  Fett  umhüllt,  in  der  Tiefe  der  Fossa  pterygo-pala- 
tina,  hart  am  Foramen  spheno-palatimim.  Er  ist  2 — 3  Mal  ^össer 
als  das  Ganglion  ciliare  j  und  hängt  mit  dem  zweiten  Aste  des 
fünften  Pmires  durch  zwei  kurze  Fäden,  Nervi  pterygo-  s,  »pheno- 
palatini  (welche  die  Radix  sensitiva  des  Ganglion  darstellen)  zusam- 
men. Sein  nach  hinten  gerichtetes,  sich  zuspitzendes  Ende  wird 
vorzugsweise  aus  grauer  Ganglienmasse  gebildet,  während  sein  vor- 
derer breiter  Theil,  in  welchen  die  Nervi  pterygo-palatini  eintreten, 
nur  Spuren  grauer  Substiinz  zeigt.  Die  Aeste,  welche  von  ihm 
abgesendet  werden,  sind: 

a)  Ramuli  orbitales ,  fein  und  zart,  dringen  durch  die  untoro 
Augengnibenspalte  in  die  Orbita,  und  verlieren  sich  in  der  Peri- 
orbita. Man  hat  Reiserchen  derselben  bis  in  das  Neurilemma  net^vi 
optici  verfolgt  (Arnold,  Longet). 

Hierher  gehören  auch  zwei  Nervi  Hpheno-ethmoidales  ^  deren  Entdeckung 
wir  Luschka  verdanken.  Beide  gehen  durch  die  Fissura  orhitaiis  inferior  zur 
inneren  Augenhtthlenwand.  Der  eine  gelangt  durch  das  Foramen  eihmoitlaU  po*ti- 
ntm^  der  andere  durch  die  Naht  zwischen  Papierplatte  des  Siehbeines  und  Keil- 
bcinköq>ers  zu  den  hintersten  Siebbeinzellen  und  zum  Sinus  sphenoidalis. 


g.  961.  Oan^ion  tphrno-paUUmum.  815« 

b)  Der  Nervus  Vidianus.  Er  liegt  in  der  nach  hinten  gedach- 
ten Verlängerung  des  Ganglion.  Man  hat  ihn  lange  für  einen  ein- 
fachen Nerven  gehalten.  Er  zeigt  sich  jedoch  bei  näherer  Unter- 
suchung aus  grauen  und  weissen  Fasern  zusammengesetzt ^  welche, 
jede  Art  für  sich,  zwei  dicht  über  einander  liegende  Bündel  bilden. 
Beide  Bündel  laufen  durch  den  Vidiankanal  von  vor-  nach  rück- 
wärts, und  trennen  sich  am  hinteren  Ende  des  Kanals  von  einander. 
Das  graue  oder  untere  Bündel  geht  zu  dem,  die  Carotis  cerebralis 
vor  ihrem  Eintritt  in  den  Canalis  caroticiis  umstrickenden  sympathi- 
schen Geflecht,  oder  kommt  richtiger  von  diesem  Geflechte  zum 
Ganglion  spheno-palatinum  hinauf.  Es  wird  als  Nervus  petrosus  pro- 
fundus benannt.  Das  weisse  oder  obere  Bündel  ist  der  Nervus 
petrosus  superficialis  major.  Er  durchbohrt  die  Faserknorpelmasse, 
welche  die  Lücke  zwischen  Felsenbeinspitze,  und  Körper  des  Keil- 
beins ausfüllt  (Fibrocartilago  hasilaris)  y  gelangt  dadurch  in  die 
Schädelhöhle,  wo  er  sich  in  die  Furche  der  oberen  Fläche  des 
Felsenbeins  legt,  und  durch  sie  zum  Hiatus  canalis  Fallopiae  geführt 
wird,  um  sich  mit  dem  Knie  des  Communicans  faciei  zu  verbinden. 
So  lautet  die  gewöhnliche  anatomische  Beschreibung.  Nach  unserem 
Dafürhalten  dagegen  besteht  der  Nervus  petrosus  superficialis  major 
theils  aus  Fasern,  welche  vom  Ganglion  spheno-palatinum  zimi  Com- 
municans ziehen,  um  diesem  sensitive  Fasern  zuzuführen,  theils  aus 
solchen,  welche  umgekehrt  vom  Communicans  zum  Ganglion  spheno- 
palatinum  herüberkommen,  und  es  ermöglichen,  dass  die  weiter 
unten  zu  erwähnenden  (f)  Nervi  palatini  descendentes  auch  gewisse 
Gaumenmuskeln  versorgen  können.  Die  Verbindung  zwischen  Gan- 
glion spheno-palatinum  und  Communicans  ist  also  eine  Anastomosis 
mutua  (§.  363).  Dieser  Anschauung  zufolge  wäre  der  Net^vus  Vidia- 
nus  nicht  so  sehr  ein  Ast,  als  vielmehr  eine  Wurzel  des  Ganglion 
spheiio-palatinumj  und  zwar  die  vereinigte  motorische  (grössere  Menge 
der  Fasern  des  oberen  weissen  Bündels)  und  trophische  oder  sympa- 
thische (unteres  graues  Bündel). 

c)  Die  Rami  phain/ngei  sind  an  Zahl,  Stärke  und  Ursprung 
nicht  immer  gleich.  Oft  ist  nur  einer  vorhanden,  welcher  von  dem 
unteren  grauen  Bündel  des  Nervus  Vidianus  abgeht. 

Sie  begeben  sich  in  einer  Furche  der  unteren  Fläche  des  Keilbeinkörpers, 
welche  durch  den  Keilbeinfortsatz  des  Gaumenbeins  zu  einem  Kanal  geschlossen 
wird,  nach  hinten  zur  Schleimhaut  der  obersten  Rachenpartie.  —  Der  erwähnte 
Kanal  an  der  unteren  Fläche  des  Keilbeinkörpers  heisst  bei  den  Autoren :  Canalis 
pierygo-palatirms.  Ich  verwerfe  diese  Benennung,  da  sie  bereits  an  den  Canalis 
pcUatinus  descendens  vergeben  ist,  und  gebrauche  statt  ihr  den  richtigeren  Aus- 
druck :  Canalis  spheno-paUüinus, 

d)  Die  2 — 3  Nervi  septi  narium  ziehen  durch  das  Foramen 
spheno-palatinum  zur  oberen  Wand  der  Choanae  und  zur  Naaen- 
scheidewand.     Einer    von    ihnen    ist    durch 


316   ■  §.361.  GangUoH  *pheno-pal(Uifutin. 

ausgezeichnet.  Er  geht  längs  der  Nasenscheidewand  nach  vorn  und 
unten  zum  CanaUa  naso-palatinus ,  in  welchem  er  sich  mit  dem  der 
anderen  Seite  verbindet,  und  durch  welchen  er  zur  vorderen  Partie 
des  harten  Gaumens,  so  wie  zum  Zahnfleisch  der  Schneidezähne 
gelangt*).  Dieses  Verlaufes  wegen ^  wird  er  durch  den  Namen 
Neiinis  naso-palatiniut  Scarpae  vor  den  übrigen  Nasenscheidewand- 
nerven  ausgezeichnet. 

Cloquet  hat  an  der  Verbindungsstelle  beider  Nerven  im  Oanalii  naio- 
paUUintis  ein  Ganglion  beschrieben,  welches  er  Ganglion  nato-palatinum  nannte. 
Dieses  Ganglion  existirt  nicht  Cloquet  wurde  dadurch  getfiuscht,  dass  er  die 
dicke  härtliclie  Wand  des  häutigen  Ductus  nato-pctUUinu»  fiir  ein  Ganglion  aniib. 

Der  von  Scarpa  1785  zuerst  beschriebene  Nervus  naso-paUUvnu$  (Anno- 
tntiones  anat.  Hb.  II.)  war  schon  älteren  Anatomen  bekannt  Scarpa  erwibnt 
selbst,  dass,  als  seine  Abhandlung  druckfertig  war,  er  eine  von  Cotugno, 
24  Jahre  früher  angefertigte  Tafel  zur  Hand  bekam ,  welche  den  Verlauf  diewi 
Nerven  darstellte.  John  Hunter  hatte  ebenfalls  den  Nervus  nato-paUitmi 
schon  1754  al)gebildet,  bediente  sich  der  Abbildung  bei  seinen  Demonstrationen, 
und  zeigte  sie  1782  dem  in  London  anwesenden  Scarpa,  welcher  somit  kein 
anderes  Verdienst  zii  haben  scheint,  als  der  Entdeckung  Anderer  einen  Namen 
gegeben  zu  haben. 

e)  Die  Nervt  nasales  posteriores y  nach  Arnold  4 — 5  an  ZaM^ 
sind  fUr  die  zwei  Siebbeinmuscheln  und  den  hinteren  Bezirk  der 
äusseren  Wand  der  Nasenhöhle  bestimmt.  Man  theilt  sie  in  die 
oberen  (2 — 3),  den  mittleren,  und  unteren  ein.  Der  mittlere 
bildet  die  oben  (§.  356,  d)  erwähnte  Verbindung  mit  dem  Ganglion 
des  Plfxns  deiitalis  siipeiüor.  Die  oberen  gelangen  durch  das  Fora- 
vien  spheno-palatmum  in  die  Nasenhöhle.  Der  mittlere  und  untere 
begleiten  die  gleich  zu  erwähnenden  Nervi  palatini-descendenteSy  und 
zweigen  sich  während  ihres  absteigenden  Verlaufes  durch  den  Ca- 
nalis  palatinus  anterior^  zur  mittleren  und  unteren  Nasenmuschel 
von  ihm  ab. 

f)  Die  NetTi  palatini  descendenteSy  drei  an  Zahl,  steigen  durch 
den  in  drei  Arme  getheilten  Canalis  palatinus  d^scend^ns  zum 
Gaumen  herab.  Durch  die  Foramina  palatina  postica  aus  den  ge- 
nannten Kanälen  hervorkommend,  versorgen  sie  den  weichen  und 
harten  Gaumen,  das  Zäpfchen,  den  Levatoi*  palati  und  Azygos  uvulae. 
Der  stärkste  von  den  dreien  ist  der  Nervus  palatinus  anterior.  Er 
verbreitet  sich  in  der  Schleimhaut  des  harten  Gaumens  bis  zu  den 
Schneidezähnen  hin,  wo  er  mit  dem  Nervus  naso-palatinus  Scarpae 
anastomosirt. 

*)  So  hcisst  es  allgemein.  Scarpa  erwähnt  aber  ausdrücklich,  dass  die 
beiden  Net^  naso-palatini  nicht  durch  den  Canalis  naso-palatinus,  sondern  durch 
besondere  Kanälchen  in  der  Sutur  der  beiderseitigen  Processus  palatini  zum  harten 
Gaumen  gelangen.  Beide  Kanälchen  liegen  nicht  neben,  sondern  hinter  einander. 
Der  linke  Nerv  geht  durch  das  vordere,  der  rechte  durch  das  hintere  Kan&lchen. 
(Annot  anat.  Hb.  II.  cap.  ö.) 


§.  362.  GanglUm  »upramaxiUare.,  otieum,  ti  »uhmaxaiaTt.  817 

Da  der  zweite  QnintusaRt  Rensitiv  ist,  so  können  die  von  den  Nei'vi  pala- 
fini  dMcendentes  zn  gewissen  Qaumenmuskeln  abgesandten  Zweige,  nur  durch 
eine  Anastoniosis  recfiptiouM  von  einem  motorischen  Hirnnerv  erborgt  sein.  Dieser 
Hirnnerv  ist,  wie  früher  gesagt,  der  Communicans,  welcher  in  der  Bahn  des 
Nei^v/i  petronta  superßcialU  major  dem  Ganglion  »pkeno-palatinum  motorische 
Elemente  zuschickt.  —  Die  Nervi  ttepii  narivm  und  nanaleji  posteriores  sind  wirk- 
liche Verlängenmgen  der  ans  dem  zweiten  Aste  des  Quintus  stammenden  sensi- 
tiven Wurzeln  des  GangHon  ^ipheno-palalinum  (Nervi  ftpheno-palxitini).  —  Versucht 
man,  die  Wurzeln  unseres  Ganglions  mit  jenen  des  Ganglion  ciliare  in  eine 
Parallele  zu  stellen,  so  wären  die  Nervi  »pheno-palalini  die  sensitiven  Wur- 
zeln desselben ,  der  im  oberen  weissen  Büschel  des  Nervus  Vidianns  ent- 
haltene Faserantheil  des  Communicans  die  motorische,  und  der  graue  Nervus 
petrosus  profimdns  die  sympathische  oder  trophische  Wurzel  des  Ganglion  spheno- 
palatinnm. 


§.  362.   Gcmglion  supramaxillare,  oticum^  et  mhm.axillare. 

Das  Ganglion  supramaxillare  wurde  schon  (§.  356,  d)  beschrie- 
ben. Zuweilen  findet  sich  noch  ein  hinteres  im  Plexus  dentnlis 
sitperim',  und  Bochdalek  hat  noch  kleinere  Ganglien  abgebildet, 
welche  in  die,  die  Zwischenwände  der  Zahnzellen  durchziehenden 
Nervengeflechte  eingesenkt  sind.  Oefters  hat  das  Ganglion  das  An- 
sehen eines  feingenetzten  Plexus,  wie  an  einem  von  Bochdalek 
dem  Wiener  anatomischen  Museum  geschenkten,  überaus  schönen 
Präparate  zu  sehen  ist. 

Arnold  bestreitet  mit  scharfen  Waffen  die  Existenz  dieses  Oanglions, 
und  erklärt  es  fUr  ein  Geflecht,  ohne  Beimischung  von  Ganglienzellen  (Hand- 
buch der  Anat.  2.  Bd.  pag.  892). 

Das  Ganglion  oticum  s,  Arnoldi,  der  Ohrknoten,  eine  der 
schönsten  Entdeckungen  der  neueren  Neurotomie,  hegt  knapp  unter 
dem  Foramen  ovale  an  der  inneren  Seite  des  dritten  Quintusastes, 
mit  welchem  er  durch  kurze  Fädchen  (Radix  hrevis,  Arnold)  ver- 
einigt ist^  hinter  der  Arteria  meningea  media j  und  an  der  äusseren 
Seite  des  Tensor  palati  mollis.  Er  ist  länglich-oval,  2'"  lang,  sehr 
platt,  gelblich-grau,  und  von  weicher  Consistenz.  Er  wird  vom 
Nei^us  ptei^goideas  inteniius  j  und  von  jenem  Aste  desselben  durch- 
bohrt, welcher  zum  Tensor  j)alati  mollis  geht.  Beide  lassen  Fäden 
im  Ganglion,  welche  als  dessen  motorische  Wurzel  gelten  können, 
während  die  Radix  brevis,  aus  dem  Stamme  des  Ttamns  tei^tius  quinti, 
die  sensitive,  und  der  gleich  unten  in  e)  erwähnte  Faden,  die  Radix 
trophica  s,  sympathica  repräsentiren.  Es  mag  diese  Ansicht  gezwun- 
gen erscheinen,  —  aber  angreifbar  ist  sie  nicht,  —  somit  auch  nicht 
widerlegbar.  —  Die  Vivisectionsmame  {Fwor  excrudandi)  hat  das 
Ganglion  oticum  bisher  verschont.  '»'•**  ^« 

der  Zukunft  nicht  beli8ti| 

Hyril,  Lakrbadi  te 


318  5*  ^'-   Ga$tglion  «uprtnMxiüaret  otieum,  ^  Mubwuucfflart. 

Die  Constanten  Aeste  des  Ganglion  oticum  sind: 

a)  Der  Nervus  ad  tensoreni  tympani.  Er  gelangt  über  der 
knöchernen  Ohii;rompete  zum  Spannmuskel  des  Trommelfells. 

b)  Der  Nervus  petrosus  superficialis  minor  geht  durch  ein  eige- 
nes Kanälchen  des  grossen  Keilbeinflügels  hart  am  Foramen  »pinosum 
in  die  Schädelhöhle,  und  in  Gesellschaft  des  Nervus  petrosus  super- 
ficialis  major  zum  Knie  des  Fallopischen  Kanals,  wo  er  sich  in  iwei 
Zweigchen  thcilt,  deren  eines  sich  zum  Nervus  communtcans  facifi 
gesellt  (am  Ganglion  geniculi),  deren  zweites  unter  dem  Semicamtis 
tensoi^is  tympani  in  die  Paukenhöhle  herabsteigt,  um  sich  mit  dem 
Nervus  Jacohsonii  (§.  365)  zu  verbinden. 

c)  Ein  Verstärkungszweig  zum  Nervtts  ad  tensorem  veU  paJaiini 
(§.  357  I.  d,  e). 

d)  Verbindungszweige  zum  Ohrmuschelast  des  Nervus  auricHlo- 
temporalis. 

e)  Ein  Faden  zu  den  sympathischen  Nervengeflechten  um  die 
Arteria  maxillarü  interna  und  meningea  media.  Wir  fassen  ihn  rich- 
tiger als  Radix  trophica  des  Ohrknotens  auf. 

Mehr  weniger  nicht  ganz  sicher  gestellte  Verbindungsfäden  des  Ganglum 
oticum  mit  anderen  Nerven  sind:  a)  zur  Chorda  tympaniy  ß)  zum  Nervus  petron» 
profundus^  y)  ^um  Ganglion  Oasserty  dnrch  den  Canalinifiu  sphenoidalif  extatau 
(Faesebock). 

Die  Beziehung  dos  Ganc/Hon  oticum  zum  Mitsciilufi  tenftor  tympani^  and  die 
von  dem  Entdecker  des  Knotens  ausgesprochene  Ansicht,  dass  der  Servu»  ad 
tensorem  tt/mjjaiii  durch  Reflex,  (üontractionen  dieses  Muskels,  und  dadurch  ver- 
mehrte Spannung  des  Trommelfells  bedingt,  wodurch  die  Grösse  seiner  Excur- 
sionen  bei  intensiven  Schallschwingungen  verringert  werden  soll,  veranlasste  die 
Benennung  „Ohrknoten''.  R,  Wagner^  über  einige  neuere  Entdeckungen  {Gan- 
glion oficum)y  in  Ilensinger's  Zeitschrift.  Bd.  3.  —  F.  Schlemm^  in  Froriep's  Noti- 
zen. 1831.  Nr.  660.  —   ./.  Müller,  über  den  Ohrknoten,  in  MeckeVn  Archiv.  1832. 

Das  (ranglion  suhmaxillare  s.  Uiignale  hat  häufig  nur  die  Form 
eines  Plexus  gnngliosns.  Es  liegt  nahe  am  Stamme  des  Nervus  lin- 
guaUsj  oberhalb  der  Glandula  suhmamllaris,  —  Obwohl  kleiner  als 
das  Ganglion  ciliarej  verhält  es  sich  doch,  hinsichtHch  seiner  Wurzeln, 
jenem  analog,  indem  es  1.  von  den  sensitiven  Fasern  des  Nemis 
lingualis,  2.  von  den  motorischen  der  Chorda  tympani,  und  3.  von 
den  die  Artei'ia  maxillaris  exteinia  umspinnenden  sympathischen  Ge- 
flechten seine  Wurzeln  bezieht.  Die  Aeste  des  Knotens  gehören  den 
Acini  der  Glandula  suhmaxillaris ,  umstricken  und  begleiten  den 
Ductus  Whartonianus  bis  zur  Mundsclilcimhaut,  oder  gesellen  sich 
zum  Nervus  lingualis,  um  mit  diesem  zur  Zunge  zu  gehen.  Der 
copiösere  Speichclzufluss  auf  Reizung  der  Mundschleimhaut  durch 
scharfe  oder  gewürzte  Speisen,  lässt  sich  als  Reflexwirkung  an- 
sehen,   durch   welche    der    chemische   Reiz    diluirt   werden  soll,  und 


S.  363.   Siebent«!  Paar.  819 

das  Ganglion  steht  somit  zum  Geschmacksinn  in  demselben  Bezüge^ 
wie  das  Ganglion  ciliare  und  oticum  zu  ihren  betreffenden  Sinnes- 
werkzeugen. 

Die  neuere  Literatur  der  Ganglien  des  Quintus,  ist  durch  Arnold*8  Lei- 
stungen über  den  Ohrknoten,  Heidelb.,  1828.  4.,  und  durch  Bochdalek's  schöne 
Entdeckungen  der  Ganglien  im  Oberkieferknochen  (Oesterr.  med.  Jahrb.  19.  Bd.) 
besonders  ausgezeichnet.  Ueber  einzelne  Ganglien  am  Quintus  handeln  noch  ins- 
besondere: L,  Hirzel,  diss.  sistens  nexum  nervi  sympath.  cum  nervis  cerebralibus. 
Heidelb.,  1824.  4.  —  F,  Tiedemann,  über  den  Antheil  des  sympathischen  Nerven 
an  den  Verrichtungen  der  Sinne.  —  J.  O.  Varrentrapp,  de  parte  cephalica  nervi 
sympathici.  Francof.,  1832.  —  Benz,  de  anastomosi  Jacobsonii  et  ganglio  Arnoldi. 
Hafniae,  1833.  —  H.  Hom,  gangliorum  capitis  glandulas  omantium  expositio. 
Wirceb.,  1840.  —  Valentin  in  Müllers  Arch.  1840.  —  Orosj  description  nonvelle 
du  Ganglion  spheno-palatin.  Gaz.  med.  de  Paris,  1848.  Nr.  12.  24.  (Die  neue 
Beschreibung  enthält  aber  nur  Altes). 


§.  363.   Siebentes  Paar. 

Das  siebente  Paar,  der  Antlitznerv,  Net^uus  communicans 
fojdel  s,  facialis^  tritt  am  hinteren  Rande  des  Pons  Varolij  auswärts 
der  Oliven,  vom  Stamme  des  verlängerten  Markes  ab,  mit  zwei 
Wurzeln,  von  denen  die  vordere,  grössere,  aus  dem  Corptis  resti- 
fm^mej  die  hintere,  kleinere,  als  Portio  intermedia  Wrisbergii  *)  aus 
dem  Boden  der  vierten  Kammer  entspringt.  Beide  Wurzeln  legen 
sich  in  eine  Rinne  des  Nervus  acusticus^  scheinen  mit  diesem  nur 
Einen  Nerven  auszumachen,  und  wurden  auch  früher  als  Portio 
dura,  —  der  Nervus  acitsticns  dagegen  als  Portio  mollis  paris  septimi 
benannt.  Im  inneren  Gehörgange  anastomosirt  die  Poi'tio  Wrisbergii 
durch  zwei  feine  Reiserchen  mit  dem  Nervus  acusticus.  Am  Grunde 
des  Gehörganges  trennt  sich  der  Communicans  vom  Acusticus,  be- 
tritt den  Canalis  Fallopiae,  und  schwillt  am  Knie  desselben,  nur 
mit  einem  Theil  seiner  Fasern,  zum  Ganglion  geniculi  s.  Intumescentia 
gangliiformis  an.  Dieses  Ganglion  verbindet  sich  mit  dem  Nerwu« 
petrosns  superficialis  major,  mit  einem  Theil  des  minoi%  und  erhält 
Constanten  Zuzug  von  dem  sympathischen  Geflecht  um  die  Arteria 
meningea  media  herum.  Vom  Geniculum  an,  schlägt  der  Communi- 
cans, über  der  Fenestra  ovalis  der  Trommelhöhle,  die  Richtung  nach 
hinten  ein,  und  krümmt  sich  dann  im  Bogen  hinter  der  Eminentia 
pyramidalis  zum  Griffel- Warzenloch  herab.  In  diesem  letzten  Ab- 
schnitt seines  Verlaufes  im  Felsenbein,  verbindet  er  sich  durch  zwei 
Fäden  mit  dem  Ramus  auricularis  nervi  vagi. 


*)  Da  man  nämlich  vor  Sommer  ring  den  Nerout  faoiaUt  and  ^ 
»ticu9  als  siebentes  Paar  zusammenfasste,   indem  beide  in  <**" 
intemu»  treten,  so  musste   die  Wrisbergische  Wnrsel  ili  f^ 
Paares  angesehen  werden. 


820  §•  S63.  Siebente  Paar. 

Ucber  die  Anastomosen  des  Acusticus  mit  dem  Communicans  handelt  weit- 
läufig Arnold,  und  besonders  Beck  (s.  Literatur  dieses  Para^raphes).  —  Bild 
hinter  dem  Genicuhim  sendet   der   Communicans  zwei  Aeste  ab.  Beide  verUafen 
in  der  Seheide  des  Communicans  noch  eine  Strecke  weit    Vis-A-vis  der  Emnfti- 
tia  pi/ramidalia   der  Trommelhöhle  trennt  sich    der   kleinere  derselben  von  ihm, 
und  geht  zum  Mu^cidtu  stapedius.    Ueber   dem    Foramen  »tylo-mastoideum  verllMt 
ihn   auch    der  zweite,   und    geht   als  Chorda  tympani  durch  den,  nahe  am  Trom- 
melfell   unter   der    Evunentia    2)t/ramidalu    in    die    Trommelhöhle    einmündenden 
(Janaliculns  chordae  in  die  Paukenhöhle,    schiebt  sich  zwischen  Manubrium  malifi 
und  Ott*  longum  inctidis  durch,   verlässt    die  Pauke  durch  die  Glaserspalte,  und 
krümmt  sich  zum  Nervus  lingualU  herab,  in   dessen  Scheide  er  weiter  zieht,  um 
theils  bei  ihm  zu  bleiben,  theils  als  motorisches  Element  in  das  ÖangUon  nkhma- 
onilare  tiberzusetzen.  Der  Einfiuss  des  Communicans  auf  die  Speichelsecretion  in 
der  Glandula  suhmaxillaris^   ist  durch  V^ersuche  über  allen   Zweifel  sichergestellt 

Durch  die,  im  Nervus  petrotnia  auperficialU  major^  vom  Communicans  znm 
Ganglion  sjihenopalatinum  wandernden  Fasern,  wird  es  erklSrlich,  dass  das  Gm- 
glion  sphenopalaiinum,  welches  dem  sensitiven  Ranuu  secundtu  quinti  parit  auf- 
hört, in  der  Bahn  der  Nervi  palatini  deacendenies  auch  motorische  Aeste  za  ge- 
wissen Muskeln  des  Gaumens  (Levator  palati^  und  Azygoa  uwlae)  entsenden  kann, 
und  bei  einseitiger  Lähmung  des  Facialis,  das  Zäpfchen  eine  Abweichung  nach 
der  gesunden  Kopfseite  zeigt. 

Nach  seinem  Austritte  aus  dem  Foramen  atylo-mastoideum  zwei- 
gen sich  von  ihm  folgende  drei  Aeste  ab: 

a)  Der  Nervus  auricularis  posterior'  profundus,  welcher  mit  dem 
Ramus  auriadarls  nei'vi  vagi,  und  mit  den  von  den  oberen  Hals- 
nerven stammenden  Nei^vus  auricularis  ma^/mis  und  occipifaUs  minor 
anastomosirt,  den  Refrahens  aurlculae  sammt  dem  Musculus  occipi- 
faUs betheilt,  und  in  dem  Hautüberzug  der  convexen  Fläche  der 
Ohrmuschel,  so  wie  in  der  Ilinterhauptshaut,  sich  verliert. 

b)  Der  Nervus  stylo-hyoidens  und  digastricus  postenor  ftlr  die 
gleichlautenden  Muskeln. 

c)  Die  Rami  anastomotici  zum  Ramus  auriculo'temjtoralis  des 
dritten  Quintusastes.  Es  sind  ihrer  gewöhnlich  zwei,  welche  die 
Arteria  temporalis  umfassen,  und  eigentlich  sensitive  Fasern  des 
Quintus  in  die  motorische  Bahn  des  Communicans  hintlberleiten. 

Um  zu  den  Antlitzmuskeln  zu  kommen,  durchbohrt  nun  der 
Communicans,  in  einen  oberen  und  unteren  Ast  gespalten,  die  Pa- 
rotis. Jeder  derselben  theilt  den  Acini  dieser  Drüse  und  iiiren  Aus- 
führungsgängen feinste  Zweige  mit  (Ramuli  parotidei),  welche  jedoch 
von  Arnold  nicht  zugestanden  werden.  In  der  Substanz  der  Parotis 
lösen  sich  beide  Aeste  des  (Jommunicans  in  8 — 10  Aeste  auf,  welche 
durch  bogenförmige  oder  spitzige,  auf  dem  Masseter  aufliegende 
Anastomosen  den  grossen  Gänse fuss,  Pes  anserinu^  major,  bil- 
den, und  in  folgende  Strahlungen  zerfallen: 

a)  Rami  temporo-frontalrs,  2 — 3  über  den  Jochbogen  aufstei- 
gende feine  Aeste,  welche  mit  dem  Nervus  auriculo-temporalis,  den 
Nervis  temporalihus  profundis,   dem   Stirn-  und   Thränennerven  ami- 


§.  S63.  Siebentes  Paar.  821 

stomosiren,  und  dem  Attrahens  und  Levator  auriculae,  Temparalis, 
Orbicularts  palpebrarum,  und  Corrugatoi"  supei^cilii  Bewegungsfasem 
mittheilen. 

b)  Rami  zygomaticij  welche  parallel  mit  der  Arteria  transversa 
faciei  zur  Jochbeingegend  ziehen,  um  mit  dem  Nervus  zygomaticus 
malae,  lacrymalis,  und  infraorhitalis  sich  zu  verbinden,  und  den 
Musculus  zygomaticus j  orhumlarisj  levator  labii  superioris  et  alae  nasi 
zu  versehen. 

c)  Rami  buccalesy  welche  mit  dem  Nervus  infraor^bitalis  und 
buccinatorius  des  fünften  Nervenpaares  anastomosiren,  und  die 
Muskeln  der  Oberlippe  und  der  Nase  betheilen. 

d)  Rami  subcutanei  maxillae  inferim^is,  zwei  mit  dem  Nervus 
buccinatorius  und  mentalis  des  fünften  Paares  anastomosirende  Aeste, 
für  die  Muskeln  der  Unterlippe. 

e)  Nervus  subcutaneus  colli  superior,  welcher  sich  mit  dem  Ner- 
vus subcutaneus  colli  medius,  und  auHcularis  magnus  aus  dem  Plexus 
cervicalis  verbindet,  und  im  Platysma  myoides  untergeht. 

Die  Anastomosen  des  Communicaru  faciei  mit  anderen  Gesichtsnerven  sind 
nicht  blos  auf  seine  grösseren  Zweige  beschränkt.  Auch  die  zartesten  RamiHca- 
tionen  seiner  Aeste  und  Aestchen  bilden  unter  einander,  und  mit  den  Veräst- 
hingen des  Quintus,  schlingenförmige  Verbindungen,  welche  theils  die  Muskeln 
des  Antlitzes,  oder  einzelne  Bündel  derselben,  theils  die  grösseren  Blutgefässe 
des  Antlitzes,  insbesondere  die  Vena  facialis  anterior^  umgreifen,  und  sämmtlich 
so  liegen,  dass  sie  ihre  convexe  Seite  der  Medianlinie  des  Gesichtes  zukehren. 

Der  Communicans  faciei  ist  ein  rein  motorischer  Nerv.  Die  sensiblen  Fäden, 
die  er  enthält,  werden  ihm  durch  die  Anastomosen  mit  dem  Quintus  und  Vagus 
zugeführt  Seine  Durchschneidung  im  Thiorc ,  oder  seine  Unthätigkcit  durch 
pathologische  Bedingungen  im  Menschen,  erzeugt  Lähmung  sämmtlicher  Antlitz- 
muskeln —  Prosopoplegie.  Nur  die  Kaumuskeln,  welche  vom  dritten  Aste  des 
Quintus  inncrvirt  werden,  stellen  ihre  Bewegungen  nicht  ein.  —  Da  das  Spiel 
der  Gesichtsmuskeln  der  Physionomie  einen  veränderlichen  Ausdruck  verleiht, 
so  wird  der  Communicans  auch  als  mimischer  Nerv  des  Gesichtes  aufgeführt; 
und  da  die  Muskeln  der  Nase  und  der  Mundspalte  bei  leidenschaftlicher  Auf- 
regung in  convulsivische  Bewegungen  gerathen,  und  bei  den  verschiedenen  For- 
men von  Athmungsbeschwcrden  in  angestrengteste  Thätigkeit  versetzt  werden, 
führt  er  seit  Ch.  BelT«  hierauf  gerichteten  Untersuchungen,  den  physiologisch 
nicht  ganz  zu  rechtfertigenden  Namen:  Athmungs nerv  des  Gesichtes.  Dass 
jedoch  diese  Benennung  nicht  einzig  und  allein  auf  einem  geistreichen  Irrthum 
beruht,  können  die  unordentlichen,  passiven,  nicht  mehr  durch  den  Willen  zu 
regulirenden  Bewegungen  der  Nasenflügel,  der  Backen  und  Lippen,  bei  Gesichts- 
lähmungen, Apoplexien,  und  im  Todeskampf  beweisen,  wo  sie  wie  schlaffe  Lappen 
durch  den  aus-  und  einströmenden  Luftzug  mechanisch  hin  und  her  getrieben 
werden. 

J.  F.  Meckel,  von  einer  ungewöhnlichen  Erweiterung  des  Herzens  und  den 
Spannadem  (alter  Name  für  Nerven)  des  Angesichtes.  Berlin,  1776.  —  D.  F. 
Eschrichf,  de  functionibus  septimi  et  quinti  paris.  Hafn.,  1826.  —  G.  Morgantiy 
anatomia  del  ganglio  genicolato,  in  den  Annali  di  Omodei.  1846.  —  B.  Beek^  anal 
UntersQchnngen  über  das  siebente  und  neun^  QelüniiienrenMar.  ^^ 
—  X.  Calori,  suIla  corda  del  timpaiio,  In  Mein.  ^ 


822  §•  3^*  Achtes  Paar.  -  §.  365.  Neuntes  Paar. 


§.  364.  Achtes  Paar. 

Das  achte  Paar,  der  Gehörnerv,  Nervus  actiaticusj  entspringt 
aus  den  Markstreifen  des  Bodens  der  Rautengrube.  Ich  sah  diese 
Markstreifen  bei  Taubstummen  fehh»n.  Seine  Ursprungsfasem  sam- 
mebi  sich  zu  einem  weich(»n,  von  der  Arachnoidea  locker  umhüllten 
Stamm,  welclier  zwischen  der  Flocke  und  dem  Brückenann  nach 
aussen  tritt,  mit  einer  Furche  zur  Aufnahme  des  Communicans  ver- 
sehen ist,  und  mit  ilim  in  den  Meatus  auditorius  internus  eintritt,  wo 
seine  Spaltung  in  den  Schnecken-  und  Vorhofsnerven  stattfindet. 

Der  stärkere  Schnecken  nerv,   Nervus  Cochleae^  wendet  sich  nach  rorn 
und  unten  zum  TVactus  foraminuleiUuSj  dreht  seine  Fasern  etwas  schraubenförmig 
zusammen,  und  schickt  sie  durch  die   Löcherchen   des  Tractus  zur  Lamina  ipi- 
ralis,  wo  sie  nach  Corti  ein  dichtes  Geflecht  bilden,  in  welchem  ovale,  bipolare 
Ganglienzellen  vorkommen.  Wahrscheinlich  treten  die  Primitivfasem  des  Schnecken- 
nerven  durch  diese  Ganglienzellen  hindurch,  und  werden  jenseits  derselben  neuer- 
dings zu  einem  Geflechte  vereinigt,    dessen  austretende,  blasse  und  feine  Fasern 
nach  Corti  auf  der   Lamina  spiralis  membrajiacea  frei   auslaufen   sollen.    End- 
schlingen existiren  ganz  gewiss  nicht.  —  Bevor  der  Schneckennerv  zum  Traäui 
foraminulentua    gelangt,   giebt   er   den    Nervus   sacculi   heniisphaerici    ab,    welcher 
durch  die  Macula  cHhroaa  des  Recessus  sphaericus  in  den  Vorhof  und  zum  nin- 
den  Säckchen    geht.  —  Der   schwächere   Vorhofs  nerv,   Nervus   vestibuli,  liegt 
hinter  dem  vorigen.    Er  zerfällt   in   vier   Aeste,   von    welchen    der   st&rkste  zum 
Sacculus  ellipticusy  die  drei  übrigen  zu  den  Ampullen  der  drei    Canales  semidrcu- 
lares,    durch  die  betreffenden  Mactdae  cribrosae  gelangen.    Das   eigentliche  Ende 
der  Primitivfaseru  des  Vorhofsnerven  ist    unbekannt.  —  Die    Verbindungszweig« 
mit  dem  Communicans  faciei  sind  ein  oberer  und   unterer  (Arnold,  Swanj.  Er- 
sterer  kommt  aus  der  Portio    Wrishergii^  letzterer  aus  dem   Ganglion  geniaäi.  Wo 
sie  in   den   Geliömerv    eintreten,   soll   dieser   eine   gangliöse   Intumescenz   bilden 
(Arnold).  Die  ganze  Masse  des  Gehörnerven  am  Grunde  des    Meatus  auditorius 
intemuft^    welclie   sich   durch   grauröthlicho   Färbung  von   dem   Stücke   desselben 
extra  meatum  unterscheidet,  enthält  insulare  und  bipolare  GangUenkugeln,  welche 
Corti   auch    au   den   Verästlungen    des    Vorhofsnerven   beobachtete.   —  Delmasj 
recherches  sur  les  nerfs  de  Toreille.   Paris,  1834.  8. —  A.Böttcher,  observ.  micrusc. 
de  ratione,  qua  uervus  Cochleae  mammalium  terminatur.  Dorpat,   1856. 


§.  365.  Neuntes  Paar. 

Das  neunte  Paar,  der  Zungen  Schlund  köpf  nerv,  Nennu 
glosso-pharynyenfi,  ist  ein  sensitiver  Nerv  (?).  Er  entspringt  scheinbar 
vor  dem  Ursprünge  des  Vagus  und  hinter  der  Olive,  aus  dem  Cor- 
pus restiforme  des  verlängerten  Marks,  in  dessen  grauem  Kern  imui 
seinen  reellen  Ursprung  anzunehmen  geneigt  ist.  Vor  der  Flocke 
des  kleinen  Gehirns  zieht  er  zum  oberen  Umfange  des  Foramen 
Jiiyntavfjy  wird  hier  von  einer  bescmderen  Scheide  der  Dura  niater 
umgeben,  und  clurch  sie  von  dem  dicht  hinter  ihm  liegenden  Vagus, 


g.  3G5.   Neuntes  Piuur.  823 

als  dessen  Bestaudtheil  er  lange  Zeit  galt;  getrennt.  Im  Faramen 
jugvlare  bilden  seine  hinteren  Fasern  einen  kleinen,  nicht  constan- 
ten  Knoten  —  das  Ganglion  jugularey  welches  vom  ersten  Hals- 
ganglion des  Sympathicus  einen  Verbindungszweig  erhält.  Nach  dem 
Austritte  aus  dem  Loche  schwillt  er  zu  einem  zweiten,  grösseren 
und  Constanten  Knoten  an,  —  da»  Ganglion  petrosuniy  —  welches 
sich  in  die  Foasula  petrosa  des  Felsenbeins  einbettet,  und  mit  dem 
Ganglion  ce^vicale  pidmum  des  Sympathicus,  so  wie  mit  dem  Ramus 
auricularis  vagi  durch  eine,  hinter  dem  Bulbus  der  Vena  jugularis 
nach  aussen  laufende  Anastomose  zusammenliängt. 

Der  wichtigste  Ast  des  OangUon  petrosum  ist  der  Nervwt  Jacobsonii.  Die- 
ser geht  darch  ein  Kanälcheu  der  unteren  Felseubeinfläche  (zwischen  Foaaa 
jugularia  und  Anfang  des  CaneUu  caroticwt  beginnend)  senkrecht  nach  aufwärts 
in  die  Paukenhöhle,  wo  er  in  einer  Rinne  des  Promontorium  liegt  Hier  sendet 
er  ein  Aestchen  zur  Tuba  Eustachü,  ein  zweites  zur  Schleimhaut  der  Pauken- 
höhle und  erhält  von  den  carotischen  Geflechten  zwei  feine  Nervi  carotico-tym- 
panici.  Er  verbindet  sich  zuletzt,  nachdem  er  unter  dem  Semicanalia  tcnsoruf 
tympani  zur  oberen  Paukenhöhlenwand,  und  durch  ein  Löchelchen  derselben  auf 
die  vordere  obere  Fläche  des  Felsenbeins  kam,  mit  jenem  Antheile  des  Nervus 
peirosus  superficialis  minor j  welcher  nicht  an  das   Ganglion  geniculi  tritt. 

Am  Halse  legt  sich  der  Zungenschlundkopfnerv  zwischen  die 
Carotis  interiui  et  exteimaj  steigt  an  der  inneren  Seite  des  Muaouliuf 
stylo-pharyngetis  herab,  und  erzeugt: 

a)  Verbindungszweige  für  den  Vagus.  Sie  kommen  eigentlich 
vom  Vagus  zum  Glossopharyngeus,  da  letzterer  unterhalb  der  Ver- 
bindungsstelle dicker  erscheint. 

b)  Verbindungszweige  für  die  carotischen  Geflechte. 

c)  Einen  Verbindungszweig  für  den  Ramus  digastricus  und 
stylo-hyoidetis  des  Communicans  faciei.  Auch  dieser  Zweig  ist  als  vom 
Communicans  kommend,  nicht  zu  ihm  gehend,  zu  nehmen. 

d)  Einen  Muskelzweig  für  den  Musculus  stylo-pharyngeus, 

e)  Drei  oder  vier  Rami  phai'yngei  für  den  oberen  und  mitt- 
leren Riichenschnürer. 

Die  Fortsetzung  seines  Stammes  geht  zur  Zunge,  als  Ramus 
lingualis.  Er  erreicht  unter  der  Tonsilla  den  Seitenrand  der  Zun- 
genwurzel, versieht  die  Schleimhaut  des  Arcus  glosso-palatinusj  der 
Tonsilla,  des  Kehldeckels  (vordere  Seite),  imd  der  Zungenwurzel, 
und  verliert  sich  zuletzt  in  den  Papillis  vallatis.  Seine  Aeste  in  der 
Zungensubstanz  besitzen  nach  Remak  zahlreiche  mikroskopische 
Ganglien. 

Es  ist  die  Frage,  ob  der  Glossopharyngeus  von  seinem  Ursprung  an  ein 
gemischter  Nerv  ist,  oder  es  erst  durch  die  Aufnahme  von  Fasern  anderer  Him- 
nerven  wird.  Wie  überall,  wo  Vivisectionen  sich  der  Entscheidung  einer  Frage 
in  der  Functionenlehre  der  Nerven  bemSchtigen,  stehen  sich  auch  hier  swei 
feindliche  Gruppen  gegenfiber.  Arnold  and  M  flu  er  eridlrton  d*** 
ryngeus  für  einen  gemiachten  Nerv;  J.Reid,  hot 


824  S-  366.  Zehntes  Paar. 

rein  sensitiven.  Da  alle  Fasern  des  Glossopharyngeus  in  das  Ganglion  petro^um 
eingehen,  so  scheint  er  mir  ein  sensitiver  Qehirnnerv  zu  sein.  Ganglien  finden 
sich  nur  an  solchen.  Die  motorischen  Acste,  welche  er  zu  den  Kacheumuskeln 
sendet,  mögen  ihm  durch  die  Anastomose  mit  dem  (-ommunicaiis  procurirt  werden. 

Nach  Pauizza  (Ricercho  sperimentali  sopra  i  nervi.  Pavia,  1834)  und 
Valentin  (Do  funct.  nervorum.  pag.  39  und  116)  wäre  der  OIossopharyngenA 
der  wahre  Gcschmacksnerv  der  Zunge.  Die  Versuche  von  J.  Keid,  Müller, 
L  o  n  g  e  t,  sprechen  aber  dem  liamus  lingualu  vom  Quintus  speciHsche  Geschmacks- 
energien,  und  dem  Glossopharyngeus  nur  Tastempfindungen  zu.  Auch  Volk- 
mann*s  Erfahnint^eu  lauten  gegen  Panizza's  Behauptung,  welche  in  neuerer 
Zeit  durch  Stannius  wieder  eine  Stütze  erhielt.  Stannius  glaubt  auf  dem  Wege 
des  Experimentes  Panizza*s  Ansicht  bestätigt  zu  haben.  Kr  fand,  dass  junge 
Katzen,  denen  beide  Nervi  ylottsopharyngti  durchschnitten  wurden,  Milch,  welche 
mit  schwefelsaurem  Chinin  bitter  gemacht  wurde,  so  gierig,  wie  gewöhnliche 
süsse  Milch  verzehrten.  Der  Glossopharyngeus  wäre  demnach  der  Geschmacks- 
nerv  für  Bitteres.  (Wohl  gemerkt,  man  gab  ihnen  keine  süsse  Milch  zugleich 
neben  der  bitteren.  Nur  wenn  dieses  geschehen  w&re,  hätte  das  Experiment  eini- 
gen 8inn.  Was  aber  das  gequälte  Thier  empfindet,  wenn  es  Chininmilch  trinkt, 
hat  es  noch  Keinem  geklagt,  und  die  oxacte  Wissenschaft  braucht  es  auch  nicht  zu 
hören.)  Biffi  und  Morganti  fanden,  dass  die  Durchschneidung  des  Glossopha- 
ryngeus nur  die  Geschmacksempfindung  am  hinteren  Theile  der  Zunge  aufhebt, 
dass  sie  aber  an  der  Zungenspitze  verbleibt.  (Su*i  nervi  dclla  lingua.  Annali  di 
Omodei.  1846.)  Müller,  dem  ich  vollkommen  beistimme,  hält  auch  die  Gait- 
menäste  des  Quintus  für  Geschmackserregung  empfänglich.  Die  usurpirte  Würde 
des  Glossopharyngeus  als  specifischer  Geschmacksnerv  ist  also  noch  sehr  in 
Frage  gestellt.  Die  pathologischen  Data,  welche  zur  Lösung  dieser  Frage  herbei- 
gezogen werden  könnten,  sind  zu  wenig  übereinstimmend,  um  Schlüsse  darauf 
zu  basiren. 

Das  Ganglion  jugalare  des  Glossopharyngeus  wurde  von  einem  Wiener 
Anatomen,  Ehrt-nritter  (Sa[zhurger  med.  chir.  Zeitung.  1700.  4.  Bd.  pag.  ;^20i, 
zuerst  beobachtet.  Die  Präj)arate  verfertigte  er  selbst  für  das  Wiener  anato- 
mische Mu.siMim,  wo  sie  zur  Zeit  meines  Prosectorats  noch  vorhanden  waren.  K« 
wurde  von  den  Zeitgenossen  nicht  beachtet,  und  erst  durch  Job.  Müller  der 
VergesHcnheit  entrissen  (Med.  Vereinszeitung.  Berlin,  183.*J).  —  Das  (rantjHon 
petrosum  wurde  von  C.  S.  And  er  seh  (De  ncrvis  hum.  corp.  aliquibus.  P.  I. 
pag.  6)  entdeckt. 

//.  F.  Kiliariy  anat.'  Untersuchungen  über  das  neunte  Nervenpaar.  IVstli, 
1822.  —  (\  Vogt ^  über  die  F'unction  des  Nervus  lingualis  und  glosso-pharyn- 
geus.  MiiUern  Archiv.  1840.  —  John  Reid  in  Tod/Vs  Cyclopaedia  of  Aiiatoiny 
and  Physiology.  Vol.  II.  —  B.  Bfck,  Hb.  cit.  —  und  die  cursirenden  physiolo- 
gischen Handbücher,  besonders  was  confuse  Viviaectionsresultate  betrifft. 


§.  366.  Zehntes  Paar. 

Das  zehnte  Paar,  dor  horiimschwoi  fen  do  oder  Lunpen- 
Magennerv,  Xrrvus  vafjns  s,  pneitvio-ganfncufty  ist  der  einzige  Go- 
hirnnerv,  dessen  Tn^nnun^  auf  beiden  Seiten  Tod  zur  nothwendigen 
Folfce  hat.  Seine  Betheili^unf^  an  den  zum  Leben  unentbehrlichon 
Functionen  der  Atlimun^i^s-  und  Verdauungsor^ane  bedingt  seine 
relative  Wiehtigkcit. 


S.  366.  Zehntes  Paar.  825 

Er  tritt  mit  10 — 15  Wurzclstlimmclien  in  der  Furche  hinter 
der  Olive  vom  verlängerten  Marke  ab.  Arnold  verfolgte  seine 
Wurzeln  bis  in  den  grauen  Kern  der  Corpora  reMlf min lOj  St i  Hing 
bis  in  die  graue  Decklage  des  hinteren  Winkels  der  Rautengrube 
(Vaguskern).  Der  Vagus  geht  mit  dem  Nervus  glo88o-i)hai'yngeiuH  und 
recuiTena  Willisii  durch  das  Foi^amen  jugidare  aus  der  Schftdelhöhle 
heraus.  Durch  eine  besondere  Brttcke  der  harten  Hirnhaut  wird  er 
wohl  vom  ersteren,  nicht  aber  vom  letzteren  getrennt.  Sein  weit 
verbreiteter  Verästlungsplan  macht,  zur  leichteren  Uebersicht  des- 
selben, die  Eintheilung  in  einen  Hals-,  Brust-  und  Bauchtheil  noth- 
wendig.  Noch  bevor  er  die  Schäd^lhöhle  verlässt,  sendet  er  einen 
feinen  Ramus  recuiTeiis  zur  harten  Hirnhaut  der  hinteren  Sehädel- 
grube  (Arnold,  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte,  1862). 

A.  HalstheiL 

D  er  Halstheil  bildet  schon  im  Foramen  jugulare  einen  kleinen 
rundlichen  Knoten,  an  welchem,  wie  es  den  Anschein  hat,  alle  Fä- 
den des  Vagus  Theil  nehmen,  und  welcher  von  seiner  Lage  Gang- 
lion jugulare  heisst.    Er  hängt  constant   mit    dem   Ganglion    cervicale 
primnm  des  Sympathicus  durch  eine  graue    Anastomose    zusammen. 
Sein  Bau  stimmt   mit  jenem    der   Spinalganglien   überein,   d.  h.  die 
Fasern  des   Vagus   treten    zwischen  den  Ganglienzellen   durch,   und 
werden  durch  neue,  aus  den    meist   unipolaren    Ganglienzellen   ent- 
springende Fasern  vermehrt.  Unterhalb  dem  Foramen  jugulare  schwillt 
der  Vagus  durch  Aufiiahme  von  Verbindungsästen    von   benachbar- 
ten Nerven  des  Halses  {Recurrens  Willisii,  HypoglossuSj  und  den  zwei 
ersten  Spinalnerven)  zu  dem  ungefähr  y^"  langen,   und  2'"  dicken, 
spindelförmigen,  mit  gi'auer  Substanz  infiltrirten  Knotengeflecht, 
Plexus  nodosus  s,  gangliifoi^nis  Meckelii,  an,  unter  welchem  er  wieder 
dünner  wird,  und  zwischen  Carotis  communis   und   Jugularis   interna 
zur  oberen  Brustapertur  herabläuft.    Er  giebt   und   erhält   folgende 
Zweige : 

a)  Kamus  auricularis  vagi.  Dieser  von  Arnold  zuerst  im 
Menschen  aufgefundene  Ast  des  Vagus,  entspringt  aus  dem  Gang- 
lion jugulare  y  oder  dicht  unter  ihm  aus  dem  Vagusstamme.  Er 
verstärkt  sich  durch  einen  Verbindungszweig  vom  Ganglion  petro- 
sum,  geht  in  der  Fossa  jugularis  des  Schläfebeins  um  die  hintere 
Peripherie  des  Bulbus  der  Drosselader  herum,  tritt  durch  eine  be- 
sondere OefFnung  in  der  hinteren  Wand  der  Fossa  jugularis  in  das 
Endstück  des  Fallopischen  Kanals,  kreuzt  sich  daselbst  mit  dem 
Communicans,  und  verbindet  sich  mit  ihm  durch  2  Fäden,  dringt 
dann  durch  den  Canalicfdus  maaioideua  hinter   dem   '^  ^ 

hervor^  und  zerfällt  in  aswei  Zweige,   der^' 


826  §.  S<;6.  Zehniea  Pur. 

auricularis  pi'ofundvs  vom  Communicans  sich  verbindet,  der  andere 
sich  in  der  Auskleidungshaut  der  hinteren  Wand  des  Meaba  audi- 
torius  extemus  verliert. 

b)  Verbindungsäste  vom  Netn^us  recurrens  WiUisii  und  Hypo- 
glo88ti8.  Durch  sie  erhält  der  Vagus,  welcher  vorzugsweise  als  sen- 
sitiver Nerv  entsprang,  motorische  Fasern  zugeftihrt,  die  er  später 
wieder  theils  zum  Glossopharyngeus  sendet,  theils  als  Bami  pharyn- 
gel  und  hii/ngei  von  sieh  entlässt,  wodurch  die  Stelle  des  Vagus, 
welche  zwischen  Aufnahme  und  Abgabe  dieser  motorischen  Ffiden 
liegt,  dicker  sein  muss,  und  zugleich  einem  Geflechte  ähnlich  wird 
(Plexus  nodosus), 

c)  Verbindungsäste  zum  Ganglion  cervicale  primum  des  Sym- 
pathicus,  und  zum  Plexus  nervwuvi  cefvicalinm,  Sie  kommen  aus 
dem  Plexus  nodosus^  so  wie  d)  und  e). 

d)  Nei%'U8  pJiaiyngeu.s  superior  et  mfenoi'.  Zwei  aus  dem  oberen 
Theile  des  Plexus  nodosus  entspringende,  zwischen  Carotis  externa 
und  interna  zur  Seitengegend  des  Pharj'nx  laufende  Aeste,  welche 
sich  mit  den  Jimnis  pharyngeis  des  Glossopharyngeus  und  des  oberen 
Halsgauglion  des  Sympathicus,  zu  einem  die  Arteria  pharyngea  atscen- 
dens  umgebenden  Geflecht  (Plexus  pharyngeus)  verbinden,  dessen 
Aeste  die  Muskeln  und  die  Schleimhaut  des  Rachens  versorgen. 

Arnold  erwähnt,  da«8  der  Neroiui  pharyngeus  inferior  anch  F&den  in  den 
Levator  palati  moUin  und  Azyyon  uvulae  gelangen  läAftt.  Der  Ast  zum  Levoinr 
palati  wurdo,  durch  Wolfer t  (De  nervo  niusculi  levatoris  palati,  Berol.  1865) 
bestütigt. 

e)  Nervus  laryngeus   superior.     Er  tritt  aus  dem  unteren  Ende 
des  Knotengeflechtes  liervor,  geht  an  der  inneren  Seite  der  Carotis 
inteinia    zum    Kehlkopf   herab,    und    tlieilt  sich    in  einen  Ramus  ex- 
temus   und  internus.     Der   extiniius   sendet  zuweilen    einen    Verstär- 
kiingsfaden  zum  Xcri-us  cardiacus   longus   des    ersten    sympathischen 
Halsganglion,    und    endet   im  Musculus   constrictoi'  phainjngis   inferior 
und  a'ico-thyreoideus.     Der  internus j    welelier    eomplicirter    ist,   folgt 
anfangs  der  Arteria  thyreoidea  superior  j   und  später  dem   als  Arteria 
laryngea  bekannten  Zweige    derselben ,    tritt   mit    diesem    durch   die 
Membrana  hyo- thyreoidea  in  das  Innere  des  Kehlkopfes,  und  versorgt 
die    hintere    Fläche    des    Kehldeckels    (die    vordere   ist    schon   vom 
Glossopharyngeus   verpflegt)    und    die   Schleimhaut    des    Kehlkopfes 
bis  zur  Stimmritze  herab. 

Der  innere  Ast  des  Nervus  laryngew*  nup,  scheint  nur  sensitiv  zu  sein. 
Muskeläste  von  ihm  sind  zweifelhaft.  Jene  Aeste,  welche  in  die  Verengercr  der 
Stimmritze  eintreten  (Arytaenoideus  ohliquus  und  trantverait»)  verlieren  sich  nicht 
in  ihnen,  sondern  durchbohren  sie,  um  in  dor  Schleimhaut  zu  endigen.  So  be- 
liauptet  man  wenif;:atens.  —  Der  liamvs  internus  anastomosirt  regelmässig  durch 
einen  zwischen  Schild-  und  Kinp^knorpel  herabziehenden  Faden  mit  dem  Servui 
lari/ngeus  recurrens^  so  wie,  obwohl  unconstnnt,    mit  dem  Ramu»  extemuSj    durch 


§.  366.  Zehntes  Paar.  827 

einen  feinen  Zweig,  welcher  durch  ein  unconstantes  Loch  in  der  Nähe  des 
oberen  Schildknorpelrandcs  geht  —  Dass  der  Ramus  internus  während  seines 
Verlaufes  von  der  Durchbohrungsstelle  der  Membrana  hyo-thyreoidea  bis  zur 
Basis  der  Cartüago  arytaenoidea  die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  als  Falte  auf- 
hebt, in  welcher  er  innenlicgt,  (Plica  nervi  larynget)  wurde  schon  bei  der  Be- 
schreibung des  Kehlkopfes  erwähnt^  §.  281. 

f)  Ein  constanter  Verbindungsfaden  zum  Ramm  descendens 
hypoglossij  und  mehrere  unconstante,  zum  Plexus  caroticus  inteimus. 
Der  erstere  .scheint  es  zu  sein,  welcher  den  Ramus  cardiacus  des 
Hypoglossus  bildet  (§.  369). 

g)  Zwei  bis  sechs  Rami  cardiaci  s.  Nei^vi  molles,  welche  theil- 
weise  auch  erst  aus  dem  Bruststtlck  des  Vagus  austreten,  die  Rami 
cardiaci  der  Halsganglien  des  Sympathicus  verstärken,  oder  direct 
zum  Plexus  cardiacus  herablaufen. 

B,  BrusttheiL 

Er  liegt  anfangs  in  der  oberen  Brustapertur,  hinter  der  Ve:na 
anonyma,  und  an  der  äusseren  Seite  der  Carotis  communis.  Der 
rechte  Vagus  geht  vor  dei:  Artefina  subclavia  dextra,  der  linke  vor 
dem  absteigenden  Stück  des  Aortenbogens  herab.  Jeder  tritt  dann 
an  die  hintere  Wand  des  Bronchus  seiner  Seite,  an  welche  er 
durch  kurzes  Bindegewebe  angeheftet  wird.  Unter  dem  Bronchus 
legt  sich  der  rechte  Vagus  an  die  hintere,  der  linke  an  die  vor- 
dere Seite  des  Oesophagus  (als  Chordfie  oesophageae  der  Alten),  und 
beide  dringen  mit  ihm  in  die  Bauchhiihle  ein.  Die  Aeste  des  Brust- 
theils  sind: 

a)  Der  Nei'vus  laryngeiis  recurrens.  Die  beiderseitigen  Laiyngei 
recurrentes  innerviren  die  Kehlkopfrauskeln.  Der  rechte  ist  kürzer, 
da  er  sich  schon  in  der  oberen  Brustapertur  um  die  Artei^la  sub- 
clavia dextra  nach  hinten  und  oben  herumschlägt;  der  linke  umgreift 
tiefer  unten  den  concaven  Rand  des  Aortenbogens.  Beide  Recur- 
rentes laufen  in  den  Furchen  zwischen  Luft-  und  Speiseröhre  zum 
Kehlkopf  hinauf  und  erzeugen:  Verbindungsäste  zu  den  Rami  car- 
diaci des  Ganglion  cervicale  inferius  und  medium  des  Sympathicus, 
feine  Aestchen  zum  Herzbeutel  (nach  Luschka  nur  vom  rechten 
Recurrens),  so  wie  auch  für  Trachea  und  Oesophagus. 

Nach  Absendung  dieser  Zweige  durchbohrt  jeder  Recurrens  den  unteren 
Constriclor  pharyngU  hinter  dem  unteren  Home  der  Cartüago  thyreoidea,  und 
zerfällt  in  einen  Ramus  extemus  et  internus.  Der  extemtis  versorgt  den  Thyreo- 
arytaenoideus  und  Orico-arytaenoideus  lateralis  (zuweilen  auch  den  Crico-thyreoi- 
deus)]  der  internus  anastomosirt  mit  dem  Ramus  internus  des  Laryngeus  superior^ 
und  verliert  sich  im  Musculus  trico-arytaenoideus  posticus^  arytaenoideus  obUquus 
und  transversus,  und  in  der  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  unterhalb  der  Stimmriteo. 

b)  Die  Nervi  bronchiales  anteriores  et  posteno"^ 
verketten  sich  mit  Antheilen  der  Ner^  eam 


828  §•  367.  Physiologisches  flher  den  Vagus. 

einem  Geflechte,  welches  an  der  vorderen  Wand  des  Bronchus,  als 
PlexuH  h-onchmlis  aniei'ior  zur  Lunge  geht.  Die  ^posteriores  sind 
stärker  als  die  antei'ioi'es ,  und  verweben  sich  mit  diesen  und  den 
später  anzuführenden  Zweigen  der  oberen  Brustganglien  des  Sym- 
pathicus  zum  Plexus  bi'onchinlis  poste^'iar,  welcher  die  Ramificationen 
des  Bronchus  im  Lungenparenchym  begleitet. 

Sind  die  Plexus  hronchiales  einmal  in  das  Liingengewobc  cing^egangen,  so 
heisflou  sie  Pfexti»  pulmonales.  Merkwürdig  ist,  dass  die  Nervi  bronchiales  poste- 
riores beider  Seiten  sich  so  mit  einander  verketten,  dass  jeder  Plextis  bronchiaiis, 
und  dessen  Fortsetzung  als  Plexus  pulmonalis,  Elemente  beider  Vagi  enthält. 
Die  Plextis  pulmonales  lösen  sich  in  der  Schleimhaut  und  in  den  contractilen 
Bestandtheilen  der  Bronchialverzweigungen  auf,  sind  also  gemischter  Natur.  Das« 
der  motorische  Antheil  derselben  aus  dem  Recurrens  WiUisii  stammt,  lässt  sich 
allerdings  vermuthen. 

c)  Der  Plexus  oesophageus,  durch  Spaltung  und  Verstrickung 
des  linken  und  rechten  Vagus  entstanden,  läuft  an  der  vorderen 
und  hinteren  Wand  der  Speiseröhre  herab,  und  besorgt  Schleimhaut 
und  Muskelhaut  der  Speiseröhre. 

C    BnuchtheiL 

Der  Bauchtheil  des  Vagus  besteht  nur  in  den  Fortsetzungen  des 
Plexus  oesophageus,  welcher  sich  in  den,  an  der  vorderen  und  hinte- 
ren Wand  des  Magens  unter  der  Bauchfellhaut  befindlichen  P/exns 
gnstricus  anterior  et  posterior  auflöst.  D(T  Plexus  gastricus  anterior 
sendet  zwischen  den  Blättern  des  kleinen  N(^tzes  Strahlungen  zum 
Plexus  hepaticus;  der  Plexus  gastricus  j^f^sferior  aber  ein  nicht  unan- 
sehnliches Strahlenbündel  zum  Plexus  coeliacus^  zuweilen  auch  Fasern 
zur  Milz,  zum  Pankreas,  selbst  zum  Dünndarm,  und  zur  Niere. 

F.  (r.  Theile,  de  musculis  nervisque  laryiigeis.  Jenno.  1825.  —  A.  Solin- 
ville^  anat.  disquisitio  et  dcscriptio  nervi  i)nouni(>ga8trici.  Turici,  IH'.iH.  —  A\ 
Traube,  Beitr.Hge  zur  experimentellen  Pathologie.  I?erlin,  1846.  —  Schiff\  die 
Ursache  der  Lungenverändeninp:  nach  Durchschnoidung  der  Vagi,  In  Griesinger's 
Sechswochenschrift,  7.  und  H.  Heft.  —  E.  Woff,  do  functionihus  nervi  va^^i. 
Berlin,  1856. 

§.  367.   Physiologisches  über  den  Vagus. 

Die  von  Arnold  zuerst  ausgesprochene  Ansicht,  dass  der 
Vagus,  seinem  Wurzelverhalte  nach,  ein  rein  sensitiver  Nerv^  sei, 
und  dass  er  seine  motorischen  Aeste  nur  der  Anastomose  mit  dem 
Recurrens  WiUisii  zu  verdanken  habe,  welcher  sich  zu  ihm,  wie  die 
vordere,  ganglienlose  Wurzel  des  Qumtus  zur  hinteren  verhält, 
wurde  von  Scarpa,  Bisch  off,  Valentin,  durch  Vorsuche  am 
lebenden  Thiere,  und  durch  compar.itiv  anatomische  Erfahrungen 
in  Schutz  genommen.     Nach  Müllers  und  Volkmann's  Versiehe- 


§.  367.  Physiologisches  Aber  den  Vagus.  829 

rungen  dagegen,  soll  der  Vagus  ursprünglich  schon,  wenigstens  bei 
Thieren,  motorische  Elemente  einschliessen,  welche  an  dem  Ganglion 
jugnlure  nur  vorbeigehen,  ohne  an  seiner  Bildung  zu  participiren. 
Ich  schliesse  mich  der  Ansicht  über  die  gemischte  Natur  der  Ur- 
sprungsfasern des  Vagus  an,  da  die  motorischen,  oder  doch  theil- 
weise  motorischen  Aeste  des  Vagus:  Rami  phai^yngei,  laryngeus 
siiperior  et  infeinor,  Plexus  pulmonalis,  oesopliageus  und  gastricus  zu 
zahlreich  sind,  um  allein  von  der  verhältnissmässig  schwachen  Ana- 
stompse  mit  dem  Recvn'ens  WilUsii  abgeleitet  werden  zu  können. 

Die  sensitiven  Qualitäten  des  Vagus  äussern  sich  in  Hunger  und  Durst, 
Sättigungsgefühl,  Athmungsbedürfniss,  Beklemmung,  Schmerz,  etc.  Trennung  de.<? 
Vagus  am  Halse  auf  beiden  Seiten  (Über  dem  Ursprung  des  Net'viiJt  laryngeiut 
nuperior)  ist  absolut  tödtlich.  Die  Erscheinungen,  die  man  hiebei  beobaclitet, 
erklären  die  physiologischen  Thätigkeiten  der  einzelnen  Vagusäste.  Sie  sind: 

1.  Unempfindlichkeit  der  Kehlkopf-  und  Luftröhrenschleimhaut,  und  deshalb 
Schweigen  aller  Reflexbewegungen,  z.  B.  Husten.  —  2.  Heisere,  matte  Stimme, 
oder  complete  Aphonie,  wegen  Erschlaffung  der  Stimmritzenbänder.  —  3.  Athem- 
noth,  bei  jüngeren  Thieren  bis  zur  Erstickung.  Da  der  vom  Nervus  laryngeus 
recun'ens  innervirte  CHco-arytaenoideus  posticus  die  Stimmritze  erweitert  —  eine 
Bewegung,  die  mit  jedem  Einathmen  eintritt  —  so  wird  die  Durchschneidung 
beider  Recurrentes,  oder  beider  Vagi  Über  dem  Ursprung  der  Recurrentes,  diese 
Erweiterung  aufheben.  Der  Luftstrom,  welcher  durch  den  Inspirationsact  in  den 
Kehlkopf  eindringt,  kann  dann  die  Bänder  der  Stimmritze,  besonders  wenn  diese 
schmal  ist,  wie  bei  allen  jungen  Thieren,  aneinander  drücken,  und  Erstickungstod 
verursachen,  welcher  bei  alten  Thieren,  deren  Stimmritze  weiter  ist,  nicht  so 
leicht  eintreten  wird.  —  4.  Hyperämie,  Ajioplcxie  der  liungen,  und  Infiltration 
mit  w^ässerigem  Fluiduui,  welche  dadurch  entstehen  soll,  dass,  der  Lähmung  der 
Glottis  wegen,  Speichel  und  Schleim  vom  Pharynx  in  die  Luftwege  gelangt,  und 
der  aufgehobenen  Reflexbewegung  wegen  nicht  mehr  ausgehustet  werden  kann.  — 
5.  Lähmung  des  unteren  Theiles  der  Speiseröhre ;  daher  Unvermögen  zu  schlin- 
gen, indem  das  Verschlungene  auf  halbem  Weg  stecken  bleibt,  und  durch  Er- 
brechen wieder  ausgeworfen  wird,  um,  neuerdings  verschlungen,  wiederholt  das- 
selbe Schicksal  zu  haben,  woraus  sich  die  scheinbar  grosse  Gefrässigkeit  der 
operirten  Thiere  erklärt.  —  6.  Träge  Bewegung  des  Magens,  und  dadurch  be- 
dingte unvollkommene  Durchtränkung  der  Nahrungsmittel  mit  Magensaft,  dessen 
chemische  Beschaffenheit  durch  die  Trennung  des  Vagus  nicht  verändert  werden 
soll.  —  7.  Den  Einfluss  des  Vagus  auf  die  Herzthätigkcit  hat  man  als  einen 
hemmenden  oder  regulato  rischeu  bezeichnen  zu  müssen  geglaubt.  Reizung 
des  Vagus  soll  die  Zahl  der  Herzschläge  vermindern,  und  selbst  Stillstand  des 
Herzens  bewirken  (Weber,  Budge).  Henle  hat  «in  der  Leiche  eines  geköpften 
Mörders,  15  Minuten  nach  dem  tödtlichen  Streiche,  mittelst  Durchführung  eines 
Stromes  des  Rotationsapparates  durch  den  linken  Vagus,  d;is  Herzatrium,  wel- 
ches ßO — 70  Contractionen  in  der  Minute  zeigte,  plötzlich  im  Expansionszustande 
stille  stehen  gemacht.  Stromleitung  durch  den  Sympathicus  rief  die  Bewegung 
des  Atrium  wieder  hervor.  Der  Vagus  scheint  sonach  eine  Hemmuugswirkung 
auf  die  Herzbewegung,  welche  primär  vom  Sympathicus  angeregt  wird,  zu  äussern. 
Man  ist  aber  sehr  früh  aus  diesen  schönen  Träumen  erwacht,  als  man  vernahm, 
dass  nur  intensive  Reizung  des  Vagus  die  Zahl  der  Herzschläge  vermindert, 
schwache  Reizung  desselben  aber  das  Gegentheil  bewirkt. —  Eine  bethätigende 
Einwirkung  auf  die  Bewegung  des  Dickdannt  wurde  dem  Vagus  auf  Grundlage 
zweifelhafter  Viviseetioiisreiiiltate 


830  I-  Ses.    EilftM  Pur. 


§.  368.  Eilftes  Paar. 

Das  eilfte  Paar,    der  Beinerv,    Nervus  recurrens  s,  accesiorm 
Willmi,   dessen  motorische    oder   gemischte   Natur   durch    die  con- 
tradictorisch  lautenden  Vivisectionsresultate  nichtsweniger  als  sicher 
gestellt   wurde,   hat   einen    sehr  veränderlichen,  und  selbst  auf  bei- 
den   Seiten    selten    symmetrischen    Ursprung.      Er    entspringt  vom 
Seitenstrange    des    Halsrückenmarks.      Seine    längste   Wurzel  kann 
bis  zum   siebenten   Halsuerven   herabreichen,    oder   schon  zwischen 
dem    dritten    und    vierten  entspringen.     Während  sie   zum  Foramen 
occipitis   magnum    gelangt,    zieht    sie    9 — 10    neue    Wurzelfkden  an 
sich,  und  wird  dadurch    zum  Hauptstamm   unseres  Nerven,  welcher 
zwischen  den  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  der  betreffenden  Hals- 
nerven   (xmd    hinter    dem    Ligamentum    denticulatum)     zum    grossen 
Hinterhauptloch   gelangt,    durch   dasselbe   die  Schädelhöhle    betritt, 
vom    Corpus  restiforme   seine    letzte    Ursprungswurzel   bezieht,  und 
sich  sofort  an  den  Vagus   anschliesst,    woher   sein   Name:    Accesso- 
rius  ad  par   vaguni.     Mit  dem    Vagus   krümmt  er  sich  nach  aussen 
zum  Foramen  jugulare  hin,    in  welchem  er  hinter  dem  Ganglion  ju- 
gulare  vagi  herabsteigt,   und    sich    zugleich    in  zwei  Portionen  theüt 
Die  vordere  schwächere  Portion  verbindet  sich  einfach  oder  mehr- 
fach mit  dem   Ganglion  jugulare  vagi,   und  geht   in  den  Vagus  und 
dessen  Plexus  nodosvs  über.    Sie  ist   es,   welche  in  den  motorischen 
Bahnen    des    Nmx'us  pharyngetis,    und    lai*yngeus  supei'ior   et   inferior, 
wieder    aus    dem   Vagus    hervorzukommen    scheint.     Die    hintere 
zieht  hinter  der    Vena  jngularis  interna  nach  aussen,  durchbohrt  den 
Kopfnicker   im    oberen   Drittel,   theilt   ihm    Zweige   mit,   und    bildet 
mit  Aesten    der    oberen    Hjilsnerven    ein   Geflecht,  welches  sich  nur 
im   Musculus   cuaillaris   ramificirt.   —    Der   Grund   des  sonderbaren, 
vom  Rückenmark  zum  Vagus    hinauf  strebenden  Verlaufes  des  Re- 
currens ^    scheint  mir    der   zu   sein,    dass  der  Vagus,   welcher  gleich 
nach   seinem    Austritte    aus    dem  Fcn^avien  jugulare  mehr  motorische 
Aeste  abzugeben  hat,    als   er  kraft   seines  Ursprungs  besitzt,    einen 
guten  Thcil  derselben  schon  in  der  Schädelhöhle  durch  den  Acces- 
sorius  zugeführt  erhalte. 

An  die  hintere  Wurzel  des  ersten  Halsnerven  liegt  der  Acce»9oriu9  WülUü 
fest  an,  und  nimmt  auch  nicht  selten  diese  Wurzel  gänzlich  in  seine  eigene  Scheide 
auf,  um  sie  erst  weiter  oben  wieder  von  sich  abgehen  zu  lassen.  —  Der  A<rt*- 
sorhui  Willlni  gilt  Manchen  für  die  motorische  Wurzel  des  Vagus.  Die  von  mir 
constntirte  Thatsache  des  Vorkommens  halbseitiger  Ganglien  am  Accessorius,  in 
die  ein  Theil  seiner  Fasern  übergeht,  lässt  sich  mit  der  rein  motorischen  Natur 
des  Nerven  nicht  vereinbaren.  Ganglien  kommen  nur  an  sensitiven  oder  gemisch- 
ten Hirnnerven  vor,  —  nie  an  motorischen.  Es  sind  diese  Ganglien  nicht  zu 
vcrwcchst'ln  mit  jenem,  welches  an  der  Verbindung  des  Accessorius  mit  der  hin- 


g.  869.  Zwölftes  Paar.  831 

teren  Wurzel  des  ersten  Halsnerven  vorkommt,  und  eigentlich  das  Ganglion  in- 
tervertebrale  dieses  Nerven  ist.  Die  halbseitigen  Knoten  des  Accessorius  liegen 
über  jener  Verbindungsstelle,  neben  dem  Eintritte  der  Arteria  vertebralis  in  die 
Schädelhöhle.  Sie  finden  sich  auch  in  jenen  Fällen,  wo  der  Accessorius  keinen 
Faseraustausch  mit  dem  ersten  Halsnerven  eingeht  Sehr  wichtig  für  die  theil- 
weise  sensitive  Natur  des  Accessorius  ist  der  von  Müller  (Archiv,  1834,  pag.  12. 
und  1837,  pag.  279)  beobachtete  Fall,  wo  der  Accessorius  allein  die  hintere  sen- 
sitive Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven  erzeugte.  Auch  Remak  hat  ein  Knöt- 
chen am  Accessorius  im  Foramen  jugulare  gesehen.  —  Da  nach  Trennung  des 
Nervus  accesaoHtis  die  respiratorischen  Bewegungen  des  CucuUaris  und  Sternoclei- 
domastoideus  aufliören  (Ch.  Bell),  führt  er  auch  den  Namen  Xei-vtM  retpiratoriuJt 
colli  externua  »uperior. 

J.  F,  Lohatein,  diss.  de  nervo  spinali  ad  par  vagum  accessorio.  Argent., 
1760.  —  A.  Scarpa,  comment.  de  nervo  spinali  ad  octavum  cerebri  accessorio, 
in  actis  acad.  med.  chir.  Vindob.  Tom.  I.  1788.  —  W,  Th.  Biachoß\  comment. 
de  nervi  accessorii  Willisii  auatomia  et  physiologia.  Darmst.,  1832.  —  C.  B. 
Bendzy  tractatus  de  conncxu  intcr  nervum  vagum  et  accessorium.  Hafn.,  1836. 


§.  369.  Zwölftes  Paar. 

Das  zwölfte  Paar,  der  motorische  Zungenfleischnerv,  AV- 
tms  hypoglo88U8  s.  loquens,  tritt  zwischen  Olive  und  Pyramide  vom 
veriängerten  Mark  ab,  und  wurde  von  Stilling  bis  in  den  vorde- 
ren Theil  des  grauen  Centralstranges  des  Rückenmarks  verfolgt. 
Die  Wurzelfäden,  welche  hinter  der  Wirbelarterie  zum  Foramen 
condyloidetim  anfsrius  quer  nach  aussen  ziehen,  und  zuweilen  sich 
durch  einen  Faden  von  der  hinteren  Wurzel  des  ersten  Cervical- 
nerven verstärken,  sammeln  sich  entweder  zu  einem  einfachen,  oder 
doppelten  Stamm,  welcher  durch  das  Foramen  condyloidetim  anteriiis 
aus  dem  Schädel  tritt.  Am  Halse  liegt  der  Nerv  anfangs  hinter  dem 
Vagus,  der  Carotis  interna  und  der  Vena  jugularis  intmmaj  windet 
sich  aber  bald  um  sie  nach  vorn  und  innen  herum,  bildet  also  im 
Trigonum  cetTicale  mtpeidtis  einen  vom  hinteren  Bauche  des  Biventer 
maxillae  bedeckten  Bogen  mit  nach  unten  sehender  Convexität, 
welcher  bis  zum  Zungenbeinhom  herabreicht,  dann  sich  an  dem 
Musculus  hyoglossus  nach  aufwärts  schwingt,  um  unter  den  hinteren 
Rand  des  Mylohyoideus  zu  gerathen,  wo  seine  Endäste,  welche 
theils  unter  einander,  theils  mit  den  Zweigen  des  Nervus  Ungualls 
anastomosiren,  sämmtliche  Zungenmuskeln,  so  wie  den  Genio-hyoi- 
deus  versehen. 

Bach  und  Arnold  erwähnen  einer  hogcnförmigon  Anastomose  zwischen 
dem  rechten  und  linken  Ilypogloaaua  im  Fleische  des  Oenio-hi/oideiia^  «»der  zwischen 
diesem  und  jenem  des  Oeniogloaafta,  Ich  nenne  diese  Anastomose  (welche  unter 
zehn  Fällen  einmal  vorzukommen  pflegt)  die  Anaa  avprahf/oidea  hypogloaai.  Da 
die  Fäden  der  Anaa  auprahyoidea  von  einem  Hypoylosaiia  zum  anderen  hinilber- 
biegen,  um  am  letzteren  nicht  centrifugal,  sondern  centripetal  zu  verlaufen,  geben 
sie  ein  gutes   Beispiel   der  von   mir   als    „Nerven  ohne  Knde**  beschriebenen 


832  S-  ^9.  Zwölftes  Paar. 

Nervenfasern  ab  (§.  71).    Ausföhrlicher    hierüber   handelt  mein  betreffender  Auf- 
satz in  den  Sitzungsbericliten  der  kai«.  Akad.  1865. 

Gleic.h  nach  seinem  Freiwerden  unter  dem  Foramen  coiulyloi- 
d^fmn  anfpruLs,  gebt  er  mit  dem  Ganglion  cet'vwale  primmn  des  Sym- 
pathicus,  mit  dem  Plexus  nodosus  des  Vagus,  und  mit  den  ersten 
beiden  Cervicalnerven  Verbindimgen  ein,  und  schickt  etwas  tiefer 
seinen  Ramna  cermcalis  descendens  ab.  Dieser  steigt  auf  der  Scheide 
der  grossen  Halsgefässe  herab,  und  verbindet  sich  mit  Aesten  des 
zweiten  und  dritten  Cervicalnerven  zur  Halsnervenschlinge, 
Ansa  hypocflossi,  aus  welcher  die  Herabzieher  des  Zungenbeins  und 
Kehlkopfes  mit  Zweigen  versorgt  werden.  Sehr  gewöhnlich  geht 
auch  ein  längs  der  Carotis  communis  zum  Herznervengeflecht  ver- 
laufender Ramus  cardiacus  aus  der  Ansa  hypoglos»i  ab.  Die  Stelle 
am  Halse,  bis  zu  welcher  die  Ansa  hypoghssi  herabreicht,  unter- 
liegt zahlreichen  Verschiedenheiten. 

Sehr  selten,   und   bisher   nur  von  Mayer  beobachtet  (Neue  Verh&ndL  der 
Leop.  Carol.  Acad.  Bd.  XVI.  pag.  744),  tritt  eine  mit  einem  Knötchen  veriehene 
hintere  Wurzel  des  Hypoglossus  auf,   welche   bei  mehreren  Säugethieren  normal 
zu  sein  sclieint.    —    lieber   die  motorische  Wirkung  dieses  Nerven  herrscht  kein 
Bedenken.    Seine  Durchschneidung   an   Thieren,   und  seine  Lähmung  beim  Men- 
schen,  erzeugt  jedesmal    Zungenlähmung   (Glossoplegie),    ohne    Beeinträchtigfnng 
des  Geschmacks  \nul  der  allgemeinen  Sensibilität  der  Zunge.    Die  för  den  Omo- 
uud  Sternohyoidous,   so    wie   für  den  Sternothyreoideus  und  Thyreohyoideus  in« 
der   Ansa  hypogJossi  entspringenden    Filamente,    scheinen    dem  Hypoglossus  nicht 
ah  oHgine  eigen  zu  sein,   sondern  ihm  durch  die  Anastomosen  mit  den  CervicÄl- 
norven    eingestreut    zu    werden,    da    V<>lkmann   durch    Reizung    des    ürsprong« 
dos  Hypoglossus  nie  Bewegung  dieser  Muskeln  erzielen  konnte,  wohl  aber  durch 
jene  der  Cervicalnerven. —  Die  von  Luschka  aufgefundenen  sensitiven  Zweige 
des  Hyj)Oglossus,  welche    als  Knochennerven   des   IIinterhauptbein.s,    und  als  Ve- 
nennerven des  Simis  ordpUalis  und  der  Vena  JuyularU  interna  bezeichnet  werdeu. 
stammen  sonder  Zweifel  aus  Antheilen  des  Vagus,    welche   dem  Hypoglossus  auf 
anastoniotischem    Wege    einverleibt    wurden.    Luschka,  über  die  Nervenzweige. 
welche  durch  das  Foramen   condi/loideum   anticum   in    die  Schädelhöhle  eintreten, 
in  der  Zeitschrift  für  rat.  Med.   1H63. 

Zagorski,  Nusser,  und  Swan,  beobachteten  Knötchen  an  den  Vcrist- 
lungen  des  llypoglossns.  —  Mau  kann,  dem  Ursj>runge  nach,  die  Wurzeliadeu 
(h  s  Hy[K)glos8us  mit  den  vorderen  Wurzeln  der  Kückenmarksnerven  vergleichen. 
Da  nun  der  Hypoglossus  nach  der  früher  citirten  Beobachtung  Mayer's,  auch 
eine  hintere  Wurzel  uiit  einen)  Knötchen  besitzen  kann,  so  bildet  dieser  Nerv 
dvw  sclionsteu  Uebergang  der  Hirn-  zu  den  Kückenmarksnerven,  und  erscheint, 
den  coniparativen  Beobachtungen  von  Weber,  Bischoff,  und  Büchner  zu- 
folge, eh(;r  in  die  Kategorie  der  Nervi  ftjnnales^  als  der  Nervi  cerebralen  gehiirig. 
el)eusü  wie  der  Accessorius,  dessen  Wurzeln  sich  gewiss  nur  aus  losgerissenen 
Antheilen  der  ('ervicalnerven  innerhalb  des  Rückenmarks  constniiren.  Bei  den 
Fischen  ist  der  Hypoglossus  entschieden  ein  Spinalnerv. 

C.  E.  Bachy   annot.  anat.   de  nervis   h}'poglo880  et  laryugeis.  Turici,  1836, 


S.  370.   Allfemeiner  Charakter  der  Rüekenmarksnerfen.  833 


IL    Rückenmarksnerven. 

§.  370.  Allgemeiiier  Charakter  der  Eückenmarksnerven. 

Die  Rückenmarks-  oder  Spinalnerven,  deren  31  Paare  vor- 
kommen, sind,  bis  auf  untergeordnete  Kleinigkeiten,  nach  Verlauf 
und  Vertheilung  symmetrisch  angeordnet.  Nur  höchst  selten  finden 
sich  32  Paare  (Schlemm).  Sie  werden  in  8  Halsnerven,  12  Brust- 
nerven, 5  Lendennerven,  5  B^euzbeinnerven,  und  1  oder  2  Steiss- 
beinnerven  eingetheilt.  Jeder  Spinalnerv  entspringt  mit  einer  vor- 
deren und  hinteren  Wurzel.  Die  hintere  tibertrifft,  mit  Ausnahme 
der  zwei  oberen  Halsnerven,  die  vordere  an  Stärke.  Die  Wurzeln 
bestehen  aus  mehreren  platten  Faserbündeln,  welche  am  vorderen 
und  hinteren  Rande  des  Seitenstranges  des  Rückenmarks  auftau- 
chen, von  der  Arachnoidea  nur  lose  umfasst  werden,  gegen  das 
betreffende  Foramen  intervertsbrale ,  durch  welches  sie  aus  dem 
Rückgratskanal  heraustreten,  convergiren,  und  nach  ihrem  Austritte 
zu  kurzen,  rundlichen  Stämmen  verschmelzen.  Die  hintere  Wurzel 
schwillt  im  Foramen  intervertebrale  zu  einem  Knoten  an  (Ganglion 
{ntervertebrale)y  an  dessen  vorderer  Fläche  die  vordere  Wurzel  blos 
anliegt,  ohne  Fäden  zur  Bildung  desselben  beizusteuern. 

Der  Bau  aller  Intervertebralknoton  stimmt  darin  überein,  dass  die  Fasern 
der  hinteren  Wurzel  zwischen  den  unipolaren  Ganglienzellen  der  Knoten  durch- 
gehen, ohne  mit  ihnen  sich  zu  verbinden.  Aus  den  Fortsätzen  der  Ganglienzellen 
entstehen  aber  neue  Nervenfasern,  welche  sich  zu  den  durchgehenden  hinzuge- 
sellen, und  somit  die  Summe  der  austretenden  Fasern  eines  Ganglions  grösser 
als  jene  der  eintretenden  ist. 

Die  vordere,  ganglienlose  Wurzel  ist  rein  motorisch,  die 
hintere  sensitiv.  Haben  sich  beide  Wurzeln  jenseits  des  Gang- 
lion zu  einem  kurzen  Stamme  vereinigt,  so  zerfällt  dieser  Stamm 
alsogleich  in  einen  vorderen  und  hinteren  Zweig.  Jeder  dieser 
Zweige  enthält  Fasern  der  vorderen  und  hinteren  Wurzel,  und  wird 
somit  gemischten  Charakters  sein.  Der  vordere  ist,  mit  Ausnahme 
der  zwei  oberen  Halsnerven,  stärker  als  der  hintere,  steht  durch 
einen  oder  zwei  Fäden  mit  dem  nächsten  Ganglion  des  Sympathi- 
cus  in  Zusammenhang,  anastomosirt  durch  einfache  oder  mehrfache 
Verbindimgszweige  mit  dem  zunächst  über  und  unter  ihm  liegenden 
vorderen  Spinalnervenzweig,  und  bildet  mit*  diesen  Schlingen 
(Ansäe)  *),  welche  an  den  Hals-,  Lenden-,  Kreuz-  und  Steissbein- 
nerven    sehr    constant   vorkommen,    an    den    Brustnerven    dagegen 


*)  Die  2  ersten  Schlingen  am  Halse  sind  sehr  ergiebige  Fundorte  von  Ner- 
venfasern ohne  Ende.  §.  71. 

Hyrtl,  L«hrbiie]i  der  Aiutomie.  53 


834  S*  370.    Allgemeinfr  Charakter  der  RflekenmarksnerTen. 

unbestöndig  sind.    Die  Summe  dieser  Sclilingen  an  einem  bestimm- 
ten Segmente   der  Wirbelsäule,    wird  als  Plextis  bezeichnet,  und  e« 
wird  somit  ein  Plexxcs  cervicalis,  lumhalis  und  sacralis  existiren.  Der 
hintere    Zweig  geht  zwischen  den  Querfortsätzen  der  Wirbel  (am 
Kreuzbein    durch    die    Foramina    sacralia   posteinora)     nach    hinten, 
anastomosirt  weit   unregelmässiger  mit  seinem    oberen   und  unteren 
Nachbar,    und    verliert    sich    in    den    Muskeln    und    der  Haut  des 
Nackens  und  Rückens.  Die  von  den  hinteren  Zweigen  der  Röcken- 
marksnerven  versorgten  Muskeln  sind  nur  die  langen  WirbelsÄulen- 
muskeln.  Die  breiten :    Cucullaris,  Latissimus  dorsi,  Ithomboideus,  Le- 
vatoi'   scapidae ,  und    die   Sem^ati  postici,    erhalten    ihre    motorischen 
Aeste    aus    den    Plexus    der   vorderen   Zweige    der   Halsnenen.  — 
Die    Plexus    der  vorderen   Aeste  der  Rtickenmarksnerven  sind  dar- 
auf berechnet,  den  aus  ihnen  hervorgehenden  peripherischen  Zwei- 
gen, Fasern  aus  verschiedenen  Rtickenmarksnerven  zuzuführen.  Da 
das    Rückenmark    nur   bis   zum    ersten   oder   zweiten    Lendenwirbel 
herabreicht,  wo  es  als  Markkegel  aufhört,  so  werden  nur  die  Wur- 
zeln   der  Hals-  und  Brustnerven   nach    kurzem   Verlaufe   (welcher 
für  die  Halsnerven  quer,    für   die   Brustnerven  aber    schief  abwärts 
gerichtet  ist)  ihre  Foramina  intervei*tebi*alia  erreichen.  Die  Nervi  hm- 
halesy  sacraU^s,  und  coccygei  dagegen,  deren  Austrittslöcher  sich  immer 
mehr  vom   Ende   des  Rtlckenmarks  (Markkegel)  entfernen,   müssen 
einen    entsprechend    langen  Verlauf  im    Rückgratskanal    nach  ab- 
wärts nehmen,  um  an  ihre  Austrittslöcher  zu  gelangen.  So  geschieht 
es,    dass    vom    ersten    oder  zweiten  Lendenwirbel    an,  der  Rest  des 
Rüekgratkauals  nur  von  den  nach  abwärts  sti'cbenden  Lenden-  und 
Kreuznerveu    eingenommen   wird,   welche,    ihres  parallelen  und  wol- 
lenfrjrmigen    Verlaufes    wetzen    schon    von    Du   L aureus    (genannt 
Laurent  ins)   mit  einem  Pferde  seh  weif  {canda  egftinu)  verghehen 
wurden,    welche    Benennung   ihnen    fortan    geblieben.     Seine    Worte 
lauten:  Mednlla,   quum  ad  dorni  ßnc.m  pervenit,  fota  in  funiadoSf  cau- 
dam  eqxdnam  refert^nUiS^  ahsumitnr.  Hist.  corp.  hum.  Hb.  X.  cap.  Xll. 
—   Indem  ferner  das  Rückenmark  sieh  am  Conus  m^^Atdlaris  zuspitzt, 
so  müssen  die  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  der  Steissbeinnerven 
so  nahe    an   einander  liegen,    dass    sie  scheinbar  zu  einem  einstäm- 
migen Ursprung  verschmelzen. 

Die  harto  Hirnhaut  schliesst  sich  nicht  in  gleicher  Höhe  mit 
dem  Connys  mcdnlhms  der  MedtiUa,  spinatis  ab,  sondern  erstreckt  sieh 
als  Blindsaek  bis  zum  Ende  des  Canalis  sacralis  herab.  Die  Nervi 
lumbales^  sacrales  und  coccy(/ri  werden  deshalb  eine  längere  Strecke 
im  Sacke  der  harten  Hirnhaut  verlaufen,  als  die  übrigen  Spinal- 
nerven. —  Die  (iarnjUa  inff.rrcrfeln'alia  der  Hals-,  Brust-  und  Len- 
dennerven liegen  in  ihren  ZAvischenwirbelhichern ;  jene  der  Kreuz- 
nerven aber  ncKili   im  Wirbelkanale,  ausserhalb  der  harten  Hirnhaut; 


%.  371.  Die  Tier  oberen  HalRnerven.  835 

das  Knötchen  der  Nervi  coccygei  sogar  noch  innerhalb  derselben.  — 
Die  Stärke  der  Nervi  spinales  richtet  sich  nach  der  Menge  der 
Organe,  welche  sie  versorgen.  Die  unteren  Cervicalnerven,  welche 
die  oberen  Extremitäten  versorgen,  und  die  Nervi  sacrale^y  welche 
die  unteren  versehen,  werden  deshalb  dicker  und  markiger  als  die 
oberen  Halsnerven,  die  Brust-  und  Lendennerven  sein.  Die  Nervi 
sacrales  sind  absolut  die  kräftigsten,  die  Nervi  thoracici  viel  schwä- 
cher, und  der  Nervus  coccygeus  der  schwächste.  —  An  den  hinteren 
Wurzeln  ausnahmsweise  vorkommende  kleine  Knötchen  sind  von 
mir  als  Ganglia  aberrantia  beschrieben  worden. 

Ueber  das  Verhältniss  der  Fasern  der  sensitiven  und  moto- 
rischen Wurzel  eines  Rückenmarksnerven  zur  weissen  und  grauen 
Masse  des  Rückenmarks  lehrt  das  Mikroskop: 

1.  Die  Fasern  der  vorderen,  motorischen  Wurzeln  durchbre- 
chen die  longitudinalen  Fasern  der  weissen  Rtickenmarksstränge  in 
querer  Richtung,  und  treten  in  die  vorderen  Homer  der  grauen 
Substanz.  In  diesen  verfolgen  sie  einen  zweifachen  Verlauf. 

a.  Die  inneren  derselben  gehen,  zwiscben  den  Qanglienzellen  der  Vorder- 
hömer,  in  jene  longitudinalen  Fasern  der  Vorderstränge  über,  welche  sich  an 
der  sogenannten  weissen  Commissur  mit  den  entgegengesetzten  kreuzen.  Der 
rechte  Vorderstrang  z.  B.  wird  somit  einen  Theil  der  Fasern  der  linken  moto- 
rischen Nervenwurzeln  aufnehmen. 

ß.  Die  äusseren  Fasern  der  motorischen  Wurzeln  dagegen  gehen,  ohne 
Kreuzung,  in  die  longitudinalen  Fasern  der  vorderen  Bündel  der  Seitenstränge  über. 

2.  Die  Fasern  der  hinteren  sensitiven  Wurzeln  treten  in  die 
graue  Substanz  der  hinteren  Hörner,  und  krümmen  sich  daselbst 
bogenförmig  nach  aufwärts,  um  sich  in  die  longitudinalen  Fasern 
der  Hinterstränge  und  der  hinteren  Bündel  der  Seitenstränge  fort- 
zusetzen. Ob  sie  mit  den  Ganglienzellen  der  grauen  Substanz  Ver- 
kehr unterhalten,  ist  nicht  genau  bekannt. 

Das  Gesagte  enthält  nicht  viel,  aber  doch  Alles,  was  man  gegenwärtig 
über  den  realen  Ursprung  der  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  der  Rückenmarks- 
nerven mit  Gewissheit  sagen  kann.  Die  mikroskopische  Anatomie  des  Rücken- 
marks hat  wohl  zu  schematischen  Darstellungen  der  Nervenursprünge,  aber  kei- 
neswegs zu  definitiv  festgestellten  Lehrsätzen  über  diesen  hochwichtigen  Gegen- 
stand geführt 


§.  371.   Die  vier  oberen  HaJsnerven. 

Von  den  acht  Halsnerven  tritt  der  erste  zwischen  Hinter- 
hauptbein und  Atlas,  durch  die  hinter  der  Massa  lateralis  des  Atlas 
befindliche   Incisur   am  oberen  Rande   des   Bogens   dieses   Wirbels 

hervor.    Er  heisst  deshalb  Nervus  subocdpiteUis.    Der  achte  verlässt 

68» 


836  S*  S71.  Di«  Tier  oberen  Halsnerren. 

durch    das  Foramen   intervertebrale  zwischen  dem  siebenten  Halswir- 
bel   und    ersten    Brustwirbel    den    Rückgratkanal.     Jeder   Halsner? 
spaltet    sich  alsogleich  in  einen  vorderen  und  hinteren  Zweig.   Die 
vorderen    Zweige,    von   welchen    der   erste   zwischen   Rectu»  capäii 
anticiis  minor  und  lateralis,   die    sieben   übrigen  zwischen   dem  vor- 
deren  und   hinteren    Intertransversarius  nach   vorn    treten,  wenden 
sich    vor    oder    zwischen    den    Fascikeln    des    Scalenus  medim  und 
Levator  scapulae  nach  vom  und  aussen,  und  setzen,  durch  ihre  Yer- 
bindungsschlingen  unter  sich  und  mit  dem  ersten  Brostnerv,  die  Tier 
oberen  den  Plexus  cervicalis,  die   vier   unteren  den  ungleich  stärke- 
ren Plexus  brachialis  zusammen.    Die  hinteren  Zweige  der  Halsner- 
ven   richten   sich,   mit  Ausnahme  der  beiden  ersten,    welche  gleich 
näher  geschildert  werden  sollen,  nach  den  im  vorhergehenden  Part- 
graphe  erwähnten  allgemeinen  Regeln. 

Der  hintere  Zweig  des  ersten  Halsnerven  geht  zu  dem  drei- 
eckigen Raum,  welcher  vom  Rectus  capitis  posticus  majoVy  Obliqutu 
superior  et  inferior  begrenzt  wird,  und  versorgt,  nebst  den  hinteren 
geraden  und  schiefen  Kopfmuskeln,  auch  den  Biventer  cervids  und 
Complexus.  Er  wird  Nervus  ivfraoccipifajis  genannt.  —  Der  hintere 
Zweig  des  zweiten  Halsuerven  giebt  Zweige  zu  den  Nackenmni- 
keln,  mit  Ausnahme  des  CucuUaris,  und  steigt,  nachdem  er  letzte- 
ren durchbohrte,  mit  der  Arteria  occipitalis  zum  Hinterhaupt  empor, 
wo  er  sich  bis  zuni  Scheitel  hinauf  als  Nervus  occipitalis  magnus  in 
der  Haut  verästelt. 

Der  Pleanis  cervicalis  der  vier  oberen  Halsnerven  giebt  fol- 
gende zahlreiche  Aeste  ab: 

1.  Verbindungsnervcn  zum  Ganglion  cer^vicale  primum  des  Sym- 
pathicus,  drei  bis  vier  an  Zahl. 

Sie  bestehen,  wie  die  Verbind un^sfjlden  aller  übrigen  Rückenmarkraen-en 
mit  den  entsprechenden  sympathischen  Ganglien,  aus  einer  doppelten  Gnippe 
von  Fasern.  Die  eine  Gruppe  geht  von  den  Spinalner\-en  zum  Ganglion  des 
Sympathicus  und  ist  weiss.  Die  andere  (graue)  zieht  umgekehrt  vom  Ganglion 
des  Sympathicus  zu  den  Spinalnerven,  und  längs  diesen  rückläufig  zum  betref- 
fenden  Ganglion  intervertehra/e. 

2.  Verbindnngsnerven  zum  Plexus  nodosus  nervi  vngiy  zum 
Stamme  des  Not-u.^  hypoglossus,  und  zu  seinem  Ramns  descendriu. 
Letztere  stammen  aus  der  zweiten  imd  dritten  Schlinge,  und  bilden 
mit  dem   Ramvs  descendens  hypoglossi  die  Halsschlinge  dieses  Nerven. 

3.  Verbindungsnerven  zu  jenem  Antheil  des  Recun'ens  Wiüi^ii, 
welcher  den  Sternocleidomastoideus  und  CucuUaris  versieht. 

Sie  gehen  aus  dem  dritten  und  vierten  Cervicalnerv  hervor,  und  bilden 
mit  dem  Kecurrens  ein  Geficreht,  welches  sieh  unter  dem  vorderen  oberen  Rand 
d<"8  CucuUaris  eine  Strecke  weit  hinzieht,  bis  es  in  die  untere  Fläche  die«e« 
Muskels  eindringt,  und  sich  in  demselben  verliert. 


{.  871.  Dio  Tier  oberen  HalBnerren.  837 

4.  Muskeläste  für  die  Scaleni,  den  Longus  colli)  Rectvs  capitis 
anticus  majof*  und  minai',  und  Levator  scapulae, 

5.  Den  Nervus  occijntalis  min<yr,  welcher  am  hinteren  Rande 
des  Insertionsendes  des  Stemocieidomastoideus  zum  Hinterhaupte 
emporsteigt.  Er  verbindet  sieh  mit  dem  Nervus  occipitalis  major  und 
auricularis  profundus,  und  versorgt  die  Haut  (wohl  auch  den  Mus- 
culus occipitalis).  Er  besteht  vorzugsweise  aus  Fasern  des  dritten 
Nervus  cervicalis. 

6.  Den  Nervus  auriculan's  magnus.  Dieser  ist  der  stärkste  Ast 
des  Plexus  cei^icalis^  und  construirt  sich,  wie  der  Occipitalis  minoTy 
vorwaltend  aus  den  Fasern  des  dritten  Nervus  cervicalis.  Er  tritt 
beiläufig  in  der  Mitte  des  hinteren  Randes  des  Kopfnickers  aus  der 
Tiefe  hervor,  geht  über  die  äussere  Seite  dieses  Muskels  bogen- 
förmig nach  vorn  uncj  oben  zur  Parotis,  wo  er  in  einen  Ramus 
auricularis  und  mastoideiis  zerfiQlt. 

Der  Ramus  auricularis  anastomosirt  mit  dem  Auricularis  profundus  vom 
Communicans,  nnd  versorgt  die  hintere  Fläche  der  Ohrmuschel  (so  wie  einen 
Thei]  der  äusseren,  durch  ein  perforirendes  Zweigchen).  Der  Ramus  mastoideus 
gehört  der  Haut  hinter  dem  Ohre.  Zuweilen  versieht  er  auch  den  Musculus 
occipitalis. 

7.  Den  Nervus  subcutaneits  colli.  Er  wird  aus  Antheilen  des 
zweiten,  besonders  aber  des  dritten  Halsncrven  construirt,  dessen 
eigentliche  Fortsetzung  er  ist.  Er  umgreift  unter  dem  Auricularis 
magnus  den  Kopfnicker  von  hinten  nach  vorn,  und  theilt  sich  in 
zwei  Zweige:  Nervus  subcvtnneus  colli  medius,  und  infei*ioi\  Der 
erste  zieht  längs  der  Vena  jugularis  externa  empor,  und  anastomosirt 
mit  dem  Nervus  subcutaneus  colli  superiar  vom  Communicans.  Beide 
sind  für  das  Platysma,  und  die  vordere  und  seitliche  Halshaut 
bestimmt. 

8.  Die  Nervi  supraclaviculares.  Sie  stammen  aus  dem  Nervus 
cervicalis  quartus.  Man  findet  deren  meistens  3 — 4,  welche  am  hin- 
teren Rande  des  Kopfnickers  zum  Schlüsselbein  lierablaufen,  das- 
selbe überschreiten,  und  sich  in  der  Haut  der  vorderen  Brustgegend, 
so  wie  in  der  Schultergegend  verbreiten.  Zuweilen  geben  sie  auch 
an  den  CucuUaris,  Levator  scapulae,   und   Omohyoideus   Zweige  ab. 

9.  Den  Nervus  phrenicusj  Zwerchfellsnerv,  welcher  aus  der 
vierten,  zuweilen  auch  aus  der  dritten  Ansa  stammt,  vor  dem  Sca- 
lenus  anticus  schräg  nach  innen  zur  oberen  Brustapertur  geht,  und 
auf  diesem  Wege  durch  wandelbare  Anastomosen  mit  dem  Plexus 
hrachialis,  Ganglion  cervicale  medium  et  infimum,  verbunden  wird.  An 
der  äusseren  Seite  der  Arteria  mammaria  interna  (zwischen  Vena 
anonyma  und  Arteria  subclavia)  gelangt  er  in  den  Thorax,  wo  er 
zwischen  Pericardium  imd  Pleura  zum  Zwerchfelle  herabsteigt,  und 


838  i.  S72.    ]>M  Tier  nnkmn 


sich   JD    dessen    Paru  co^tal-ltf^   und  mittelst   durchbohrender  Ziroge 
auch  in  der  Partf  (tmibalis  verästelt. 


.Seine  Kodü^xtr  verbinden  sich  mit  dem  Z«  erclifel]gefl«clit  der  St 
cuB,  und  bilden  in  der  .Substanz  des  Zwerchfells  den  Fitrtu  phraücu*^  m  v<i- 
chem  ein  ^ösBerf/F.  Idnter  dem  Foramen  pro  vcna  rava  Ucgeudefi,  und  mdmif 
kleinere  Ganglien  vorkommen.  Er  wurde  von  CL.  Bell  innerer  Bnnpf- 
Athmung§u«rv.  Xervu*  rt-tpiralortut  thorttri*  intcniuf,  gre^nuint.  —  Lnsehki 
hat  in  seiner  MonugrapLie  des  Phreniciu.  Tübin^n.  1853.  Aeste  des  PfarcBiev 
ZOT  Thymus,  zur  I'leura.  zur  Vena  cara  a»eendaUj  zum  Peiifidieam,  so  vie  Tfr- 
bindungen  de6  Fitxtu  phrcnicu*  mit  dem  PIcjcu*  *olari».  h^^ßOtiaiM,  und  «yit- 
naii»  uachgrewiesen. 

Tebc-r  einzelne  Halsnerven  handeln:  J.  Banp,  nervr»rnm  cervicafiiai  m- 
u»me.  in  Ludicig,  script^res  neuroL  Tom.  L  —  Jl.  Afck^  de  primo  pai?  nerro- 
rum  med.  spin.  G'»tt,.  175(».  —  G.  F.  Peipert,  lertii  et  quarti  nerromm  ceniei- 
lium  descripti«.!.  Halae.  1793.  —  W,  Volkmaw^  nl»er  die  motoiiM^eD  Wirkoapfe 
der  Hals  nerven.  MülUr'g  Archiv.  184C*. 


§.  312.  Die  vier  unteren  Halsnenren. 

Die  vier  unteren  Halsnerven  sind  den  \'ier  oberen  an  Stirb 
weit  überlegen,  da  sie,  ausser  den  langen  Räckgmtsmuskeln,  andi 
jene  zu  innerviren  haben,  welche  das  Schulterblatt,  den  ObenmD, 
den  Vorderarnj  und  die  Hand  bewejren,  und  überdies  noch  sich 
in  der  Haut  der  Brust,  des  Kückens  und  der  ganzen  oberen  Extre- 
mität ausbreiten. 

Die  hinteren  Zweige  der  vier  unteren  Halsnerven  verfwhtn 
^l<•h,  hiusiehtlicli  ilinr  Verästlung.  wie  jene  der  vit-r  oberen  Hals- 
rj-rvtii.  Sie  Vorsorgen  die  tief«.'n  Muskeln  und  die  Haut  de*  Nackens. 
Di*'  Hautärjt*-  durchbohren  den  Sphniu*  capitU  und  C*tcvJ^art^^  uKne 
iliueij  Zwei^<*  zu  geben. 

Die  vorderen  Zweige  der  vier  unteren  Hal>nerven  bilden. 
2ja<;ljd*'iii  sie  zwischen  dem  vorderen  und  mittleren  Scalenus  ober- 
halb d'^r  Arft^ria  ffn^ßr^avin  in  die  Fossa  suprnrbivicu]*jr\.<  gekommen 
ßind.  durch  .scldingenförmige  Vereinigung  unter  einander  und  mit 
d':ni  vrirdf-ren  Zweige  de«?  ersten  Brustner\'en.  das  A r m nerven- 
ge fl  echt,  P^*':rus  brach iaü^,  wf^lches,  da  es  unter  dem  Schlüssel- 
bein >icli  in  d'w  Achselhöhle  fortsetzt,  in  einen  kleineren.  üWr  dem 
SchJÜJT'Selbeine  gelegenen,  und  einen  grosseren,  unter  dem  Schlüssel- 
beine bt'tindlirlit.*n  Antheil  unterschieden  wird.  Alle  an  der  Bildung 
des  Annnervf^nireflechtes  theilnehmenden  Nerven  commoniciren  durch 
Verbindungsästo  mit  dem  Stamme  des  Svmpathicus,  .>der  mit  dem 
mittleren  und  unteren  Halsganglion:  der  erste  Brustnerv  mit  dem 
ersten  Brustganglion. 


§.  S73.  Air«  supraelaoicularit^  und  §.  374.  Part  infradavieulari*  des  Arm  nervengeflechts.  839 


§.  373.  Pars  mpradavicularis  des  Arnmervengeflechts. 

Sie  liegt  im  Grunde  der  Fossa  supraclavicularis,  und  wird  vom 
Platysma  myoides,  dem  hohen  und  tiefen  Blatte  der  Fascia  colli, 
und  der  Clavicularportion  des  Kopfnickers  bedeckt.  Sie  hat,  genau 
genommen,  keineswegs  das  Ansehen  eines  Plexus,  welches  erst 
ihrer  Fortsetzung:  der  Pars  infracUtvicularis,  in  vollem  Masse  zu- 
kommt. Aus  ihr  entspringen,  nebst  Zweigen  für  die  Scaleixi  und  den 
Longtis  colli: 

a)  Die  Neivi  thoracid  antenores  et  i^osterioi^es.  Die  zwei  ante- 
riores gehen  unter  der  Clavicula  zum  Musculus  suhclxivius,  pectoralis 
major,  minor,  zur  Schlüsselbeinportion  des  deltoides,  und  zur  Haut 
der  oberen  Gegend  der  weiblichen  Brustdrüse  (Eckhardt).  Die 
2—3  posteriores  durchbohren  nach  hinten  gehend  den  Scalenus  me- 
dius,  und  suchen  den  Musculus  levator  scapulae,  rhomboideus,  und 
serratiis  posticus  superior  auf.  Einer  von  ihnen  imponirt  durch  Grösse 
und  Länge.  Es  ist  der  Nervus  thoracicus  hngus,  für  den  Sen*atus 
anticus  major.  Er  wurde  von  Ch.  Bell  Neinrus  respiratoi^ius  thoracis 
externus  inferior  genannt. 

Man  kann  die  zwei  Nervi  thoracid  aiUerioreSy  als  externus  und  internus 
unterscheiden.  Der  externus  geht  über  die  Arteria  subclavia  schief  nach  innen 
und  unten  zum  grossen  Brustmuskel.  Der  internus  drängt  sich  zwischen  Ärtei'ia 
und  Vena  su/jclavia  durch,  und  geräth  unter  den  kleinen  Brustmuskel.  Beide 
sind  durch  eine  Schlinge  mit  einander  verbunden,  welche  die  innere  Peripherie 
der  Arteria  subclavia  umgreift. 

b)  Der  Nervus  s^iprascapularis.  Er  zieht  mit  der  Arilin  trans- 
versa scapulae  nach  aussen  und  hinten  zum  Ausschnitt  des  oberen 
Schulterblattrandes,  durch  diesen  zur  Fossa  supraspinata,  und  von 
dieser  zur  infraspinata.  Er  gehört  dem  Musculus  supra-  et  infra- 
spinatus,  und  dem  Teres  minor  an,  und  sendet  auch  einen  Zweig  zur 
Kapsel  des'  Schultergelenkes. 

c)  Die  drei  Nervi  snbscapulares  zum  Muskel  desselben  Namens, 
zum  Ijatissimus  dorsi  und   Teres  major. 

Die  Nervi  thoracid  anteriores  und  subscapulares  gehen  gewöhnlich  tiefer 
als  die  übrigen  hier  genannten  aus  dem  Plexus  ah,  weshalb  sie  von  einigen 
Autoren  (z.  B.  Sharpey)  schon  zu  den  Zweigen  der  Pars  infraclavicufaris  des 
Armgeflechtes  gerechnet  werden.  ^ 


§.  374.  Pars  infraclavicularis  des  Armnervengeflechts. 

Sie  umstrickt  die  Arteria  axillaris  mit   drei  gröberen    Nerven- 
bündeln,   welche    der   äusseren,    inneren   und    hinteren    Seite    des 


840  !•  97^«  t^ort  i^fradmieularit  des  AnunerrrageflechU. 

Gefässes    anliegen,    und    löst    sich    in    eine    Phalanx    von    sieben 
Aesten  auf: 

a)  Nervus  cut/meus  brachii  internus.  Er  stammt  aus  dem  achten 
Halsnerv  und  dem  ersten  Brustnerv,  geht  hinter  der  Achselvene 
herab,  verbindet  sich  in  der  Regel  mit  einem  Aste  des  zweiten 
Brustnerven  (Nervus  intercosto-humeralis^  welcher  ihn  auch  mehr 
weniger  vollständig  vertreten  kann,  durchbohrt  die  Fascia  brachii 
in  der  Mitte  der  inneren  Oberarmseite,  und  verliert  sich  als  Haut- 
nerv bis  zum  Ellbogengelenk  herab. 

Wer  die  Hautnerven  der  oberen  Extremität  an  der  Leiche  studirt,    mache 
sich  auf  Abweichungen  von  dem  hier  gegebenen  Schema  gefasst. 

b)  Nervus  cutaneus  brachii  medius.  Er  entspringt  vorzugsweise 
aus  dem  ersten  Brustnerven,  liegt  in  der  Achsel  an  der  inneren 
Seite  der  Vena  axillaris^  und  weiter  unten  an  derselben  Seite  der 
Vena  basilica^  mit  welcher  er  die  Fascia  brachii  durchbohrt,  worauf 
er  sich  in  den  Ramus  cutaneus  palmaris  und  ulnaris  theilt.  Beide 
kreuzen  die  Vena  mediana  basilica  im  Ellbogenbug.  Sie  gehen 
öfter  unter  als  über  derselben  weg.  Erstercr  kommt  in  der  Mittel- 
linie des  Vorderarmes  bis  zur  Handwurzel  herab ;  letzterer  begleitet 
die  Vena  basilica  an  der  Ulnarseite  des  Vorderarms,  und  anastomo- 
sirt  über  dem  Carpus  mit  dem  Handrückenast  des  Nervus  ulnaris. 
Endverästlung  beider  in  der  Haut  der  inneren  und  hinteren  Seite 
des  Vorderarms. 

Die  Theilungsstelle  des  Cutaneus  brachii  medius  in  den  Ramus  palmaris 
und  ulnaris  fMllt  bald  höher,  bald  tiefer.  Liegt  sie  nahe  an  der  Achsel,  so  kreuzt 
sich  nur  der  Ramus  cutaneus  palmaris  im  Ellbogenbug  mit  der  Vena  mediana 
basilica^  und  der  Ramus  cutaneus  ulnaris  lenkt  schon  Über  dem  Condylus  inter- 
nus humeri  von  seinem  Genossen  so  weit  nach  innen  ab,  dass  seine  Endveränt- 
lungcn  weit  mehr  der  hinteren  als  der  inneren  Seite  des  Vorderarms  angehören. 
Viele  Autoren  beschreiben  unseren  Cutaneus  medius  als  internus^  und  unseren 
inteimus  als  Cutaneus  internus  minor.  So  wurde  die  Sache  auch  von  Wrisberg 
genommen,  welcher  den  Cutaneus  iräernus  minor  zuerst  unter  diesem  Namen 
auflRihrte. 

c)  Nermis  cutaneus  brachii  externus  s,  muscido-cutaneus*).  Er 
ist  stärker,  als  die  beiden  anderen  Cutanei,  und  entsteht  gewöhnlich 
aus  dem  Anfangssttick  des  Nei*vus  medianus.  Er  durchbohrt  den 
Musculus  coraco-brachialis  schief  von  innen  und  oben  nach  aussen 
und  unten,  schiebt  sich  zwischen  Biceps  und  Brachialis  internus 
durch,  um  in  den  Sulcus  bicipitaHs  externus  zu  gelangen,  in  welchem 
er  gegen  den  Ellbogen  herabzieht.  Hier  durchbohrt  er  die  Fascia 
brachii  zwischen  Biceps  und  Ursprung  des  Supinator  hmgus,  folgt, 
meist  in  zwei  Zweige  gespalten,  der   Vena  cephalica  bis   zum  Hand- 

*)  Da  der  Name:  Nervus  musailo-cutaneus^  auch  filr  alle  übrigen  Zweige  des 
Achselgeflcchtes  passt,  indem  sie  sich  in  Muskeln  und  Haut  auflösen,  so  könnte 
er  für  den  Cutaneus  externus  durch  den  passenderen :  Nervus  perforans  Oasserü  er- 
setzt werden. 


§.  S74.    Part  infradwrieuHarit  des  Armnerrengefledito.  841 

rücken^  wo  er  mit  dem  Handrückenast  des  Nervus  radialis  anasto- 
mosirt.  Noch  während  seines  Verlaufes  am  Oberarm  giebt  er  dem 
Coraco-hrachialis,  Biceps  und  Brachialis  internus  motorische  Zweige. 
Erst  am  Vorderarm  wird  er  ein  reiner  Hautnerv  für  die  Radialseite 
desselben. 

Ein  feiner  Zweig  dieses  Nerven  tritt  an  die  Arteria  profunda  brachii,  und 
un^jBtrickt  sie  mit  einem  Geflechte,  aus  welchem  ein  Aestchen  mit  der  Arteria 
ntUriens  brachii  in  die  Markhöhle  des  Oberarmbeins  eindringt.  —  In  seltenen 
Fällen  durchbohrt  der  Nervtu  eutaneua  externua  nicht  blos  den  Coraco-brachialia, 
sondern  auch  den  Brachialis  internus.  Es  liegt  in  diesem  Falle  ein  Theil  dieses 
Muskels  vor  ihm,  ein  Theil  hinter  ihm.  Der  vordere  steht  immer  dem  hinteren 
an  Stärke  nach.  Eine  Reihe  von  mir  aufgestellter  Präparate  macht  es  anschau- 
lich, wie  das  vor  dem  Nerv  liegende  Fleisch  des  Brachialis  internus,  sich  so  von 
dem  hinteren  absondert,  dass  es  sich  gänzlich  von  ihm  emancipirt,  und  als  dritter 
Kopf  des  Biceps  sich  an  die  Sehne  dieses  Muskels  anschliesst.  —  Oefters  sendet 
der  CSUaneus  extemus  (und  zwar  nur  wenn  er  ungewöhnlich  stark  ist)  dem  Nervus 
medianus  einen  Verstärkungszweig  zu.  Dieser  löst  sich  vor  oder  nach  der  Durch- 
bohrung des  CoracO'brachialis  von  ihm  ab,  oder  entspringt  auch  voii  ihm,  wäh- 
rend er  im  Fleische  des  genannten  Muskels  steckt.  In  diesem  Falle,  welchen 
ich  nur  einmal  (1862)  gesehen  habe,  durchbricht  der  Verstärkungsast  zum  Me- 
dianus das  Fleisch  der  Coraco-brachialis  direct  tiach  vorn,  so  dass  der  genannte 
Muskel  von  zwei  Nerven  (Stamm  des  Nervus  perforans  und  Verstärkungsast  zum 
Medianus)  durchbohrt  wird,  und  demzufolge  durch  zwei  Schlitze  in  drei  Bündel 
gespalten  erscheint. 

d)  Nervus  axillaris  s.  circumflexus.  Er  liegt  hinter  der  Arteria 
axillaris  j  und  umgreift  mit  der  Arteria  circumflexa  posterior  den 
Oberarmknochen,  unter  dem  Caput  humeri.  Hart  an  seinen  Ur- 
sprung sendet  er  einen  Zweig  zur  hinteren  Wand  der  Schulter- 
gelenkkapsel, giebt  einen  erheblichen  Hautast  zur  hinteren  Gegend 
der  Schulter  und  des  Oberarms,  Muskelzweige  zum  Teiles  minor, 
und  endigt  im  Fleisch  des  Deltamuskels. 

e)  Nervus  medianus,  Mittelarmnerv.  Sein  Ursprung  aus  dem 
Achselnervengeflecht  ist  zweiwurzelig.  Beide  Wurzeln  fassen  die 
Arteria  axillaris  zwischen  sich.  Er  setzt  sich  aus  allen  das  Achsel- 
geflecht bildenden  Nerven,  vorzugsweise  aus  den  zwei  Bündeln  des 
Geflechtes,  welche  an  der  inneren  und  äusseren  Seite  der  Arteria 
axillaris  liegen,  zusammen.  Im  Sulcus  bicipitalis  inteimus  herab- 
laufend, hält  er  sich  an  die  vordere  Seite  der  Arieria  brachialis, 
geht  aber  oberhalb  des  Ellbogens  über  die  Arterie  weg  an  ihre 
innere  Seite,  wird  in  der  Plica  cubiti  vom  Lacertus  fibrosus  der 
Bicepssehne  bedeckt,  und  gelangt  unter  dem  Pronator  teres  (oder 
ihn  durchbohrend)  und  unter  dem.  Radialis  intetmus  in  die  Median- 
linie des  Vorderarms.  Hier  trefl^en  wir  ihn  zwischen  Radialis  in- 
ternus und  hochliegendem  Fingerbeuger.  Er  geht  dann  mit  den 
Sehnen  des  letzteren  unter  dem  Ligamentum  carpi  transversum  zur 
Hohlhand,  wo  er  sich  in  vier  Hohlhandnerven  der  Finger,  Nervi 
digitorum    volares,    spaltet     Der    erste    ist    nur    f(ir   einige    kleine 


1^42  §■  '^'^^-  ''<"*'  infraelavieularit  des  Arronervengeflechto. 

Muskeln  (Abductof*  hrevis,  Ojyponens,  hochliegender  Kopf  des  fferor 
l/revis)  und  für  die  Haut  der  Radialseite  des  Daumens,  die  folgenden 
drei  für  die  drei  ersten  Musculi  lumbricaUs  und  fiir  die  Haut  von 
je  zwei  einander  zusehenden  Seiten  des  Daumens  und  der  drei 
nächsten  Finger  bestimmt.  Der  letzte  von  ihnen  nimmt  die  gleich 
zu  erwähnende  Anastomose  vom  Hohlhandast  des  Nervus  ulnaru  auf. 
Am  Oberarm  erzeugt  er  keine  Aeste,  da  der  Cbraco-brachiaüj 
Bicepftj  und  Brachialis  infeimus  bereits  vom  Cutaneus  exteimug  ver- 
sorgt wurden.  Am  Vorderarm  dagegen  lösen  sich  von  ihm  folgende 
Zweige  ab: 

a.  MuRkelästü  t'ür  alle  Muskeln  au  der  Beugescite  des  Vorderirmi,  mit 
Ausnahme  des  Ulnaris  iufei^mut.  Der  zum  Pronator  terett  gehende  Ast  giebt  einen 
Zweig  zur  Kapsel  des  Ellbogengolenks  (Rüdinger). 

ß.  Einen  Verbindungsast  für  den  Nervus  cutaneit»  exCemus.  Fehlt  zuweilen 
oder  wird  doppelt. 

y.  Den  Nervus  intei'osseus  internus,  «welcher  auf  dem  Ligamentum  itUeroi- 
«cum  zwischen  Flexor  digitoruvi  profundus  und  Flexor  poUicvi  lonffiiSy  beiden  Aeste 
abtretend,  zum  Pronator  quadratus   herabzieht,  in  welchem  er  endigt 

0.  Einen  Nervus  cutaneus  aniihrachii  palmaris,  welcher  unter  der  Mitte  de« 
Vorderarmes  die  Fascia  antibrachii  perforirt,  um  in  der  Kichtung  der  Sehne  de« 
Palmaris  longus  als  Hautnerv  zur  Hohlhand  zu  verlaufen. 

f)  Nervus  ulnaris,  Ellbogenncrv.  Er  constiniirt  sich  aus  allen 
Nerven  des  JHexus  brachialis,  vorzugsweise  aus  dem  achten  Halsnerv 
und    ersten  Brustnerv,   liegt   anfangs  an   der   inneren   und  hinteren 
Seite   der  Arteria   und    Vena   axillaris,    durchbohrt    das    Ligamentum 
intermusculare  internum  von  vorn  nach  hinten,  um  sich  in  die  Furche 
zwischen  Condylus  internus  Iimneri  und  Olekranon  einzulagern,  durch- 
bricht hierauf  den  Ursprung   des    Ulnaris  internus,    nimmt  zwischen 
diesem  Muskel    und    dem   tiefen    Fingerbeuger  Stellung   ein,   theilt 
beiden    Aeste    mit,    und    zieht   mit  der    Artei'ia    ulnaris,    an   deren 
innerer  Seite  er  liegt,  zum  Carpus.     Auf  diesem  Wege  versorgt  er 
auch    durch    einen    die  Fascia  antibrachii    perforirenden  Hautast  die 
innere  Seite  des  Vorderarms,  so  wie  mehrere  feine  Aeste  desselben 
in    die    hintere    Wand    der   Kapsel    des    Ellbogengelenks    gelangen 
(Rti  dingcr). 

lieber    dem    Carpus    spaltet    er    sich    in    den    Rücken-    und 
Hohlhandast. 

a)  Der  schwächere  R ticke nast  erreicht  zwischen  der  Sehne 
des  Ulnaris  internus  und  dem  unteren  Ende  der  Ulna  die  Dorsal- 
seite fler  Hand,  wo  er  die  Fascia  durchbohrt,  die  Haut  mit  mibe- 
ständigen  Zweigen  versieht,  und  sich  gewöhnlich  in  fünf  Rllcken- 
nerven  der  Finger,  Nervi  digitorum  dorsaUs,  theilt,  welche  an 
die  beiden  Seiten  des  kleinen  und  des  Ringfingers,  und  an  die 
Ulnarseite  des  Mittelüngers  treten,  sich  aber  nicht  in  der  ganzen 
Länge  dieser  Finger,    sondern  nur  längs  der  Phalanx  pinma  der- 


(.  S74.  Air«  infraekufieulari*  des  Armnenrengeflechto.  843 

selben   verzweigen.   —   Eline    Anastomose  dieses  Astes   mit    dem 
Rückenast  des  Net-vtis  radialis  scheint  nicht  constant  zu  sein. 

Sehr  oft  finden  sich  nur  drei  Zweige  des  Kückenastes  des  Nervus  uJnaHa 
vor:  und  zwar  für  beide  Seiten  des  kleinen  Fingers,  und  die  Ulnarseite  des 
Ringfingers.  Was  er  unversorgt  lässt,  bringt  der  zum  Handrücken  gehende  Ast 
des  Nervus  radialis  ein. 

ß.  Der  stärkere  Hohlhandast  geht  zwischen  Os  pisiforme 
und  Arten'a  ulnains  über  dem  Ligamentum  carpi  fransvet'mmj  vom 
Palmaris  brevis  bedeckt,  zur  Vola  mamis.  wo  er  in  einen  ober- 
flächlichen  und  tiefen  Zweig  gespalten  wird.  Ersterer  sendet 
drei  Aeste  zu  jenen  Fingern,  welche  vom  Nervus  meclianvs  nicht 
versehen  wurden  (beide  Seiten  des  kleinen  Fingers,  und  Ulnarseite 
des  Ringfingers),  und  anastomosirt  über  den  Beugesehnen  mit  dem 
vierten  Ramus  volaris  des  Medianus.  Der  tiefe  Zweig  senkt  sich 
zwischen  den  Ursprüngen  des  Abductor  und  Flexor  digiti  minimi  in 
die  Tiefe  der  Hohlhand,  und-  versorgt,  der  Richtung  des  Arcus  vo- 
laris profundiM  folgend,  die  Musculatur  des  kleinen  Fingers,  die 
Musculi  interossei,  den  vierten  Lumhncalisj  den  Addtwtor  poUicis  und 
den  tiefen  Kopf  des  Flexor  pollicis  brevis,  also  alle  jene  kurzen 
Muskeln  der  Finger,  welche  vom  Nervus  medianus  nicht  innervirt 
wurden. 

An  den  Hauptästen  des  Nervus  medianus  und  ulnaris  in  der  Hohlhand 
und  an  der  Fingerbasis,  finden  sich  die  in  §.  70  als  Pacinische  Körperchcu  be- 
schriebenen eigenthümlichen  Terminalknötchen. 

g)  Nervus  radialis,  Armspindel-  oder  Speichennerv.  Er 
übertrifft  alle  vorhergehenden  Zweige  des  Achselnervengeflcchtes  an 
Stärke,  sammelt  seine  Fäden  aus  den  drei  unteren  Halsnerven,  und 
liegt  anfangs  hinter  der  Arteria  axillaris.  Er  geht  zwischen  dem 
mittleren  und  kurzen  Kopfe  des  Triceps,  begleitet  von  der  Arferia 
profunda  hrachiiy  um  die  hintere  Seite  des  Oberarmknochens  herum 
nach  aussen  (daher  the  spiral  nerv  der  Engländer),  um  sich  zwischen 
dem  Brachialis  internus  und  dem  Ursprünge  des  Supinator  lomjus 
einzulagern.  Auf  diesem  Laufe  giebt  er  dem  Triceps y  Brachialis 
internus j  Supinator  longus  und  Radialis  externus  langus  Zweige.  Der 
Zweig,  welcher  dem  kurzen  Kopfe  des  Triceps  gehört,  sendet  einen 
Ast  im  Geleite  der  Artet'ia  collateralis  ubiaris  superior  zur  Kapsel 
des  EUbogengelenkjs  herab.  Auch  Hautäste  entlädst  er,  und  zwar 
den  einen,  bevor  er  in  die  Spalte  zwischen  mittleren  und  kurzen 
Kopf  des  Triceps  eindringt,  zur  inneren  Oberarmseite,  und  einen 
zweiten  nach  vollendetem  Durchgang  durch  den  Triceps,  zur  Haut 
der  Streckseite  des  Ober-  und  Unterarms.  Vor  dem  Condylus 
humeri  extemus  theilt  sich  der  Stamm  des  Nervus  radialis  in 
zwei  Zweige: 

a.  Der  tiefliegende  Zweig  durchbohrt  den  Supinator 
Irevuj  gelangt  dadurch  an  die  ftuasere  Seite  des  Vorderarms,  und 


844  §.  375.    Bniit-  oder  Rflckennenren. 

verliert  sich  als  Muskelnerv  in  sämmtlichen  hier  vorhandenen 
Muskeln;  mit  Ausnahme  des  Supinator  hngua  und  RadiaUt  eaAtr- 
Ulis  longtis.  Sein  längster  und  tiefst  gelegener  Ast  ist  der  Nmm 
interosseus  exteniusy  welcher,  von  der  gleichnamigen  Arterie  be- 
gleitet, bis  zur  Kapsel  des  Handgelenks  herab  verfolgt  werden 
kann,  in  welcher  er  schliesslich  sich  verliert. 

ß.  Der  hochliegende  Zweig  ist  schwächer  als  der  tiefe. 
Er  legt  sich  an  die  äussere  Seite  der  Arteria  radialüy  mit  welcher 
er  zwischen  Supinatvr  longvs  und  Radialis  irü^mua  zur  Hand 
weiter  zieht.  Im  unteren  Drittel  des  Vorderarms  lenkt  er,  zwi- 
schen der  Sehne  des  Supinator  hngus  und  der  Armspindel,  auf 
die  Dorsalseitc  des  Carpus  ab,  erhält  hier  den  Namen  eines 
Handrückenastes  des  Nei^vua  radialis j  und  theilt  sich  in  zwei 
Aeste,  von  welchen  der  schwächere  mit  den  Endzweigen  des 
Nervus  cutaneus  exteniv^  anastomosirt,  und  als  Rückennerv  an  der 
Radialseite  des  Daumens  sich  verliert.  Der  stärkere  versorgt  die 
übrigen  Finger,  welche  vom  Handrückenast  des  Nervus  ukarts 
unbetheilt  blieben. 

Die  Riickenuerven  der  Hand  und  der  Finger  besitzen  keine  Pacini'schen 
Körperchen. 

A.  Murray,  nervonim  cervicalium  cum  plexu  brach,  descriptio.  Upsil, 
1794.  —  F.  Krüger,  dies,  de  nervo  phrenico.  Lips.,  1768.  —  II.  Kranmberg, 
plexuum  nervommxstructura  et  virtutes.  Berol.,  1836.  —  J,  J.  Klint,  de  nerns 
hrachii,  in  Ludwig  scriptores  neurol.  T.  III.  —  Camus,  sur  la  distribution  de 
nerfs  dans  la  main.  Arch.  ^An.  de  m^d.  1845.  —  N.  Büdinger,  die  Gelenknerren. 
Erlang:.,  18.57. 

§.  375.  Brust-  oder  Rückennerven. 

Die  zwölf  Brust-  oder  Rückennerven  (Nei^vi  thoraciei s,  dnr- 
saUs)j  bieten  einfachere  und  leichter  zu  übersehende  Verzweigungs- 
weisen dar  als  die  Halsnerven.  Der  erste  Brustnerv  tritt  durch  das 
Foramen  intei'vertehrale  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Brust- 
wirbel, der  zwölfte  zwischen  dem  letzten  Brustwirbel  und  ersten 
Lendenwirbel  hervor. 

Der  erste  Bnistnerv  ist  der  stärkste  von  allen;  die  folgenden 
nehmen  bis  zum  neimtcn  an  Stärke  ab,  imd  gewinnen  vom  neunten 
bis  zum  zwölften  neuerdings  an  Dicke.  Der  jenseits  des  Ganglion 
intef^-erteh'ale  folgende  Stamm  jedes  Brustnerven  ist  kurz,  und  theilt 
sich  schon  am  Hervortritt  aus  dem  genannten  Loche  in  einen  stär- 
keren vorderen,  imd  schwächeren  hinteren  Ast.  Die  Verbindungs- 
fäden zum  nächstliegenden  Ganglion  des  Sympathicus  sind  an  den 
oberen  und  unteren  Brustnerven  häufig  doppelt. 

Die  hinteren  Aeste  treten  zwischen  dem  inneren  und  äusse- 
ren Rippenhalsband  nach  hinten,  und  zerfallen  regelmässig  in  einen 


§.  975.   Brost-  oder  Rückennerven.  845 

inneren  und  äusseren  Zweig.  Der  innere  liegt  am  entsprechen- 
den Wirbeldome,  und  versieht  die  tiefen  Muskeln  des  Rückens. 
Einzelne  Zweige  desselben  durchbohren  die  Serrati  postici,  Rhom- 
boideiy  den  CucuUaris  und  Latissimus  dorsi,  um  sich  in  der  Haut  des 
Rückens  zu  verlieren.  Der  äussere  dringt  zwischen  dem  Longissi- 
mus  dorsi  und  Sacrolumbalis  durch,  versorgt  diese  und  die  Levatares 
coatarum^  und  sendet  dünne  Zweige  zur  Haut  des  Rückens  bis  zur 
Darmbeincrista  herab.  Sie  durchbohren  den  Latissimus  dorsij  Cnctd- 
larisj  und  Sen^atus  posticiis  inferior. 

Die  vorderen  Aeste  der  zwölf  Brustnerven  begeben  sich  vor 
dem  inneren  Rippenhaisbande  zu  ihren  entsprechenden  Zwischen- 
rippenräumen; —  der  letzte  zum  unteren  Rande  der  zwölften  Rippe. 
Sie  liegen  unterhalb  der  A'i'teria  intercostalis  zwischen  den  inneren 
und  äusseren  Zwischenrippenmuskeln,  und  werden  allgemein  als 
Zwischenrippennerven,  Nei^i  intercostales,  bezeichnet.  Sie  ver- 
binden sich  nicht  wie  die  übrigen  Rückenmarksnerven  durch  auf- 
imd  absteigende  Schlingen  zu  Plexus;  —  nur  die  drei  bis  vier 
oberen  Intercostalnerven  schicken  einander  zuweilen  Verbindungs- 
fäden zu.  Beiläufig  in  der  Längenmitte  des  Zwischenrippenraums 
giebt  jeder  Zwischenrippennerv  einen  Nervus  cutaneus  pectoris  late- 
ralis ab. 

Die  sechs  oberen  Nefi^i  cutanei  pectoris  laterales  durchbohren 
den  Intercostalis  extei'nns  und  Serratus  anticus  majoTy  um  sich  in  vor- 
dere und  hintere  Zweige  zu  spalten,  welche  als  Nenn  cutanei  laterales 
pectoris  anteriores  und  posteriores  unterschieden  werden.  Die  aiite- 
riores  umgreifen  den  Aussenrand  des  Pectoralis  majm'j  streben  dem 
Brustbein  zu,  und  versorgen  die  Haut  der  Brustdrüse  und  die  Drüse 
selbst;  —  die  posteriores  umgreifen  den  vorderen  Rand  des  Latissi- 
mus dorsi j  um  zur  Haut  des  Rückens  zu  kommen. 

Nach  Abgabe  der  NeT^i  cutanei  pectoris  laterales  setzen  die  vor- 
deren Aeste  der  sechs  oberen  Brustnenen  ihren  Lauf  durch  die 
Ijatercostalräume  fort,  versehen  die  Musculi  intercoatales  und  den 
Triangularis  stemi,  und  gehen,  am  Rande  des  Brustbeins  angelangt, 
durch  den  Pectoralis  major  hindurch  als  Nervi  cutanei  pectoris  ante- 
riores zur  Haut  der  vorderen  Brustgegend. 

Der  vordere  Aat  des  ersten  und  zweiten  Bnistnerven  weicht  von  dieser 
Regel  ab.  Der  vordere  Ast  des  ersten,  welcher,  wie  früher  gesagt,  ganz  in  das 
Achselnervengeflecht  einbezogen  wird,  erzeugt  gewöhnlich  keinen  Nervus  cutaneus 
pectoris  kUeralU.  Der  vordere  Zweig  des  zweiten  giebt  zwar  einen  solchen  von 
sich  ab,  lässt  ihn  aber  nicht  (wie  die  folgenden  vier)  zur  Haut  des  Thorax  ge- 
langen, sondern  sendet  ihn  dem  Nervus  cutaneus  brachii  internus  (aus  dem  Achsel- 
nervengeflecht) als  Verstärkung  zu.  Dieser  Nervus  aitaneus  lateralis  des  zweiten 
Brustnerven  wird  durch  einen  besonderen  Namen  vor  den  übrigen  ausgezeichnet. 
Er  heisst  Nervus  intercosto-humeralis. 


846  S*  ^'^^'  LendennerreB. 

Die  sechs  unteren  Nei'vi  cutanei  pectoris  laterales  durchbohren 
den  zuständigen  Intercostalis  extemus  und  Obliquus  ahdomims  exter- 
nus  (dessen  Ursprung  den  sechs  unteren  Rippen  angehört),  and 
theilen  sich,  wie  es  die  sechs  oberen  gethan,  in  vordere  und  hintere 
Zweige.  Die  vorderen  streben  im-  subcutanen  Bindegewebe  der 
vorderen  Bauch  wand  gegen  den  Rectum  ahdominis  hin,  die  hint^ 
ren  umgreifen  den  Latissimus,  um  zur  Rückenhaut  zu  kommen. 
Sie  werden  demzufolge  als  Nervi  ciäanei  laterales  ahdominis  ante- 
riores et  postei*iores  benannt  werden  können. 

Jeder  der  sechs  unteren  Zwischenrippennerven  geht,  nachdem 
er  sein  Spatium  intercostale  durchmessen,  in  die  vordere  Bauchwand 
über,  liegt  daselbst  zwischen  Obliquus  internus  und  transversusy  racht 
die  Scheide  des  Rectus  auf,  und  durchbohrt  diese,  um  in  das  Fleisch 
des  Rectus  einzudringen,  und  seinen  letzten  Rest  nahe  an  der 
weissen  Bauchlinie  in  das  Integument  des  Unterleibes  als  ^<?rrMi 
cutnneus  hhhmiinis  anterior  (deren  es  somit  6  geben  muss)  übertreten 
zu  lassen. 

Der  vordere  Ast  des  letzten  Brustnerven  fügt  sich  dieser  Regel  insoferne 
nicht,  als  er,  bep^eiflicher  Weise,  in  keinem  Spafium  intercostale  verlaufen,  sofort 
auch  nicht  zwischen  Mvsciilis  intercoatalibii«  gelagert  sein  kann  (wenn  nicht  eio« 
dreizehnte  Rippe  vorhanden  ist).  Er  gehört  also  ganz  und  gar  der  Bauchwand, 
nicht  der  Brustwand  an,  und  wurde  deshalb  von  einigen  Autoren  nicht  mehr  m 
den  Brustnorven  gezKhlt.  Kr  zieht  über  die  Insertion  des  Qitadratfu  lumhimtm 
an  der  letzten  Rip]>e  nach  aussen,  und  muss  die  Urspningsaponenrose  des  Trtns- 
versua  durchbohren,  um  zwischen  Transversus  und  Ohliqwm  intemti»  zu  kommeo, 
wo  seine  (ilenofisen  zu  linden  sind.  Sein  üamiis  cufanetm  lateralU  wird  die  bei- 
den Obliipii  durchbohren  müssen,  und  theilt  sich  nicht  in  einen  vorderen  and 
hinteren  Zweifc,  sondern  steigt  einfach  über  die  Orvtta  oaai»  Hei  bis  in  die  (.regend 
des  jrrossen  Trochanters  herab, 

C.  0.  Bauei-,  de  nervis  anterioris  superficiei  trunci  hum.  Tub.,  1818.  4.  — 
A.  Mnrratjy  descriptio  nervorum  dorsalium,  lumbaliiun  et  sacralium,  cum  plcxu 
ischiadico.  Upsal.,  ITUG.  4. 


§.  376.  Lendennerven. 

Die  fünf  Lenden  nerven  {Nervi  lumbaleH)^  welche  sich  nicht 
blos  wie  dio  Bnistnerven  in  den  Rumpfwänden,  sondern  auch  in 
den  Geschlechtstheilen,  und  in  der  mit  den  kräftigsten  Muskeln 
ausgestatteten  unteren  Extremität  verzweigen,  werden  eben  dadiurch 
ungleich  wichtiger,  als  die  Brustnorven.  Der  erste  von  ihnen  tritt 
durch  das  Formnm  iiüervertelwah  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Lendenwirbel,  der  letzte  zwischen  dem  letzten  Lendenwirbel  und 
dem  Kreuzbein  hervor.  Sie  nehmen  von  oben  nach  unten  an  Stärke 
zu.  ihre  hinteren  Aeste  shid  im  Verhältnisse  zu  den  vorderen 
schwach,  und  verHeren  sich,  wie  die  hinteren  Aeste  der  Bru8tner\'en, 


§.  376.   LendennervoD.  847 

in  äussere  und  innere  Zweige  gespalten,  in  den  Wirbelsäulenmus- 
keln und  in  der  Haut  der  Lenden-  und  Gesässgegend.  Die  ungleich 
mächtigeren  vorderen  Aeste  hängen  jeder  mit  einem  Gajiglion 
lumbale  des  Sympathicus  zusammen,  und  vereinigen  sich  durch  ab- 
und  aufsteigende  Schlingen  zum  Plexus  lumhalis,  dessen  oberer  Theil 
hinter  dem  Pnoas  magnus  liegt,  während  dessen  unterer  kleinerer 
Abschnitt  zwischen  den  Bündeln  des  genannten  Muskels  steckt. 

Der  ftinfte  Lendennerv  participirt  nicht  an  der  Bildung  dieses  Geflechtes, 
sondern  geht,  als  Nervus  lumbo-aacrcUis,  in  den  Plexus  sacralis  ein.  Dagegen  hängt 
der  letzte  Brastnerv  sehr  oft  darch  einen  absteigenden  Zweig  seines  vorderen 
Astes  mit  dem  Obertheil  des  Plexus  htmhalis  zusammen.  Man  könnte  diese  häufig 
zu  sehende  Verbindungsschlinge  Nervus  dorso-lumhalis  nennen. 

Der  Plexus  lumhalls  erzeugt,  nebst  unbeständigen  Zweigen  für 
den  Psoas  major,   minor,   und  Quadratfts  lumbomim,   folgende  Aeste : 

1.  Den  Hüft -Beckennerv,  Nervus  ileo-hypogasfrieus.  Dieser 
gemischte  Nerv  versorgt  den  Transversus  abdominis,  Obliquus  mfeinms, 
so  wie  die  Haut  der  Regio  hypogastiica,  und  theilweise  auch  jene 
des  Gesässes.  Er  stammt  vom  ersten  Nervus  lumbalis,  durchbohrt 
gewöhnlich  den  Psoas  majm',  streift  über  den  Qnadi'atus  lumbarum 
weg,  zur  Innenfläche  des  Transvei'sus  abdominis  dicht  über  der 
Cristn  ossis  ilei,  durchbohrt  hier  den  Transversus,  imd  theilt  sich 
zwischen  ihm  und  dem  Obliquus  internus  in  zwei  Endzweige.  Der 
erste,  Ramus  iJiacus  zu  nennen,  dringt  über  der  Crista  iki  durch 
beide  Obliqui,  um  in  der  Haut  der  äusseren  Gesässpartie  sich  zu 
verlieren.  Der  zweite,  Ramus  hypogasfricus,  geht  anfangs  zwischen 
Transversus  und  Obliquus  internus,  dann  zwischen  Obliquus  internus 
und  externusy  bis  über  den  Canalis  ingninalis  nach  vom  und  innen, 
wo  er  entweder  die  Aponeurose  des  Obliquns  exteinius  durchbricht, 
oder  durch  den  Leistenschlitz  derselben  zur  Haut  der  Regio  hypo- 
gasfrica  abdominis  gelangt.  Er  anastomosirt  gewöhnlich,  aber  an 
wandelbaren  Stellen,  mit  dem  vorderen  Aste  des  letzten  Intercostal- 
nerven,  und  mit  dem  zweiten  Aste  des  Plexus  lumhäls. 

Es  ist  nicht  zu  vorkennen,  dass  der  Ramus  iliacus  des  Ileo-hypogastricus 
den  Ramis  cufaneis  lateralihus  der  Brustnerven,  —  der  Ramus  hypogastrictu  da- 
gegen den  Ramis  culaneis  anterioribus  morphologisch  entspricht. 

2.  Den  Hüft -Leistennerv,  Nei^vus  ileo-inguinalis.  ¥jV  ist  sen- 
sitiv, und  hat  mit  dem  früheren  gleichen  Ui-sprung,  wird  auch  zu- 
weilen von  ihm  abgegeben.  Er  steigt,  nachdem  er  den  Psoas  major 
durchbohrte,  auf  der  Fascia  des  lliacus  internus  zum  Poupart'schen 
Bande  herab,  über  welchem  er  den  Musculus  transvci-sus  (weiter 
nach  vom,  als  es  sein  Vorgänger  gethan  hat)  durchbricht,  um  in 
den  Lcistenkanal  einzudringen,  und  nachd<^m  er  ihn  durchlaufen, 
bei  beiden  Geschlechtern  in  der  Haut  der  Scham fugongegend,  und 
bei  Männern  noch  in  der  Haut  des  Gliedes  und  des  Hodensackes, 


848  S>  S76*   L«nd«im«rTen. 

bei  Weibern    in    der   Haut   der    grossen   Schamlippen   zu  endigen 
(Nervi  sa'otales  et  labiales  anteriores), 

1.  und  2.  compensiren  sich  in  so  fern,  als,  wenn  der  TZeo-tn^MiMttt  so 
schwach  gefunden  wird,  dass  er  den  Leistenkanal  gar  nicht  erreicht,  der  iZao- 
hypogcutricua  aushilft,  und  einen  Ast  zur  Haut  der  äusseren  Genitalien  entieiidet 

3.  Den  Scham-Sehenkelnerv,  Nervus  gemto-cruraUi,  Er 
entsteht  aus  dem  zweiten  Lendennerv,  ist  theils  motorisch,  theib 
sensitiv,  und  durchbohrt  den  Psoas  major,  auf  dessen  vorderer  Fläche 
er  herabsteigt.  Er  theilt  sich  bald  höher  bald  tiefer  in  zwei  Zweige: 
den  Nervus  spermaticus  extemvs  (a)  und  den  Nervus  lumho-inguinalA»  (?), 
welche  auch  gesondert  aus  dem  Plexus  lumhalis  entspringen  können, 
und  vielen  Spielarten  in  Stärke  und  Verlauf  unterliegen. 

a.  Der  innere  von  beiden  folgt  als  Nervus  ttpermoHetu  extermu  (tach 
Nervus  pudendus  extemu»)  so  ziemlich  dem  Zuge  der  Arteria  iliaea  externa,  ror 
welcher  er  herabsteigt.  Er  sendet  ein  Aestchen  mit  der  Vena  cruroUt  in  die 
Haut  der  inneren  oberen  Gegend  des  Oberschenkels,  durchbohrt  die  hintere  Wind 
des  Leistcnkanals,  gesellt  sich  zum  Samenstrang,  versorgt  den  Cremaster  and 
die  Dartos,  und  nimmt  selbst  an  der  Bildung  des  Plexus  spermaticus  im  Hoden 
und  Nebenhoden  Thell.  —  Und  so  hätten  denn  die  Lenden  wirklich  einen  Ein- 
fluss  auf  das  Erzeugungsgeschäft,  und  die  Worte  der  Schrift  „der  Herr  wird  deine 
Lenden  segnen**  haben  auch  anatomischen  Sinn.  Das  lateinische  Wort  dwJh/i» 
bezeichnet  Zeugungsunfahigkeit.  —  Beim  Weibe  foIg:t  der  Nervus  sperwuiBest 
fxtemus  dem  runden  Mutterbande  zum  Schamhügel,  und  zur  grossen  Schamle&e. 

ß.  Der  Nervus  lumho-ingtiindlis  geht  vor  dem  Psoas  unter  dem  Poupirt'- 
sehen  Bande,  an  die  Haut  des  Oberschenkels  unterhalb  der  Leistenbeuge.  Er 
ist  im  Manne  ansehnlicher  als  im  Weibe,  und  kreuzt  sich  in  beiden  Geschlech- 
tern mit  der  Arteria  ciraimßexa  ilei. 

4.  Den    vorderen    äusseren  Hautnerv    des  Oberschen- 
kels, Nervus  cutaneus  fenioi*is  anterior  extemtis.    Er  entspringt  an» 
der  Schlinge  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Lendennerven,  und 
verläuft,   wie   der  Nejims  genito-cruralis,   zum   Poupart'schen  Bande 
herab,  wo  er  dicht  unter   dem  oberen  Darmbeinstachel  die  Verbin- 
dungsstelle  des    tiefen   Blattes   der  Fascia  lata  mit   dem   genannten 
Bande    durchbricht,    über    den    Ursprung    des   Sartorius   sich    nach 
aussen  wendet,    und   nachdem    er  auch   das   hochliegende  Blatt  der 
breiten  Schenkelbinde  durchbohrte,  an  der  äusseren  Seite  des  Ober- 
schenkels,   vor  dem    Vastus    extemus,   als  Hautnerv  bis   zum    Knie 
herab  sich  verästelt. 

5.  Den  Verstopfungsnerv,  besser  Hüftlochnerv,  Nervus 
ohturatorins  s,  crtiralis  internus.  Er  wird  aus  Fasern  des  zweiten, 
dritten  und  vierten  Lendennerven  zusammengesetzt,  geht  hinter 
dem  Psoas  major  zum  kleinen  Becken  herab,  an  dessen  Eingang 
er  sich  mit  der  Ärtei^ia  und  Vena  iliaea  communis  (hinter  welchen 
er  niedersteigt)  kreuzt,  zieht  hierauf  an  der  Seitenwand  der  klei- 
nen Beckenhöhle  unter  der  Linea  terminalis,  aber  über  der  Arteria 
und   Vena  obturatoria   nach   vorn    zum  Canalis  obturatoidus^   welchen 


S.  976.  Lendennerren.  849 

er  durchläuft,  dem  Musculus  obturator  extemus  einen  Zweig  abgiebt, 
worauf  er  sich  in  einen  vorderen  und  hinteren  Ast  theilt.  Der 
hintere  durchbricht  die  oberen  Bündel  des  Obturator  extemus j  giebt 
einen  Zweig  zum  Hüftgelenk,  und  verliert  sich  als  motorischer  Nerv 
im  Muscuius  obturator  externtis  und  adductor  magnus.  Der  vordere, 
stärkere,  versorgt  den  Gracilis,  Adductor  longus  imd  brems,  durch- 
bohrt zuletzt  die  Fasda  lata,  und  verbindet  sich  entweder  mit  dem 
inneren  Hautnerv  des  Oberschenkels,  oder  verliert  sich,  selbststän- 
dig bleibend,  an  der  inneren  Seite  des  Oberschenkels  bis  zum 
Kniegelenk  herab. 

Des,  von  dem  Wiener  Anatomen,  Ad.  Schmidt  zuerst  erwähnten,  (Comm. 
de  nervis  lumbal.  §.  40),  seither  aber  vergessenen  Nerwjt  ohturatori^ia  acce»sor%u9 
möge  hier  flüchtig  gedacht  sein.  Entsprungen  aus  dem  Anfangsstück  des  eigent- 
lichen Nervus  ohturatoriwt ,  läuft  er  unter  dem  inneren  R^.nde  des  Psoas  zum 
horizontalen  Schambeinast,  kreuzt  diesen,  tritt  hinter  den  Pectineus,  bildet  mit 
dem  aus  dem  Foramen  obturaiorium  hervorgekommenen  Nervus  ohturatorius  eine 
rückläufige  Schlinge,  und  sendet  überdies  dem  Pectineus,  dem  Adductor  hrevU 
und  dem  Hüftgelenk  Zweige  zu.  Schmidt  fand  ihn  unter  70  Extremitäten 
8 — 9ma1,  Prosector  Pokorny,   welcher  ihn  aufmerksam  untersuchte,    nur  2mal. 

Von  dem  für  den  Adductor  magnus  bestimmten  Muskelzweige  des  Nervus 
ohturcdorius  sah  ich  öfters  einen  Faden  abgehen,  welcher  den  genannten  Muskel 
nach  hinten  durchbohrt,  in  die  Kniekehle  gelangt,  auf  der  Arteria  poplüea  weiter 
herab  zieht,  um  durch  das  Ligamentum  popliteum  in  das  Kniegelenk  einzudringen. 

6.  Den  Schenkelnerv,  Nervus  cniralis  s.  femoralis.  Er  ent- 
wickelt sich  durch  Sammlung  von  Fasern  aus  der  ersten  bis  dritten 
Lendenschlinge,  und  übertrifft  an  Stärke  die  übrigen  Zweige  des 
Pleoeus  lumbalis,  Anfenglich  hinter  dem  Psoas  major  gelegen,  lagert 
er  sich  weiter  imten  zwischen  Psoas  und  Iliacus  internus  j  welchen 
er  Aeste  giebt,  und  gelangt  mit  ihnen  durch  die  Lacuna  muscularis 
aus  dem  Becken  zum  Oberschenkel,  wo  er  sich  in  der  Fossa  Ueo- 
pectinea  in  Haut-  und  Muskeläste  theilt.  Beide  variiren  an  Zahl 
und  Verlaufsweise,  besonders  erstere. 

Die  Hautäste  sind: 

a)  Der  Nervus  cutaneus  femoris  medvcs  oder  Nervus  perforans, 
welcher  den  Sartorius  und  die  Fascia  lata  im  oberen  Drittel  des 
Oberschenkels  durchbohrt,  imd  häufig  in  zwei  Zweige  gespalten, 
in  der  Mitte  der  Vorderfläche  des  Oberschenkels  herabsteigt. 

b)  Der  Nervus  cutaneus  femoris  internus  oder  Nervus  saphenus 
minor,  zieht  auf  der  Scheide  der  Schenkelgeftlsse  herab,  durch- 
bohrt die  Fascia  lata  etwas  über  der  Mitte  des  Oberschenkels, 
verbindet  sich  gewöhnlich  mit  dem  vorderen  Aste  des  Nervus 
obturatorius  j  und  entsendet  seine  Zweige  zur  Haut  der  inneren 
Seite  des  Oberschenkels. 

c)  Der  Nervus  saphenus  major  begleitet  die  Arteria  cruralis, 
über  deren  vordere  Peripherie  er  schräg  nach  innen  herabsteigt, 
bis  zur  Durchbohmog  der  Sehne  des  Adductor  magnus.  Von  hier 

Hyrtl,  LOzViMb  te  Aaair  fi4 


850  §•  377.   Krenznenren  und  Steissnerren. 

• 

verlässt  er  die  Arteria  a'uralts,  und  geht  in  der  Furche  zwischen 
Vastus  internus  und  Adductar  magnus  zur  inneren  Seite  des  Knie- 
gelenks, dessen  Kapsel  er  mit  einem  Aestchen  versorgt.  Er  ist 
während  seines  Laufes  am  Oberschenkel  vom  Sartorius  und  der 
Fdscia-lata  bedeckt,  und  schickt  zwei  Zweige  ab,  deren  einer 
beiläufig  in  der  Mitte  des  Oberschenkels,  der  andere  am  Condylm 
internus  durch  die  Fascia  lata  zur  Haut  tritt.  Hinter  der  Sehne 
des  Sartorius  durchbohrt  nun  der  Stamm  des  Nervus  saphemu 
selbst  die  breite  Schenkelbinde,  und  steigt  mit  der  Vena  saphena 
interna  zum  Fusse  herab.  Auf  diesem  Laufe  giebt  er  einen  stär- 
keren Zweig  zur  inneren  Gegend  der  Wade  {Nervus  eutaneuit 
surae  inteimus)^  tritt  vor  dem  inneren  Knöchel  zum  inneren  Fusr- 
rand  herab,  versorgt  die  Haut,  und  verbindet  sich  regelmässifj 
mit  dem  Nervus  cutanetis  pedis  dorsalis  internus  ^  aus  dem  Ncnm 
peroneus  superßcialis,  §.  377. 

Ich  habe  es  oft  gesehen,  dass  der  Nerviu  saphenus  major,  zugleich  mit  der 
Arieria  and  Vena  cnirdlU  durch  den  Schlitz  der  Adductorensehne  in  die  Knie- 
kehle eingeht,  gleich  darauf  aber  diese  Sehne  wieder  nach  vom  zu  durchbohrt, 
um  in  die  Furche  zwischen  Vcufhia  internus  und  Adductor  magnti»  zuriickzakehren. 

Die  Nervi  cutanei  aus  dem  Cruralis  und  Obturatorius  variiren  dbrigens  so 
sehr  in  ihren  Verbreitungen  und  Verbindungen,  dass  die  Beschreibungen  der- 
selben unter  der  Feder  verschiedener  Autoren  sicli  sehr  verschieden  gestalten. 
Ich  habe  mich  an  das  häufigere  Vorkommen  gehalten. 

Die  Muskeläste,  6  —  8  an  der  Zahl,  versorgen  die  Muskeln 
an  der  vorderen  Peripherie  des  Oberschenkels,  mit  Ausnahme  der 
Adductoren  und  des  Gracilis,  welche  vom  Nermis  obturatorius  be- 
theilt wurden.  Der  längste  derselben  geht  auf  der  Vagina  vasorum 
cruralium  zum  Vastus  inteimus  herunter,  und  schickt  auch  einen  Ast 
zur  Kapsel  des  Kniegelenks.  Einen  ähnlichen  Kapselnerv  erzeugt 
auch  der  Muskelast  zum    Vastus  extemus. 

Ausser  den  Haut-  und  Muskelästen  erzeugt  der  Nervus  cniralia,  gleich 
nach  seinem  Hervortritt  unter  dem  Poupart'schen  Bande,  noch  1 — 2  Zweige  zur 
Arteria  cruralis.  Sie  lassen  sich  weitliin  an  den  Aesten  der  Cruralis  verfolgen. 
Von  ihnen  gelangt  auch  ein  Ausläufer  mit  der  Arte^'ia  nutritia  femoris  in  die 
Markhöhle   des  Knochens. 

J.  A.  Schmidt^  comment.  de  nervis  lumbalibus  eorumque  plexu.  Vindob., 
1794.  —  L.  Fischer,  descriptio  anat.  ncrvorum  lumbalium,  sacralium,  et  extre- 
mitatum  inf.  Lips.,  1791.  —  E.  Styx,  descriptio  anat.  nervi  cniralis  et  obtura- 
torii.  Jenae,  1782.  —  C.  RosenmiiUer,  nervi  obturatorii  monographia.  Lips.,  1814. 
—  Oöring,  de  nervis  vasa  adeuntibus.  Jenae,  1884.  —  B.  Beck,  über  einige  in 
den   Knochen  verlaufende   Nerven.   Freiburg,    1846.    —    Rüdinger,    Gelenknerven. 


Erlang.  18r»7. 


§.  377.  Kreuznerven  und  Steissnerven. 

Die  fünf  Kreuz  nerven,  Nervi  sacrales,  sind  die  stärksten,  — 
der   einfache    (sehr    selten  doppelte)  Steissnerv,  Nervus  coccygeus. 


$.  377.  KrOTunerren  nnd  St«««T»eTven.  8ol 

der  schwächste  iinter  allen  Rtickenmarksnerven.  Die  Kreuznerven 
nehmen  von  oben  nach  unten  schnell  an  Dicke  ab.  Ihre  Ganglia 
tntervei'tebralia  liegen  noch  im  Rück^ratskanal ,  wo  auch  ihre  Thei- 
lung  in  vordere  und  hintere  Aeste  stattfindet,  welche  durch  ver- 
schiedene Oeffhungen  diesen  Kanal  verlassen.  Die  schwachen  hin- 
teren Aeste  des  ersten  bis  vierten  Kreuznerven  treten  nämlich 
durch  die  Foramina  aacralia  posfica,  jene  des  filnften  Kreuznerven 
und  des  Steissnerven  durch  den  Hiatus  sacro-coccygeus  nach  rück- 
wärts aus,  und  verbinden  sich  durch  zarte,  auf-  und  absteigende, 
einfache  oder  mehrfache  Anastomosen,  zum  schmalen  und  unan- 
sehnlichen Plexus  ftdcralis  posteiior,  aus  welchem  die  den  Ursprung 
des  Ghitaeits  magmiJt  durchbohrenden  Hautnerven  der  Kreuz-  und 
Steissgegend  entspringen.  Die  ungleich  stärkeren  vorderen  Aeste 
der  Kreuznerven  treten  durch  die  Foramina  sacralia  anterioraj  der 
ftlnfte  durch  das  Foramen  sacro-coccygeum  nach  vorn  in  die  kleine 
Beckenhöhle ,  und  bilden  durch  auf-  und  absteigende  Schlingen 
{Ansäe  sacrales)  den  Plexus  saero-roccj/geus ,  welcher  zwischen  den 
Bündeln  des  Musculus  pyinformis  und  coccygeus  durchdringt,  mit  den 
vier  Gangliis  sacralibus  und  dem  Ganglion  coccygeum  des  Sympathicus 
zusammenhängt,  den  grössten  Theil  des  vierten  und  den  ganzen 
fünften  Nervus  lumhalis  in  sich  aufnimmt,  und  sich  in  drei  unter- 
geordnete Plexus  theilt,  welche,  von  oben  nach  unten  gezählt,  als 
Plexus  ischiadfcus,  pndendalis,  und  coccygeus  auf  einander  folgen. 

A.    Der  Plexus  tschiadicus,  Hüftgeflecht. 

Er  liegt  vor  dem  Muscxdus  pyrifoi^mis ,  und  hinter  der  Arteria 
hypogastrica.  Seine  Richtung  geht  schräg  von  der  vorderen  Kreuz- 
beinfläche gegen  das  Foramen  ischiadicnm  majus  hin.  Er  besteht 
aus  dem,  dem  Plexus  sacro-coccygeus  einverleibten  Antheile  der  Nervi 
lumbales,  und  den  zwei  oberen  Ansäe  sacrales.  Innerhalb  des  Beckens 
erzeugt  er  nur  zwei  unbedeutende  Muskelzweige  für  den  Pyriformis 
und   Ohturator  internus.  Seine  Verzweigungen  extra  pelvim  sind: 

a)  Der  obere  Gesässnerv,  Nei*vus  glutaeus  superior.  Ergeht 
in  Begleitung  der  gleichnamigen  Blutgefässe  am  oberen  Rande  des 
Musculus  pyrifoimisj  durch  das  Foramen  ischiadicnm  majus  zum  Ge- 
sässe, wo  er  sich  in  dem  Musculus  glutaeus  mediuSy  minimuSj  und 
Tensor  fasciae  verliert. 

b)  Der  untere  Gesässnerv,  Nervus  glutaeus  inferior,  geht 
unter  dem  Musculus  pyrifomns  mit  der  Arteria  ischiadica  durch  das 
grosse  Hüftloch  zum  Musculus  glutaeus  magnus. 

c)  Der  hintere  Hautnerv  des  Oberschenkels,  Nervus 
cutaneus  femoris  posterior,  welcher  ebenfalls  unter  dem  Musculus 
pyriformis  zum  Gesäss  tritt,  mit  dem  Nervus  perinealis  und  glutaeus 
inferior  anastomosirt,  und  seine  Endzweige  theils  über  den  unteren 

64* 


852  §•  377'    KnnEBerren  and  Steis8neiT«n. 

Rand  des  Musculus  glutaetis  magnus  zur  Haut  der  Hinterbacke 
hinaufschickt;  theils  selbe  an  der  hinteren  Seite  des  Oberschenkels 
herabgleiten  lässt. 

d)  Der  Hüftnerv,  Nervus  ischiadicus^  ist  die  eigentliche  Fort- 
setzung des  Plexus  ischiadicusj  und  zugleich  der  stärkste  Nerv  des 
menschlichen  Körpers.  Seine  Breite  verhält  sich  zu  seiner  Dicke 
wie  5'":  2'".  Er  geht  wie  b)  und  c)  unter  dem  Musculus  pyrifwmi», 
durch  das  grosse  Htiftloch  zum  Gesäss,  und  steigt  über  die  von 
ihm  versorgten  Auswärtsroller  des  Schenkels  (^Gemelli,  Ohtwator  in- 
teimus,  Quadratus  femoris)  zwischen  Trochanter  major  und  Tuhertmim 
ossis  ischü  zur  hinteren  Seite  des  Oberschenkels  herab.  Hier  be- 
decken ihn  die  vom  Sitzknorren  entspringenden  Beuger  des  Unter- 
schenkels so  lange,  bis  er,  ihrer  Divergenz  wegen,  zwischen  ihnen 
Platz  nehmen  kann,  wo  er  dann  höher  oder  tiefer  sich  in  zwei 
Zweige  theilt,  welche  in  der  Kniekehle  den  Namen  Nervus  popUteus 
exteinius  und  internus  führen,  und  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  als 
Wadenbein-  und  Schienbeinnerv  unterschieden  werden. 

a)  Der  Wadenbeinnerv,  Nervus  peroneus,  zieht  sich  am 
inneren  Rande  der  Sehne  des  Biceps  femoris  zum  Köpfchen  des 
Wadenbeins  hin,  schickt  zwei  Zweige  zur  Kapsel  des  Kniegelenks 
(Rüdinger),  und  giebt  zwei  Hautnerven  ab,  welche  als  Nervus  cw- 
taneus  surae  extemus  et  medius  (der  mtei'nus  war  ein  Ast  des  Nervus 
saphenus  major)  die  Fascia  poplitea  durchbohren,  und  in  der  Haut 
der  Wade  bis  zur  Achillessehne  herab  sich  verbreiten.  Hinter  dem 
Köpfchen  des  Wadenbeins  theilt  sich  der  Nervus  peronejis  in  einen 
oberflächlichen  und  tiefliegenden  Ast,  welche  den  Hals  des 
Wadenbeins  umgehen,  und  so  an  die  vordere  Seite  des  Unter- 
schenkels gelangen. 

1.  Der  oberflächliche  Ast,  Nervus  peroneus  superficialis^  liegt  anfangs 
tief,  zwischen  dem  Fleisch  der  Peronei  und  des  Extensor  digitorum  pedis  longu», 
welchen  er  Zweige  giebt.  Erst  unter  der  Mitte  des  Unterschenkels  durchbricht 
er  die  Fascia  cru}ns ,  und  theilt  sich  bald  darauf  in  zwei  Zweige ,  welche  Über 
die  vordere  Seite  des  Sprunggelenks  zum  Fussrücken  herablaufen,  wo  sie  als 
Nervus  culaneus  pedis  dorsalis  medius  et  internus  bezeichnet  werden.  Der  medius 
verbindet  sich  mit  dem  aus  dem  Schienbeinnerven  entsprungenen  Nervus  suralh, 
—  der  internus  mit  dem  Ende  des  Nervus  saphenus  major  ^  und  einem  Endaste 
des  Nervus  peroneus  profundus.  Beide  senden  Zweige  zur  Haut  des  Fussrückens, 
und  bilden  zuletzt,  durch  gabelförmige  Spaltungen,  sieben  Zehenrücken- 
nerven,  welche  die  innere  Seite  der  grossen  Zehe,  die  äussere  der  zweiten, 
beide  Seiten  der  dritten  und  vierten,  und  die  innere  Seite  der  fünften  Zehe, 
jedoch  für  alle  nicht  über  die  Phalanx  prima  hinaus,  versorgen. 

2.  Der  tiefliegende  Ast,  Nervus  ])eronetts  profundus,  tritt  unter  den 
Peronei  und  dem  Extensor  diffitortim  pedis  lonyus  auf  die  vordere  Fläche  de« 
Zwischenknochenbandes.  Daselbst  gesellt  er  sich  zur  Arteria  tihialis  antica,  au 
deren  äusseren  Seite  er  liegt,  und  wird  deshalb  auch  Nervus  tibicdis  antieus 
genannt.  Er  betheilt  alle  an  der  vorderen  Seite  des  Unterschenkels  gelegenen 
Muskeln  mit  Zweigen.    Im  weiteren  Verlaufe  nach  abwärts  kreuzt  er  die  Arteria 


S.  377.  Kreazn«rren  und  Steissnarvan.  853 

tibialit  anUea,  und  legt  sich  an  ihre  innere  Seite,  wo  er  anfangs  zwischen  Eoe- 
tensor  digitorum  langus  und  TihialU  anticus^  weiter  unten  zwischen  Extensor  lon- 
gua  haUucU  und  TihiaVia  anticus  zum  Sprunggelenk  herabzieht  Hier  geht  er 
durch  das  mittlere  Fach  des  Ligamentum  cruciatum  zum  Fussrücken,  und  ist 
noch  immer  von  der  Arteria  tibuUis  arUicat  welche  nun  Arteria  dorsaUs  pedi» 
heisst,  begleitet.  Auf  dem  Fussrücken  zerfällt  er  in  zwei  Endäste,  den  äusse- 
ren, und  inneren.  £rsterer  ist  für  den  Extensor  digitorum  brevis  bestimmt; 
letzterer  verbindet  sich  mit  dem  aus  dem  Nervus  peroneus  superficicUis  stammen- 
den Nervus  eutaneus  pedis  dorsalis  internus^  und  versorgt  mit  zwei  Zweigen  die 
einander  zugekehrten  Seiten  der  grossen  und  der  zweiten  Zehe,  welche  vom 
Nervus  peroneus  superficialis  nicht  berücksichtigt  wurden. 

Es  hätten  nun  beide  Seiten  der  fünf  Zehen  —  nur  die  äussere  Seite  der 
kleinen  Zehe  nicht  —  ihre  inneren  und  äusseren  Rückennerven  erhalten. 
Letztere  wird  nicht  vom  Nervus  peroneus^  sondern  von  einem  Aste  des  Nervus 
tUnaUs,  dessen  Beschreibung  folgt,  mit  einem  äusseren  Rücken-Zehennerv 
versorgt. 

ß)  Der  Schienbeinnerv,  Nervus  tibialis,  steigt  in  der  Mittel- 
linie der  Fossa  poplitsa  unmittelbar  unter  der  Fascia  poplitea  herab, 
und  kann  bei  mageren  Individuen  bei  gestrecktem  Knie  nicht  nur 
leicht  gefühlt,  sondern  auch  gesehen  werden.  Da  er  der  hinteren 
Seite  des  Unterschenkels  angehört,  wird  er  auch  Nei'viLs  tibialü  po- 
sticus  genannt,  zum  Unterschiede  vom  anticus,  welcher  der  tieflie- 
gende Ast  des  Nervus  peroneus  war.  Er  dringt,  nachdem  er  drei 
Zweige  in  die  hintere  Wand  der  Kniegelenkkapsel  abgab,  zwischen 
den  beiden  Köpfen  des  Gastrocncmius  auf  den  oberen  Rand  des 
Soleus  ein,  und  geht  unter  diesem  zur  tiefen  Schicht  der  Waden- 
musculatur,  wo  er  mit  der  Arteria  tibialis  postica,  hinter  dem  Mus- 
culus tibialis  posticus  nach  abwärts  läuft,  um  unter  dem  inneren 
Knöchel  bogenförmig  zum  Plattfuss  zu  gelangen.  Hier  theilt  er  sich 
unter  dem  Su^tentaculum  cervicis  tau  in  den  Ramus  plantaris  exter- 
nus  et  internus. 

In  der  Kniekehle  erzeugt  er: 

1.  Den  Nervus  suraUs  s,  communicans  surae.  Dieser  zieht  in  der  Furche 
zwischen  beiden  Köpfen  des  Gastrocnemius  herab,  durchbohrt  das  hoohllegende 
Blatt  der  Fascia  surae,  gesellt  sich  zur  Vena  saphena  posterior  s,  minor  an  der 
äusseren  Seite  der  Achillessehne,  und  verbindet  sich  mit  dem  Nervus  eutaneus  surae 
extemus  vom  Nervus  peroneus  —  daher  der  Name :  Communicans  swtu.  Unter  dem 
äusseren  Knöchel  auf  den  Fussrücken  übergehend,  nimmt  er  hier  den  Namen  JVer- 
vus  eutaneus  pedis  dorsalis  externus  an  (der  medius  und  internus  waren  Erzeug- 
nisse des  Nervus  peroneus  superficialis),  anastomosirt  mit  dem  medius,  und  endigt, 
als  letzter  Zehenrückennerv  an  der  äusseren  Seite  der  kleinen  Zehe. 

2.  Den  einfach  entspringenden,  aber  bald  in  zwei  Zweige  zerfallenden 
Ramtis  gastrocnemius,  dann  den  starken  Ramus  ad  soleum,  und  einen  schwächeren 
Ramus  ad  popliteum. 

Der  Zweig,  welcher  zum  Musculus  popliteus  geht,  sendet  einen  langen  Ast 
ab,  welcher  auf  der  hinteren  Fläche  des  Zwischenknochenbandes  eine  kurze 
Strecke  weit  herabläuft,  dann  zwischen  die  Fasern  dieses  Bandes  eintritt,  am 
unteren  Ende  desselben  wieder  frei  wird,  und  sich  in  der  Bandmasse  zwi- 
schen den  unteren  Enden  des  Schien-   und  Wadenbeins  verliert    Er  wurde  von 


854  $•  377  •  Krenznerren  und  Steissnerr^n. 

Halbertsma    als   Zwischenknochennerv   des    Unterschenkel«  ansflUiriieh 
beschiieben. 

Während  seines  Verlaufes  in  der  tiefen  Schichte  der  Waden- 
muskeln giebt  er  ab: 

1.  Zweige  zn  den  tiefliegenden  Muskeln  der  Wade,  und  einen  Fadeo  sor 
Arteria  nutritia  des  Schienbeins. 

2.  Drei  oder  vier    Hautnerven  für  die   Umgebung   der  Knöchel  und  den 
hinteren  Theil  der  Sohle. 

In  der  Sohle  verhalten   sich   die   beiden   Endäste   des  Nenm 
tihialis  posticus  folgendermassen: 

1.  Der  Nervus  plantar^  internus  tritt  zwischen  dem  Abdiictor  h<iUud»  and 
FUxor  digitomtm  hrevis  nach  vorn,  versieht  diese  Muskeln,  so  wie  den  ersten  und. 
zweiten  Lumbricalis,  und  löst  sich  durch  wiederholte  Theilung  in  sieben  Seni 
digitales  plantares  auf,  welche  die  Fascia  jilantaris  durchbohren,  und  an  beiden 
Seiten  der  drei  ersten  Zehen  und  an  der  inneren  Seite  der  vierten  Zehe  sich 
verlieren.  Er  hat  somit  dasselbe  Verhältniss  zu  den  Zehen,  wie  der  Nertu»  im- 
dianiis  zu  den  Fingern. 

2.  Der  Nervus  plantaris   extemus   zieht    zwischen    Flexor    brevii   digitontm 
und  Portio  quadrata  Sf/lcii  nach  vorn,   und   glicht  durch  seine    Verästlung  dem 
Nervus    ulnaris.    Er   theilt   sich   nämlich   in    einen   hoch-   und   tiefliegenden 
Zweig.    Der  hochliegendc  giebt  dem  dritten   und    vierten    Lumbricalis   Aeatchen, 
und  zerf^t  in  drei  Nervi  digitales  plantares  für  beide   Seiten   der   kleinen  Zehe 
und  die  äussere  Seite  der  vierten.    Jener  für  die  äussere  Seite  der  vierten  Zehe 
verbindet  sich  durch  eine  Bogenanastomose  mit  dem  vom  Nervus  plantaris  inter- 
nus abgegebenen  Hautnerv  der  inneren  Seite   derselben    Zehe.     Der  flefliegende 
Zweig  begleitet  den  Arcus  plantaris  profundus^    und  verliert  sich  in  den  bis  jetzt 
noch  unversorgt  gebliebenen  kleinen  Muskeln  der  Sohle,   wie  auch   in  den  inne- 
ren und  äusseren  Zwischenknochenmuskeln. 

An  den  Hautästen  des    Plantaris   exteimus  und   interntu  finden   sich  Päd- 
nische  Körperchen  (§.  70). 

B.  Der  Plexus  pudendalisy   Schamgeflecht. 

Er  ist  nur  ein  unterer  Anhang  des  Plexits  ischiadicusj  verstärkt 
4urch  einige  Zuzüge  des  vierten  und  fünften  Nervus  sacralis,  wäh- 
rend die  grössere  Menge  der  Fasern  dieser  beiden  Nerven  in  die 
dem  Sympathicus  angehörigen  Plexus  hypogastrki  übergeht.  Er  Uegt 
am  unteren  Rande  des  Musculus  pyrifo)*viis,  und  löst  sich  in  fol- 
gende zwei  Aeste  auf: 

a)  Der  mittlere  und  untere  Mastdarmnerv,  Nervus  haemor- 
rhoidalis  medius  et  inferior.  Beide  haben  das  Ansehen  von  Geflech- 
ten, und  zerfallen,  nachdem  sie  mit  dem  Beckengeflechte  des  Sym- 
pathicus zahlreiche  Verbindungen  eingegangen  haben,  in  Zweige, 
welche  den  Levator  ani,  den  Fundus  vesicae  urinaria/'.,  die  Vagina, 
den  Sphincter  ani  extemus  et  inteimtiSy  und  die  Haut  der  Aftergegend 
versehen. 

b)  Der  Schamnerv,  Netuus  pudendus.  Er  geht  mit  der  Ar- 
teria pudenda  communis  durch  das  grosse  Hüftloch  aus  der  Becken- 


§.  «78.   Halstheil  dM  SympfttUeiis.  855 

höhle  heraus^  und  durch  das  kleine  wieder  in  sie  zurück;  steigt  mit 
ihr  an  der  inneren  Fläche  des  aufsteigenden  Sitzbeinastes  empor, 
und  theilt  sich  in  zwei  Zweige: 

ä)  Der  Mittelfleischnerv,  Nervus  perinealis,  zieht  mit  der 
Arteria  peiinei  nach  vorn  zum  Mittelfleisch,  und  schickt  seine 
oberflächlichen  Aeste  zur  Haut  des  Dammes,  seine  tieferen  zu 
den  Musculi  transversi  pei'ijiei,  hulho-cavemosvSy  sphincter  ani  exter- 
nus  (vorderer  Theil  desselben),  und  zuletzt  zur  hinteren  Wand 
des  Hodensackes  (Nervi  scrotales  posteriores);   im  weiblichen  Ge*  j 

schlechte  zu  den  grossen  und  kleinen  Schamlippen,  und  zum  Vor- 
hof der  Scheide  (Nervi  labiales  pöstei*iai*es).  / 
ß)  Der  Ruthennerv,   Nervus  peiiis  dorsalis,  steigt  zwischen           '/ 
dem  Musculus   bulbo-   et    ischio-caveniosus,   letzterem    einen    Zweig           / 
mittheilend,   bis  unter  die   Schamfuge  hinauf,    legt   sich    mit    der 
Arteria  penis  dorsalis,  an  deren  äusserer  Seite  er   verläuft,  in  die 
Furche  am  Rücken  des  Gliedes,    sendet   mehrere  liami  caverrum      I 
in  das  Parenchym  der  Schwellkörper,  welche  die  Plexus  cavemosi      i 
verstärken,  theilt  der  Haut   des  Gliedes   und   der  Vorhaut  Aeste      / 
mit,  und  verliert  sich  endlich  in  der  Haut  der  Glans  und  im  vor-     , 
deren  Ende  der  Harnröhre.     Beim  Weibe  ist  er  ungleich  schwä-    | 
eher,  und  für  die  Clitoris  und  das  obere  Ende  der  kleinen  Scham-    . 

lippen  bestimmt.  »  i 

t 

C.  Der  Plexus  coccygeusy  Steissgef locht. 

Er  verdient  kaum  diesen  Namen,  da  er  nur  aus  Einer 
Schlinge  zwischen  dem  fünften  Kreuz-  und  dem  einfachen  Steiss- 
beinnerven  besteht.  Er  liegt  vor  dem  Musculus  coccygeus,  und  sendet 
4 — 5  feine  Zweige  zum  Ursprünge  des  Sphincter  ani  extemus,  zu 
den  hinteren  Bündeln  des  Levator  ani,  und  zur  Haut  der  Afier- 
gegend. 

J.  H.  Jördens,  descriptio  nervi  ischiadici.  Erlangae,  1788.  fol.  —  F.  Se?demm, 
obserr.  neuroL  1834,  handelt  über  die  Ganglien  der  Kreuz-  und  Steissnerven. — 
J,  Halbertsmoj  über  einen  in  der  Membrana   interossea  des   Unterschenkel«  ver-  \ 

laufenden  Nerven,  in  Müller^s  Archiv,  1847    nnd  Rüdinger^s  öfters    citirte  Arbeit 


C.  Vegetatives  Nervensystem. 

§.  378.  lalstheil  des  Sympathicns. 


Das  vegetative  Nervensystem«  N^'^^*^»  mmmmt^nAiimM.  beeteht: 
1.  Aus  zwei,  IftDgs  der  1  ^tJ%| 

bis  zum  Steissbeine  verkiifc 


856  S-  378.   HalstliaU  d«8  Sympathio». 

Stellen  durch  Ganglien  unterbrochen  werden,  und  deshalb  Knoten- 
stränge,  auch  Grenzstränge  des  Sympathicus  heissen. 

Der  Bau  der  Ganglien  des  Sympathicns  stimmt  im  Wesentlichen  mit  jenem 
der  Ganglien  der  Rückenmarksnerven  überein.  Sie  enthalten,  wie  diese,  meist 
unipolare  Ganglienzellen,  welche  jedoch  kleiner,  gerundeter,  und  blasser  sind, 
als  in  den  Spinalganglicn.  Zwischen  den  Ganglienzellen  laufen  die  eintretenden 
Nerven  ununterbrochen  in  die  austretenden  fort,  und  es  gesellen  sich  zu  letzteren 
neue,  aus  den  Ganglienzellen  selbst  entsprungene  Fasern.  Jedes  dieser  Ganglien 
steht  mit  dem  ihm  nächsten  Rückenmarksnerven  (vorderer  Zweig  desselben) 
durch  einen  Ramus  communicana  in  Verbindung.  Die  Rami  communieanies  beste- 
hen aus  doppelten  Faserzügen,  welche  theils  von  den  Rückenmarksnerven  zn 
den  Ganglien,  theils  von  den  Ganglien  zu  den  Rückenmarksnerven  ziehen.  Die 
von  den  Rückenmarksnerven  zu  den  Ganglien  des  Sympathicus  kommenden 
Faserzüge,  schlagen  in  dem  betreffenden  Ol^nglion  eine  doppelte  Richtung  ein: 
nach  oben  und  unten.  Diese  auf-  und  absteigenden  Fasern  gehen,  höher  oder 
tiefer,  in  jene  peripherischen  Aeste  des  Knotenstranges  über,  welche  die  Ge- 
flechte für  die  verschiedenen  Eingeweide  bilden. 

2.  Aus  einer  Anzahl  von  Geflechten,  mit  und  ohne  eingestreute 
Ganglien,  welche  aus  den  Knotensträngen  entspringen,  und  längs 
der  in  ihrer  Nachbarschaft  verlaufenden  Arterienstämme  zu  den 
verschiedensten  Organen  gelangen. 

Man  theilt  jeden  Grenzstrang  in  einen  Hals-,  Brust-,  Lenden- 
und  Kreuzbeintheil  ein. 

Der  Halst  heil  des  Sympathicus,  Pars  cervicalis  n.  sympathicij 
besitzt  drei  Ganglien,  Ganglia  cervicalia, 

A.  Das  obere  Halsganglion,  das  grösste  im  Knotenstrange 
des  Sympathicus,  hat  in  der  Regel  eine  länglich-ovale,  am  oberen 
und  unteren  Ende  zugespitzte  Gestalt,  ist  meistens  etwas  platt  ge- 
drückt und  variirt  in  Grösse  und  Configuration  so  häufig,  dass  es 
die  mannigfaltigsten  Formen,  von  der  spindelförmigen  bis  zur 
eckig-verzogenen  Anschwellung,  annehmen  kann.  Seine  Länge  steht 
zwischen  8'" — 16'",  seine  Breite  zwischen  2'" — 3'",  seine  Dicke 
beträgt  etwa  IV2'".  Es  liegt  auf  dem  Musculus  rectus  capitis  anficus 
majf/Vy  vor  den  Querfortsätzen  des  zweiten  bis  dritten  oder  vierten 
Halswirbels  hinter  der  Carotis  inteima^  und  hinter  dem  Nervus  vagu^ 
imd  hypoglossusy  an  deren  Scheiden  es  mehr  weniger  innig  adhärirt. 
Die  Aeste,  die  es  aufnimmt  oder  abgiebt,  halten,  von  oben  nach 
unten,  folgende  Ordnung  ein: 

a)  GefÄssäste  zur  Carotin  interna^  welche  vom  oberen  Ende  dos  KnoteiiA 
aufsteigen,  und  im  weiteren  Verlaufe  den  Plexus  cavotirna  internus  bilden.  Ihre 
Zahl  fltejtrt  nie  über  zwei.  Sie  sind  in  der  Rep^el  anfänjrlit-'h  zu  einem  einfachen 
Stamme  verschmolzen,  welcher  in  der  Verlänueruni;  des  oberen  spitzen  Knde»  des 
ersten  Halsjjanglions  liept.  Seine  Spaltung  und  Verkettung  zum  Ptejrwt  caroti- 
ciut  findet  erst  im  carotischen  Kanäle  statt, 

b)  Verbindungszweige  zum  Xervii«  hyitogloHsus,  Gaivjlion  jutjulare  und  Ple- 
xus nodonuM  des  Vagus,  zum  Gamjlion  jvufiUare  und  pelrotum  des  XervuJt  glo^tto- 
pharyngeus. 


|.  878.  HalstheU  dM  Sjrmpathieiu.  857 

c)  Verbindnngszweige  mit  den  vorderen  Aesten  der  drei  oder  vier  oberen 
Halsnerven.  Sie  gehen  vom  äoMeren  Rande  des  Knotens  ab. 

d)  Zwei  bis  acht  zarte  Nervi  moües,  welche  an  4er  CarotU  interna  bis  zar 
Theilungsstelle  der  Carotis  eommunis  herabsteigen,  um  in  den  Plexus  caroticua 
extemu»  überzugehen. 

e)  Zwei  bis  vier  Rami  pharyngo-laryngei.  Sie  lösen  sich  von  der  inneren 
Peripherie  des  Knotens  ab,  und  helfen  mit  den  Ramis  pharyngeis  des  Glosso- 
pharyngeus  und  Vagus  den  Plexus  pharyngeus  bilden.  Einer  von  ihnen  geht  eine 
Verbindung  mit  dem  äusseren  Aste  des     Laryngeus  superior  ein. 

f)  Der  Nervus  cardiaeus  superior  s.  longus,  langer  Herznerv,  welcher 
vom  unteren  Ende  des  Knotens  entspringt,  und  an  der  inneren  Seite  des  Stam- 
mes des  Sympathicus  zum  Herznervengeflechte  herabsteigt.  Zuweilen  leitet  er 
mit  den  Herzästen  des  Vagus  Verbindungen  ein.  Er  entspringt  mitunter  nicht 
aus  dem  Knoten,  sondern  auch  ans  dem  Stamme  des  Sympathicus,  verbindet  sich 
unstät  mit  Reiserchen  der  Nervi  laryngeiy  der  Ansa  cervicaUs  hypoglossi,  des 
Nervus  phrenieus,  und  der  beiden  anderen  Halsknoten  des  Sympathicus,  erscheint 
an  variablen  Stellen  knötchenartig  verdickt,  und  ist  auf  beiden  Seiten  nicht 
ganz  gleichmässig  angeordnet,  denn  der  rechte  geht  an  der  Arteria  innominata 
zum  tiefliegenden  Herznerven geflecht,  der  linke  an  der  Carotis  sinistra  zum  hoch- 
liegenden. 

g)  Der  Verbindungsstrang  zum  zweiten  Halsknot^n  geht,  als  die  Fort- 
setzung des  unteren  Knotenendes,  auf  dem  Musculus  rectus  capitis  anticus  major 
bis  zur  Arteria  thyreoidea  inferior  herab,  liegt  an  der  inneren  und  hinteren  Seite 
des  Vagus  und  der  Carotis  eomviunisj  und  thcilt  sich  ausnahmsweise,  bevor  er 
sich  in  das  mittlere  Halsganglion  einsenkt,  in  zwei  Zweige,  welche  die  Arteria 
thyreoidea  inferior  umgreifen. 

B.  Das  mittlere  Halsganglion,  fehlt  häufig,  ist  viel  kleiner 
als  das  obere,  und  liegt  an  der  inneren  Seite  der  Arteina  thyreoidea 
inferi(yi'^  wo  diese  ihre  aufsteigende  Richtung  in  eine  quer  nach 
innen  gehende  verändert.  Es  schliesst  Verbindungen  mit  dem  fünften 
und  sechsten  Halsncrv,  sendet  graue  Fäden  zum  Plexus  thyreoideus 
inferior  und  den  Nervus  cardiaeus  medius,  mittlerer  Herznerv, 
rechts  hinter  der  Arteria  anonymaj  links  hinter  der  Arteria  subcla- 
via, zum  Herznervengeflecht. 

C.  Das  untere  Halsganglion  Hegt  vor  dem  Processus  trans- 
versus  des  siebenten  Halswirbels,  am  Ursprung  der  Arteria  vertehralis 
aus  der  Arteria  subclavia.  Es  ist  von  imregelmässig-eckiger  Gestalt, 
und  grösser  als  das  mittlere.  Häufig  verschmilzt  es  mit  dem  ersten 
Brustknoten  des  Sympathicus.  Es  erhält  constante  Verbindungszweige 
von  dem  siebenten  und  achten  Halsnerv  und  ersten  Brustnerv.  Ein 
Verbindungsfaden  zum  ersten  Brustknoten  umgreift  die  Arteria  sub- 
clavia als  Ansa  Vieussenii.  Da  das  untere  Halsganglion  mit  der 
Arteria  subclavia  in  so  innige  Berührung  kommt,  so  spendet  es  an 
alle  aus  diesem  Gefässe  entspringenden  Aeste  graue  Umspinnungs- 
fäden, welche  Geflechte  bilden.  Sein  wichtigster  Ast  ist  der  NenmM 
cardiaeus  inferior  s.  parviis  zum  Herznervengeflechte,  welohfi^ 
häufig  (besonders  gern  auf  der  linken  Seite)  mit  dem  Nrn^ 


858  §•  379*  BniBtth«il  des  STrapaUiieas. 

medhis  zu  Einem  Stamme  vereinigt.  Dieser  heisst  dann  Nervus  canHQ- 
CU8  crcLssus  8,  magnus. 

Das  für  die  Ganglien  des  Brust-,  Bauch-  und  Beckentheils  des  Sympathiens 
aufgestellte  Gesetz,  dass  jedem  Foramen  intervertebrale,  und  somit  auch  jeden 
Kückenmarksnerven,  ein  sympathischer  Knoten  entspricht,  ist  f^-  den  HA* 
theil,  wo  auf  acht  Halsnerveu  nur  drei  Ganglien  kommen,  nicht  anwendbar. 
Die  Gültigkeit  des  Gesetzes  wird  nur  dadurch  einigermassen  au^cht  erhalten, 
dass  das  obere  Halsganglion  als  eine  Verschmelzung  von  vier,  das  mittlere  und 
untere  als  eine  Verschmelzung  von  zwei  Gangliis  cercicalibtu  betrachtet  werden 
kann.  Zuweilen-  werden  zwischen  den  drei  constanten  Halsknoten  noch  Zwi- 
schenknötchen  eingeschoben  {Ganglia  inteitnedia  »,  intercalaria),  welche  durch 
das  Zerfallen  eines  der  drei  normalen  Halsknoten  entstehen,  und  ein  Annllie- 
rungsversuch  zur  Vermehrung  der  Ganglien  auf  die  erforderliche  Zahl  sind.  Die 
am  ersten  Halsknoten  öfters  vorkommenden  Einschnürungen,  und  die  dadorck 
bedingte  tuberöse  Form  desselben,  haben  dieselbe  Bedeutung.  Da  der  vordere 
Ast  jedes  RUckenmarksnerven  mit  dem  correspondirenden  Ganglion  des  Sjmpa- 
thicus  eine  Verbindung  eingeht,  so  muss  der  erste  Halsknoten,  der  aus  der  Ver- 
schmelzung von  vier  Halsganglien  hervorgegangen  zu  sein  scheint,  mit  den  vier 
oberen  Nervis  eervicafibvnj  der  mittlere  mit  dem  5.  und  6.,  und  der  untere  mit 
dem  7.  und  8.  Nervus  cervicalU  anastomosiren.  Sind  Oanglia  intermedia  vorfaftD- 
den,  so  verbinden  sie  sich  jedesmal  mit  dem  ihnen  nächst  gelegenen  Nervus  cer- 
vicalisj  wodurch  auf  die  normalen  Halsganglien  weniger  Anastomosen  mit  den 
Rückenmarksnerven  kommen  werden. 

J.  C.  Neulmuer,  de8cripti<r  anat.  nervorum  cardiacorum.  Francof.,  1772.  — 
H,  A.  Wrisberg^  de  nervis  arterias  venasque  comitantibus,  in  Comment  Oott, 
1800.  —  A.  Searpa^  tab.  neurol.  Ticini,  1794. 


i^.  379.  Brusttheil  des  Sympathicus. 

Der  Brusttheil  des  Sympathicus,  Pars  thoracica  n.  synipa- 
thicij  liegt  vor  den  Rippenköpfen,  und  besteht  aus  eilf  Ganglien 
{Ganglia  thoracica),  welche  vom  ersten  bis  zum  sechsten  an  Grösse 
ab-,  dfinn  bis  zum  eilften  wieder  zunehmen,  eine  flache,  spindel- 
förmige Gestalt  haben,  und  durch  einfache,  oder  (besonders  an  den 
oberen  Knoten j  doppelte  Verbindungsstränge  unter  sich  und  mit 
den  betreffenden  Nervis  intercostalihus  zusammenhängen. 

Das  erste  Bnistganglion  zeichnet  sich  durch  seine  Grösse  und  seine  nind- 
lieh  eckige  Gestalt  {Ganglion  Hellaium)  vor  den  übrigen  aus.  Die  ganze  Gang- 
lienkette  des  Bruststranges  wird  von  der  Pleura  costalis  bedeckt,  und  liegt  somit 
ausserhalb  des  hinteren  Mittelfellraums.  Vom  letzten  Brustknoten  wendet  sich 
der  Stamm  des  Sympathicus,  nachdem  er  den  äusseren  Schenkel  des  Lenden- 
theils  des  Zwerchfells  durchbrochen,  oder  zwischen  dem  äusseren  und  mittleren 
Schenkel  desselben  durchgegangen  ist,  etwas  nach  einwärts,  und  nähert  sich  mit 
seinem  Lendentheile  der  Mittellinie  der  Wirbelsäule  wieder  (wie  am  Halstheilei, 
wodurch  der  Brusttheil  des  Sympathicus  als  eine  nach  aussen  gerichtete  Aui- 
beugung  des  ganzen  Sympathicusstranges  erscheint. 

Aus  den  5 — 6  oberen  Brustganglien  entstehen:  1.  peripheräche 
Strahlungen,  welche  die  in  der  Brusthöhle  vorkommenden  Geflechte 


-»* 


§.  380.   Lendentheil  nnd  Krensbeintheil  des  Sympathien«.  859 

{Plexus  aorticuSf  bronchialisj  pulmonalisy  oesophagetts)  verstärken ;  2.  aus 
dem  ersten  Brustknoten  ein  Nei^vus  cardiacus  imus,  welcher  entweder 
selbstständig,  oder  dem  Nefi-vu^  cardiacus  infei'ior  einverleibt,  zum 
Herznervengeflecht  zieht  —  Die  unteren  Brustknoten  schicken  ihre 
peripherischen  Zweige,  unter  dem  Namen  der  Nei'vi  »planchnici, 
nicht  zu  den  Geflechten  der  Brusthöhle,  sondern  zu  jenen  der 
Bauchhöhle. 

Es  finden  sich  in  der  Regel  zwei  Nervi  splanchnici  vor.  Beide  sind,  ab- 
weichend von  der  grauen  Farbe  und  weichen  Consistenz  des  Sjmpathicusstranges, 
weiss  und  hart.  Sie  werden  schon  aus  diesem  Grunde  allein,  nicht  als  eigent- 
liche Erzeugnisse  des  Sympathicus,  sondern  als  Fortsetzungen  jener  Rami  comr 
municcmte»  anzusehen  sein,  welche  die  aus  dem  Rückenmark  stammenden  Nervi 
thoracici,  den  Hrustganglien  des  Sympathicus  zusenden.  Wie  sich  dieses  verhält, 
darüber  handelt  gründlich  und  ausführlich  Rüdinger,  über  die  Rückenmarks- 
nerven der  Baucheingeweide.  München,  1866.  —  Der  Nervus  splanckninta  major 
bezieht  seine  Fasern  aus  dem  sechsten  bis  neunten  Brustknoten,  sehr  oft  auch 
noch  höher.  Sein  Stamm  geht  auf  den  Wirbelkörpcrn  nach  ein-  und  abwärts, 
läuft  vor  den  VasU  intercoatalihua  im  hinteren  Mittelfellraume  herab,  dringt  zwi- 
schen dem  mittleren  und  inneren  Schenkel  der  Pars  lumhali»  diaphragmath  (selten 
durch  den  Hiatus  aorticim)  in  die  Bauchhöhle,  und  verliert  sich  im  Plexus  coe- 
liacus. Der  Nervus  splanchnicus  minor  sammelt  seine  Elemente  aus  dem  zehnten 
und  eilften  Brustknoten,  verläuft  wie  der  major,  oder  durchbohrt  den  mittleren 
Zwerchfellschenkel,  und  senkt  sich  mit  einem  kleineren  Faserbündel  in  den  Plexus 
coeliacus^  mit  einem  stärkeren  als  Nervus  renalis  posterior  s.  superior  in  das 
Nierennervengeflecht  ein. 

Nach  Ludwig  (Scriptores  neurol.  min.  Vol.  III.  pag.  lO.j  und  Wris- 
berg  (Comment.  Vol.  I.  pag.  261.)  existirt  in  seltenen  Fällen  auch  ein  Nervus 
splancknicvs  svpremus.  Er  soll  aus  den  oberen  Brustganglien  und  aus  dem 
Plexus  cardiacus  entspringen,  im  hinteren  Mittelfellraum  nach  abwärts  laufen, 
und  entweder  in  die  Plexus  oesophagei  des  Vagus,  oder  in  den  Nervus  splanch- 
nicus  major,  oder  in  das  Ganglion  coeliacum  übergehen.  —  Das  Ganglion  thora- 
cicum  primum  geht  zuweilen  mit  dem  secunduvi  eine  mehr  weniger  complete  Ver- 
schmelzung ein.  —  H.  Retzius,  über  den  Zusammenhang  der  Pars  thoracica  nervi 
sympath.  mit  den  Wurzeln  der  Spinalnerven,  in  MeckeCs  Archiv.  1832.  —  J,  J,  Huber, 
de  nervo  intercost.,  etc.  Gott.,  1744. 


§.  380.  Lendentheil  und  Kreuzbeintheil  des  Sympathicus. 

Der  Lenden-Kreuzbeintheil  des  Sympathicus,  Pars  lumbo- 
sacraUs  nervi  sympathici,  besteht  aus  fiinf,  zuweilen  nur  aus  vier 
Lendenknoten  {Ganglia  lumhalia)^  und  eben  so  vielen  Kreuzbein- 
knoten (Ganglia  saci'alia). 

Die  Lendenknoten  liegen  rechts  hinter  der  Vena  cava,  links 
hinter  und   neben   der   Aorta  abdominalis,    am   inneren   Rande   des 
Psoa^  major,  sind  kleiner  als  die  Brustknoten^  und  hängen  mit  den 
Nervis  lumbalibus  durch  lange,  oft  doppelte  Verbindai 
sammen,   welche  die  Ursprünge  des  Psoa$  nup* 


860  §•  ^1-    Geflechte  dee  Sympatiüens. 

schicken  peripherische  Strahlungen  zu  den  Geflechten  in  der  Bauch- 
höhle: Plexus  renalis f  spermaticus,  currticus  und  hypogasti'icus  superior^ 
der  erste  und  zweite  Lendenknoten  ausnahmsweise  auch  zum  PlasHt 
mesenteiiais  superior.  Nach  Arnold  verbinden  sich  die  rechten  nnd 
linken  Lendenknoten  durch  quer  über  die  vordere  Fläche  der  Wir- 
belsäule ziehende  Fäden. 

Die  Kreuzbeinknoten  nehmen  nach  unten  an  Grösse  lo- 
sehends  ab^  und  bilden  eine  am  inneren  Umfange  der  Faramina 
sacralia  herablaufende  Reihe^  welche  mit  jener  der  anderen  Seite 
nach  unten  convergirt^  bis  beide  am  Steissbein  in  einen  unpaaren 
kleinen  Knoten,  das  Ganglion  coccygeum  impar  s.  WaUeri,  übe^ 
gehen.  Die  Kreuzbeinknoten  senden,  nebst  den  Verbindungszweigen 
zu  den  Nervis  sacrahhus,  und  den  nicht  immer  evidnien  Commimi' 
cationsfäden  der  rechten  und  linken  Ganglienreihe,  noch  Zweigchen 
zum  Plexus  hypogastricus  infeinor,  —  der  Steissbeinknoten  auch  lum 
Plexus  coccygeiiSj  und  zum  bindegewebigen  Stroma  der  SteissdrOse 
(Luschka).  Letzteres  ist,  neben  seinen  bläschenförmigen  Hohlge- 
bilden, so  reichlich  mit  Nervenelementen  versehen,  dass  die  Steis«- 
drtise,  mit  dem  Hirnanhang  und  der  Nebenniere,  zu  einer  eigenen 
Drüsengruppe  —  den  Nervendrüsen  —  vereinigt  wurde. 

Ocfters  fohlt  das  Ganglion  coccygeum,  und  wird  durch  eine  plexusartigv 
oder  einfach  schlingenförmigc  Verbindung  der  unteren  Enden  beider  Knoten- 
stränge des  Sjmpathicus  {Ama  sacralis)  ersetzt.  —  Die  Verbindungsf&den  zu  den 
Kückenmarksnerven  werden  am  Lenden-Kreuzbeintheil  des  Sympathicut  hänfig 
doj)pelt  angetroffen,  und  treten  nicht  immer  von  den  Knoten,  sondern  auch  vom 
Stamme  ab.  Verschmelzung  einzelner  Ganglien  zu  einer  länglichen  Intumescenx 
kommt  nicht  selten  vor.  Am  Krcuzbeinthcile  liegen  die  Ganglia  sacralia  dicht  in 
den  Stämmen  der  durch  die  Foramina  sacralia  anteriora  hervorkommenden  Kreni- 
nerven  an.  Die  Verbindungsfäden  zwischen  beiden  werden  deshalb  sehr  kun 
ausfallen. 

§.  381.  &eflechte  des  Sympathiciis. 

Die  am  Hals-,  Brust-  und  Bauchtheil  des  sympathischen  Xer- 
venstranges  beschriebenen  Knoten,  welche  deshalb  auch  Strang- 
knoten des  Sympathicus  genannt  werden,  senden,  wie  schon  im 
Vorausgegangenen  bemerkt  wurde,  Strahlungen  zu  den  die  grossen 
Gefässe  umstrickenden  Plexus.  Die  Plexus  sind  keine  einfachen 
Erzeugnisse  der  Strahlungen  der  Strangknoten,  indem  an  der  Bil- 
dung derselben  die  Gehirn-  und  Rtlckenmarknerven,  welche  ihre 
Contingentc  dem  Sympathicus  zusenden,  entschiedenen  Antheil  haben. 
Die  in  den  Plexus  vorkommenden  Knoten  sind  selbst  wieder  als 
untergeordnete  Centra  anzunehmen,  in  welchen  neue  Nervenfasern 
entstehen,  welche  sich  den  von  den  Strangknoten  herbeikommenden 
Fasern  associiren. 


S-  382.  Kopljg;eflechte  des  SympathScas.  361 

Diese  Multiplication  der  Fasern  in  den  Knoten  der  Geflechte  ist  um  so 
nothwendiger,  als  die  peripherischen  Verästlungen  der  Plexus  zu  zahlreich  sind, 
um  sich  nur  auf  die  Wurzeln  des  Sympathicus  aus  den  Rückenmarksnerven, 
oder  auf  die  Strahlungen  der  Strangknoten  zu  den  Ganglien  der  Geflechte  redu- 
ciren  zu  lassen.  Es  muss  in  dieser  Beziehung  jedes  Ganglion  sich  wie  ein  unter- 
geordnetes Gehirn  verhalten,  welches  neue  Nervenelemente  entwickelt,  und  den 
von  anderen  Entwicklungsstellen  abstammenden  coordinirt. 

Die  vom  ersten  Halsknoten  entspringenden,  mit  der  Carotit  interna  in  die 
Schädelhnhle  eindringenden  grauen  Nerven,  so  wie  deren  weitere  Ramificationen 
und  Verbindungen  mit  den  Ganglien  der  Gehirnnerven,  werden  auch  als  Kopf- 
theil  des  Sympathicus  zusammengefasst  Da  jedoch  der  Hals-,  Brust-  und 
Lenden-Kreuztheil  des  Sympathicus  eine  gewisse  Uebereinstimmung  in  der  Lage- 
rung, Verbindung,  und  Verästlung  ihrer  Ganglien  darbieten,  welche  für  den 
Kopftheil  schwieriger  nachzuweisen  ist,  so  glaubte  ich  dem  Bedürfnisse  des  An- 
fängers besser  zu  entsprechen,  wenn  ich  die  den  Kopftheil  des  Sympathicus  bil- 
denden Strahlungen  dieses  Nerven  in  die  Kategorie  der  Geflechte  stelle. 


§.  382.  KopfgeflecMe  des  Sympathicus. 

Sie  sind  der  Plexus  caroticus  extemus  et  internus, 

1.   Plexus  caroticus  internus. 

Das  obere  spitzige  Ende  des  ersten  Halsknotens  verlängert 
sich,  wie  frtlher  gesagt,  in  einen  ziemlich  ansehnlichen,  grauen, 
etwas  platten  Strang,  welcher  mit  der  Carotis  interna  in  den  Canalis 
caroticus  eindringt,  und  sich  im  Kanäle  in  zwei  Aeste  theilt,  welche 
durch  fortgesetzte  Theilung  und  wiederholte  Vereinigung  ein  Ge- 
flecht um  diese  Schlagader  bild'^n  {Plexus  caroticus  internus).  Dieses 
Geflecht,  welches  die  Carotis  fortan  begleitet,  wird  im  Sinv^  cavei'- 
nosvs ,  durch  welchen  die  Carotis  interna  passirt ,  Plexus  cavernosus 
genannt,  dessen  Fäden  sich  über  die  Theilung  der  Carotis  inteima 
hinaus  bis  zur  Arteria  fossae  Sylvii,  corporis  callosi  und  ophthalmica 
verfolgen  lassen,  wo  sie,  ihrer  Feinheit  wegen,  aufhören  ein  Gegen- 
stand anatomischer  Präparation  zu  sein.  Im  Plexus  cavernosus  findet 
sich  nicht  ganz  selten  an  der  äusseren  Seite  der  Carotis  ein  stern- 
förmiges, zuweilen  durch  ein  engmaschiges  Geflecht  ersetztes  Knöt- 
chen, welches  Ganglion  cavemosum  s.  carqticum  genannt  wird. 

Aus  dem  Plexus  caroticus  inteimus  treten,  der  Ordnung  nach 
von  unten  nach  oben  gezählt,  folgende  Aeste  hervor: 

a)  Die  Nervi  carotico-tympanici,  zwei  an  Zahl,  ein  ntperior  und  inferior^ 
beide  sehr  dünn.  Der  in/ei'ior  geht  darch  ein  Löchelchen  in  der  hinteren  Wand 
des  Canalis  caroticus;  der  »uperior  geht  an  der  inneren  Mündung  des  Canalis 
caroticus  durch  ein  zwischen  diesem  und  der  Pars  ossea  iubae  Eustaehü  ausge- 
grabenes Kanälchen  in  die  Paukenhöhle  sum  Nervus  JaeobmmiL  Kr  wird  anelk 
von  einigen  ftlteren  und  neueren  Anatomdo  alt  Ni 
beschrieben. 

b)  Ein  Verbindungiatt  sum  Or 
BeschreibuDg  dieses  Kaotena  ala'.' 


862  §•  98t.   Kopfjpeflechto  de»  Byrnpatbieas. 

Bezeichnet  man  den  Nervus  earotico-tympanictu  mperior   als  Nermu  pttronu  pro- 
ßmdus  minor^  so  muss  b)  als  major  gelten. 

Aus  dem  Plexus  cave^mostis  entspringen: 

a)  Feine  Verbindungsfäden  znm  Oanglion  Octaaeri,  zum  Ocnlomotorias  nnd 
Ramus  primus  trigemini ,  welche  die  äussere  Wand  des  Sinu*  cavemotus  darch- 
bohren,  um  zu  diesen  Nerven  zu  gelangen. 

b)  Zwei  Fäden  zum  Nervus  abducens^  wo  er  die  Carotis  interna  im  Sinia 
caveimosus  kreuzt.  Einer  von  ihnen  ist  besonders  stark,  und  galt  früher,  als  mm 
nur  zwei  Wurzeln  des  Sympathien s  aus  den  Gehirnnerven  ableitete,  als  eine  der- 
selben.    Die  andere  war  der  Nervus  petrosus  profundtis, 

c)  Die  Radix  sympathica  des  Ciliarknotens,  bereits  erwähnt,  §.  360. 

d)  Verbindungszweige  zum  Gehirnanhang,  welcher,  da  er  unpaar  ist,  sich 
zum  Kopftheil  des  Sympathicus,  wenigstens  der  Form  nach,  wie  das  Oanglion 
coccygeum  zum  Lenden -Kreuztheil  verhält,  und  die  obere  Vereinignngsstelle  beider 
Sympathici  repräsentirt.     Sie  werden  von  Arnold  bezweifelt. 

f)  Gefässnerven  für  die  aus  der  Carotis  interna  entsprungene  Arteria  opA- 
thalmicttj    welche  mit  haarfeinen   Zweigen   des  Nervus   naso-ciliaris  ^   und  einiger 
Nervi  ciliares,  den  Plexus  ophthalmicus  zusammensetzen,    aus  welchem,   wie  all- 
gemein angenommen  wird,  ein  winziges  Fädchen  (welches  auch  aus  dem  Ganglion 
ciliare  stammen  kann),   mit   der     Arteria  centralis  retinae  in  den  Sehnerven  ein- 
treten soll.     Es  ist  jedoch  weder  durch  anatomische  Darlegung,    noch  durch  mi- 
kroskopische Untersuchung  bewiesen,    dass  dieses  Fädchen  zur  Faserschicht  der 
Retina  gelange,    und  scheint  überhaupt  mehr  apriorisch  zugelassen,   als  factisch 
erwiesen  zu  sein,   indem   man  leicht   der  Annahme   sich   hingiebt,   dass   ein  die 
Arteria  ophthalmica   umstrickendes   Geflecht  jedem  Ast   und   Aestchen   derselben, 
somit  auch  der  Artei^ia  centralis^  einen  Faden  mitgebe. 

Mit  Hilfe  des  Mikroskops  lassen  sich  selbst  an  den  kleineren,  mit  Kreosot 
behandelten  Verzweigungen  der  Arteria  carotis  interna  sympathische  NervenfSden 
erkennen.  Ich  besitze  ein  Präparat,  wo  der  die  Arteria  corporis  caUosi  beglei- 
tende Zug  sympathischer  Fasern,  mit  kleinen,  fast  mikroskopischen  Knötchen 
eingesprengt  erscheint,  und  ein  an  der  Anastomose  beider  Balkenarterien  quer- 
laufender Faden,  die  recht-  und  linkseitigen  Geflechte  in  Verbindung  bringt 

2.   Plexus  caroticus  exteiiius. 

Dieses  Geflecht  kommt  durch  die  Verkettung  der  vom  ersten 
Halsknoten  des  Sympathicus  entspnmgenen  Nervi  moUes  zu  Stande, 
welche  theils  an  der  Carotis  interna  bis  zur  Theilungsstelle  der  com- 
munis herabsteigen,  theils  direct  zwischen  der  Carotis  int4finia  und 
exteima  zur  letzteren  gelangen. 

In  der  Gabel  der  Theilung  der  Carotis  communis  liegt  das  Oanglion  inter- 
caroticum,  welches  neuester  Zeit,  der  driisenartigen  Hohlgebilde  wegen,  die  es 
einschliesst,  und  die  an  Zahl  den  Ganglienzellen  weit  überlegen  sind,  von 
Luschka  als  Glandula  carotica  bezeichnet  wurde.  (Arch.  für  Anat.  und  PhysioL 
1862.  pag.  406.) 

Ist  die  Succession  der  Zweige  der  Carotis  extei-na  bekannt  (§.  395),  «o 
bedürfen  die  Strahlungen  des  Plexus  carotictis  exfemus  nur  nomineller  Erwäh- 
nung. Sie  sind:  der  Plexun  thi/reoideus  superior,  lingitalis,  maxillaris  extermUj 
pharyngetiSj  occipitalis,  auriculaiis  posterior,  maxillaris  internus,  und  temporalis. 
—  In  einigen  dieser  Geflechte  kommen  wandelbare  Knötchen  (Schaltknoten, 
Ganglia  intercalaria)  vor,  welche,  nach  der  Gegend,  wo  sie  liegen,  oder  dem 
Organe,  welchem  sie  angehören,  verschiedene  Namen  erhalten:  Ganglion  pha- 
rgngeum  (Mayer)  —  temporale  (Faesebeck)  —  intercaroticum.  —  Treffen    die 


g.  S8S.  Hal8g6A«ohU  des  SympathSens.   K.  384.  Rrnnti^eflecht«  des  Sympathien«.  863 

carotischen  Geflechte  während  ihres  Verlaufes  an  den  gleichnamigen  Kopfschlag- 
adern auf  Ganglien,  welche  den  Gehirnnerven  angehören  {Ganglion  atütmaxUlarey 
otictim,  etc.),  so  verbinden  sie  sich  mit  ihnen  durch  Fäden,  so  dass  jedes  Kopf- 
ganglion auf  diese  Weise  mit  dem  Sympathicus  mittelbar  Terbrüdert  wird.  — 
Unter  den  älteren  Nervenpräparaten  der  Prager  Sammlung  (von  Prof.  Boch- 
dalek und  Prosector  Grub  er)  linden  sich  zwei  schöne  Fälle  von  Schaltknoten, 
der  eine  am  Ursprünge  der  Arteria  laryngea^  der  zweite  an  jenem  der  Artcria 
maociUaria  interna.  —  Siehe  femer  U.  Hwn^  reperta  qnaedam  circa  ner>'.  sympath. 
anatomiam.  Wirceb.,  1840.  4. 


§.  383.  Halsgeflechte  des  Sympathicus. 

Die  Halsgeflechte  umgeben  die  in  den  Weichtheilen  des  Halses 
sich  verzweigenden  Arterien.  Nebst  dem  Plexus  phaiyngeus  und  thy- 
reoideus  supeinw^j  welche  aus  dem  Plexus  caroticiis  extei^ius  und  somit 
aus  dem   Ganglion  cei^icale  pt-irmtm  stammten,  gehören  hieher: 

a)  Der  schwache  Plexus  laryngeus^  theils  durch  eine  Fortsetzung  des 
Plexus  thyreoideits  superior,  theils  durch  Zweige  der  Laryngealäste  des  Vagus 
gebildet. 

b)  Der  Plexus  thyreoideus  inferior^  durch  Aeste  des  mittleren  und  unteren 
Halsknotens  zusammengesetzt.  Wandelbare  Knötchen  (von  Andersch  zuerst 
beobachtet)  kommen  nicht  selten  in  ihm  vor. 

c)  Der  Plexus  vertebralis  dringt  mit  der  Arteria  vertebralis  in  den  Wirbel- 
schlagaderkanal ein.  Er  bildet  sich  aus  aufsteigenden  Aesten  des  letzten  Hais- 
und ersten  Brustknotens,  und  ist  viel  zu  stark,  als  dass  er  blos  die  Bedeutung 
eines  GefMssgefl echtes  trüge.  Die  zahlreichen  und  starken  Anastomosen,  welche 
er  mit  den  4 — 6  unteren  Halsnerven  eingeht ,  lassen  ihn  zugleich  hauptsächlich 
als  eine  Nervenbahn  betrachten,  durch  welche  Spinalnervenfasern  dem  Brusttheil 
des  Sympathicus  zugeführt  werden. 

Gangliöse  Anschwellungen  kommen  an  der  Verbindungsstelle  des  Plexus 
vertebralis  mit  dem  7.  und  8.  Halsnerven  vor.  —  Die  Stärke  des  Plexus  verte- 
bralis, seine  regelmässige  Verbindung  mit  den  Halsnerven,  und  der  Umstand, 
dass  bei  gewissen  Thieren  der  freie  Halstheil  des  Sympathicus  fehlt,  während 
der  Plexus  vertebralis  in  namhafter  Entwicklung  vorhanden  ist,  lassen  ihn  als 
tiefen  Halstheil  des  Sympathicus  bezeichnen. 


§.  384.  Brustgeflechte  des  Sympathicus. 

Die  Brustgeflechte  gehören  theils  dem  Geftsssystem  als  Plexus 

cardiacus  und  aorticus,   theils  den  Lungen   und  der  Speiseröhre  als 

Plexus  pulmofialis  und  oesophageus  an. 

Das  Herznervengeflecht,  Pleocus  cardiacus^  erstreckt  sich  vom  oberen  Bande 
des  Aortenbogens  bis  zur  Basis  des  Herzens  herab,    nnd  wird  aus  dem  Nervus 
cardiacus  superior,  medius  et  inferior,   so  wie  au«  den  Rami  cardiad  def   Vagua^ 
Hypoglossus,  und  des   obersten  Brustknotens  gebildet.    Es  umgiebt  dai 
gende  Stück    des   Aortenbogens  und  den  Stamm   der  Artmia  pm^ 
schwächere  Antheil  des  Geflechtes,  welcher  am  concaven  Raii^ 
und  vor  der  rechten  Ärteria  pvlnumali»  Hegt,   wM  alt  #1 


864  §•  385.   Bftaeh-  und  Beckengeflechte  des  Sympethievs. 

nervengeflecht,  von  dem  hinter  dem  Aortenbogen,  (zwiichen  diesem  und  der 
Luftröhrentbeilung)  gelegenen  stärkeren,  tiefliegenden  unterschieden.  Du 
hochliegende  Herznervengeflecht  enthält  über  der  Theilungsstelle  der  Ärtma 
pulmonaJia ,  ein  einfaches  oder  doppeltes  Ganglion.  Im  letzteren  Falle  ist  dii 
rechte  bedeutend  grösser  als  das  linke,  was  mit  dem  Vorkommen  der  Artena 
innominata  auf  der  rechten  Seite  zusammenzuhängen  scheint.  Ist  nur  ein  ein- 
faches Ganglion  vorhanden,  so  erscheint  es  unregelmässig  eckig  oder  oblong, 
und  wird  gewöhnlich  Ganglion  cardiacum  Wriibergü  s,  moffnum  genannt,  da  ani- 
nahmsweise  auch  kleinere  nebenbei  vorkommen.  Das  Herznervengeflecht  sendet 
Zweige  an  die  primitiven  Aeste  des  Aortenbogens,  an  die  rechte  und  linke  Ar- 
teria  pulmonalUy  die  Hohl-  und  Lungenvenen,  und  schickt  mit  den  Arterü»  coro- 
narii*  des  Herzens  Verlängerungen  in  das  Herzfleisch  als  Plexus  eoronariu*  ccr^ 
anterior  et  posterior y  welche,  nach  Remakes  Entdeckung,  zahlreiche  kleine,  fast 
mikroRkopische  Knötchen  enthalten.  —  Diese  Ganglien,  welche  man  am  schönsten, 
ohne  alle  Präparation,  in  der  durchsichtigen  Scheidewand  der  Vorkammern  eines 
Frosch-  oder  Salamanderherzens  beobachten  kann,  sind  als  eben  so  viele  moto- 
rische Centra  für  die  Herzbewegung  anzusehen,  und  erklären  es,  waram  ein 
ausgeschnittenes  Herz  noch  lange  fort  pulsiren  kann. 

Der  Plexus  aorticus  geht  theils  aus  dem  cardiacus,  theils  aus  den  Strahlongen 
der  obersten  Brustknoten  hervor,  und  begleitet  die  Aorta  bis  in  die  Bauchhöhle. 

Der  Plexus  oesophageus  und  pulmonaUs  gehören  vorzugsweise  dem  Bnut- 
theile  des  Vagus  an,  und  erhalten  nur  wenige  sympathische  Fäden  aus  den  Ren- 
und  Aortengeflechten,  und  den  oberen  Brustganglien. 


§.  385.  Bauch-  und  Beckengefleclite  des  Sympathicus. 

Die  Geflechte  der  Bauch-  und  Beckenhöhle  gehören  dem 
Stamme  und  den  Verzweigungen  der  Bauchaorta  an.  Der  Antheil 
des  Vagus  an  der  Bildung  dieser  Geflechte  ist  nur  für  den  Plexm 
coeliacus  evident.  Sie  sind  im  Allgemeinen  dicht  genetzt  und 
schliessen  zahlreiche  Ganglien  ein.     Man  unterscheidet  folgende: 

1.  Plexus  coeliacus.  Er  ist  das  grösste  und  reichste  Geflecht 
des  Sympathicus,  und  wird  durch  beide  Nej'vi  splanchnici,  durch 
die  Fortsetzung  des  Plexus  a^oHicus  thoracicus,  einen  kleinen  Antheil 
des  Plexus  gasfrlcus  posternor  (vom  Vagus),  und  von  Fäden  der  zwei 
oberen  Lendenknoten  des  Sympathicus  gebildet.  Er  liegt  auf  der 
vorderen  Aortenwand,  dicht  unter  und  vor  dem  Hiatus  aorticuSj  und 
umgiebt  die  Arteria  coeliaca,  ist  somit  unpaar.  Die  strahlige  Rich- 
tung seiner  Ausläufer  rechtfertigt  die  ältere  Benennung:  Pferw 
solaris,  Sonnengeflecht.  Unter  den  gangliösen  Anschwellungen, 
die  er  enthält,  zeichnen  sich  zwei  Anhäufungen  von  Ganglienmasse 
aus,  welche  eine  halbmondförmige  Gestalt  besitzen,  ihre  Concavi- 
täten  einander  zukehren,  und  wohl  auch  durch  Verschmelzung  ihrer 
Hörner,  die  Hufeisen-  oder  selbst  Ringgestalt  annehmen.  Sie  heissen, 
wenn  sie  getrennt  bleiben,  Ganglia  coeliaca^  semilunaria,  abdominaUa 
maximaj  —  wenn  sie  aber  zu  einer  Masse  verschmelzen,  Ganglion 
solarej  Cerehnnn  abdominale  s.  Centrum  nervosum   Willisii. 


§.  S86.   Baaeh-  nnd  Beckengeflechte  de«  Sympathicas.  865 

Der  Plexus  coeliacus  sendet  folgende  Strahlungen  ab: 

a)  den  unpaarigen  Plexus  diaphragmetficiat ^  welcher  mit  den  Arteriis  phre- 
nicU  inferionhiis  zum  Zwerchfell  geht, 

ß)  den  Plexus  coronariu»  ventriculi  »uperi'or^  welcher  mit  der  Arteria  coro- 
naria  ventriculi  iinistra  zum  kleinen  Magenbogen  hinzieht, 

Y)  den  Plexus  hepaticxit^  welcher,  die  Arteria  hepatica  umgebend,  zur  Leber 
und  deren  Zugehör  tritt,  zum  Pankreas  und  Duodenum  Zweige  giebt,  und  zur 
unteren  Kranzscblagader  des  Magens  den  Plexus  coronarivs  ventriculi  inferior 
ausschickt, 

8)  den  Plexus  lienalis,  für  die  Milz  und  den  Fundus  ventriaiU^ 

e)  den  Plexus  suprarenalis,  dessen  Fasern  ein  histologisches  ConsHtuens 
der  Marksnbstanz  der  Nebenniere  bilden. 

2.  Plexffs  mesentei^cus  superior.  Er  ist  unpaar,  und  theils  eine 
Fortsetzung  des  Plexus  coeliacus,  theils  des  Plexus  aorficus  abdomt- 
vab's,  enthält  weit  weniger  und  kleinere  Knötchen  als  der  Plexus 
coeliacus,  und  verbreitet  sich  mit  der  Arteria  meseiüenca  superior,  an 
deren  Verlauf  er  gebunden  ist,  am  Dünndarm  und  Dickdarm,  mit 
Ausnahme  des  Rectum  und   Colon  dejicenSens, 

3.  Plexus  reuahs,  Sie  sind  paarig,  ganglienarm,  aus  Contin- 
genten  des  Plexus  mesentericus  supet*ior  und  aortiais ,  so  wie  des 
Nerv>us  splanchmais  miiioi*  aus  dem  Brusttheile  des  Sympathicus  zu- 
sammengesetzt, umspinnen  die  Arferiae  renales,  und  schicken  einen 
Antheil  zum  Plexus  suprarenalis ,  welcher  mit  dem  Plexus  phrenicus 
und  coeliacus  anastomosirt. 

4.  Plexus  spe^^mafici.  Sie  begleiten  die  Arf4>ria  spermatica  in- 
terna auf  ihrem  langen  Laufe  zum  Hoden  (zum  Eierstock  bei 
Weibern),  entspringen  aus  dem  Plexus  aorticus  und  renalis,  und 
erhalten  auch  Fäden  vom  Nervus  spermaticus  eocternusy  aus  dem 
Nei*vus  gemtO'Crvralis  des  Plexus  lumbalis, 

5.  Plexus  mesentericus  inferior,  ünpaar,  versieht  das  Colon  des- 
cendens  und  das  Rectum,  letzteres  mit  den  Nervis  haemorrhoidalibus 
superiorHrus.  Der  Nervus  haemorrhoidalis  medius  und  inferior  wurden 
vom  Plexus  pudendalis  der  Nervi  sacrales  abgegeben. 

6.  Plexus  cuyrticus  abdominalis.  Er  zieht  mit  weiten  Maschen 
und  Schlingen  an  der  Bauchaorta  herab,  hängt  mit  allen  voraus- 
gegangenen Geflechten  zusammen,  bezieht  seine  Elemente  vorzugs- 
weise aus  den  Oangliis  lumbalibtis  des  Sympathicus,  und  geht  in 
den  Plexus  hypogastricus  superior  über,  welcher  auf  der  Gabel  der 
Aortentheilung  aufliegt,  und  die  Vasa  iliaca  communia  mit  seinen 
Fortsetzungen  begleitet.  In  der  kleinen  Beckenhöhle  zerfällt  er  in 
die  beiden 

7.  Plexus  hypogastrici  inferiores,   welche    an    den    Seiten    des 
Mastdarms  liegen,    durch   sehr   unbedeutende   Fäden    der   & 
sacraliaj  wohl  aber  durch  ansehnliche  Ableger  deB  P2MBf 

des  vierten  und  fünften  Kreuznerven   yerstftrkt  m 

HyrtU  Lehrbnek  d«r  Analomto. 


SßQ  §•  S^*   Literatur  des  gesammten  NerrensTstems. 

und  kleinere  Knötchen   in  variabler  Menge  enthalten  ^   und  sich  iu 
folgende  untergeordnete  Geflechte  auflösen: 

a)  Plexus  uterinua.  Er  liegt  zwischen  den  Blättern  des  Ligamentum  Jatum 
uteri.  Die  in  das  Gewebe  des  Utems  selbst  eindringenden  Fortsetzungen  dieses 
Geflechtes,  führen  zahlreiche  kleine  Ganglien.  Diese  sind  eben  so  viele  Bewe- 
gungscentra  des  Uterns,  und  machen  es  verständlich,  dass  Fraaen  im  bewoiit- 
losen  Zustande,  ja  selbst  als  Leichen,  geboren  haben.  Der  letzte  Fall  dieser  Art 
ereignete  sich  in  Spanien,  während  des  letzten  Bürgerkrieges,  wo  eine  schwan- 
gere Frau,  von  den  Carlisten  gehängt  vier  Stunden  nach  ihrem  Tode  am  Galgen 
gebar ! 

ß)  Plexu»  vesicalis  zur  Harnblase,  Samenbläschen,  Vaa  de/erensy  Prottata, 
(im  Weibe  zur  Vagina  als  Plexus  veHco-vagincMs). 

y)  Plexu»  cavernosus.  Er  ist  eine  Fortsetzung  des  Plexus  vesicaUs,  durch- 
bohrt mit  der  Arferia  pvdenda  communis  das  Ligamentum  trianguläre  urethrae, 
gelangt  dadurch  an  die  Wurzel  des  Penis,  und  theilt  sich  in  Zweige,  von  welchen 
die  meisten  den  Anfangstheil  der  Schwellkörper  durchbohren,  um  zu  ihrem  Pa- 
renchym  zu  gelangen,  während  die  übrigen  ein  auf  dem  Rücken  des  Penin  fort- 
laufendes Geflecht  bilden,  welches  mit  dem  Nervus  penis  doraalis  anastomosirt, 
und  in  seine  letzten  Filamente  sich  auflösend,  vor  der  Mitte  des  Penis  ebenfalb 
die  Faserhaut  der  Schwellkörper  durchbohrt,  um  im  Parenchym  derselben  unter- 
zugehen. —  Im  Weibe  ist  dieses  Geflecht  viel  schwächer  und  für  die  Clit«jri* 
bestimmt.     Es  erscheint  hier  nur  als  Anhang  des  Plexus  vesico-vaginalis. 

Es  leuchtet  von  selbst  ein,  dass,  wenn  man  alle  Geflechte  ausführlich 
schildern  wollte,  welche  zu  den  verschiedenen  Organen  des  Körpers  auslaufen, 
die  engen  Grenzen  eines  Lehrbuches  bald  Überschritten  sein  würden.  Dieses  ist 
hier  weder  thunlich,  noch  überhaupt  nöthig.  Auch  häufen  sich  die  Varietäten 
so  sehr,  dass  durch  ihre  Zusammenstellung  wahrscheinlieh  mehr  Verwirrung  al§ 
Licht  in  den  Gegenstand  gebracht  würde.  Der  Umstand,  dass  die  Geflechte 
grösstentheils  den  Schlagarlervcrzweigungen  folgen,  gio.bt  dem  Schüler  ein  leicht« 
Mittel  an  die  Hand,  die  Quollen  anzugeben,  aus  welchen  die  Organe  ihre  sym- 
pathischen Geflechte  ableiten. 

G.  C,  Ludwigj  de  plexibus  nervorum  abdom.  Lips.,  1772.  4.  —  A,  Wrii- 
herg^  de  nervis  viscerum  abdom.,  in  Comment.  Vol.  IL  —  J.  Ö.  Wetlter^  tab. 
nervonim  thoracis  et  abdom.  Berol.,  1784.  fol.  —  Tiedemanny  tabulac  nervorum 
uteri.  Heidelbergae,  1822.  fol.  —  J.  Müller^  über  die  organischen  Nerven  der 
Geschlechtsorgane,  etc.  Berlin,  1836.  4.  —  A.  CroVa,  neurologiae  partium  geni- 
talinm  masculinarum  prodronius.  Erlangae,  1823.  4.  —  Beck  und  Lee^  On  the 
Nerves  of  the  Uterus.  Phil  Transact.  Vol.  41  und  42.  —  R.  Tteniak,  über  ein 
selbstständiges  Darmnervensystem.  Berlin,  1847. 


§.  386.  Literatur  des  gesanunten  Uervensystems. 

Die   neueste  Literatur  über   die    einzelnen  Nerven    ist   in   den 
betreflfendeu  Paraf^raplien  der  Nervonleliro  angegeben. 

Gesamnite  besehreibende  Nervenlehre: 

C.  F.  Ludvig^  sammelte  unter  dem  Titel:  Scriptores  ueurologici  minores 
IV.  Vol.  Lips.,  1791  —  1795,  die  besten  Moiioi;:raphien  einzelner  Gehirn-  und 
Kückenmarksnerven.  —  M.  J.  Langenf*erk,  Nervenlehre.  Göttingen,  1831.  Mit 
llinweisung    auf    dessen    Icones    nourolo^icac.    Fase.    T  —  III.    —    J,    Quain    and 


S.  886.  LiUratnr  des  g^sunmten  Nenrensystems.  867 

W,  E,  Wilson^  The  Nerves,  including  tbe  Brain  and  Spinal  Marrow,  and  Organs 
of  Sense.  Lond.,  1837.  —  J,  B,  F.  Frommt,  trait^  d^anatomie  hnmaine.  Nevro- 
logie.  T.  I.  et  II.  Paris,  1846.  (Compilatorisch.)  —  L.  Hirsc^feld  und  B,  L^eUU, 
Nevrologie.  Paris.  Oiebt  Beschreibangen  und  Abbildungen  des  Nervensystems 
und  der  Sinnesorgane,  mit  Angabe  der  Präparationsmethode.  Erscheint  in  Liefe- 
rungen. Bis  jetzt  10.  —  Der  Icon  nervorum  von  R.  Froriep,  Weimar,  1850,  ent- 
hält auf  Einer  Tafel  das  gesammte  Nervensystem  dargestellt  —  Eine  vollständige 
Zusammenstellung  älterer  und  neuerer  Literatur  bis  zum  Jahre  1841  findet  sich 
in  Sömmerring^s  Hirn-  und  Nervenlehre,  umgearbeitet  von  G.  Vcdentin.   * 

Gehirn-  und  Rückenmark: 

F.  J.  Oall  et  O.  Spurtheim,  recherches  sur  le  Systeme  nerveux  en  g^neral 
et  sur  celui  du  cerveau  en  particulier.  Paris,  1809—1819.  4  Vol.  100  planches. 
fol.  —  K,  F.  Burdach,  vom  Bau  und  vom  Leben  des  Gehirns.  Leipzig,  1819  — 
1826.  —  8.  Th.  8'ömmerrtng,  de  basi  encephali  et  originibus  nervorum.  Gx>ttingae, 
1778.  —  Ejusdem,  quatuor  hominis  adulti  encephalum  describentes  tabulas  com- 
mentario  illustravit  E.  cT  Alton.  Berol.  1830.  —  J.  C.  Wenzel,  de  penitiori  struc- 
tura  cerebri  et  med.  spin.  Tubing.,  1816.  —  F,  Arnold,  Tabulae  anat.  Fase.  I. 
Icones  cerebri  et  med.  spin.  Turici,  1838.  —  F,  Tiedemann,  das  Hirn  des  Negers 
mit  dem  des  Europäers  und  Orang-Utangs  verglichen.  Heidelberg,  1837.  —  Ä 
StiUing,  über  die  Medulla  oblongata.  Erlangen,  1853.*—  Desselben,  Untersuchun- 
gen über  Bau  und  Verrichtungen  des  Gehirns,  I.  Jena,  1846.  —  A,  Forg,  Bei- 
träge zur  Kenntniss  vom  inneren  Baue  des  menschlichen  Gehirns.  Stuttgart, 
1844.  —  R,  B.  Todd,  The  Descriptive  and  Physiol.  Anatomie  of  the  Brain, 
Spinal  Cord,  etc.  London,  1846.  —  J.  /..  Clarke,  Phil.  Transact.  1861,  1853. 
(Mikroskopische  Untersuchungen.)  —  E.  Stephani,  Beiträge  zur  Histologie  der 
Hirnrinde.  Dorpat,  1860.  —  Freih.  v.  Bihra,  vergl.  Untersuchungen  über  das 
Gehirn  des  Menschen.  Mannh.,  1853.  —  v.  Lenhoaaek,  ntwore  Untersuchungen  Über 
den  feineren  Bau  des  centralen  Nervensystem«  in  den  Denkschriften  der  kais. 
Akad.  10.  Bd.  —  P.  Ghatiolet,  memoire  sur  les  plis  c^rdbraux  de  Thomme  et 
des  primat^s.  Paris,  1854.  avec  13  planches.  —  E.  Uusckke,  Schädel,  Gehirn, 
und  Seele  des  Menschen.  Jena,  1855.  Mit  8  Tafeln.  —  H.  Luschka,  die  Ader- 
geflechte des  menschlichen  Gehirns.  Berlin,  1855.  Mit  4  Tafeln.  —  F.  Bidder 
und  C.  Kupffer,  Untersuchungen  über  die  Textur  des  Kückenmarks,  etc.  Leipzig, 
1847.  —  B.  StiUing,  neue  Untersuchungen  über  den  Bau  des  Rückenmarks, 
5  Liefemngen.  Cassel,  1858,  in  welchen  die  gesammte  übrige  Literatur  dieses 
so  hochwichtigen  und  zugleich  so  schwierigen  Gebietes  augegeben  ist  —  Fr. 
Goü,  in  den  Denkschriften  der  med.-chir.  Gesellschaft  zu  Zürich,  1860.  —  N. 
Jacubovitsch,  über  die  feinere  Structnr  des  Gehirns  und  Rückenmarks.  Breslau, 
1857.  —  C.  B.  Reichert,  Bau  des  menschlichen  Gehirns,  etc.  Leipzig,  1860 — 1861. 
—  (7.  Frommann,  Untersuchungen  über  das  Kückenmark.  Jena,  1864.  —  O. 
Deiters,  Untersuchungen  über  Gehirn  und  Kückenmark.  Braunschweig,  1865.  — 
W.  Turner,  the  Couvolutions  of  the  Cerebrum.  Ediuburg,  1866.  --  Ueber  die 
Entwicklungsgeschichte  des  Gehirns  handelt  (ausser  den  in  der  allgemeinen  Lite- 
ratur angeführten  Entwicklungsschriften)  das  noch  immer  classische  Werk:  T. 
Tiedemann,  Anatomie  des  Gehirns  im  Fötus  des  Menschen.  1816. 

Hirnnerven: 

F,  Arnold,  icones  nerrorom  capitis.  Heidelberg,  1834.  Neue  Auflage.  1860. 
Das  beste  und  vollf tändigste  Kupferwerk,    da  ef  dorehAiu  lUMh  eiirenen  Unter- 
suchungen des  Verfassers  ausgeführt  wnrde.   -^  Bid^ 
tungen.  Dorpat,  1886.  —  G.  F.  Fae^Mk^  äi 


868  §•  386.  Literatur  des  gesammten  Nerreaiystems. 

Brannschweig.  2.  AuOage.  1848.  Mit  6  Tafeln.  ~  Rüdinger,  Pbotographischer 
Atlas  des  peripherischen  Nervensystems.  München.  Erscheint  liefemngsweue.  — 
Ph,  E,  Büchoff,  mikroskopische  Analyse  der  Kopfioerven.  Mflnchen,  186&.  — 
W,  Kraute,  Neurologie  der  ob.  Extr.  Leipzig,  1866.  —  Poüe,  die  Nervenverbrei- 
tong  in  den  weibl.  Genitalien.  Gott,   1865. 

Sympathicus: 

C.  0,  Wutzer,  de  corporis  hnm.  gangliorum  fabrica  atque  iisu.  Berol.. 
1817.  —  F.  Arnold,  Kopftheil  des  veget  Nervensystems.  Heidelb.,  1830.  —  A. 
Scarpa,  de  nervonim  ganglüs  et  plexibus,  in  ejusdem  Annot.  anatom.  Lib.  IL 
—  J.  F.  Lobstein,  comment  de  nervi  sympathetici  hum.  fabrica,  usu  et  morbis. 
Paris,  1834.  —  Th,  Krause,  Synopsis  icone  illostrata  nervonim  systematis  gm* 
gliosi  in  capite  hominis.  Hannoverae,  1839.  —  C  W.  Wutzer,  über  die  Verbin- 
dung der  Intervertebralganglien  und  des  Rückenmarks  mit  dem  vegetativen 
Nerv'ensystem ,  in  MüUer^s  Archiv.  1842.  —  Bidder  und  Volknianfi,  die  Selbit- 
stfindigkeit  des  sympathischen  Nervensystems,  durch  anatom.  Untersuchun^n 
nachgewiesen.  Leipzig,  1842.  —  C.  A.  Piesehel,  de  parte  cephalica  nervi  sympt- 
thici.  Lipsiae,  1844  (vom  Pferde).  —  Reich  an  neuen  sehr  interessanten  and 
physiologisch  wichtigen  anatomischen  Thatsachen  über  das  Verhalten  des  Sym- 
pathicus zu  den  Wänden  des  Wirbelkanals  und  der  Schädelhöhle,  so  wie  zu  den 
Häuten  des  Hirns  und  Rückenmarks,  ist  N.  Rüdinger^s  ausgezeichnete  Arbeit: 
Ueber  die  Verbreitung  des  Sympathicus,  etc.  München,  1863. 

Ungeachtet  des  Umfangs  der  neurologischen  Literatur,  und  der  danken»- 
werthen  Bereicheningen,  welche  der  Fleiss  der  Zergliederer  diesem  Zweige  der 
anatomischen  Wissenschaft  zuwege  brachte,  ist  die  Physiologie  des  Nervensystems 
noch  lange  nicht  zu  jenem  Grade  von  Bestimmtheit  gelangt,  dessen  sich  andere 
Capitel  der  Physiologie  erfreuen,  und  welchen  wir  gerade  bei  diesem  System  so 
ungern  vermissen.  Erst  in  neuerer  Zeit  hat  sich  durch  J.  Müller  eine  Physio- 
logie der  Nervenwirkungen  zu  bilden  begonnen,  und  man  hat  die  Kunst  erlernt, 
die  Lösung  der  RKthsel  des  Nervenlebens  durch  das  Experiment  anzustreben. 
,  Leider  haben  die  Experimente  am  lebenden  Thiere  nur  zu  oft  zu  contradicto- 
rischen  Resultaten  geführt.  Wo  auf  so  verschiedenen  Wegen  dem  Einen  Ziele 
nachgestrebt  wird,  kann  es  an  Verschiedenheiten  der  Auslegungen  und  Ansichten 
nicht  fehlen,  um  so  mehr,  als  man  nicht  sieht,  was  die  operirten  Thiere  fühlen. 
Der  schwächste  Theil  des  Ganzen  ist  die  mikroskopische  Gehirn-  und  Rücken- 
marksauatomie,  und  so  lange  die  Sammlungs-  und  Vereinigungsweise  der  Nerven 
in  den  Centralorganen  nicht  besser  bekannt  sein  wird,  als  gegenwärtig,  werden 
die  Hypothesen  nicht  so  leicht  von  ihrem  Throne  zu  stossen  sein. 


• 
t 


SIEBENTES   BUCH. 


Gefässlehre. 


A.   Herz/) 


§.  387.  Allgemeine  Beschreibung  des  Herzens. 

l^ie  GefäBslehre,  Angiologia  (oY^eTov,  Gefäss),  umfasst  die 
specielle  Beschreibung  der  vier  Hauptabtheilungen  des  Gefässsystems: 
Herz,  Arterien,  Venen  und  Lymphgefässe. 

Das  Herz,  Cor,  ist  das  Centralorgan  des  Gefässsystems.  Es 
stellt  einen  hohlen,  halbkegelfiirmigen,  musculösen  Körper  dar,  wel- 
cher in  der  Brusthöhle,  dicht  hinter  dem  Brustbein,  und  zwischen 
den  concaven  Flächen  beider  Lungen  liegt.  Man  kann  im  Allge- 
meinen sagen,  dass  die  Lage  des  Herzens  der  Vereinigungsstelle 
des  oberen  Drittels  der  Körperlänge  mit  dem  mittleren  entspricht; 
somit  die  Organe  der  oberen  Körperhälfte  unter  einem  unmittel- 
bareren Einfluss  des  Herzens  stehen,  als  jene  der  unteren. 

Der  Herzkegel  kehrt  seine  Basis  nach  oben,  seine  Spitze 
(Apex  8,  Mvcro)  nach  links  und  unten ,  und  besitzt  eine  vordere 
(obere)  convexe,  und  eine  hintere  (untere)  platte  Fläche,  nebst 
zwei  Seitenrändem.  Beiläufig  in  der  Mitte  der  vorderen  Fläche 
zieht  eine  Furche  herab,  welche  nicht  über  die  Spitze  weg,  son- 
dern etwas  rechts  von  ihr,  zur  hinteren  Fläche  sich  umbiegt,  und 
an  ihr  bis  zur  Basis  zurückläuft:  —  die  Längenfurche  des  Her- 
zens, Sulcus  longifiidinalis.  Sie  theilt  äusserlich  das  Herz  in  eine 
rechte  und  linke  Hälfte,  und  entspricht  der  in  der  Höhle  des  Her- 
zens angebrachten  longitudinalen  Scheidewand.  Sie  wird  durch  die 
Ring-  oder  Quer  furche  (Sulctis  circulaina  s,  coronalis)  rechtwin- 
kehg  geschnitten,   welche  sich  aber  nur  an  der  hinteren  Herzfiäche 


*)  Die  §§.  46 — 69  des  ersten   Bnches  (Gewebslehre)   m9g«n  M 
lesen  werden.  ' 


872  S*  ^7.  Allgemeine  Beschreibung  des  HeiMns. 

besonders    ausgeprägt   zeigt,    an   der   vorderen    dagegen  durch  fic 
Ursprünge  der  Arteria  aarta  und  pidmonalis  verdeckt  wird. 

Die  absolute  Grösse    des  Herzens  stimmt  gewöhnlich   mit   der  Grösie  der 
Faust  überein.     Sein    Gewicht    beträgt   im   Mittel   20  Loth,    seine  grösste  Lingc 
verhält    sich    zur   grösstcn   Breite   wie   5:4.    Im  weiblichen   Geschlechte  nehmen 
Gewicht  und  Grösse  beiläufig  um  ein  Sechstheil  ab.  —  Kein   Organ  bietet  übri- 
gens so  auffallende  Schwankungen  seiner  Grösse  und  seines    Gewichtes  darf  wie 
das  Herz.     Vergrösserung    des    Herzens,    mit    Erweiterung   seiner  Höhlen,  h^«t 
Herzaneurysma;    Vergrösserung    mit   Verdickung    der   Wand:    Herxhyper- 
trophie.     Erweiterung    der    Höhlen   mit   Verdickung   der  Wand  vermehrt  seine 
Grösse  und  sein  Gewicht  so  bedeutend,  dass  die  filr   diese  Abnormität  von  fran- 
zösischen Anatomen  gebrauchte   Benennung,    als    coe^ir  de   boeitf,    entschuldigbar 
wird.    Die  deutschen    wählten   für   geringere    Grade    dieses    Leidens,    welche  bei 
sitzender  Lebensweise  sich  einzustellen  pflegen,  den  minder  bedenklichen  Namen: 
cor  HtercUorum, 

Die  Lage  des  Herzeus  ist  eine  schiefe,  indem  sein  langer 
Durchmesser  mit  dem  verticalen  Brustdurchmesser  einen  Winkel 
von  circa  50®  bildet.  Ersterer  wird  von  letzterem  nicht  in  seiner 
Mitte,  sondern  1"  über  derselben  geschnitten,  wodurch  ein  grösserer 
Theil  des  Herzens  der  linken,  ein  kleinerer  der  rechten  Thorax- 
hälfte angehört.  Bei  den  Säugethieren,  und  im  frühen  Embryoleben 
des  Menschen,  ist  die  Herzlage  eine  verticale. 

Die  Basis  des  Herzens  liegt  hinter  dem  Corpus  Htenii^  in  gleicher  H'tbe 
mit  dem  sechsten  Brustwirbel,  oder  dem  Zwischenräume  des  vierten  and  fünften 
rechten  Rippenknorpels,  die  Spitze  hinter  den  vorderen  Enden  der  sechsten  nnd 
siebenten  linken  Rippe.  Die  Richtung  des  langen  Durchmessers  de«  Heneni« 
geht  somit  schief  von  rechts,  oben,  und  hinten,  nach  links,  unten,  und  vom. 
Zwischen  der  Basis  des  Herzens  und  der  Wirbelsäule,  liegen  die  (^ontenta  des 
hinteren  Mittelfellraums. 

Die  Herzhöhle  wird  durch  eine,  dem  8ulcu4i  tongitudinalis  ent- 
sprechende Scheidewand,  in  eine  rechte  und  linke  Hälfte  abge- 
theilt.  Jede  Herzhälfte  besteht  aus  einer  Kammer,  Venfricnlns,  und 
einer  Vorkammer  oder  Vorhof,  Atrium,  Jede  Vorkammer  be- 
sitzt ein  nafch  vorn  und  innen  gekrümmtes  Anhängsel,  das  Herz- 
ohr, Auricula  cordis,  —  Der  Sulcus  circularis  bestimmt  äusserHch 
die  Grenze  zwischen  Vorkammern  und  Kammern.  Beide  Vorkam- 
mern werden  durch  das  jSej^tnvi  ntriw^vmy  beide  Kammern  durch 
das  Septum  ventriculormn  von  einander  gescliieden.  Die  Kammern 
besitzen  bedeutend  fleischigere  Wandungen  als  die  Vorkammern, 
weshalb  man  früher  die  Kammern  als  musculöses,  die  Vorkam- 
mern als  häutiges  Herz  unterschied  {Cor  mNscuiasnm,  Cor  mern- 
branaceiini). 

Bei  den  französischen  Autoren  wird  das  Wort  oreilfelte  nicht  für  unser 
Herzohr,  sondern  für  die  ganze  Vorkammer  gebraucht.  Ebenso  bei  den  Englän- 
dern das  Wort  auricle. 

Jede  Kammer  hat,  der  Kegelform  des  Herzens  wegen,  eine 
dreieckige    Gestalt,    mit    unterer    Spitze.     Die    rechte    Kammer   ist 


§.  887.  Allgemeine  Beschreibung  des  Henens.  873 

dünnwandiger  als  die  linke,  die  Höhlen  beider  sind  unter  einander 
und  jenen  der  Vorkammern  gleich,  wenn  nicht  krankhafte  DiflFe- 
renzen  obwalten.  Die  innere  Oberfläche  der  Kammern  ist,  so  wie 
jene  der  Vorkammern  und  Herzohren,  nicht  glatt  und  eben.  Denn 
die  Muskelbtindel,  welche  die  Herzwand  zusammensetzen  helfen, 
springen,  gegen  die  Höhle  des  Herzens  zu,  mehr  weniger  vor,  ragen 
auch  frei  in  sie  hinein,  so  dass  sie  mit  einer  Sonde  umgangen  und 
aufgehoben  werden  können,  oder  laufen,  wie  es  in  den  Herzohren, 
und  in  der  Nähe  der  Spitzen  der  Kammern  zu  beobachten  ist,  quer 
von  einer  Wand  zur  anderen.  Sie  heissen  in.  den  Kammern,  wo 
sie  die  verschiedensten  Richtungen  zeigen,  Fleischbalken  des 
Herzens,  Trabecubae  caitiea^;  in  den  Vorkammern  dagegen,  wo 
ihre  Richtung  eine  mehr  parallele  wird,  Kammmuskeln,  Musculi 
pectinatL 

Die  Vorkammern  hängen  mit  den  gi'ossen  Venenstämmen  zu- 
sammen, die  rechte  mit  den  beiden  Hohlvenen  und  den  Herzvenen, 
die  linke  mit  den  vier  Lungenvenen.  Aus  jeder  Vorkammer'  filhrt 
eine  geräumige  Oefinung,  das  Ostinm  atrio-ventricularey  s.  Ostium 
venosum  ventricidij  in  die  entsprechende  Kammer,  und  aus  der  Kam- 
mer eine  ähnliche  Oefinung  in  die  aus  ihr  entspringende  Arterie, 
als  Ostium  arteinosnm  ventriculi.  Beide  Ostia  einer  Kammer  befinden 
sich  an  der  nach  oben  gekehrten  Basis  derselben.  Das  Ostium  arterio- 
sum  der  rechten  Kammer  führt  in  die  Lungenschlagader,  jenes  der 
linken  in  die  Aorta. 

Das  Ostium  artei^osum  -  und  veiiosum  jeder  Kammer  besitzt 
einen  Klappenapparat,  welcher  zum  Mechanismus  der  Herzthätig- 
keit  in  innigster  Beziehung  steht,  und  dessen  sinnreiche  Einrich- 
tung an  jene  der  Pumpenventile  erinnert  Der  Bau  der  Klappen 
lässt  sich  so  aufiassen.  Die  innere  Haut  des  Herzens  (Endocar- 
divm)  geht  am  Rande  des  Ostii  venosi  nicht  einfach  aus  der  Vor- 
kammer in  die  Kammer  über,  sondern  stülpt  sich  im  ganzen  Um- 
fang dieses  Ostiums  in  die  Höhle  der  Kammer  ein,  und  erzeugt 
dadurch  eine  Falte  in  Gestalt  einer  kurzen  Röhre,  welche  zwischen 
ihren  beiden  Blättern  eine  blattförmige  Verlängerung  jenes  fibrösen 
Ringes  enthält,  welcher  das  Ostium  venosum  der  Kammer  umgiebt, 
und  im  nächsten  Paragraph  als  Annulus  ßb^'o-cartilagineus  erwähnt 
wird.  Diese  nach  abwärts  in  die  Kammer  gerichtete  Einstülpung  des 
Endocardiums,  denke  man  sich  ausgezackt,  oder  in  Zipfe  zuge- 
schnitten, welcme  Klappen  (Val'milae  atrio-ventHculares)  genannt 
werden.  Das  Ostium  venosum  der  rechten  Kammer  besitzt  deren 
drei,  jenes  der  linken  Kammer  nur  zwei  solche  Klappenzipfe. 
Man  bezeichnet  deshalb  die  ersteren  als  Valvula  tricuspidalis  «. 
triglochis,  die  letzteren  als  VcUoula  hicuspüaU»  s.  «är 
freien    Rand    und    an    die    der   inneren   Ob 


874  §•  987.   Allgem«ine  BMehreibimg  des  Hmmu. 

zusehenden  Flächen  der  Klappen,  setzen  sich  einfache,  oder  mehr- 
fach gespaltene  sehnige  Fäden  (Chordae  tendineae)  fest,  welche 
grösstentheils  von  isolirt  hervorragenden,  zapfenförmigen,  derben 
Muskelbündeln  der  Kammerwand  (MusciUi papiUareSj  Warzenmus- 
keln)  ausgehen.  —  In  den  Orißciü  arterUms  beider  Kammern  faltet 
sich  das  Endocardium  ebenfalls,  um  in  jedem  derselben  drei  halb- 
mondförmige IGappen  {Valvultie  semilunares  s.  sigmoideae)  zu  bil- 
den, welche  so  gestellt  sind,  dass  sie  mit  ihren  freien  concaven 
Rändern,  von  der  Kammer  weg,  gegen  den  weiteren  Verlauf  der 
am  Ostium  arteriosum  entspringenden  Arterie  gerichtet  sind,  ihren 
befestigten  convexen  Rand  aber  in  der  Peripherie  des  Ostium  arit- 
rioaum  einpflanzen.  In  der  Mitte  des  freien  Randes  jeder  halbmond- 
förmigen  IGappe  findet  sich  eine  knötchenähnliche  Verdickung  ab 
Nodulus  Arantii  s.  Morgagni^  welche  in  den  Semilunarklappen  der 
Aorta  immer  stärker  als  in  jenen  der  Arteria  pulmonaUa  ent- 
wickelt ist. 

Auch  am  freien  Rande  der  Atrio-Ventricnlarklappen  kommen  solche  Knöt- 
chen vor,  welche  von  Albini  beschrieben  wurden  (Wochenblatt  der  Zeitschrift 
der  Wiener  Aerzte,  1856,  N.  26).  Dieselben  waren  jedoch  schon  älteren  Anato- 
men bekannt,  und  Cruveilhier  erwähnt  ihrer  ausdrficklich  mit  den  Wortes: 
la  circonf^rence  libre  de  la  valvule  präsente  quelquefois  de  petita  nodales. 
Trait^  d'anatomie  descriptive.  3.  ^dit  Tom.  II.,  pag.  626. 

Der  Mechanismus  der   Herzklappen  lässt    sich  leicht    verstehen.    Da  die 
Herzkammern  in  einem  ununterbrochenen  Wechsel  von  Ausdehnunj^  und  ZnMm- 
menziehnn^  begriffen  sind,   und  dadurch   das  Blut  bald  aus   den  Vorkammern  in 
sich  aufnehmen,  bald  in  die  Arterien   hinaustreibeti,   so  müssen    die   Klappen  so 
angebracht  sein,  dass  sie  dem  Eintritte  des  Blutes  durch  das  Orißcium  venowvi, 
und  dem    Austritte   durch   das    Qj-ifirium    arterio9itm,    kein    Hinderniss    entgegen- 
stellen. Es  sind  deshalb  die  freien  Ränder  der   Valvula  tricuapidalia   und  mitraliM 
gegen  die  Höhle  der  Kammer  gekehrt,   jene   der    VcUviUae  semilunares    aber  von 
ihr  abgewendet.     Dehnen  sich  die  Kammern  aus,    so  strömt  das   Blut   durch  die 
geöffnete  Schleusse  der   Valintla  tricu^idalU  und  müralU   ungehindert   in  sie  ein. 
Folgrt  im  nächsten  Moment    die    Zusammenziehung    der    Kammer,    so  würde  dM 
Blut  theilweise  den  Weg  wieder  zurücknehmen,  auf  welchem   es  in  die  Kammer 
gelangte.     Um  dieses  zu  verhüten,    stellen    sich    die   Zipfe  der    Valvula   trieutpi- 
dalis  und  mitralis  so,  dass  sie  das    Ostium   cUi'io-veniriculare  schliessen,    und  das 
Blut  somit  durch  die    andere   Oeffnung   der   Kammer   (Ostium   arteriosum)   in  die 
betreffende  Schlagader  getrieben  wird.     Die   Valvnlae  semilunares  sind,    während 
die  Kammer  sich  zusammenzieht,    und  das    Blut   in   die   Arterie   treibt,   geötfnet. 
Hört  die  Zusammenziehung  der  Kammer  auf,  so  sucht  die  Elasticität  der  Arterie 
einen  Theil  des  Blutes  wieder  in  die  Kammer   zurückzutreiben.     Dieses  Zurück- 
stauen  des  Blutes   schliesst   die    Vahtäae  semilunares^   und   versperrt   der   einmal 
aus  dem  Herzen  getriebenen  Blutsäule,  den  Rücktritt  in  dasselbe.  Das  Klappen- 
spiel des  Herzens  wiederholt   somit  die   bekannte   Ventilation  einer  Druck-  und 
Saugpumpe. 


(.  388.    Bau  d«r  Hcnwuid.  875 


§.  388.  Bau  der  Eerzwand. 

Man  unterscheidet  am  Herzen  einen  äuBBeren  und  inneren  häu- 
tigen Ueberzug,  und  eine  zwischen  beiden  liegende  Muskelschicht^ 
welche  an  den  Kammern  bedeutend  stärker  als  an  den  Vorkammern, 
und  an  der  linken  Kammer  stärker  als  an  der  rechten  ist. 

Der  äussere  häutige  Ueberzug  des  Herzens  gehört  dem  Herz- 
beutel an,  dessen  inneren  oder  eingestülpten  Ballen  er  darstellt. 
Dünn,  glatt,  und  sehr  reich  an  elastischen  Fasern,  hängt  er  durch 
kurzes  Bindegewebe,  welches  in  den  Sulcis  gewöhnlich  mehr  weni- 
ger Fett  enthält,  so  fest  mit  der  Muskelschichte  zusammen,  dass  er 
nur  schwer,  imd  nie  als  Ganzes  abgezogen  werden  kann.  Stellen- 
weise Verdickung  dieses  Bindegewebes  durch  plastische  Exsudate, 
erzeugt  die  sogenannten  Sehnenflecke  des  Herzens. —  Die  innere 
Auskleidung  der  Herzhöhlen  (Endacardium)  ist  eine  dünne,  mit  ein- 
schichtigem Pflasterepithel  versehene,  vorzugsweise  aus  elastischen 
Fasern  bestehende  Membran,  welche  durch  Faltung  die  Klappen 
bildet,  und  alle  Hervorragungen  an  der  inneren  Oberfläche  der 
Kammern  und  Vorkammern  (Trabeculae  cameae,  Musculi  papilläres, 
und  Chordae  tendineae)  mit  Ueberzügen  versieht. 

Die  zwischen  Peri-  und  Endocardinm  eingeschaltete  Muskelschichte  be- 
steht, obwohl  das  Herz  zu  den  unwillkürlichen  Muskeln  zählt,  aus  querge- 
streiften Muskelfasern.  An  den  Vorkammern  gehören  die  oberflächlichen  Mus- 
kelbündel beiden  zugleich  an,  d.  h.  sie  gehen  um  beide  herum.  Die  tiefer 
gelegenen  entspringen  und  endigen  an  den  AnnuUa  fibro-cartilagineisy  und  um- 
greifen schleifenartig  nur  Eine  Vorkammer.  An  depi  Einmündungssteilen  der 
KOrpervenen,  der  Kranzvene  des  Herzens,  und  der  Lnngenvenen  in  die  betref- 
fenden Vorkammern,  so  wie  an  dem  embryonischen  Foramen  ovale  des  Septum 
atriammj  nimmt  die  Muskelschichte  die  Gestalt  von  Kreismuskeln  an.  —  An  den 
Kammern  wird  die  Anordnung  der  Muskelbündel  eine  viel  complicirtere.  Sie  ist, 
offen  gestanden,  nicht  genau  bekannt  Die  oberflächlichste  Faserlage  besteht  aus 
Fasern,  welche  schief  über  beide  Kammern  weglaufen,  und  nachdem  sie  die 
Spitze  des  Herzens  umschlungen  haben  (wodurch  der  sogenannte  Herzwirbel 
gebildet  wird),  in  die  tiefste  Faserlage  übergehen,  welche  durch  die  Musculi 
papilläres  in  Beziehung  zum  Klappenapparat  steht.  Sie  beschreiben  also  im 
Ganzen  Achtertouren.  Die  folgenden  Faserlagen  verhalten  sich  ähnlich.  Jede 
rollt  sich  am  Herzwirbel  ein,  um  in  die  tieferen  Schichten  der  Kammerwand, 
oder  in  das  Septum  ventriculorum  zu  gelangen.  In  der  Nähe  der  Herzbasis  kommt 
auch  ein  breiter  Ring  von  Kreia^em  vor,  welche  nur  Einer  Kammer  angehören, 
und  zwischen  der,  den  beiden  Kammern  gemeinschaftlichen  oberflächlichen  und 
tiefen  Faserlage,  eingeschaltet  liegen. 

Die  Muskelfasern   des   Herzens  sind  feiner  als  andere,  haben  ein  äusserst 
zartes,   stellenweise  sogar  fehlendes   Sarkolemma,  und  hängen  netzförmig  unter 
einander  zusammen,  was  an  den  übrigen  quergestreiften  Muskeln  nie  beobachtet 
wird.    Sie   liegen   sehr   dicht   zusammengedrängt,   wodorcb  «ieh  <1<^ 
Härte  des  gesunden  Herzfleisches  erklirt   Die  Mntk^ 
in  einzelne  Strata  zu  trennen,  erkuht  der  wmilh*^ 


876  §•  S89.  Specielle  BesehrtibiiDf  der  einzelnen  Abtheilnngen  dei  Hwxeiii. 

Die  sich  durchkreuzenden,  Rpärlicheren  Muskelbündel  der  Vorhöfe,  lassen  Ma- 
schen zwischen  sich  frei,  in  welchen  das  Peri-  und  Endocardium  mit  einander 
in  Berührung  kommt 

Ein  grosser  Theil  der  Muskelbündel  der  Kammern  und  Vor- 
kammern des  Herzens  entspringt  von  einem  fibrösen  Gewebe, 
welches  als  vollständiger  oder  unvollständiger  Ring  {Annulus  ßbro- 
cartilg^ineus  gewöhnlich  genannt,  obwohl  er  nur  Bindegewebsstructur 
besitzt),  um  jedes  Ostium  veiiosum  herumgeht.  Er  drängt  sich  so 
weit  gegen  das  Lumen  des  Ostium  venosiim  vor,  dass  er  dessen 
Rand  vorzugsweise  bildet,  ja  selbst  durch  eine  blattförmige  Ver- 
längerung die  Grundlage  der  Valvula  tricusj/idalis  und  mitralis  er- 
zeugt, und  diesen  Klappen  jenen  Grad  von  Festigkeit  giebt,  den 
sie  als  einfache  Duplicaturen  des  dünnen  Endocardiums  nie  be- 
sitzen könnten.  Auch  die  Ostia  artetnosa  der  Kammern  werden  von 
ähnlichen,  aber  schwächeren  Faserringen  umgeben,  deren  blattför- 
mige Verlängerungen  die  Grundlage  der  Valvulae  semilunares  bilden, 
und  ebenfalls  Ausgangs-  oder  Endpunkte  von  Bündeln  des  Herz- 
fleisches sind. 

Die  fibrösen  Ringe  um  die  OHia  otrio-veiitrictUaHa  werden,  ihrer  Bedehim- 
gen  zu  den  MuskelbUndeln  des  Herzens  wegen,  auch  als  Tendints  corditf  oder, 
ihrer  Festigkeit  wegen,  als  CircuH  caUoH  Hallein  bei  ftlteren  Schriftstellern 
benannt.  —  lieber  die  AnnuU  ßhro-cartUaginei  an  beiden  Ostien  der  Kammern, 
und  ihre  Beziehung  zu  den  Klappen,  handelt  ausführlich:  L.  Joaeph^  im  Arch. 
für  path.  Anat.  14.  Bd. 

Mein  ehemaliger  Schüler,  Prof.  Hauschka,  fand,  dass  im  obersten  Be- 
zirke der  Kammerscheidewand,  an  einer  genau  umpchriobenen  Stelle,  dicht  unter 
dem  Winkel,  welchen  die  rechte  und  linke  Valoula  semiUinaiis  der  Aortcnwurzel 
bilden,  die  Muskelfasern  fehlen,  und  die  Endocardien  beider  Ventrikel  zu  einer 
dünnen,  durchscheinenden,  häutigen  Platte  verschmelzen,  welche  den  schwächsten 
Theil  der  Kammerscheidewand  bildet  Unter  pathologischen  Bedingungen  kann 
es  selbst  zum  Durchbruch  dieser  dünnen  Stelle  kommen.  Die  durchscheinende 
muskellose  Stelle  wurde  als  ein  constantes  Vorkommen  erklärt,  da  sie  sich  an 
300  untersuchten  Herzen,  mit  geringen  Variationen  ihrer  Grösse,  vorfand.  (Wiener 
medicin.  Wochenschrift,  18öö,  Nr.  9).  Historische«  und  Pathologischem  Über 
Hause hka's  Entdeckung,  giebt  Ke inhart,  im  Arch.  für  path.  Anat  1857,  and 
Virchow  ebenda,  1858. 


§.  389.   Specielle  Bescilreibimg  der  einzelnen  Abtheilnngen 

des  Herzens. 

1.  Rechte  Vorkammer,  AtHum  dextrum. 

Da  die  rechte  Vorkammer  durch  den  Zusammenfluss  beider 
Hohlvenen  entsteht,  wird  sie  auch  Sinns  venarum  cavarnm  genannt. 
Sie  liegt,  wegen  der  Axendrehung  des  Herzens  nach  links,  mehr 
nach  vom  als  die  linke,  und  hat  —  das  rechte  Herzohr  abgerech- 
net   —    im    ausgedehnten    Zustande    die    Gestalt    eines    irregulären 


|.  S89.  Spttoiell«  B«4»elireibnnf  der  einseinen  Abtheilnngen  de«  Hertens.  877 

Würfels  mit  abgerundeten  Rändern.  Die  rechte  (äussere)  Wand 
des  Würfels  ist  die  kleinste,  indem  die  vordere  und  hintere  Wand, 
ohne  Absatz,  gebogen  in  einander  ttbergehen.  Die  linke  (innere) 
Wand  gehört  dem  Septum  atriorum  an.  Sie  zeigt  an  ihrer  hinteren 
Hälfte  eine  eiförmige  Grube,  Foasa  ovalis,  in  welcher  die  innere 
Haut  beider  Vorhöfe,  wegen  Fehlen  der  Muskelschichte,  in  Be- 
rührung kommt.  Der  Boden  der  Foasa  ovalis  ist  somit  blos  mem- 
branös.  Ein  fleischiger  und  dicker  Wulst,  Limhus  foraminis  ovalis  s. 
Isthmus  Vieusseinij  umgiebt  die  Fossa  ovalis^  meist  nur  an  ihrem 
vorderen  Rande.  Er  kann  nur  von  der  rechten  Vorkammer  aus  gut 
gesehen  werden. 

Sehr  oft  bemerkt  man  rechts  am  Septum,  unter  dem  freien,  nach  hinten 
sehenden  concaven  Rande  des  lAmhits,  eine  Art  von  Tasche  oder  Grube,  aus 
welcher  eine  Sonde  leicht  in  den  linken  Vorhof  hinübergelangt.  In  diesem  Falle 
findet  man  auch  an  der  linken  Seite  des  Septum  einen  mit  seiner  Concavität  nach 
vorn  sehenden  Halbring,  als  vorderen  Rand  des  membrauösen  Bodens  der  Fossa 
ovalis.  Wir  haben  also  in  der  Fossa  ovalis  zwei  einander  mit  ihren  Concavitftten 
entgegen  sehende  Bogen  zu  unterscheiden,  deren  vorderer,  fleischiger,  der  Limbus 
Vieussetiii  ist,  deren  hinterer,  membranöser,  dem  Boden  der  Fossa  angehört. 
Beide  Bogenconcavitftten  sind  so  übereinander  geschoben,  dass  sich  ihre  Runder 
decken,  und  ganz  oder  nur  theilweif«c  verwachsen.  Verwachsen  sie  nur  theilweise, 
so  wird  die  oben  erwähnte  Communication  zwischen  rechter  und  linker  Vorkam- 
mer gegeben  sein.  —  Beim  Embryo  ist  die  Fossa  ovalis  in  ihrer  ganzen  Grösse 
ein  offenes  Loch  —  Foramen  ovale.  Der  Verschluss  dieses  Loches  wird  durch 
das  Hervorwachson  einer  halbmondförmigen  Falte  am  hinteren  Rande  des  Loches 
erzielt,  welche  Falte  sich  immer  mehr  und  melir  erhebt,  bis  sie  den  vorderen 
Umfang  des  Loches  erreicht,  und  sich  daselbst  an  die  linke  Seite  des  Limhus 
Vieussenii  schieberartig  anlegt,  um  mit  ihm  vollständig,  oder  mit  Zurückblei- 
ben einer  Spalte  zu  verwachsen.  Perennlrt  eine  solche  Spalte  auch  im  gebo- 
renen Menschen,  so  wird  sie  doch  keine  Höhlencommunication  des  rechten  und 
linken  Vorhofes  herstellen,  weil  die  über  einander  geschobenen  Ränder  der  Spalte, 
durch  den  in  beiden  Vorhöfen  gleichen  Blutdruck  aneiuandergedrückt  erhal- 
ten werden. 

An  der  hinteren  Wand  der  rechten  Vorkammer  pflanzt  sich  die 
Vena  cava  inferior  ein.  Von  der  vorderen  erhebt  sicli  die  Auricula 
dextra,  welche  sich  als  pyramidale,  vielfach  eingekerbte  Verlänge- 
rung der  Vorkammer,  vor  der  Wurzel  der  Aorta  nach  links  her- 
ttberlegt.  In  der  oberen  Wand  mündet  die  Vena  cava  superior.  Die 
untere  enthält  das  in  die  rechte  Kammer  fahrende  Ostium  venosum. 
An  der  inneren  Oberfläche  der  rechten  Vorkammer,  besonders  an 
ihrer  vorderen  Wand,  sind  die  Musculi  pectinati  sehr  markirt. 

Man  findet  in  der  rechten  Vorkammer  noch: 

a)  Die   Valvula  Thebesii. 

Da  die  rechte  Vorkammer  sämmtliches  Venonblut  zu  sammeln  hat,  so 
muss  die  Kranzvene  des  Herzens,  welche  sich  weder  mit  der  oberen  noch  mit 
der  unteren  Hohlvene  verbindet,  sich  isolirt  in  sie  entleeren.  Diese  Einmündungs- 
stelle  liegt  an  der  Zusammenkunft  der  inneren  und  hinteren  Wand.  Sie  wird 
durch  eine  hmlbmondf^rmige,  inweilen  gefentfterte  Klapoe   ' 


378  §•  S^'  Spedelle  Beschreibung  der  einzelnen  Abtheilnngen  des  H«n«Bs. 

concaver  Rand  gegen  die  Scheidewand  beider  Vorkammern  gerichtet  ift,  g^ 
wohnlich  nur  th eilweise  bedeckt.  Kleinere  Herzvenen  entleeren  sich  ebenfüli 
durch  besonderCf  an  Zahl  variireude  Oe£fnungen  {Foramina  T%ebe»u)  in  die  rechte 
Vorkammer. 

b)  Die   Valmila  Eiistachn, 

Sie  ist  im  Embryo,  wo  ihre  Wirksamkeit,  während  des  Offenseini  dei 
Foranien  ovalem  besonders  in  Anspruch  genommen  wird,  kräftiger  entwickelt 
Reste  derselben  bei  Erwachsenen,  sind  ohne  functionelle  Wichtigkeit.  Ihre  Ge- 
stalt ist  sichelförmig,  ihr  freier  Rand  nach  innen  und  oben  gerichtet,  ihr  fie- 
festigungsrand  erstreckt  sich  vom  rechten  Umfange  der  Hohlrenenmfindmig  nn 
vorderen  Schenkel  des  Istkmtu  Vieus^erdi  empor.  Ihre  Verwendung  im  Embryo 
scheint  darin  zu  bestehen,  dass  sie,  nach  Art  eines  Wehres,  den  Blutstrom  der 
unteren  Cava  gegen  das  Foramen  ov<de  hinlenkt.  Sie  schliesst  deutliche  Mnskel- 
fasern  ein.  Im  Er>vachsenen  trifft  man  nur  einen  Rest  derselben,  welcher  fiber- 
dies  noch  durchlöchert  sein  kann. 

c)  Das  Tuberculum  Loveri, 

Es  wird  als  ein,  hinter  der  Fovea  ovtUis,  zwischen  den  Oeffnungen  beider 
Hohlvenen,  mehr  weniger  vorspringender  Wulst  angegeben.  Er  soll  dazu  dienen, 
die  Blutströme  beider  Cavae  zu  verhindern,  sich  scheitelrecht  zu  treffen,  zu^eick 
aber  auch  den  Strom  der  Cava  superior  zum  OHium  tUrio-ventricuIare  dexirum  n 
dirig^iron,  wie  die  Valvula  Euatachii  den  Strom  der  Cava  inferior  zum  ForamiBt 
ovale  leitet.  Da  nun  der  Strom  der  Cava  superior  blos  venOses  Blut  führt,  jener 
der  Cava  inferior  durch  den  Ductus  venonu  Arantii  auch  arterielles  Blot  au 
der  Nabelvene  erhält,  so  wird  vorwaltend  venOses  Blut  durch  das  (htimm  atri»- 
ventriculare  deitrum  in  die  rechte  Kammer,  von  dieser  in  die  Arteria  pmlwumdit, 
und  sofort  durch  den  Ductus  Botalli  in  die  Aorta  thoracica  deteenden»  gelingen, 
welche  die  untere  Körperhälfte  versieht,  während  das  gemischte  Blut  der  unteren 
Hohlader,  ilirect  durch  das  Foramen  ovale  in  die  linke  Vorkammer,  ans  dieser 
in  die  linke  Kammer,  und  somit  in  den  Aortenbogen  gelangt,  aus  welchen  es  in 
die  obere  Körperhälfte  vertheilt  wird.  Aus  diesem  Verhältniss  soll  sich  der  raschere 
Wachsthum  der  obefeu  Körperhälfte  des  Embryo  gegen  die  untere  ergeben.  Du 
Tuherculum  wurde  von  Rieh.  Lower  zuerst  an  Thierherzen  erwähnt.  Im  men»ck* 
liehen  Herzen  erseheint  es  mir  so  unerheblich,  dass  es  fSglich  unerwähnt  bleiben 
könnte,  wenn  sich  nicht  die  eben  vorgetragene  Theorie,  welche  allenÜng»  möf- 
lieherweise  richtig  sein  kann,  au  sie  knüpfte.  Ein  berühmter  Anatom  fertigt  £e 
Sache  mit  zwei  Worten  ab:  nunquam  vidi. 

2.  Linke  Vorkammer,  Afnmn  sinistnim. 

Die  linke  Vorkammer  wird  auch  Sintis  venarum  pulmawilivu 
«renannt,  und  hat  im  Ganzen  dieselbe  cubische  Gestalt,  wie  die 
rechte.  Die  obere  Wand  nimmt  die  vier  Lungenvenen  auf:  an  der 
linken  Wand  erhebt  sich  die  Anrieft fa  sininfra,  welche  an  ihrer 
Basis  etwas  eingeschnürt  ist,  und  sich  an  die  Wurzel  der  Lunfiren- 
arterie  legt.  Muscnfi  pecfiimti  springen  an  der  inneren  Wand  diese* 
Vorhofes  nicht  vor. 

8.  Rechte  Kammer,   Ventriculns  deocter. 

Sie  hat,  wie  die  linke,  im  Ganzen  eine  dreieckige  Gestalt,  mit 
unterer  Spitze  und  oberer  Basis.  Schneidet  man  das  Hen  quer 
durch,  so  erscheint  der  Durchschnitt  der  rechten  Kammer  ab  Hilb- 


§.  389.  SpecieUe  Beschr«ibnng  der  einzelnen  Abtheüangen  de«  Herzens.  879 

mond.  Die  concave  Seite  des  Halbmonds  gehört  dem  Septum  veii- 
tnculo9'um  an,  welches  nicht  plan,  sondern  gegen  die  rechte  Kammer 
zu  convex  ausgebogen  ist.  Das  Ostium  venosum  und  arteriosum  lie- 
gen an  der  Basis  der  Kammer.  Die  am  Umfange  des  Ostium  veno- 
8um  haftende  Valvula  tricuspidah'Sj  ragt  mit  ihren  drei  Zipfen  weit 
in  die  Kammerhöhle  herab.  Die  Klappenzipfe  werden  in  den  vor- 
deren, hinteren,  und  inneren  eingetheilt.  Der  vordere  ist  der  grösste. 
Nicht  alle  Chordae  tendineae  der  Valvula  tricuspidalis  gehen  aus  Pa- 
pillarmuskeln  hervor.  Es  finden  sich  immer  einige  in  der  rechten 
Kammer,  welche  aus  der  Fläche  des  Septum  ventinculorum  auftauchen. 

Die  Papillarmuskeln  entsprechen  nicht  den  Spitzen  der  Klappen,  sondern 
der  Spitze  des  zwischen  zwei  Klappen  befindlichen  Winkolcinschnittes.  Dadurch 
wird  es  möglich,  dass  ein  Papillarmuskel  seine  Chordae  tendmeae  zu  den  ein- 
ander zugekehrten  Rändern  zweier  Klappen  schickt,  und  somit,  nebst  der  Span- 
nung der  Klappen,  auch  auf  ihren  festeren  Zusammenschluss  einwirkt.  Jene 
Chordae  iendmeaej  welche  nicht  an  den  Rand,  sondern  an  die  der  Wand  des 
Ventrikels  zusehende  FlMche  der  Klappen  treten,  spalten  sich  an  ihrer  Insertions- 
stcUe  dl choto misch  oder  mehrfach,  und  die  Spaltungsästchen  mehrerer  Chordae 
verbinden  sich  zu  einem  Netzwerk,  welches  die  Stärke  der  Klappen  bedeutend 
vermehrt.  Dass  die  Sehnenfäden  der  Papillarmuskeln  sich  nicht  blos  am  freien 
gekerbten  Rande  der  Klappenzipfe,  sondern  auch  an  ihrer  äusseren  Fläche  bis 
zur  AnheftungRstellc  der  Klappe  hinauf  inseriren,  ist  ein  sehr  wichtiger  Umstand, 
der  allein  eine  gleichförmige  Spannung  der  Klappe,  ohne  allzugrosse  Ausbauchung 
derselben  gegen  die  Vorkammer  möglich  macht. 

Das  Ostium  arteinosum  der  rechten  Kammer  liegt  am  linken 
Winkel  der  Kammerbasis,  neben  und  vor  dem  Ostium  venosum^  und 
wird  von  diesem  durch  den  inneren  Zipf  der  Valvula  tricuspidalis 
getrennt.  Man  nennt  jenen  Winkel  der  Kammer,  der  durch  das 
Ostium  arteriosum  in  die  Lungenschlagader  führt,  auch  Conus  arterio- 
suSy  oder  Infundibulum, 

Die  drei  Valvulae  semilunares  am  Ursprung  der  Arteria  pulmo- 
nalis  werden  in  die  vordere,  rechte,  und  linke  eingetheilt.  Sie 
sind  breiter  als  der  Halbmesser  des  Ostium  arteriosum,  und  müssen  des- 
halb, wenn  sie  während  der  Diastole  der  Kammer  zuklappen,  durch 
Flächencontact  ihrer  Ränder  die  Oeffnung  um  so  verlässlicher  schlies- 
sen.  Jede  Valvula  semilunaris  stellt  eine  gewöhnliche  Wandtasche  (wie 
sie  an  Kutschenschlägen  angebracht  werden)  von  massiger  Tiefe  vor, 
welche  sich  im  gefüllten  Zustande  an  die  übrigen  beiden  anpresst, 
so  dass  durch  das  Einstellen  der  drei  Klappen  die  Gestalt  eines  ® 
entsteht. 

Die  Nodvli  Arantii  der  Arteria  ptUmonalia  sind  oft  sehr  klein,  fehlen  aber 
nie  ganz.  Man  hat  auch,  obwohl  äusserst  selten,  zwei  und  vier  Valvulae  semi- 
lunares im  Ostium  arteriosum  der  rechten  Kammer  getroffen  (Meckel,  Cru- 
veilhier). 

4.  Linke  Kammer,   Ventricuhis  sinister. 

Ihre  Wand  ist  beim  Erwachsenen  mehr  als  doppelt  so  stark,  als 
jene  der  rechten,    ihr  Lumen  am  QuerBchnitte  ^  '^nh 


380  f-  '^^  MoekMÜnaai  der  H«npnfli^. 

kein    Halbmond,    sondern   ein    Kreis.     Das    Ostium    venagum  ist  ein 
wenig  enger,   als   in   der  rechten  Kammer,  und  die   VaJvida  vätratii 
{quam  niitrae  episcopali  non  iiiepte  contulerisj  Vesal.)  so  gestellt,  dut 
ihre  Zipfe  in  den  vorderen  und  hinteren  eingetheilt  werden  können. 
Di(;  freien  Ränder,   und  die  der  Kammer  zugekehrten  Flächen  der 
Klappenzipfe,  sind  mit  den  Chordis  tendineia  zweier  PapillarmuskelD 
in  Verbindung,  welche  an  der  vorderen  und  hinteren  ELammerwand, 
nicht  auf  dem  Septum,    aufsitzen.   —    Die    Valvulär  semilunare$  de« 
Ostium  artet'tosum  stehen  so,  dass  man  eine  rechte,  linke,  und  hin- 
tere unterscheidet.  Sie  sind,  so  wie  die  Valvula  mitralis,  dicker  als 
die  Klappen  der  rechten  Kammer.  Von  den  Nadulis  Arantü^  welche 
die  Mitte  jedes  freien  Klappenrandes  einnehmen,   sieht  man  zuwei- 
len bogenförmig  geschwungene  Fasern  zu  den  zwei  Endpunkten  des 
freien  Klappenrandes  hinlaufen.   Diese  bilden  dann  die  sogenannten 
Lunulae  valvularnm,   deren  natürlich  nur  zwei  an  einer  Klappe  vor- 
kommen können.  Obwohl  die   freien  Ränder  der  VdhniUie  semütmarei 
gar  nicht  selten  durchlöchert  erscheinen,   beirrt  dieses  Vorkommen 
den  Verschluss  des  Ostii  m^-iosi  gar  nicht,  da  ja  die  SemilunarUap- 
pen  sich,  wie  früher  erwähnt,    nicht  mit  ihren  linienfbrmigen  Rand- 
säumen, sondern  mit  einer  breiteren  Randzone  aneinanderlegen. 

Der  Schuler  thiit  am  besten,  wenn  er,  um  die  genannten  Oegenftinde  in 
der  Leiche  zu  besichtigen,  das  Herz  in  seineu  Verbindangen  mit  den  groMen 
Gefüssen  lässt,  und  die  Anatomie  des  Herzens  zugleich  mit  der  Topographie  der 
Bnisteingeweide  studirt.  Die  häufig  angewendeten  Richtungs-  und  Lagerong»- 
bestiinmungen  (rechts,  link«,  vorn,  hinten)  sind,  wenn  das  exstirpirte  Her«  wm 
Studium  benützt  wird,  nicht  so  anschaulich,  als  wenn  Alles  in  natfirlicher  Lijre 
verbleibt.  Man  öffnet  den  Herzbeutel,  und  trägt  ihn  an  seiner  Umstülpungsstelle 
zu  den  grossen  Gefässen  ab,  um  Raum  zu  gewinnen,  und  folgt  in  der  Zerjflie- 
derung  des  Herzens  dem  Wege,  welchen  das  Blut  durch  das  Her«  nimmt,  d.  h. 
man  beginnt  mit  der  rechten  Vorkammer,  und  endigt  mit  der  linken  Kammfr. 
Die  Schnitte  werden  an  den  Vorkammern  an  ihrer  vorderen  Wand  gemacht,  nnd 
ffegen  die  Spitze  der  Kammern  am  rechten  und  linken  Rande  des  Herzens  hinah- 
preführt.  Eine  richtige  Ansicht  der  bei  der  Topographie  der  Brusteingeweide  er 
(irterteu  Verhältnisse  der  grossen  Gefässe,  ist  der  beste  Führer  bei  der  Zerglie- 
derung des  Herzens.  Besondere  praktische  Regeln  giebt  das  3.  Cap.  meinet 
Handbuchs  der  jirakt.  Zergliederungskunst.  Wien,  1860. 


§.  390.  Mechanismus  der  Herzpumpe. 

Die  Vorkammern  und  Kammern  des  Herzens  nehmen  wäh- 
rend ihrer  Erweiterung  (Diastole)  Blut  auf,  und  treiben  es  während 
ihrer  Zusammenziehung  (Systole)  wieder  aus.  Die  Erweiterung  ist 
ein  passiver,  die  Zusammenziehung  ein  activer  Zustand  des  Herzens. 
Dass  die  Erweiterung  des  Herzens  kein  activer  Zustand  sei,  lässt 
sich  schon  daraus  entnehmen,    dass  am   Herzen  kein  einziges  Mus- 


§.  990.  Mechuüsmos  der  Henpampo.  881 

kelbündel  existirt;  welches  durch  seine  Zusammenziehung  die  Herz- 
höhlen vergrössem  könnte.  Man  kann  aber  nicht  in  Abrede  stellen^ 
dass  das  nach  vollendeter  Systole  in  die  Diastole  zurückkehrende 
Herz,  wie  jeder  andere  erschlaffte  Muskel,  eine  Verlängerung  aller 
seiner  Muskelbündel  erleidet,  welche  Verlängerung  auf  die  Ver- 
grösserung  der  Herzräume  nicht  ohne  Einfluss  sein  kann,  und  so- 
mit die  Saugwirkung  des  Herzens  nicht  gänzlich  aufgegeben  zu 
werden  braucht. 

Während  der  Diastole  der  Kammern,  welche  mit  der  Systole 
der  Vorkammern  auf  dasselbe  Zeitmoment  fällt,  ftlllen  sich  die 
Kammerräume  mit  Blut,  welches  durch  die  nächst  folgende  Systole 
in  die  Lungenarterie  und  in  die  Aorta  getrieben  wird,  und  die  elasti- 
schen Wände  dieser  Ge&sse  ausdehnt.  Das  rechte  Herz  nimmt 
nur  Venenblut  auf,  und  treibt  es  durch  die  Lungenarterie  zur  Lunge, 
wo  es  oxydirt  wird,  und,  arteriell  geworden,  durch  die  vier  Lungen- 
venen zur  linken  Vorkammer  und  Kammer  gelangt,  um  sofort  in 
die  Aorta,  und  durch  sie  in  alle  Theile  des  Körpers  getrieben  zu 
werden.  Das  rechte  Herz  kann  insofern  auch  Cor  venosum  oder  pul- 
monale, das  linke  Cor  artei^iosum  8,  aorticum  genannt  werden.  Das 
Blut  gelangt  nicht  immittelbar,  sondern  auf  einem  langen  Umwege, 
den  es  durch  die  Lungen  macht,  aus  dem  rechten  Herzen  in  das 
linke.  Der  Mensch  hat  also  zwei  Herzen,  welche  aber  zu  Einem 
Eingeweide  verschmolzen  erscheinen,  weil  sie  sich  aus  Einem 
embryonalen  Blutschlauche  entwickeln.  Die  Lungenfunction,  möchte 
ich  sagen,  ist  zwischen  die  Function  des  rechten  und  linken  Her- 
zens eingeschaltet.  Der  Umstand,  dass  wenigstens  die  Kreis -Mus- 
kelfasern beider  Kammern  nicht  in  einander  übergehen,  sondern 
jeder  einzelnen  Kammer  besonders  angehören,  beurkundet  zum 
Theil  die  functionelle  Unabhängigkeit  beider  Herzen,  deren  anato- 
mische Trennung  durch  den  schwachen  Einschnitt  an  der  Spitze 
angedeutet  wird. 

Bei  pflanzenfressenden  Wallfischen  dringt  dieser  Einschnitt  tief  in  das 
Septum  ventriculorum  ein,  wodurch  am  Herzen  ein  Spalt  entsteht,  welcher  die 
rechte  und  linke  Kammer  von  einander  trennt.  An  einem  männlichen  Aencephalus 
der  Prager  Sammlung  ist  ebenfalls  das  Herz  bis  zur  Basis  der  Kammern  gespal- 
ten. Von  vollkommener  Spaltung  oder  Halbirung  des  Herzens  kennt  die  Anato- 
mie nur  Einen  Fall  von  Meckel  (de  duplicitate  monstrosa.  pag.  53). 

Die  Systole  beider  Vorkammern  ist  synchronisch.  Ebenso  jene 
der  beiden  Kammern.  Auf  die  Systole  der  Vorkammern  folgt  jene 
der  Kammern  nach  einem  kaum  messbaren  Intervall  nach.  Die  Vor- 
kammersystole verhält  sich  zur  Kammersystole,  wie  in  der  Musik 
die  Vorschlagnote  zur  Haltnote.  Auf  die  Klammersystole  folgt  nach 
einem  längeren  Intervalle  die  nächste  Vorkammersystole,  und  der 
Wechsel  der  Bewegung  geht  überhaupt  so  ^'^** 

Ujrtl,  Lehrbneh  d«r  AiuitoBiit. 


^82  fi-  3^-    ÜAchaniHmna  der  Henpampe. 

sich  beim  erwachsenen,  gesunden  Menschen,  in  Einer  Minute  60 
bis  80  Mal  zusammenzieht  und  erweitert.  —  Die  Vorkamiiieni  wer- 
den, da  die  Einmündungsstellen  der  Venen  durch  keine  Klappen 
geschützt  sind,  durch  ihre  Systole  einen  Theil  des  aufgenommeneo 
Blutes  in  die  Venen  zurückwerfen,  die  Kammern  dagegen  alles, 
was  sie  enthalten,  bis  auf  den  letzten  Tropfen  in  die  Schlagadern 
treiben,  da  das  Ostinm  vetiosum  während  der  Systole,  durch  den 
Klappenschlu88,  den  Rücktritt  des  Blutes  in  die  Vorkammer  ver- 
weigert. Damit  die  venösen  Klappen  nicht  in  die  Vorkammer  um- 
schlagen, sind  sie  durch  die  Chx>rdfie  tendineae  an  die  Musculi  pa- 
jnllares  befestigt.  Da  sich  djis  Herz  während  der  Systole  verkürzt, 
und  die  Chordae  tendineae  dadurch  so  weit  erschlafft  würden,  dass 
trotz  ihrer  Gegenwart,  die  Klappen  in  die  Vorkammer  zurückgewor- 
fen werden  könnten,  so  sind  die  Chordae  an  die  Papillarmuskeln 
geheftet,  welche,  während  das  Herz  sich  von  unten  nach  oben  ver- 
kürzt, sich  von  oben  nach  unten  zusammenziehen,  und  dadurch 
jenen  Spannungsgrad  der  Chordae  bedingen,  welcher  erforderlich 
ist,  um  die  Klappen  nicht  überschlagen  zu  lassen. 

Während  der  Ventricularsystole  sind  die  Chordae^  wie  die  Leinen  vom 
Wind  geschwellter  Segel,  »traff  angezogen;  ihre  Inacrtionspunkte  an  der  Klappe 
werden  somit  festgestellt  sein,  und  nur  jene  Stücke  der  Klappe,  welche  zwischen 
den  Anheftungen  der  Chordae  sich  befinden,  werden  durch  den  Druck  der  Blut- 
masse  der  Kammer,  in  die  Vorkammer  sich  ausbauchen.  Wie  nothwendig  der 
genaue  Verschluss  der  Ostia  der  Kammern  für  die  Krhaltung  der  Gesundheit 
und  des  Lebens  ist,  beweist  die  sogenannte  Insufficienz  der  Klappen,  welche 
durch  lange  und  qualvolle  Leiden  zu  einem  sicheren  Tode  führt. 

Ist  das  Blut  der  Kammer  durch  die  Systole  in  die  Arterien 
getrieben,  und  folgt  die  Diastole,  so  fängt  sich  die,  durch  die  ela- 
sti8r!he  Contraction  der  Arterien  gejj^cn  die  Kammer  zurück  gestaute 
Blutftäule,  in  den  Taschenventilen  der  Ostia  artmosa,  schliesst  diese, 
und  wird  durch  sie  so  lange  aufgehalten,  bis  die  nächste  Systole 
eine  neue  Welle  in  die  Arterien  treibt,  durch  deren  Impuls  die 
ganze  Blutsäule  in  (hm  Arterien  weiter  geschoben  wird.  Der  Stoss 
der  neu  ankommenden  Blutwelle,  welcher  sich  durch  den  ganzen 
Inhalt  des  Arteriensvstenis  fortpflanzt,  bedingt  eine  Erweiterung  der 
elastischen  Arterie,  welche  als  Pulsschlag  gefühlt  wird.  Der  Puls 
ist  scmiit  ein  Ausdruck  der  Propulsivkraft  des  Herzens,  und  wird 
in  Organen,  deren  Distanzunterschied  vom  Herzen  ein  bedeutender 
ist,  nicht  vollkommen  isochronisch  sein.  Man  fühle  mit  der  einen 
Hand  den  Puls  der  Arter  in  tihialis  postica  am  inneren  Knöchel,  und 
mit  der  anderen  jenen  der  Arteria  maxiUaris  externa  am  Unterkiefer, 
tun  sich  von  der  Retardation  d(»s  Pulses  an  weit  entlegenen  Kör- 
pertheilen  zu  überzeugen. 

Jede  Kammersystole  erzeuprt  eine  Krschütterung:  des  Thorax,  die  man  als 
»o^onnnnten   Herssrhlap  »ieht  und  fühlt.   Die  exacte  Thysiolopie    hat  mehrer« 


S.   391.   Henbeaiel.  gg3 

£rkl&ningen  dieses  Phänomens,  aber  keine  einzige  genügendef  gegeben.  Man 
nahm  bisher  an,  dass  die  Herzspitze  sich  während  der  Systole  hebt,  und  zwi- 
schen der  6.  und  6.  rechten  Rippe  an  die  Brustwand  anschlägt.  Die  Ursachen 
dieses  Hebens  suchte  man  theils  im  Muskelbau  des  Herzens  selbst,  theils  in 
einem  mouvement  de  baacule^  welches  die  sich  abwechselnd  erweiternden  und  ver- 
engernden Herzräume,  durch  Verrückung  ihres  Schwerpunktes,  bedingen.  Beide 
Erklärungsarten  genfigen  nicht  Gutbrod  und  Skoda  haben  den  physikalischen 
Grundsatz  des  hydrostatischen  Druckes  auf  die  Erklärung  des  Herzschlages  an- 
gewendet. (Siehe  Jo»,  HeinCy  über  die  Mechanik  der  Herzbewegung,  etc.  in  Herders 
und  Pfeuffer^9  Zeitschrift  1.  Bd.)  —  Eine  andere  Erklärung  des  Herzschlages 
wurde  von  Ki wisch  versucht  (Prag.  Vierteljahrsschrift,  1845),  indem  er  auf  den 
von  allen  früheren  Theorien  übersehenen  Umstand  aufmerksam  machte,  dass  das 
Herz  an  die  Thoraxwand  nie  anschlagen  könne,  weil  es  nie  von  ihr  sich  ent- 
fernt, sondern  während  der  Systole  und  Diastole  mit  einem  Theile  seiner  Fläche 
an  der  inneren  Oberfläche  der  Thoraxwand  genau  anliegt,  etwa  wie  der  volle 
und  leere  Magen  immer  in  Contact  mit  der  Bauch  wand  ist.  Würde  es  sich  je 
von  der  Thoraxwand  entfernen,  so  müsste  ein  leerer  Raum  entstehen,  der  in  ge- 
schlossenen Körperhöhlen  niemals  vorkommen  kann.  Der  Impuls,  den  die  Thorax- 
wand vom  Herzen  erhält,  ist  nach  K  i  w  i  s  c  h  nur  durch  das  momentane  Schwellen 
der  Muskelsubstanz  des  Herzens,  während  seiner  Systole,  bedingt.  Allein  hierauf 
lässt  sich  entgegnen,  dass  dieses  Schwellen  der  Muskelsubstanz  kein  Dickerwerden 
des  Herzens  bedingt,  da  es  bekannt  ist,  dass  das  Herz  während  der  Systole  nach 
allen  Durchmessern  kleiner  wird.  Vielleicht  hat  das  während  der  Systole  statt- 
findende Strecken  des  Aortenbogens,  und  das  dadurch  bedingte  Anprallen  des 
Herzens  an  die  Thoraxwand  einiges  Gewicht  bei  der  Erklärung  dieser  noch 
immer  nicht  genügend  enträthselten  Erscheinung.  Komi tz er  löste  das  Problem 
des  Herzschlags  auf  folgende  Weise.  Der  aufsteigende  Theil  der  Aorta  und  die 
Lungenschlagader  sind  so  umeinander  gewunden,  dass  sie  einen  halben  Schran- 
bengang  einer  links  gedrehten  Spirale  bilden.  Am  unteren  Ende  dieser  Spirale 
hängt  das  frei  bewegliche  Herz.  Die  Verlängerung  der  Spirale,  welche  während 
des  Eindringens  der  Blutwelle  in  die  Aorta  und  Pulmonalarterie,  nach  unten  zu 
erfolgt,  bedingt  eine  entsprechende  Rotations-  und  Hebelbewegung  des  Herzens, 
durch  welche  letzteres  an  die  Brustwand  angedrängt  wird,  und  ihr  die  als  Herz- 
schlag bezeichnete  Erschütterung  mittheilt 

F,  Komitzery  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  1857,  und  dessen  ausführ- 
liche Abhandlung  in  den  Denkschriften  dieser  Akad.  15.  Bd.  —  Den  Klappen- 
mechanismus behandelt  A.  Retzius,  in  Müller^»  Archiv,  1843,  p.  14,  und  Baum- 
garten  y  ebendaselbst  p.  493.  —  Ueber  das  Tuberculum  Loveri  sieh'  Retziusj 
Müüer^s  Archiv.  1835.  —  Die  Structur  des  Endocardium  und  der  Klappen  des 
Herzens  schildert  LuscTikay  im  Archiv  für  pathol.  Anat  1852,  so  wie  im  Archiv 
für  physiol.  Heilkunde  1856,  und  die  Blutgefässe  der  Klappen,  in  den  Sitzungs- 
berichten der  kais.  Akad.  1859. 


§.  391.  Herzbeutel. 

Daa  Herz  wird  von  einem  häutigen  Beutel,  Pericardium  (^repl 
-rfjv  xapB{av,  um  das  Herz)  umschlossen,  welcher  zwischen  den  bei- 
den Pleurasäcken  eingeschoben,  und  mit  ihnen,  so  weit  er  sie  be- 
rührt, innig  verwachsen  ist.  Der  Herzbeutel  hat  wohl  im  Allgemeinen 
die   Gestalt  des  Herzens,  ist  somit  kegelförmig,   kehrt   aber  seine 

56* 


884  S   •{^^-   Aorta,  Arteria  pulmtm4xtit,  und  Duetu*  BotaÜi. 

Basis  nach  unten,  wo  sie  mit  dem  Gentium  tendineum  des  Zwercli- 
felis  fest  verwächst,  und  seine  stumpfe  Spitze  nach  oben.  Er  besteht 
aus  einem  äusseren,  fibrösen,  und  einem  inneren,  serösen 
Blatte.  Beide  Blätter  sind  untrennbar  mit  einander  verschmolzen. 
Das  fibröse  Blatt  wird  vorzugsweise  von  der  Fasda  endothoraaca 
(§.  169)  gebildet,  hängt  besonders  am  vorderen  Rande  des  Centrwn 
tendmeitm  diaphragniatis  fest  an,  ist  durch  zwei  von  Luschka  ent- 
deckte Bänder  {Ligamentum  steimo-cardicumm  sup.  et  inf.)  an  die 
Hinterfläche  des  Sternum  geheftet,  wodurch  der  nachtheiUge  Druck 
des  Herzens  auf  das  Zwerchfell  beseitigt  wird,  und  geht  oben  in 
die  äussere  Haut  der  grossen  Arterien  über,  welche  aus  dem  Her- 
zen entspringen.  Der  Ort,  wo  dieses  geschieht,  ist  fiir  die  vordere 
Wand  des  Herzbeutels  die  vordere  Fläche  des  Aortenbogens,  und 
für  die  hintere  Wand  die  Theilungsstelle  der  Arteina  pulmonalis. 
Die  vordere  Herzbeuteiwan d  reicht  also  höher  hinauf  als  die  hintere. 
Das  seröse  Blatt  geht  nicht  in  die  äussere  Haut  dieser  Blutgeftsse 
über,  sondern  stülpt  sich  an  ihnen  nach  ein  und  abwärts,  gleitet  an 
ihnen  zum  Herzen  herab,  und  überzieht  dessen  äussere  Oberfläche. 

Das  seröse  Blatt  des  Herzbeutels  verhält  sich  somit  zum  Herzen,  wie  die 
Pleura  zu  der  Lunge.  Man  wird  doshalb,  nach  Eröffnung  des  äusseren  Balleni 
des  Herzbeutels,  auch  ein  Stück  der  grossen  Gefässe  in  der  Höhle  des  Perictr- 
diuni  eingeschlossen  finden.  Aorta  und  Pulmonalschlagader,  welche  Blut  vom 
Herzen  wegführen,  erhalten  zusammen  einen  vollkommen  scheidenartigen  Ueber- 
zug  vom  umgeschlagenen  Tboilc  des  Pericardiums,  so  dass  man  beide  Oefisie 
mit  dem  Finger  umgreifen  kann.  Jedes  der  übrigen  grossen  Gefässe,  welche  Blut 
zum  Herzen  führen  (Hohlvenen  und  Lungenvenen),  erhält  nur  einen  unvoll- 
ständigen Ueberzug,  und  kann  somit  nicht  mit  dem  Finger  umgriffen  werden. 

Da  das  Herz  seinen  Beutel  nicht  vollkommen  ausfüllt,  so  wird  der  dispo- 
nible Kaum  von  einem  serösen  Fluidum,  Liquor  peric.ardn,  eingenommen,  dessen 
Menge  von  y^  Drachme  bis   y,  Unze  beträgt. 


B.  Arterien. 

§.   392.    Aorta,   Arteria  pulmonalis,  und  Ductus  Botalli. 

Die  Aorta  (asipo),  erheben,  i.  e.  pulsiren)  repräsentirt  den 
Hauptstamm  des  gesammten  Arteriensystems,  durch  welches  alle 
Organe  des  Leibes  die  Bedingung  ihres  Lebens  und  ihrer  Thätig- 
keit  zugeführt  erhalten.  Avima  carnis  in  sanguine  est  (Levit  XVIL  14). 
Aus  dem  hnken  Ventrikel  des  Herzens  entsprungen,  zeigt  sie,  dicht 
tiber  dem  Osfinm  arteriosum,  eine  aus  drei,  den  Valvidis  semilunaribus 
entsprechenden,  flachen  Ausbuchtungen  (Sinus  Valsalvae)  gebildete 
Anschwellung,  Bulhus  aortae.    Dieser   Bulbus   wird  von  der  Wurzel 


|.  892.    Aorta,    Arteria  putmcnaU;  und  Duehu  BoteMi,  885 

der  Arteria  pulmonalisy  welche  eine  ähnliche  Anschwellung  bildet,  be- 
deckt, indem  die  Aorta  anfangs  hinter  der  Wurzel  der  Lungenschlag- 
ader nach  rechts  und  oben  aufsteigt,  und  zwischen  die  Lungenschlag- 
ader und  die  obere  Hohlvene  zu  liegen  kommt  {Aorta  ascendena),  sich 
dann  bogenförmig  tiber  den  linken  Bronchus,  nach  links  und  hin- 
ten, zum  hinteren  Cavum  medta^tini^liTiXmmi  (Arcus  aortae),  und  nun 
in  die  absteigende  Aorta  tibergeht  (Aorta  descendens).  Man  kann 
somit  die  Brustaorta,  qiioad  foimuim  mit  einem  Heberrohre  verglei- 
chen, dessen  kurzer  Schenkel  Aorta  a^cendeiis,  dessen  Bug  Arcus 
aortae,  und  dessen  längerer  Schenkel  Aorta  descendens  heisst. 

Die  absteigende  Aorta  läuft,  die  Wirbelsäule  entlang/  durch  die  Brust- 
höhle und  Bauchhöhle  bis  zum  vierten  Lendenwirbel  herab,  wo  sie  sich  gabel- 
förmig in  die  beiden  Ärteri(te  ilictcae  commune«  theilt  So  lange  die  absteigende 
Aorta  sich  in  der  Brusthöhle  befindet  (vom  dritten  bis  zum  zwölften  Brustwirbel), 
liegt  sie  im  hinteren  Mittelfellraume,  und  zwar  anfangs  an  der  linken  Seite  der 
Wirbelsäule,  vor  ihrem  Eintritte  in  den  Hiatua  aorticits  des  Zwerchfells  aber,  an 
der  vorderen  Seite  derselben.  In  der  Bauchhöhle  lagert  sie  vor  den  Lenden- 
wirbeln mit  geringer  Abweichung  nach  links. 

Die  Arteria  pulmonalis  entspringt  an  der  Basis  der  rechten 
Herzkammer,  und  zwar  aus  jenem  Theile  derselben,  welcher  früher 
als  Conus  arteriosus  bezeichnet  wurde.  Ihr  Verlauf  und  ihre  Ver- 
zweigung ist  bereits  in  §.  291  geschildert,  auf  welchen  hier  ver- 
wiesen wird.  Der  Vorwurf,  welcher  mir  von  achtbarer  Seite  ge- 
macht wurde,  die  Arteria  pulmonalis  in  diesem  Lehrbuche  tibergangen 
zu  haben,  ist  somit  ein  unverdienter.  Die  gedrängte  Kürze  des 
Buches  erlaubt  mir  nicht,  mit  Wiederholungen  bereits  gesagter  Dinge 
seine  Seiten  zu  füllen. 

Der  Ductus  arterio9us  BotcUli,  durch  welchen  beim  Embryo  der  linke  Ast 
der  Pulmonalarterie  mit  dem  concaven  Rande  des  Aortenbogens  (richtiger  mit 
dem  Beginn  der  absteigenden  Aorta)  communicirt,  geht  beim  geborenen  Menschen 
zu  einem  Bande  ein,  welches  als  Ligamentum  aortae  magnum  perennirt.  Die  aus 
der  rechten  Herzkammer  entsprungene  Ärteria  pulmonalis  des  Embryo,  existirt 
schon,  bevor  es  noch  Lungen  giebt.  Sie  geht  in  die  absteigende  Aorta  über.  Der 
Embryo  hat  also  eigentlich  zwei  Aorten,  —  eine  rechte  und  linke.  Treten  nun, 
mit  der  Entwicklung  der  beiden  Lungen,  ans  der  rechten  Aorta  Aeste  zu  diesen 
Lungen  hervor,  so  wird  das  zwischen  der  Abgangsstelle  dieser  Lungenäste,  und 
der  Einmündung  in  die  linke  Aorta  befindliche  Gefäss-Stück  der  Ductus  Botalli 
sein.  —  Der  Schliessungsprocess  des  Botalli'schen  Ganges  erfolgt  in  der  Art,  dass, 
vom  dritten  Tage  nach  der  Geburt  an,  in  der  Mitte  des  Ganges  durch  Binde- 
gewebs Wucherung  Verengerung  eintritt,  welche  gegen  die  Arteria  pulmonalis  zu 
vorschreitet,  während  gegen  die  Aorta  zu  eine  trichterförmige  Stelle  des  Ganges 
offen  bleibt.  Vom  14.  Tage  an  verkürzt  sich  der  unwegsam  gewordene  Gang, 
wodurch  an  den  einander  zugekehrten  Wandungen  der  Aorta  und  Lungenschlag- 
ader konische  Grübchen  entstehen  müssen,  welche  erst  später  verstreichen.  — 
Im  Ductus  Botalli  prävaliren,  wie  in  den  Nabelarterien,  die  muskulösen  Wand- 
bestandtheile  weit  über  die  elastischen.  —  Langer  y  zur  Anat.  der  fötalen  Kreia- 
laufsorgane  (Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte,  1867), 


^36  §•  ^^'  PrinitiTe  Aesta  des  Aortenbogens. 


§.  393.  Primitive  Aeste  des  Aortenbogens. 

Aus  der  Awta  ascendens,  welche  noch  im  Qwum  pericardü 
liegt,  entspringen  die  beiden  Kranzarterien  des  Herzens  —  eine 
rechte  und  linke.  Da  das  Herz 'ein  Theil  des  GefUsssystems  ist,  so 
können  die  Kranzarterien  immerhin  zu  den  Vasa  vasortim  gerechnet 
werden. 

Beide    Kranzarterienarsprünge    fallen    noch   innerhalb    des    Bereiches  der 
Sinus  VdUalvae^   werden   aber   während  der  Systole  durch  die  Halbmondklappen 
nicht  verschlossen.    Dass  es  so  sei,   lehrt  der  Augenschein.    Die    Vtdvulae  «esu/it- 
narea  können  die  UrsprungsöfiFnungen  der  Kranzarterien  während  der  Systole  der 
Kammer  nicht  verschliessen,  da  sie  nie  an  die  Wand  der  Aorta  angedrückt  wer- 
den. Indem  die  Aorta  wälircnd  der  Kammersjstole   durch  das  einströmende  Blut 
ausgedehnt  wird,  werden  die  freien  Ränder  der  Vcdvulae  temilunareM  so  gespannt, 
dass  sie  die  Chordae  zu  den  Durchschnittsbogen  der  8inu*   ValseUvae  bilden,  and 
das   zwischen    den    ValvnlU  »emüunaribus    befindliche   Aortenlunien ,    die   Gestalt 
eines  Dreieckes  annimmt.  Werden  aber  die  Ursprangsöffnungen  der  Kranzarterien 
durch  die   ValviUae  seniilunarM  nicht  verschlossen,   so  muss  der  Puls  der  Krsnx- 
arterien  mit  jenem  der  übrigen  Arterien  des  menschlichen  Körpers  isochron  sein. 

a)  Die  rechte  Kranzarterie,  Arteria  coronaria  dextra  «. 
posteiioTj  läuft  im  Sulcus  circularis  der  vorderen  Herzfläche  gegen 
den  rechten  Herzrand,  und  um  diesen  herum  zur  hinteren  plat- 
ten Fläche  des  Herzens,  wo  ihre  Fortsetzimg  im  Sidcus  longitu- 
dinalis  posterior  bis  zur  Herzspitze  herab  gelangt.  Sie  versorgt 
vorzugsweise  die  Wände  des  Atrium  dextrum  und  des  Ventriculus 
dextei'y  zum  Theil  auch  jene  des  sinister. 

ß)  Die  linke  Kranzarterie,  Arteria  coranatna  sinistra  s. 
anterior j  ist  in  der  Regel  etwas  schwächer  als  die  rechte.  Sie 
geht  im  Sulcus  circularis  um  den  linken  Herzrand  herum,  sendet 
anfangs  in  der  vorderen  Längenfurche  einen  Ast  bis  zur  Herz- 
spitze herab,  welcher  mit  dem  Ende  der  Arteria  coronaria  dextra 
anastomosirt  (jedoch  nur  durch  Capillargefässe),  und  verliert  sich 
selbst  an  der  hinteren  platten  Fläche  des  Herzens,  wo  man  sie  im 
Sidcus  circidaris  mit  der  dextra  anastomosiren  lässt,  was  jedoch 
gleichfalls  nur  für  Capillar-Anastomosen  gilt.  Ausser  den  von 
der  Coronaria  dextra  nicht  versorgten  Wandungen  der  linken 
Kammer  und  Vorkammer,  erhält  auch  das  Septum  ventrieulonm 
seine  Arterien  aus  der  Coi^onaria  sinisb^a, 

Ueber  die  Blutgefässe  in  den  Halbmondklappen  siehe:  Lusr^hka^  in  den 
Sitzungsberichten  der  kais.  Akademie,  1859.  —  Meckel  und  Harrisson  haben 
Fälle  beobachtet,  wo  nur  Eine  Coronaria  cordia  vorhanden  war.  Wenn  sie  rich- 
tig gcselu'ii  haben,  so  ist  diese  Anomalie  als  Thierähnlichkeit  interessant,  indem 
bei  Klcphas  auch  nur  Eine  Arteria  coronaria  vorkommen  soll.  Ich  bexweifle  die- 
H«fi.  Die  Kranzschlagadcrn  des  Herzens  sind  unter  allen  Arterien  des  mensch- 
lichen KJirpers  am  meisten  den  Verknöcherungen  unterworfen. 


f.  Sas.  Primitive  Aeste  des  AortenboKeni*.  gg7 

Ueber  das  Verhiltnia»  der  Ursprünge  der  Kransarterien  zu  den  Halbmond- 
klappen handelt  ausführlich  ein  von  mir  geschriebener  Artikel,  im  Decemberheft 
der  Sitzungsberichte  der  kais.  Akademie,  Jahrgang  1854,  so  wie  meine  Schrift: 
Ueber  die  Selbststeuerung  des  Herzens.  Wien,  1855.  Als  Nachtrag  hiezu  siehe 
mein  Handbuch  der  topographischen  Anatomie,  6.  Aufl.  §.  CXXXIV.  —  Bestätigun- 
gen meiner  Angaben  lieferten :  Endemann,  Beitrag  zur  Mechanik  des  Kreislaufes  des 
Herzens.  Marburg,  1856.  Rüdinger,  Beitrag  zur  Mechanik  der  Aorten-  und  Herz- 
klappen. Erlangen,  1857.  Mierswa,  Deutsche  Klinik.  1859,  Nr.  19,  u.  v.  a.  — 
KU  ding  er  verwirklichte  selbst  den  originellen  Einfall,  die  Stellung  der  Val- 
vulae  iemüunarea  w&hrend  der  Systole  und  Diastole  der  Kammern  sichtbar  zu 
machen,  auf  die  gelungenste  Weise.  Wie  man,  auch  nur  bei  Erwägung  eines 
einzigen  Factums  (des  mit  dem  Pulse  synchronischen  Spritzens  des  oberen  Endes 
einer  durchgeschnittenen  Coronaria)  noch  gegen  die  Richtigkeit  meiner  Behaup- 
tung anstreben  kann,  begreife  ich  nicht.  Prof.  Brücke  suchte  zwar  das  mit  der 
Herzsystole  synchronische  Pulsiren  der  Coronar- Arterien  dadurch  zu  erklären, 
dass  er  sagte:  „weil  das  Herz  während  seiner  Zusammenziehung  auf  die  tief- 
liegenden arteriellen  Ramificationen  seiner,  muskulösen  Wand  einen  Druck  aus- 
übt, müsse  das  Blut  in  den  hochliegenden  Stämmen  der  Coronar-Arterien  gestaut 
und  dadurch  ihr  mit  der  Herzsystole  gleichzeitiger  Puls  bedingt  werden."  Ich 
gebe  jedoch  zu  bedenken,  dass,  wenn  die  Stämme  der  Coronar-Arterien  sich 
dieses  angenommenen  Druckes  wegen  während  der  Systole  des  Herzens  erwei- 
tem, und  dasselbe  auch  während  der  elastischen  Contraction  der  Aorta,  welche 
mit  der  Diastole  des  Herzens  zusammenfällt,  geschieht  (wie  meine  Gegner  gleich- 
falls behaupten),  die  Coronar-Arterien  ans  der  Erweiterung  gar  nie  herauskommen, 
und  somit  auch  gar  nicht  pulsiren  könnten. 

Der  eigentliche  Arcus  aortae  giebt  an  seinem  oberen  oder  con- 
vexen  Rande  drei  Geftlssen  den  Ursprung:  der  Arteina  anonyma, 
Arteria  carotis  und  subclavia  sinistra. 

a)  Die  Arteria  anonyma  steigt  schräg  vor  der  Luftröhre  und 
hinter  der  Vena  anonyma  sinistra  nach  rechts  und  oben,  und 
spaltet  sich  hinter  der  Articulatio  stemo-clavictdaris  in  die  Artetna 
subclavia  und  Carotis  dextra,  wird  deshalb  auch  Ti^tmcns  brachio- 
cephalicus  genannt.  Die  Arteina  subclavia  dextra  krümmt  sich,  nach- 
dem sie  durch  die  obere  Brustapertur  getreten,  zwischen  Scalenns 
anticus  et  medius  über  die  erste  Rippe  zur  Achselhöhle,  und  ge- 
sellt sich  somit  dem  durch  die  vier  unteren  Halsnerven  und  den 
ersten  Brustnerven  gebildeten  Plexus  brachialis  bei,  so  zwar,  dass 
sie  vor  dem  letztgenannten  Nerv  zu  liegen  kommt.  —  Die  Carotis 
dextra  geht,  ohne  Zweige  abzugeben,  bis  zum  oberen  Rande  des 
Schildknorpels  am  Halse  hinauf,  wo  sie  in  die  rechte  Carotis  ex- 
terna et  interna  zerfHUt. 

ß)  Die  Carotis  sinistra  ist  um  die  Länge  der  Arteria  innomi- 
nata  länger  als  die  rechte.  Sie  liegt,  wegen  schräger  Richtung  des 
Aortenbogens  nach  links  und  hinten,  tiefer,  und  steigt  mehr  gerad- 
linig  am  Hake  hinauf  als  die  rechte,  welche  wegen  ihres  Ur- 
sprunges aus  der  hinter  dem  Mantibrium  Hemi  gelegenen  ArieruL 
anonyma^  der  Oberfläche  näher  liegt,  und  deA 
düng  zugänglicher  ist 


888  §•  3^-   Variet&ten  der  ans  dem  Aortenbogen  entuprinifenden  Schlftgaden. 

y)  Die  Arteria  subclavia  sinistra  wird  gleichfalls  länger  sein 
und  tiefer  liegen,  als  die  dextra,  stimmt  jedoch  in  allem  üebri- 
gen  mit  der  dextra  tiberein. 

Die  Aorta  descefiidens  giebt  in  der  Brusthöhle  meistens  paarige, 
und,  mit  Ausnahme  der  Zwischenrippenarterien,  nur  schwache  Aeste 
ab,  während  sie  in  der  Bauchhöhle  auch  sehr  ansehnliche  unpaarige 
Aeste  erzeugt,  welche  in  den  späteren  Paragraphen  nach  der  Be- 
schreibung der  Kopf-  und  Armpulsadem,  abgehandelt  werden. 


§.  394.   Yarietäten  der  aus  dem  Aortenbogen  entspringenden 

Schlagadern. 

Nicht  immer  ist  das  Verhältniss  der  aus  dem  Aortenbogen  ent- 
springenden Arterien  das  geschilderte.  Es  kommen  zahlreiche  Ano- 
malien vor,  welche  theils  ihrer  praktischen  Bedeutsamkeit,  theils 
ihrer  Uebereinstimmung  mit  thierischen  Bildungen  wegen,  von  In- 
teresse sind.  Diese  Abweichungen  lassen  sich  auf  drei  Typen  redu- 
ciren:  Verminderung,  Vermehrung,  und  normale  Zahl  mit  abnor- 
mer Verästlung  der  Aortenäste. 

a)   Verminderung. 

Sie  erscheint  in  drei  Formen: 

a)  Zwei  AHeinae  anonymaey  deren  jede  in  eine  Carotis  commum 
und  Subclavia  zerfällt.  (Fledermäuse,  einige  Insectivoren.) 

ß)  Die  Arteria  carotis  sinhtrn  ist  ein  Zweig  der  Anonyma,  welche 
somit  in  drei  Aeste  zerfällt.  (Einige  Affen,  ruissende  Thiere, 
Beutler  und  Nager.)  Diese  Form  kann  auch  mit  Versetzung 
vorkommen  (Zagorski,  Tiedemann),  wo  der  erste  Ast  des 
Aortenbogens  die  Artei'ia  siihclavia  dextra^  der  zweite  die  Ano- 
nyma ist. 

y)  Alle  Aeste  des  Aortenbogens  sind  in  einen  Stamm  verschmol- 
zen (vordere  Aorta),  welcher  erst  später  sich  in  die  gewöhn- 
lichen drei  Aortenäste  theilt.  Dieser  Fall,  der  bisher  nur  ein- 
mal von  Klinz  (Abhdl.  der  Josephin.  Akad.  Wien,  1787. 
1.  Bd.),  und  ein  zweites  Mal  von  mir,  an  einem  Embryo  mit 
Synophthalmie,  beobachtet  wurde,  ist  Regel  bei  den  Einhufern 
und  Wiederkäuern,  deren  Aorta,  ohne  einen  Bogen  zu  bilden, 
sich  in  eine  vordere  und  hintere  theilt. 

Am  hUufigRtcii  findet  sich  die  Form  p). 

b)    Vermehrung. 
Sie  begreift  folgende  Spielarten: 
OL)  Die  Arteria  veiielfi'alis   smistra    entspringt,    wie   beim   Seehund, 
zwisclien  Carotis  und  Snhclnvia  sinistra.  Kommt  öfter  vor.  Der 


§.  894.  yariet4t«n  der  ans  dem  Aortenbogen  entspringenden  Schlugadern.  889 

isoHrte  Ursprung  der  Carotis  und  Subclavia  auf  der  linken 
Seite  prädisponirt  zur  linkseitigen  Astvermehrung  des  Aorten- 
bogens, und  da  die  ArfeHa  verteWalls  sinistra  aus  der  Sub- 
clavia sehr  nahe  an  ihrem  Ursprünge  entsteht,  so  wird  es  eben 
die  Veii^hralis  sinistra  sein,  deren  Ursprung  von  allen  übrigen 
Aesten  der  Subclavia  auf  den  Aortenbogen  tibertragen  wer- 
den kann. 

ß)  Eine  überzählige  unpaare  Schilddrüsenarterie  {Arteina  thyreoidea 
ima  s.  Neubaueri)  entspringt  zwischen  Anonyma  und  Carotis 
sinistra f  und  steigt  auf  dem  vorderen  Umfange  der  Trachea 
zur  Schilddrüse  empor.  (Bei  der  Tracheotomie  zu  berücksich- 
tigen.) Sie  kommt  mit  und  ohne  Mangel  einer  der  beiden 
normalen  unteren  Schilddrüsenarterien  vor,  und  ist  im  ersteren 
Falle  stärker. 

y)  Eine  Arteria  mammaria  interna  oder  thymica  entspringt  von 
der  vorderen  Wand  des  Aortenbogens. 

Ich  besitze  einen  in  seiner  Art  einzigen  Fall  vom  Ursprung  der  Corona- 
ria  ventriculi  sinistra  superior  aus  dem  Aortenbogen  (beschrieben  im  Nat.  Hist. 
Review  1862,  Juli). 

3)  Fehlen  der  Anonyma,  und  dadurch  bedingter  isoHrter  Ursprung 
der  Subclavia  und  Carotis  dextra  aus  dem  Aortenbogen  (Wall- 
fischbildung). 

Im  Falle  V)  können  auch  Versetzungen  Platz  greifen,  worunter 
jene  die  merkwürdigste  ist,  wo  die  Subclavia  dextra  hinter  der 
Subclavia  sinistra  entspringt,  und,  um  zur  rechten  Seite  zu  gelan- 
gen, zwischen  Luft-  und  Speiseröhre,  oder  Speiseröhre  und  Wirbel- 
säule, nach  rechts  hinüberläuft.  Dass  durch  diesen  anomalen  Ver- 
lauf der  rechten  Subclavia,  Compression  der  Speiseröhre,  und 
dadurch  die  sogenannte  Dyspkagia  lusoi'ia  entstünde,  wäre  nur  bei 
aneurysmatischer  Ausdehnung  des  Gefässes  möglich,  Dass  aber 
diese  Abweichung  ohne  Dysphagie  bestehen  kann,  ist  durch  viele 
Beobachtungen  constatirt.  Es  wäre  sehr  wohl  möglich,  dass  eine 
Versetzung  des  Ursprungs  der  Subclavia  dextra  hinter  jenen  der 
sinistra^  in  Folge  der  durch  sie  gegebenen  Abschwächung  des  Kreis- 
laufes in  der  rechten  Extremität,  den  Gebrauchsvorzug  der  linken 
bedingt,  und  somit  die  Causa  anatomica  der  bisher  unerklärt  geblie- 
benen Linkhändigkeit  aufgefunden  sei. 

Die  so  eben  angeführten  Abweichungen  setzen  eine  Vermehrung  auf  vier 
Stämme.  Vermehrung  auf  fflnf,  sind  Combinationen  derselben,  mit  oder  ohne  Ver- 
setzung. Vermehrung  auf  sechs  ist  äusserst  selten,  und  entsteht  durch  Zerfallen 
der  Anonyma,  mit  gleichzeitiger  Isolirung  beider  Artenae  verlebraUs  (Tiede- 
m  a  n  n).  —  Da  die  Theilungsstelle  der  Carotis  communis  so  hoch  am  Halae  Ubs^ 
so  werden  es  vorzugsweise  die  Aeste  der  Arteria  subeUso*^  * 
Vermehrung  der  Bogenftste  der  Aorta  bedingen.  Nur  fr 
beobachteten  Falle  entsprangen  die  Oar^iU 


890  §•  895.  Ver&sUang  der  Carotu  externa. 

metrisch  aus  den  beiden  Schenkeln  eines  gespaltenen  Aortenbogens,  wdche  rieb 
erst  an  der  Wirbelsäule  zur  einfachen  Aorta  vereinigten.  (RingfÖnmger  Aoitoh 
tjpus  der  Amphibien.) 

c)  Normale  Zahl  mit  abnormer  Verästlung. 

Sie  äussert  sich: 
a)  Als  Verschmelzung  beider  Carotiden  zu  einer  Anonyma,  weldie 

zwischen  Subclavia  dextra  et  sinistra  entspringt,  wie  bei  ElepW 
ß)  Als  Einbeziehung  der  Carotis  sinistra  in  den  Stamm  der  Ano- 

nyma,   mit   gleichzeitigem    isolirten    Ursprung    der    Verttbralii 

sinistra f  oder  einer  Mammaria  interna. 

Nebst  diesen  Ursprungsabweichungen,  kann  der  ganze  Bogen  der  Aorta 
eine  abnorme  Richtung  nehmen,  und  sich,  wie  es  in  der  Klasse  der  V6gel  nonn- 
gemäss  vorkommt,  über  den  rechten,  statt  über  den  linken  Bronchus  kr&mmen, 
um  entweder  an  der  rechten  Seite  der  Wirbelsäule  zu  bleiben  (wie  bei  Ver- 
setzung der  Eingeweide),  oder  noch  in  der  Brusthöhle  sich  zur  linken  Seite  hin- 
über zu  begeben.  —   Ortther^  iu  der  Oesterr.  med.  Zeitschrift,  1863,  Nr.  22—2*. 


§.   395.  Verästlung  der  Carotis  externa. 

Die  Carotis*)  communis  durchlauft  während  ihres  Aufsteigen« 
am  Halse  ein  Gebiet,  welches  durch  die  Aeste  der  Ai'teria  suhdavia 
(§.  398)  mit  Blut  versorgt  wird.  Aus  diesem  Grunde  allein  erzeugt 
sie  während  ihres  Aufsteigens  am  Halse  keine  Zweige.  Erst  in 
gleicher  Höhe  mit  dem  oberen  Schildknorpelrande  theilt  sie  sich 
in  die  Carotis  extetma  et  interna.  Eine  tiefere  Theilung  gehört  zu  den 
Seltenheiten. 

Die  äussere  Kopfschlagader,  Carotis  eoetej^ia  s.  facialis, 
versorgt  die  Weichtheile  des  Kopfes,  mit  Ausschluss  des  Gehirns, 
des  Sehorgans  und  der  Stime.  Sie  liegt  im  Trigonum  cervicale  supi- 
nuSy  vor  und  einwärts  von  der  Cavotift  inteima,  wird  vom  Platysma 
myoides j  dem  hochliegenden  Blatte  der  Fascia  colliy  und  der  Vena 
facialis  communis  bedeckt,  steigt  anfangs  zwischen  dem  hinteren 
Bauche  des  Biventer  maxillae  und  dem  Musculus  stylo-glossus,  später 
durch  die  Substanz  der  Parotis  empor,  und  theilt  sich,  hinter  dem 
Halse  des  Gelenkfortsatzes  des  Unterkiefers,  in  ihre  beiden  End- 
äste: die  oberflächliche  Schläfe-  und  innere  Kieferarterie.  Auf  diesem 
Laufe  entsprosst  ihr  ein  Strauss  dicht  gedrängter  Aeste  (le  bouqnet 
'de   Kiolan   bei  älteren   französischen  Autoren),    welche   sich   fiigUch 

*)  Der  Name  Carotis  stammt  von  xapo;,  mit  welchem  Ausdrucke  die  ältesten 
griechischen  Aerzte  jene  Form  von  Sopor  bezeichneten,  welche  in  Folge  gewisser 
Hirnverletzungen  vorkommt,  und  mit  starker,  aber  auffallend  langsamer  Pulsation 
der  grossen  Ilal.sjjet'ässe  einhergeht.  Hei  C  e  1  s  n  s  heisst  die  Carotis  deshalb  Arieria 
soporifevü. 


S.  896.   y«r&8tliuig  der  Caroiu  eartemo.  891 

in  drei  Gruppen  unterabtheilen  lassen,  je  nachdem  sie  aus  der  vorde- 
ren, inneren,  oder  hinteren  Peripherie  der  Carotis  hervortreten. 

A.  Erste  Gruppe  von  Aesten  aus  der  vorderen  Peripherie  der 
Carotis. 

1.  Die  obere  Schilddrüsenarterie,  Arteria  thyreoidea  9u- 
perior.  Sie  entspringt  dicht  an  der  Wurzel  der  Carotis  extemaj  und 
geht,  vom  oberen  Bauche  des  Musculus  omo-hyoideus  bedeckt,  bogen- 
förmig zum  oberen  Rande  der  Schilddrüse  herab.  Sie  erzeugt  auf 
diesem  Wege  gewöhnlich  die  Arteria  laryngea,  welche  die  Mem- 
brana hyo-thyreoidea  durchbohrt,  um  sich  im  Innern  des  Kehlkopfes 
zu  verästeln.  Hierauf  schickt  sie  Muskeläste  zum  omo-,  stemo-, 
thyreo 'hyoideiis,  und  st^mo  -  thyreoideus ,  und  verliert  sich  zuletzt, 
nachdem  ihre  Endzweige  eine  Strecke  weit  an  der  vorderen  Fläche 
der  Schilddrüse   geschlängelt  herabliefen,  im   Parenchym  derselben. 

Nicht  ganz  selten  hat  es  den  Anschein,  als  ob  die  Arteria  thyreoidea  »it- 
perior  aus  dem  Stamme  der  Carotis  communia,  dicht  vor  ihrer  Thoilang  in  die 
externa  und  interna,  entstünde.  —  Ein  das  Ligamentum  crico-thyreoideum  durch- 
bohrender Zweig  der  Arteria  thyreoidea  atiperior,  verdient,  nicht  seiner  Qrösse, 
sondern  seines  constanten  Vorkommens  wegen,  angeführt  zu  werden.  —  Aus- 
nahmsweise ist  die  Arteria  laryngea  ein  selbstständiger  Zweig  der  Carotia  externa^ 
und  zwar  der  zweite. 

2.  Die  Zungenarterie,  Arteria  lingualisy  entspringt  in  gleicher 
Höhe  mit  dem  Cornu  magnum  des  Zungenbeins,  und  dringt  dicht 
über  dem  grossen  Zungenbeinhorn  zwischen  hyo-glossys  und  Con- 
Stridor  pharyngis  medins  nach  innen  und  oben  in  das  Zungenfleisch 
ein.  Ihre  Aeste  sind: 

a)  Der  ßamus  hyoideuSy  welcher  längs  des  oberen  Zungen- 
beinrandes mit  dem  der  anderen  Seite  anastomosirt. 

Fehlt  zuweilen,  und  ist,  wenn  er  vorkommt,  von  höchst  unerheblicher  Be- 
deutung.  Hall  er  nennt   ihn:  Ramua  perpetuus  quidemj  maynitudine  vero  diver  aus. 

ß)  Die  schwache  Arteria  dorsalis  linguae  zur  Schleimhaut  der 
Zimgenwurzel. 

Sehr  oft  verbindet  sich  ein  Zweig  derselben  mit  einem  Zweige  der  gegen- 
seitigen Doraalia  linguae  zu  einer  unpaaren  oberflächlichen  Schlagader,  welche 
in  der  Medianlinie  des  Zungenrückens  gegen  die  Zungenspitze  verlauft  Ich  habe 
sie  als  Arteria  azygoa  linguae  beschrieben. 

y)  Die  Arteria  sublingtialis,  welche  zwischen  Musculus  mylo- 
hyoideus und  Glandula  subungualis  verlauft,  und  den  Boden  der 
Mundhöhle  ernährt. 

B)  Die  Arteria  ranina  s.  profunda  linguae,  welche,  als  Fort- 
setzimg des  Stammes  der  Ai'teria  lingualis,  neben  dem  Zungen- 
bändchen  in  die  Zunge  eindringt,  und  an  der  Zungenspitze  nicht 
bogenförmig  (wie  es  allgemein  heisst)  in  die  der  anderen  Seite 
übergeht^  sondern  nur  durch  Capillaräste  mit  dieser  sich  veibi 


802  f-  3^-   VpriUUang  der  Oarotü  «aitema. 

MikroBkopiBche   Injectionen   durch    Eine   Arteria  ranina  gemacht, 
füllen  nie  die  Gefässe  der  anderen  Zungenhälfte. 

Wir  bcfobachtc.tcn  mehrmalR  eine  Arteria  lingualü,  welche  am  unteren  Rande 
(loa  vordftrmi  Hnucluifl  de«  BiverUer  maxillae  bis  in  die  Nähe  des  Kinns  rertid^ 
dort  den  Mylo-hyoideus  durchbohrte,  und  mit  derselben  Arterie  der  andern  Seite, 
wolchc  eb<!n  so  vorlief,  zwischen  den  beiden  Genio-hyoidei,  in  den  Genuhglutui 
oindrAnfi^.  —  Zwischen  dein  Ursprünge  der  Arteria  thyreoidea  »uperior  und  In^iM- 
lin  entstellt  öfter  noch  aus  der  Carotis  externa  ein  ansehnlicher  RamuB  wituadant 
pro  muMfuio  ttfernocleidomastoideo^  der  am  vorderen  Rande  des  genannten  Mnskeli 
oine  Htrrcko  weit  herabsteigt,  bevor  er  sich  in  ihn  einsenkt.  Oft  ist  er  nor  ein 
Zweig  der  oberen  SchilddrUsenartene.  Im  hiesigen  Museum  befindet  sich  ein 
Fall,  wo  dieser  Hamu9  Hernocleidoviastoideua  mit  einem  ähnlichen  aus  der  Atai- 
culai-vt  ponteHovy  welcher  gleichfalls  aui  vorderen  Rande  des  Kopfnickers  herab- 
läuft,  im  starken  Bogen  anastomosirt 

3.  Die  äussere  Kieferarterie,  Arteria  maxiUaris  externa, 
so  stark  wie  die  lingualisy  mit  welcher  sie  zuweilen  aas  einem  kur- 
zen gemeinschaftlichen  Stamme  entspringt,  zieht  in  einer  Forche 
der  Unterkioferspeicheldrüse  nach  vom,  krümmt  sich  am  vorderen 
Rande  der  Kieferinsertion  des  Masseters  zum  Antlitz  hinauf,  und 
verläuft  in  starken  Schlangenkrilmmungen  gegen  den  Mundwinkel, 
dann  zur  Seite  der  Nase,  um  als  Arteria  angularit  anter  dem  in- 
neren Augenwinkel  mit  dem  Ramus  dorsalis  nasi  der  Arteria  opk- 
thalmica  zu  anastomosiren.  Ihre  bedeutenderen  Xebenlste  sind: 

2)  Die  Arteria  suhmentalis,  Sie  versorgt  den  vorderen  Bauch 
des  Biventer,  den  Mylo-hyoidettSy  die  Glandula  tubmaxiüaris  und 
ihre  Nachbarschaft,  und  biegt  sich  zum  Kinn  hinauf,  wo  sie  mit 
den  von  anderen  Stämmen  hier  anlangenden  Schlagadern  i  Arteria 
mentalis  y  comnarin  lahii  inferiori^a  und  sfibrnt^ttta^if  der  anderen 
Seite)  in  Haut  und  Muskeln  sich  verliert. 

^)  Die  Artt^riii  palntina  ascewiert*  #.  ^Jk^vy^t'^'^fioiiitinn,  steigt 
an  der  Seitenwand  des  Phar\Tix  in  die  Hv'h-r.  T^rs*>nrt  den  inne- 
ren  FlüsrelmuskoK  den  weichen  Gaumen,  und  di-r  Siclrimhaut  des 
Rach«^ns  in  der  Nähe  der  Rächer. mürd-m^  der   Tx-Sj  Eiistachii, 

7  Die  Arteria  f'.'iwi*.'.'<ir#V  eiilsprlr^  w-!^  ü^  i^ien?  an  der 
inneren  Seite  des  Unterkiefeminkels.  *rd  v^^rj-rn  ach  in  der 
Seilen  wand  des  Rachens  und  in  ier  Misi-*! 

z  Moskeläste  zu  den  K.iu2Lisske*Jr  xx-i  Asdraaix^efai  um 
•lie  Mundspake  herum,  womnier  cie  A'-^itriB  -^jr-r/irervi  aVi'  sapt^ 
riK^ri*  -ff  infnn'jri*  besonders  beai*rifaßv*ÄÄ  soiL  &*!•?*  verlau- 
fec  im  wnlsrVen  Theile  der  Li?«-  ^^  ScäiffTTfia«T7  oÄher  als 
dem  Inte^umeni,  gecen  die  3lCnifij:iJf^  '^t  «w  3irc  iir-a  gleich- 
namigen Germern  ai:Ä5ioE->5:rKr*  t3>£  aitxncKSL  fonar  Knoi  um 
die  M^and.>DFi:nni:  bll  ier.  weCrt*«-  j^wi  ätwuihi  aiirac  v^oUstin- 
ii^  :5T-  znd  4^15  d-rsä^n  o>*r;at  ?»7iria  5h  m^^nftttijy  Arieria 
9^z*'i  "^o^t  *i  vjj*  eii*s»rü£rt- 


$.  S95.    Verästlnng  der  Caroti»  exienui.  893 

Stülpt  man  die  eig^ene  Oberlippe  vor  dem  Spiegel  um,  so  kann  man  den 
Puls  der  Arteria  coronaria  in  der  Nähe  des  Mundwinkels  sehr  deutlich  sehen. 
Die  übrigen  Muskeläste,  deren  Grösse,  Zahl  und  Ursprung  sehr  differirt  (Rami 
buccaletf  mcuaeterid,  etc.)  anastomosiren  vielfach  mit  der  Arteria  infraorbitality 
tramversa  faeiei^  hnccinatoria^  etc.,  wodurch  es  möglich  wird,  dass  im  Verküm- 
merungsfalle der  einen  der  genannten  Schlagadern,  eine  andere  für  sie  solida- 
risch einsteht.  Selbst  von  der  anderen  Gesichtshälfte  kann  ein  aushelfender  Zweig 
herüberkommen. 

An  einem  Präparate  der  hiesigen  Sammlung  kommt  die  Arteria  angulaHa 
aus  der  Transversa  fo/dei ,  indem  die  Maxillaris  externa  als  Coronaria  labii  infe- 
rioria  endet.  Ich  habe  es  auch  mehrmals  gesehen,  dass  die  Arteria  angularis, 
als  Fortsetzung  der  MaoeUlaris  externa^  direct  in  das  Ende  der  Arteria  Ophthal- 
mica  am  inneren  Augenwinkel  einmündete,  und  die  Frontalis  als  Endzweig  der 
MaxiUaris  externa  auftrat. 

B.  Zweite  Gruppe  von  Aesten,  aus  der  inneren  Peripherie  der 
Carotis  externa. 

Sie  besteht  nur  aus  der 

4.  aufsteigenden  Rachenarterie,  Arteina  pharyngea  ascen- 
dens.  Diese  entspringt  entweder  in  gleicher  Höhe  mit  der  Arteria 
Itngualüj  oder  tiefer  als  diese,  steigt  an  der  Seitenwand  des  Pharynx 
empor,  und  endet  gewöhnlich  mit  zwei  Zweigen  in  der  hinteren 
Rachenwand,  deren  oberer  bis  zur  Anheftung  des  Rachensackes  an 
der  Schädelbasis  sich  verbreitet. 

Oft  entlässt  sie  einen,  zum  Foramen  jugulare  aufsteigenden  Ast,  welcher 
die  hier  austretenden  Nerven  mit  Zweigen  versorgt,  hierauf  selbst  in  die  Schä- 
delhöhle eindringt,  um  als  accessorische  Arteria  meningea  zu  enden.  Die  Arteria 
palatina  ascendenSj  welche  in  der  Regel  ein  Ast  der  MaxiUaris  externa  ist,  ent- 
springt gleichfalls  nicht  selten  aus  ihr.  Es  ereignet  sich  auch,  dass  die  Arteria 
pharyngea  ascendens  von  der  Carotis  interna  abgegeben  wird.  Dasselbe  gilt  auch 
für  die  gleich  folgende  Arteria  occipitalis.  Ich  habe  zwei  Fälle  vor  mir,  in  wel- 
chen das  Ende  der  Pharyngea  ascendens  mit  der  Carotis  interna  durch  den  Ca- 
nalis  caroticua  in  die  Schädelhöhle  eindringt,  und  sich  in  jener  Partie  der  harten 
Hirnhaut  verästelt,  welche  die  SeUa  turcica  umgiebt,  und  den  Sinus  cavemosiis  bildet. 

C.  Dritte  Gruppe,  aus  der  hinteren  Peripherie  der  Carotis: 

5.  Die  Hinterhauptarterie,  Arteria  occipitalis,  entspringt 
etwas  über  der  Arteria  maxillaris  externa^  wird  vom  hinteren  Bauche 
des  Biventer  maanllae  bedeckt,  und  geht  imter  der  Insertion  des 
Kopfnickers  am  Warzenfortsatz  zum  Hinterhaupt,  wo  sie  vom  Mus- 
culus  trachelo-mastoideus  und  Splenivs  capitis  bedeckt  wird,  und  zwi- 
schen letzterem  Muskel  und  dem  CucuUaris  an  die  Oberfläche  tritt, 
um,  in  zwei  Endäste  gespalten,  bis  zum  Scheitel  hinauf  sich  zu  ver- 
ästeln.   Sie  giebt  nur  zwei  besonders  benannte  Zweige  ab: 

a)  Die  Arteria  mastoidea  durch  das  Foramen  mastoideum  zur 
harten  Hirnhaut. 

ß)  Die  absteigende  Nackenarterie,  Arteria  cei'mcalis 
descendensy  zwischen  Splenius  und  Complexus  nach  abwärts  zu 
den  Nackenmuskeln. 


894  §•  396.   Endiste  d«r  OarotU  externa. 

Wir  sahen  mehrmals  den  vorderen  Endast  der  Ärleria  aedpUaHg  an  der 
Sutura  Ttuuloidea  in  die  DiploS  eindringen,  and  nach  kurzem  Verlauf  daseibil, 
wieder  zur  Oberfläche  zurückkehren.  Immer  lässt  die  Art.  tnasloidea,  wilmod 
sie  durch  das  Foramen  mastoideum  hindurchzieht,  einen  Ast  in  die  DiploS  tb- 
gehen  (Hyrtl,  über  den  Ramua  diplo'eticus  der  Art.  occipUaUa  in  der  Osterr. 
Zeitschrift  für  prakt.  Heilkunde,  1869,  Nr.  29). 

6.  Die  hintere  Ohrarterie,  AHeria  aurictilaris  potterhr, 
welche  am  vorderen  Rande  des  Processus  mastoideus  aufsteigt,  die 
hintere  untere  Partie  der  Parotis  durchbohrt  und  die  feine  Ariern 
stylo-mastoidea  durch  das  GriflFelwarzenloch  in  den  Fallopi'scheii 
Kanal  absendet. 

Hinter  dem  Ohre  theilt  sich  die  Arteria  aurtctilaris  posterior  in 
zwei  Zweige,  deren  vorderer  die  Ohrmuschel,  deren  hinterer  die 
Weich theile  hinter  dem  Ohre  ernährt,  und  zuletzt  mit  den  Neben- 
ästen der  Artei'ia  occipitalis  und  teniporalis  superficialis  anastomosirt 

Die  Arteria  atylo-maatoidea  gelangt  durch  den  Canaliciilus  chordae  tyw^iam 
in  die  Paukenhöhle,  um  die  Schleimhaut  der  hinteren  Abtheilung  derselben,  lo 
wie  der  CeUulae  maatoidea^y  den  Musculus  stapedius  und  die  Membjrana  tyn^am 
(mit  einem  hinter  dem  Manubrium  maUei  herablaufondeu  Zweigeben)  zu  venorgea. 

Die  Arteria  stylo-mastoidea  geht  in  seltenen  Fällen,  deren  ich  zwei  besitie, 
nicht  durch  das  Griffelwarzcnloch,  sondern  durch  eine  eigene  Oeifnung  der  an* 
teren  Paukenhöhlenwand  in  das  Cavum  tympani^  steigt  über  das  PromontoriaiB 
(in  einen  knöchernen  Kanal  oder  Halbkanal  eingeschlossen)  zum  Stapes  empor, 
läuft  zwischen  den  Schenkeln  desselben  durch,  und  begiebt  sich  durch  eine 
Oeifnung  der  oberen  Wand  der  Paukenhöhle  zur  harten  Hirnhaut.  —  Ich  finde 
einen  constanten  tiefliegenden  Ast  der  Auricularis  posterior,  durch  die  ganze  Länge 
der  Incisura  masfoidea  verlaufen. 


§.  306.   Endäste  der  Carotis  externa. 

Nachdem  die  Carotis  extet^ia  durch  die  Substanz  der  Parotis 
getreten,  und  diese  Drüse  mit  Zweigen  versah,  spaltet  sie  sich 
hinter  dem  Halse  des  Unterkieferköpfchens  in  ihre  beiden  Endäste. 
Diese  sind: 

1.  Die  oberflächliche  Schläfenarterie,  Arteria  tempora- 
lis  superficialis.  Sie  steigt  über  die  Wurzel  des  Jochfortsatzes  zur 
Schläfegegend  auf,  liegt  auf  der  Fascia  temporalis,  und  zerfkllt  in 
zwei  Zweige,  den  vorderen  imd  hinteren.  Der  vordere  bildet 
einen  Bogen  nach  vorn  und  oben,  versorgt  mit  seinen  Aesten  die 
Haut  der  Schläfe  und  Stirngegend,  und  anastomosirt  mit  der  Arteria 
frontalis  und  den  übrigen  Schlagadern  des  Schädeldaches.  Der  hin- 
tere, schwächere,  steigt  mehr  geradlinig  zum  Scheitel  empor,  und 
nimmt  an  der  Bildung  der  Blutgeftssnetze  der  Kopfschwarte  An- 
theil.  Bei  bejahrten  Individuen  sieht  man  den  geschlängelten  Verlauf 
der  Arteria  teniporalis  durch  die  Hautbedeckimg  hindurch.  Vom 
Stamme  der  Artai-ia  temporalis  zweigen  sich  folgende  Aeste  ab: 


).  396.  £nd&8ie  dor  Carotis  KcUma.  895 

a)   Die  Arteria  transversa  faciei.   Sie   entspringt  sehr  häufig, 

noch  während  die  Carotis  externa  in  der  Parotis  steckt,  und  geht 

mit  und  über    dem  Duettes  Stenonianus  quer  bis   in   die  Gegend 

des  Foramen  infraorhitale, 

Sie  giebt  Aeste  zur  Parotis,  zum  Kau-  und  Backenmuskel,  zum  Orhi- 
ctäaris  palpebrarum^  Zygomaticus  und  Levator  anguli  orisy  und  anastomosirt  mit 
der  Arteria  in/raorbitalis ,  mit  den  Muskelästen  der  Arieria  maxiüari«  externa, 
und  mit  der  von  der  Arteria  niaxillaris  interna  stammenden  Arteria  huccincUoria, 
Sie  ist  zuweilen  doppelt,  zuweilen  sehr  schwach,  kann  aber  so  stark  werden, 
dass  sie  die  fehlenden  Gesichtsyerästlunfi^en  der  Arteria  maxillaris  externa  ersetzt. 

ß)  Die  viel  schwächere  Arteria  temparalis  media  durchbohrt 
die  Fascia  temporalisy  um  sich  im  Fleische  des  Musculus  tempo- 
ralis  aufzulösen. 

Y)  Zwei  bis  drei  unwichtige  Arteriae  auriculares  anteriores 
inferioreSj  und  die  Arteria  auricularis  anterior'  superiar  zum  äusse- 
ren Gehörgang  und  zur  Ohrmuschel. 

B)  Die  Arteria  zygomaticq-orhitalis  entspringt  über  dem  Joch- 
bogen, und  geht  schief  über  die  Fascia  t^mporalis  nach  vom  und 
oben  gegen  den  Margo  supraorbitalis ,  wo  sie  mit  der  Stirn-, 
Thränen-  und  vorderen  Schläfenarterie  anastomosirt. 

2.  Die  innere  Kieferarterie,  Arteria  maxillaris  interna. 
Da  sie  zu  allen  Höhlen  des  Kopfes  Aeste  sendet,  wird  sie  über- 
haupt tiefer  liegen  und  schwerer  darstellbar  sein,  als  die  übrigen 
Schlagadern  des  Gesichtes.  Um  den  Stammbaum  ihrer  Verästlungen 
leichter  zu  überblicken,  soll  der  Lauf  der  Arterie  in  drei  Abschnitte 
gebrach*  werden.  Der  erste  liegt  an  der  inneren  Seite  des  Processus 
co^idyloideus  des  Unterkiefers,  der  zweite  auf  der  äusseren  Fläche 
des  Pterygoideus  extemnSj  oder  zwischen  den  beiden  Urspruiigs- 
köpfen  dieses  Muskels,  der  dritte  in  der  Fossa  pterygo-palatina. 

A.  Aus  dem  ersten  Abschnitte  zweigen  sich  folgende  Aeste  ab : 

a)  Die    Artei'ia  auricularis  proftinda    zum    äusseren   Gehör- 

gang- 

b)  Die  Arteria  tympanica  durch  die  Fissura  Glaseri  zur 
Trommelhöhle. 

c)  Die  Arteria  alveolaris  inferiar  steigt  zwischen  dem  inne- 
ren Seitenbande  des  Unterkiefergelenkes,  und  dem  Aste  der 
Maxilla  inferior^  zur  hinteren  (inneren)  OeflFnung  des  Unterkiefer- 
kanals herab,  durchläuft  diesen,  giebt  den  Wurzeln  der  Zähne 
haarfeine  Ramuli  dentales^  tritt  durch  das  Kinnloch  hervor,  und 
anastomosirt  durch  ihre  Endzweige  mit  der  Arteria  coronaria 
labil  inferioris  und  submentalis.  Vor  ihrem  Eintritte  in  den  Unter- 
kieferkanal entsendet  sie  die  im  Sulcus  mylo-hyoideus  verlaufende 
Arteria  myMiyoidea  zum  gleichnamigen  Muskel. 


896  S-  896.   End&8te  der  Caroti»  exUma. 

B.  Aus  dem  zweiten  Abschnitte  entstehen: 

a)  Die  mittlere  Arterie  der  harten  Hirnhaut,  Arteria 
meningea  media  8.  spmosa.  Oft  genug  entspringt  sie  noch  aus  dem 
ersten  Abschnitte  der  Maxiilaria  inteima,  und  zwar  vor  der  Artma 
alveolains  inferior.  Sie  steigt  an  der  inneren  Fläche  des  MuKuba 
pterygoideus  externus  zum  Foi'amen  spinosum  auf,  und  betritt  durch 
dieses  die  Schädelhöhle,  wo  sie  in  einen  vorderen  grösseren, 
und  hinteren  kleineren  Ast  zerfällt,  welche  in  den  Gefässfurchen 
des  grossen  Keilbeinflügels,  der  Schuppe  des  Schläfebeins  und 
des  Scheitelbeins,  sich  baumförmig  verzweigen,  die  Dura  maUr^ 
und  die  Diploö  des  Schädelgewölbes  ernähren. 

Gleich  nach  ihrem  Eintritte  iu  die  Schädelhöhle  sendet  sie  die  Arteria, 
petrosa  iu  der  Furche  der  oberen  Fläche  der  Felsonpyramide  zur  Apertura  ipwia 
canalis  FaUopiae.  Diese  kleine  und  somit  bedeutungslose  Arterie  theilt  sich  in 
zwei  ZweigcheUf  deren  eines  in  die  Trommelhöhle  gelangt,  den  Tensor  ^fw^pam 
und  die  Schleimhaut  des  Cavvm  tympani  ernährt,  während  das  andere  den  yerxmi 
facicUift  im  Fallopi'schen  Kanal  begleitet,  und  nur  durch  Capillametze ,  nicht 
durch  directe  Anastomose,  mit  der  Arteria  stylo-mastoidea  sich  verbindet  —  Im 
hiesigen  anatomischen  Museum  befinden  sich  zwei  lujectionspräp&rate  der  ArUria  . 
meninyea  media  von  Kindesleichen,  an  welchen  Acste  dieser  Arterie  durch  die 
Stirnfontanelle,  und  durch  die  Sutura  sagittcdift  in  die  weichen  Schädeldecken 
übergehen.  —  Als  ein  constantes  Vorkommen  erwähnte  ich  der  Rami  performiU» 
dieser  Arterie,  welche  die  Schädelknochen  und  ihre  Nähte  durchsetzen,  um  sich 
in  den  weichen  Auflagen  der  Hirnschale  zu  verlieren  (Hyrtl,  Über  die  £asM 
perforantes  der  meninyea  media  ^  in  der  österr.  Zeitschrift  für  prakt.  Heilkunde, 
185i»,  Nr.  9).  —  Zuweilen  existirt  noch  eine  accessorische  Arteria  meningea 
media,  als  Ast  der  eben  beschriebenen,  welcher  vor  ihrem  Eintritte  in  die 
SchUdelhöhle  entspringt,  und  hinter  dem  Ramvs  tertius  pari*  t/uititi  durch  d« 
Foramen  ovale  in  die  Schädelhöhlc  kommt,  wo  er  das  Ganglion  Gasaeri  ond 
die  nächste  Partie  der  barten  Hirnhaut  mit  Aesten  betheilt.  —  Ich  habe  die 
Ärtei'ia  laciymalis  mehrmal  aus  dem  vorderen  Aste  der  Meningea  media  entstehen 
gesehen. 

ß)  Muskeläste,  welche  sich  mit  dem  vom  dritten  Aste  des 
Quintus  entsprungenen  Muskelnerven  vergesellschaften. 

Wir  zählen :  einen  für  den  Masseter  als  Ramus  massetericus,  welcher  durch 
die  Inciaura  semilvnaris  des  Unterkieferastes  zu  seinem  Bestimmungsorte  gelangt; 
einen  fdr  den  Buccinator  als  Ramus  hticcinatorius ,  zwischen  Unterkieferast  und 
Musctdne  buccinator  zum  Antlitz  gehend ,  wo  seine  Aeste  mit  den  Zweigen  der 
Arteria  infraorbitalia,  transversa  faciei^  und  Arteria  maxillaris  externa  anastomo- 
siren;  mehrere  kleine  Zweige  für  die  beiden  Flügelmuskel  als  Rami  pterygoidei; 
so  wie  für  den  Schläfemuskel  die  beiden  Arteriae  temporalea  profundae^  eine 
anterior  und  posterior.  Die  vordere  schickt  durch  den  Canalis  zygomaticus  tempo- 
ralis  einen  Ast  in  die  Augenhöhle,    der  mit  der  Artetia  lacrymalis    anastomosirt 

C.  Aus  dem  dritten  Abschnitte  gehen  hervor: 

a)  Die  obere  Zahnarterie,  ÄHeria  alveolaria  superior, 
deren  Zweige  durch  die  Löcher  an  der  Tuberositas  maxiUae  vi- 
perioiis  zu  den  hinteren  Zähnen  und  dem  Zahnfleisch  des  Ober- 
kiefers,  und   zu    der  Schleimhaut  der  Highmorshöhle  eindringen. 


|.  397.  Ver&stlung  der  Carotis  inUma.  897 

ß)  Die  unter  äuge  nhöhlenarterie,  Ai'teria  infraorhitalis. 
Sie  verläuft  durch  den  Canal,  der  ihr  den  Namen  gegeben,  schickt 
Zweigchen  in  die  Augenhöhle  zur  Periorbita,  zum  Rectus  und 
Ohliquus  inferior^  abwärts  laufende  Aestchen  zur  Schleimhaut  der 
Highmorshöhle  und  zu  den  vorderen  Zähnen,  zertheilt  sich  nach 
ihrem  Austritte  in  die  Muskeln,  welche  den  Raum  zwischen  Margo 
infraorhitalis  und  Oberlippe  einnehmen,  und  anastomosirt  in  zweiter 
und  dritter  Linie  mit  den  übrigen  Anthtzarterien. 

y)  Die  absteigende  Gaumenarterie,  Arteria  palatina  de- 
sceiidens  a,  ptei'ygo-palatina,  Sie  giebt  zuerst  die  Arteria  Vidiana 
ab,  welche  mit  dem  Nerven  dieses  Namens  durch  den  Canalis 
Vidianus  nach  rückwärts  geht,  um  in  der  oberen  Partie  des 
Pharynx  zu  enden,  und  mit  der  Arteria  pharyngea  ascendens  zu 
anastomosiren.  Dann  steigt  sie,  in  drei  Aeste  gespalten,  durch 
die  Canales  palatini  descendentes  herab,  versieht  den  weichen  Gau- 
men und  die  Mandeln,  und  schickt  ihren  längsten  und  stärksten 
Ast  (Arteria  palatina  anterior)  j  dem  harten  Gaumen  entlang,  bis 
zum  Zahnfleisch  der  Schneidezähne.  Ein  feiner  Ast  derselben 
dringt  durch  den  Canalis  incisivus  zum  Boden  der  Nasenhöhle. 

B)  Die  Nasenhöhlenarterie,  Arteina  spheno  -  palatina  s, 
nasalis  posterior.  Sie  kommt  durch  das  Foramen  spheno-palatinum 
in  die  Nasenhöhle,  deren  hintere  Schleimhautpartie  sie  mit  Zwei- 
gen versieht.  Einer  derselbe!)  läuft  am  Septum  narium  herab, 
und  anastomosirt  mit  der  Arteria  palatina  anterior  y  und  der  Ar- 
teria  septi,  —  einem  Aste  der  Coronaria  lahii  superioris. 

Der  Stammbaum  der  Arteria  maxiUaru  interna  behauptet  insofern  eine 
gewisse  Selbstständigkeit,  als  nicht  leicht  einer  seiner  Zweige  von  einer  anderen 
Kopfschlagader  entspringt,  oder  er  selbst  einen  Ast  abgicbt,  der  nicht  unter  den 
angeführten  steht.  Die  Abweichungen  in  Zahl  und  Ursprung  der  ihm  angehöri- 
gen  Aeste  haben,  ihrer  tiefen  Lage  und  Unzugänglichkeit  wegen,  kein  besonderes 
chirurgisches  Interesse.  Mein  Museum  besitzt  den  höchst  merkwürdigen  Fall,  wo 
eine  fehlende  Maxillaris  interna  durch  eine  colossale  Entwicklung  der  Art.  pala- 
tina aacendens  ersetzt  wird  (beschrieben  in  der  österr.  Zeitschrift  für  prakt.  Heil- 
kunde, 1869,  Nr.  30). 

F.  Schlemm,  de  arteriarum,  praesertim  faciei  anastomosibus.  Berol.,  1821. 
4.  —  Ejusdem,  arteriarum  capitis  superficialium  icon  nova.  Berol.,  1830.  fol.  — 
Eine  Reihe  vortrefflicher  Präparate  über  die  Verästlungen  der  Carotis  externa 
und  ihrer  zahlreichen  Varianten,  wird  im  Wiener  anatomischen  Museum  auf- 
bewahrt 


§.   397.   Yerästlung  der  Carotis  interna. 

Die  Carotis  interna  liegt  anfangs  an  der  äusseren  Seite  der 
Carotis  externa,  krümmt  sich  dann  hinter  ihr  weg  nach  innen  und 
oben,    und    wird    von   ihr    durch    den    Musculus   stylo-glossus    und 

Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatenüe.  57 


898  $•  3d7.    Veristlnng  der  CaroHs  tntenuL 

stylo^haiyngeus  getrennt.  Bevor  sie  in  den  Canalia  caroticus  ein- 
dringt^ macht  sie  eine  zweite  Krümmung;  deren  Convexität  nacli 
innen  sieht.  Ihr  Verlauf  eadra  canalem  carotiaim  ist  somit  umgekehrt 
S-förmig  gekrflmmt.  Diese  Krümmungen  sieht  man  im  injicirten 
Zustande  besonders  ausgesprochen.  Im  Canalis  caroticus  macht  sie 
die  dritte,  und  im  Sinus  caveimostis  die  vierte  Krümmung.  Im  Ca- 
nalis caroticus  sendet  sie  ein  feines  Aestchen  zur  Schleimhaut  der 
Trommelhöhle  (Ramulus  carotico-tympanicus) ,  und  im  Sinvs  caver- 
nosus erzeugt  sie  mehrere  kleine  Zweige  für  das  Ganglion  Gaaerij 
die  Hypophysis  cerebri,  und  die  um  den  Türkensattel  herum  befind- 
liche Partie  der  harten  Hirnhaut.  Ein  grösserer  Zweig  geht  von  ihr 
für  das  Tentorium  rerebelli  ab.  Ihre  wichtigeren  Aeste  aber  ent- 
springen erst  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Sinus  cavernosus.  Diese 
Aeste  sind: 

a)  Die  Augenarterie,  Ai'teria  ophthalmica.  Sie  kommt  mit 
dem  Nervus  opticus,  an  dessen  äusserer  unterer  Seite  sie  liegt,  durch 
das  Foramen  opticum  in  die  Augenhöhle,  schlägt  sich  hierauf  über 
den  Sehnerv  nach  innen,  geht  unter  dem  Musculus  obUquus  supericr 
an  der  inneren  Orbital  wand  nach  vom,  und  zerfallt  unter  der  Bolle 
in  die  Arteria  frontalis  und  dorsalis  nasi.  Auf  dieser  Wanderung 
erzeugt  sie  folgende  Zweige: 

1.  Die  sehr  feine  Arteina  centralis  retinae  y  welche  in  der 
Axe  des  Sehnerven  zur  Netzhaut  verläuft. 

2.  Die  Arteria  la^ynialis.  Sie  zieht  an  der  äusseren  Orbital- 
wand  nach  vorn  zur  Thränendrüse. 

Sie  giebt  eine  oder  zwei  hintere  Ciliararterien  ab ,  sendet  Zweige  in  den 
Canalis  zygomaticus  facialis  und  temporalis^  versorgt  die  Thränendrüse,  und  theilt 
sich  am  äusseren  Augenwinkel  in  eine  Ärteria  2^a/|)e^>raZMf  externa  superior  H 
inferior.  —  Nicht  selten  schickt  sie  durch  die  Fissvra  orhitalis  supericr  einen 
Ramus  recurrens  zur  Schädel  höhle ,  welcher  sich  in  der  harten  Hirnhaut  ramifi- 
cirt,  oder  mit  dem  vorderen  Aste  der  Ärteria  meningea  media  anastomosirt. 

3.  Muskeläste  für  den  Bewegungsapparat  des  Bulbus.  Ihn' 
Zweigchen  verlängern  sich  über  die  Insertionsstelle  der  Muskeb 
hinaus  zur  Conjunctiva  hulbi, 

4.  Die  Arteriae  ciliares  posticae  longae  et  breves.  Es  finden 
sich  immer  nur  2  longae^  und  3  —  4  breves.  Sie  durchbohren  die 
Sclerotica  um  die  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  herum.  Die  longae 
verlaufen  (als  äussere  und  innere)  zwischen  Choroidea  und  Scle- 
rotica an  der  Schläfen-  und  Nasenseite  des  Augapfels  nach  vom, 
zum  Musculus  ciliar is  und  zur  Iris  (§.  223).  Die  breves  verästeln 
sich  nur  in  der  Choroidea. 

Die  Arteriae  ciliares  anticae  stammen  nicht  aus  der  Arteria  ophthalmiea^ 
sondern  aus  deren  Muskelästen.  Ihre  Zahl  variirt  von  6 — 10  und  darüber,  und 
ihre  Bestimmung  ist  dieselbe  wie  jene  der  Ciliares  posticae  longae.  Eine  Arteria 
ciliaris  postica   longa   durchbohrt,    wie   ich    öfters  sah,    das   Ganglion    ciliare,  — 


|.  897.  VerisÜnng  der  OarotiM  ndemä.  g99 

Jene,  welche  14  Arteriae  ciliares  poaticae  hrevea  anführen,  haben  nie  injicirte 
GefXflse  dieser  Art  gesehen  und  gez&hlt,  und  Hessen  sich  durch  die  Meinung 
irreführen,  dass  die  Zahl  der  Arterien  jener  der  Nervi  ciliares  gleichen  müsse. 

5.  Die  Arteria  supraorbitalis  geht  über  dem  Levator  palpe- 
hrae  superioris  durch  das  Foramen  supraorbitale,  oder  eine  gleich- 
namige Incisur,  zur  Stime. 

6.  Die  Arteria  ethmotdalis  anterior  et  posterior.  Die  anterior 
geht  durch  das  gleichnamige  Loch  in  die  Schädelhöhle,  giebt 
hier  die  unbedeutende  Arteria  meningea  anterior  ab,  dringt  mit 
dem  Nervus  ethmoidalis  des  ersten  Trigeminusastes  durch  das  vor- 
derste Loch  der  Siebplatte  in  die  Nasenhöhle,  und  verschickt 
ihre  Zweige  zu  den  vorderen  Siebbeinzellen,  dem  Sinus  frontalis, 
und  der  vorderen  Abtheilung  der  Nasenhöhle.  Die  posterioi*  ist 
viel  kleiner,  und  geht  durch  das  Foramen  ethmoidale  posterius 
direct  und  ohne  Umweg  zu  den  hinteren  Siebbeinzellen. 

7.  Die  Arteria  palpebralis  interna  superior  et  inferior,  welche 
am  inneren  Augenwinkel  unter  der  Rolle  entspringen,  den  Sac- 
cus lacrymalis,  die  Caruncula,  und  die  Conjunctiva  palpebrarum  mit 
feinen  Zweigen  ausstatten,  dann  in  die  betreflfende  Palpebra  ein- 
dringen, und  zwischen  dem  Tarsusknorpel  und  dem  Sphincter, 
höchstens  eine  Linie  vom  freien  Lidrand  entfernt,  nach  aussen 
laufen,  um  den  von  der  Arteria  lacrymalis  abgegebenen*  Arteriis 
palpebi^alibus  externis  zu  begegnen,  und  mit  ihnen  direct  zu  ana- 
stomosiren,  wodurch  der  sogenannte  Arcus  tarseus  supefnor  et  in- 
ferior zu  Stande  kommt. 

8.  Die  Arteria  frontalis  schlägt  sich  um  das  innere  Ende 
des  Margo  sup^'oorhitalis  zur  Stirn  empor,  wo  sie  mit  allen  hier 
ankommenden  Arterien  {Arteria  temporalis  anterior,  zygomatico- 
orbitalis,  supraorbitalis)  sich  in  Verbindung  setzt. 

9.  Die  Arte^^ia  dorsalis  nasi  durchbohrt,  über  dem  Ligamen- 
tum palpebrale  intemum,  den  Musculus  orbicularis,  und  anastomo- 
sirt,  neben  dem  Nasenrücken  herabsteigend,  mit  dem  Ende  der 
Arteria  maxillaris  externa  (Angularis),  oder  mit  einem  Nasen- 
rückenast derselben. 

Cruveilhier  citirt  einen  Ton  Prof.  Dubreuil  in  Montpellier  beobach- 
teten Fall,  in  welchem  die  Arteria  ophthalmica  nicht  aus  der  Carotis  intemaf  son- 
dern aus  der  Meningea  media  entsprang,  und  nicht  durch  das  Foramen  opticum^ 
sondern  durch  die  Fissura  orbitalis  superior  in  die  Augenhöhle  gelangte.  Die 
früher  angeführte  Beobachtung  des  Ursprungs  der  Arteria  lacrimalis  aus  dem 
vorderen  Aste  der  Meningea  media  (§.  396.  B.  a)  kann  als  ein  Vorspiel  dieser 
merkwürdigen  Anomalie  angesehen  werden. 

b)  Die  Arteria   communicans  posterior,   welche   neben    dem  In- 

fundibulum  nach  rückwärts  läuft,  um  mit  der  aus  der  Arteria  basi- 

laris  entstandenen  Profunda  cerebri  zu  anastomosiren,  und  den  Cir- 

culus  Willisii  (§.  398)  schliessen  zu  helfen. 

67* 


900  $•  898.   Ver&stlnng  der  Schlflsgelbeinarteh«. 

c)  Die  Arteria  ckoroidea  für  das  Adergeflecht  der  Seitenkammer. 
Sie  geht  am  äusseren  Rande  des  Pedunculns  cerebri  nach  hinten, 
dann  nach  oben  in  das  Unterhorn  der  Seitenkammer  zum  Plaau 
choroideus  lateralis. 

d)  Die  Arteria  corporis  callosi,  Balkenschlagader.  Sie  con- 
vergirt,  in  vorwärts  strebender  Richtung,  mit  jener  der  andern  Seite, 
verbindet  sich  mit  ihr  durch  einen  Querast  (Arteria  communiooms 
anterior)  f  und  steigt  vor  dem  Balkenknie  zur  oberen  Fläche  des 
Corpus  callosum  hinauf,  hegt  aber  nicht  in  der  Längenfurche  der- 
selben, sondern  an  der  inneren  Seite  der  Hemisphären,  in  deren 
Windungen  sie  ihre  Zweige  versendet. 

e)  Die  Arteria  fossae  Sylvii  folgt  dieser  Grube,  und  schickt 
ihre  Zweige  zum  vorderen  und  unteren  Qehimlappen,  zwischen  wel- 
chen eben  die  Sylvi'sche  Furche  liegt. 

Was  nun  die  Gehimzweige  der  Carotis  interna  anbelangt,  so  lässt  sieh 
von  ihnen  sagen,  dass  sie  viel  Blut  zum  Gehirn,  aber  wenig  in  dasselbe  fUhren. 
Nur  die  graue  Substanz  des  Gehirns,  welche  die  Rinde  aller  Gjri  bildet,  ist  im 
hohen  Grade  gefSssreich,  die  weisse  oder  Marksubstanz  dagegen  sehr  geflUsarm. 

Die  Endäste  der  Carotis  interna,  als  welche  b),  c),  d)  und  e)  angesehen  wer- 
den können,  sind  reich  an  Varietäten.  Oft  stammt  die  rechte  und  linke  Ärieria 
corporis  caJloai  aus  Einer  Carotis,  wo  dann  die  Arteria  communieans  anterior 
fehlt.  Die  Arteria  communieans  posterior  fehlt  zuweilen  auf  Einer  Seite,  und  Tt- 
riirt  an  Grösse  sehr  auffallend.  Ich  sah  selbst  die  Arteria  fossae  Sylvü,  auf  der 
linken  Seite  nicht  als  Ast  der  Carotis  iniema,  sondern  der  Arieria  proJitmdA 
cerehH.  Das  Gegentlieil  dieser  letzteren  Abnormität  wird  dadurch  gegeben,  wenn 
sich  eine  starke  Arteria  communieans  posterior  unmittelbar  in  die  Arteria  pro- 
funda cerebri  verlängert,  welche  mit  der  Arteria  basilaris  (§.  398)  gar  nicht,  oder 
nur   durch  einen  dünnen  Zweig  zusammenhängt. 


^.  398.  Verästiung  der  ScUüsselbeinarterie. 

Die  Schlüsselbeinarterie,  Arteria  subclavia,  ftihrt  in  der 
beschreibenden  Anatomie  diesen  Namen  nur  von  ihrem  Ursprünge 
bis  zur  Austrittss teile  aus  dem  Zwischenspalt  des  vorderen  und  mitt- 
leren Scalenus.  Man  muss  zugeben,  dass  diese  Grenzbestiramung 
der  Arteria  subclavia  mit  dem  Namen  des  Gefässes  im  Widerspruche 
steht,  indem  das  Stück  der  Arterie,  vom  Ursprung  bis  zum  Aus- 
tritt zwischen  den  Scaleni,  mit  dem  Schlüsselbein  in  gar  keine  Be- 
ziehung tritt.  Die  rechte  ist  gewöhnlich  etwas  stärker,  und  um  die 
ganze  Länge  des  Truncus  anonymus  kürzer  als  die  linke.  Der  Ver- 
lauf beider  bildet  einen  nach  oben  convexen  Bogen  über  die  erste 
Rippe  weg.  Dieser  Bogen  ist  für  die  linke  Subclavia  schärfer  ge- 
krümmt als  für  die  rechte. 

Kommt  über  der  ersten  Brustrippc  noch  eine  sogenannte  Halsrippe  (Note 
zu  §.  121)' vor,  so  krümmt  sich   die    Schlüsselbeinarterie  über  diese,    und   nicht 


§.  896.  Verifltlimg  der  SehlfiMelbeinartori«.  901 

über  die  erste  Bmstrippe  weg.    Dieses  ist  jedoch  nar  dann  der  Fall,  wenn  die 

Länge  der  Halsrippe  nicht   unter  2  Zoll   beträgt.     Ist  sie   kürzer,   so  reicht  sie 

nicht  so  weit  nach  vorn,  um  anf  den  Verlauf  der  Schlüsselbeinarterie  einen  ab- 
lenkenden Einfluss  nehmen  zu  können. 

Die  Schlüsselbeinarterie  erzeugt  fünf  Aeste.  Vier  davon  ent- 
springen aus  ihr,  bevor  sie  in  den  Zwischenraum  des  vordem  und 
mittlem  Scalenus  eingeht;  der  fünfte  zwischen  diesen  Muskeln, 
oder  jenseits  derselben.  Diese  fünf  Aeste  sind: 

a)  Die  Wirbelarterie,  Arteria  vertebralis.  Als  der  stärkste 
von  den  fünf  Aesten  der  Arteria  aiibclavia,  steigt  sie  eine  kurze 
Strecke  hinter  der  Thyreoidea  inferior  am  äusseren  Rande  des  Mus- 
culus Umgus  colli  herauf,  und  begiebt  sich  durch  das  Loch  im  Quer- 
fortsatz des  sechsten  Halswirbels  (nur  selten  schon  des  siebenten) 
in  den  Schlagaderkanal  der  Halswirbelquerfortsätze,  in  welchem  sie 
emporsteigt.  Wegen  stärkerer  Entwicklung  der  Massae  laterales  des 
Atlas,  kann  aber  die  Richtung  der  Arteria  vertebralis,  vom  zweiten 
Halswirbel  an,  keine  senkrecht  aufsteigende  sein.  Sie  muss  nämlich 
vom  Querfortsatz  des  Epistropheus  zu  jenem  des  Atlas  nach  aussen 
ablenken,  um  dann,  nachdem  sie  ihn  passirte,  sich  hinter  dem 
oberen  Gelenkfortsatz  des  Atlas  nach  einwärts  zum  grossen  Hinter- 
hauptloch zu  wenden.  Hier  durchbohrt  sie  die  Membrana  obturatoria 
posterim*  und  die  harte  Hirnhaut,  und  umgreift  die  Medulla  oblon- 
gata  so,  dass  sie  an  der  unteren  Fläche  derselben  mit  jener  der 
anderen  Seite  convergiren,  und  schliesslich  sich  mit  ihr  am  hin- 
teren Rande  des  Pons  Varoli  zur  unpaaren  Arteria  basilaris  verei- 
nigen kann. 

Von  ihrem  Ursprünge  bis  zum  Eintritte  in  die  Schädelhöhle 
entsprossen  der  Arteria  vertebralis  folgende  Zweige: 

a)  Rami  musctdares,  für  die  an  den  Wirbelquerfortsätzen  entspringenden 
Muskeln, 

ß)  Rami  spinale«,  welche  in  den  Rttckgratkanal  durch  die  Foramina  inter- 
vertebralia  eindringen,  die  Dura  mater  apinaliSy  die  Wirbel,  so  wie  den  Bandapparat 
im  Inneren  der  Wirbelsäule  ernähren,  und  das  Rückenmark  selbst  mit  vorderen 
und  hinteren  Aestchen  umgreifen,  welche  mit  der  vorderen  und  hinteren  Rücken- 
marksarterie, so  wie  mit  den  nächst  oberen  und  unteren  Rami«  spinalihus  der- 
selben Seite  anastomosiren.  Ausführlich  hierüber  handelt  N.  Rüdinger:  Ucber 
die  Verbreitung  des  Sympathicus,  etc.  München,    1863. 

Y)  Die  Arteria  meningea  poalerior,  welche  zwischen  Atlas  und  Foramen  occi- 
pitale  entspringt,  mit  dem  Stamme  der  Arteria  vertebralis  in  die  Schädelhöhle 
gelaugt,  und  ihr  schwaches  Geäste  in  der  harten  Hirnbaut  der  unteren  Gruben 
des  Hinterhauptbeins  ausbreitet. 

Nach  dem  Eintritte  der  Wirbelarterien  in  die  Schädelhöhle, 
bis  zur  Vereinigung  beider  zur  Arteria  basilaris,  giebt  jede  ab: 

a)  Eine  vordere  und  hintere  Rückenmarksarterie,  ^Wma  *pma/i> 
anterior  et  posterior.  Die  vordere  verbindet  sich  mit  jener  der  anderen  Seite  zu 
^inem    einfachen   Stämmchen,    welches  längs    des   iSulcu9  longittidinalis  anterior 


902  S*  ^9S.  VerUtlnng  der  SchltUselbeinurterie. 

der  MeduUa  apinaUa  etwas  geschlängelt  herabläuft,  und  mit  den  Rami» 
Jms,  die  durch  die  Foramina  irUervertebraUa  eintreten,  einfache  oder  inselftnnige 
Anastomosen  bildet.  Die  hintere  fliesst  mit  der  anderseitigen  nicht  zu  Einem 
Stämmchen  zusammen,  anastomosirt  aber  wohl  durch  vermittelnde  Bogen  mit  Dir 
und  den  Bamis  spinalibtis. 

ß)  Die  Arleria  cerebelH  inferior  posterior,  zu  dem  hinteren  Abschnitt  der 
unteren  Gegend  des  kleinen  Gehirns.  Sie  giebt  Aeste  zum  Unterwurm,  und  snm 
Plexus  choro%deu8  des   Ventriculus  quartua. 

Y)  Die  Arteria  cerebeüi  inferior  anterior,  zum  vorderen  Abschnitt  der  UDte- 
ren  Kleinhimgegend,  und  zur  Flocke. 

Die  aus  der  Vereinigung  beider  Arteinae  vertebi-cUes  hervorge- 
gangene Arteria  bdsilaris  geht  zwischen  dem  Pana  Varoli  und  dem 
Clivus  des  Keilbeins  nach  auf-  und  vorwärts,  bis  sie  jenseits  des 
Pens  in  die  beiden  tiefen  Gehirnartcrien,  Arteria  profunda  cot- 
hri  dextra  et  sinistra,  zerfallt. 

Aus  der  Arteria  basilaris  selbst  entspringen: 

a)  Die  Arteria  auditiva  interna,  welche  in  den  inneren  Gehörgang  eintritt, 
und  ihre  Zwcigchen  durch  die  grösseren  Löcher  der  Maculae  cribrotae,  and 
des  Tractus  apiralut,  zu  den  häutigen  Bläschen  des  Vorhofs,  und  zur  LomtM 
spirali»  schickt. 

ß)  Die  Arteria  cerebelli  »uperior.  Diese  geht  am  vorderen  Rande  des  Pons 
nach  aussen,  und  neben  dem  Corpus  quadrigeminum  zur  oberen  Fläche  des 
kleinen  Gehirns. 

Y)  Die  beiden  Arteriae  profitndae  cerehri  sind  die  Endäste  der  Arterit 
basüaris,  nehmen  die  Arteriae  communicante»  posteriores  von  den  inneren  Caro- 
tiden  auf,  schlagen  sich  um  die  Pedunculi  cerehri  nach  rück-  und  aufw&rti, 
schicken  Aeste  durch  den  Querschlitz  zum  Plexus  choroideus  medius,  und  ver- 
breiten ihre  Endzweige  an  den  hinteren  Lappen  des  grossen  Gehirns. 

Durch  die  Verbindung  beider  Arteriae  communicantes  posterio- 
res mit  den  als  Arteriae  profund<xe  cerehri  bezeichneten  Spaltungs- 
ästen  der  unpaaren  Arteria  basilaris,  wird  die  Carotis  interna  mit 
der  Arteria  verteh^alis  in  eine  für  die  gleichmässige  Blutvertheilung 
im  Gehirn  höchst  wichtige  Anastomose  gebracht,  welche  als  Cir- 
ctdus  arteriosus  Willisü  bezeichnet  wird.  Der  Circulus  Wülisii  ist, 
streng  genommen,  kein  Kreis,  sondern  ein  Polygon  (und  zwar  ein 
Heptagon).  Er  schliesst  das  Chiasma,  das  Tuber  cinerenm  mit  dem 
Trichter,  und  die  Corpora  mamviillama  ein,  und  entspricht  somit, 
der  Lage  nach,  der  Sella  turcica. 

Eine  bisher  nicht  beobachtete  abnorme  Urspningsweise  der  Wirbelarterie 
sahen  wir  kürzlich  an  einer  Kindesleiche.  Die  Arteria  x^ertehraiis  dextra  entsprang 
nämlich  hinter  der  Subclavia  sinistra,  und  lief  in  schiefer  Richtung  hinter  der 
Speiseröhre  und  vor  der  Wirbelsäule  nach  rechts  hinüber  zum  Foramen  trau*- 
versarium  des  sechsten  Halswirbels.  Sie  hatte  somit  denselben  anomalen  Urspnmg 
und  Verlauf,  welchen  man  bisher  nur  von  der  Subclavia  dextra  kannte. 

Die  Wirbelarterie  betritt  nicht  selten  erst  am  ö.  oder  4.  Wirbel  den  Schlap- 
aderkanal.  Sie  kommt  auch  doppelt,  selbst  dreifach  vor,  in  welchem  Falle  ihre 
Wurzeln  nicht  durch  dasselbe  Querfortsatzloch  eintreten.  Immer  vereinigen  sich 
die    vervielfältigten    Wirbelarterien    im    Querfortsatzkanal    zu    einem    einfachen 


{.  S88.  Verfatiiing  der  SehltlMelbeinarterie.  903 

Stamm.  Beide  WirbeUrterien  differiren  häafig  an  Stärke.  Die  Basilararterie 
bildet  in  seltenen  Fällen  durch  Spaltung  und  Wiedervereinigung  Inseln,  wodurch 
ihre  Uebereinstimmung  mit  den  Arteriia  spinalibiu  sich  deutlich  kundgiebt. 
J.  Davy  (Edinb.  Med.  and  Surg.  Joum.  1838.)  entdeckte  in  der  Basilararterie 
eine  senkrechte,  bandartige  Scheidewand,  als  Trennungsspur  zwischen  den  ver- 
schmolzenen Wirbelarterien,  und  Uehergang  zur  Juxtaposition.  Weber  sah  die 
Basilararterie  durch  ein  Loch  in  der  Sattellehne  gehen. 

Ueber  Abnormitäten  der  Wirbel-  und  Basilararterie,  Landelt  mein  Aufsatz 
in  den  med.  Jahrb.  Oesterr.  1842.  Juli,  und  A.  F,  Walter^  de  vasis  vertebralibus. 
Lips.,  1730. 

b)  Die  innere  Brustarterie,  -4rter!a  mammaria  interna.  Sie 
entspringt  von  der  unteren  Peripherie  der  Arteria  subclavia,  gegen- 
über der  Arteria  vertebralis,  läuft  zur  hinteren  Fläche  der  vorderen 
Brustwand,  wo  sie  hinter  den  Rippenknorpeln,  und  neben  dem  Sei- 
tenrande des  Brustbeins,  herabsteigt. 

Während  dieses  Laufes  erzeugt  sie,  nebst  den  unbedeutenden 
Artmiae  mediastinicaej  thymicae,  und  der  einfachen  oder  doppelten 
hronchialis  anteriai*: 

ol)  Die  Arteria  pericardiaco-phrenica^  welche  mit  dem  Nervus  phrenicua  an 
der  Seitenwand  des  Herzbeutels  zum  Zwerchfelle  gelangt. 

ß)  Die  Arteriae  intercostales  anteriores,  zwei  für  jeden  Intercostalraum,  eine 
obere  stärkere,  und  untere  schwächere,  welche  auch  oft  mittelst  eines  kurzen 
gemeinschaftlichen  Stämmchens  entstehen.  Sie  gehen  in  den  sechs  oberen  Zwi- 
schenrippenräumen nach  aussen,  und  anastomosiren  mit  den  theils  von  der  Subcla- 
via, theils  von  der  Brustaorta  entspringenden  hinteren  Zwischenrippenschlagadem. 
Sie  schicken  gleich  nach  ihrem  Ursprünge  Rami  per/orantes  zur  Haut  und  den 
Muskeln  der  vorderen  Thoraxwand.  Im  weiblichen  Geschlechte  sind  die  Bami 
per/orantes  des  zweiten  bis  fünften  Intercostalraums  stärker  als  die  übrigen,  da 
sie  nicht  unansehnliche  Aeste  (Arteriae  mamviariae  extemae)  zur  Brustdrüse  ab- 
zugeben haben.  —  Oefters  entspringt  von  der  Mammaria  interna,  noch  bevor  sie 
den  ersten  Rippenknorpel  erreicht,  ein  stattlicher  Ast,  welcher  als  Arteria  costalia 
intermedia  an  der  inneren  Oberfläche  der  seitlichen  Brustwand,  in  schief  nach 
aus-  und   abwärts  gehender  Richtung,  über  mehr  weniger  Rippen  hinabstreicht. 

Zwischen  dem  sechsten  Rippenknorpel  und  dem  Processtis 
xiphoideua  stemi  löst  sich  die  Mammaria  interna  in  die  Arteria  epi- 
gastrica  superior  und  musculo-phretiica  auf. 

Die  Arteria  muaculo-phrenica  zieht  sich  längs  des  Ursprunges  der  Pars 
costaUs  diaphragmatis  schief  nach  aussen  und  unten  hin,  und  giebt  die  Arteriae 
intercostales  anteriores  für  die  fünf  unteren  Zwischenrippenräume  ab.  —  Die  Arteria 
epigcutrica  superior  dringt  zwischen  dem  siebenten  Rippenknorpel  und  dem 
Schwertfortsatz,  selten  durch  ein  Loch  des  letzteren,  in  die  Scheide  des  geraden 
Bauchmuskels,  wo  sie  auf  der  hinteren  Fläche  des  genannten  Muskels,  gegen 
den  Nabel  herabzieht,  ihre  Aeste  theils  in  dem  Fleische  des  Rectus  lässt,  theils 
als  perforirend  zur  Haut  der  Regio  epigastrica  schickt,  und  allenthalben  mit  der 
Arteria  epigastrica  inferior  (aus  der  Arteria  erur€Uis)  und  den  übrigen  Bauchmus- 
kelarterien anastomosirt  Die  Anastomosen  mit  der  Epigastrica  inferior  bedingen 
ein  verkehrtes  Grössenverhältniss  beider  G^fässe. 

Ich  sah  die  B^astriea  superior  öfters  mit  der  entgegengesetsten  durch 
einen  hinter  dem  Scbwertfortsatz  vorbeiUofenden  Verbio^pngMtl 


904  §•  896.  Ver&ftluDg  der  Schlüsselbeinarterie. 

Crnveilhier  sah  diesen  Verbindongsast  vor  dem  Schwertknorpel  vorbeizieheii. 
Feine  Aestchen  der  Musctdo-phrenica  laufen  im  Ligamentum  nupensorium  hepatit 
zur  Leber.  —  Die  Arteria  mammaria  interna  entspringt  abnormer  Weise  aus  der 
Anonyma,  dem  Aortenbogen,  dem  Truncus  thyreo-cervicali*,  und  wird  auf  beiden 
Seiten  oder  nur  auf  einer  doppelt.  Einen  höchst  merkwürdigen  Fall  und  einii^ 
in  seiner  Art  besitze  ich,  wo  die  Ärteria  mammaria  dextra  im  4.  Zwischenrip- 
penraum den  Thorax  verlässt,  und  sich  unter  dem  5.  Rippenknorpel  wieder  in 
ihn  zurückbegiebt 

c)  Die  Schilddrüsen-Nackenarterie,  Truncus  thyreo-ceni- 
calis.  Ein  der  Arteria  vertebralis  nur  wenig  an  Stärke  nachstehen- 
der Stamm,  welcher  am  inneren  Rande  des  Scalenus  anticus  bis 
zum  ftinften  Halswirbel  emporsteigt,  sich  hinter  den  grossen  Halß- 
gefUssen  nach  innen  und  oben  krümmt,  die  Luft-  und  Speiseröhre 
mit  kleinen  Zweigen  versieht,  und  mit  zwei  Endästen  an  den  un- 
teren Rand  und  an  die  hintere  Fläche  der  Schilddrüse  gelangt,  wo 
sie  weder  mit  den  Zweigen  der  Thyreoidea  superior,  noch  mit  jenen 
der  entgegengesetzten  Thyreoidea  inferior  anastomosirt,  obwohl  ein 
allgemeiner  üsna  dicendi  es  so  haben  will.  Ein  Ramus  laryngew 
findet  unter  dem  Coiistrictor  pharyngis  inferior  seinen  Weg  zur  hin- 
teren Kehlkopfwand.  Er  anastomosirt  mit  der  Arteria  laryngea  aus 
der  ^Thyreoidea  superior. 

Beachtenswerthe  Aeste  dieser  Arterie  sind: 

^  1.  Die  aufsteigende  Nackenarterie,  Ärteria  cervicalis  ascendem.  Sie 
geht  auf  den  Muskeln  vor  den  Wirbelquerfortsätzen  bis  zum  Schädel  hinsaf, 
versorgt  die  tiefen  Hals-  und  Nackenmuskeln,  und  anastomosirt  mit  den  Mus- 
kelästen  der  Ärteria  vertebralis,  cervicalis  descendens^   und  cervicalis  profunda. 

2.  Die  oberflächliche  Nackenarterie,  Arteria  cervicalis  superfidali». 
Sie  entspringt  fast  immer  aus  der  Arteria  cervicalis  ascendens,  läuft  parallel  mit 
dem  Schlüsselbein  nach  aus-  und  rückwärts  durch  die  Fossa  supraclavicularis, 
wird  hier  nur  durch  das  Platysma  und  das  hochliegende  Blatt  der  Fascia  cervi- 
calis bedeckt,  und  verbirgt  sich  dann  unter  dem  Muscvliis  cucuüaris,  in  welchem 
sie  sich,  so  wie  in  den  beiden  Spleniis  und  Rhomboideis^  auflöst. 

3.  Die  quere  Schulterblattarterie,  Arteria  transversa  scaptdae,  »Sie 
zieht  hinter  dem  Schlüsselbein  quer  nach  aussen,  sendet  den  Ramus  aeromiali» 
zur  Schulterhöhe,  geht  durch  die  Incisura  scapulae,  oder  über  das  Deckband 
derselben,  zur  oberen  Grätengrube,  und  hinter  dem  Collum  scapulae  zur  unteren 
Grätengrube  herab,  und  verliert  sich  in  den  Muskeln,  welche  diese  Gruben 
innehaben. 

d)  Die  Rippen-Nackenschlagader,  Trunctts  costo-cerricaUs. 
Ein  kurzer  Stamm,  hinter  dem  Scalenus  anticus j  welcher  sieh  in 
folgende  zwei  Zweige  theilt: 

1.  Die  obere  Zwischen rippenarterie,  Arteria  intei-costalis  suprema, 
welche  vor  dem  Halse  der  ersten  und  zweiten  Rippe  herabsteigt,  und  die  Aite- 
riae  intercostales  für  den  ersten  und  zweiten  Zwischenrippenraum  vertritt. 

2.  Die  tiefe  Nackenarterie,  Arteria  cervicalis  profunda y  welche  zwi- 
schen dem  Querfortsatz  des  siebenton  Halswirbels  und  der  ersten  Kippe  nach 
hinten,  und  in  den  tiefen  Nackenmuskeln  nach  aufwärts  läuft,  um  in  der  dritten 
und  vierten  Schichte  der  Nackenmuskeln  sich  zu  ramificiren. 


§.  399.  Yerästlnng  der  Achselarierie.  905 

e)  Die  quere  Halsarterie,  Arteria  transve^^sa  colli.  Sie 
entspringt  als  ein  stattliches  Gef^s,  entweder  zwischen  den  Sca- 
leni,  oder  jenseits  derselben.  Letzteres  kommt  häufiger  vor.  Sie 
geht  über  der  Arteria  transversa  scapitlaej  durch  die  Fossa  supra- 
clavicularis  nach  aussen,  durchbohrt  den  Plexus  brachialiSy  und  er- 
reicht den  oberen  Rand  der  Scapula,  an  dessen  innerem  Ende  sie 
einen  Ramus  supraspinatus,  zum  Mtisculus  cucullaris,  deltoidetts,  leva- 
tor  scapulaey  imd  zum  Acromion  aussendet,  und  hierauf  als  Arteria 
dorsalis  scapulae  endet,  welche  dem  inneren  Rande  des  Schulter- 
blattes entlang,  zwischen  dem  Rhomboideus  und  Serratus  anticus 
major  verschwindet. 

Der  Ursprung  der  Aeste  d)  und  e),  so  wie  ihre  primären  Zweigbildungen, 
haben  einen  so  grossen  Variationsspielraum,  ^nd  sind  letztere  als  tiefliegende 
Muskelgefässe  von  so  untergeordneter  Wichtigkeit,  dass  ihre  Aufzählung  über- 
gangen werden  kann. 


§.  399.  Terästlimg  der  Achselarterie. 

Die  Arteria  axillaris  ist  die  Fortsetzung  der  Arteria  subclavia. 
Von  der  Austrittsstelle  zwischen  den  beiden  Scaleni,  bis  zum  unte- 
ren Rande  der  Achselhöhle  herab,  führt  sie  diesen  Namen. 

In  der  topographischen  Anatomie  dagegen  wird  das  Anfangsstück  der  Ar- 
teria axillaris^  welches  sich  vom  äusseren  Rande  des  Scalenus  bis  hinter  das 
Schlüsselbein  herab  erstreckt,  und  in  der  Foasa  supra-clavicularis  auf  der  ersten 
Rippe  aufliegt,  noch  zur  Arteria  subclavia  gerechnet,  welche  Auffassungsweise 
der  Arteria  subclavia  darum  in  die  beschreibende  Anatomie  nicht  überging,  weil 
dadurch  die  feste  Grenze  zwischen  Ende  der  Subclavia  und  Anfang  der  Axillaris 
(der  äussere  Rand  des  Scalenus)  aufgegeben  wird. 

Die  Achselarterie  begleitet  den  Plexus  axillarisj  an  welchen 
sie  sich  bei  ihrem  Austritte  aus  der  Scalenusspalte  anschliesst,  und 
wird  von  den  drei  Hauptbtindeln  desselben  umgeben.  Sie  hat  über 
sich  das  Schlüsselbein  und  den  MilscuIus  subclavius,  vor  sich  und 
etwas  nach  innen  die  Vena  axillaris.  Vom  Oberarmkopf  wird  sie 
durch  den  Mtisculus  subscapularis  getrennt.  Die  Vena  cephalica  geht 
vor  ihr  weg  zur  Achselvene.  Nach  innen  wird  sie  nur  von  der  Haut 
und  der  Fascie  der  Achselhöhle  bedeckt,  und  kann  deshalb  leicht 
gefühlt  und  gegen  den  Knochen  angedrückt  werden.  Die  beiden 
Wurzeln  des  Nervus  medianus  umgreifen  sie  gabelförmig. 

Nebst  kleinen  Zweigchen  zu  den  Lymphdrüsen  der  Achsel, 
treibt  sie  folgende  Aeste  aus : 

a)  Die  Arteria  ihxyiadca  suprema,  dringt  zwischen  Pectaralis 
major  und  minor  ein. 

b)  Die  Artei^ia  acromicUis  entspriiurt  r  -  '  -*Ari4An^  oder 
mit    ihr   vereinigt    als    Thcroiii 


906  §•  400.  Verftstlnng  d«r  Armarieri«. 

Anheftung  des  Pectoralh  minor  am  Rabenschnabelfortsatz  nach  aussen 
und  oben,  verbirgt  sich  unter  dem  Clavicularursprung  des  Delta- 
muskels;  schlägt  die  Richtung  gegen  das  Akromion  ein^  giebt  der 
Capsula  humeri  Zweigchen,  und  sendet  mehrere  Rami  acromi€deM 
zur  oberen  Fläche  der  Schulterhöhe,  welche  mit  den  Verästlungen 
des  Ramua  acromialis  der  Arterla  transversa  scaptdae  das  ßete  acro- 
miale  bilden. 

c)  Die  Arteria  thoracica  longa  läuft  an  der  seitlichen  Brust- 
wand auf  dem  Sei^atus  antictis  major  mit  dem  Nervus  thoracicus  Um- 
gus  herab,  verliert  sich  grösstentheils  im  Miiscuhts  serratiis  anticus 
major,   und   mit  2 — 3  Zweigen   im   äusseren  Umkreise  der  Mamma. 

d)  Die  Ärt^riae  subscapulares.  Sie  kommen  in  variabler  Menge 
und  Stärke  vor.  Ihre  Bestimmung  drückt  ihr  Name  aus.  Gewöhn- 
lich sehe  ich  2 — 3  obere  kleinere,  und  eine  untere  grössere. 

Letztere  theilt  sich  in  zwei  Aeste:  a)  Ramua  thoracico-cforsalis,  welcher 
parallel  mit  dem  äusseren  Schulterblattrande  herabsteigt,  und  sich  in  den  unte- 
ren Zacken  des  Serratus  anticus  major  und  den  Rippenursprüngen  des  Laii9simu* 
dorn  verliert,  ß)  sArteria  rircumflexa  acapulae.  Diese  schlägt  sich,  zwischen  Mtu- 
cvlua  auhacapuIai'M  und  Terea  major^  um  den  äusseren  Rand  der  Scapula,  und 
gebt  zu  den  Muskeln  in  der  Foaaa  infraapinata. 

e)  Die  Arteria  circumflexa  humeri.  anterior,  welche  vor  dem 
Collum  chirurgicum  humeri,  und 

f)  die  weit  stärkere  Arteria  circumflexa  posterior,  welche  hinter 
demselben  dicht  am  Knochen  herumläuft,  das  Schultergelenk  und 
die  darüber  wegziehenden  Muskeln  versieht,  und  mit  der  Circum- 
jlexa  anterior"  anastomosirt. 


§.  400.  Terästlung  der  Anaarterie. 

Ist  die  Arteida  axillaris  am  unteren  Rande  des  Pectwalis  major 
aus  der  Achselhiihle  hervorgetreten,  so  heisst  sie  Armarterie, 
Artetda  hrachiaUs,  und  verläuft  im  Sulcus  bicipitalis  intemtts  gegen 
den  Ellbogen  weiter.  Im  oberen  Drittel  des  Oberarmes  hat  sie  den 
Nervus  meJianus  an  ihrer  äusseren,  den  Nervus  ulnains  an  ihrer 
inneren  Seite.  Im  Herabsteigen  gegen  den  Ellbogenbug  geht  der 
Mediannerv  über  ihre  vordere  Seite  zu  ihrer  inneren,  und  entfernt 
sich  in  der  PUcn  cuhiti  etwas  von  ihr,  was  der  Nervus  ulnar i^  schon 
höher  oben  thun  muss,  da  er  zur  hinteren  Seite  des  Ellbogens  zu 
gehen  hat.  Die  beiden  Venae  brachiales  liegen  dicht  an  ihr.  In  der 
ganzen  Länge  des  Sulcus  bicipitalis  wird  sie  nur  durch  Haut  und 
Fascie  bedeckt;  im  Ellbogenbug  dagegen  versteckt  sie  sich  unter 
dem  htcertus  flbrosus,  welchen  die  Sehne  des  Bicops  zur  Vaffina 
antibrachii  sendet. 


S.  400.    VeriwUnng  der  AmarUrie.  907 

Die  Folge  ihrer  Aeste  variirt  so  vielfilltig,  dass  sie  selbst  an 
beiden  Armen  desselben  Individuums  nicht  zusammenstimmt.  Ausser 
einigen  kleineren,  an  unbestimmten  Stellen  entspringenden  Muskel- 
ästen, verdienen  nachstehende  besondere  Erwähnung: 

a)  Die  Arteria  profunda  brachü.  Sie  entspringt  in  gleicher 
Höhe  mit  dem  unteren  Rande  der  Sehne  des  Teiles  major,  geht  mit 
dem  Nervus  radialis  durch  die  Spalte  zwischen  dem  mittleren  und 
kurzen  Kopf  des  Triceps  zur  äusseren  Seite  des  Oberarmknochens, 
giebt  dem  Triceps  Zweige,  aus  deren  einem  die  Arteria  nutriens 
humeri  entspringt,  und  verläuft  sodann  hinter  dem  Ligamentum  intei'- 
musculare  extemüm  als  Arteria  collateralis  radialis  herunter  zum  Ell- 
bogen, wo  sie  gewöhnlich  in  einen  vorderen  und  hinteren  Zweig 
zerMlt. 

Der  vordere  durchbohrt  das  Lig,  intermusculare  extemum  von  lünten  nach 
vom,  und  anastomosirt  mit  dem  Ramus  recurrens  der .  Radialarterie,  der  hintere 
mit  der  gleich  zu  erwähnenden  Coüateralia  ulnaria  inferior. 

b)  Die  Artei*ia  collateralis  ulnaris  superior  entspringt  nahe  unt^r 
der  Arteria  profunda  brachii,  und  folgt  dann  dem  Nervus  idnaris, 

Sie  giebt  dem  Musctdua  brachialis  internus  und  tnceps  Zweige,  und  anasto- 
mosirt in  der  Furche  zwischen  Condylus  humeri  intemfis  und  Olekranon  mit  dem 
Ramus  recurrens  posterior  der  Ulnararterie. 

c)  Die  Arteria  collateralis  uhvaris  inferior  entsteht  zwei  Quer- 
finger über  dem  Condylus  intemtis,  gegen  welchen  sie  ihre  Richtung 
einschlägt. 

Sie  besorgt  die  von  diesem  Condylus  entspringenden  Muskeln,  besonders 
die  oberflächlichen  derselben,  anastomosirt  mit  dem  Ramus  recun-ens  anterior  der 
Ulnararterie,  und  umgreift  dann  den  inneren  Rand  des  Oberarmknochens,  um  an 
der  hinteren  Fläche  desselben  mit  einem  £ndzweige  der  Profunda  hrachii  über  der 
Fossa  supratroehlearis  posterior  zu  anastoraosiren.  Dieser  Anastomose  wegen 
heisst  sie  bei  den  englischen  Anatomen:  Arteria  anastomotica. 

Die  sub  a),  b)  und  c)  angeführten  Arterien  unterliegen,  hinsichtlich  ihres 
Ursprunges,  mancherlei  Varianten.  Morphologisch  bedeutsam  ist  jene,  allerdings 
sehr  seltene  Variation,  wo  a),  b)  und  c)  aus  einem  kurzen  gemeinschaftlichen 
Stamme  hervortreten,  welcher  überdies  noch  die  Circumflexae  humeri  und  die 
drcumflexa  scapulae  erzeugt.  Dieser  gemeinschaftliche  Stamm  erscheint  dann  fast 
ebenso  stark  wie  die  Arteria  hrachialis  selbst,  welche,  da  ihr  so  zu  sagen  alle 
für  den  Oberarm  abzugebenden  Aeste  durch  jenen  Stamm  abgenommen  wurden, 
unverzweigt  zum  Ellbogen  herabsteigt.  Dieses  Verhäitniss  ist  aber  an  der 
unteren  Extremität  zur  Regel  erhoben,  da  alle  für  den  Oberschenkel  bestimmten 
Zweige  der  Arteria  cruraUs  aus  Einem  Mutterstamme  {Arteria  profunda  femoris, 
§.  410)  hervorgehen.  Es  wäre  deshalb  logisch,  den  Namen  Arteria  profunda 
brachiiy  nur  der  oben  erwähnten,  sehr  seltenen  Variante  zu  geben. 

Im  Ellbogen  liegt  die  Arteria  hrachialis  auf  dem  unteren  Ende 
des  Musculus  h'achialis  intemtis ,  an  der  inneren  Seite  der  Sehne 
des  BicepS;    an   der  äusseren   des  Pronator  teres,  und  theilt  n 


908  !•  ^^'    Verästinng  der  Vorderarmarterien. 

der  Höhe  des  Processus  coronoidetis  ulnae  in  die  beiden  Schlagadern 
des  Vorderarms:  die  Armspindel-  und  Ellbogenarterie. 

A,  Ualler,  diss.  de  arteria  brachiali.  Gott,  1745.  4. 

9 — 10  Linien  über  ihrer  Theilung  sendet  die  Arteria  brachiali»  von  ihrem 
inneren  Rande  eine  kleine,  aber  constante  Schlagader  ab,  welche  unter  dem  La- 
certus  fihrosua  der  Bicepssehne,  zu  der  am  Condylus  intemuM  humeri  entspriofen- 
den  Muskelmasse  zieht,  und  den  Nervus  medianus  hiebei  kreuzt.  Graber  be- 
schrieb sie  als  Arteria  plicae  cuhiti  superficialis,  Sie  ist  darum  interessant,  weil 
sie  in  abnormer  Entwicklung  entweder  eine  Arteria  mediana  superficialis^  oder 
Arteria  ulnaHs  superficialis,  darstellt.  Siehe  Oruber^s  Aufsatz  in  der  Zeitschrift 
der  ärztl.  Gesellschaft.  Wien,  1852.  12.  Heft. 


§.  401.  Verästlung  der  Torderannarterien. 

Die  Armspindel-  imd  die  Ellbogenarterie  bleiben  im 
weiteren  Verlaufe  an  der  inneren  Seite  des  Vorderarms.  Sie  ana- 
stomosiren  nirgends  mit  einander.  Erst  in  der  Hohlhand  verbinden 
sie  sich  zum  hoch-  und  tiefliegenden  ArciLS  volar is,  aus  welchem 
die  Weichtheile  der  Hohlhand  versehen  werden,  und  die  Finger- 
arterien entstehen.  Die  Ellbogenarterie  giebt  bald  nach  ihrem  Ur- 
sprünge die  Zwischenknochenarterie  ab,  welche  zwar  die  Längen- 
richtung der  beiden  anderen  Vorderarmschlagadern  beibehält,  aber 
nicht  zum  Handteller  gelangt.  Jedes  dieser  drei  Gefässe  sendet  an- 
fangs einen  Ast  (oder  zwei)  zum  Ellbogen  zurück.  Im  weiteren  Ver- 
folge ihres  Laufes  am  Vorderarm  entstehen  blos  Muskeläste  aus 
ihnen,  von  deren  einem  ein  Zweig  zur  Markhöhle  des  betreffenden 
Vorderarmknochens  gelangt.  Ihre  ausführliche  Beschreibung  lautet 
wie  folgt: 

a)  Die  Armspindelarterie,  Arteina  radialis^  liegt  in  der 
oberen  Hälfte  des  Vorderarms  zwischen  Supinator  longus  und  P^^ 
nntor  tei'es,  in  der  unteren  aber  zwischen  Svtpiriator  longiis  und 
Flexor  caipi  radialis.  An  ihrer  äusseren  Seite  befindet  sich  der 
Nen-tis  radialis  superficialis.  An  der  Handwurzel  angekommen,  wen- 
det sie  sich  zwischen  dem  Processus  styloideus  radii  und  dem  Ö« 
scaphoideuvi  auf  den  Rücken  der  Hand,  wo  die  Sehnen  des  Abduc- 
tor  pollicis  longus  und  Extensor  brevis  über  sie  wegziehen,  und  dringt 
zwischen  den  Basen  der  Ossa  mefacaipi  des  Daumens  und  di-s 
Zeigefingers  in  die  Hohlhand  ein,  wo  sie  mit  dem  tiefen  Hohl- 
handast der  Ellbogenarterie  den  tiefen  Hohlhandbogen,  Arcm 
volari^  profundus,  bildet.  Sie  giebt,  von  ihrem  Ursprünge  bis  zum 
Uebertritt  auf  den  Handrücken,  folgende  Aeste  ab: 

a)  Den  Ramus  recurrens  radialis. 

Kr  läuft  zwischen  Supinator  longus  und  brevis  «um  Condylus  humeri  ex- 
temuA  '/nrück,  und  auastomosirt  sofort  mit  dem  vorderen  Endaste  der  Arteri<i 
profunda  bvachii. 


S.  401.    VeräsUnng  der  VorderarmarUrien.  909 

ß)  Rami  musculares, 

Sie  gehören  den  Mnskeln,  zwischen  welchen  der  Stamm  der  Arteria  radicUU 
hinzieht.  Einer  derselben  erzeugt  die  Arteina  nutritia  radii. 

y)  Den  Ramuß  volaris  superficialis ,  dessen  Kaliber  und  Ur- 
sprung vielen  Schwankungen  unterliegt. 

Gewöhnlich  entsteht  er  in  der  Höhe  der  Insertion  des  Supinator  longu^y 
und  geht,  über  dem  queren  Handwurzelband,  zu  den  Muskeln  des  Daumenballens,  in 
welchen  er  sich  entweder  gänzlich  verliert,  oder,  weiter  sich  fortsetzend,  den  Arcus 
volaris  suhlimis  (§.  402)  bilden  hilft.  Zuweilen  wird  er  so  stark,  und  liegt  so  ober- 
flächlich, dass  man  ihn  auf  dem  Daumenballen  pulsiren  sehen  und  fühlen  kann. 

Auf  dem  Handrücken  entstehen  aus  der  AHe)na  radialis: 
a)  Ein  Ramus  carpi  dorsalis.  Er  verzweigt  sich  auf  der  Rücken- 
seite der  Handwurzel,  und  bildet  mit  den  End Verzweigungen  der 
Interossea  externa  das  Rete  carpi  dorsale. 

ß)  Die  Arteria  interossea  dorsalis  prima.  Sie  löst  sich  in  drei 
Zweige  auf:  für  beide  Seiten  des  Daumens  und  die  Radialseite 
des  Zeigefingers. 

In  die  Hohlhand  wieder  eingetreten,  giebt  die  Arteria  radialis^ 
bevor  sie  mit  dem  tiefHegenden  Hohlhandast  der  Art^ia  vinaris 
zum  Arcus  volaris  profundus  (nächster  Paragraph)  bogenförmig  zu- 
sammenfliesst,  die  Arteria  digitalis  communis  volaris  prima  ab.  Diese 
verläuft  unter  der  Sehne  des  Flexor  pollicis  longus,  am  Os  metacarpi 
pollicis  bis  zu  dessen  Capitulum,  und  theilt  sich,  nachdem  sie  die 
Arteria  volaris  indicis  radialis  abgegeben,  in  die  Arteina  volaris  pollicis 
radialis  et  ulnaris. 

W.   Gruber^  zur  Anat.  der  Art.  radialis,  im  Archiv  für  Anat.  und  Phys.  1864. 

b)  Die  Ellbbgenarterie,  Arteria  ulnains^  begiebt  sich  imter 
der  ersten  und  zweiten  Schichte  der  vom  Condylu^  humeri  internus 
entspringenden  Muskeln  zur  Ulna,  wo  sie  zwischen  Ulnaris  internus 
und  den  Fingerbeugern  zur  Handwurzel  herabsteigt.  Auf  diesem 
Wege  hat  sie  den  Nervus  ulnai-is  an  ihrer  inneren  Seite.  Ueber  dem 
queren  Handwurzelband  zieht  sie,  hart  am  Os  pisiforme,  zur  Hohl- 
hand, wo  sie  sich  in  den  oberflächlichen  und  tiefliegenden 
Endast  spaltet.  Der  oberflächliche  Ast  bildet  mit  dem  gleichen  Aste 
der  Arteria  radialis  den  hoch  liegenden,  der  tiefliegende  Ast  aber 
mit  dem  Ende  der  Art.  radialis  den  tiefliegenden  Ho  hl  hand- 
bogen.   Bis  zu  ihrer  Spaltung  erzeugt  sie: 

a)  Zwei  Rami  recurrentes  idnareSj  ein   anterior   und  posteidor. 

Der  anterior  zieht  in  der  Furche  zwischen  Pronator  teres  und  Brachialis 
internus  zum  inneren  Condylus  humeri  hinauf,  wo  er  mit  der  CoUateralis  ulnaris 
inferior  anastomosirt.  Der  posterior,  stärker  als  der  anterior,  zieht  hinter  dem 
Condylus  internus  humeri  der  CoUateralis  ulnaris  superior  entgegen,  mit  welcher 
er  zusammenmündet  *). 

*)  Dnrch  die  erw&bnten  mehrfachen  Anastomosen  der  Bami  collaterdlea  der 
Armarterie  mit  den  Rami»  reeurreniibu»  der  Vorderarmarterien  kommt  um  das  £11- 
bogengelenk  hemm  ein  w«ilio^  -  BaU  eubüi. 


910  i  408.  Die  beiden  Holilhandbogefl. 

ß)  Rami  musculares  zu  ihrem  Muskelgeleite,  deren  einer  die 
Arteria  nutintia  ulnae  erzeugt. 

y)   Die  Arteria  interossea  antibrachii  communis^   welche  gleich 
nach    ihrem   Abgange    in   die  Interossea  externa  et  interna  zerfUlt 

Die  externa  (auch  perforana  superior)  durchbohrt  die  Afemhrana  inlerottea^ 
sendet  hierauf  einen  Ramus  renirren»  zur  hinteren  Gegend  des  Ellbogens  hinauf 
bleibt  aber  nicht  auf  der  Aussenflächo  des  Zwischenknochenbandea,  sondern  er- 
hebt sich  von  ihr,  indem  der  Musculus  abductor  und  extensor  poUici*  longu$  lieh 
unter  sie  einschieben,  theilt  allen  Aussenmuskeln  des  Vorderarms  Aeste  mit,  ond 
erschöpft  sich  dadurch  so  sehr,  dass  am  Carpus  nur  ein  unbedeutendes  Gefits 
übrig  bleibt,  welches  mit  dem  Ramus  carpi  dorsalis  der  Radialarterie  das  Bäe 
carpi  dorsale  erzeugt.  Die  interna  geht  mit  dem  Nervtts  interosseus  internus  dicht 
am  Zwischenknochenbande  bis  zum  oberen  Rande  des  Pronator  quadratus  herab, 
giebt  den  tieferen  Muskeln  des  Vorderarms  Zweige,  verbirgt  sich  unter  dem 
Pronator  quadratus^  und  geht,  nachdem  sie  einen  Ast  zum  Rete  carpi  volare  ab- 
gegeben, durch  das  Ligamentum  interosseum  zur  Aussenseite  des  Vorderarms,  wo 
sie  im  Rete  carpi  dorsale  untergeht.  Dieses  Endstück  der  Arteria  interossea  heisit 
perforans  inferior. 

B)   Der   Ramvs  dorsalis,   welcher    das  Rete   carpi  dorsale  bil- 
den hilft. 


§.  402.  Die  beiden  Hohlhandbogen. 

Der  oberflächliche  Hohlhandbogen,  Arcus  volaiis  suhli- 
mis,  dessen  Convexität  gegen  die  Finger  gerichtet  ist,  liegt  ^/^  Zoll 
unter  dem  Ligamentum  carpi  fransversumj  zwischen  der  Aponetvrom 
palmams  und  den  Beugesehnen  der  Finger.  Er  entsteht  durch  die 
Anastomose  der  oberflächlichen  Hohlhandäste  der  Ulnar-  und  Ra- 
dialarteric, von  welchen  der  erstere  viel  stärker  als  der  letztere  zu 
sein  pflegt,  weshalb  sich  der  Bogen  gegen  die  Radialseite  verjüngt. 
Nur  in  jenen  Ausnahmsfällen,  wo  der  obei'flächliche  Hohlhandast  der 
Radialarterie  stark  entwickelt  ist,  rauss  auch  der  Arcus  volaris  super- 
ficialis ein  durchaus  gleichweiter  Gefiissbogen  sein.  Aus  seiner  con- 
vexen  Seite  entspringen,  nebst  übergehenswerthen  Zweigchen  für  die 
Haut  und  die  kleinen  Muskeln  der  Hohlhand,  drei  Arteriae  digitales 
volares  communes,  die  zweite,  dritte  und  vierte,  welche  zwischen  den 
Scheiden  der  Beugesehnen  gegen  die  Finger  laufen,  wobei  jede  sich 
gabelförmig  in  zwei  Zweige  theilt  [Arteriae  digitales  volares  propriae\ 
welche  an  den  einander  zugekehrten  Flächen  je  zweier  Finger  bis 
zu  deren  Spitze  verlaufen.  Die  beiden  Arteriae  volares  propriae  Eines 
Fingers  gehen  an  der  Tastfläche  des  dritten  Gliedes  bogenförmig 
in  einander  über. 

Die  erste  Artena  digitaZis  communis  volaris  entsprang,  wie  kurz  vorher  an- 
gegeben wurde,  aus  der  vom  Handrücken  in  die  Hohlhand  eingetretenen  Arteria 
radialis,  Sie  versorgte  die  Radialseitc  des  Daumens,  und  die  einander  zugekehrten 


$.'  40S.   Wichtige  Abnormit&ten  des  Ursprungs  der  Vorderarm arierien.  911 

Seiten  des  Daumens  und  Zeigefingers.  Die  grosse  Abductionsfähigkeit  des  Dau- 
mens scheint  es  zu  verlangen,  dass  seine  Arterien  nicht  aus  dem  Arcus  volaria 
tublimis,  wie  jene  der  übrigen  Finger  entspringen.  —  Die  Ulnarseite  des  kleinen 
Fingers  erh&lt  ihre  Schlagader  aus  dem  tiefliegenden  Hohihandaste  der  Ar- 
teiia  vlnarit.  Es  bleiben  somit  die  einander  zugewendeten  Seiten  der  vier 
Finger  übrig,  um  aus  dem  Arciu  volaiis  »ublimia  ihre  Blntzufuhr  zu  erhalten, 
und  für  diesen  Zweck  genügen  die  oben  genannten  drei  ArteHae  digitale»  com- 
munet  volares  des  oberflächlichen  Hohlhandbogens.  —  Quere,  tiefliegende  Ver- 
bindungsäste  je  zweier  Arteriae  volares  propriae,  kreuzen  die  Phalangen  des 
betreffenden   Fingers. 

Der  tiefliegende  Hohlhandbogen,  Aixus  volaris  pt^ofiin- 
dus,  ist  schwächer  und  weniger  convex,  als  der  sublimia,  liegt  auf 
den  Bases  ossmm  metacarpi,  und  gehört  mehr  der  Arteria  radialis 
als  der  ulnaris  an.  Er  sendet  nur  drei  Artei*iae  interosseae  volares  ab, 
welche  den  Interstitiis  interosseis  der  vier  Finger  entsprechen,  und 
die  Eami  interossei  perforantes  zum  Handrücken  schicken,  wo  sie 
in  das  Bete  carpi  dorsale  übergehen. 

Das  Bete  carpi  dorsale  giebt  die  zweite,  dritte  und  vierte  Arteria  interossea 
dorsaUs  ab,  da  die  erste  aus  dem  Handrückenstück  der  Arteria  radialis  ent- 
sprang. Die  erste  interossea  externa  theilte  sich  in  drei  dorsale  Fingerzweige, 
jede  der  übrigen  zwischen  je  zwei  Fingern  in  zwei  Arteriae  digitales  dorsales^ 
welche  viel  schwächer  als  die  volares  sind,  und  nur  bis  zum  zweiten  Finger- 
gliede  sich  erstrecken.  —  Die  Enden  der  Arteriae  interosseae  volares  anastomo- 
siren  gewöhnlich  mit  der  Spaltungsstelle  der  Arteriae  digitales  volares  communes 
in  die  Digitales  propriae.  Ist  eine  Arteria  cUgitalis  communis  schwach,  so  wird 
die  mit  ihr  anastomosirende  interossea  volaris  um  so  stärker,  was  am  Zeige-  und 
Mittelfinger  gewöhnlich  der  Fall  ist  —  Der  hoch-  und  tiefliegende  Hohlhand- 
bogen sind  ohne  Zweifel  in  der  Absiclit  geschaffen  worden,  dass  bei  Compression 
des  hochliegenden  während  des  Anfassens  und  Festhaltens  harter  Gegenstände, 
der  tiefliegende  die  Circulation  in  den  Weichtheilen  der  Hand  übernehme.  Der 
tiefliegende  Hohlhandbogen  kann  bei  dem  genannten  Gebrauche  der  Hand  nicht 
comprimirt  werden,  da  alle  Sehnen,  welche  die  Finger  zum  Faustsclilnss  beugen, 
sich  während  dieser  Verwendung  von  den  Metacarpusknochen,  auf  deren  Bases 
der  tiefe  Hohlhandbogen  liegt,  etwas  erheben.  —  Doppeltwerden  des  Arats  vo- 
laris superficialis  haben  Tiedemann  und  Barkow  beobachtet.  Das  Brcslauer 
Museum  besitzt  3  Fälle  dieser  seltenen  Anomalie,  Wien  nur  einen. 


§.  403.  Wichtige  Abnonnitäten  des  Urspruiigs  der  Torderarm- 

arterien. 

Sie  verdienen,  ihrer  chirurgischen  Bedeutsamkeit  wegen,  eine 
besondere  Darstellung. 

Jede  der  drei  Vorderarmarterien  kann  ausnahmsweise  höher 
als  im  Ellbogen,  also  schon  am  Oberarm,  selbst  in  der  Achsel- 
höhle, ihren  Ursprung  nehmen.  Am  häufigsten  betrifft  der  hohe 
Ursprung  die  Arteria  radialis,  und  zwar  meist  im  oberen  Drittel 
des  Oberarms,  —  sehr  selten  schon  in  der  Achselhöhle.  Der  Fall 
ist  häufiger  an  beiden  Armen,  als  nur  «>«*  ^  ««i  HAnbachten, 


912       *  §•  403.  Wichtige  Abnonnit&tan  des  Ursprungs  der  VorderftmarteiieiL. 

Unter  24  Füllen  von  hoher  Theilung,  die  ich  aafgezeichnet  habe,  betreffen 
18  die  Arteria  radialis.  Diese  Anordnung  wurde  sogar,  nach  einer  Bemerkung 
von  Wolff  (Obs.  med.  chir.  pag.  64),  von  Biddloo  für  die  regelmSssige  ge- 
halten ,  was  übrigens  nur  für  die  Quadrumanen  gilt  Da  man  in  den  anatomi- 
schen Museen  die  Fälle  von  abnormer  hoher  Theilung  der  Brachialarterie  in 
bewahren  pflegt,  so  kann  es  wohl  kommen,  dass  man  mehr  abnorme  als  normAle 
Specimina  daselbst  antrifft,  und  insofern  ist  Biddloo^s  Irrtbum  erklärlich. 

Die  hoch  entsprungene  Arteiia  radialis  liegt  an  der  inneren 
Seite  der  Avteina  brachialis,  geht  aber  bald  über  sie  weg  zu  ihrer 
äusseren.  Sie  bleibt  eine  Strecke  weit  unter  der  Fascia  brachiij  wird 
erst  im  weiteren  Verlaufe  subcutan,  geht  über  den  Lacertus  fbrosm 
der  Bicepssehne  weg,  kreuzt  sich  mit  den  Hautvenen  des  Ellbogen- 
buges, und  kann  deshalb  bei  der  Aderlässe  verletzt  werden.  Ihre 
oberflächliche  Lage  ist  der  Grund,  warum  sie  die  Arteria  recurren$ 
radialis  in  der  Regel  nicht  abgiebt.  Diese  entsteht  vielmehr  aus  der 
Arte7'ia  ulnaris,  oder  seltener  aus  der  Arteria  interossea. 

Als  Uebergang  zum  hohen  Ursprung  der  Arteria  radialis  kann 
jener  Fall  angesehen  werden,  wo  aus  der  Arteria  h^achiaUs  ein 
überzähliger  Ast,  von  Hall  er  Vas  aberrans  genannt,  entspringt, 
der  sich  entweder  weiter  unten  wieder  in  die  Brachialis  einmündet, 
oder  mit  ihr  nur  durch  einen  Verbindungszweig  anastomosirt ,  und 
dann  zur  Arteria  radialis  wird.  Langer  sah  eine  hoch  entsprun- 
gene Artena  radialis  unter  dem  Coi'aco-bi^achialis  in  den  Sulctis  bici- 
,pitulis  extemus  eintreten,  und  in  ihm  zum  Ellbogen  herablaufen. 

Ist  die  Arteria  ulnaris  das  hoch  entspringende  Gefäss,  so  ftlllt 
ihr  Ursprung,  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle,  noch  in 
das  Gebiet  der  Achselhöhle.  Ich  besitze  nur  einen  Fall  (rechter 
Arm  eines  Kindes),  wo  sie  aus  der  Arteria  jn-ofunda  f/rachii  ent- 
springt. Die  hoch  entstandener  •^r^cr/a  idnaris  geht  in  der  Rofrel 
über  die  vom  Condylus  inteinms  hnmeri  entspringende  Muskelmasse 
weg,  und  lagert  sich  erst  unterhalb  dieser  in  die  Furche  zwischen 
Ulnaris  infeTmvs  und  Flexor  digitorum  sitblinns.  Sie  giebt  nie  dio 
Arteria  interossea  ab.  —  Der  hohe  Ursprung  der  Arteria  interossea 
kommt  mit  und  ohne  hohen  Ursprung  der  übrigen  Vorderarmarte- 
rien vor,  und  ist  seltener  als  jener  der  Artei'ia  radialis  und  ulnaris. 

Auch  die  zuweilen  vorkommende  Vervielfältigung  der  Vorderarmarterien 
gehört  hieher.  Sie  erscheint  entweder  als  Duj)licität  einer  normalen  Schlagader, 
wie  ich  an  der  Arteria  radialis  sah,  welche  schon  auf  dem  Supinator  brevi»  sich 
in  zwei  Aeste  theilte,  die  sich  als  Ramus  volaris  und  doraalis  im  weiteren  Ver- 
laufe herausstellten,  oder  es  kommt  zu  den  regulären  drei  Vorderarmarterien 
eine  Schlagader  hinzu,  welche  aus  der  Arteria  interossea  oder  ulnaris  entspringt 
und  an  dem  Nei^us  medianus  zum  Carpus  herabläuft,  wo  sie  über  oder  unter 
dem  Ligamentvm  transversuvi  carpi  in  den  Arats  volaris  suhlimis  übergeht.  Man 
kann  sie  immerhin  Arteria  mediana  nennen,  obwohl  sie  nicht  immer  am  Xeixus 
medianus  herabsteigt.  In  Fällen,  wo  die  ArteHa  radialis  ungewöhnlich  schwach 
ist,  und  nicht  bis  zur  Hand  gelangt,  biegt  sich  die  Arteria  mediana  oberhalb  des 
Carpus    rechtwinklig    zur    Speiche    herüber,    und    verläuft    als    Arteria    radialis 


§.  404.  Aente  der  absteigenden  Brastaorta.  '       913 

weiter.  —  Der  Nervtu  medianus  wird  regelmässig  von  einer  feinen  Arterie,  die 
ein  Ast  der  Ulnaris  oder  Intcrossea  ist,  begleitet.  Die  eben  als  Arteria  mediana 
angeführte  Anomalie,  lässt  sich  sonach  als  ein  höherer  Entwicklungsgrad  eines 
normal  vorkommenden  Gefässes  auffassen.  Grub  er  nennt  dieses  QefäBBi  Arieria 
mediana  profunda,  da  seine  in  §.  400  erwähnte  Arteria  plicae  cubiH,  bei  ab- 
normer Entwicklung,  die  Arteria  mediana  superficialis  darstellt.  —  Es  muss 
noch  erwähnt  werden,  dass  auch  der  Ursprung  der  Arteria  mediana  höber  rücken, 
und  auf  die  BrachicUiSj  selb.st  auf  die  Axillaris  fallen  kann. 

Der  hohe  Ursprung  und  der  oberflächliche  Verlauf  der  Vorderarmarterien 
scheinen  das  Bestreben  auszudrücken,  die  Arterien  der  oberen  Extremität  den 
Venen  zu  verähnlichen,  indem  die  hoch  entsprungene  Arteria  radialis  der  Vena 
cephalica,  und  die  hoch  entsprungene  Arteria  ulnaris  der  basilica  entspricht  Bei 
gewissen  Operationen  in  der  Verlaufssphäre  dieser  Gefässe,  soll  der  Chirurg  von 
dem  möglichen  Vorhandensein  dieser  Anomalien  wohl  unterrichtet  sein. 

C  O.  Ludwig,  de  variantibus  arteriae  brachialis  ramis.  Lips.  1767.  4.  — 
F.  Tiedemann,  über  die  hohe  Theilung  der  Armschlagader,  im  6.  Bande  der 
Münchner  Denkschriften,  und  dessen  Snplementa  ad  t^hulas  arteriarum,  1846.  — 
J.  F.  Meckel,  im  2.  Bande  des  deutschen  Archivs  für  Physiologie.  —  H.  Meyer, 
über  die  Arteria  mediana  antihrachii  und  die  Arteria  articularis  mediana  cuhiti, 
in  Henle  und  Pfeuff'er's  Zeitschrift.  7.  Bd.  2.  Heft.  —  Gruber,  loc.  cit  —  Broea, 
im  Bulletin  de  la  Socictc  anat.  24.  annee.  —  Langer,  Varietät  der  Art  bra- 
chialis, in  der  Zeitschrift  der  Wiener  Aerzto.  1861,  Mai.—  A.Baader,  Varietäten 
der  Armarterien.  Bern,  1866. 


§.  404.  Aeste  der  absteigenden  Brustaorta. 

Die  Aorta  thoracica  descendens  giebt  viele,  aber  meist  kleine 
Schlagadern  ab,  und  behält  deshalb  in  ihrem  Laufe  so  ziemlich 
gleiches  Kahber.  Ihre  Aeste  sind  theils  flir  die  Organe  im  hinteren 
Mittelfellraume,  theils  für  die  Brustwand  bestimmt.  Diese  Aeste  sind: 

a)  Die  Arteriae  hronchiales  posteHoi^es.  Sie  treten  zur  hinteren 
Wand  der  Luftröhrenäste,  und  begleiten  sie  durch  das  Lungen- 
parenchym. Gewöhnlich  finden  sich  zwei.  Da  die  Aorta  auf  der 
linken  Seite  liegt,  so  wird  die  Arteria  hronchmlis  dextra  häufig  nicht 
aus  ihr,  sondern  aus  der  dritteji  oder  vierten  Arteria  intercostalis 
dextra  entstehen. 

Die  sehr  wandelbaren  Bronchiales  anteriores  entstehen,  wie  im  §.  398,  b) 
angeführt  wurde,  ans  der  Mammaria  interna.  Schon  Hall  er  hatte  es  gekannt 
dass  die  Arteriae  bronchiales  im  Lungenparenchym  kein  abgeschlossenes,  fOr  sich 
bestehendes  nutritives  Gefässsystem  der  Lunge  bilden,  sondern  mit  den  Verzwei- 
gungen der  Arteina  pulmonalis  in  anastomotische  Verbindung  treten.  Ich  erhalte 
durch  isolirte  Injcction  der  Arteriae  bronchiales,  das  respiratorische  Gefässnetz 
der  Vesiculae  aereae  eben  so  gefüllt,  als  wenn  die  Injection  durch  die  Arteria 
pulmonalis  gemacht  worden  wäre.  —  Es  kommt  vor,  dass  beide  Bronchialarteriell 
aus  einem  unpaaren  Stamm  entstehen. 

b)  2 — 4  Arteinae  oesophageae.  Ein  Zweig  der  letzten  geht  m* 
dem  Oesophagus,  durch  das  Zwerchfell  zum  Magen,  und  MUMrt 
sirt  mit  der  Arteria  coranaria  ventrieuli  mniatra* 

Hyrtl,  Lehrbnoh  der  Anfttomie.  I 


914  S-  ^04.  JLevte  der  absteigenden  BrutaorU. 

c)  Einige  feine  Zweige  (Arteriae  mediastinicae)  zu  der  Pleura 
des  hinteren  Mittelfellraumes. 

b)    und   c)    geben    dünne    Reiserchen    zur    hinteren    Herzbeutel  wand,    als 
Arteriae  perieardiacae  pottteHore^. 

d)  Die  Avteinae  inteixostales.  Da  die  Artei'ia  subclavia  durch 
den  Truncua  costo-cervicalis  bereits  die  beiden  oberen  Spatia  inUr- 
costalia  versorgte,  so  werden  für  die  Aorta  nur  die  neun  folgenden 
Zwischenrippenräume  übrig  bleiben.  Da  man  aber  die  am  unteren 
Rande  der  letzten  Rippe  verlaufende  Arterie,  obwohl  gegen  alle 
Sprachriehtigkeit,  noch  als  intercostal  bezeichnet,  so  wird  die 
Aorta  zehn  Paare  Arteriae  intercostales  abgeben.  Die  linken  werden, 
wegen  Unkseitiger  Lage  der  Aorta,  kürzer  als  die  rechtt^n  sein, 
welche  über  die  Wirbelsäule  nach  rechts  ablenken  müssen. 

Am   Beginn    des   Zwischonrippenraumes    theilt  sich    jede    Art, 
intercostalis  in  den  Eamus  dorsalis  und  intercostalis.  Der  Ramvs  dor- 
aaUs    geht  zwischen  je   zwei  Querfortsätzen   zur  Rückenmusculatur, 
und  schickt  durch  das  Fai^amen  intpvve^rtebrale  einen  Ast  zur  Medulla 
spinalts  und  deren  Häuten,    welcher  sich  vnc  die  Rami  spinales  der 
Arteina  vertehraUs  verhält.    Der  Ramus   intercostalis  läuft    gegen  den 
unteren  Rand  der  nächst  oberen  Rippe,   und  im  Snlcits  costae  nach 
vorn  gegen  das  Brustbein.  Wo  der  Sulcus  costae  gegen  das  vordere 
Ende   der  Rippe   allmälig    zu  verstreichen  beginnt,    lagert   sich  der 
Ramus  inteixostalis  mehr  in  die  Mitte  des  Zwischenrippenraumes  ein. 
Er    sendet    zum    oberen    Rande    der    nächst    unteren    Rippe     einen 
schwachen    Ramus   supracostalis j    und    anastomosirt    zuletzt   mit    der 
Arteria  intercostalis  anterior  von  der  Mamviaria  interna.  Er  giebt  den 
Intercostalmuökeln,  zwischen  welchen  er  liegt,    dem    PectoraUs,  Ser- 
ratus  anticits  major,  und  den  Rippenzacken  der  Bauchmuskeln  Aeste. 
Die  vorderen  Enden   der  4—5   unteren  Intercostales  anastomosiren 
mit    der  AHeria  mtiscnlo-phrenica    aus    der  Mammaria  interna.    Beim 
Weibe  gehen    aus  der  dritten  bis  sechsten  Arteria  intercostalis    stär- 
kere Aeste  für  die  Brustdrüse  hervor. 

Die  Ursprünge  je  zweier  Arteriae  intercostales  rücken  au  der  hinteren 
Perij>]ierie  der  Aorta  nm  so  näher  zusammen,  je  tiefer  sie  stehen.  —  Abwei- 
chungen greifen  insofern  Platz,  als  mehrere  Arteriae  intercostales  (2  —  3)  ans 
einem  gcmoinscliaftlichen  Stamme  entspringen,  welcher,  wie  die  Ärteria  inter- 
costalis snprenia,  vor  den  Kippenk(>pfchen  herabsteigt,  und  in  jedem  IntercostJÜ- 
raum  einen  Ast  zurücklässt.  Auch  ist  es  nicht  ungewöhnlich,  da^s  eine  starke 
Arferia  inten  ostalis ^  nachdem  sie  schon  eine  Strecke  im  Hippeusulcus  verlief, 
sich  zur  nächst  unteren,  oder  über  zwei  folgende  Kippen  schräg  herabseukt.  — 
Die  letzte  Arteria  intercostalis  könnte  hesser  costo-Uunhalis  genannt  werden.  Ks 
wäre  richtiger,  sie,  weil  sie  unter  dem  Kippeuursprunge  des  Zwerchfells  verläuft, 
den  Aesten  der  liauchaorta  als  Arteria  lumbalis  prima  zuzuzählen.  —  So  lauge 
eine  Zwischenrippenarterie  im  hinteren  Theile  des  Sulcus  costalia  eingebettet 
liegt,  ist  sie  durch  dessen  längeres  Labium  extemum  vor  Verwundung  hinl&nglich 
gesichert.     Nach  vorn  zu,    wo  der  Sulcus  verstreicht,   wird  ihr  Kaliber  so  klein. 


S.  405.    Unpaare  Aeste  der  BanchaorU.  915 

dass  ihre  Verletzung  unmöglich  ernste  Gefahr  bringen  kann.  Es  fehlt  noch  viel 
zu  sehr  an  authentischen  Beobachtungen  über  wirkliche  Verletzungen  dieser 
Gefässe,  und  die  vorgeschlagenen  sinnreichen  Methoden,  ihnen  zu  begegnen, 
dürften  weniger  am  Lebenden  bewährt,  als  am  Cadaver  versucht  worden  sein. 
—  Die  oberen  Arteriete  intercostale»  der  Aorta,  entspringen  häufig  tiefer  als  der 
Intercostalraum  liegt,  zu  welchem  sie  gehen,  und  sind  dann  Artericte  reeur- 
rentes.  Die  mittleren  haben  einen  rechtwinkeligen  Ursprung,  und  die  unteren 
gewöhnlich  einen  spitzwinkeligen.  Diese  Regel,  welche  besonders  bei  Thieren 
mit  vielen  Rippen  in  die  Augen  fällt,  erleidet  beim  Menschen  zahlreiche  Aus- 
nahmen. —  lieber  die  Verästlung  der  Rami  apinale»  im  Rückgratskanal  siehe 
N.  Rü  dinge  r^s  bereits  bei  der  Wirbelarterie  citirte  Schrift. 


§.  405.  Unpaare  Aeste  der  Bauchaorta. 

Von  der  Aorta  abdominalis  haben  wir,  auf  der  kurzen  Strecke 
vom  zwölften  Brustwirbel  bis  zum  vierten  Lendenwirbel,  eine  reiche 
Phalanx  unpaariger  und  paariger  Aeste  zu  schildern.  Die  drei 
unpaarigen  entspringen  aus  der  vorderen  Peripherie  der  Aorta,  und 
sind  für  die  Verdauungsorgane,  —  die  übrigen,  seitwärts  abtreten- 
den, für  die  paarigen  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge  und  fiir  die 
Bauchwand  bestimmt. 

Die  unpaarigen  Aeste  der  Bauchaorta  sind : 

a)  Die  kurze  Baucharterie,  Arteria  coeliaca.  Dieser,  ^/^  bis 
1  Zoll  lange,  starke,  vom  Plexus  coeliacus  umstrickte  Gefössstamm, 
entspringt  aus  der  Aorta,  während  diese  noch  zwischen  den  Schen- 
keln des  Zwerchfells  liegt ,  tritt  über  den  oberen  Rand  des  Pan- 
kreas weg  nach  vom  und  etwas  nach  links,  und  giebt  dicht  an 
seinem  Ursprung  die  beiden  unteren  Zwerchfellarterien,  Arteinae 
phrenicae,  ab,  welche  auch  zu  einem  kurzen  Stämmchen  verschmol- 
zen sein  können.  Die  Arteriae  phrenicae  verästeln  sich,  nachdem  sie 
Zweige  zur  Nebenniere  abgegeben,  in  der  Pars  lumbalis  und  costalis 
diaphragmatiSf  und  anastomosiren  daselbst  mit  einander,  so  wie  mit 
den  Arteriae  intercostales  und  musculO'phrenicae, 

An  der  rechten  Seite  der  Cardia  zerfällt  der  Stamm  der  Ar- 
teria  coeliaca,  wie  Hai  1er  sich  ausdrückt:  tripodis  ad  instar,  in  drei 
divergirende  Zweige: 

1.  Arteria  coronana  vefitriculi  supeinor  sinistra,  linke  obere 
Magenkranzarterie.  Sie  läuft  in  der  Curvatura  superior  des 
Magens  von  Hnks  nach  rechts,  und  sendet  an  dessen  vordere  imd 
hintere  Fläche  ihre  Zweige  aus,  welche  mit  der  Arteria  coronaria 
superior  deoctra,  den  Arteriis  coronariis  inferioribuSy  imd  den  Vagis 
brevibus  der  Milzarterie  anastomosiren. 

2.  Arteria  hepatica,   Leberarterie.     Sie  dringt  hinter  dem 

Pylorus  zwischen  die  Blätter  des  Ligamentum  hepato-duodenale  ein^ 

wo  sie   sich  an  die  linke  Seite  der  Vena  portae  anschmiegt.    Sie 

68* 


916  §•  ^0^'  XJnpaare  Aeste  der  Banchaorta. 

schickt  zum  kleinen  Magenbogen  die  mit  der  Arteria  coronaria 
sinistra  anastomosirende  coronaria  dextra^  deren  erster  Nebenzweig 
als  Arteria  pylorica  zum  Pförtner  geht.  Im  Lig.  hepato^uodenak 
zerfällt  die  Arteria  hepatica  in  einen  auf-  und  absteigenden  Ast 
von  gleicher  Stärke. 

Der  aufsteigende  ist  der  eigentlich  für  die  Leber  be- 
stimmte Gefässast,  Arteina  hepatica  propriuy  welcher  in  der  Leber- 
pforte wieder  in  zwei  Zweige  divergirt.  Der  Ramus  dexter  giebt 
der  Gallenblase  die  kleine  Arteria  cystica,  und  senkt  sich  in  der 
Pai'ta  hepatis  in  den  rechten  und  die  beiden  kleinen  Leberlappen 
ein.  Der  sinister  geht  nur  zum  linken  Leberlappen. 

Der  absteigende  Ast  findet  im  Magen  und  Zwölffinger- 
darm feeine  Auflösung,  und  heisst  deshalb  Arteria  gastro-duodenalat. 
Er  geht  hinter  dem  Pylorus  herab,  und  theilt  sich  ebenfalls  in 
zwei  Zweige  : 

aa)  die  Ärtei-ia  pancreatico-duodenalis,  welche  am  den  Kopf  des  Pankreu 
herumgeht,  diesen  und  den  grösseren  Theil  des  Intestinum  duodenum  em&hrt,  und 

bb)  die  Arteria  gaatro-epiploica  9.  coronaria  ventriculi  inferior  dextra^ 
welche  an  der  grossen  Magencurvatur  zwischen  den  Blättern  des  grossen  Netzes 
von  rechts  nach  links  läuft,  dem  Magen  aufsteigende,  dem  Netze  absteigende 
Aeste  zuschickt,  und  mit  der  Arteria  gastro-epiploica  ainiatra  aus  der  Milzarterie 
anastomosirt. 

3.  Arteria  splenica^  Milzarterie.  Der  stärkste  Zweig  der 
coeliaca.  Er  zieht  am  oberen  Rande  des  Pankreas  nach  links, 
giebt  ihm  Zweige,  und  betritt,  von  den  Blättern  des  LigavienUm 
gastro-lienale  eingeschlossen,  den  Hilns  lienis.  Er  erzeugt,  bevor 
er  in  die  Milz  eingeht: 

aa)  Die  Artevia  gastro-epiploica  s.  coronaria  ventiHculi  inferior  tinuttra, 
welche  der  dextra  e n ige f^eii läuft. 

hb)  Die  Vasa  brevia  8.  Arteyiae  yatttricae  breveSj  4 — 6,  welche  zum  FnndM 
ventriculi  treten,  und  eigentlich  nur  auf  den  Stamm  der  Milzarterle  übersetzte 
Magenäste  der  Arteria  gastvo-epiploica  sinhtra  darstellen. 

Die  Gafitro-epijjhica  dextra  et  fdnistra  bilden  am  grossen  Magenbogen 
durch  ihre  wechselseitige  Zusammenkunft  den  Arcus  arteriomis  ventriculi  inferior^ 
so  wie  die  beiden  Coronariae  superiorea  am  kleinen  Magenbogen  den  Arcus  arte- 
Hoffus  superior. 

b)  Die  obere  Darm-  oder  Gekrösarterie,  Arteria  mesen- 
teinca  s.  mesaraica  superior,  Sie  ist  etwas  stärker  als  die  coeliaca, 
dicht  unter  welcher  sie  entspringt.  Hinter  dem  Pankreas  und  dem 
unteren  Querstück  des  Duodenum  geht  sie  zur  Wurzel  des  Gekrö- 
ses, in  welchem  sie  einen,  mit  seiner  Convexität  nach  links  und 
vorn  sehenden  Bogen  beschreibt.  Die  Ernährung  des  unteren  Quer- 
stticks  des  Duodenum,  das  ganze  Jejunum,  Ileum,  Coecum,  und 
das  Colon  ascendens  et  transversumy  fällt  ihr  anheim.  Ihre  Aeste,  un- 
gefähr  20  an   Zahl,    lassen   sich  in  zwei   Gruppen   eintheilen.    Die 


§.  406.  UiipMure  Aeste  der  Banchaorta,  917 

eine   entspringt  aus    der  eonvexen,    die   andere   aus   der   concaven 
Seite  des  Bogens. 

Aus  der  convexen  Seite  des  Bogens  treten  hervor: 

a)  Die  Arteria  duodenalis  inferior  zum  unteren  Querstück 
des  Zwölffingerdarms  und  zum  Kopf  des  Pankreas. 

ß)  Die  Arteriae  jejunales  et  ileae,  16 — 18  an  Zahl.  Sie  ver- 
laufen zwischen  den  Blättern  des  Gekröses  zu  den  Darmstücken, 
deren  Namen  sie  tragen.  Jede  derselben  theilt  sich  auf  diesem 
Wege  in  zwei  Zweige,  welche  mit  den  Zweigen  der  nächsten 
bogenförmig  anastomosiren.  Aus  diesen  Bogen  entspringen  klei- 
nere Aeste,  die  abermals  zu  kleineren  Bogen  sich  verbinden,  und 
aus  diesen  treten  neuerdings  bogenförmig  anastomosirende  Ge- 
fässe  hervor,  so  dass  drei  Bogenkategorien  auf  einander  folgen, 
welche  an  den  längeren  Arteriae  ileae  noch  um  eine  oder  zwei 
Bogenreihen  vermehrt  werden  können.  Es  zieht  sich  also  durch 
das  ganze  Dünndarmgekröse  ein  aus  Gefässarcaden  construirtes 
Netz  hin,  aus  welchem  endlich  viele  kurze  Ramuli  intestinales  ent- 
springen, welche  das  Darmrohr  umgreifen,  und  seine  Häute  mit 
ihren  Reisern  versorgen. 

Aus  der  concaven  Seite  des  Bogens  der  oberen  Gekrösartcrie 
entspringen  viel  weniger  Zweige.  Diese  sind: 

1.  Die  Arteria  ileo-colica.  Sie  zieht  nach  rechts  und  unten  zur 
Einmündungsstelle  des  Dünndarmes  in  den  Dickdarm,  und  theilt 
sich  in  zwei  Zweige.  Der  untere  anastomosirt  mit  dem  Ende 
des  Stammes  der  Arteria  mesenterica  superioi',  der  obere  mit  der 
Arteria  colica  dextra, 

2.  Die  Arteria  colica  dextra  zum  Colon  a^cendens,  imd 

3.  Die  Arteina  colica  media  zum  Colon  transversum, 

1,  2  und  3  bilden  untereinander  ähnliche  Bogen  wie  die  Arterien  des 
Dünndarms,  aber  grösser,  und  nicht  so  oft  sich  wiederholend.  Am  aufsteigenden 
und  queren  Colon  findet  man  öfter  nur  eine  einfache  Bogenrcihe.  An  den  Win- 
keln, durch  welche  das  aufsteigende  Colon  in  das  quere,  und  das  quere  in  das 
<ibsteigende  tibergeht,  kommt  noch  eine  zweite,  selbst  eine  dritte  Bogenreihe 
hinzu.  —  Die  nur  im  frühesten  Embryoleben  vorfindliche  Ärteria  omphalo-mesa- 
raica  zur  Vesicula  umbilicalis,  ist  ein  Ast  der  Mesenterica  mperior.  Bei  allen 
blindgebornen  Säugethieren  findet  sie  sich  noch  um  und  nach  der  Geburtszeit 
bis  zum  Nabel  oflfen  und  wegsam.  Ich  habe  sie  auch  im  geborenen  Menschen 
vorhanden  und  wegsam  gefunden.  Sie  verlor  sich  im  geraden  Bauchmuskel.  Das 
betreffende  Präparat  —  ein  Unicum  —  wurde  von  mir  in  der  österr.  Zeitschrift 
für  prakt  Heilkunde,  1859,  Nr.  10,  beschrieben. 

c)  Die  untere  Darm-  oder  Gekrösarterie,  Arteria  mesen- 
terica  inferior^  entspringt  ungeftlhr  einen  Zoll  über  dem  Ende  des 
Aortenstammes,  und  spaltet  sich  alsogleich  in  zwei  Zweige,  deren 
einer  als  Colica  smistra^  zum  Colon  descendensj  der  andere,  als  Är- 
teria   haemorrhoidcdia    ßunm*         ««*   Curvatura   sigmoidea   und  zum 


918  §•  4^*  PMrig«  Aest«  der  Banehaorta. 

Mastdarm  geht.  Die  Zweige  dieser  Aeste  zeigen  dieselben  bogen- 
förmigen Anastomosenreihen ,  wie  sie  bei  der  MeserUerica  tufmar 
angegeben  wurden. 

§.  406.  Paarige  Aeste  der  Bauchaorta. 

a)  Die  Nebennieren arterien,  Arfmoe  «?«p*arenafe«,  gewöhn- 
lich zwei  Paare,  nicht  erheblich. 

b)  Die  Nierenarterien,  Artenae  renales  s.  emulgenteSy  ent- 
springen einen  Zoll  unter  der  Ai'teria  mesenterica  superior,  die  linke 
unter  einem  rechten,  die  rechte,  wegen  tieferer  Lage  der  rechten 
Niere,  unter  einem  mehr  spitzigen  Winkel.  Sie  geben  einen  stÄr- 
keren  Ast  zum  Nierenfett  {Arteria  capsularis),  und  kleine  Zweige 
zum  Nierenbecken  und  zum  Harnleiter. 

c)  Die  inneren  Samenarterien,  Arteriae  spermaticne  in- 
temae.  Nur  die  linke  entspringt  unter  einem  sehr  spitzigen  Winkel 
aus  der  Aorta,  nahe  an  der  linken  Nierenschlagader,  die  rechte 
dagegen  in  der  Regel  aus  der  rechten  Arteina  renalis.  Beide  laufen 
mit  den  Harnleitern  nach  abwärts,  gehen  beim  Manne  vor  den 
Vasis  iliacis  zum  Leistenkanal,  werden  in  den  Samenstrang  aufge- 
nommen, und  steigen  in  rankenförmigen  Krttmmungen  bis  zum 
Hoden  herab,  in  dessen  Parenchym  sie  untergehen.  Beim  Weibe 
dringen  sie  vom  Seitenrandc  des  Beckeneingangs  in  die  breiten 
Mutterbänder  ein,  und  begeben  sich  zum  Eierstock,  wo  sie  aber 
nicht  endigen,  sondern  sich  längs  der  Tuba  Fallopiae  bis  zum  Sei- 
tenrande der  Gebärmutter  erstrecken,  und  mit  einem  Aste  der 
Arteina  utenna  anastomosiren.  Tn  beiden  Geschlechtem  geben  sie 
feine  Reiser  zum  Harnleiter,  zum  subserösen  Bindegewebe  de.«? 
Bauchfells,  und  zu  den  Lymphdrüsen  der  Lenden. 

d)  Die  Lenden  arterien,  Arieriap  lumbales.  Es  finden  sich 
nur  vier  Paare  derselben.  Sie  entspringen,  wie  die  Arteriae  interco- 
staleSf  aus  der  hinteren  Peripherie  der  Aorta,  und  gehen  hinter  den 
Schenkeln  des  Zwerchfells,  und  hinter  dem  Psoas  major y  nach 
aussen  zu  den  Zwischenräumen  je  zweier  Processus  transversi  (Pro- 
ccjis^is  costarii)  der  Lendenwirbel.  Jede  Lendenarterie  theilt  sich  in 
zwei  Zweige: 

a)  Der  RamvA  posleriov  rntspricht  dem  liamus  dornaUf*  (jiner  Zwischen- 
rippenarterie, sendet  einen  Ramiis  spiiialiff  durch  das  Foramen  intervertehralt  zum 
Rückenmark  und  dessen  Ilflllen,  und  löst  sich  in  den  Rückenmuskeln  auf. 

ß)  Der  Bamut  anterior  wiederholt  typisch  den  Ramwt  interco»falu  einer 
Zwischenrippenarterie.  Er  durchbricht  den  Quadrattts  lumborumy  und  gehört  den 
breiten  Bauchmuskeln.  Alle  vorderen  Aeste  Einer  »Seite  anastomosiren  unter 
einander,  die  erste  überdies  noch  mit  der  IntercostaVis  ultima,  die  letzte  mit  der 
Arteria  Ueo-himhaHs  aus  der  Hypogastrien,  und  der  Oircumßexa  ilei  aus  der 
Cruralis. 


S.  406.  Paarig«  Aest«  der  Baachaoria.  919 

Wird  die  unter  der  letzten  Rippe  verlaufende  Arterie  nicht  als  Intercosta- 
lia  ultima  (So  mm  erring),  sondern  als  Arteria  Ivmhalia  prima  ^^zJXhXi  (Hall  er), 
so  müssen  fünf  Lendenschlagaderpaare  angenommen  werden,  welche  aber  nicht 
mit  den  fünf  Lendenwirbeln  übereinstimmen,  da  die  Arteria  lumbaUa  prima  dem 
letzten  Brustwirbel  entspricht. 

Die  Aorta  abdominalis  nimmt  durch  die  Abgabe  so  vieler  und 
grosser  Aeste  an  Volumen  bedeutend  ab,  und  theilt  sich  vor  dem 
vierten  Lendenwirbel  in  die  beiden  Arteriae  iliacae  communes,  welche 
gabelförmig  unter  einem  spitzen  Winkel  (65®  beim  Manne,  75"  beim 
Weibe,  wegen  grösserer  Amplitudo  pelvis)  divergiren.  Sie  gehen  zur 
Seite  des  fünften  Lendenwirbels,  einwärts  vom  Psoas  major,  gegen 
die  Symphysis  sacro-iliaca  herab,  werden  vom  Ureter  gekreuzt,  und 
können,  wegen  der  Lagenmg  der  Aorta  auf  der  linken  Seite  der 
Wirbelsäule,  nicht  gleich  lang  sein.  Die  rechte  muss  etwas  länger 
sein  als  die  linke.  —  In  gleicher  Höhe  mit  der  Knorpelscheibe 
zwischen  letztem  Lendenwirbel  und  Blreuzbein,  theilt  sich  jede  in 
die  Arteria  kypogastrica  und  Arteria  cruralis. 

Die  zwischen  beiden  Arteriae  iliacae  commvnes  liegende  Ar- 
teria sacralis  media  ist  eigentlich  die  Fortsetzung  der  Aorta  abdo- 
minalis j  in  deren  verlängerter  Richtung  sie  bis  zum  Steissbein 
herabläuft. 

Die  geringe  Entwicklung  der  Vertehrae  coccygeae  des  Menschen  bedingt 
die  Kleinheit  der  Arteria  tacraUa  media.  Bei  Thieren  mit  langem  Schweif,  ist 
die  Bedeutung  der  Arteria  »acralis  media  als  Fortsetzung  der  Bauchaorta  nicht 
zu  verkennen,  und  die  beiden  Arteriae  üiacae  communes  treten  in  die  untergeord- 
nete Stellung  seitlicher  Aortenäste.  —  Die  Arteria  gacralia  media  giebt  während 
ihres  Laufes  über  die  vordere  Fläche  des  fünften  Lendenwirbels  sehr  oft  rechts 
und  links  einen  Ast  ab,  welcher  sich  wie  eine  Arteria  lumhalis  verhält,  einen 
Ramua  apinalis  durch  das  letzte  Foramen  iniervertebrale  lumbale  zum  Rücken- 
mark  sendet,  und  mit  einem  vorderen  und  hinteren  Aste  endet.  Ersterer  zer- 
theilt  sich  im  Psoas  und  Iliacus  internus,  letzterer  in  den  Rückenmuskeln.  Ln 
Herabsteigen  giebt  die  Arteria  sacralis  media  den  Weichtheilen  an  der  vorderen 
Kreuzbeinfläche  unbedeutende  Aestchen,  und,  der  vierten  Vertehra  sacralis  gegen- 
über, einen  stärkeren  Zweig  zum  Mastdarm. 

Die  häufig  zu  beobachtenden  Varietäten  der  Aortenäste  haben  wenig  prak- 
tische Bedeutsamkeit,  da  in  der  Bauchhöhle,  an  jenen  Stellen,  wo  diese  Blutge- 
fässe verlaufen,  nicht  operirt  wird.  Ich  will  nur  einige  derselben  anführen.  Die 
Coeliaca  zerfallt  nicht  in  drei  Aeste  (Tripus  HcUleri),  sondern  in  zwei,  indem 
die  Arteria  coronaria  sinistra  ein  Zweig  der  Lienalis  oder  Hepatica  wird,  oder 
die  Arteria  lienalis  auf  die  Mesenterica  superior  übertragen  wird.  —  Die  Arteria 
hepatica  ist  ein  selbstständig  gewordener  Ast  der  Aorta.  Der  Ramus  dexfer  der- 
selben wird  von  der  Arteria  mesenterica  superior  abgegeben  (nach  Hall  er  7mal 
unter  30  Fällen).  —  Die  Arteria  spltnica  wird  doppelt;  die  Arteria  mesenterica 
superior  ist  ein  Zweig  der  ungewöhnlich  starken  Coeliaca;  die  Arteria  mesente- 
rica ir\ferior  entspringt  aus  der  Arteria  iliaca  communis  sinislra  (Petsche),  oder 
fehlt  gänzlich,  indem  die  obere  Gekrösarterie  sie  ersetzt  (Fleischmann). —  Die 
Nierenarterien  werden  doppelt  bis  fünffach  (Prager  Museum).  Bei  tiefer  Lage 
einer  Niere  entspringt  die  Arteria  renaiit  miui  ö^  ^UmMk  oMMMMiit,  kypogastrica^ 
selbst  saeraUi  media  (£^ti;  flb«9  '  ^"^oehen- 


920  §•  ^^'^'  Veräätlang  der  Beckonarterie. 

Schrift,  1841).  Beide  Nierenarterien  können  aus  einem  TninctM  communu  bervor- 
gehen  (Portal).  —  Die  Arteria  üi<ica  communis   dextra   fehlt,    (Craveilhier), 
indem  Hypogastrica  und    Cniralis   ohne    Truncus  communu    entspringen  (Sin^- 
thiertypus).  Die  Sacralia  media  ist  ein  Zweig  der  lUaca  communis  dextra  (wefen 
linkseitiger  Aortentheilung).  —  Einen  starken  anastomotischen  Ast  zwischen  £^ 
nalis  und  Iliaca  communis  dextra  beobachtete   ich  an  einem   Neugeboreneüf  and 
eine  Mesenterica  media  fUr  das  Colon  transversum   und  descendens    an  einem  Er- 
wachsenen. An  einem  Aenccphalus  mit  angeborener  BanchdeckenBpalte,  war  die 
Arteiia    hepatica    ein    Zweig    der    Brustaorta    (darum    interessant,  weil  auch  die 
Vena  hepatica  als  grosse  Seltenheit  sich  in  das  Atrium  dextrum  cordis  einmfindet). 
An  einem  Foetus  mit  Ectropium  vesicae  urinaHae,   entsprang   eine  starke  ArUm 
vesicalis  aus  der  Iliaca  communis  dextra. 


§.  407.  Verästlimg  der  Beckenarterie, 

Die  Beckenarterie,  Arteria  hypogastrica  s.  iliaca  intemOy  ist 
beim   Erwachsenen   schwächer,   beim  Embryo  aber,   wo   sie  durch 
die  Arteria   umhilicalis  auch   den    Placentarkreislauf  treibt,  stärker, 
als  die  Arteina  crvralis.  Sie  steigt  vor  der  Symphysis    sacro-iliaca  in 
das  kleine  Becken  herab.  Im  ungeborenen  Menschen  dagegen  krümmt 
sie  sich  schon  im  Niveau  der  oberen  Beckenapertur  in  einem  nach 
unten  convexen  Bogen  zur  Seitengegend  der  Harnblase  hin,  welche 
hoch  in  die  Bauchhöhle  hinaufragt,  und  erhebt  sich  von  da  als  Arteria 
UTrihilicalis  zum  Nabel,  Alle  Aeste  der  embryonischen  Arteria  hypo- 
gastrica (selbst  die  Arteria  cruralis)    entspringen   aus  dem  convexen 
Rande  dieses  Bogens.    Beim    Erwachsenen   kann  man    diese  Aeste 
in    vordere    und    hintere    eintheilen,    nach    Verschiedenheit   der 
Richtung,  welche  sie  einschlagen.    Beide  versorgen  die    Eingeweide 
des  Beckens,  das  Gesäss,  und  die  äusseren  Geschlechtstheile. 

A.  Hintere  Aeste: 

a)  Die  Arteria  ilen-hnnhalis,  Hüft-Lendenarterie.  Sie  geht 
wie  eine  Artei'ia  lumhaUsj  hinter  dem  Psoas  major,  nach  oben  und 
aussen,  und  theilt  sich  in  einen  Ramus  Hiaciis  filr  den  Muscuhta 
iliacusj  und  in  einen  aufsteigenden  Unmus  lumbalis,  der  sich  im 
Psoas  und  den  Lendenmuskeln  verästelt,  und  zur  Lendenarterio 
aus  der  Sacralis  media  in  antagonistischer  Grr)S8enbeziehung  steht, 
d.  h,  stark  ist,  wenn  diese  fehlt  oder  unbedeutend  erscheint,  uud 
umgekehrt. 

Der  liamiis  iliaciis  anastomosirt  mit  der  Arteria  circumßexa  ilei,  und  der 
liamtts  lumhalis  mit  der  letzten  Arteria  lumhalis.  Ersterer  ernährt  durch  cinou 
Hamus  nutrieiwi  das  Darmbein. 

b)  Die  Arteriae  sacrales  laterales,  seitliche  Kreuzbeinar- 
terien.  Es  finden  sich  deren  eine  obere  grössere,  und  untere 
kleinere,  welche  vor  den  Nervis  sacralihus  nach  innen  und  imten 
laufen,  mit  der  Arteria  sacralis  media  anastomosiren,  und  dem  Mus- 
culus  pyriformisj  Levatm-  ani,  und  Coccygcus  Aeste  abgeben. 


8.  407.  Yer&süiing  der  BeckenarUrie.  921 

Stärkere  Zweige  derselben  dringen  durch  die  Foramina  sacralia  anteriora 
zur  Cauda  equinay  und  ihre  Verlängerungen  gelangen  durch  die  hinteren  Kreuz- 
beinlöcher zu  den  Kreuzbeinursprüngen  der  langen  Rückenmuskeln. 

c)  Die  Arteria  glutaea  superior,  obere  Gesässarterie.  Sic 
ist  der  stärkste  Ast  der  Hypogastrica,  und  geht  über  dem  Musculus 
pyriformis,  den  oberen  Rand  der  Incisura  ischiadica  major  umgrei- 
fend, aus  der  Beckenhöhle  zum  Gesäss,  wo  sie  von  dem  Musculus 
glutaeus  magnus  und  medius  bedeckt  wird.  Sie  spaltet  sich  hier  an- 
fangs in  zwei  Zweige,  deren  einer  zwischen  Glutamis  magnus  und 
medius  fast  in  horizontaler  Richtung  nach  vom  verläuft,  während 
der  andere,  stärkere,  zwischen  Glutaeus  medium  und  minimus  eindringt. 

Beide  theilen  sich  neuerdings  in  vier  bis  sechs  Aeste  für  die  Gesäss- 
muskeln.  Die  oberen  Aeste  werden  mit  der  letzten  Lendenarterie,  die  hinteren 
mit  den  hinteren  Zweigen  der  Kreuzbeinarterien,  die  vorderen  und  unteren  mit 
der  Arteria  iacUictdica^  circumflexa  ilei,  und  den  beiden  Circumflexae  fenxoria  ana- 
stomosiren.  —  a)  und  b)  sind  in  der  Regel  Aeste  von  c). 

B.  vordere  Aeste: 

a)  Die  Arteria  obturatoria,  Verstop fungs-  oder  Hüftbein- 
locharterie.  Ihre  oft  vorkommenden  Ursprungsvarietäten  geben 
dieser  Arterie  ein  besonderes  Interesse.  Entspringt  sie,  was  als 
Regel  angesehen  werden  kann,  aus  der  Hypogastrica^  so  zieht  sie 
mit  dem  Nervus  ohturatoriuSy  und  zwar  über  demselben  gelegen,  an 
der  Seitenwand  des  kleinen  Beckens  nach  vom,  geht  durch  den 
Canalis  ohturatorius  heraus,  und  theilt  sich  am  oberen  Rande  des 
Ohturator  extemus  in  einen  liamus  ant&rior  et  posterior.  Der  Ramus 
anterior  schaltet  sich  zwischen  AdducU/r  Jemoris  brevis  und  longus 
ein,  verästelt  sich  in  ihnen,  so  wie  in  dem  Pectineus  und  Gracilis, 
und  anastomosirt  mit  der  Arteria  circumflexa  fenioris  interna.  Der 
Ramv^s  posterior  sendet  einen  Nebenzweig  [Arteria  acetahuli)  durch 
die  Incisura  acetahuli  zum  runden  Bande  des  Caput  femoi^isj  geht 
zwischen  Ohturator  extemus  und  Quadratus  femoris  nach  aussen,  und 
löst  sich  in  Muskelzweige  für  die  Auswärtsroller  auf,  deren  einige 
mit  den  Aesten  der  Arteria  circumflexa  externa  anastomosiren. 

Im  Becken  giebt  sie  dem  Iliacus  irUemuSf  Ohturator  intemu»  und  Levator 
ani  kleine  Reiser,  und  sendet  vor  ihrem  Austritte  den  schwachen  Ramus  anasto- 
moticus  pubicus  zur  hinteren  Schamfugenfläche,  wo  er  mit  dem  liamus  anastomo- 
ticus  pubicus  der  Arteina  epigaslHca  (§.  409),  eine  Verbindung  eingeht. 

Die  noch  in  das  Bereich  der  hinteren  Beckenwand  fallenden  Ursprungs- 
varietäten der  Arteria  ohturaXoHa  sind  ohne  praktische  Wichtigkeit.  Dagegen 
verdient  der  in  operativer  Hinsicht  wichtige  Versetzungsfall  des  Ursprunges  der 
Obturatoria  auf  die  Schenkelarterie,  oder  einen  Zweig  derselben,  besondere  Auf- 
merksamkeit. Entspringt  nämlich  die  Arteria  ohturatoHa  aus  der  Cruralis  unter 
dem  Poupart'schen  Bande,  so  fliesst  ihr  Ursprung  gewöhnlich  mit  dem  der  Ar- 
teria  epigastrica  inferior  zusammen,  so  dass  beide  Gef&sse  einen  kurzen  Truncus 
communis  haben.  Sie  schlägt  sich  dann  über  die  Vena  cruralis  weg,  und  geht 
an  der  hinteren  Fläche  des  UgammtMm   ^  ^  ^a«  9oimi«  haristonUdia 

osiis  pubis,  surn   ConaU*  oiim  'tei, 


922  §•  ^7-   Ver&sUung  der  Beckenarterie. 

80  muss  sie  sich  um  seinen  Hals  hcrumschlingcn,  und  kann  bei  der  Operation 
desselben  im  Fall  einer  Einklemmung,  bei  jeder  Richtung  des  Erweiteroogs- 
schnittes,  nur  bei  der  nach  unten  gehenden  nicht,  verletzt  werden.  Nach  den 
verschiedenen  Nuancen,  die  dieser  abnorme  Ursprung  der  Arteria  obiMratma 
darbieten  kann,  nach  Verschiedenheit  der  Länge  des  Truncu»  commumM^  and  dem 
dadurch  bedingten  Lagerungsverhältniss  der  Obturatoria,  wird  sie  einen  grosse- 
ren oder  kleineren  Theil  des  Schenkelbruchhalses  umfassen.  Jedenfalls  ist  d«i 
An-  oder  Durchschneiden  des  Gefässes  ein  Zufall,  der  die  Operation  auf  gefahr- 
drohende Weise  complicirt,  und  mit  aller  Vorsicht  vermieden  werden  soIL  Da 
man  von  dem  Vorhandensein  der  Anomalie,  von  der  Art  und  dem  Qrade  der- 
selben, in  vorhinein  sich  nicht  unterrichten  kann,  so  dürfte,  vom  anatomischen 
Standpunkte  aus,  das  Lösen  der  Einklemmung  des  Schenkelbruches  durch  Incision 
des  Ligamentum  pubicum  Coaperi  nach  unten  (nach  Verpillat^s  Methode)  du 
sicherste  sein.  Bei  jeder  anderen  Erweiteningsrichtung  wären  wiederholte,  seichte 
Einschnitte,  einem  einzigen  tieferen  vorzuziehen.  Trotz  der  Häufigkeit  dieses 
abnormen  Ursprunges  der  Arteria  obturatoria^  sind  Verletzungen  derselben  beim 
Bruchschnitte  doch  seltene  Vorkommnisse.  —  Nach  J.  Cloquet^s,  an  250  Lei- 
chen vorgenommenen  Erhebungen  dieses  Gegenstandes,  stellt  sich  das  Verhiltniii 
des   normalen   und   abnormen   Ursprungs   der   Arteria  obturatoria   wie   3  :  1  dar. 

Normaler  Ursprung  160 

Aus  der  Arberia  epigaatriea  auf 

beiden  Seiten 
Aus  der  Arteria  epigastrica  auf 

einer  Seite 

Aus  der  Arteria  cruraUs 


1 

73  Weiber 

j 

21  Männer 

56     1 

36  Weiber 

15  Männer 

28 

13  Weiber 

6      i 

2  Männer 

\ 

4  Weiber 

250 
Diese  Häufigkeit  des  anomalen  Ursprungs  erklärt  sich  aus  dem,  was  später 
in  §.  409  über  die  Anastomosen  der  Arteria  epigastrica  inferior  mit  der  obturatoria 
angeführt  wird.  —  Viel  seltener  ereignet  es  sich,  dass  eine  aus  der  Hjpogastrica 
stammende  schwache  Arteria  obturatoria^  mit  einer  aus  der  Arteria  epigastrica 
entsprungenen,  sich  vor  dem  Eintritte  in  den  Canalis  obturatorius  verbindet. 
Lauth  war  der  Meinung,  dass  diese  Entstehung  der  Obturatoria  aus  zwei  Wur- 
zeln, beim  Embryo  Regel  sei.  Je  nachdem  nun  die  eine  oder  die  andere  Wurzel 
im  weiteren  Verlaufe  der  Entwicklung  eingeht,  wird  die  Obturatoria  einfach  aus 
der  Hypogastrica  oder  aus  der  Cruralis  entspringen. 

b)  Die  Arteria  ghitaea  infeinor  s,  ischiadica^  untere  Gesas s- 
arterie,  geht  unter  dem  Mtcsculus  pynformis  mit  dem  Nervus  üchia- 
dicus  aus  der  Beckenhöhle  heraus.  Sie  ist  bei  weitem  schwächer 
als  die  Glutaea  auperior,  und  hat  ihre  Verästlungssphäre  in  den  Aus- 
wärtsrollem, und  den  vom  Sitzknorren  entspringenden  Beugern  des 
Unterschenkels. 

Ihre  Aeste  anastomosiren  mit  denen  der  Glutaea  auperior,  Obturatoria^  und 
den  beiden  Ciraimflexae  femoris.  Ein  langer  und  feiner  Ast  derselben  lässt  sich 
weit  im  Nervus  ischiadiais  verfolgen.  Er  wird  von  einigen  Autoren  als  Arteria 
comes  ney^i  ischiadici  benannt. 

c)  Die  Arteriae  vesicales,  Harnblasen arterien.  Gewöhnlich 
finden  sich  zwei,  eine  snpe7*ior  und  infei*ior. 

Die  Superior,  welche  öfters  mehrfach  wird,  verästelt  sich  an  der  hinteren 
Wand   und   dem   Scheitel   der  Harnblase  bis  in  den  Urachus.    Die  Inferior  geht 


§.  407.  Yerisünng  der  Beckenarterie.  923 

zum  Blasengrand,  betheilt  die  Vesieulae  seminalea  und  die  Prostata,  beim  Weibe 
auch  die  Matterscheide  (Arteria  vesico-voffinalis).  Im  männlichen  Geschlechte 
giebt  sie  die  Arteria  vasis  deferentia  zum  zurücklaufenden  Samengefäss,  welche 
an  diesem  bis  in  den  Leistenkanal,  ja  selbst  bis  zum  Nebenhoden  gelangt,  und 
mit  den  Nebenästen  der  Arteria  apermatica  interna  anastomosirt.  Diese  Anasto- 
mosen sind  der  Grund,  warum  von  der  Unterbindung  der  Arteria  apermatica  in- 
terna, welche  man  unternahm,  um  Entartungen  und  Geschwülste  des  Hoden  ohne 
Exstirpation,  durch  Ernährungsmangel  zum  Schwinden  zu  bringen,  kein  Erfolg 
zu  erwarten  steht 

d)  Die  Arteria  uterina^  Gebärmutter arterie.  Sie  wird  von 
Einigen  als  die  Fortsetzung  der  Arteria  hypogastrica  angesehen,  ent- 
springt aber  öfters  aus  der  Pudenda  communis.  Sie  begiebt  sich 
zum  Collum  uteri,  und  steigt  am  Seitenrande  desselben  und  des 
Körpers  der  Gebärmutter  nach  aufwärts  bis  zum  Fundus.  Ihr  ge- 
wundener Verlauf,  welcher  auch  in  der  letzten  Schwangerschafts- 
periode nicht  verschwindet,  ja  selbst  noch  schärfer  hervortritt,  als 
im  nichtschwangeren  Zustande,  zeichnet  sie  vor  den  übrigen  Aesten 
der  Arteria  hypogastrica  aus.  Sie  giebt  dem  Fomix  vaginae  xmd  der 
Pars  vaginalis  uteri  Zweigchen,  versorgt  die  Gebärmuttersubstanz, 
und  anastomosirt  mit  der  zum  Uterus  gelangenden  Fortsetzung  der 
Arteria  spermatica  inteima  (§.  406.  c). 

Ein  Ast  derselben  geht  mit  dem  Ligamentum  tUeri  rotundum  in  den  Lei- 
stenkanal, und  verbindet  sich  daselbst  mit  einem  Zweige  der  Arteria  epigaatrica 
inferior.  Da  diese  letztere  mit  der  Arteria  epigaatrica  auperior  aus  der  Mammaria 
interna  anastomosirt,  und  die  Mammaria  interna  perforirende  Zweige  in  die  weib- 
liche Brust  absendet,  so  suchte  man  in  der  mittelbaren  Verbindung  der  Arteria 
uterina  mit  der  mammaria  den  Grund  der  Sympathie  zwischen  Uterus  und 
Mammae. 

Nach  M.  J.  Weber  geht  von  der  Arteria  uterina^  bevor  sie  noch  den 
Fundua  uteri  erreicht,  ein  1'"  dicker  Ast  zwischen  den  Blättern  des  Ligamentum 
latum  nach  aussen,  welcher  Zweige  zur  Tuba  sendet,  und  mit  dem  Ligamentum 
ovarii  zum  Eierstock  gelangt,  welchen  er  allein  versorgen  soll.  Die  weibliche 
Arteria  apermatica  interna  wäre  somit  bei  der  Ernährung  des  Eierstocks  nicht 
betheiligt.  Ich  habe  an  Kindesleichen,  deren  feine  Injectionen,  anderer  Zwecke 
wegen,  von  mir  häufig  vorgenommen  werden,  die  Sache  nachuntersucbt,  und 
jedesmal  eine  anastomotische  Verbindung  der  Arteria  apermatica  interna  mit  dem 
Eierstockaste  der  Uterina  gefunden,  deren  Durchmesser  so  gross  war,  dass  sich 
nicht  mit  Bestimmtheit  angeben  Hess,,  welches  StUck  der  Anastomose  der  einen 
oder  der  anderen  Schlagader  angehörte.  Das  Ovarium  wird  somit  wohl  von 
beiden  Arterien  sein  Blnt  erhalten  können.  Merkwtlrdig  bleibt  es  immer,  dass 
der  Uterus  von  zwei  Seiten  her  {Artei'ia  uterina  und  apermatica  interna)  sein  Blut 
bezieht.  Die  Arteria  uterina  versorgt  vorzugsweise  den  Gebärmutterhals,  die 
Spermatica  intei'na  den  Körper  und  den  Grund.  Hieraus  lässt  sich  verstehen, 
warum  die  Volumvergrösserung  des  Uterus  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwanger- 
schaft nur  den  Körper  betrifft,  und  erst  gegen  das  Ende  der  Gravidität  auch 
den  Gebärmutterhals  in  Anspruch  nimmt. 

e)  Die  Arteria  pudenda  cammtmis,  gemeinBcliaftliche  Scham- 
arterie. Sie  geht,  wie  die  ArUria  ü^  '  Fo- 
ramen iaddadicum  nuyuBj  «m  i 


924  §•  -AO?.  Yerästlung  der  Beckenarierie. 

aus  der  Beckenhöhle  heraus,  und  durch  das  Foramen  ischiadicum 
minus  wieder  dahin  zurück,  umgreift  somit  die  hintere  Fläche  de« 
Ligamentum  spinoso-saa'um,  oder  die  Spina  ossis  ischii  selbst.  An  der 
inneren  Fläche  des  Sitzbeines  steigt  sie  eine  Strecke  weit  herab, 
krümmt  sich  aber  bald  nach  vor-  und  aufwärts,  steigt  in  der  Rinne 
zwischen  dem  Processus  falciformis  des  Ligamentum  tuheroso-Bocrum 
und  dem  aufsteigenden  Sitzbeinast,  gegen  den  Schambogen  empor, 
und  theilt  sich  unter  diesem,  bevor  sie  das  Ligamentum  trianguläre 
urethrae  durchbohrt,  in  die  Arteria  profunda  und  dorsalis  pemt 
(s,  clitoridis), 

Ihre  Aeste  sind  folgende: 

1.  Die   Arteria   haemarrhoidalis  media,   mittlere   Mastdarm- 
arterie. 

Ihr  Ursprang  fällt  noch  vor  den  Austritt  der  Arieria  pudenda  aus  der 
Beckenhöhle.  Sie  giebt  dem  Blascngrunde,  der  Prostata,  der  Scheide  Nebeniute, 
und  verzweigt  sich  vorzugsweise  in  der  vorderen  Wand  des  vom  Peritoneam 
nicht  mehr  umkleideten  Mastdarmendes,  wo  sie  mit  der  HaeniorrfioidaHs  npe- 
nor  et  inferior  anastomosirt. 

2.  2 — 3    Arteriae   Jiaemorrhoidales    inferioi^es,    untere    Mast- 
darmarterien. 

Sie  entspringen  gleich  am  Eintritte  der  Pudenda  in  die  BeckenhOhle,  gehen 
schief  nach  innen  und  unten  durch  das  Cavum  ischio-rectale  zu  den  Schliess- 
muskeln  und  zur  Haut  des  Afters.  Die  vorderste  von  ihnen  ist  beim  Seitenstein- 
schnitt  der  Verletzung  ausgesetzt,  wenn  der  erste  Hautschnitt  zu  weit  nach 
*  hinten  verlängert  wird.  Man  schont  dieses  Gefäss  ganz  sicher,  wenn  man  den 
Haut«?chnitt   in   der  Mitte   des   Abstandes  des   Tuber  ischii  vom  After  enden  läast. 

3.  Die  Artei'ia  perinei,  Dammarterie. 

Sie  durchbohrt  am  hinteren  Rande  des  Musculus  iransversus  perinei  die 
Fascia  perinei  propria^  wodurch  sie  oberflächlich  wird,  geht  über  dem  Musculus 
iransversus  perinei  nach  vorn,  und  verliert  sich,  in  mehrere  Zweige  getheilt,  an 
der  hinteren  Seite  des  Hodensacks  {Arteriae  scj'otales  posteriores)^  bei  Weibern 
am  hinteren  Theile  der  grossen  Schamlippen  (Arteriae  labiales  posteriores).  Sic 
giebt  zu  den  Muskeln  des  Mittelfleisches,  namentlich  dem  Ischio-  und  Bulbo- 
cavernosus^  Aeste. 

Gewöhnlich  erzeugt  sie,  während  sie  den  Transversus  pei-inei  kreuzt,  die 
Arteria  transversa  perinei^  welche  die  Gegend  zwischen  After  und  Bulbus  ureütrae 
mit  ihren  Zweigen  versorgt.  Auch  sie  ist  beim  Seitensteinschnitt  der  Verletzung 
ausgesetzt.  Sie  kann  auch  ein  selbstständiger  Ast  der  Pjiidenda  communis  sein. 

4.  Die  Arteria  hidho-urethralisj  welche  den  Bulbus  urethrae^  und 
di*^  von  ihm  umschlossene  Urethraportion,  so  wie  die  Cowper'-schen 
Drüsen  mit  Zweigen  versieht. 

5.  Die  Arteria  profunda  ^^e;?/^  (*■.  clitoridis)  dringt,  von  innen 
her,  in  den  Anfangstheil  des  Schwellkörpers  ihrer  Seite  ein. 

Eine  für  das  Gelingen  des  Steinschnittes  höchst  gefährliche  Abweichung 
der  Arteria  pudenda  communis  ist  jene,  wo  das  Gefäss  in  seinem  ganzen  Ver- 
laufe in  der  Beckenhöhle  bleibt,  und  längs  der  Seite  des  Blasengrundes  und  der 


§.  408.  Yerlauf  der  SehenkeUrterie.  925 

Vorateherdrilse,  oder  diese  Drüse  durchbohrend,  zum  Gliede  aufsteigt  (Bums, 
Tiedemann,  Shaw).  Letzterem  starb  ein  Operirter  unter  den  Händen  durch 
Verblutung.  Magaz.  d.  ausl.  Lit.  d.  Heilkunde.  Bd.  XI.). 

6.  Die  Arteria  dorsalis  penia  s.  clitoindis  legt  sich  in  die  Furche 
am  Rücken  des  Penis,  und  nimmt  mit  jener  der  anderen  Seite  die 
einfache  Rückenvene  des  Gliedes  zwischen  sich. 

Die  Arieria  doraalU  penw  verhält  sich  nicht  blos  als  Hantgefäss,  sondern 
versorgt  auch  die  Glans  penis,  und  anastomosirt  durch  penetrirende  Zweige  mit 
den  Ramificationen  der  Arteria  profunda  penis.  Man  hat  sie  zuweilen  ans  der 
Arteina  ohturatoriaj  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Becken,  entspringen  gesehen. 
Ich  habe  einen  Fall  vor  mir,  wo  sie  ans  der  Arteria  pudenda  externa,  einem 
Aste  der  Arteria  cruralisj  entspringt 

7.  Bei  dem  Embryo  verlängert  sich  die  Arteria  hypogastrica 
zur  Umbilicalarterie,  welche  alle  übrigen  Aeste  der  Hypogastrica 
an  Stärke  übertrifft,  und  an  der  Seite  der  Harnblase  zur  vorderen 
Bauchwand  aufsteigt,  an  welcher  sie  zum  Nabel  und  durch  diesen 
in  den  Nabelstrang,  Funiculua  umhilicalisy  gelangt. 

Nach  der  Geburt  obliteriren  die  Nabelarterien  vom  Nabel  angefangen  bis 
zur  Ursprungsstelle  des  ersten  Collateralastes  der  Hypogastrica  im  Becken  (Ar- 
teria vesicalia  superior),  und  werden  zu  bandähnlichen  Strängen,  Chordae  umbiU- 
cale»  8,  Ligamenta  vesico-umhilicalia  Interalia,  welche  entweder  bis  ^um  Nabel 
reichen,  oder,  in  Folge  der  mit  der  Verwachsung  zugleich  auftretenden  Retrac- 
tion  der  Nabelarteric^  sich  nicht  bis  zum  Nabel  verfolgen  lassen.  Schreitet  die 
Obliteration  nicht  so  weit  vor,  oder  gedeiht  sie  nicht  bis  zum  vollkommenen  Ver- 
streichen des  Lumens,  so  wird  ein  Stück,  oder  die  ganze  Arteria  umbilicalis  bis 
zum  Nabel  wegsam  bleiben,  und  sich  an  der  Ernährung  eines  Bezirkes  der  vor- 
deren Bauchwand  betbeiligcn  können.  Ich  habe  an  einer  Leiche  eines  V/jj'ih' 
rigen  Kindes  diesen  Fall  getroifen.  £r  betraf  nur  die  rechte  Arteria  umbilicalis, 
welche  bis  einen  Zoll  vom  Nabel  für  die  Injectionsmasse  wegsam  blieb.  Die 
rechte  Arteria  epigastrica  inferior  war  sehr  schwach.  —  Es  ist  eigentlich  unrich- 
tig, die  Arteria  umbilicalis  eine  Fortsetzung  der  Arteria  hypogastrica  zu  nennen. 
Sie  ist  in  der  That  vielmehr  eine  unmittelbare  Verlängerung  der  Arteria'  iliaca 
communis,  und  steht  zu  der  Arteria  cruralis  und  hypogastrica  in  dem  Verhältniss 
des  Stammes  zu  seinen  Acsten.  Erst  nach  der  Geburt  gewinnt  es,  •  wegen  stär- 
keren Anwachsens  der  Arteria  cruralis  und  der  Beckenzweige  der  Hypogastrica 
den  Anschein,  als  sei  die  Umbilicalis  eine  Fortsetzung  der  Hypogastrica. 


§.  408.  Verlauf  der  Schenkelarterie. 

Die  Schenkelarterie,  Artevia  cruralis,  ist  der  äussere,  und 
zugleich  längere  Theilungsast  der  Arteria  iliaca  communis.  Sie  geht 
an  der  inneren  Seite  des  Psoas  major,  von  welchem  sie  durch  die 
Fascia  iliaca  getrennt  wird,  zur  Lacuna  vas&rum  cruralium  herab, 
hat  die  Vena  cruralis  nach  innen  neben  sich,  und  gelangt  unter 
dem  Poupart'schen  Bande  zur  vorderen  Seite  des  Oberschenkels. 
Eine,  durch  eine  Zwischenwand  getheille  BindeirewehMAl  »  Vm. 
gina  vasorum  cruralium^  tunschliewt 'm 


926  §•  *^-  ^^"^  ^^  Baachsiückes  der  Sohenkelarterie. 

zieht  anfangs  durch  die  Fossa  ileo-pectiiiea,  und  später  in  der  Furche 
zwischen  Vastus  intettius  und  den  Sehnen  der  Adductoren,  bedeckt 
vom  Sartorius,  am  Schenkel  herab,  legt  sich  unter  der  Mitte  des 
Oberschenkels  vor  die  Vena  ci^ralisy  durchbohrt  die  Sehne  des 
grossen  Zuziehers  dicht  am  Schenkelknochen,  und  gelang  dadurch 
in  die  Kniekehle,  in  welcher  sie  anfangs  auf  dem  Knochen,  später 
auf  der  Gelenkkapsel  aufliegt,  dann  über  den  Mtiscnlus  popliteus 
wegstreift,  unter  dem  oberen  Rand  des  Soleus  in  die  tiefe  Schichte 
der  Muskeln  an  der  hinteren  Seite  des  Unterschenkels  eindringt, 
und  sich  hier  in  die  vordere  und  hintere  Schienbeinarterie  theilt 
Die  Länge  des  von  der  Schenkelarterie  durchmessenen  Laufes 
erheischt  es,  drei  Stationen  desselben  zu  unterscheiden,  deren  erste 
sich  vom  Ursprung  des  Gefksses  bis  zum  Austritt  unter  dem  Pou- 
part'schen  Bande  erstreckt,  deren  zweite  vom  Poupart'schen  Bande 
bis  zur  Durchbohrung  der  Sehne  des  grossen  Zuziehers,  und  deren 
dritte  vom  Eintritt  in  die  Kniekehle  bis  zur  Theilung  in  die  vor- 
dere und  hintere  Schienbeinarterie  reicht.  Die  auf  diese  Weise  fest 
bestimmten  Verlaufsstücke  der  Schenkelarterie  sind:  das  Bauch- 
stück, Schenkelstück,  und  Kniekehlenstück. 


§.  409.  Aeste  des  BauclistüGkes  der  Schenkelarterie. 

Das  Bauchstück  der  Schenkelarterie  wird  gewöhnlich  Art£- 
ria  iliaca  externa  genannt.  Man  kennt  nur  zwei  bedeutende  Aeste 
desselben,  welche  einander  fast  gegenüber  von  der  inneren  und 
äusseren  Peripherie  des  Gefässes,  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Liga- 
mentum Poupartii  entspringen.  Diese  sind: 

a)  Die  Arteria  epigastrica  inferior,  untere  Bauchdecken- 
arterie. Sie  entspringt  nicht  immer  in  gleicher  Höhe  mit  dem 
Ligamentum  Poiqmrtii,  sondern  auch  etwas  tiefer,  (selten  höher  schon 
im  Becken  aus  der  Iliaca  externa).  Sie  geht  anfangs  nach  innen, 
biegt  sich  dann  nach  oben,  und  erzeugt  somit  eine  Krümmung  mit 
oberer  Coneavität,  welche  einwärts  von  der  Bauchöffnung  des  Lei- 
stenkanals liegt,  und  sich  mit  dem  V^a^  defetens  (bei  Weibern  mit 
dem  Ligamentum  uteri  rotnndum)  kreuzt.  Da  ihre  fernere  Verlaufs- 
richtung nicht  vertical  nach  oben,  sondern  zugleich  schief  nach 
innen  geht,  so  erreicht  sie  bald  den  äusseren  Rand  des  Bectus  ab- 
doniinis,  und  steigt  auf  dessen  hinterer  Fläche  bis  über  den  Nabel 
empor,  wo  sie  der  aus  der  Arteria  mammaHa  hervorgegangenen 
Arteria  epigastrica  8upei*ior  begegnet  und  mit  ihr  anastomosirt.  Ihre 
Zweige  sind: 

a)  Der  liamus  ancutomotictu  pubicus.    Er  ist    unbedeutend,   entspringri^    «ro 
der  Stamm  der  Epigastrica  die  aufsteigende   Richtung    annimmt,   und   läuft    ein- 


§.  410.  Aesie  der  eigentlichen  Sehenkelarierie.  927 

wärt«  zur  Schamfuge,  hinter  welcher  er  mit  demselben  Aste  der  anderen  Seite 
und  mit  dem  Ramti»  amutomoticus  pubicus  der  Arieria  ohturcUoria  seiner  Seite, 
eine  Verbindung  schliesst.  —  Es  leuchtet  ein,  dass  diese  Anastomose  zwischen 
den  Ramis  pubicia  der  Epigastrica  und  Obturatoria,  die  Bedingung  und  somit  auch 
die  Erklärung  in  sich  enthält,  warum  der  Ursprung  der  Obturatoria  so  oft  auf 
die  Epigastrica  übertragen  erscheint. 

ß)  Die  Arteria  apermatica  externa  entspringt  vor  oder  hinter  a),  dringt  in, 
den  CanaHs  ingninaUa  durch  dessen  hintere  Wand  ein,  und  steigt  an  der  vor- 
deren Fläche  des  Samenstranges  bis  zum  Hoden  herab.  —  Sie  vertheilt  sich 
jedoch  nicht  im  Hodenparenchjm,  sondern  in  den  Scheidenhäuten  und  dem  Cre- 
master, wird  deshalb  von  A.  Cooper  als  Arteria  cremaaterica  beseht ieben.  Im 
weiblichen  Geschlechte  ist  sie  unbedeutend,  und  für  das  Ligamentum  uteri  rotun- 
dum  bestimmt.  Eine  Anastomose  derselben  mit  einem  Aste  der  Arieria  uterina, 
welcher  gleichfalls  mit  dem  Ligamentum  uteri  rotundum  in  den  Leistenkanal  ein- 
dringt, wurde  früher  (§.  407,  B,  d)  erwähnt. 

y)  Viele  Rami  muscularea  für  den  Rectus  und  die  seitlichen  breiten  Bauch- 
muskeln. Sie  anastomosiren  in  letzter  Instanz  mit  den  Lumbaiarterien  und  den 
Zweigen  der  Arteria  circumflexa  iiei, 

b)  Die  Arteria  circumflexa  ilei,  umschlungene  Darmbein- 
arterie. Sie  läuft  unter  der  Vereinigungsstelle  der  Fa^cia  iliaca 
mit  dem  hinteren  Rande  des  Poupart'schen  Bandes  nach  aus-  und 
aufwärts  gegen  die  Spina  anterior  superior  des  Darmbeins,  und  zieht 
längs  der  inneren  Lefze  der  Crista  ossis  ilei  nach  hinten.  Sie  giebt 
den  vom  Darmbeinkamm  entspringenden  Muskeln  Aeste,  und  ana- 
stomosirt  durch  diese  mit  den  Zweigen  der  Artei*ia  ileo-lumhalis  und 
epigastrica  inferior. 


§.  410.  Aeste  der  eigentliclieii  Schenkelarterie. 

Das  Schenkelstück,  Arteria'  cruralis  8»  femoralia,  reicht  von 
der  Austrittsstelle  unter  dem  Poupart'schen  Bande  bis  zum  Durch- 
gange durch  die  Sehne  des  grossen  Zuziehers.  Während  seines 
Laufes  durch  die  Fossa  ileo-pectinea  erzeugt  es  folgende  Aeste: 

1.  Ramuli  inguinales,  für  die  Lymphdrüsen  und  die  Haut  der 
Leistengegend. 

2.  Arteria  epigastrica  superflcialis  s.  abdominalis  subcutanea  Hal- 
leri  Sie  durchbohrt  das  obere  Hom  des  Processsus  falciformis  der 
Fossa  ovalis,  steigt  vor  dem  Poupart'schen  Bande  zur  Begio  hypoga- 
strica  hinauf,  und  verästelt  sich  in  der  Haut,  bis  zum  Nabel  hinauf. 
Oefters  kommt  noch  eine  Artetia  circumflexa  ilei  superficialis  vor, 
welche  dem  Leistenbande  folgend,  sich  als  Hautast  ramificirt. 

3.  Arteriös  pudendae  exteniae,  äussere  Schamarterien.  Ge- 
wöhnlich finden  sich  zwei,  welche  über  die  Vena  cruralis  weg,  quer 
nach  innen  laufen. 

Die  obere  tritt  durch   die   Fovea   ovalia   hervor,    und   steigt    schief  nach 
innen  und  oben  zur  Schamgegend  hinan,  wobei  sie  sich  mit  dem   Samenstriuiige 


928  §•  ^lO*  Aeste  der  eigentlichen  Scbenkelurterie. 

kreuzt.  Die  untere  geht  über  den  Miucuhu  pectineus  quer  nach  innen,  wird  von 
der  Portio  pectinea  faaciae  IcUae  bedeckt,  und  durchbohrt  diese  schliesslich,  um 
zu  den  äusseren  Genitalien  zu  kommen,  in  welchen  sich  beide  als  Hantarierien 
des  Hodensacks  oder  der  grossen  Schamlippen  (Ärteriae  acrotale*  9.  labicUe*  ante- 
riores) verästeln. 

4.  Arteria  fr ofunda  femorisy  tiefliegende  Schenkelarterie. 
Nachdem  sich,  wie  überall,  die  Kleinen  vorgedrängt  haben,  folgt 
sie  diesen,  als  der  stärkste  Ast  der  Arteria  cruralis  nach.  Im 
Grunde  genommen  haben  wir  in  ihr  die  eigentliche  Arterie  des 
Oberschenkels  vor  uns,  da  sie  alle  seine  Muskeln  ernährt,  während 
die  Fortsetzung  der  Arteria  a^ralis  die  Blutzufuhr  zum  Unter- 
schenkel allein  leistet.  Ihr  Ursprung  befindet  sich  1 — IV2"  unter 
dem  Poupart'schen  Bande.  Man  triflft  sie  gewöhnlich  so  stark  im 
Kaliber,  dass  sie  der  Fortsetzung  der  Arteria  cruralis  wenig  nach- 
giebt.  Ihrem  Namen  zufolge  geht  sie  vor  dem  Pectineus  in  die 
Tiefe  zu  den  inneren  Schenkelmuskeln,  senkt  sich  zwischen  Ad- 
ductor  longus  und  hrevis  ein,  und  durchbohrt  zuletzt  den  Adductor 
magnus,  nicht  weit  über  dem  Durchbruche  der  Arteria  femoraUs 
durch  denselben  Muskel.  Die  Aeste,  welche  sie  erzeugt,  lassen  sich 
als  umschlungene  und  durchbohrende  rubriciren. 

a)  Umschlungene  Aeste,  Arteiiae  circumflexae  femoris.  Sie 
entspringen  in  der  Regel  aus  dem  Anfangsstück  der  Profunda  fe- 
moris,  und  zerfallen  in  eine  innere  und  äussere. 

a)  Die  Arieria  circnmßexa  femoris  iiiteitia  s.  posterior  tritt  untor  der  In- 
sertion des  vereinigten  Psoas  und  Ih'acus  am  kleinen  Trochanter  nach  hinten^ 
giebt  den  an  der  inneren  »Seite  des  Oberschenkels  gelegeneu  Muskeln  Zweige, 
versorgt  die  Gelenkkapsel  mit  einem  JRanuts  articnlaris,  und  zerfällt  in  einen 
auf-  und  absteigenden  Endast.  Der  aufsteigende  sucht  zwischen  dem 
Quadratus  femoris  und  Obturator  extemus  die  Fossa  trochanterica  auf,  verästelt 
sich  in  den  Auswärtsrollern,  und  anastomosirt  mit  der  Ärteria  glutaea  inferior 
und  circnmßexa  externa.  Der  absteigende  Endast  gehört  den  langen  Muskeln 
au  der  hinteren  Seite  des  Oberschenkels. 

ß)  Die  Arteria  circnmßexa  femoris  externa  s.  anterior  übertrifft  die  interna 
an  Stärke.  Sie  geht  unter  dem  Itectus  femoris  nach  aussen,  schickt  den  an  der 
vorderen  und  äusseren  Seite  des  Oberschenkels  gelegenen  Muskeln  zahlreiche 
auf-  und  absteigende  Aeste  zu,  deren  einer  unter  dem  Vastus  extemus  bis  zum 
Knie  herabreicht  (lianius  musculo-articularis),  durchbohrt  hierauf  den  Vasttts  ex- 
temus  hart  unter  dem  grossen  Trochanter,  und  gelangt  so  in  die  hintere  Gegend 
des  Oberschenkels,  wo  ihre  Endäste  mit  der  Circnmßexa  interna  und  den  Gesäss- 
arterien  anastomosiren. 

Die  häufigen  Variationen  der  Lage  der  Profunda  zum  Stamme  der  Cru- 
ralis (aussen,  hinten,  oder  innen  von  letzterer)  so  wie  die  damit  zusammen- 
hängenden Ursprungsabweichungen  der  beiden  Cireumßexae  hat  Srb  zum  Gegen- 
stande einer  sehr  tleissigcn  Detailuntersuchung  gemacht,  deren  Resultate  in  der 
österr.  Zeitschrift  für  prakt.  Heilkunde.  1860,  Nr.  1  und  2,   niedergelegt  wurden. 

b)  Durclibolirende  Aeste,  Arteinae  perforaniesy  heissen  jene 
Muskelzweige    der  Profunda  femoris ^  welche,   um   zur   Musculatur 


$.  411.  Aest«  der  Kniekeblenftrterie.  929 

an  der  hinteren  Seite  des  Oberschenkels  zu  gerathen,  die  Insertion 
der  Adduetorensehnen  am  Oberschenkelknochen  durchbohren.  Sie 
machen  es  also  ebenso  wie  der  Hauptstamm  der  Arteria  antralis, 
welcher  auch  eine  Arteria  perforans  wird,  indem  er  die  Sehne  des 
Adductor  magnus  durchbohrt,  um  in  die  Kniekehle  zu  kommen.  Die 
Arteriae  perforantes  geben  zu  dieser  Durchbohrung  gleichsam  das 
Vorbild.     Man  zählt  drei  Ai'teriae  perforantes. 

Die  Ärteria  perforan*  prima  geht  unter  dem  kleinen  Trochanter  nach 
rückwärts,  und  theilt  sich  in  einen  auf-  und  absteigenden  Ast.  Der  auf- 
steigende versorgt  Antheile  des  Glutaeus  magnus  und  den  QiiadratfM  femoris^ 
und  anastomosirt  mit  der  Arteria  glnttiea  inferiory  und  der  Circumflexa  femorh 
interna.  Der  absteigende  giebt  Acste  zu  den  Beugern  des  Unterschenkels, 
dem  Adductor  magnus  j  dem  Schenkelknochen  (die  Arteria  nutriens  »uperior)y 
und  anastomosirt  mit  der  Perforans  secunda.  —  Die  Arteria  perforans  secunda 
und  tertia  durchbohren  tiefer  unten  die  Sohne  des  Adductor  magnus.  Die  tertia 
sendet  die  Art,  nutriens  inferior  des  Schenkelknochens  ab.  Das  durch  so  zahl- 
reiche Astbildung  bedeutend  abgeschwächte  Ende  der  Profunda,  durchbohrt 
gleichfalls  als  Perforans  quarta  den  grossen  Adductor,  um  theils  mit  der  Perfo- 
rans tei'tia^  theils  mit  der  Circumflexa  genu  superior  interna  aus  der  Poplitea  zu 
anastomosiren. 

5.  2 — 6  liami  musculares,  deren  Verbreitungsbezirk  in  den 
Muskeln  des  Oberschenkels  liegt,  und  deren  Zahl  und  Mächtigkeit 
mit  den  absteigenden  Muskelästen  der  Circumflexa  externa  im  ver- 
kehrten Verhältniss  steht. 

6.  Artei^ia  superflcialis  genu  s,  anastomotica  magna,  oberfläch- 
liche Kniegelenkarterie.  Sie  entspringt  vor  dem  Durchtritte 
dßr  Avte^'ia  cruralis  durch  die  Sehne  des  Adductor  magnuSy  und  nmss 
somit  die  Astfolge  der  Arteria  cruralis  schliessen. 

Vor  der  Sehne  des  Adductor  magnus  ^  bedeckt  vom  Sartorius,  gleitet  sie 
zum  Condylus  internus  femoiis  herunter.  Ihre  daselbst  vorkommende  Anasto- 
mose mit  der  Arteria  ciraimflexa  superior  interna  aus  der  Poplitea  verschaffte 
ihr  den  Namen  Anastomotica  magna.  Sie  löst  sich  im  Rete  articufare  genu  auf, 
unter  welchem  Namen  wir  ein  auf  den  schwammigen  Gelenkenden  der  Knochen 
aufliegendes,  weitmaschiges  Netz  zu  verstehen  haben,  an  dessen  Bildung  auch 
der  Ramus  viusado-artiailaris  der  Circumflexa  femoris  externa ,  die  Petforamt 
quarta^  die  Circumflexae  genu  aus  der  Poplitea,  so  wie  der  Ramus  recurrens 
tihialis  anterior  et  posterior  Antheil  nimmt. 

§.  411.  Aeste  der  Kniekehlenarterie. 

Das  Kniekehlenstttck  der  Schenkelarterie,  Art^ia  poplitea, 
liegt  am  Grunde  der  Kniekehle,  und  erstreckt  sich  vom  Eintritte 
der  Arteina  femoralis  in  die  Kniekehle,  bis  zur  Spaltung  in  die 
beiden  Schienbeinarterien  herab.  Sie  erzeugt  Muskel-  und  Gelenk- 
arterien, welche  selbst  wieder  Hautäste  abgeben.  Erstere  versorgen 
die  Muskeln,  welche  die  Kniekehle  begrenzen.  Unter  ihnen  zeich- 
nen sich  die  aus  einem  kurzen  gemeinschaftlichen  Stamme  hervor- 
gehenden Arteriae  gastrocnemiae  aus.    Dir 

Hyrtl,  Lehrbvoh  der  ABatMde. 


930  §•  'll2'  Anomtlien  der  äebenkelarterie  und  ihrer  Aeaie. 

bogenförmig  die  Gelenkenden  der  im  Kniegelenk  zusammenstos- 
senden  Knochen,  und  concurriren  zur  Bildung  des  Rete  articulmv 
genu.  Man  zählt  zwei  obere,  zwei  untere  und  eine  mittlere 
kniegelenkarterie. 

a)  Die  beiden  Ärteriae  artiailares  «.  circumflexae  genu  truperioret  umgreifen 
die  Basen  des  äusseren  und  inneren  Condylus  femorv*^  und  werden  deshalb  als 
grössere  externa^  und  kleinere  inteitia  unterschieden. 

b)  Die  beiden  Ärteriae  articularea  8,  eircumflextie  genu  inferiore»  verhalten 
sich,  der  Stärke  nach,  verkehrt  wie  die  »uperiore».  Die  äussere  folgt  dein  Rande 
des  äusseren  Zwischenknorpels  des  Kniegelenks,  die  innere  krümmt  sich  unter  dem 
Condylus  tibiae  internus  nach  vom.  —  a)  und  b)  liegen  dicht  am  Knochen  auf, 
und  laufen   weder  über   eine  Sehne  noch  Über   ein  Band  des  Kniegelenks  weg. 

c)  Die  Arteria  artiadationi»  genu  media  s.  azygos  (oft  ein  Ast  der  Arieria 
articularis  mpn-inr  externa)  durchbohrt  das  Ligamentum  poplüeum  und  die  hintere 
Kapsel  wand,  und  verliert  sich  in  den  Kreuzbändern  und  den  als  falsche  Bänder 
bekannten  Falten  der  Synovialmembran. 

Die  von  M.  J.  Weber  (Handbuch  der  Anat  2.  Bd.  pag.  207)  als  Arteria 
articularis  capituli  fibulae  beschriebene  Arterie,  entspringt  unter  9  Extremitäten, 
die  ich  verglich,  nur  3mal  aus  der  Poplitea,  4mal  aus  der  Tibiaüs  anticoy  nnd 
2mal  aus  der  Tihialis  poatica.  Sic  versorgt  vorzugsweise  die  Musculi  peronei,  und 
das  Wadenbcinjjelftnk  nur  durch  unbedeutende  Aestchen. 


§.  412.  Anomalien  der  Schenkelarterie  und  ihrer  Aeste. 

Abweichungen  der  Schenkelarterie   kommen  viel  seltener  vor, 
«als  jene  der  Arteria  hrachialh. 

Chirurgische  Wichtigkeit  beansprucht  jeuer  Fall  (Froriep*9  Notizen.  Bd.  S4. 
pag.  45),  wo  die  Arteria  cruralis  als  Profunda  femoris  endigte.  Dagegen  kani 
ein  starker  Ast  der  Arteria  hypogastrica  (wahrscheinlich  die  Gluta£a  inferior) 
mit  dem  Nervus  i^chiadiruft  in  die  Kniekehle  hinab ,  wo  er  die  Arteria  poplUfa 
vertrat.  Da  in  der  Kegel  die  Arteria  glutaea  inferior  dem  Nervus  isckiadicw 
einen  langen  und  feinen  Begleitungszweig  {Artei'ia  comea)  mitgiebt,  so  sehe  ich 
in  diesem  Falle  nur  eine  stärkere  Entwicklung  der  Arteria  comes,  —  Im  Musee 
Clamar  zu  Paris  wird  ein  Präparat  von  Manec  aufbewahrt,  an  welchem  die 
Arteria  cruraiis  nur  dio  Dicke  einer  Arteria  radialis  besitzt,  und  in  den  Muskeln 
an  der  vorderen  Seite  des  Hüftgelenks  endigt.  Auch  in  diesem  Fall  war  es  die 
Arteria  glutaea  inferior ^  welche  sich  längs  des  Nei-vus  ischiadicus  in  die  Poplitea 
fortsetzte.  —  Ein  überzähliger  Ast  der  Artei-ia  cruralis  begleitet  die  Vena  saphena 
major  bis  zum  Sprunggelenk  herab.  Er  wurde  bisher  nur  einmal  gesehen. 
{Zagorski,  Moni,  de  TAead.  de  St.  Petersbourg,  1800.)  —  Die  Arteria  profunda 
femorut  entspringt  in  seltenen  Fällen  b()hor  als  gewöhnlich,  nach  Tiedemann 
häufiger  l)ei  Weiborn  und  Personen  von  kleiner  Statur.  Man  hat  sie  auch  schon 
aus  dem  Beckenstüeke  der  Arteria  rnrralis  entstehen  gesehen  (Otto,  Burns, 
Tiedemann).  In  diesem  Falle  giebt  sie  immer  einige  Aeste  ab,  welche  sonit 
aus  der  Arteria  n-uralis  entspringen.  Portal  sah  den  hohen  Abgang  der  Pro- 
funda fenioris  mit  hoher  Theilung  der  Arteria  brachialis  vergesellschaftet  (Anat. 
uk'mI.  T.  III.  pag.  239.)  —  Einen  schönen  Fall  von  hohem  Ursprung  der  Pro- 
fnmla  giebt  Zaaijer  (Nederl.  Tijdschrift,  1865).  —  Prosector  Dr.  Friedlowsky 
beschrieb  in  der  allg.  Wiener  med.  Zeitung,  1867,   Nr.   13,   einen  Fall,   wo   die 


$.  418.  Verastlangen  der  Arterien  des  Unterschenkels.  931 

Profunda  die  Scheukcl-  und  die  Saphenveue  nach  innen  umschlang,  bevor  sie  in 
die  Tiefe  eindrang.  —  Höchst  selten  gehen  die  Zweige  der  Profunda^  einzeln 
und  isolirt  aus  dem  Stamme  der  CruralU  hervor,  wo  dann  natürlich  die  Profunda 
fehlt.  Sehr  häufig  dagegen  entspringt  eine  oder  die  andere  Circumflexa  femorU 
nicht  aus  der  Profunda,  sondern  aus  der  CruralU. 

Die  Theilungsstelle  der  Poplitea  in  die  vordere  und  hintere  Schienbeinarterie 
rückt  nie  höher  an  den  Schenkel  hinauf,  wie  es  die  Arieria  radialis  und  ulnaris 
so  häufig  am  Arme  zu  thun  pflegen.  Für  die  vordere  Schienbeinarterie  lässt 
sich  der  Grund  leicht  einsehen.  Sie  müsstc  über  die  Streckseite  des  Knies  weg- 
laufen, was  gegen  die  allgemeinen  Gesetze  des  Schlagaderverlaufes  wäre.  Nur 
ein  Fall  ist  bekannt  (und  selbst  dieser  ist  nicht  hinlänglich  verbürgt),  wo  die 
Arteria  cruralis  angeblich  dicht  unter  dem  Poupart'schen  Bande,  in  die  beiden 
Schienbeiuarterien  zerfiel.  Er  betraf  eine  rechte  Extremität,  und  wurde  von 
Sandifort  aufgezeichnet.  (Observ.  anat  path.  Lib.  IV.  p.  97).  —  Zerfallen  der 
Schenkelarterie  unter  dem  Ursprünge  der  Profunda,  in  zwei  Zweige,  welche 
später  wieder  zu  einem  einfachen  Stamme  confluiren,  wurde  von  Ch,  Bell  (Med. 
u.  Phys.  Journal,  Vol.  LVI.)  beschrieben. 


§.  413.  Verästlungeii  der  Arterien  des  Unterschenkels. 

Die  Arteria  poplitea  theilt  sich,  nachdem  sie  das  Kniegelenk 
und  den  Musculus  poplüeus  überschritten,  und  sich  unter  den  oberen 
Rand  des  Soleus  begeben  hat,  in  die  vordere  und  hintere  Schien- 
beinarterie. 

a)  Vordere  Schienbeinarterie,  Arteria  tihialis  mitica,  Sie 
tritt  durch  den  oberen,  vom  Ligamentum  interosseum  nicht  verschlos- 
senen Winkel  des  Spatium  intei^osseum  an  die  Vorderfläche  des 
Zwischenknochenbandes,  wo  sie  mit  dem  Nervus  tihialis  anticus 
zwischen  Musculus  tihialis  anticus  und  Extensor  digitorum  communis 
longus  (weiter  unten  zwischen  Tihialis  anticus  und  Extensm*  hallucis) 
zum  Sprunggelenk  herabgleitet.  Zunächst  am  Sprunggelenk  verlässt 
sie  das  Zwischenknochenband,  und  streckt  sich  auf  die  äussere 
Fläche  des  Schienbeins  hin.  Am  Sprunggelenk  selbst  liegt  sie  dicht 
auf  dem  Kapselbande  auf,  und  zieht  durch  das  mittlere  Fach  des 
Ringbandes  zum  Fussrücken,  wo  sie  Arteria  dorsalis  pedis  heisst, 
oder  im  barbarischen  Style  pediaea,  da  ein  lateinisches  Wort  nicht 
mit  zwei  griechischen  Endsylben  verunglimpft  werden  soll  (latino 
capiti  cervicem  graecam).  Zwischen  den  Sehnen  des  Extenscn^  hallucis 
longus  und  hrevis  sucht  sie  das  erste  Interstitium  intermetaturseum 
auf,  und  biegt  sich  am  hinteren  Ende  desselben  in  den  Plattfuss 
hinab,  um  mit  der  Arteria  plantaris  externa,  einem  Endaste  der 
Arteria  tihialis  postica  im  starken  Bogen  zu  anastomosiren.  —  Aus 
dem  Verlaufe  der  Tihialis  antica  auf  dem  Fussrücken,  und  dem 
Eindringen  derselben  in  den  Plattfuss  durch  das  erste  Intersiüium 
intermetaJtarseum,  ergiebt  sich  die  UebereiiuBtimma 
der  Aiieria  radialis  des  Vorderamis« 


932  S*  ^^^'  Verästlnngen  der  Arterien  des  Unterschenkels. 

Von  ihrem  Ursprünge  bis  zum  Fussrücken  sendet  sie  folgende 
minder  bedeutsame  Aeste  ab: 

a)  Zwei  rücklaufcnde  Schienbeinarterien,  Arteriae  recurrentn 
tibicUes,  zum  Bete  articiil-are  genu;  eine  vor,  die  andere  nacli  geschehenem  Durch- 
gang zur  vorderen  Seite  des  Zwischenknochenbandes.  —  ß)  10 — 20  namenlose 
Muskeläste  von  geringem  Kaliber  für  die  Muskeln  an  der  vorderen  Seite  des 
Unterschenkels.  —  y)  Zwei  vordere  Knöchel  arterien,  Arteriae  maÜeoUxre» 
anteriores j  eine  äussere  stärkere,  und  innere  schwächere.  Beide  umgreifen 
die  Malleoli,  in  deren  Periost  sie  eingewachsen  sind,  und  verlieren  sich  in  den 
Weichtheilen ,  welche  das  Sprunggelenk  decken.  Sie  bilden  mit  den  hinteren 
Knöchelarterien  und  den  Fusswurzelschlagadem,   die  Retia  maÜeolaria. 

Am  Fussrücken  giebt  sie  ausser  einigen  unwichtigen  Zweigeo 
zum  inneren  Fussrand,  die  Arteina  tarsea  und  metatarsea  ab. 

Die  Arteria  tarsea  entspringt  am  Collum  oder  Caput  tali 
schwenkt  unter  dem  Extensor  drgitorum  communis  Irrevis  zum  äusse- 
ren Fussrand  ab,  v<irbindet  sich  nach  hinten  mit  der  Arteria  mcäleo- 
laris  anterior  externa,  und  nach  vom  mit  der  Arteria  metatarsea.  — 
Die  Arteria  metatarsea  zweigt  sich  am  Rücken  des  Os  scaphoideim, 
oder  erst  auf  den  Keilbeinen  von  der  Artej'ia  dorsalis  pedis  ab, 
oder  besitzt  einen  kurzen  Tintncus  communis  mit  der  Arteria  tarsea. 
Diese  Ursprungsvarianten  werden  ihre  Verlaufsrichtung  am  Fuss- 
rücken sehr  beeinflussen,  und  deshalb  herrscht  viel  Verwirrung  in 
den  Sagen  über  sie.  Am  äusseren  Fussrand  fliesst  sie  mit  der  Ar- 
teria  tarsea  bogenförmig  zusammen,  als  Arcus  pedis  dorsalis. 

Aus  der  Arfe.rin  metatarsea  entspringen,  bevor  sie  mit  der  Tarsea  den 
Arcus  pedis  dorsalis  schliesst:  1.  drei  Artei^e  interosseae  dorsales,  welche  im 
zweiten,  dritten  und  vierten  Interstitium  der  Mctatarsusknochen  nach  vom 
laufen,  und  sich  in  zwei  Zvvcig;e  theilen,  welche  alf«  Arteriae  digitales  pedis  dar- 
fiales  die  einander  zuj^ckohrten  Flächen  der  2.,  .S.,  4.  und  5.  Zehe  bis  zur  ersten 
Arliadatio  interjihalangen  hin  vorsehen,  und  2.  eine  Arteria  digitaiis  dorsaii* 
fixtema  für  die  äussere  Seite  der  kleinen  Zehe.  Das  erste  Interstitium  inter- 
ossenm  erhält  seine  Artn-ia  interossea  dorsalis  aus  dem  Stamme  der  Arteria  dar- 
ffnlis  pedis,  bevor  sie  in  die  Planta  fMudringt.  Sie  versorgt  nicht  nur  die  zuge- 
wendeten Seiten  der  <;rsten  und  zweiten  Zehe,  sondern  auch  die  innere  Seite 
der  ersten,  theilt  sich  also  in  drei  Arfeiiae  digitalem  dorsales^  während  die  übri- 
gen Arteriae  internsseae  dorsalem  nur  in  zwei  Zweige  gabeln. 

Nach  Abgabe  dieser  Aeste  dringt  die  Aiieida  dorsalis  pedis 
zwischen  den  Bases  des  ersten  und  zweiten  Metatarsusknochens  in 
die  Planta,  wo  sie  sicli  mit  der  Aii^a  plaiituris  f^ernfi  zum  tiefen 
Plattfussbogen  verbindet,  von  welchem  später. 

b)  Hintere  Schienbeinarterie,  Ai*teria  tibialis  postica,  wohl 
der  Stärke,  nicht  aber  der  Richtung  nach,  ist  sie  die  eigentliche 
Fortsetzung  der  Arteina  poplitea,  Sie  läuft  mit  dem  Nervus  tibialvf 
posticus,  welcher  an  ihrer  äusseren  Seite  liegt,  im  tiefen  Stratum 
der  Wadenmuskeln  auf  dem  Musculus  tibialis  posticus  und  Flexor 
digitorum  longus  zum  Sprunggelenk  herab.  Am  unteren  Drittel  des 
Unterschenkels,    wo  das  oberflächliche  Stratum    der  Wadonmnskoln 


§.  413.  ViTÖ.'iUunKAn  <)er  Arterien  des  ünterschenkflh.  933 

aufhört  fleischig  zu  sein,  kommt  sie  oberflächiiclier  zu  liegen,  und 
wird  hinter  dem  Afalleol'us  internus  nur  durch  die  Haut  und  die  bei- 
den Blätter  der  Frtscia  surae  bedeckt.  Unterhalb  des  Malleolus  in- 
ternus krttmmt  sie  sich  an  der  inneren  Fläche  des  Calcaneus  in  die 
Planta  hinab,  und  zerfällt  unter  dem  Ursprung  des  Abductor  hallucis 
in  zwei  Endäste  —  Artei^ia  plantaris  extetma  et  interna.  Ihr  statt- 
lichster Zweig  ist  die  Wadenbeinarterie,  Arteria  peronea. 

Diese  entspringt  1^2  Zoll  unter  dem  Ursprünge  der  Arteria 
tibialis  postica,  und  läuft  anfangs  mit  ihr  fast  parallel,  und  nur 
durch  den  Nervus  tibialis  posticus  von  ihr  getrennt,  an  der  hinteren 
Seite  des  Wadenbeins  herab.  Hier  begegnet  sie  dem  Fleische  des 
Flexor  hallucis  longus.  In  diesem  oder  zwischen  ihm  und  jenem  des 
Tibialis  posticus,  wandert  sie  weiter,  giebt  allen  Muskeln  der  tiefen 
Wadenschicht  Zweige,  auch  eine  Arteria  nutriens  zur  Fibula,  und 
theilt  sich,  nachdem  sie  wieder  aus  dem  Fleischbauche  des  Flexor 
hallucis  lonffiis  hervorgekommen,  oberhalb  des  äusseren  Knöchels  in 
die  Arte)'ia  peronea  anterior  et  posterior. 

Die  aiUeinor  durch  Im  >lirt  das  Ligamentum  iiUeromttuin  (dahür  auch  Peronea 
perforans  genannt),  und  hilft  mit  ihren  Aestchen  das  Rele  maUeolare  extemum 
bilden.  Die  posterior'  geht  hinter  dem  Maüeoluft  extet-nus  zur  äusseren  Seite  des 
Calcaneus  herab,  wo  sie  ebenfalls  dem  Rete  niaUeolare  extemum  Zweigchen  mit- 
theilt und  sich  in  den  Wcichthcilen  des  äusseren  Fussrandes  auflöst. 

Die  übrigen  Aeste  der  Tibialis  postica  sind: 

a)  Die  Airteina  nutritia  tibiae,  Sie  ist  die  grösste  aller  er- 
nährenden Arterien.  Man  kann  deshalb  sagen,  dass  das  Schien- 
bein mehr  von  der  Markhöhle  aus,  als  vom  äusseren  Periost 
ernährt  wird,  und  versteht  es  zugleich,  warum  gerade  das  Schien- 
bein, mehr  als  andere  Röhrenknochen,  von  Ostitis  centralis  be- 
fallen wird. 

ß)  Rami  musculai-esj  10 — 15. 

y)  Ein  nicht  ganz  constanter  Ramus  anastomoticus  zur  Aj'- 
teria  peronea. 

1 — V/2  ^^^^  ^^^i*  ^^^  inneren  Knöchel  aus  der  IHbialis  postica  ent8])run- 
gen,  geht  er  niemals  über,  sondern  immer  unter  den  Sehnen  der  tiefen  Wadcn- 
muskeln  quer  zur  Arteria  peronea  herüber.  Richtiger  sollte  man  sagen,  dass  der 
Ramtut  ancutomotiau  von  der  Peronea  zur  Tibialis  postica  herfiber  kommt,  als 
umgekehrt;  denn  die  Uebersicht  einer  Reihe  von  Injcctionspräparaten,  welche 
ich  über  den  Ramus  anastomoticus  sammelte,  zeigt  es  augenscheinlich,  dass  die 
Tibialis  postica  unterhalb  eines  stärkeren  Ramus  anastomoticus  dicker  wird, 
während  sie  doch  dünner  werden  müsste,  wenn  dieser  Ramus  von  ihr  abgege- 
ben würde.  —  Hinter  rlem  Sprunggelenk  folgt  öfters  noch  ein  zweiter  Ramus 
anastomoticus,  welcher  aber  nicht  unter,  sondern  immer  über  den  Sehnen  der 
tiefen  Wadenmnskeln  wegläuft 

2)  Die  Arteriae  maUeclarea  pastenon      '       '^  '^^na, 

welche  mit  den  anterioribuM  f 


934  S-  414.   Arterien  des  PUttfasees. 

e)  Ravii  calcanei  intemiy  welche  die  Haut  der  Ferse,  die 
Tarsalgelenke,  und  die  Ursprttnge  der  kleinen  Muskeln  des  Platt- 
fusses  mit  Blut  versehen,  und  mit  den  Verzweigungen  der  ^r- 
teria  peronea  posterior  das  Rete*  calcanei  netzen  helfen. 


§.  414.  Arterien  des  Flattfusses. 

Wir  treflfen  im  Plattfusse  die  zwei  Endäste  der  ÄHerm  tibidiM 
poatica  an,  welche  als  Arteria  plantaiis  interna  imd  externa  unter- 
schieden werden. 

Die  Arteria  plantaris  interna  ist  bei  weitem  schwächer  als  die 
externa,  und  lagert  zwischen  dem  Abductor  pollicis  und  Flexor  com- 
munis digitoimm  brevis.  Es  gehen  aus  ihr  Kami  superficiales  und 
profundi  ab,  welche  die  Haut  und  die  Musculatur  am  inneren  Rande 
des  Plattfusses  versorgen.  Sie  verlängert  sich  öfters  in  die  AHeria 
dorsalis  interna  der  grossen  Zehe  fort. 

Die  Arteria  plantaris  externa  geht  über  dem  Flexw  brevis  digi- 
torum  nach  aussen  gegen  die  Basis  metatarsi  quinti,  und  schaltet  sich 
zwischen  Flexor  brevis  digiti  minimi  und  Caro  quadrata  ein,  wo  sie 
blos  durch  die  Fasda  plantaris  bedeckt  wird.  Sie  erzeugt  auf  diesem 
Laufe  kleine  Zweige  für  die  Haut  und  Muskeln  des  äusseren  Fuss- 
randes,  und  sendet  zur  äusseren  Seite  der  kleinen  Zehe  die  Arteria 
digitalis  plantaris  extei^a.  Hierauf  krümmt  sie  sich  von  der  Basis 
des  fünften  Mittelfussknochens  weg  bogenförmig  in  der  Tiefe  der 
Fusssohle  nach  innen,  um  mit  der  Arteria  dorsalis  pedisy  welche  im 
ersten  Interstitium  interossevm  in  den  Plattfuss  eintrat,  zu  anastomo- 
siren,  wodurch  der  Arcus  plantaris  zu  Stande  kommt.  Dieser  liegt 
auf  den  Bases  der  Mctatarsusknochen,  und  giebt  vier  Artei^iae  inter- 
osseae  plantares  ab,  welche,  wie  am  Dorsnm  pedis,  von  innen  nach 
aussen  abgezählt  werden.  Sie  senden  perforirendc  Aeste  zwischen 
den  Bases  ossinm  metatarsi  nach  aufwärts  zum  Fussrücken,  wo  sie 
mit  den  Arteriae  interosseae  dorsales  anastomosiren. 

Jede  Arteria  viterossea  plantaris  entspricht  einem  InterstUium  ititero^^euat, 
und  theilt  sich  an  dessen  vorderem  Ende  gabelförmig  in  zwei  Arteriae  düfüalet 
pedis  plantares^  welche  für  die  einander  zugewandten  Seiten  je  zweier  Zehen  be- 
stimmt sind.  Die  Arteria  interoanea  plantaris  prima  wird  sich  in  drei  Zweige  zer- 
spalten müssen,  damit  auch  die  innere  Seite  der  grossen  Zehe  eine  Arteria  du^i- 
talis  plantaris  interna  erhalte.  Dass  es  im  Plattfuss  vier  Interosseae  plantares,  in 
der  Hohlhand  aber  nur  drei  Interosseae  volares  giebt,  erklärt  sich  wohl  aus  der 
Unbeweglichkeit  des  Metatarsus  der  grossen  Zehe,  in  Vergleich  zur  Beweglich- 
keit des  Metacarpus  des  Daumens.  —  Das  übrige  Verhalten  der  Zehenarterien 
weicht  von  dem  Vorbilde  der  Fingerschlagadern  nicht  ab. 

Es  ergiebt  sich  aus  der  vergleichenden  Betrachtung  der  Arterien  des  Un- 
terschenkels mit  jenen  des  Vorderarms,  dass  die  Arteria  tibialis  postica  die  Arteria 
nlnaris  der  oberen  Extremität,   und   die    Peronea   die  Interossca   repräsentirt.  — 


S.  415.  Variet&ten  der  Arterien  des  Unterschenkels.  935 

Es  lÄBst  sich  leicht  einsehen,  warum  am  Plattfuss  nur  ein  cinfaclier^  und  zwar 
nur  ein  tiefliegender  arterieller  Gefässbogen  vorkommt,  während  in  der  Hohl- 
hand noch  ein  hochlicjrender  hinzukommt.  Die  Concavität  des  Plattfusses  näm- 
lich wird  weder  beim  Gehen,  noch  beim  Stehen,  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
durch  Druck  in  Anspruch  genommen/ während  die  Hohlhand,  beim  Umfassen 
runder  Körper  in  ihrer  ganzen  Fläche,  und  somit  auch  der  Arcus  volaris  »ublimi» 
in  seiner  ganzen  Länge  gedrückt  wird  (§.  402),  wobei  also  der  Arcus  volaris 
profundus  die  Blutzufuhr  zur  Mittelhand  und  zu  den  Fingern  zu  liefern  hat.  Der 
Plattfuss  hat  also  an  Einem  Arcus  hinlänglich  genug,  und  wird  dieser  Arcusj 
wenn  er  factisch  ein  tiefliegender  ist,  gar  nie  einer  Comprcssion  ausgesetzt  sein 
können. 


§.  415.  Varietäten  der  Arterien  des  Unterschenkels. 

Der  Ursprung  der  Arteria  tibialis  antica  rückt  höher  an  die 
Poplitea  hinauf,  aber  nie  über  die  Durchbohrungsstclle  der  Sehne 
des  Adductai'  magniis.  Es  rauss  überhaupt  auffallen,  dass,  während 
an  der  oberen  Extremität  ein  hoher  Ursprung  der  Vorderarmarterie 
so  oft  vorkommt,  ein  solcher  Ursprung  für  die  Unterschenkelarte- 
rien etwas  sehr  Seltenes  ist.  Dagegen  wird  ein  Tieferrücken  des 
Ursprungs  der  Unterschenkelarterien,  besonders  der  Peronea,  nicht 
so  ungewöhnlich. 

Die  Stärke  der  Tibialis  antica  steht  mit  jener  der  Tibialis 
postica  im  verkehrten  Verhältnisse,  sie  wird  somit  den  Arcus  j^lcin- 
taris  entweder  allein,  oder  gar  nicht  bilden  können.  Sie  fehlt  auch 
mehr  weniger  vollkommen,  und  wird  durch  den  vorderen  Endast 
der  Arteria  peronea  {Peronea  perforans)  vertreten. 

Dieselben  Spielarten  bietet  auch  die  Arteria  tibialis  postica 
dar.  In  Fällen,  wo  sie  sehr  schwach  ist,  hilft  ihr  der  Ramus  ana- 
stomoticus  von  der  Peronea  aus,  um  die  zu  den  Plattfussverästlun- 
gen  nöthige  Stärke  zu  gewinnen.  Fehlt  sie,  so  wird  sie  durch  die 
Arteria  peronea  ersetzt,  welche  sich  in  der  Gegend  des  Sprung- 
gelenks gegen  den  inneren  Knöchel  wendet,  um  in  die  beiden  Ar- 
tei'iae  plantares  überzugehen.  Ein  im  Sinns  tarsi  eingeschlossener 
starker  Verbindungszweig  zwischen  der  Arteria  tarsea  und  der 
Tibialis  postica  wurde  von  mir  beobachtet. 

Die  Varietäten  der  Arteria  jjeronea  betreflfen  ihre  hohe  oder 
tiefe  Theilung,  und  ihre  wechselnde  Stärke.  Fehlen  der  Arteria 
peronea  ist  viel  seltener,  als  jenes  der  Tibialis  postica.  Im  Breslauer 
Museum  wird  ein  solcher  Fall  aufbewahrt.  Wenn  man  ein  injicirtes 
Arterienpräparat  des  Unterschenkels  aufmerksam  betrachtet,  muss 
es  auffallen,  dass  nicht  die  stärkere  Artei*ia  tibialis  postica,  sondern 
die  schwächere  Arteria  peronea  in  der  verlängerten  Richtung  der 
Artetna  paplitea  liegt  Sie  moan  -'*•"»*  ^Ih  eigentliche  Fortsetzung 
der  letzteren  «Agw  ^  ihr  höchst 


936  §•  416-  Znsammensetznng  der  oberen  HohWene. 

seltenes  Fehlen,  und  ihre  Substitution  für  die  fehlende  Tibmü 
postica  von  selbst  ergiebt.  —  Wir  besitzen  3  Fälle,  in  welchen  die 
Peronea  kein  Ast  der  Tibialis  posticay  sondern  der  antica  ist.  Sie 
entspringt  aus  letzterer,  vor  ihrem  Durchtritt  durch  den  oberen 
Winkel  des  Spatium  interosseum. 

Ueber  VarietÄten  der  Unterschenkelschlagadcrn  handelt  ausführlich  meine 
Schrift:  Ueber  normale  und  abnorme  Verhältnisse  der  Schlagadern  des  Unter- 
schenkels. Wien,  1864,  mit  10  Tafeln. 


C.    Venen. 

§.  416.  Allgemeine  Schilderung  der  Zusammensetzung  der 

oberen  Hohlvene. 

Während  das  Art^rienblut  durch  einen  einzigen  Hauptstamm 
aus  dem  Herzen  ausgetrieben  wird,  kehrt  das  Venenblut  durch 
zwei  Hauptstämme  zum  Herzen  zurück.  Diese  sind  die  obere  und 
untere  Hohlvene.  Das  Venenblut  aller  Organe  des  menschlichen 
Körpers  strömt  der,  einen  oder  anderen  dieser  beiden  Venen  zu. 
Alles,  was  über  dem  Zwerchfell  liegt,  gehört  der  oberen,  was  unter 
dem  Zwerchfell  liegt,  der  unteren  Hohlvene  an.  Nur  das  Venen- 
blut der  Herzwand  gelangt,  mittelst  der  im  Sulcns  circularls  des 
Herzens  liegenden  Kranzvene  {Vena  corcniaina  cordis)  direct  in 
4ie  rechte  oder  venöse  Vorkammer. 

Würden  die  Venen  mit  den  Arterien  überall  gleichen  Schritt 
halten,  so  brauchte  man  nur  den  Stammbaum  des  arteriellen  6e- 
fässsystems  umzukehren,  seine  Aeste  zu  Wurzeln  zu  machen,  und 
die  Beschreibung  der  Venen  wäre  hiermit  abgethan.  Allein  die 
Venen  haben  stellenweise  andere  Verlaufs-  und  Verästlungsnormen, 
als  die  Arterien.  Diese  DiflFerenzen  müssen  hervorgehoben  werden, 
während,  wo  die  Venen  mit  den  Arterien  übereinstimmen,  alles 
Detail,  unter  Berufung  auf  die  bereits  bekannten  Verhältnisse  der 
Arterien,  übergangen  werden  kann. 

Die  obere  Hohlvene,  Vena  cava  superioTj  ist  der  obere 
Hanptstamm  des  venösen  Systems,  welcher  in  der  Brusthöhle,  rechts 
von  der  aufsteigenden  Aorta  liegt,  und,  vor  den  grossen  Geftlssen 
der  rechten  Lunge  herabsteigend,  in  der  rechten  Herzvorkammer 
mündet.  Der  obere,  hinter  dem  ersten  und  zweiten  Rippenknorpel 
liegende  Theil  des  Gefässes,  wird  von  der  Thymus,  oder  deren 
Bindegewebsresten,  bedeckt,  der  untere  ist  im  Herzbeutel  einge- 
schlossen, dessen  inneres  umgeschlagenes  Blatt  ihn  nur  unvollkommen 
(an  seiner  vorderen  und  seitlichen  Peripherie)  überzieht. 


).  416.  ZnsamnK^nsetznng  der  oberen  Hohlvene.  937 

Die  Vena  cava  siiperioi'  wird  hinter  dem  ersten  Rippenknorpcl 
durch  den  Zusammcnfluss  zweier  Venen  gebildet.  Sie  heissen  Vemte 
innoviinatae  s.  anonymae.  Während  die  Cava  supetHOi*  zum  rechten 
Atrium  des  Herzens  herabsteigt,  nimmt  sie  an  ihrer  hinteren  Wand 
auch  die  unpaare  Blutader  des  Brustkastens  (Vena  azygos)  auf. 

Die  Venae  innominatae  führen  das  Blut  vom  Kopf,  Hals,  und 
von  den  oberen  Extremitäten,  —  die  Vena  azygos  aus  den  Wänden 
des  Thorax  zurllck. 

Jede  der  beiden  Venae  mnominafae  wird  durch  den  Zusammcn- 
fluss dreier  Venen  gebildet:  1.  Vena  jugvlaris  communis,  2.  Vena 
jitgularis  externa,  3.  Vena  subclavia.  Diese  Venen  vereinigen  sich 
hinter  der  AHiailatio  sterno-chvicularis.  Die  Vena  anonynia  dextra 
steigt  vor  der  Arteina  anonyma  senkrecht  herab,  ist  kürzer  als  die 
sinistray  welche  fast  horizontal  hinter  dem  Manubinum  sterni,  und 
vor  den  grossen  Aesten  des  Aortenbogens,  nach  rechts  herübergeht. 
Bald  nach  Vereinigung  der  drei  genannten  Venen  nimmt  der  Stamm 
der  Ve7ia  anonyma  dextra  und  sinistra  noch  1.  die  Venae  vei^tehrales 
(die  linke  Anonyma  auch  die  Vena  thyreoidea  ima)j  2.  einige  Venen 
des  Brustkastens  {Venae  mammariae  inteimae  et  int/^rcostales  snperio- 
res),  und  3.  die  aus  dem  vorderen  Mitti^lfell räume  aufsteigenden 
VeJiae  thymica^,  pericardiacae,  phrenicae  superm^es,  und  mediastinicae 
anteriores  auf. 

Die  Vena  jugnlatns  communis  erstreckt  sich  von  der  Bildungs- 
stätte der  Vena  anonyma  bis  in  das  Trigonnm  cervlcale  superius 
hinauf,  bildet,  entsprechend  dem  Zwischenräume  der  beiden  Ur- 
sprungsköpfe des  Kopfnickers,  eine  besonders  auf  der  rechten  Seite 
ansehnliche  Erweiterung  (Bulbus  venae  jugularis  Infeinor),  liegt  an 
der  äusseren  Seite  der  Carotis  communis,  nimmt  sehr  oft  die  Vena 
thyreoidea  superior  mit  der  Vena  lainjngea  auf,  und  wird  in  gleicher 
Höhe  mit  der  Theilungsstelle  der  Carotis  communis  durch  die  Ver- 
einigung der  Vena  jugidaris  cereWalis  s,  interna  und  der  Vena  fa- 
cialis communis  gebildet. 

Viele  Autoren  behandeln  die  Vena  jiyjularin  couunnnin  nocli  als  Jugidaris 
inteniOy  und  nennen  Jugulari»  communis  das  kurze  Endstück  derselben,  jenseits 
der  Aufnahme  der  Jugularis  externa.  —  Alle  bisher  angeführten,  in  das  System 
der  oberen  Hohlvene  einmündenden  Blutadern  sind  klappenlos,  mit  Ausnahme 
der  Vena  jugularis  communis,  welche  unterhalb  des  Bulbus,  eine  einfache  oder 
doppelte  Klappe  besitzt,  deren  Varietäten  Gruber  (Abhandlungen  aus  der  med. 
chir.  Anatomie.  Berlin,  1847,  pag.  31)  beschreibt.  Das  Anschwellen  und  Abfallen 
des  Bulbus  inferior  der  Vena  jugidaris  communis  bei  angestrengter  Respiration 
läflst  sich  bei  mageren  Individuen  sehr  deutlich  beobachten.  —  Ueber  die  Er-. 
Weiterung  (Sinus)  und  die  Klappen  der  Kranzvene  des  Hereens,  so  wie  über 
Duplicität  der  oberen  Hohlvene  bandelt  W.  Öruber^  in  den  Mdou  de  TAcad. 
Imp^r.  des  Sciences  de  St  Pdtersbourg.  VII.  S^e,  Tome  V^  w  q.  ^  Selten 
kommen,  wegen  fehlender  Vereinignng  der  V^tf^' 
venen,  und  deshalb  keine  eigenttlch« 


938  §•  417*    Innere  Drosselvene  und  BlnUeiter  der  liarieii  Hirnhaut. 

sich  in  diesem  Falle  um  die  hintere  Wand  der  linken  Herzvorkammer  zur  an- 
teren  Wand  der  rechten,  in  welche  sie,  zugleich  mit  der  Vena  coroitaria  cordU 
einmündet.  Die  hieher  gehörigen  Beobachtungen  sind  bei  Otto  (Patholog.  Anat 
pag.  347)  und  E.  H.  Weber  {IWdebrandt's  Anat.  3.  Bd.  pag.  261)  gesammelt 
Es  folgt  in  den  nächsten  Paragraphen  die  Beschreibung  der  wichtigeren 
Zweige  der  Venae  anonymae  von  den  entlegeneren  angefangen,  oder  dem  Blut- 
laufe  entsprechend. 


§.  417.  Innere  Irosselvene  und  Blutleiter  der  harten 

Himliaut. 

Die  innere  Drosselvene,  Vena  jugularis  interna  s,  cei-ehra- 
lütj  sammelt  das  Blut  aus  dem  Gehirn,  dessen  häutigen  Hüllen, 
und  zum  Theil  aus  der  Diploö  der  Schädelknochen.  Sie  tritt  aus 
dem  Foramen  jugulare^  in  welchem  sie  eine  der  Fossa  jugularis  ent- 
sprechende Anschwellung  {Bulhv^  venae  jugularis  supeinor)  bildet, 
hervor,  und  nimmt,  während  sie  an  der  Seitenwand  des  Pharynx 
bis  zu  ihrer  Vereinigung  mit  der  Vena  facialis  con\munU  herabsteigt, 
die  aus  dem  Plexus  venosus  pharyngeus  stammenden  Venae  pharyn- 
geae^  und  öfters  eine  unansehnliche  Vena  lingtuüis  auf.  Im  Foramen 
jugulare  hängt  sie  mit  dem  queren  Blutleiter  der  harten  Hirnhaut, 
und  durch  diesen  mit  allen  übrigen  Blutleitem  zusammen. 

Blutleiter  (Sintis  durae  matris)  sind  venöse  Hohlräume  zwi- 
schen den  Blättern  der  harten  Hirnhaut.  Sie  werden  an  ihrer 
inneren  Oberfläche  mit  einer  Fortsetzung  der  inneren  Haut  der 
Drosselvcne  ausgekleidet,  in  welch'  letztere  sie  alle  übergehen.  Die 
ßlutleiter  haben,  wie  die  Venen  der  harten  Hirnhaut,  keine  Klappen. 

Die  Sache  IKsst  sich  auch  so  ausdrücken,  dass  die  Drosselvene,  nachdem 
sie  in  die  Schädelhöhle  eingetreten,  ihre  äussere  nnd  mittlere  Haut  verliert,  nur 
die  innere  behält,  und  der  Abgang  der  ersteren  durch  die  Lamellen  d<T  harten 
Hirnhaut  ersetzt  wird.  Da  nun  diese  Lamellen  starr  sind,  und  selbst  von  den 
Schädelkuochen  gestützt  werden,  können  die  Sinus  weder  eine  namhafte  Erwei- 
terung durch  Blutüberfüllung  erleiden,  noch  beim  Querschnitt  collabiren.  Streuj: 
genommen  besitzen  alle  Venen  der  harten  Hirnhaut,  nicht  blos  die  Sinus  der- 
selben, diesen  anatomischen  Charakter.  Die  Venen  der  harten  Hirnhaut  sind 
demnach  ebenfalls  Sinus.  Man  unterscheidet  jedoch  beide  dadurch  von  einan- 
der, dass  die  eigentlichen  Sinus  der  harten  Hirnhaut  beim  Durchschnitt  nicht 
zusammenfallen,  die  Venen  dagegen  collabiren.  Beachtet  man  diesen  Unterschied 
nicht,  so  ist  die  Verwechslung  von  Sinus  und  Venen  der  harten  Hirnhaut  »ehr 
leicht,  und  viele  Autoren  führen  als  Sinus  an,  was  von  anderen  als  Vene  ge- 
nommen wird,  wie  z.  B.  der  Sinns  /alcifoj'rtiis  minor. 

Die  Blutleiter  sind  theils  paarig,  theils  unpaar. 

1.  Der  grösste  unpaare  Sinus  liegt  vor  der  Protuherantia  occi- 
pitalis  interna^  zwischen  den  Blättern  des  Tentwdum  cerebelli.  Da  er 
mit  den  anderen  Blutleitern  direct  oder  indirect  zusammenhängt, 
wird  er  Confluens  sinuum  8,   2'orcular  Hei*ophili  genannt 


S.  417.   Innere  Drosselrene  und  Blatleiter  der  harten  Himhant.  939 

2.  Der  quere  Blutleiter,  Sinus  transversus.  Er  ist  paarig, 
geht  also  beiderseits  vom  Torcular  hervor,  läuft  am  hinteren  Rande 
des  Tentorium  quer  nach  aussen,  und  krümmt  sich,  in  seinem 
ganzen  Verlaufe  dicht  am  Knochen  anliegend,  über  den  Warzen- 
winkel des  Scheitelbeins,  die  Pars  mastoidea  des  Schläfebeins,  und 
die  Pars  condyloidea  des  Hinterhauptbeins,  in  den  für  ihn  bereit 
gehaltenen  Furchen,  zum  Foramen  jugulare  herab,  wo  er  in  den 
Bulbus  sitperior  venae  jugularis  übergeht.  Zwei  Emissaria  Santorini, 
das  eine  durch  das  Foramen  mastoideumy  das  andere  durch  das 
Foramen  condyloid^um  posteriuSy  flihren  aus  ihm  zu  den  äusseren 
Schädelvenen.  Je  kleiner  das  Foramen  jugtdare,  desto  grösser  sind 
diese  Emissaria. 

3.  Der  obere  Sichelblutleiter,  Sinus  falcifoi'mis  major  s. 
longitudinalis  superior.  Er  liegt  im  oberen  Rande  des  Sichelfortsatzes 
der  harten  Hirnhaut,  erweitert  sich  von  vor-  nach  rückwärts^  hängt 
am  Foramen  coecum  mit  den  Venen  der  Nasenhöhle  zusammen^  und 
geht  nach  hinten  und  imten  in  den  Conflueiis  sinuum  über.  Fibröse 
Bälkchen  ziehen  im  Innern  desselben  von  einer  Seitenwand  zur 
andern.  Emissaria  Santorini  treten  von  ihm  durch  die  Foramina 
parietalia  zu  den  äusseren  Schädel venen. 

Sehr  oft  mündet  der  Siwis  falcifomiia  major  nicht  in  den  Conflueru ,  son- 
dern geht  unmittelbar  in  den  rechten  Sinus  transversus  über.  Hieraus  erklärt  sich 
die  auiTallende  Weite  des  rechten  Foramen  Jugulare. 

4.  Der  untere  Sichelblutleiter,  Sinus  Jalciformis  minor  s. 
inferior,  verläuft  im  unteren  scharfen  Rande  der  Sichel,  und  geht 
in  den  folgenden  über. 

5.  Der  gerade  Blutleiter,  Sinus  rectum  s.  perpendicularis 
liegt  in  der  Uebergangsstelle  der  Hirnsichel  in  das  Zelt  des  klei- 
nen Gehirns,  und  entleert  sich,  schräg  nach  hinten  absteigend,  in 
den  Confluens  sinuum.  —  3.,  4.  und  5.  sind  unpaar. 

6.  Der  paarige  Zellblutleiter,  Sinus  cavei^iosus,  liegt  an 
der  Seite  der  Sella  turdca,  erhält  seinen  Namen  von  den  fibrösen, 
vielfach  durchkreuzten  Fäden,  welche  seine  äussere  und  innere 
Wand  verbinden,  und  schliesst  die  Carotis  interna  nebst  ihrem 
sympathischen  Geflecht,  so  wie  den  Neixuis  ahducens  ein.  Nach  vorn 
und  aussen  längs  des  hinteren  Randes  des  kleinen  Keilbeinflügels 
zieht  sich  eine  Verlängerung  desselben  als  Sinus  alae  parvae  hin. 

Beide  Zellblutleiter  hängen  durch  zwei  Verbindungskanäle  zu- 
sammen, welche  vor  und  hinter  der  Hypophysis  cerebri  die  Sella 
turcica  umgreifen.  Sie  sind  entgegengesetzt  bogenförmig  gekrümmt, 
und  werden  zusammen  als  Simts  drctdarü  RidUi  erwähnt. 

Nach  Rektorzik*8  schöner  Entdeckung  erttrae 
mtema  einschliessende  Yerllngening  des  iSSvW'*' 
Hau  nach  abwärts,  und  verbindet  Mk 


940  $•  ^^^-  Veiieu.  welche  sich  in  die  Sinus  dnrtie  nuitri*  untleeren. 

Zollhaiit  der  Carotis  verlaufcnrlen  Venen,  (Sitzung^sberichte  der  kais.  Akad.  1S5S 
und  nach   Eugllsch's   Untcrsuchnngcn   findet  sich    eine   constaote    Verbindung 
des    Sintis  cavernosna  mit  dem    gleich    zu    erwähnenden    Sinti*   petrasu9    inferior 
ausserhalb  des  Schädels  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  18G3). 

7 .  Der  obere  Felsen biutleiter,  Sinus petrosiis  suptn'im',  ent- 
springt aus  dem  Suhls  ravavnosus^  und  zieht  am  oberen  Rande  der 
Felsenbeinpyramide  zum  P^intritte  des  Slmis  transvei^sus  in  die  Fossa 
sigmoidea  des  Schläfebeins. 

8.  Der  untere  Felsenblutleiter,  Sinus  petrostis  inferior, 
liegt  zwischen  dem  Clivus  und  der  Pyramide,  imd  geht  aus  dem 
Sinus  cavernosus  zum  Jhdbtis  venae  jugulans,  häufiger  aber  zur  Vena 
jugularis  interna  unterhalb  dem  Foramen  jugulare,  —  7.  und  8.  sind 
ebenfalls  paari<j^. 

Kin    der   Sufura   petioao-«(juamo'ta   eutLang   lautender   Sintt^fy    verbindet   die 
durch  das  Fovamen  spinosum    passirendon    Venae  meningeae  mediae  mit  dem  Simu 
tranaveratis.  \^>n  ihm  gelangt,    durch   das   im  §.  08   erwähnte    anomale    F^oramen 
Jtiffulare  apuriurn  (Luschka),  ein  Emiatarium  in  die    Vena  jngulari«  externa. 

9.  Der  Ilinterhauptblutleiter,  Sinus  occipitalis,  besteht 
eigentlich  aus  mehrfachen,  das  grosse  Hinterhauptloch  umgebenden, 
und  vielfach  unter  einander  communicirenden  Venenkanälen  der 
Dura  mafe7\ 

Kr  hat  für  das  Hinterhauptloch  dieselbe  Bedeutung,  wie  die  im  §.  341,  by, 
und  in  der  Notiz  zu  §.  420  erwähnten  Pleams  venosi  spinales  für  deu  Kückgrats- 
kanal,  und  communicirt  vielfältig  mit  den  beiden  Sinus  petrosi  inferiores^  sti  wie 
auch  mit  der  Kinmündungsstelli'  des  Simts  transversus  in  den  Conßnen»,  durch 
zwei  im  Proceftnus  falcifoiini.^  minor  aufsteigende  Verbindungswege. 


§.  418.  Venen,  welche  sich  in  die  iSi7iffs  dnrae  matri^ 

entleeren. 

Die  Blutleiter  sammeln  das  Blut  a)  aus  den  Venen  des  Ge- 
hirns, und  b)  seiner  Häute,  c)  aus  der  Diploe  der  Schädelknochun, 
und  d)  theilweise  aus  dcai  mit  dem  Cnvmn  cranii  in  Verbindung 
stehenden  Sinnesorganen. 

a)  Die  G  e  h  i  r  n  v  e  n  e  n ,  Venuff  curehrales^  tauchen  theils  zwi- 
schen den  Windungen  des  Gehirns  auf,  theils  treten  sie  durch  die 
natürlicihen  Zugänge  der  Gehirnkammern  zur  Oberfläche. 

Sie  lassen  sich  folgendermassen  übersichtlich  zusammenstellen: 

a»  J)iu  Venae  cevehrales  superioreft  aus  beiilen  Hemisphären  entleeren  .«ich 
in  den  Sinns  hntjitwfifut/i'i  «ujterior,  dt'sscn  Seitenwand  sie  in  schief  nach  vom 
gehender  Richtung  durchbohren. 

f»)  Die  Vena  cerehri  magna  s.  (Jalfui,  welche  ihre  Wurzeln  in  der  Tela 
choroiilea  superior  sammelt,  und  durch  den  (^uerschlitz  zuni  Sintis  perpendicul^' 
ris  geht.   Die   ansehnlichste    Wurzel   der    Vena   cerehri  magna  ist   die,  Iftngs    der 


g.  4 18.    Venen,  welche  sich  in  die  Sinu»  durae  matrü  entleeren.  941 

Stria  Cornea  herbeikommende  Vena  teitninalis,  —  Bevor  die  Vena  magna  sicli  in 
den  Sinus  perpendicularis  entleert,  nimmt  sie  die  von  den  Organen  der  Gehim- 
basis  entspringende,  und  sich  um  den  Pedunadus  cerebri  nach  oben  schlagende 
Vena  haaüaris  Rosenthalii  auf.  {Rosenthal^  de  intimis  cerebri  venis,  im  12.  Bande 
der  Acta  acad.  Lcop.  Carol.) 

Y)  Die  Venae  c^rehrales  inferioren ,  von  der  unteren  Fläche  des  grossen 
Gehirnes  abgehend,  entleeren  sich  in  den  nächsten  Sinus,  —  die  vorderen  in  den 
Sinus  cavernosus  y  die  mittleren  in  den  Sinus  petrosus  superiory  die  hinteren  in 
den  Sinu^  transversus.  Aus  dem  Chiasma,  Tuber  cinerettvi,  dem  Gehimanhang, 
dem  Trichter,  und  der  Substantia  perforata  media,  gehen  die  kleinen  Venen  zum 
Sinus  circuJaris  Ridlei,  Die  grösste  Vena  cerebralis  inferior  ist  die  Vena  fossae 
Sylvii.  Sie  geht  zum  Zellblutleiter,  oder  zum  Sinus  alae  pat^ae, 

8)  Die  Venae  cerehelli  superiores  entleeren  sich  in  den  Sinus  perpendicu- 
laris,  und 

e)  die  Venae  cerefjelli  inferiores  (vom  Pons  VaroH,  der  Medülla  oblongata, 
und  der  unteren  Fläche  des  kleinen  Gehirn»  kommend)  in  den  Sinus  petrosus 
inferior,  transversus,  und  orcipitalis. 

b)  Die  Hirnhautvenen,  Venop  mem'ngeae^  werden  sich  in 
die  ihnen  zunächst  liegenden  Bhitleiter  entleeren.  Die  immer  dop- 
pelte Vena  menmgea  media  ergiesst  sich  theils  in  den  Sinus  caver- 
nosus, theils  verlässt  sie  die  Schädelhöhle  durch  das  Foramen  spi- 
nosvm  (auch  ovaI^)y  um  sich  in  den  PIpxvs  maxiUnris  internus  zu 
entleeren. 

c)  Die  Venen  der  Diploe  stellen  weite,  blos  aus  der  inneren 
Venenhaut  gebildete,  die  Diploe  in  verschiedenen  Richtungen  durch- 
ziehende Kanäle  dar.  Sie  entleeren  sich  theils  in  die  Sinus  durae 
matris,  theils  in  die  äusseren  Schädel venen.  Breschet,  dem  die 
Wissenschaft  ihre  genauere  Kenntniss  verdankt,  unterscheidet: 

a)  Eine  Vena  diploetica  frontaJis,  woIcIh^  im  Stirnbein  sich  verzweigt,  und 
ihren  »Stamm  durch  nin  Löchelchon  «n  der  Innsurn  supraorbitalis  zur  glcich- 
tjenannten  Vene  treten  läast. 

ß)  Eine  Vena  diploetica  temporalis  aiiferutr  H  posterior.  Die  anterior  mündet 
durch  eine  Ocffnung  in  der  äusseren  Fläche  des  grossen  Keilbeinflügels  in  die 
Vena  temporafis  profunda,  oder  sie  ontloert  sich  in  den  Sinus  alae  parvae.  Die 
posterior  gehört  dem  Scheitelbein  an.  Sie  mündet  am  Anyvlus  mastoideus  in  den 
Sinus  transversus,  oder  in  eine  äussere  Schädelvene. 

Y)  Eine  Vena  diploetica  occipUalit ,  welche  in  der  Gegend  der  Linea  semi- 
circularis  inferior  in  die  Ilinterhaiiptvene,  oder  nach  innen  in  den  tSintts  occipi- 
taJis  übergeht. 

Ausführliches  gii^bt  (i,  Breschet,  im  13.  Bande  der  Acta  acad.  Leop. 
(^arol.  —  In  der  Wurzel  des  .Tochfortsatzes  kommt  ein  anomales  Foramen  vor, 
welches  an  einem  Kopfe  unserer  Sammlung  fast  3'"  Durchmesser  hat.  Es  führt 
in  die  Diploe  des  Schläfeknochens,  und  communicirt  durch  einen  schräg  auf- 
steigenden Kanal  mit  dem  Sulcus  metiingeus  der  Schuppe.  Dasselbe  lässt  eine 
Vena  diplopfica,  zur  Vena  facialis  posterior,  austreten.  Bei  vielen  Säugethieren 
existirt  es  als  Norm,  und  wird  von  den  Zootomen  als  Meatus  temporalis  be- 
zeichnet. —  Die  Venen  der  Gruppen  a),  b)  und  c)  besitzen  in  ihren  Wandungen 
keine  contractilen  Elemente. 

d)  Von  den  Venen  der  Sinnesorgane   sind  c'' 
tivae  intemne,  welche  durch  den  Meaiu$  oMidif^ 


942  S-  ^^^-  0«meinsch&ftliche  GebichtaTene. 

Aquaeductus  veatlbuliy  aus  dem  Gehörlabyrinth,  und  durch  die  Fw- 
8ura  petrosO'Squamosa  aus  der  Trommelhöhle  hervorkommen,  sehr 
unbedeutend,  und  die  zum  vorderen  Ende  des  8inu>8  hngttudmalis 
superior  tretenden  Venae  nasale,  wo  möglich  noch  unansehnlicher 
(nach  Theile  nur  bei  Kindern  nachweisbar). 

Die  Vena  ophthalmica  dagegen  ist  ein  stattliches  Gefilss,  und 
stimmt  mit  den  Verästlungen  der  Artei^ia  ophthalmica  im  Wesent- 
lichen überein.  Sie  beginnt  am  inneren  Augenwinkel,  wo  sie  mit 
der  vorderen  Gesichtsvene  anastomosirt,  und  mit  den  Venen  des 
oberen  und  unteren  Augenlides  Verkehr  unterhält,  zieht  an  der 
inneren  Augenhr)hlenwand  nach  hinten,  geht  aber  nicht  durch  das 
F(yi*ameii  opticum,  sondern  durch  die  Fissura  orhitalis  superioi"  in  die 
Schädelhöhle,  und  entleert  sich  in  den  Sinu^  cavernosus. 

Die  Venen,  welche  durch  die  Vena  ophthalmica  zusammengefaMt  wer- 
den, sind: 

a)  Die  Vena  frontali»,  Sie  geht  nach  meinen  Beobachtungen  eben  so  oft 
in  die   Vena  facialis  anterior  über,  als  in  die    Vena  ophthcUmica, 

ß)  Die   Vena  sacd  lacrymalia. 

Y)  Die   Venae  musculares  der  Augenmuskeln. 

8)  Die  Venae  ciliares.  Sie  zerfallen,  wie  die  Arterien,  in  vordere  nnd 
hintere,  und  letztere  wieder  in  lange  und  kurze.  Die  hinteren  kurzen 
Venae  ciliares,  deren  4  vorkommen,  entwickeln  sich  aus  vielen  (15 — 20)  strahlen- 
förmig und  etwas  gebogen  convergirenden ,  grösseren  Choroidealvenen  (Wirbel- 
venen, Venae  vorticosae),  welche  an  der  äusseren  Fläche  der  Choroidea  äh 
grösseren  Stämmchen  zusammentreten.  Sie  durchbohren  die  Sclerotica  hinter 
ihroni  grössten  Umfang,  um  sich  entweder  in  Muskel venen  oder  (die  innon*  in 
der  Kegel)  in  den  Stamm  der    Vena  ophthalmica  zu  entleeren. 

i)  Die    Vena  glandulae  lacryvialis. 

0  Die    Vena  centralis  retinae. 

rj)  Die  Vena  ophthalmica  inferior.  Sie  wird  durch  einige  untere  Angen- 
muskelvenen,  Blendungsvcnen,  und  einen  Verbindungszweig  mit  der  Vma  ivjia- 
orhitalis  gebildet,  und  entleert  sifh  entweder  in  die  Augenvene,  oder  auch  sell-st- 
ständig  in  den  Sinvs  cavernosus. 

J.    G.    Walter,  de  venis  oculi.  Berol.,    1778.  4.   — 


§.  419.  Gemeinschaftliche  Gresichtsvene. 

Die  gemein  seh  aftlicho  Gesichtsvene,  Vena  facialis  com- 
munis, bildet  einen  7.2" — 1"  langen  Stamm,  der,  von  seiner  Ent- 
leerungsstelle in  die  Vena  jugularis  interna  angefangenr,  durch  das 
Trigonum  cei'vicale  s^ip.  schräge  nach  oben  gegen  den  Angulus  maxillae 
inferioris  verläuft.  Auf  diesem  Wege  nimmt  sie  die  Vena  thyreoidea 
SHjyerior  auf,  wenn  diese  sich  nicht  in  die  Vena  jugularis  communü 
entleert  (zuweilen  auch  die  Venae  phnryngeae  und  die  Zungenvene). 
Unter  dem  Angulns  maxUlae  wird  sie  durch  den  Zusammenfluss  der 
vorderen  und  hinteren  Gesichtsvene  gebildet. 


g.  4S0.    Oberfl&eUiche  nnd  tiefe  H&lsTenen.  945 

nicht  die  spSter  entstehende  Vena  jugularis  interna  sein,  sondern  ist  vielmehr  die 
Vena  jugularis  externa.  Bei  manchen  Sängern  (Kalb,  Hand)  bleibt  diese  Ein- 
richtang  durch  das  ganze  Leben,  nnd  selbst  beim  Menschen  erhftlt  sich  eine 
Erinnerung  an  diese  primitive  ableitende  Blutbahn,  in  dem  Emissarium,  welches 
durch  das  in  der  Note  zu  §.  94  angeführte  Foramen  jugulare  tpurium  unter  der 
Wurzel  des  Jochfortsatzes,  aus  dem  Sinua  petro-squamotus  hervortritt 

b)  Die  vordere  Drosselvene,  Vena  jugularis  anterior.  Sie 
ist  ein  durch  den  Zusammenfluss  mehrerer  oberflächlicher  Venen 
der  Unterkinngegend  gebildeter  Stamm,  der  mit  der  Vena  jugularis 
interna  und  facialis  anterior  Verbindungen  eingeht,  und,  vom  Zun- 
genbein angefangen,  am  vorderen  Rande  des  Kopfnickers  zur  Fossa 
jugularis  herabsteigt,  wo  er  gewöhnlich  mit  dem  der  anderen  S/eite 
durch  ein  Bogengefäss  {Arcus  venosus  juguli)  anastomosirt ,  hierauf 
in  horizontaler  Richtung  unter  dem  Ursprung  des  Kopfhickers  nach 
aussen  ablenkt,  und  sich  entweder  mit  der  Vena  jugularis  communis 
verbindet,  oder  auch  in  das  Ende  der  Vena  jugularis  externa 
einmündet. 

Sie  variirt  so  häufig,  dass  ihre  Beschreibung  eigentlich  in  einer  Aufzäh* 
lung  von  vielen  Spielarten  besteht,  deren  untergeordnete  Wichtigkeit  sie  hier 
übergehen  lässt. 

c)  Die  mittlere  Drosselvene,  Vena  mediana  colliy  entspringt 
wie  die  Jugularis  anterior  y  und  steigt  in  der  Medianlinie  zur  Fossa 
jugulajns  herab,  wo  sie  entweder  in  den  die  beiden  Venae  jugulares 
exterjiae  anteriores  verbindenden  Arcus  venosus  juguli ^  oder,  und 
zwar  häufiger  in  eine  Jugulai^is  anterior ^  selbst  in  die  communis y  ein- 
mündet. Sie  fehlt  oft,  und  erscheint,  wenn  sie  vorkommt,  um  so 
stärker,  je  schwächer  die  Veria  jugularis  anterior  gefunden  wird. 
Fehlt  letztere,  so  leistet  die  ungewöhnlich  starke  Mediana  colli  für 
diesen  Abgang  genügenden  Ersatz. 

Siehe  über  die  oberflächlichen  Halsvenen :  Luschka ,  das  Foramen  jugu' 
lare  tpuriumy  etc.,  in  der  Zeitschrift  für  rat  Med.  1869,  so  wie  dessen  Abhand- 
lung: Die  Venen  des  menschl.  Halses,  in  den  Denkschriften  der  kais.  Akad. 
20.  Band. 

Die  tiefen  Halsvenen  begreifen  alle  unter  dem  hochliegen- 
den Blatte  der-  Fascia  colli  gelegenen  Blutadern.  Da  die  Vena 
pharyngea,  linguaUs  und  thyreoidea  super ior  bereits  erwähnt  wurden, 
so  erübrigen  nur  noch  die  Vena  vet^ebralis  und  Vena  thyreoidea 
inferior, 

1.  Die  Wirbelvene,  Vena  vertebralisy  liegt  mit  der  Arteria 
vertebralis  im  Kanal  der  Querfortsätze  der  Halswirbel,  imd  sammelt 
das  Blut  aus  dem  Wirbelkanal,  und  den  tiefen  Nackenvenen.  Sie 
ergiesst  sich  in  die   Vena  anonyma,  oder  subclama. 

Die   Wirbelvene  verhält  sich  sn  den  Venen  der  WirbeUInle  auf  «vir«- 
Art,  wie  die  Venae  intercostaUt^  htmbalee^  und  eaeralm  iatercfefc    i 
nämlich  in  der  ganzen  Länge  der  Wirbelsäule  reiche  Vev 
nafes  —  welche  als  äussere  auf  den  Wirbelbofeii  a 
HyrtU  Lehri>iic]i  der  Aaalomis. 


946  i-  ^^'-  Venen  der  oberen  Eztremitüt. 

im  Wirbelkanal,  zwischen  den  Knochen  und  der  harten  Hirnhaat,  ein^eschtltet 
«ind.  Die  inneren  zerfallen  wieder  in  vordere  und  hintere,  welche  durch  Ver- 
bindungsgeflechte zusammenhängen,  so  dass  um  den  Sack  der  harten  Hirnhaat 
herum  ebensoviele  ringförmige  Venenanastomosen  {CirceUt  venost),  als  Wirbel 
vorkommen.  Der  in  §.  417  erwähnte  Sintts  ocdpitalit  ist,  dieser  Darstellung  zu- 
folge, die  erste,  oberste  ringft)rmige  Anastomose  der  vorderen  und  hinteren  Plexu* 
spinales  intemi.  Die  Plexus  spinales  intemi  nehmen  die  starken,  aber  dünnhia- 
tigen  Venen  der  Wirbelkörper,  des  Rückenmarkes,  und  seiner  Häute  auf,  hangen 
durch  die  Foramina  intet-vertehralia  mit  den  äusseren  Wirbelvenen  zusammen, 
und  entleeren  sich,  am  Halse  in  die  Vena  vert^ralis,  an  der  Brust  in  die  hin- 
teren Aeste  der  Intercostalvenen,  au  den  Lenden  in  die  Venae  lumbale»,  in  der 
kleinen  Beckenhöhle  in  die   Venae  sacrales  laterales. 

G.  Breschety  essai  sur  les  veines  du  rachis.  Paris,  1819.  4. 

2.  Die  untere  Schilddrüsenvene,  Vena  thyreoidea  inferior, 
Sie  entspringt  aus  dem  Isthmus  und  den  Seitenlappen  der  Schild- 
drüse, nimmt  auch  aus  dem  Pharynx  und  Larynx  Zweige  auf,  und 
anastomosirt,  während  sie  vor  der  Luftröhre  zur  oberen  Brustaper- 
tur herabsteigt,  durch  mehrere  Zweige  mit  demselben,  nahe  an  sie 
herantretenden  Gefässe  der  anderen  Seite,  so  dass  eine  Art  Ge- 
flecht zu  Stande  kommt  (Plexus  thyreoideus  imtts)y  welches  sich 
schliesslich  durch  einen  einfachen  Stamm  ( Vena  thyreoidea  impar)  in 
die   Vena  anonyma  sinistra  entleert. 

Der  Verlauf  der  Vena  thyreoidea  inferior  entspricht,  dem  eben  Gesagten 
zufolge,  nicht  dem  Verlaufe  der  Arteria  thyreoidea  ivferior,  wohl  aber  der  Artena 
thyreoidea  ima  Neiihaueri,  §.  394,  h. 


§.  421.  Venen  der  oberen  Extremität. 

In  der  Schlüsselbeinvcne,  Veiia  subclavia,  ist  der  Haupt- 
stamm für  die  Venen  des  Arms  und  der  Schulter  gegeben.  Sie 
liegt  vor  dem  Scalcnus  anticusy  und  hinter  dem  Ursprung  des  Kopf- 
nickers. Sie  kreuzt  die  erste  Rippe.  Als  unmittelbare  Fortsetzung 
der  Vena  axillaris  hat  sie  keinen  festgestellten  Anfang,  weshalb  der 
obere  Theil  der  Achselvene  häufig  noch  als  Vena  subclavia  benannt 
wird.  Sie  nimmt  folgende  klappenreiche  Zweige  auf: 

A.  Die  tiefliegenden  Venen  des  Arms,  Venae  profundae 
brachü.  Sie  halten  sich  genau  an  den  Verlauf  der  Artet'ia  brachialis 
und  ihrer  Zweige,  sind  jedoch  für  letztere  nicht  einfach,  sondern 
doppelt. 

Sie  beginnen  in  der  Hand  als  Venae  diijUales  volares^  welche  in  einen 
hoch-  und  tiefliegenden  Arcus  venosiut  übergehen.  Aus  diesem  entwickeln  sich 
die  doppelten  Venae  radiales  und  ulnares.  Die  Venae  ulnares  nehmen  die  dop- 
pelten Venae  interosseae  auf.  In  der  Ellbogenbeuge  fliessen  die  Venae  radial&i 
und  ulnares  zu  den  beiden  Venis  brachialibus  (einer  externa  und  interna)  zusam- 
men. Die  Vena  brachialis  intemia  ist  stärker,  als  die  externa^  und  nimmt  ober- 
halb   der  Mitte  des  Oberarms  die    Vena  hasilim  auf.    Die   Aeste,    welche   sich  in 


§.  421.  Venen  der  oberen  Extremit&t.  ^4? 

beide    Venae  hrtichiah«  entleeren,    folgen  in  derselben  Ordnung,   wie  die  Zweige, 
welche  die  Arteria  brachial^  abgab. 

Schon  unter  der  Achselhöhle  vereinigen  sich  die  beiden  Venae 
brachialesj  welche  in  ihrem  ganzen  Laufe  durch  Queräste  in  Ver- 
bindung standen,  zur  einfachen  Vena  axUlariSy  welche  am  inneren 
und  vorderen  Umfange  der  Arterixi  axillaris  aufsteigt,  und  unter 
dem  Schlüsselbein  (nachdem  sie  die  Vena  cephalica  aufgenommen) 
in  die   Vena  subclavia  übergeht. 

Selten  wird  auch  die  Vena  axillaris  und  subclavia  doppelt  gefunden.  Ich 
sah  in  einem  solchen  Falle,  von  den  beiden  Venis  subclaviis  eine  vor,  die  andere 
hinter  dem  Scalenus  antictts  zur  oberen  Brustapertur  gelangen. 

B.  Die  hochliegenden  oder  Hautvenen  des  Arms,  Venae 
subcutaneae  brachüy  sind  chirurgisch  wichtiger  als  die  tiefen,  imter- 
liegen  aber  weit  mehr  Spielarten  in  ihrem  Verlaufe,  als  letztere. 
Sie  liegen  zwischen  Haut  und  Fascia,  im'  Panniculus  adiposus,  der 
sie  bei  fettleibigen  Personen  (wo  sie  übrigens  noch  klein  zu  sein 
pflegen)  einhüllt,  und  nur,  wo  er  schwach  ist,  wie  am  Handrücken, 
durch  die  Haut  durchscheinen  lässt.  Sie  anastomosiren  schon  in 
ihren  gröberen  Ramificationen  häufig  mit  einander,  und  höchst  con- 
stant  auch  mit  den  tiefliegenden  Armvenen.  Sie  beginnen  aus  einem 
Venennetze  des  Handrückens,  Rete  venosum  manus  dorsale,  in  wel- 
ches sich  die  geflechtartigen  Venae  digitorum  dorsales  entleeren. 
Man  unterscheidet  folgende  Hautvenen  des  Arms. 

a)  Vena  cephalica.  Sie  sammelt  ihre  Wurzeln  vorzugsweise 
aus  der  Gegend  des  Daumenrückens,  krümmt  sich  um  den  Radial- 
rand des  Vorderarms  zu  dessen  innerer  Seite,  steigt  über  den  Ell- 
bogen in  den  Sulcus  bicipitalis  extemus  hinauf,  um  zwischen  Pecto- 
ralis  major  und  DeltoideSj  in  die  Fossa  infraclaviculams  zu  gelangen, 
wo  sie  sich  in  die  Tiefe  senkt,  um  in  die  Vena  axillaris  einzu- 
münden. 

Nicht  ganz  selten  trifft  es  sich,  dass  sie  Über  das  Schlüsselbein  zur  Fotta 
auprciclavicularu  aufsteigt,  wo  sie  sich  in  die  Vena  jugularia  communis  oder  sub' 
clavia  entleert. 

b)  Vena  basilica»  Sie  folgt  der  Ulnarseite  des  Vorderarms. 
Gewöhnlich  finden  wir  sie  doppelt,  —  eine  an  der  Aussenseite,  dip 
andere  an  der  Innenseite  des  Vorderarms,  ürstere  ftihrt  in  specie 
den  noch  nicht  erklärten  Namen  Vena  salvatella.  Mehr  weniger 
tief  unter  dem  Ellbogenbug  verbinden  sich  beide  zu  einem  einfachen 
Stamm,  welcher  im  Sulcus  bicipitalis  internus  aufsteigt,  imd  beiläufig 
in  der  Mitte  des  Oberarms  die  Fascia  brachii  durchbohrt^  um  sich 
in  die  tiefliegende   Vena  brachialis  interna  zu  ergiessen. 

c)  Vena  mediana,    Sie  erscheint  unter  dopüelti»*  ' 
Verbindungsast  der  Cephalica  und  BaaiUoa  im 
schräge   über    den  Lacertus  ßbromts  de** 


948  S-  ^^X-   Venen  des  firastkaHienh- 

oder  2.  als  lange  mediane  Hautvene  der  inneren  Vorderannseite, 
welche  sich  etwas  unter  der  Plica  cuMti  in  zwei  Zweige  theilt,  deren 
einer  als  Vena  mediana  cephalica,  in  die  Vena  cephalicaj  der  andere 
als  Vena  mediana  hoMlica  in  die  Vena  basiltca  mündet.  Die  erste 
Form  tritt  in  jenen  Fällen  auf,  wo  die  Vena  cephaltca  nahe  an  der 
Medianlinie  der  inneren  Vorderarmseite  verläuft 

•Die  Ve7ia  mediana  boHlica  übertrifft  an.  Kaliber  die  Vena  mediana  a^phth 
lica,  und  wird  deshalb  vorzugsweise  für  die  Aderlässe  gewählt,  obwohl  ihre 
Kreuzung  mit  den  beiden  Zweigen  des  Nervus  cutaneut  hrachii  mediti»^  ihre  Er- 
öffnung mit  der  Lanzette  oder  dem  Schnäpper  gefährlicher  macht,  ala  jene  der 
Vena  mediana  cephalica.  Da  jedoch  diese  Nerven  häufiger  unter  als  über  der 
Vena  mediana  ha^iUca  weglaufen,  so  lässt  sich  ihre  Verletzung  bei  einer  kunst- 
gerecht gemachten  Vonaesection,  wo  nur  die  obere  Wand  der  Vene  eröffnet 
wird,  wohl  vermeiden. 

Die  Vena  mediana,  mag  sie  in  der  ersten  oder  zweiten  Form 
auftreten,  steht  regelmässig  in  der  Plica  cubiti  mit  einer  tiefen  Vena 
radialis  oder  braxJiialis  durch  einen  starken  Ramus  anagtomoticus  in 
Communication.  Er  ist  es,  durch  welchen,  wenn  die  tiefliegenden 
Venen  bei  Muskelbewegung  gedrückt  werden,  ihr  Blut  in  die  hoch- 
liegenden Venen  des  Armes  abgeleitet  wird.  Deshalb  lässt  sich  der 
schwach  gewordene  Strom  des  Blutes  bei  einem  Aderlasse,  durch 
Fingerbewegung  wieder  anfachen. 


ij.  422.  Venen  des  Brustkastens. 

Nebst  den  sich  in  die  Venae  nnonymue  entleerenden  Venae 
mammariae  inteimae,  thymicae,  pericardiacae,  und  intercostale^  supremde, 
existirt  für  die  Venen  der  Thoraxwände  ein  eigenes  Sammelsystem, 
die  unpaare  Blutader,  V(^m  azygos,  Sie  wird  in  der  Bauchhöhle 
auf  der  rechten  Seite  der  Wirbelsäule,  aus  Wurzeln  construirt, 
welche  aus  den  Vetiis  lumhalihus  stammen.  Zwischen  dem  inneren 
und  mittleren  Zwerchfellschenkel  gelangt  sie  in  die  Brusthöhle,  liegt 
im  hinteren  Mediastinum  an  der  rechten  Seite  des  Divctiis  thoracicttSy 
steigt  bis  zum  dritten  Brustwirbel  empor,  und  krümmt  sich  von 
hier  an  über  den  rechten  Bronchus  nach  voni,  um  in  die  hintere 
Wand  der  Vena  rjiva  descendens  einzumünden.  Sie  nimmt  das  Blut 
auf,  welches  der  Luftröhre,  Speiseröhre,  und  den  Brustwänden 
durch  die  Aesto  der  Aorta  thoracica  descendens  zugeführt  wurde.  Auf 
der  linken  Seite  entspricht  ihr  die  halbunpaare  Vene,  Venit 
heniiazygosy  welche  wie  die  azygos  entsteht  und  verläuft,  aber  nur 
bis  zum  siebenten  oder  achten  Brustwirbel  aufsteigt,  dann  aber 
hinter  der  Aorta  nach  rechts  geht,  um  sich  mit  der  Azygos  zu  ver- 
binden. Da,  dieses  frühen  Ablenkens  wegen,  die  oberen  Venae 
intercostales   sinistrae   sich    nicht  mehr  in  sie  entleeren   können,    so 


§.  423.  untere  Hohlvene.  949 

vereinigen  sie  sich  gewöhnlich  zu  einem  gemeinschaftlichen  Stamm 
(^Vena  hemiazygos  supefinor),  welcher  vor  den  Köpfen  der  linken 
oberen  Rippen  herabsteigt,  um  sich  in  die  eigentliche  Herumzygos, 
vor  ihrem  Uebertritte  nach  rechts,  einzumünden,  gewöhnlich  aber 
auch  nach  oben  mit  der  Vena  anonynm  sinUira  zusammenhängt. 
Durch  die  Rückenäste  der  Venae  intercoatales  und  lumbales  verkehrt 
das  System  der  Azygos  und  HemiazygoH  frei  mit  den  venösen  Ge- 
flechten des  Rückgrats,  §1  420.  1. 

Zuweilen  lenkt  die  Hemitua^gott  nicht  nach  rechts  ab,  sondern  bleibt  auf 
ihrer  Seite,  and  steigt  bis  zur  linken  Vena  anoityma  auf,  in  welche  sie  sich  er- 
giesst.  Sie  verdient  in  diesem  Falle  ihren  Namen  (halbunpaare  Vene)  nicht, 
und  könnte  füglich  Azygo*  »inistra  benannt  werden.  —  Abnormitäten  im  Ur- 
sprünge und  Verlaufe  der  Vena  azygoa  und  heniiazygos  sind  etwas  sehr  Gewöhn- 
liches. Man  hat  sie  aus  der  Vena  iliaca  communis  oder  ihren  Aesten  entspringen, 
und  alle  Lendenvenen  sammeln  gesehen,  so  dass  ihr  also  das  ganze  Gebiet  der 
Eumpfvenen  des  Bauches  zuf%llt.  Da  Wirbelsäule  und  Rumpfwände  im  Embryo 
früher  gebildet  werden,  als  die  Brust-  und  Bauchorgane,  muss  auch  das  System 
der  Azygos  und  Hemiaxygoa  der  Entstehung  der  oberen  und  unteren  Hohlvene 
vorangehen.  Sehr  selten  steigt  der  Stamm  der  Azygos  bis  zur  ersten  Rippe  empor, 
und  krömmt  sich  über  die  Spitze  des  rechten  Lungenflügels  (welche  tiefgespal- 
ten erscheint)  zum  Stamme  der  Cava  superior,  Sömmerring  sah  die  Vena  asty- 
gos  sich  in  die  Cava  inferior  innerhalb  des  Herzbeutels  entleeren.  —  Die  Ver- 
bindung der  Azygos  mit  den  Aesten  der  Cava  inferior  macht  es  möglich,  dass 
bei  Compression  oder  Obliteration  des  Stammes  der  unteren  Hohlvene,  das  Blut 
desselben,  mittelst  der  Azygos  in  die  obere  Hohlvene  geschafft  werden  kann.  Ja  es 
kann  das  System  der  Azygos  selbst  für  den  angeborenen  Mangel  der  Cava  infe- 
rior als  Ersatz  einstehen.  Varietäten  findet  man  bei  E,  H,  Weber,  Meckel,  TheiUy 
und  C  G.  Stark,  comment.  anat.  physiol.  de  venae  azygos  natura,  vi  et  munere. 
Lips.,  1836.  4.  —  Ueber  die  Klappen  und  Varietäten  der  Azygos  handelt  Oruber, 
im  Arch.  für  Anat.   1866. 


§.  423.  Untere  Hohlvene. 

Die  untere  Hohlvene,  Vena  cava  infet^ior,  wird  hinter  und 
etwas  unter  der  Theilungsstelle  der  Aorta  abdominalisj  auf  der  rech- 
ten Seite  des  fünften  Lendenwirbels  durch  den  Zusammenfluss  der 
rechten  und  linken  Hüftvene  (Vena  iliaca  communis)  gebil- 
det. Von  hier  steigt  sie  auf  der  rechten  Seite  der  Lenden  Wirbel- 
säule zum  hinteren  stumpfen  Leberrande  empor,  lagert  sich  in 
dessen  Svlcus  pro  vena  cava,  und  dringt  durch  das  Foramen  pro 
Vena  cava  des  Zwerchfells  in  den  Herzbeutel,  wo  sie  in  der  hinteren 
Wand  der  rechten  Herzvorkammer  endet.  Sie  ist  wie  die  beiden 
Venae  iliacae  communes  klappenlos. 

Jede  Vena  iliaca  communis  entsteht  durch  den  Zusammenfluss 

einer  Vena  cruraUs  und  hypogastrica. 

Da  die  Theilangsstelle  der  Jlarto  ahdoim(mM9^  der  * 
cava   inferior  nicht   ^nau   ent8prioht|  solidem  IMH 


950  §•  423-  ü]it«r«  HoUrene. 

mgleich  etwas  «af  die  rechte  Seite  der  Wirbelsäule  rückt,  so  wird  sich  die 
Gabel  der  Arteriae  iliaeae  commune*  zn  jener  der  Venae  iliaeae  communet  Ter- 
halten,  wie  ein  umgekehrtes  und  zugleich  stark  verschobenes  W.  Die  linke  Vena 
iliaca  communis  wird  begreiflicher  Weise  langer  als  die  rechte  sein  müssen,  di 
sie  über  die  Mittellinie  des  fünften  Lendenwirbels  weg,  nach  rechts  zu  zieheo 
hat.  Sie  wird  deshalb  die  doppelte  Vena  »tieraU»  media^  welche  in  der  Median- 
linie der  vorderen  Kreuxbeinfläche  heraufsteigt,  aufnehmen. 

Im  Laufe  durch  die  Bauchhöhle  sammelt  die  Ccsca  inferior 
folgende  Aeste  auf: 

a)  Die  Lendenvenen,  Venae  lumhalesy  folgen  dem  Vorbilde 
der  Lendenarterien.  Sie  hängen  unter  einander  durch  auf-  und 
absteigende  Anastomosen  zusammen.  Dieses  giebt  den  sogenannten 
Plexus  venasus  lumbalis.  Die  oberen  (oder  alle)  setzen  sehr  oft 
durch  kurze  Ableger  einen  hinter  dem  Psoas  major  geradlinig  auf- 
steigenden Stamm  zusammen ,  welcher  als  Vena  lumbaUs  ascendau 
von  den  übrigen  Lendenvenen  unterschieden  wird,  und  nach  oben 
unmittelbar  in  die  Azygos  oder  Hemiazygos  fortläuft. 

b)  Die  inneren  Samen venen,  Venae  spermaticae  intemae, 
entwickeln  sich  aus  dem  ansehnlichen  Venengeflecht  des  Samen- 
stranges {Plexus  pampimformis),  welches  sich  vom  Hoden  bis  in  den 
Leistenkanal  erstreckt,  dort  sich  allmälig  zu  vier,  dann  zu  zwei, 
und  zuletzt  zu  einem  einfachen  Blutgefäss  reducirt,  welches  nun 
rechterseits  in  den  Stamm  der  Cata  mferiar^  linkerseits  aber  sehr 
oft  in  die  Vena  renalis  sinistra  eintritt  Sind  zwei  Venae  sper- 
maticae intemae  vorhanden,  so  endeert  sich  die  eine  gewöhnlich  in 
die    Vena  renalis,   die  andere  in  die  Cava  inferior. 

Der  P^ertts  panpiii/orvMif  de*  Eierstockes  erscheint  nicht  so  entwickelt 
wie  jener  des  Hodens,  und  deshalb  steht  auch  die  Vena  spermoHca  des  Weibes 
hinter  jener  des  Mannes  an  SiÄrke  zurück  und  ist  ^wohnlich  klappenlos.  — 
Nach  H.  Brinton  findet  sich  nur  an  der  £inmündun£rsstelle  der  rechten  Vna 
«p^raoritru  in  die  Coro  imjVrL"  eine  Klappe.  Stauung:  des  Blutea  in  der  Can 
tH/fricr  wird  Sv-»mit  nur  auf  den  Bl-tla-:::  in  der  linken  Vena  *permatiea  hem- 
iiiend  einwirken.  Hieraus  erklärt  «ich  einfach  und  un^rwungen  die  Hiu%keit 
der  Varicocele  .krankhafte  Aasdehnunsr  dtr  Venen  de*  Samenstrangesj  auf  der 
linken  S*ite    Amer.  •lo'.iroal  ot  the  Med-  Srience«,  lSo«x  Juli  . 

c  Die  Nierenvenen.  Venae  r^na^^s  s.  emulgenteSj  entstehen 
im  HUhs  r^^nais.  aus  dem  Zusammendoss  von  mehreren  Paren- 
ohvmvenen  der  Niere.  Die  rechte  siergt  etwas  schräge  auf,  um 
an  den  Stamm  der  Cnva  zu  kommen:  die  linke  geht  in  der  Regel 
qner  über  die  A«>rta  unter  der  Anerit.i  me^enterica  superior)  herüber, 
und  münde:  h'>her  als  die  rechte  in  die  Cava  ein. 

rhinrh  VerTi*IfaI:ir:i=r  k'z.nen  £:e  Xierenre^en  bis  auf  5  anwachsen.  Ist 
die  Hake  yierenrere  i, ''?>*::.  s:-  reh:  haifr  —e  eia*  v^r.  die  andere  hinter  der 
AvTSa  TorVi  niv-i  r<fc>.:s.  S-el*-**:  £:-*  einfacie  NVer^arene  der  Hnken  Seite  wird 
aieci^ch  of\  hinter  ier  A:r:a  Y^rl*i:Vr:i  irf*^--^—  tK<  hänn^cn  Hvperiffiieen  der 


§.  423.  Untere  Hohlvene.  951 

d)  Die  Nebennierenvenen,   Venae  stiprarennles. 

Sie  sind  im  Verhältniss  zar  Grösse  der  Nebenniere  sehr  entwickelt.  Die 
linke  geht  in  der  Regel  zur  linken  Nierenvene. 

e)  Die  Lebervenen,  Venae  hepaticae,  entleeren  sich  in  die 
Cava  inferior,  während  diese  in  der  Fossa  pro  vena  cava  zum  Zwerch- 
fell aufsteigt. 

Oeffnet  man  die  Cava  an  dieser  Stelle,  so  kann  man  2—3  grössere,  und 
mehrere  kleinere  Insertionslumina  der  Lebervenen  zählen.  Sehr  selten  münden 
die  zu  einem  gemeinschaftlichen  Stamm  vereinigten  Lebervenen  in  das  Atrium 
cordU  dextrum. 

f)  Die  Zwerchfellvenen,   Veiia^  diaphragmaticae  s,  phrenicae. 

Aus  dieser  Folge  aufgenommener  Aeste  ergiebt  sich,  dass  die  untere  Hohl- 
vene alles  Blut,  welches  durch  die  paarigen  und  unpaarigen  Aeste  der  Bauch- 
aorta den  Wänden  und  den  Eingeweiden  der  Bauchhöhle  zugeschickt  wurde, 
zum  Herzen  zurückführt.  Nur  findet  der  Umstand  statt,  dass  die  den  unpaaren 
Aesten :  Arteria  coeliacOf  mesenterica  sitperior  et  inferior  entsprechenden  Venen, 
nicht  direct  zur  Hohlvene  treten,  sondern  sich  zum  Pfortaderstamme  (§.  426) 
vereinigen,  welcher  sich  in  der  Leber  nach  Art  einer  Arterie  raraificirt,  und  ein 
Capillargefässsystem  bildet,  aus  welchem  sich  die  ersten  Anfänge  der  Leber- 
venen hervorbilden.  Die  Lebervenen  führen  somit  nicht  blos  Leberblnt,  son- 
dern auch  Magen-,  Milz-  und  Darmblut  zur  Cava  inferior. 

Im  Embryo  nimmt  die  untere  Hohlvene  noch  die  Nabelvene 
auf,  welche  aus  dem  Mutterkuchen  arterielle«  Blut  zum  Embryo 
fuhrt,  im  unteren  Rande  des  Aufhängebandes  der  Leber  zur  Fossa 
longttvdinalis  sinistra  gelangt,  und  sich  in  zwei  Zweige  theilt,  deren 
einer  sich  mit  dem  linken  Aste  der  Pfortader  verbindet,  während 
der  andere  als  Ductus  venosus  AranfU  zur  Lebervene  oder  unmittel- 
bar zur  Cava  ascendens  tritt. 

Nach  Burow  (MüUer*s  Archiv,  183b;  niniuit  die  Nabelveiie,  spät  nach 
ihrem  Eintritte  in  die  Bauchhöhle,  einen  feinen  einfachen  Ramns  ana^tomotictLS 
von  beiden  Venae  epigastricae  inferiores  auf,  zu  welchem  sich  ein  anderer  aus  den 
Gebärmutter-  und  Scheidengeflechten  entspnmgener,  längs  der  Harnblase  und 
dem  Urachus  heraufkommender  Ast  gesellen  soll.  —  Die  Anomalien  der  unteren 
Hohlvene  betreffen  mehr  ihre  Aeste  als  ihren  Stamm.  Die  von  Stark,  Otto, 
Gurlt,  und  mir  beschriebenen  Fälle  constatircn  das  mögliche  Fehlen  der  Cava 
inferior^  wo  nur  der  Stamm  der  Lebervene  durch  das  Zwerchfell  zum  Herzen 
ging,  alle  übrigen  sonst  zur  Cava  inferior  tretenden  Venen  aber  von  dem  ungemein 
entwickelten  System  der  Azjgos  aufgenommen  wurden.  —  Versetzung  der  Cava 
inferior  auf  die  linke  Seite  der  Wirbelsäule  (ohne  gleichzeitige  Versetzung  der  Ein- 
geweide) beobachtete  Harrison  (Surg.  Anat.  of  the  Arteries.  Vol.  2.  pag.  22). — 
Die  Venae  iliacae  communes  können  sich  auch  erst  höher  oben,  als  am  fünften 
Lendenwirbel,  zur  Cava  inferior  vereinigen  (Pohl).  Ich  habe  sie  beide  pa- 
rallel aufsteigen,  und  jede  derselben  eine  Nierenvene  aufnehmen  gesehen.  Ein- 
mündung der  Cava  inferior  in  den  linken  Vorhof  (King,  Lemaire)  bedingt 
Cyanose.  —  Ueber  den  Bau  des  im  Herzbeutel  eingeschlossenen  oberen  End- 
stücks der  Cava  inferior  handelt  Luschka  im  Arch.  für  Anat.  und  Phys.  1860, 


952  §•  ^24.    Yen«n  des  Beckens. 


§.  424.  Yenen  des  Beckens. 

Als  gemeinschaftliches  Sammelgefkss  der  Venen  des  Beckens 
und  der  unteren  Extremität  tritt  die  Hüftvene,  Vena  iliaca  cm- 
muniSj  auf.  Sie  wird  vor  der  Symphysis  sacro-ilidca  durch  die  Yeui 
hypogastrica  s»  iliaca  intenia,  und  durch  die  Vetia  crtiraUs  s,  iliaca 
extefima  zusammengesetzt. 

Die  Vena  hypogastrica  kommt  aus  der  kleinen  BeckenhöUe 
herauf,  wo  sie  durch  den  Zusammenfluss  der  doppelten,  den  Aesten 
der  Artef'ia  hypogastrica  analogen,  grösstentheils  klappenlosen  Venen 
gebildet  wird.  Die  doppelten  Vena£  glutaeae  superiores  et  inferiontj 
ileolumbales  und  obturatoinae,  begleiten  die  gleichnamigen  Arterien. 
Die  Venae  sacrales  laterales  bilden  mit  den  mittleren  Kreuzbeinvenen 
den  Plexus  sacralis  anterior,  welcher  sich  vorzugsweise  in  die  Vena 
iliaca  communis  sinistra,  theilweise  aber  auch  in  die  Vena  hypoga- 
strica entleert,  oder  auch  in  die    Vena   lumbalis   ascendens   übergeht 

Die  äusserst  zahlreichen  Venen  des  Mastdarms,  der  Harn- 
blase und  der  Geschlechtstheile ,  bilden  reiche  Geflechte,  welche 
durch  zahlreiche  Anastomosen  unter  einander  in  Verbindung  stehen. 
Diese  Geflechte  sind: 

a)  Der  Pleams  haemo^Thoidalis,  Mastdarmgeflecht.  Er  hängt 
durch  die  Vena  haeinorrhoidalui  intenia  mit  dem  Pfortadersystem 
zusammen. 

b)  Der  Plexus  vesicalis,  Harnblasengeflecht,  umgiebt  den 
Grund  der  Harnblase,  und  steht  mit  dem  Plexus  haemoi'rhoidaü 
und  pudendalis  in  Verbindung. 

c)  Der  Plexus  pudendalisy  Schamgeflecht,  umgiebt  bei  Män- 
nern die  Prostata,  empfängt  sein  Blut  aus  dieser,  so  wie  aus  den 
Samenbläschen,  und  nimmt  die  Venae  profundae  penis,  welche  aus 
den  Venengeflechten  der  Schwellkörper  abstammen,  und  die  grosse 
Vena  doi^salis  penis  auf.  Letztere  entsteht  hinter  der  Corona  glatvdis 
aus  zwei  die  Eichelbasis  umgreifenden  Venen,  zieht  zwischen  den 
beiden  AHeriae  penis  dorsales  gegen  die  Wurzel  der  Ruthe,  durch- 
bohrt das  Ligamentum  trianguläre  urethraey  und  theilt  sich  in  zwei 
Zweige,  welche  oberhalb  der  Seitenlappen  der  Prostata  in  den  Pk- 
XUS  pudendalis  übergehen. 

Beim  Weibe  wird  der  Plexus  pudendalis  minder  mächtig,  und 
heisst:  Plexus  ictero-vaginalis.  Er  umstrickt  die  Wände  der  Vagina, 
und  dehnt  sich  an  den  Seiten  der  Gebärmutter,  längs  der  Anhef- 
tung des  breiten  Mutterbandes,  bis  zum  Fundus  uteri  aus.  Er  ana- 
stomosirt  mit  allen  übrigen  Venengeflechten  der   Beckenhöhle,    imd 


S.  425.  Yenon  der  unteren  Kxtremit&t  953 

entleert  sich  durch  die  kurzen,  aber  starken   Venae  uierinae   in  die 
Vena  hypogastrica. 

Im  Inneren  der  den  Plexus  pttdendalin  zusammensetzenden  Venen,  findet 
sich  dieselbe  Baikenbildung,  wie  sie  in  den  Schwellkörpern  des  Qliedes  vor- 
kommt. Die  Balken  bestehen  durchwegs  aus  nuisculösen  Faserzellen. 


§.  425.  Venen  der  unteren  Extremität. 

Sie  bilden  den  Hauptstamm  der  Vena  cruralis  s,  iliaca  extei^nay 
welcher,  so  wie  die  Schenkelarterie,  in  ein  Bauch-,  Schenkel-  und 
Kniekehlenstttck  eingetheilt  wird.  Vom  Poupart'schen  Bande  ab- 
wärts, sind  Stamm  und  Aeste  der  Schenkelvene  mit  Klappen 
versehen. 

Da  die  Bildungsstelle  der  Vena  cava  injerior  von  der  Theilungsstelle  der 
Aorta  nach  rechts  abweicht,  beide  Venae  iliacae  exteimae  aber  unter  dem  Pou- 
part^schen  Bande  an  der  inneren  Seite  ihrer  Arterien  liegen,  so  mass  die  rechte 
Vena  iliaca  externa  hinter  der  Arteria  iliaca  externa  vorbeilanfen,  während  die 
linke  immer  an  der  inneren  Seite  ihrer  Arterie  bleibt. 

Die  Schenkelvene  bleibt  in  der  Regel  bis  unter  die  Kniekehle, 
wo  sie  durch  die  tiefliegenden  Venen  des  Unterschenkels  zusam- 
mengesetzt wird,  einfach,  und  folgt  in  der  Fossa  üeo-pectinea  dem 
Stamme  der  Arteria  cntralis,  an  dessen  innerer  Seite  sie  liegt.  Es 
kommen  jedoch  ganz  constant,  neben  dem  Stamme  der  Schenkel- 
vene, wie  auch  der  Vena  pojjliteay  noch  2 — 3  kleine  Collateralvenen 
vor,  welche  sich  nach  kürzerem  oder  längerem  Verlauf  in  diesen 
Stamm  einsenken  (Langer,  Wiener  med.  Wochenschrift,  1867, 
N.  22,  und  Friedlowsky,  Wiener  med.  Zeitung.  13  und  16).  Ueber 
dem  Durchgang  durch  die  Sehne  des  Adductw  magnus  verbirgt  sich 
die  Schenkelvene  als  Vena  poplitea  hinter  der  Arteria  a^^itralis,  und 
bleibt  auch  während  ihres  Verlaufes  durch  die  Kniekehle,  hinter 
ihr.  Die  Aeste,  welche  die  Schenkelvcne  aufnimmt,  sind  mit  den 
Aesten    der    Arieria    cruralw   gleichläufig  und  synonym. 

üebereinstimmend  mit  der  oberen  Extremität  zerfallen  die 
Venen  der  unteren  in  hoch-  und  tiefliegende.  Die  tiefliegen- 
den begleiten  die  Arterien,  und  sind  für  den  Unterschenkel  dop- 
pelt: zwei  Venae  tibiales  posticae^  zwei  anticae,  zwei  peroneae.  Die 
hoch  liegenden  oder  Hautvenen  der  unteren  Extremität  begin- 
nen aus  einem,  auf  dem  Fussrücken  subcutan  gelegenen  Venen- 
netz, Bete  pedis  dorsale,  welches  die  Zehenvenen  aufnimmt,  und 
zwei  starke  Hautvenen  —  die  grosse  und  kleine  Rosenvene  — 
aus  sich  hervorgehen  lässt. 

a)  Die  grosse  Rosenvene^    Vena  mtpktf^  "^ 

geht  vom  inneren  Rande  des  Beie  do^ 


954  §•  426.   PforUder. 

die  Blutadern  der  grossen  Zehe,  des  inneren  Fussrandes,  und  der 
Sohlenhaut,  geht  vor  dem  inneren  Knöchel  zum  Unterschenkel,  und 
tlber  den  Condylus  feinoins  intefinitis  zum  Oberschenkel,  wo  sie  durch 
die  Fovea  ovalis  zur  Sehenkelvene  tritt.  Sie  nimmt  in  ihrem  ganzen 
Laufe  Hautvenen  von  der  inneren  und  zum  Theil  hinteren  Fläche 
der  unteren  Extremität  auf,  und  erhält,  vor  ihrem  Eintritte  in  die 
Fovea  ovalis,  noch  die  Venae  pudendae  extemae,  epigash'tcae  super- 
ßciales  und  inguinales. 

Zuweilen  nimmt  sie  die  Vena  saphena  minor  auf,  —  oder  sie  theilt  sich, 
um  sich  wieder  zu  einem  einfachen  Stamm  zu  sammeln,  —  oder  sie  wird  in 
ihrem  ganzen  Verlaufe  doppelt,  oder  senkt  sich  schon  tiefer,  als  in  der  Fotta 
ovalis^  in  die  Vena  cruralis  ein.  Ihre  bei  Frauen,  welche  mehrmals  geboren  haben, 
häutig  vorkommenden  Erweiterungen  {Varices)  sind  der  Grund  ihres  trivialen 
Namens :  F  r  a  u  e  n  a  d  c  r  oder  K  i  n  d  s  a  d  e  r.  Derlei  Varices  finden  sich  jedoch 
auch  im  männlichen  Geschlechte,  besonders  bei  Handwerkern,  welche  ihre  Ar- 
beit stehend  verrichten,  wie  die  Tischler  und  Schlosser. 

b)  Die  kleine  Rosenvene,  Vetia  saphena  minor  s.  postei'ior^ 
geht  vom  äusseren  Fussrande  aus.  Sie  steigt  hinter  dem  äusseren 
Knöchel,  anfangs  neben  der  Achillessehne,  und,  wo  diese  aufhört,  . 
zwischen  den  beiden  Köpfen  des  Gastrocnemius ,  zur  Kniekehle 
hinauf,  durchbohrt  die  Fascia  pojditea,  und  entleert  sich  in  die  Vena 
Poplitea. 

Die  Vena  saphena  major  und  minor  anastomosiren  mehrfach  mit  den  in- 
nerhalb der  Fascie  der  unteren  Extremität  gelegenen  Venis  profundis  durch  per- 
forirende  Zweige.  —  Die  Varietäten  der  Saphena  minor  sind  nicht  selten,  aber 
unerheblicli.  Merkwiirdie:  ist  ilir  in  der  Kniekehle  stattfindendes  Zerfallen  in  iwei 
Zweige,  deren  einer  zur  Veria  popUtea  geht,  der  andere  am  Nervus  ischiadiau 
nach  aufwärts  läuft,  um  in  die  Vena  ylntaea  infei-ior  einzumünden.  —  Die  Yem 
Poplitea  besitzt  eine  so  mächtige  Adventiliay  dass  sie,  wie  eine  Arterie,  quer 
druchschnitten  niclit  zusaunnenfällt. 


§.  42«.  Pfortader. 

Die  Pfortader,  Vena  portaej  wurzelt  in  den  Verdauungs- 
organen, aus  wolchen  sie  das  Bhit  aufsammelt,  um  es  der  LeWr 
zuzuführen.  Sie  ist  somit  die  Vene  der  unpaaren  Aortenäste.  Die 
zum  TmiiCHs  venae  p)oHar  zu8ammentret(»nden  Venen  des  Verdauungs- 
organs mögen  dessen  Wurzeln,  seine  Aeste  im  Leberparencliym 
dessen  Verzweigung  lieisseu.  Beide  sind  klappenlos.  Nur  in  der 
Pfortader  der  Saurier,  und  in  jener  der  mäuseartigen  Nagethiere, 
habe  ieh  eine  sehr  sehöne  Spiralklappe  vorgefunden. 

Die  Wurzeln  der  Pfortader  ent.spreehen  nieht  genau  den 
Verhältnissen  der  Arterien,  d.  h.  sie  treten  auf  andere  Weise  zu 
grösseren  Venen  zusammen ,  als  die  Arterien  sieh  verästelten. 
Sie  sind: 


§.  426.  Pfortader.  955 

a)  Die  Vena  gastrica  superior,  Sie  läuft  in  der  Curvatura  ven- 
triculi  minor  von  links  nach  rechts  zum  Pfortaderstamm,  und  nimmt 
das  Blut  aus  dem  oberen  Theile  der  Magenwände,  von  der  Cardia 
bis  zum   Pylorus,   und   vom   oberen  Querstück  des  Duodenum  auf. 

b)  Die  Vetia  mesenterica  magna  8,  superior  liegt  in  der  Wurzel 
des  Gekröses  an  der  rechten  Seite  der  Arteria  mesenterica  s^iperior. 
Sie  correspondirt  mit  den  Aesten  der  oberen  Gekrösarterie,  und 
des  Ramtis  pancreatico-duodenalis  der  Arteria  hepatica. 

In  den  ersten  drei  embryonischen  Lebensmonaten  erhält  sie  aach  die  (bei 
blindgeborenen  Raubthieren  um  die  Geburtszeit  noch  doppelt  vorhandene)  Vena 
omphcUo-mesaraica  aus  dem  Nabelstrang. 

c)  Die  Vena  mesenterica  infefi*ior,  der  gleichnamigen  Arterie 
analog,  entleert  sich  nur  selten  in  die  superioi-y  gewöhnlich  aber  in 
die   Vena  splenica. 

d)  Die  Vena  splenica  liegt  am  oberen  Rande  des  Pankreas, 
und  stimmt  in  ihrer  Zusammensetzung  mit  der  Astfolge  der  Arteria 
splenica  überein. 

Die  Vena  mesenteinca  moffna  und  splenica  vereinigen  sich  nun 
hinter  dem  Kopfe  des  Pankreas  zum  einfachen  Trunciis  venae  par- 
taej  welcher  erst  etwas  später  die  Vena  gastrica,  und  kurz  vor 
seiner  Theilung  in  der  Leberpforte,  die  Gallenblasenvene  aufnimmt. 

Die  Verzweigungen  des  Truncns  venae  portae  in  der  Leber 
gehen  aus  einem  rechten  und  linken  primären  Spaltungsaste  des- 
selben hervor,  und  bilden  mit  den  Endzweigehen  der  Arteria  hepatica 
das  Capillarsystem  der  Leberläppchen.  —  Unter  accessori sehen 
Pfortadern  (Sappey)  versteht  man  kleine  Venenstämmchen,  welche 
im  Peritonealtlberzuge  der  Leber,  oder  in  den  zur  Leber  tretenden 
Bauchfellfalten  wurzeln,  und  sich  nur  theilweise  in  das  Hauptsystem 
der  Pfortader  ergiessen,  meistens  aber  selbstständig  in  das  Leber- 
parenchym  eingehen.  Ich  traue  diesen  accessorischen  Pfortadern 
nicht  recht. 

Das  Pfortadersystem  behauptet  keine  vollkommeno  Unabhängigkeit  von  den 
Verzweigungen  der  unteren  Hohlader.  Anastomosen  beider  gehören  vielmehr  zur 
strengen  Regel.  Nebst  den  älteren  Beobachtungen  von  Stahl  und  Walter, 
liegen  hierüber  die  von  Retzius  (Tiedemann  und  TrevivajiuSy  Zeitschrift  für 
.Physiol.  Bd.  5.)  gemachten  Erfahrungen  über  constante  Anastomosen  der  Venae 
meseniericae  mit  den  Aesten  der  unteren  Hohlvene  vor,  welche  von  mir  (Oesterr. 
med.  Jahrb.  1838.)  bestätigt  und  erweitert  wurden.  Ich  besitze  ein  Präparat,  wo 
die  hinteren  Scheiden-  und  Qebärmuttergeflechte  von  der  Vena  mesenterica  aus 
injicirt  wurden,  und  ein  zweites,  wo  die  Vena  colica  itinistra  eine  Harnleitervene 
auüiimmt.  —  Man  hat  als  grösste  Seltenheit  den  Stamm  der  Pfortader  nicht  zur 
Leber,  sondern  zur  Cava  inferior^  oder  zur  Äzygos  (Abernethj,  Lawrence), 
oder  zum  Atrium  cordis  dextrum  (Mende)  treten  gesehen.  —  MeniÄre  (Archiv. 
g4n.  de  m^d.  Avril.  1826.  pag.  381)  berichtet  über  einen  fingerdicken  Communi- 
cAtionsiurm  zwischen  der  Vena  iUaea  dactra  und  dem  PfoitftdeniteBVM*  wtAAm^ 
hinter  der  Linea  alba  emporstieg.  Serref  (Arddr.g^' 


956  §•  ^^T-  Huuptstamm  deH  Lymphgefasssyätems . 

beschrieb  einen  ähnlichen  Befund.  Da  nach  Burow's  Beobachtungen  die  Ver- 
zweigungen der  Vena  epigcMtrica  inferior  (einem  Zweige  der  Vena  iliaca  daüra) 
mit  der  Umbilicalvene,  welche  zur  Pfortader  geht,  anaatomosiren,  so  liegt  die  Ver- 
muthung  nahe,  dass  man  in  diesen  beiden  Fällen  nur  eine  Ausdehnung  der 
erwähnten  Anastomose  vor  sich  hat.  Jedoch  muss  auch  hier  zu  Burow's  An- 
gabe noch  eine  Berichtigung  hinzugefügt  werden.  Sappey  bat  nämlich  gezeigt 
dass  die  Vena  umbilicalis  von  feinen  Venen  begleitet  wird,  welche  aus  der  Baoch- 
wand  stammen,  und  theils  als  kleine  accessorische  Pfortadern  an  die  Leberläppchen 
der  Fossa  long,  »inistra  treten,  theils  aber  (1 — 2)  in  den  linken  Ast  der  Pfortader 
einmünden.  Indem*  nun  diese  Venen  in  der  Bauchwand  mit  den  Venis  epiyattricii 
inferiwibn»  annstomosiren,  so  kann  es  um  so  mehr  als  sicher  angesehen  werden, 
dass  es  sich  in  den  oben  angeführton  Fällen  nicht  um  eine  Communication  mit 
der  Vena  umlnlicalüt  (welche  nach  Sappey  niemals  offen  bleibt),  sondern  um 
die  Erweiterung  Einer  der  mit  den  Bauchdeckenvenen  anastomosirenden  Sap- 
pey'schen  Venen  handelt.  Herhold  fand  bei  einer  Missgeburt  alle  Zweige  der 
fehlenden  Cava  inferior  zur  Pfortader  gehen.  —  Ueber  accessorische  Pfortadem 
handelt  C.  Sappey,  in  der  Gaz.  med.  de  Paris,  1859,  und  in  dessen  Traite 
d*anat.  descript.  T.  III.  pag.  291. 


D.  Lyniphgefässe  oder  Saugadern. 

§.  427.  Hauptstamm  des  Lymphgefässsystems. 

Der    Hauptstamm    des    Lymphgefösssystems    ist    der    Milch- 
brust^ang,    Ducfus  fhoracicus  s.   PecqiiPttanus,    ein* Kanal  von  circa 
2  Linien    üurchmesser.    Er    entstdit    an    der   vorderen    Fläche   des 
zweiten    oder    dritten    Lendenwirbc^ls,    rechts   und    liiut<tr  der  Aorta, 
aus  der  Vereinigung  dreier   kurzer    und  weiter  Lymphgefässstämme 
[Radices  ducfus  fhoracirl).     Dcm*   rechte    und    linke   entwickeln  sich 
als   Trunci  lymphatlcl  lumbales  aus  d(Mi    beiden    drüsenreiehen  PleJMn 
lumbales,  welche  die  Lyniphgeiasse  des  Beckens^  der  unten-n  Extre- 
mitäten, der  (lesehh'chtsorganc,  und   eines  grossen  Theils  der  Kauch- 
wand  aufn(*hnien.    Der   mittlere  wird,  als   Truacus  lymphaficus  m- 
testinaltSj    in    der    Wurzel    des    Gekröses   durch    den    (JonHuxus  der 
Chylusgefasse  des  Verdauungskanals  erzeugt.  Dieser  mittlere  Stamm, 
und  zuweilen  noch  der  Anfang  d<'S  Ductus  fhoracicus,  zeigen  gewöhn- 
lich   eine  besonders   im  injicirten  Zustande  sehr  geräumige,  oblong«* 
Anschwellung  —   Cistenia  chylij  s.  Uccepfaculnvi  chyli,  s.  iSaccti^  lacteui'. 

Der  Milchbrustgang  gelangt  durch  den  Hiatus  aorttcus  in  den 
hinteren  Mittelfellraum  des  Thorax.  Hier  liegt  er,  in  reichliches 
Fett  eingehüllt,  zwischen  Aorta  und  Vena  azygoSy  steigt  bis  zum 
vierten  Brustwirbel  empor,  wendet  sich  nun  hinter  der  Speiseröhre 
nach  links,  und  geht,  auf  dem  linken  langen  Halsmuskel  bis  zum 
sechsten  Halswirbel  hinauf,  biegt  sich  hier  bogenförmig  nach  aussen 
und  vorn,  imd  mündet  in  den  Vereinigungswinkel  der  Vena  subclavia 


(.  488.  Sang»dern  de»  Kopfes  ond  Halses.  957 

und  jugularü  communis  sinistra.  Er  nimmt  auf  diesem  Wege  die 
Saugadem  der  ganzen  linken,  und  des  unteren  Theiles  der  rechten 
Brußthälfte,  desgleichen  der  linken  Hals-  und  Kopfhälfte  und  über- 
dies noch  jene  der  linken  oberen  Extremität  auf. 

Die  Saugadern  der  rechten  und  linken  Brusthälftc,  und  ihrer  Eingeweide, 
entleeren  sich  in  ihn  an  verschiedenen  Stellen,  ohne  einen  gemeinschaftlichen 
Stamm  zu  bilden;  —  jene  des  Halses  und  Kopfes  senken  sich  mittelst  des 
Truncu9  juffitlxiris  nnittery  und  jene  der  oberen  Extremität  mittelst  des  Timncuft 
»ubclaviwf  ainwter  in  ihn  ein. 

Die  Saugadem  des  oberen  Theiles  der  rechten  Brusthälfte, 
der  rechten  Hals-  und  Kopfhälfte,  so  wie  der  rechten  oberen  Ex- 
tremität, verbinden  sich  zu  einem  nur  y.^  Zoll  langen  Hauptstamm 
(Ductus  thoracicus  dexter  s.  minor),  welcher  seine  Lymphe  in  den 
Bildungswinkel  der  rechten   Vena  anonyma  ergiesst. 

Warum  der  Ductus  thoraciaiSj  von  seinem  Ursprung  bis  zu  seiner  Ein- 
mündung, einen  so  grossen  Umweg  macht,  erklärt  sich  folgendermassen.  Das 
Bauchstück  des  Ditclu»  thoracicus  steht  unter  dem  Drucke  der  Bauchpresse,  wel- 
cher grösser  als  der  Respirationsdruck  ist,  unter  welchem  dieser  Gang  in  der 
Brusthöhle  steht.  Beide  fehlen  am  Halse.  Die  Bewegung  des  Inhaltes  des  Due- 
tu8  thoracicus  wird  gegen  jene  Stelle,  welche  am  wenigsten  gedrückt  wird,  ge- 
richtet sein,  und  die  Ueberführung  des  Chylus  in  das  Blut  somit  erst  am  Halse 
den  zweckmässigsten  Ort  finden.  —  Beide  Ductus  thoracici  sind  mit  zahlreichen 
Klappenpaaren  versehen,  welche  im  oberen  Theile  des  Ductus  thoracicus  major 
kleiner  werden,  und  weiter  auseinanderstehen,  als  im  unteren.  —  Es  ist  nichts 
Ungewöhnliches,  dass  der  Ductus  thoracicus  Inseln,  oder  selbst  in  seinen  Stamm 
eingeschobene  Geflechte  bildet.  Sandifort,  Walter,  Sommer  ring  und  Otto 
sahen  ihn,  seiner  ganzen  Länge  nach,  in  zwei  Aeste  gctheilt,  welche  sich  erst 
vor  der  Einsenkung  in  die  Anonyma  vereinigten.  Cruikshank  fand  ihn  sogar 
dreifach.  Er  kann  sich  auch  in  die  Vena  azygos  münden  (Albin,  Wutzer), 
oder  in  die  rechte  Anonyma  (Fleisch mann).  Alle  diese  Abnormitäten  haben 
wenig  praktischen  Werth,  da  der  Dnctvft  thoraciais  nur  an  soiner  Tnsertionsstelle, 
in  das  Bereich  chirurgischor  Operationen  fallen  könnte. 


§.  428.  Saugadem  des  Kopfes  und  Halses. 

Die  Saugadern  des  Kopfes  und  Halses  lassen  sich  in  ver- 
schiedene Bezirke  eintheilen,  deren  jeder  seine  bestimmten  Sammel- 
drüsen hat.  Diese  Drüsen  liegen  in  Gruppen  zu  2 — 6,  und  darüber, 
entweder  oberflächlich  oder  tief.  Die  aus  ihnen  hervorkommenden 
Vdsa  ejferentia  gehen  als  V<xsa  infin-entin  zu  den  nächst  unteren 
Drüsen,  und  zuletzt  in  ein,  an  und  um  die  Vena  jugularis  commu- 
nis gelegenes  Lymphgefässgeflecht  {Plexus  jugularis)  über,  dessen 
meist  einfaches  Vas  ejferens  als  Truncus  jugularis  zum  Ductus  thora- 
cicus der  betreflfenden  Seite  tritt.  Die  leicht  aufzufindenden  Drüsen- 
^^ppen  sind: 

a)  Die  Glandulae  au/ricuUxreB  c 


958  §•  ^'^-   Sandern  des  Kopfes  und  Halses. 

Erstere  (2 — 3)  liegen  auf  der  Parotis,  vor  dem  Meatua  auditorius  exlenau^ 
letztere  (3 — 4)  hinter  dem  Ohre  auf  der  Insertion  des  Kopfnickers.  Sie  nehmeii 
die  Saugadem  von  den  äusseren  Weichtheilen  des  Sch&dels  auf. 

b)  Die  Glandulae  faciales  profundae,  6 — 8  an  Zahl,  liegen  sie 
in  der  Fossa  spheno-niaxülains^  und  an  der  Seitenwand  des  Schlund- 
kopfes. 

Sie  sammeln  die  Lyraphgefässe  aus  der  Augenhöhle,  Nasenhöhle,  dem 
Schlundkopfe,  der  Keil- Oberkiefergrube,  und  erhalten  nach  Arnold  noch  einen 
Antheil  der  Saugadem  des  Gehirns,  welche  durch  das  Foramen  spinotum  and 
ovale  aus  der  Schädelhöhle  kommen. 

c)  Die  Glandulae  suhmaxillares.  Man  sieht  und  fühlt  sie  ziem- 
lich zahlreich  bei  scrophulösen  Individuen  längs  des  unteren  Randes 
des  Unterkiefers  lagern,  wo  sie  vom  hochliegenden  Blatte  der  Fom- 
ria  colli  bedeckt  werden. 

Die  Saugadern,  welche  ihnen  zuströmen,  kommen  zum  Theil  im  Gefolge 
der  Vena  facialis  anterior,  zum  Theil  vor  ihr  über  den  Kieferrand  herab,  und 
entwickeln  sich  aus  allen  Weichtheilen  des  Antlitzes.  Die  Saugadem  des  Bodens 
der  Mundhöhle  und  der  Zunge  treten  von  innen  her,  ohne  über  den  Kiefemnd 
herabzugleitcn,  in  diese  Drüsen  ein. 

d)  Die  Glandulae  cefvicales  supei'ficlales ,  welche  am  oberen 
Seitentheile  des  Halses  vor  und  auf  dem  Kopfnicker  liegen. 

Sie  nehmen  oberflächliche  vordere  und  hintere  Halssaugadem  auf,  welehe 
gewöhnlich  schon  andere  Lymphdrüsen  durchwanderten.  Es  finden  sich  nimlicb 
sehr  gewöhnlich  in  der  Mitte  des  Halses  vor  den  Musculi  stemo-hyoidei,  seltener 
auch  auf  dem  Musculus  cucullaris  im  Nacken,  kleine  Sammeldrüsen  för  die  ober 
flächlichen  Saugadern  des  Halses. 

Die  austretenden  Gefässe  der  genannten  Drüsengruppen  ent- 
leeren sich  in: 

e)  die  Glandulae  jugulares  supei^lores  im  Trigonum  cervimk  in- 
petnus.  Sie  sind  die  ersten  Vereinigungsdrtisen  für  die  durch  das 
Foramen  jugulare  austretenden  Lymphgefässe  des  Gehirns,  und  sam- 
meln auch  vom  Schlundkopf,  der  Zunge,  dem  Kehlkopfe  und  der 
Schilddrüse  Zweige  auf. 

Die  Existenz  der  Lympligcfässe  im  Geliirn  (nicht  in  der  harten  HimhiQti 
wurde  von  Arnold  durch  Injectiou  nachgewiesen.  In  der  Pia  mater  unterschei- 
det er  drei  auf  einander  gelagerte  Lymphgefässnetze,  deren  Zwischenräume  so 
eng  sind,  dass  sie  kaum  eine  Nadelspitze  aufnehmen.  Sie  folgen  dem  Zuge  der 
Venen  zwischen  den  Gyri.  Die  Saugadern  der  Kammern  des  Gehirns  vereinigen 
sich  zu  einem,  der  Fe/m  vmgna  Galeni  folgenden  Hauptstamm.  F,  Arnold^  ''on 
den  Saugadern  des  Hirns,  in  dessen  Bemerkungen  über  den  Bau  des  Hirns  und 
Kückenmarks.  Züricli,  1838.  8.  —  Die  Lymphgefässe  in  den  Subarachnoideil- 
räumen  wurden  von  mir  zuerst  injicirt  und  beschrieben.  Oestcrr.  Zeitschrift  für 
prakt.  Heilkunde,  1860. 

Die  Vasa  efferentla  von  d)  und  e)  ziehen  längs  der  Vena  jugv^- 
lan's  commious  herab,  und  begeben  sich  in: 

f)  die  Glandulae  jugulares  infeinores  s,  supraclaviculares,  Sie 
lagern  im  laxen  Bindegewebe  der  Fossa  supraclavicularis,   und  neh- 


g.  iW.  Saagadern  der  oberen  Kxtremitäl  and  der  ßrastwand.  959 

men  somit  alle  bisher  angeführten  Kopf-  und  Halssaugadern,  und 
nebstbei  jene  der  Schilddrüse,  des  Kehl-  und  Schlundkopfes,  der 
tiefen  Halsmuskeln,  und  die  mit  den  Vertebralgefässen  aus  dem 
hinteren  Theile  der  Schädelhöhle  und  dem  Canalis  spinalis  hervor- 
kommenden Saugadern  auf.  Da  die  Zahl  dieser  Drüsen  sehr  be- 
deutend ist  (15 — 20),  und  die  sie  unter  einander  verbindenden  Vasa 
in-  et  ejferentia  sich  netzartig  verstricken,  so  entsteht  dadurch  der 
sogenannte  Plexus  lyviphaticus  jugnlaris^  der,  wenn  man  die  Glan- 
dulae jugulares  supei^ioi'es  noch  zu  ihm  zählt,  sich  bis  unter  das 
Drosseladerloch  ausdehnt. 


§.  429.  Saugadem  der  oberen  Extremität  und  der  Brust- 
wand. 

Die  Lymphgefässe  der  oberen  Extremität,  der  zugehörigen 
Brustwand  und  Schulter,  haben  ihren  Sammelplatz  in  dem  Plexus 
lymphaticus  axillaris,  welcher  8 — 12  Lymphdrüsen  (Glandulae  axil- 
lares) einschliesst.  Der  Plexus  axillaris  hängt  mit  dem  Plexus  jugu- 
laris  durch  Anastomosen  zusammen,  und  vereinigt  seine  dicken  kur- 
zen Va^sa  ejferentia  zu  einem  einfachen  Truncus  lympJiaiicus  suhcla- 
vitis  j  welcher  in  den  Milchbrustgang  seiner  Seite  inosculirt.  Die 
Glandulae  axillares  liegen  in  dem  lockeren  Umhüllungsgewebe  der 
grossen  Blutgeftlsse  der  Achsel.  Es  finden  sich  jedoch  auch  ein- 
zelne am  unteren  Rande  des  grossen  Brustmuskels,  und  in  dem 
Spalt  zwischen  Pectoralis  major  und  Delioides, 

a)  Lymphgefässe  des  Armes.  Sie  verlaufen  theils  extra, 
theils  intra  fasciam,  und  werden  deshalb,  wie  die  Venen,  in  hoch- 
liegende und  tiefliegende  abgetheilt. 

a)  Die  hochliegenden  stammen  reichlich  von  der  Volar- 
und  Dorsalseito  der  Finger.  Erstere  steigen  an  der  Innenseite 
des  Vorderarms,  letztere  anfangs  an  der  Aussenseite,  dann  aber 
über  den  Ulnarrand  des  Vorderarms  umbiegend,  ebenfalls  an 
dessen  innerer  Fläche  zum  Ellbogcnbug  empor.  Hier  treten 
einige  durch  1 — 2  Lymphdrüsen  {Glandulae  cubitales)^  welche  vor 
dem  Condylus  internus  an  der  Vena  hasilica  liegen,  alle  aber  strö- 
men zur  Achselhöhle  hin,  um  sich  in  die  Glandulae  axillares  ein- 
zusenken. Einige  von  ihnen  gelangen  auf  demselben  Wege,  wie 
die   Vena  cephalica,  zur  Achselhöhle. 

ß)  Die  tiefliegenden  anastomosiren  nur  am  Carpus  und 
in  der  Plica  cubiti  mit  den  hochliegenden,  und  folgen  genau  der 
Richtung  der  tiefliegenden  Armvenen.  Sie  sind  —  so  viel  das 
Ansehen  der  Injectionspräparate  lehrt  —  weit  weniger  zahlreich 


960  S-  ^^'  Sangadern  der  BrnsthöUe. 

als  die    oberflächlichen,    passircn    aber    2 — 5    Glandulae    ctibitalet 
profundae  und  1 — 2   Glandulae  brachiales  profundae. 

b)  Lymphgefässe  der  Brustwand.  Ihr  Bezirk  erstreckt 
sich  vom  Schlüsselbein  bis  zum  Nabel  herab. 

1.  Die  oberflächlichen  treten  theils  durch  den  Spalt  zwi- 
schen Deltoides  und  Pectai^alis  majovy  in  welchem  das  erste  vor- 
geschobene Drüsenbündel  des  Plexus  axillaris  liegt,  in  die  Tiefe, 
theils  laufen  sie  dem  unteren  Rande  des  Pectoralis  major  entlang, 
wo  ebenfalls  vereinzelte  Drüsen  vorkommen,  zur  Achselhöhle. 
Die  von  der  Regio  epigastrica  heraufkommenden  Lymphgeftsse 
passiren  gewöhnlich  eine  kleine,  z^-ischen  Nabel  und  Herzgrube 
gelegene   Glandida  epigastrica, 

2.  Die  tiefliegenden  folgen  den  Va^sis  tJiaradcis,  und  neh- 
men die  Saugadern  der  Mamma,  und,  dui'ch  Anastomose  mit  den 
Vasis  lymphaticis  inta^costalibtiSj  Verbin dungszw^eige  mit  den  inne- 
ren Brustsaugadern  auf. 

c)  Lymphgefässe  der  Schulter.  Sie  gehören  der  Nacken-, 
Rücken-  und  Lendengegend  an.  Die  hochliegenden  schwingen  sich 
um  den  Rand  des  breiten  Rückenmuskels  herum;  die  tiefen  halten 
am  Verlaufe  der  Schulteräste  der  Arteria  axillaris. 


§.  430.  Saugadem  der  Brusthöhle. 

Die  Lymphgefässe  der  Brusthöhle  lassen  sich  übersichtlich 
in  vier  Rubriken  ordnen:  die  Zwischenrippensaugadern,  die 
Mittelfoll-,    die    inneren    Brust-,   und    die    Lungensaugadern. 

a)  Die  Zwischenrippensaugadern  verlaufen  mit  den  Vash 
ivtei'costalihns.  Si(^  entwickeln  sich  aus  der  seitlichen  Brust-  und 
Baucliwand,  doni  Zwerchfelle,  der  Pleura,  den  Rückenmuskeln,  und 
der  Wirbelsäule,  durchsetzen  die  Glandulae  inteixosfales,  deren  16 
bis  20  in  der  Nähe  der  Rippenköpfchen  auf  jeder  Seite  vorkommen, 
und  stehen  mit  den  folgenden  in  Zusammenhang. 

b)  Die  Mi  tt  elf  eil  saugadem  entspringen  aus  der  hinteren 
Herzbeutelwand,  dem  Oesophagus,  und  den  Wänden  des  hinteren 
Mediastinum,  passirt'u  8 — 12  (jlandulae  mediastini  posteriores j  und 
entleeren  sich  rechts  in  den  Ductus  thoi-ncicus,  links  dagegen  in  die 
Glandula*'  In'onch iaUa. 

c)  Di(*  inneren  Brustsaugadern  entsprechenden  Vasis  mam- 
mariis  inicrnis.  Sic  entstehen  in  der  Regio  epigastrica  aus  der  Bauch- 
wand, nehmen  die  im  Ligamentum  suspensoi'ium  hepatis  aufsteigenden 
oberflächlichen  Lebersaugadern  auf,  durchlaufen  6 — 8  Glandulap 
sternaleSf  und  hängen  mit  den  hinter  dem  Stemum  gelegenen  Lymph- 
drüsen des  vorderen  Mittelfellraumes  zusammen.   Diese,    10  —  14  an 


g.   in.    Sangadera  der  unteren  Extreroitäti'n  nnd  det>  Beckens.  961 

Zahl,  liegen  theils  auf  dem  Herzbeutel,  theils  auf  den  grossen  Ge- 
fllssen  über  demselben,  und  nehmen  die  Saugadem  des  Pericar- 
dium,  der  Thymus,  und  die  an  der  Aorta  und  Arteina  pulmonalis 
aufsteigenden  Saugadern  des  Herzens  auf.  Die  inneren  Brustsaug- 
adern bilden  durch  zahlreiche  Verkettungen  den  Plexus  mammarius 
internus,  welcher  mittelst  des  Truncus  mammarius  in  der  oberen 
Brustapertur  in  den  rechten  und  linken  Ductus  thoracicus  einmündet. 

c)  Die  Lungen  saugadem  zerfallen  in  oberflächliche  und 
tiefe,  welche  an  der  Lungenwurzel  sich  vereinigen,  die  Glandulae 
bronchiales  durchsetzen,  und  links  in  den  Ductus  thoracicus  gehen, 
rechts  aber  mit  den  hinteren  Mittelfellsaugadern ,  den  Truncus 
broncho-mediastinicus  bilden,  welcher  in  den  rechten  kleinen  Brust- 
gang einmündet. 

Die  Glandulae  bronchiales^  deren  einige  schon  im  Lungenparenchym  vor- 
kommen, haben  im  kindlichen  Alter  das  Aussehen  gewöhnlicher  Lymphdrüsen, 
werden  aber  bei  Erwachsenen  —  unabhängig  von  Alter,  Krankheit  oder  Lebens- 
art —  grRMy  selbst  schwarz  pigmentirt.  Ihre  Zahl  beläuft  sich  beiderseits  auf 
20—30.  Sie  sind  sehr  häuüg  Sitz  von  tuberculöscr  Infiltration,  und  werden  bei 
alten  Leuten  oft  im  Zustande  vollkommener  Verkalkung  (nicht  Verknöcherung) 
angetroffen. 


§.  431.  Saugadern  der  unteren  Extremitäten  und  des  Beckens. 

Das  Stelldichein  aller  Lymphgefässe  einer  unteren  Extremität 
sind  die  Leistendrüsen  —  Glandulae  inguinales  —  in  der  Fossa 
ileo'pectinea.  Diese  Drüsen  zerfallen  in  hochlicgende  und  tief- 
liegende, welche  durch  den  Processus  fal elf oi-niis  der  Fascia  lata 
getrennt  sind,  aber  durch  zahlreiche  Verbindungsgänge  zum  Plexus 
inguinalis  vereinigt  werden.  Die  oberflächlichen  Leistendrüsen, 
erstrecken  sich  in  variabler  Anzahl  vom  Ligamentum  Poupartii  bis 
zur  Fovea  ovalis  herab,  wo  sie  die  Veiia  saphena  magna  umgeben. 
Die  tiefen,  liegen  auf  den  Schenkelgefässen  bis  zum  Septum  crv- 
rale  hinauf.  Die  letzte  derselben,  auch  die  grösste,  führt  Rosen- 
müller's  Namen. 

Die  Lymphgefässe,  welche  die  Leistendrüsen  aufsuchen,  sind: 

a)  Die  Lymphgefässe  des  Schenkels.  Sie  verlaufen  theils 
ausserhalb,  theils  innerhalb  der  Fascia  lata,  —  also  hoch-  oder 
tiefliegend. 

1.  Die  hoch  liegenden  gelangen  vom  Fnssrilckcn  und  von  dor  Fuss- 
sohle  herauf.  Erstere  folgen  dem  Laufe  der  Vena  saphena  vwjor^  sind  «ehr  zahl- 
reich, und  vergesellschaften  sich  mit  einer  Partie  der  aus  der  Sohle  kommenden, 
und  über  den  Condylus  internus  femoris  zur  inneren  Seite  des  Oberschclikels 
aufsteigenden  Saugadem,  um  endlich  in  die  hochliegcnden  Leistendrüsen  über- 
sugehen.  Letztere  ziehen  unter  der  Haut  der  Wade  dahin,  und  theilen  sich  in 
Hjrtl,  Lehrbneh  der  knUtami»-  61 


$.  4.^2.    Saagadern  der  BaachhOhle.  963 

a)  Der  paarige  Plexus  lumbalis  nimmt  die  LymphgefUsse  jener 
Organe  auf,  welche  von  den  paarigen  Aortenästen  Blut  erhielten. 
Beide  liegen,  wie  ihr  Name  sagt,  vor  dem  Quadratus  lumborum, 
Psoas  major,  und  der  Lendenwirbelsäule,  hängen  durch  Verbindungs- 
kanäle, welche  über  und  unter  der  Aorta  weglaufen,  zusammen, 
und  schliessen  20 — 30  Glandulae  lumbales  ein,  welche  in  superiores 
et  inferiores  zerfallen.  Jeder  Plexus  lumbalis  nimmt  den  Plexus 
iliacus  extemus,  imd  durch  diesen  den  Plexus  hypogastiHcus  und  sa- 
craliß  medius  auf,  und  versammelt  noch  überdies  folgende  schwä- 
chere Lymphgefässzüge : 

1.  Die  Samensaugadern,  welche  vom  Hoden  und  seinen 
Hüllen,  oder  von  dem  Eierstocke  abstammen,  und  mit  den  Vasis 
spet-maticis  intemis  zur  Lendengegend  gelangen.  Im  weiblichen 
Geschlechte  nehmen  sie  noch  die  Saugadem  des  Fundus  uteri 
und  der  Tuba  Fallopiana  auf. 

2.  Die  Nieren-  und  Nebennierensaugadern. 

3.  Die  Lendensaugadern  von  der  seitlichen  Bauchwand. 

4.  Auf  der  linken  Seite  die  Saugadem  der  Flexura  sigmoi- 
dea  imd  des  Rectum. 

b)  Der  unpaare  Plexus  coeliacus  ist  von  den  beiden  Plexus 
lumbales  nicht  scharf  getrennt.  Er  umgiebt  die  Aorta  und  die  bei- 
den ersten  unpaarcn  Aeste  derselben,  so  wie  die  Pfortader,  er- 
streckt sich  bis  hinter  den  Kopf  des  Pankreas,  und  hat  ungefähr 
16 — 20  Lymphdrüsen,  Glandulae  coeliacae,  eingeschaltet,  welche  von 
folgenden  Organen  Lymphgefässe  aufnehmen. 

a)  Vom  Magen. 

Die  Lymphgefässe  des  Magens  bilden  drei  Geflechte,  in  welchen  kleinr 
Drüschen  vorkommen:  1.  das  linke,  welches  vom  JiSindiis  ventrictdi  zum  Milz- 
geflechte geht;  2.  das  obere,  welches  in  der  Cfirvnhtra  ventriculi  mino?'  liegt, 
zwischen  den  Blättern  des  kleinen  Netzes  nach  rechts  sich  erstreckt,  und 
meistens  mit  dem  Lebergeflechte  sich  verbindet;  3.  das  untere,  an  der  Curva- 
tura  major  befindliche,  holt  seine  Sangadern  aus  dem  Magen  und  dem  grossen 
Netze,  und  geht  hinter  dem  Pylorus  in  die  oberen   Glandulae  coeMacae  ein. 

ß)  Vom  Dünndarm. 

Die  Saugadem  des  Dünndarms  heisseu  vorzugsweise  Milch-  oder  Chy- 
Insgefässe,  Vaaa  lactea  a.  chylifera^  weil  sie  während  der  Dünndarmverdauung 
durch  den  absorbirten  Chylus  das  Ansehen  bekommen,  als  wären  sie  mit  Milch 
injicirt.  Sie  verlaufen  zwischen  den  Platten  des  Gekröses,  und  durchsetzen  eine 
dreifache  Keihe  von  zahlreichen  Drüsen  —  Glandtüae  meiaraxcae.  Die  erste, 
dem  Darme  nächste  Reihe,  enthält  nur  kleine,  und  ziemlich  weit  von  einander 
abstehende  Gekrösdrüsen ;  die  der  zweiten  Keihe  werden  grösser,  und  rücken 
näher  zusammen;  die  der  dritten  liegen  schon  in  der  Wnnel  des  Gekröses, 
am  Stamme  der  'Arteria  mesenterica  auperior.  Die  Vota  ferenda  dar  #mt«n  und 
zweiten  Reihe  werden  also  Va»a  in/erenÜa  der  iweiten  und 
Die  Vota  eferentia  der  dritten  werden  tbeili    VmH 


962  §•  4^2    Sanfpadern  der  fianelihöhle. 

zwei  Züge,    deren   einer  sich  in  die  tiefen  Glandulae  popUieae  entleert,  während 
der  andere  den  oben  angegebenen  Verlauf  zu  den  Leiatendrüsen  einschlä^ 

2.  Die  tiefliegenden  verlassen  die  Blutgefassbahn  nicht,  and  werden, 
wie  diese,  eingetheilt  und  benannt.  In  der  Kniekehle  dringen  sie  durch  1 — 4 
Glandulae  poplüeae  profundae. 

b)  Die  Lvmphgefasse  der  Regio  hypogastrica  des  Unterleibes 
steigen  schief  über  das  Ligamentum  Poupartii  zu  den  obersten  Lei- 
stendrüsen herab. 

c)  Die  Lymphgeftlsse  der  äusseren  Genitalien. 

Sie  sind  es,  welche  den  Ansteck ungsstofT  von  den  Gcschlechtstheilcn  auf  die 
Leistendrüsen  verschleppen,  und  dadurch  die  primären  Bubonen  (Leiatenbeulen ) 
veranlassen.  Die  Lymphgefässe  des  Penis  (oder  der  Clitoris)  treten  zuerst  in  das 
Fettlager  des  Mons  VenerU,  und  beugen  von  hier  zu  den  oberflächlichen  Lei- 
stendrüsen um.  Die  des  Hodensackes  und  der  grossen  Schamlippen  gehen  mit 
den   Vasvt  piidendis  e.x'temi»  quer  nach  aussen  zu  denselben  Drüsen. 

Die  ausfuhrenden  Saugaderstämme  der  Leistendrüsen,  deren 
einige  schon  die  Dicke  einer  Rabenfeder  erreichen,  begeben  sich 
mit  den  Vasis  cruralihus  durch  die  Lacuna  vasorum  aniralium  in  die 
grosse  Beckenhöhle.  Einige  derselben  durchbohren  auch  das  Septum 
crurale,  und  krümmen  sich  über  den  horizontalen  Schambeinast  in 
die  kleine  Beckenhöhlc  hinab.  Die  an  den  grossen  Blutgeßissen 
fortlaufenden  Saugadem  nehmen  die  benachbarten  Saugadem  von 
der  vorderen  und  den  Seitenwänden  der  Bauchhöhle  auf,  durch- 
wandern mehrere  Lymphdrüsen,  und  bilden  durch  ihre  Verkettung 
den  Plexus  äiacics  exteiniusj  welcher  gegen  die  Lendengegend  hin- 
zieht, und  sich  in  die  Glandulae  lumbales  inferiores  entleert.  Der  Plexus 
iliacus  extemus  nimmt  während  dieses  Laufes  den  Plexus  hypogastri- 
cus  und  sacralis  medius  auf. 

Der  Plexus  hypogaatricus  erstreckt  sich  au  den  Verästlungen  der  ^rteria 
hypogastrica  hin,  und  bezieht  seine  contribuirenden  Saugadern  ans  allen  jenen 
Theilen,  zu  welchen  die  Arteria  hypogastrica  ihre  Zweige  versandte.  —  Der 
Plexus  sacralis  medius  dehnt  sich  vom  Promontorium  zum  Mastdarmende  herab, 
und  nimmt  seine  Saugadern  aus  der  hinteren  Beckenwand,  dem  CanalU  sacralis, 
und  dem  Mastdarme  auf. 


§.  432.  Saugadem  der  BauGlihöIile. 

Es  wurde  oben  bemerkt,  dass  der  Ductus  thoracicus  durch  den 
Zusammenfluss  dreier  kurzer  imd  weiter  Lymphgefllssstämme  (den 
beiden  Trunci  lymphatici  lumbales,  und  dem  einfachen  Tnincus  lym- 
phatlcus  intestinalis)  gebildet  werde.  Diese  Lymphstämme  sind  nun 
die  Vasa  effet^entia  von  eben  so  vielen  drüsenreichen  Lymphgcfiiss- 
geflechten,  welche  als  paariger  Plexus  lumbalisy  imd  einfacher  Plejcti^ 
cofi/iacus  s.  mesentericus  beschrieben  werden. 


\ 


a)  Der  pajirige  Plextu  lumbalts  nimmt  die  Lynipligeföese  jener 
Organo  auf,  welche  von  den  paarigen  Aortenästeii  Blut  erhielten. 
Beide  liegen,  wiu  ihr  Nituiß  sagt,  vor  dem  Qufulralua  htmhoi-uni, 
Psoas  major,  und  der  Lenden  Wirbelsäule,  hängen  durch  Verbinduugs- 
kanäle,  welcite  llber  und  unter  der  Aorta  weglaufen,  zueammeu, 
und  Behlieasen  20 — 30  Glandulae  lumbales  ein,  weii^he  in  superm-es 
ei  inferioreg  zerfallen.  Jeder  Plexus  lumbalig  nimmt  den  Plexu* 
iliactu  extemtis,  und  durch  diesen  den  Plexus  hypogasiricu»  und  sa- 
cralip  medius  auf,  und  versammelt  noch  Überdies  folgende  achwJU 
chere  Lymphgefäaszflge : 

1.  Die  SaniensHugadern,  welche  vom  Hudeu  und  seinen 
Hüllen,  oder  von  dem  Eierstocke  abstammen,  und  mit  den  Vaaia 
apeitnalKts  inlfmü  zur  Lendengegend  gelangen.  Im  weiblichen 
Geschlechte  nehmen  sie  noch  die  Saugadem  des  Fundits  utei-i 
und  der   Tuba  Fallopiana  auf, 

2.  Die  Nieren-  und  Nebennierensaugadern. 

3.  Die  Lendeiisaugadern  von  der  seitlichen  Rauchwand. 

4.  Auf  der  linken  Seite  die  Saugadem  der  Flexura  aigmoi- 
dea  und  des  Reetnm. 

b)  Der  unpaarc  Plexnn  cof-liaciia  ist  von  den  beiden  Plexus 
lumbales  nicht  scharf  getrennt.  Er  umgiebt  die  Aorta  und  die  bei- 
den ersten  unpaaren  Aeste  derselben,  so  wie  die  Pfortadrr,  er- 
streckt sich  bis  hinter  deu  Kopf  des  Pankreas,  und  hat  ungeftihr 
16 — 20  Lymphdrüsen,  Glandulae  coeliacae-,  eingeschaltet,  welche  von 
folgenden  Organen  Lymphgefässe  aufnehmen. 

i)  Vom  Magen. 

Die  LjmpligefBM«  ilea  Magens  bilden  ilrd  Oeflectite,  in  welchen  kleini- 
Drilschen  vorkommen:  1.  das  linke,  welches  vom  Fu-ndta  veiUrietili  zom  Mila- 
Eeflechte  gebt;  3.  das  oberp,  welches  in  der  Curenl^ira  vcnlriculi  niinoi'  liegt, 
zwischen  den  BIKttem  des  kleinen  Netses  nach  rechts  sich  erstreckt,  iiud 
■iieisttns  mit  dem  L ehe rge II echte  sich  rerbinitet;  3,  das  unlere,  an  der  Cunin- 
fura  viajor  befindlich«,  holt  »eine  Snagiilern  aiia  dem  Magen  and  dem  grossen 
\etie,  lind  geht  hinter  dem  Pjlorna  in  die  oberen  Glandulae  coeliaciie  ein. 
3)  Vom  Dünndarm. 

Die  Saugadem  dea  Danndarou  heissen  voraugswoiie  Milch-  oder  Chy- 
loagefXEse,  Vatn  lactta  i.  chi/lifeta,  weil  sie  wKhrend  der  DQnndarmverdsaung 
ilnrch  den  Bhsorbirton  Chylua  das  Ansehen  behommeii,  als  wHren  sie  mit  Milch 
injicirL  Sie  Tcrlnufen  zwischen  den  Platten  des  GekrOses,  und  durchsetsen  eine 
dreifache  Reihe  von  zahlreichen  Drdsen  —  OlandMlite  meiaraicat.  Die  erste, 
dem  Darme  nSehste  Reihe,  enthalt  nur  kleine,  und  ziemlich  weit  von  einander 
abstehende  GekrBsdrflien ;  die  der  zweiten  Reihe  werden  grösser,  und  rOcken 
nüher  vusammen;  die  der  dritten  liegen  schon  in  der  Wunol  des  Oekröaes, 
am  Stamme  der  'Arlrria  mestnlerica  »iiperioi;  Die  Vota  tfferentia  der  ersten  und 
zweiten  Reihe  werden  also  Vota  infertntia  der  zweiten  und  dritten  Reihe  sein. 
Die   Vota   egerentiu  der  dritten   werden    theiU    Vuaa  inferfHa  für  die   (llanihJae 

61" 


964  ^'  ^^^-  Literatur  des  gesaininten  OefasKs.yslems. 

coeUacae,   theils  gehen   sie,    ohne   Zwischenkunft  einer  Drüse,    in    den    TntncHM 
lymphaticus  intestinalis,  und  somit  in  den  Anfang  des  Ihuittt»  thoracicus  über. 

y)  Vom  Dickdarm. 

Die  Saiigadem  des  Dickdarms  verhalten  sich  ähnlich  jenen  des  Dünn- 
darms, nur  sind  die  Drüsen,  durch  welche  sie  verlaufen,  kleiner,  weniger  zahl- 
reich, und  nur  in  1 — 2  Reihen  gestellt.  Da  sich  die  Saugadern  der  FiexHra 
sigmoidea  und  des  Mastdarms  zum  linken  Pleocn*  lumhalis  begeben,  so  werden 
nur  jene  der  übrigen  Dickdarmabtheilungen  in  ihren  betreffenden  Gekrösen  zum 
Plexus  coeliacus,  oder  zur  dritten  Reihe  der  Glandulae  mesaraicae  gelangen. 

3)  Von  der  Milz-  und  Bauchspeicheldrüse. 

Die  Lymphgefässe  dieser  Organe  folgen  dem  Zuge  der   Vena  splenica  von 
links  nach  rechts,  und  entleeren  sich  in  die  oberen   Glandulae  coeUacae. 

e)  Von  der  Leber. 

Die  Saugadern  der  Leber  zerfallen,  wie  bei  allen  parenchymatHsen  Orga- 
nen, in  oberflächliche  und  tiefe.  Die  tiefen  treten  aus  der  Porta  hervor, 
durchlaufen  mehrere  Glandulae  hepaticae,  verbinden  sich  mit  dem  oberen  Magen- 
geflecht, und  treten  mit  ihm  in  die  Glandulae  coeliacae  ein.  Die  oberflächlichen 
verhalten  sich  an  der  concaven  Fläche  der  Leber  anders,  als  an  der  convexcn. 
An  der  convexcn  Fläche  treten  sie,  nachdem  sie  sehr  reiche  Netze  bildeten,  in 
das  Ligamentum  Suspensorium  hejtatis  ein,  gelangen  dadurch  zum  Zwerchfell,  und 
dringen  hinter  dem  Schwertknorpel  zu  den  Plexihus  mammaHis  und  mediasfinid* 
anteriovihus.  Allein  nicht  alle  Saugadern  der  convexen  Leberflächo  nehmen  diesen 
Verlauf.  Viele  vom  linken  Leberlappen  verbinden  sich  vielmehr,  nachdem  sie 
durch  den  linken  Flügel  des  Ligamentum  alare  kepatis  nach  links  verliefen,  mit 
dem  oberen  Magen-  oder  Milzgeflechte.  Einige  Saugadem  des  rechten  Lappens 
durchbohren  am  hinteren  Leberrande  das  Zwerchfell,  und  suchen  die  Glandulae 
mediastinicae  posferutres  auf,  so  dass  die  Leberljmphe  die  verschiedensten  und 
ganz  divergente  Abzugsbahnen  einschlägt.  Die  oberflächlichen  Saugadern  der 
unteren  concaven  Leberfläche  gehen  sämmtlich  zur  Pforte,  verbinden  sich  mit 
den  tiefen,  und  finden  mit  ihnen  den  Weg  zu  den   Glandulae  coeliacae. 


§.  433.  Literatur  des  gesammten  frefässsystems. 

Vollständige  Beschreibungen  des  ganzen  Gefässsystems  ent- 
halten die  zweiten  Auflagen  von  SömmejTings  und  Hilft eh-andfa 
Anatomien,  und  die  Gofässlehron  von  C  A,  Mayer,  A.  ]Valffn\  und 
il/.  LaiHjaiheck.  Die  besten  Abbildungen  finden  sich  in  den  Werkt-n 
von  Laugaihecky  TierJciuannj  (jffaiiiy  WilsoUj  und  Bn-rkoifilf  ( Ab})il- 
dungcn  der  Puls-,  Blut-  und  Saugadern.  Berlin,  1S25.  fol.).  Die 
Leichtigkeit,  mit  welcher  Präparate  injicirter  Gelasse  an  jeder  gut 
eingerichteten  anatomischen  Anstalt  zu  haben  sind,  macht  das  Stu- 
dium der  (lefässh'hre  an  Tafeln  überflüssig.  —  In  praktischer  Be- 
ziehung vermindert  sich  die  Wichtigkeit  der  Blutgefässe  mit  der 
Abnahme  ihrer  Grösse,  und  die  umständliche  Beschreibung  jener 
Gefässzweige,  deren  Verwundung  nicht  gefahrbringend,  und  deren 
Unterbindung  nie  nothwendig  wird,  erscheint  dem  praktischen  Arzte 
als  eine  nutzlose  Genauigkeit. 


§.  48.S.  Literatur  des  gesammU'n  GefHüs^ysterns.  965 

Herz. 

R.  Lowevy  tractatus  de  corde.  Edit  scpt.  liiigd.  Bat,  1740.  8.  {Tuhcvcn- 
him  Loveri.)  —  A,  C,  Thebesiua,  diss.  de  circulo  san^inis  in  corde.  Lugd.  Bat., 
1708.  (Valvula  Thebesii.)  —  R.  VteuagenSj  traite  de  la  structure  du  coeur.  Tou- 
louse, 1715.  (Istkmiis  Vieuggenii.)  —  J,  B.  Morgagvi^  adversaria  anat.  Patav., 
1706—1719.  Adv.  1.  2.  [NoduU  Morgagni.)  —  J.  Reid  und  //.  Searle  „Heart*"  in 
Todd*8  Cyclopaedia.  Vol.  II.  —  /.  Müller ^  in  der  medicin.  Vereinszeitung.  1834. 
(Dimensionen  und  Capacität  des  Herzens.)  —  //C7*z,  in  R,  Wagnei^a  Handwörter- 
buch der  Physiologie.  —  C.  Ludwig,  über  Bau  und  Bewegungen  der  Herzven- 
trikel, in  Ilenle  und  Pfeuffer*g  Zeitschrift.  VII.  Bd.  —  Luschka,  das  Endocar- 
diuni,  etc.,  in  Virchow*8  Archiv.  IV.  —  Reinhard,  zur  Kenntniss  der  dünnen  Stelle 
in  der  Herzscheidewand  in  Virchow's  Archiv.  XH.  —  Luschka,  der  Herzbeutel 
und  Faacia  endothoracica ,  in  den  Denkschriften  der  kais.  Akad.  16.  Bd.  — 
C.  Bruch,  Schriften  der  Senkenberg'schen  Gesellschaft,  1857.  —  C.  Langer,  Zeit- 
schrift der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte,  1857.  (Foramen  ovale.) 

Arterien. 

Ilaller^g  Icones  anatomicae.  Gottingae,  1743,  können  noch  immer  als  Mu- 
ster graphischer  Genauigkeit  dienen.  —  F.  Tiedemann»  tabulae  arteriarum.  Carls- 
ruhe, 182tJ,  und  der  Nachtrag  von  1846,  sind  der  Varietäten  wegen  wichtig.  -- 
R.  Harrison,  Surgical  Anatomy  of  the  Arteries.  Dublin,  1839.  4.  edit  Enthält 
viele  gute  praktische  Bemerkungen.  —  R.  Froriep,  chirurg.  Anat.  der  Ligatur- 
stellen. Weimar,  1830.  —  R.  Quain,  the  Anatomy  and  Operative  Surgery  of  the 
Arteries.  London,  1838.  Plates  in  fol.  —  N.  Pirogoff,  chirurg.  Anat.  der  Arterien- 
stämme und  der  Fascien,  mit  40  lith.  Tafeln  in  fol.  Dorpat,  1838.  —  Sehr  ge- 
lungen, und  durch  Correctheit  ausgezeichnet,  ist  R.  Froriep's  Icon  arteriarum, 
Weimar,  1850,  auf  Einer  Tafel  das  gesammte  Arteriensystem  in  das  Skelett  ein- 
getragen, in  Lebensgrösse  darstellend. 

Varietäten  der  Arterien. 

Nebst  den    pathologischen   Anatomien   von   Meckel,    Otto,  Ci'ti- 
veühie)'y  gehört  vorzugsweise  hieher: 

R.  Quain,  on  the  Arteries  of  the  Human  Body,  etc.  Lond.,  1844. 
F.  Tiedeman^,  Supplementa  ad  tabulas  arteriarum.  Heidelb.,  1846.  —  Herberg, 
über  die  Ein-  und  Austrittspunkte  der  Blutgefässe  an  der  Schädeloberflächc,  in 
Walther  und  Ammon*8  Journal.  IV.  Bd.  —  R.  Siehold,  über  den  anomalen  Ur- 
sprung und  Verlauf  der  in  chirurgischer  Beziehung  wichtigen  Schlagaderstämme. 
Würzburg,  1837.  —  Schiobig,  observationcs  de  varia  arteriae  obturatoriae  origine 
et  decursu.  Lips.,  1844.  —  Patruhan,  Gefnssanomalien.  Prager  Vierteljahrs- 
schrift 17.  Bd.  (Aortenbogen  über  den  rechten  Bronchus  gehend.  Vas  aberraiis 
aus  der  Arteria  brachialis.  Hoher  Ursprung  der  Ulnaris.)  —  Deinarquay,  snr  Ics 
anonialios  de  T  artAre  sousclavi«M*e.  Comptes  rendiis.  Tom.  27.  Nr.  5.  —  Stru- 
thers,  On  a  Peculiarity  of  the  Humerus  aud  Humeral  Artery.  Monthly  Jouni. 
Now  Serie«.  XXVIII.  —  W.  Gruher,  Abhantilungen  ans  der  nien.schlicheu  und 
vergleichenden  Anatomie.  Petersburg,  1852.  (Schätzbare  Angaben  über  nuino- 
ri.sche  Verhältnis.sc  der  Varietäten.)  —  //.  Meger,  über  die  Transposition  der  aus 
dem  Herzen  hervortretenden  grossen  Arterienstämme,  in  Virchow'g  Archiv.  XII. 
—  Schwtgel,  Prager  Vierteljahrsschrift,  1859.  —  J.  Hyrtl,  Oesterr.  Zeitschrift 
für  prakt.  Heilkunde.    1859,   Nr.    29,    seqq.    {Art,  palatina   atcendens,  vertehrali*, 


966  i-  -13S-  Literatur  des  gesummten  OeflUsHttyritems. 

oecipitaUsy  Ungitalis  und  thyreoidea,)  —  Hyrtl,  Aber  norm,  und  abnorm.  Verhält- 
nisse der  Schlagadern  des  Unterschenkels.  Wien,  1864.  mit  10  Taf. 

Venen. 

Ueber    das   gesammte    Venensystem   existirt   nur   Ein    Haupt- 
werk: 

G.  Dreschet,  recherches  anat.  physiol.  et  pathol«  sur  le  Systeme  veineux. 
Paris,  1829.  fol. 

Ueber  die  Sinus  durae  matris  handelt  Morgagni  in  dessen  Adversariia  anat 
VI.  und  Vicq-d^ Äzyr,  recherches  sur  la  stracture  du  cerveau,  in  den  Mein,  de 
Tacad.  des  scicnces.  1781  und  1783.  Ueber  die  Emissaria  siehe  D.  Santorini^ 
observ.  anat.  cap.  III.,  und  J,  T.  Walter,  de  emissariis  Santorinl.  Franeof.  ad 
Viadr.,  1757.  Hieher  gehört  auch:  Englisch,  Über  eine  constante  Verbindung  des 
Sinus  cavernosus  mit  dem  petrosus  inferior  ausserhalb  des  Schädels  (Sitzungs- 
berichte der  kais.  Akad.  1863).  Ueber  Venenanomalien  siehe  die  vollständige  Li- 
teratur bei  Krause,  pag.  973.  —  Für  die  Entwicklungsgeschichte  interessant  ist 
J.  MarshaWs  Abhandlung:  On  the  Development  of  the  g^eat  anterior  Veins  in 
Man  and  Mammalia,  in  den  Phil.  Transactions,  1850.  Part.  I. 

Pfortader. 

A.  F.   Walther,  de  vena  portae  exercitationes  anatomicae.  Lips.  1739 — 1740. 

—  A.  Murrag,  delineatio  sciagraphica  vcnae  portae.  Upsal.,  1796.  4.  —  K.  Hon- 
/ein,  descriptio  anat.  systematis  venae  portae  in  homine  et  quibusdam  anima- 
libus.  Mogunt.,  1808.  fol.  —  Retzius,  in  Tiedemann's  und  Treviranus^  Zeit- 
schrift, 1833. 

Ueber  Anomalien  der  Venen  und  /Sinus  durae  matris,    handelt 
mit  kritischen  Bemerkungen: 

C.  IL  Hallet/,  General  Remarks  on  Auomalies  of  Venous  System.  Med. 
Times.  Nov.  Nr.  423. 

Lyraphgefässe. 

C.  A.  Asellius,  de  lactibus  s.  lacteis  venis,  etc.  Mediol.,  1627.  —  J.  Peafuef, 
experimenta  nova  anatomica,  quibus  ineognituin  hactenus  chyli  receptaculuni 
et  vasa  lactea  deteguntur.  Paris,  1651.  —  A.  Monro  et  J,  F.  Meckel,  opuscuLi 
anatomica  de  vasis  lyinphaticis.  Lips.,  1760.  W,  Cruikshank,  the  Anatomy  of  the 
absorbinj^s  Vessels,  deutsch  von  C.  F.  Ludwig.  Leipzig,  1794.  —  E.  A.  I^auth, 
«ur  los  vaisseaux  lymphatiques.  Strasb.,  1824.  —  V.  Fohmann,  mem.  sur  los 
vaiHseaux  lyiiiph<at.  de  la  peau,  etc.  Liege,  1833.  —  O.  Dreschet,  le  systt^me  lym- 
phatiqne,  considt'rr  sous  le  rapport  anat.  physiol.  et  pathol.  Paris,  1836. 

Ueber  einzelne  Abtheilungen  des  LymphgefUsssystems  handelt: 

A.  Haller,  resp.  Dussviann,  observationes  de  ductu  thoracico.   Gott.,    1741. 

—  D.  S.  A/bin,  tabula  vasis  chyliferi  cum  vena  azyga.  L.  B.,  1757.  —  F,  J,  Hu- 
nauld,  observ.  sur  les  vaisseaux  lymph.  dans  le  poumon  de  l'homme,  in  Mem. 
de  l'acad.  de  Paris.  1734.  —  J.  G.  Haase,  de  vasis  cutis  et  intestinorum  absor- 
bentibus,  etc.    Lips.,  1786.  —  5.  Th,  S'nmmerring,  de  trunco    vertebrali  vasorum 


(.  483.  Literatur  des  gesammten  Gefäss^ybiems.  96  ( 

absorbentium;  in  Comment.  «oc.  reg.  Gotting.  Vol.  XIII.  —  Patruban^  Einmttn- 
dnng  eines  Lympkaderstammes  in  die  Vena  anonyraa  sinifltra,  Müller*s  Archiv. 
1845.  —  SvilzeTf  Beobachtung  einer  Thcilnng  des  Ductus  thor.  ibid.  pag.  21.  — 
Nuhfij  Verbindung  von  Saugadern  mit  Venen.  Müller' s  Archiv.  1848.  —  Jmjavay^ 
sur  les  vaisseaux  lymphatiques  du  poumon.  Arch.  gen.  de  med.  Tom.  XIII.  — 
—  DuboUf  des  ganglions  lymph.  des  membres  sup^rieures.  Paris,  1853.  —  Die 
schon  früher  citirten  Schriften  von  Teichmann,  HiSj  Frey,  Rerkfiiigahauaen,  Lvd- 
toig  und  Tomsay  sowie  mein  Aufsatz  ültcr  die  Injection  der  Lymphcapillaren  in 
der  Osten*.  Zeitschrift  für  prakt  Heilkunde,  1860. 

Eine  Reihe  von  Versuchen  über  die  bewegende  Kraft  der  Ljrmphe  ent- 
hält der  Aufsatz  von  F.  NoU:  über  den  Lymphstrom  und  die  wesentlichen  Be- 
standtheile  der  Lymphdrüsen,  in  Herde  und  Pfenffer^a  Zeitschrift  0.  Bd.  Ebenso 
Schwanda,  Über  die  Quantität  der  in  bestimmten  Zeiten  abgesonderten  Lymphe, 
in  dem  amtlichen  Berichte  über  die  'A'l,  Versammlung  deutscher  Aerzte  und 
Naturforscher.  Wien,  1858. 


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Druck  Ton  Adolf  Holzhans^n  in  Wien 
k.  It  UnirernitKU-RurlHlrurkerei.  '